Die Nackten und die Schönen - Will Berthold - E-Book

Die Nackten und die Schönen E-Book

Will Berthold

0,0

Beschreibung

Keine deutsche Stadt ist so sehr das Markenzeichen für die nationale Wirtschaftskraft wie Frankfurt am Main. Seine gläsernen Bankpaläste machen das jedermann klar. Messen, Konferenzen haltern die Stadt in Atem. Und wer das große Geld ausgibt, hat gerne auch schöne Frauen um sich. Das ist die Welt, in der Evamarie Dutscheweit wiederum zu den Besten zählt. Das äußerst attraktive Callgirl hat sich auf Manager der Hochfinanz spezialisiert und genießt ein Leben im Luxus. Bis zu dem Nachmittag, an dem sie erwürgt in ihrer Wohnung aufgefunden wird. Die Polizei geht mehreren Spuren nach, aber eine steht im Vordergrund: Hat Evamarie ihre Kunden erpresst? Dass in diesem Fall der Täter aus den besten Kreisen kommen könnte, erschwert die Arbeit der Ermittler. Denn unter keinen Umständen darf die deutsche Wirtschaftsmetropole in Verruf geraten.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 257

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Will Berthold

Die Nackten und die Schönen

Roman

SAGA Egmont

Die Nackten und die Schönen

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass,

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de).

Originally published 1988 by Goldman Verlag, Germany.

All rights reserved

ISBN: 9788711727010

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

1

Frankfurt, des deutschen Wunders liebste Stadt: Wuchtige Geldpaläste liegen nebeneinander wie Zwingburgen, als beherrschten die Banken die Bürger, von deren Geld sie leben. Die Dächer der Hochhäuser ritzen das tiefliegende Gewölk. Nach einem plötzlichen Schlechtwettereinbruch zeigt sich der Himmel über der Rhein-Main-Ebene an diesem frühen Septembertag niedrig wie eine Affenstirn.

Das verspätet gemeldete Sturmtief zieht so schnell nach Osten weiter, als flüchte es vor Main-Babel. Die zwölf Jahre seit Kriegsende haben die einstmals Freie Reichsstadt bis zur Unkenntlichkeit verändert. Typisch für die Platznot in der Innenstadt ist die Misere, daß ein Außenbüro der Staatsanwaltschaft und ein Bordell zu beider Mißvergnügen Wand an Wand miteinander auskommen müssen. Der einst so idyllische Geburtsort Goethes ist zur meistamerikanisierten Stadt Deutschlands geworden, Mainhattan gewissermaßen.

Der Umschlagplatz wirtschaftlicher Macht hätte vermutlich auch den Aufstieg zur politischen Hauptstadt der Bonner Republik geschafft, wäre es in ihren Gründerjahren nicht zu einem nie ganz geklärten Schmierölskandal gekommen. Nun muß sich die Main-Metropole damit begnügen, die zweite Geige zu spielen, wenn auch virtuos. Messen, Ausstellungen und Kongresse jagen einander in Bankfurt – und Amazonen der Halbwelt jagen nach Einbruch der Dunkelheit in schnittigen Sportwagen die Repräsentanten von Handel und Wandel. Ihr Revier ist die große Verkehrsader vom Hauptbahnhof zur Hauptwache, eine bekannte Geschäftsstraße, die nach dem Krieg ausgerechnet in der Hochburg des Kapitals nach einem Sozialdemokraten benannt worden war. Nunmehr heißt die Einkaufsallee wieder Kaiserstraße, und motorisierte Strichdamen sind ihre unaristokratischen Prinzessinnen, Nepper, Schlepper und Zuhälter ihr Hofstaat.

Zeitungen nennen Mainhattan gelegentlich auch das »deutsche Chicago«.

Heute blasen die PS-Lotteramazonen zum Halali auf Filmleute der ersten Garnitur. Einige hochkarätige Zelluloidzaren sind während der Spitzentagung in der Nobelherberge an der Kaiserstraße abgestiegen und fachsimpeln am späten Abend in der Lipizzaner-Bar weiter, Traumfabrikanten, die in dieser Zeit noch märchenhaft verdienen. Die einzigen Schlangen, die es ein Jahrzwölft nach dem Zweiten Weltkrieg noch gibt, stehen vor den Kinokassen. Zwar sind den Filmherstellern auch einige künstlerisch wertvolle Streifen gelungen, aber die meisten Filme dienen dem Massenkonsum, und so verspotten die aufstrebenden und bislang erfolglosen Jungfilmer ihre Machart als »Papas Kino«. Aggressive Kritiker titulieren die Filmindustrie verächtlich als Schnulzenkartell.

