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Die Amüsanten Berliner Geschichten sind eine Reihe von nicht ganz ernst gemeinten Texten aus der angesagten, aber auch etwas chaotischen Hauptstadt. Die Geschichten sind frei erfunden und eignen sich als kurzweilige Ablenkung vom Alltag. Berliner und Nicht-Berliner dürfen sich gleichermaßen an ihnen erfreuen.
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Seitenzahl: 99
Veröffentlichungsjahr: 2023
Jörg Wildenberg
Die Möhrenmafia
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
0. Geleitwort
1. Ein märchenhafter Sonntag
2. Mutter und Tochter
3. Ein Wunsch
4. Das Ritual
5. Der Doppelagent
6. Frust
7. Noch ein märchenhafter Sonntag
Impressum neobooks
Die Möhrenmafia
Amüsante Berliner Geschichten, Teil 3
Der dritte und bisher mit Abstand längste Teil der Amüsanten Berliner Geschichten ist eine absurde Erzählung, die sich in dieser Form wenn überhaupt, dann nur in Berlin hätte ereignen können. Unsere Hauptstadt bietet den Vorteil, der dichterischen Fantasie mehr Freiraum zu lassen als andere Orte, wo eine solch abstruse Geschichte wie die folgende noch verrückter erschiene. Die Berliner und all jene, die diese Stadt ein wenig kennen, mögen selbst urteilen, wie realistisch das beschriebene Szenario in der Kapitale erscheint. Das Cover wurde mit Hilfe eines Pixabay-Bildes erstellt. Siehe https://pixabay.com/de/vectors/m%C3%B6hren-muster-stil-braunes-muster-2519683/ (Aufruf am 25.11.2023, Urheber des Ursprungsbildes: jambulboy).
Berlinern wie Nicht-Berlinern wünsche ich viel Freude bei der Lektüre meiner fünften Neobooks-Veröffentlichung nach dem historischen Roman „Die Reisen des Elcano“ über den ersten Weltumsegler, den beiden bisherigen Amüsanten Berliner Geschichten „Kaffee am Alex“ und „Touristen in Berlin“ sowie nach dem Krimi „Lektionen für den jungen Ermittler“ im New York des vorletzten Jahrhunderts. Anders als von manchen Online-Werbe-Überschriften suggeriert, handelt es sich bei keinem dieser Werke um Schullektüre. Ich habe dergleichen nie behauptet und verstehe die irreführende Vermarktung in dieser Richtung nicht, von der ich mich ausdrücklich distanziere. Geschichtsinteressierte dürften zwar gerade von meinem „Elcano“ einiges mitnehmen, jedoch habe ich schon im dortigen Vorwort betont, dass es sich um ein fiktionales Werk handelt, dessen Hauptintention gerade kein Geschichtsunterricht ist.
Und nun, lieber Leser, entlasse ich Sie in eine verrückte Geschichte zwischen Zehlendorf und Mitte. Falls Sie ausgerechnet daraus irgendetwas lernen, wäre das in höchstem Maße verstörend.
Jörg Wildenberg, im November 2023
Goldgelbe Sonnenstrahlen tauchten zwar nicht das Feenland, jedoch das kaum minder anheimelnde Berlin-Zehlendorf in einen wohlbehaglichen Schein, wie er sich für einen Sonntagmorgen im Oktober kaum prächtiger hätte präsentieren können. Allenthalben deckten Bewohner jenes gutbetuchten Quartiers in der ansonsten so kontrastreichen Hauptstadt den Frühstückstisch, vorzugsweise im Außenbereich eines großzügigen Anwesens. Eine milde Brise belohnte all jene, die zu früher Stunde ins Freie gefunden hatten.
