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Die Amüsanten Berliner Geschichten sind eine Reihe von nicht ganz ernst gemeinten Texten aus der angesagten, aber auch etwas chaotischen Hauptstadt. Die Geschichten sind frei erfunden und eignen sich als kurzweilige Ablenkung vom Alltag. Berliner und Nicht-Berliner dürfen sich gleichermaßen an ihnen erfreuen. Im vierten Teil sorgen gegenseitige Vorurteile von alteingesessenen Ost- und Westberlinern gehörig für Verwirrung zwischen zwei Liebenden, die damit eigentlich nichts zu tun haben.
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Seitenzahl: 40
Veröffentlichungsjahr: 2024
Jörg Wildenberg
Im Großstadtdschungel
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorbemerkung
1. Ein Abend im März
2. Ein missglücktes Manöver
3. Eine Komödie
4. Der Tag X
Impressum neobooks
Dieser vierte Teil der Amüsanten Berliner Geschichten ist eine lose Fortsetzung der dritten Geschichte. Ihre Lektüre ist fürs Verständnis des neuen Teils nicht notwendig, aber empfehlenswert. Die Covergestaltung (Frau im Dschungel) erfolgte unter Bearbeitung eines Bildes von PixhightY bei Pixabay. Das Ursprungsbild ist unter https://pixabay.com/de/illustrations/frau-forscher-natur-reisen-wald-8393364/ (Aufruf am 24.3.2024) zu finden.
Professor Walther Wabbelhalter war es gewohnt, vor großen Auditorien zu sprechen und wahlweise Kollegen oder Studenten abzukanzeln, mühelos auch ohne ihre Schriften gelesen zu haben. Doch womit er sich sogar nach über 30 Jahren Ehe nicht hatte arrangieren können, war die Warterei auf seine Frau. Und an diesem Abend ließ sich Ihro Gnaden besonders viel Zeit. Während der Politologe längst abfahrbereit in seinem feinsten Anzug und mit frisch gegeltem Haar im Hausflur der Dinge harrte, zupfte seine Gemahlin vor dem Spiegel munter an ihren Augenbrauen.
„Ich verstehe wirklich nicht, wozu du dich so aufbrezelst, wenn du nichts von den Straaches hältst“, brummte er.
„Aus demselben Grund wie du, Liebling: um ihnen unseren Standesunterschied zu verdeutlichen“, kam es aus dem Badezimmer zurück. „Was machen die Eltern unseres angehenden Schwiegersohns nochmal?“
„Sie betreiben ein Weingeschäft am Kollwitzplatz“, seufzte Herr Wabbelhalter.
„Typisch Prenzl’berg“, befand seine Frau, „was soll man von den Traumtänzern da drüben auch anders erwarten!“
„Gundula“, wandte er so behutsam wie möglich ein, „im Grunde bin ich mit dir d’accord. Trotzdem müssen wir akzeptieren, dass unsere Tochter Helena sich einen jungen Mann von dort ausgesucht hat. Immerhin ist er Bauingenieur. In einem gewissen Umfang hat er sich aus dem Milieu seines Elternhauses gelöst.“
Gundula Wabbelhalter, die ihren bizarr klingenden Nachnamen weiterhin nur schwer ertrug, trat aus dem Bad. Wortlos ließ sie sich in ihren Mantel helfen und endlich zum Auto geleiten. Es war ein seltsam frühlingshafter Abend im März.
„In ebendiesem Milieu erwartet uns unsere eigene Tochter“, äußerte sie spitz, während ihr Mann den Zündschlüssel umdrehte. „In letzter Zeit war sie viel häufiger bei ihren künftigen Schwiegereltern als bei uns.“
„Was uns nicht allzu sehr betrüben sollte“, erwiderte er beim Ausparken, „sie ist verlobt und will so viel Zeit mit ihrem Auserwählten verbringen wie möglich.“
„Früher wäre das undenkbar gewesen“, quittierte Frau Wabbelhalter.
„Ja, früher“, entgegnete ihr Gemahl kaum hörbar.
Der ohnehin schwer zu verleugnende Missmut von Gundula Wabbelhalter schwoll weiter an, kaum dass die beiden Prenzlauer Berg erreicht hatten. Abschätzig musterte sie die jungen Leute, die sich an diesem ungewöhnlich milden Samstagabend spontan vor unzählige Straßencafés drängten. Voller Geringschätzung beäugte sie ihre teils langen Gewänder, bunten Schals und hochgesteckten Frisuren.
„Alles Ökofreaks, die nichts vom Leben verstehen“, knurrte sie.
Obgleich ihr Gatte nicht anders dachte, hielt er sich aus Respekt vor der Wahl ihrer Tochter mit derlei Kommentaren zurück. Doch auch er fühlte sich in solchen dicht bebauten Kiezen unwohl. Das Gedränge und Gewusel hier erinnerten den Zehlendorfer Akademiker an einen Dschungel mit allerlei Hindernissen, Tücken und Gefahren, denen es auszuweichen galt. Irrlichternde Radfahrer sausten von allen Seiten über die Straßen und Bürgersteige. Freilaufende Hunde versicherten sich mal mehr, mal weniger gewissenhaft, ob sich Herrchen oder Frauchen noch in Sichtweite befanden. Querschießende Autofahrer glaubten, ihre nicht vorhandene Vorfahrt durch energisches Hupen ersetzen zu können. Besonders mokierte er sich über jene Jugendliche, die grundsätzlich mit übergezogener Kapuze umherliefen und durch ihren federnden Gang – die Hände in die Hosentaschen gesteckt, die Ellbogen spitz nach außen gekehrt – suggerierten, jeden Meter gleichsam in Besitz zu nehmen.
„Da wären wir“, äußerte Herr Wabbelhalter lustlos.
Er parkte den Wagen vor einem orangegestrichenen Gebäude mit bordeauxroter Aufschrift: WEIN UND GENUSS BEI STRAACHE.
„Los geht die Scharade“, zischte seine Frau.
Sie erreichten eine Tür gleich neben dem Laden.
Der Professor klingelte, es ertönten eilige Schritte, sogleich öffnete ihnen eine ebenfalls angespannte, ihre Eltern indes freudig begrüßende Helena.
„Schön, dass ihr da seid!“, rief sie, fiel ihrem Vater um den Hals und drückte ihre Mutter, die nur für diesen Moment ein wenig entkrampfte.
„Husch rein mit euch, ich stelle euch vor“, scheuchte Helena die beiden ins Haus.