Es wirft für Produzenten und Verleiher Millionengewinne und für die Stars hohe Gagen ab. Noch braucht das Monopol das Fernsehen als Konkurrenz nicht zu fürchten. Das Pantoffelkino steckt noch in den Kinderschuhen, ist so klein wie seine Bildschirme. Es fehlt das Geld, die Planung wird vorwiegend von Hörfunkleuten gemacht, die keine Erfahrung mit der optischen Gestaltung haben. Das Programm wirkt so eintönig und einfallslos wie die TV-Geräte der ersten Generation. Zudem werden Stars und Schauspieler, die sich dem neuen Medium zur Verfügung stellen, von der Filmindustrie mit künftigem Boykott bedroht. Noch kann man sich, wie der Erfolgsproduzent August Walter Gärig – gedrungen, gewichtig, übergewichtig – feststellt, »beim Kintopp dumm und dusselig verdienen«.

In der ganzen Flimmerbranche gilt der Aufsteiger als der Mann mit der besten Nase, und diese Nase ist seine Muse. Er pfeift auf die Kritiken und macht Kasse. In seinen Flimmerstreifen gibt es keine Probleme, sondern allenfalls Mißverständnisse, die sich immer gegen Ende klären.

Der smarte Traumfabrikant, Chef der nach ihm benannten AUWAG-Film, von seinen engeren Geschäftspartnern »Auwa« gernannt. ist fast immer umgeben von den Nackten und den Schönen, jungen Starlets und ehrgeizigen Statistinnen, wie sie sich vor den Studios herumtreiben und bereit sind, sich durch Körpereinsatz hochzudienen, um vielleicht so berühmt zu werden wie Romy Schneider, die Schell oder die Leuwerik, die es allerdings ohne solche Gunstbeweise geschafft haben.

Illustrierte, das »Groschenblatt«, die Regenbogenpresse und ein halbes Dutzend spezieller Filmzeitschriften versorgen die Konsumenten mit Tratsch und Indiskretionen, verkuppeln die Filmsternchen mit glückbringenden Filmemachern. Der Starkult wird zur Allerweltsübung. Nicht nur jugendliche Fans versuchen, ihren Leinwandleitbildern zu folgen und wie Dieter Borsche zu gehen, wie Willi Forst zu charmieren, wie Curd Jürgens zuzupacken oder sexy zu sein wie Nadja Tiller, ladylike zu wirken wie Winnie Markus oder auch wie O. W. Fischer bedeutungsschwer vor sich hinzugrübeln.

Der Rummel bestimmt den Massengeschmack, zeigt Wirkung: Eines der Hochglanzprodukte im Dienst der Zelluloidheldenverehrung nennt sich »Film und Frau« und berieselt Aufstreberinnen wie Arrivierte tonnenweise mit »Goldstaub«, so nennt sich die vielgelesene Kolumne. Die Filmmogule wie der weit weniger fotogene AUWAG-Produzent sorgen schon dafür, daß für ihn genügend Sternschnuppen abfallen.

Gärig sitzt ein wenig abseits von den anderen neben Gremlitzka, dem Geschäftsführer des Luna-Verleihs, der viele seiner Streifen heraus- und manche seiner Eroberungen als Kleindarstellerinnen bei der AUWAG-Produktion unterbringt.

»Toll, daß ›Liebe am Lago‹ termingerecht fertig geworden ist«, lobt der schlanke Endvierziger mit der Amerika-Erfahrung. »Und du meinst, du bringst den Streifen schadlos durch die Filmselbstkontrolle?«

»Klar – bis auf die Nacktbadeszene. Die hab’ ich auch nur ins Drehbuch gemogelt, damit diese Brustwarzenspäher etwas zu räsonieren haben. Mit einigem Glück wird der Film vielleicht sogar ›jugendfrei‹«, verheißt der Produzent. »Schluckesaft ist schon am Werk und hat den Boden vorbereitet. Er ist prima, erzählt diesen Moralaposteln was von innerer Ethik und redet ihnen, falls nötig, ein Loch in den Bauch.«

»Genau der richtige Mann dafür«, lobt der Verleihchef Gärigs Hausdramaturgen, den sein Partner bei Meinungsverschiedenheiten sogar gegen ihn einsetzt. »Ich hab’ da nämlich ’ne Idee! Ich möchte die Premiere mit dem Galaabend anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Luna-Verleihs am nächsten Wochenende zusammenlegen. Wir hätten dann ein riesiges Staraufgebot, das kostenlos Reklame für ›Liebe am Lago‹ macht.«

»Blendende Idee, Eugen«, erwiderte Gärig. »Außerdem erspart sie uns auch noch Kosten.«

»Deine neue Staffel ist wieder recht erfolgversprechend«, stellt Gremlitzka fest. »Aber wir sollten uns künftig doch etwas Neues einfallen lassen, bevor sich unsere Masche abnützt.«

»Quatsch mit Soße«, erwidert der Produzent gereizt. »Wieviel habt ihr bisher an mir verdient?«

»Bombig«, räumt Gremlitzka ein.