Nicht anders geschah es auf der Terrasse der mit beruflicher und pekuniärer Fortüne reich gesegneten Familie von Walther Wabbelhalter, seines Zeichens Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin. Seiner werten Gemahlin, Gundula Wabbelhalter, war der skurrile Familienname stets ein Ärgernis, doch sie hatte sich angesichts der gesellschaftlichen Stellung ihres Angetrauten mit ihm abgefunden. Dennoch geschah es manchmal, dass sich ihre Schultern versteiften und ihre kantigen Gesichtszüge ein Schaudern erahnen ließen, sobald sie allzu ostentativ „Frau Wabbelhalter“ gerufen wurde. Dann kaschierte sie ihr Missvergnügen hinter einem kühlen Grinsen, das nichts Gutes für denjenigen verhieß, der die verhassten Worte in die Welt gesetzt hatte. Die Gute verfügte über einen messerscharfen Verstand sowie ein exzellentes Gedächtnis – zwei Eigenschaften, derer sie sich gerne bediente, um den Unglückseligen bei einer künftigen Zusammenkunft in erlauchtem Kreise mit einer abschätzigen Bemerkung und den weitverzweigten Kontakten ihres Gatten bloßzustellen. Der Umstand, nur bei ihrem offiziellen Namen angesprochen zu werden, beschwichtigte sie ebenso wenig wie eine von Walther Wabbelhalters zahlreichen Ausflüchten, wenn er einmal mehr ihren Geburtstag vergessen hatte. Der lag freilich im März, so dass in dieser Hinsicht keine Gefahr bestand, als sie und ihr Mann sich an jenem Morgen am Frühstückstisch gegenübersaßen. An der Kopfseite zwischen ihnen hatte ihre dreiundzwanzigjährige Tochter Helena Platz genommen. Mit der charakterlichen wie äußerlichen Härte ihrer Mutter teilte sie, wie ihr Vater sich insgeheim beglückwünschte, herzlich wenig. Schon als kleines Kind war sie dessen Augenstern, sein ein und alles. Als sie mit sechzehn Jahren den ersten Freund anschleppte, hätte er ihn am liebsten zum Teufel gejagt, lehrte ihn freilich mit einem übertriebenen Händedruck derart das Fürchten, dass der Tunichtgut von sich aus Reißaus nahm. Die zornige Tochter verzieh ihm die Szene ebenso rasch wie seine frostige Aufnahme aller folgenden Freunde, die sie scharenweise heimbrachte. Auch jetzt, am besagten Oktobermorgen, war ein solches Exemplar anwesend, schlummerte indes noch in Helenas Bett. Weder er noch sonst jemand auf dem Anwesen bedauerte sein Fernbleiben, auch Helena nicht. Das sonntägliche Frühstück bei Wabbelhalters war nämlich nichts für schwache Nerven.
„Letzte Woche hat José den Pool nicht gereinigt“, beschwerte sich die Dame des Hauses.
Sie köpfte ein Ei und warf einen tadelnden Blick auf ihren ins Morgenblatt versunkenen Gemahl. Anstatt etwas zu erwidern, tastete er nach seiner Kaffeetasse. Doch Herr Wabbelhalter wähnte sich auf der Hut. Er wusste, wie wenig es seiner Frau gefiel, wenn er sie komplett ignorierte, weshalb er einen Automatismus einstudiert hatte. Er sollte es ihm erlauben, völlig losgelöst vom Inhalt ihrer Worte eine gewisse Anteilnahme zu heucheln. Aber, ach, das Manöver misslang allzu häufig, so auch diesmal:
„Aha, freut mich, Schatz“, brummte er und nippte am Kaffee.
Angsterfüllt spähte Helena auf die bereits entgleisende Mimik ihrer Mutter.
„Soso, es freut dich, wenn der Spanier für das viele Geld, das wir ihm in den Rachen schmeißen, seine Arbeit vernachlässigt!“, schnaubte die Gattin.
Nun erst ließ Herr Wabbelhalter von seiner Lektüre ab. Er verdrehte die Augen.