»Was meckerst du dann an meinen Filmen herum?«

»Weil ich auch weiterhin bombig verdienen möchte«, versetzt der Mann mit dem Firmensitz in München. »Heb mal deinen Blick über den Tellerrand hinweg und schau nach Amerika: Dort steht Hollywood in einem mörderischen Konkurrenzkampf mit dem Fernsehen. So wird’s in ein paar Jahren auch bei uns kommen – und darauf müssen wir uns vorbereiten.«

»Und so lange haben wir noch Zeit«, knurrt der Produzent und bemerkt, daß der Verleiher jetzt nicht mehr nach Ubersee blickt, sondern zum Bareingang, wo eine hochgewachsene Blondine mit einer Löwenmähne auftaucht, ein Blickfang nicht nur für Gremlitzka. Fast an allen Tischen stockt einen Moment lang das Gespräch und gehen die Augen der Besucher fremd.

Sicher bis zur Arroganz, geschickt zurechtgemacht, demonstriert die Eintretende, daß sie sich sehen lassen kann und will. Von dem gewissen Etwas hat sie etwas viel, doch das mögen Herren ohne Damenbegleitung zumindest in einer Messestadt. Während die Schöne von einem fünfzigjährigen Begleiter – er wirkt wie ein Mann, der sich ein solches Luxusgeschöpf leisten kann – an die Bar geleitet wird, vergreifen sich die Augen vieler Umsitzenden an ihren überlangen Beinen. Die pikante Unbekannte bewegt sich lässig und geschmeidig, passiert den Tisch, an dem Gremlitzka und Gärig sitzen. Die tiefdekolletierte Versucherin erkennt den AUWAG-Produzenten und nickt ihm in einer fast unmerklichen, ungemein diskreten Art zu, bevor sie sich auf dem Barhocker niederläßt.

»Superb«, stellt Gremlitzka mit Stielaugen fest. »Wirklich ganz exzellent. Du kennst diese Gazelle, Auwa?«

»Allerdings.«

»Näher?«

»Nahe genug«, erwidert Gärig mit einem gewissen Lächeln. »Interessiert sie dich, Eugen?« fragt er spöttisch. »Da kann ich dir helfen: Die Lady schätzt Verschwender mehr als Geizkrägen. Sie mag keine Herren, die auf ihrer Brieftasche hocken oder das Gesäß zu tief unten tragen.«

»Und wer ist sie?« fragt Gremlitzka.

»Evamarie Dutscheweit«, entgegnet Gärig. »Knapp unter dreißig. Sie hat ein elegantes, zweistöckiges Apartment ganz in der Nähe, trägt sündteure Pelzmäntel, besitzt wertvollen Schmuck, sie fährt einen Supersportwagen, verfügt über Wertpapiere und lebt davon, daß sie von ihrer Schönheit Gebrauch macht.«

»Und ihr Begleiter?«

»Vermutlich einer der wenigen, die sehr viel Geld haben und es auch ausgeben«, erwidert Gärig. »Er führt mit Sicherheit einen Namen von Rang und Klang. Die Dame zeigt sich selten in der Öffentlichkeit, und wenn sie sich sehen läßt, dann nur in Begleitung von sehr bedeutenden Persönlichkeiten.«

»Woher kennst du diese blonde Pracht?«

»Ich hab’ ihr vor einiger Zeit Probeaufnahmen vorgeschlagen.«

»Abgeblitzt?« fragt Gremlitzka.

»Sie hatte keine Ambitionen für den Film«, entgegnet der Traumfabrikant. »Sie behauptete, auf ihre Art mehr Geld zu verdienen.«

»Vielleicht warst du nur zu geizig.«

»Ich hab’ ihr so viel angeboten, wie in der Kalkulation überhaupt drin war«, versetzt Gärig. »Ich will doch nicht mit ihren Sponsoren, diesen Geldsäcken, von denen sie lebt, konkurrieren und mich dabei ruinieren!«

»Ist sie ein Callgirl?« fragt ihn Gremlitzka direkt.

»Das ist gewaltig untertrieben«, entgegnet der Gedrungene mit dem schnellen Verstand und der angeborenen Schläue. »Auf ihrem Nachttisch steht zum Beispiel ein Foto von einem der Krupps aus Essen und –«

»Woher weißt du das?«

»Unterschätz mich nicht«, versetzt Gärig großartig.