„Erstens ist José kein Spanier. Seine Familie lebt in dritter Generation in Deutschland. Zweitens hat er seine Pflichten sehr wohl erfüllt. Der Schmutz im Pool besteht aus abgestorbenen Blättern und sonstigem Dreck, der sich seit letzter Woche dort angesammelt hat. Ich habe dir schon Ende August gesagt, dass die Poolsaison vorbei ist. Doch du willst ihn unbedingt nutzen, bis der Frost kommt.“
„Gewiss doch!“, bekräftigte seine Frau. „Wozu haben wir denn ein beheiztes Becken?!“
Ihr Gegenüber verengte die Augenbrauen und grummelte:
„Weil du unbedingt eines wolltest.“
Frau Wabbelhalter machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. In der Hoffnung, vom Thema abzulenken, wandte sich ihr Mann der Tochter zu:
„Wo bleibt eigentlich dein Timo? Sehen wir ihn gar nicht mehr?“
Ehe sie antworten konnte, grätschte ihre Mutter dazwischen:
„Walther, du weißt, wie unzufrieden ich mit José bin! Kannst du nicht mal mit ihm reden, damit er sich mehr Mühe gibt! In einer halben Stunde ist er hier.“
Damit hatte sie ihren Mann kalt erwischt. Denn nun wiederholte sich ein Ritual, welches sich seit nunmehr sieben Wochen jeden Sonntagmorgen abspielte. Walther Wabbelhalter errötete und erklärte kleinlaut:
„Tut mir leid, Gundula, leider muss ich gleich wieder in die Uni. Ich habe die ganze Woche ...“
„... nicht die Zeit gefunden, dies und das vorzubereiten“, unterbrach sie ihn, „erzähl mir mal was Neues! Aber geh ruhig, verschwinde meinetwegen in die Fakultät, doch vorher knöpfst du dir José vor!“
„Timo gibt nächste Woche seine Abschlussarbeit ab“, sprach Helena unvermittelt. „Wenn alles gutgeht, darf er sich bald Bauingenieur nennen.“
Ihre Mutter strafte sie mit einem derart rüden Blick, dass sie sofort verstummte und betreten auf ihre Finger starrte.
„Nein, bedaure, Liebes, ich bin jetzt schon spät dran“, wehrte Herr Wabbelhalter das Ansinnen seiner Frau ab.
Er tupfte sich den Mund trocken, erhob sich und ging ins Haus, um sich zu rasieren. Kaum war er weg, drehte sich Frau Wabbelhalter wieder zur Tochter und befahl ihr im Flüsterton:
„Folge ihm. Ich will endlich wissen, was er jeden Sonntag treibt.“
„Was?“, entfuhr es Helena ungläubig. „Ich soll Papa hinterherspionieren? Glaubst du etwa, er betrügt dich?“
„Pah!“, spuckte ihre Mutter aus und köpfte ein zweites Ei. „Dieser Schwachkopf hat schon seit Jahrzehnten keine Frau mehr verführt und für eine Professionelle ist er zu geizig.“
„Du bist also nicht eifersüchtig?“
„Mach dich nicht lächerlich! Doch ich glaube ihm kein Wort. Ich will bloß herausfinden, was er in Wirklichkeit tut.“
Entrüstet schüttelte Helena den Kopf. „Mama, offengestanden finde ich es empörend, was du von mir verlangst. Während du hierbleibst, soll ich Papa nachschleichen!“
„Hüte deine Zunge!“, schalt sie die Mutter. „Ich bin deine Parteinahme für Walther allmählich satt. Du darfst deine Füße nur deshalb noch unter unserem Tisch ausstrecken, weil ich es dir erlaube. Andere Studentinnen wohnen längst in einer WG. Wenn ich wollte, könnte ich Walthers Zustimmung für deinen Verbleib bei uns jederzeit in Rauch auflösen, sosehr er dich auch liebt!“
„Nicht die Füße-Nummer schon wieder!“, murrte Helena. „Soll ich dir mal sagen, was ich tun könnte, wenn ich nur ...“
„Nichts, meine Teure“, unterband Frau Wabbelhalter ihren trotzigen Kommentar, während sie das Kinn ihrer Tochter mit einem Finger anhob. „Mein Blut und mein Temperament mögen in deinen Adern fließen. Doch was auch immer in deinem hübschen Kopf gehrt, mich wickelst du nicht ein wie deine zahlreichen Liebhaber und schon gar nicht wie deinen trotteligen Vater. Vergiss das niemals!“
„Nein, Mutter“, resignierte Helena.
Ein Lächeln huschte über Frau Wabbelhalters Lippen. „Nun sag deinem aktuellen Freund, er soll sich verziehen, damit du dich an Walthers Fersen heften kannst. Ich will deinen Timo nicht länger als nötig im Haus haben.“
„Wird gemacht“, ergab sich die Tochter.
Sie hätte gerne klargestellt, dass sie ihrer Beziehung mit Timo einen größeren Ernst beimaß als allen vorherigen, doch für einen weiteren Disput reichte ihre Kraft nicht aus.
„Timo, aufstehen!“, weckte Helena ihren Freund, als sie in ihr Zimmer stürmte, „Mama will, dass du abhaust. Ich muss auch weg, um ... äh, ich muss einfach weg. Es hat nichts mit dir zu tun, ehrlich nicht!“
In ihrem Bett geriet ein Knäuel in Bewegung. Zwei Hände kamen von unter einer Decke hervor und drückten ein Kissen auf den zugehörigen Hinterkopf.
„Ich habe gerade so schön geträumt“, jammerte ein junger Mann.
Helena lächelte sanft. „So? Was denn, wenn ich fragen darf?“
Trotz ihrer Eile setzte sie sich auf die Bettkannte, während ihr Freund sich schmatzend aufrichtete. Helenas Lächeln steckte ihn sofort an. Er streichelte ihr sanft die Wange.
„Von drei Göttinnen, die mir die schönste Frau der Welt versprochen haben. Ich war gerade auf einem Segelboot und überquerte das Meer auf dem Weg zu ihr. Und jetzt sitze ich in echt vor ihr!“
„Ach, du!“, lachte sie. „Du weißt schon, wie die Geschichte von Helena und Paris endet?“
„Natürlich“, verbürgte er und klopfte sich auf die Brust. „Sie ist kein Zeichentrickmärchen. Doch zum Glück heiße ich nicht Paris.“
Er versuchte, Helena in die Federn zu ziehen, doch sie wich ihm aus und beharrte:
„Los, zieh dich an. Ich muss weg!“
Erneut ließ Timo sich fallen.
„Deine Eltern hassen mich!“, stöhnte er.
„Aber nein“, wollte sie ihn beschwichtigen. „Mutter ... ja, sie schon. Aber sie hasst im Grunde jeden. Und Vati, ... zugegeben, er hasst dich auch, weil er mich so sehr mag.“
Helena legte ein angewinkeltes Bein auf Timos Magen und verlagerte ihr Gewicht darauf, um den renitenten Verehrer aus dem Bett zu vergraulen.
„Hoch mit dir!“
„Du tust mir weh“, jammerte er und schnellte auf die Füße.
Rasch drückte sie ihm einen Kuss auf die Lippen und verabschiedete sich sogleich, weil sie im Erdgeschoss die Haustür zufallen hörte. Herr Wabbelhalter hatte die Villa verlassen.
„Du findest allein raus“, rief sie noch.
„Gewiss doch“, grunzte ihr Freund. „Helena, wenn du wüsstest, wie ich für dich empfinde! Aber deine komischen Eltern beunruhigen mich allmählich.“
In Windeseile schlüpfte Helena in ihre Turnschuhe, die am untersten Treppenabsatz auf sie warteten. Zeit, sich eine Jacke überzuwerfen, fand sie keine mehr, geschweige denn für vernünftige Klamotten. Ihre Jogginghose und der Kapuzenpulli mussten jetzt genügen. Ohne jeden Plan, wie sie ihren Vater eigentlich auskundschaften sollte, stolperte sie nach draußen. Dort sah sie ihn bereits in sein Auto steigen. Gleichzeitig bog José mit seinem Klepper in die großzügige Einfahrt ein. Er winkte dem Hausherrn zu, doch der würdigte ihn keines Blickes. Der Poolreiniger bereitete ihm nur Scherereien.
Helenas Eltern hatten ihr zwar einen eigenen Wagen spendiert und er stand in der Garage auch bereit. Aber davon abgesehen, dass sie ihren Autoschlüssel im Haus vergessen hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, ihren Vater unbemerkt durch die Stadt zu verfolgen, falls es ihn tatsächlich nach Mitte zog, wie er behauptet hatte. Ohne lange zu überlegen, rief sie daher:
„Papa, nimmst du mich mit?“
Herr Wabbelhalter war bereits in seinem Mercedes verschwunden. Er kurbelte das Fenster herunter und schaute seine Tochter erstaunt an.