»Das war also drin in deiner Kalkulation?«

»Motivsuche«, erklärt er. »Die Dame ist käuflich, aber unbezahlbar. Ihre Klientel stammt aus Hochfinanz und Schwerindustrie. Die Namen ihrer Stammkunden lesen sich wie ein Auszug aus dem Wirtschafts-›Who’s who‹. Evamarie Dutscheweit ist die zur Zeit gefragteste und teuerste Mätresse, die Wirtschaftswundernutte schlechthin.«

Unentwegt betrachtet der Verleihgewaltige von der Seite die unbezahlbare Käufliche, aber seine Blicke laufen von ihr ab wie Regentropfen von einer Gummihaut.

»Wolltest du nicht mit mir über die neue Machart meiner künftigen Filme sprechen, Eugen?« fragt der Produzent süffisant.

»Nun werd doch nicht gleich sauer, Auwa«, entgegnet der Luna-Chef und läßt widerwillig den Blick von der sündteuren Blondine. »Ich weiß nur zu gut, daß deine Filme von Jahr zu Jahr mehr Geld eingespielt haben. Im Prinzip sollst du ja auch so weitermachen, aber doch – mit aller Vorsicht natürlich – bei einem oder zwei Projekten neue Wege gehen und dabei langsam eine neue Geschmacksrichtung testen.« Er betrachtet sein Gegenüber. »Geh nicht gleich in die Luft, Auwa, hör mir zu: Ich meine weg von den Feld-Wald-Wiesen- und HerzSchmerz-Arien. Mehr Würze, mehr Schärfe, mehr Realität, mehr Tiefe.« Der blasse Beau zündet sich eine Zigarette an und greift nach seinem Chivas. »Gewitztere Autoren, raffiniertere Drehbücher. Keine faden Happy-Ends«, fährt er fort. »Neue Gesichter, interessantere Schauplätze. Die Italiener haben sich den Neoverismus einfallen lassen, die Franzosen operieren mit der ›Neuen Welle‹. Und Hollywood dreht bald nur noch Cinemascope in Farbe. Da können wir doch nicht weitermachen im Wald und auf der Heide, in grünen Tälern und auf romantischen Bergen, mit prallen Sennerinnen, mit der Försterchristel, der Schützenliesel, mit dem Heideschulmeister und Sissi, der Kaiserin aller Herzen.«

»Du redest ja schon wie ein Filmkritiker, Eugen«, erwidert Gärig. »Du nimmst von der AUWAG das ordinäre Geld und von diesen besserwisserischen Zeilenschindern den verfeinerten Geschmack. Nörgeln, aber kassieren.«

»Und sei dir darüber im klaren, Auwa«, fährt Gremlitzka unbeirrt fort, »daß der Boykott, den wir über das Fernsehen verhängt haben, zusammenbrechen wird wie ein alter Karrengaul.«

»Ich hör’ das Gras wachsen, und ich bin flexibel, Eugen«, versetzt der Exponent von Papas Kino. »Wenn sich der Publikumsgeschmack ändert, schalt’ ich sofort um.«

»Dann ist es zu spät«, unkt Gremlitzka. »Star ist künftig der Stoff – und du stehst dann mit einem Schrank voller Klamotten da. Stell dich doch nicht so stur – es ist doch keine Kritik, sondern ein Vorschlag. Versuch’s einfach mal anders, wir von der Luna ziehen voll mit. Du hast doch genügend Geld gemacht – und wenn’s ein Flop wird, zahlt’s das Finanzamt.«

»AUWAGs Hausregel Nummer eins: Bei uns gibt es keine Flops. Wer etwas produziert, was nicht ankommt, fliegt – ich dreh’ doch nicht für die Blindenanstalt.«

»Ein Fehlschlag kostet dich nicht mehr als deine letzte Scheidung«, hält ihm Gremlitzka das rote Tuch vor.

»Ich treib’s ja auch nicht auf Armenrecht wie du«, kontert Gärig giftig. »Und wenn du dich auf geschäftliche Abenteuer einlassen willst, dann wende dich gefälligst an einen anderen Produzenten. Bei mir gilt: Keine Experimente. Hat nicht der Alte von Rhöndorf gerade mit dieser Parole die absolute Mehrheit gewonnen?«

»Kunststück«, erwidert der Verleihchef. »Der Export floriert, die Gewinne explodieren. Keine Arbeitslosen, auch keine Kurzarbeit. Statt zu hungern fressen die Volksgenossen jetzt Entfettungspillen. Jeder hat eine Wohnung und arbeitet nur noch fünf Tage in der Woche. Und die Alten, Rentner und Kranken, die auf der Strecke bleiben, sind ja keine organisierte Wählermasse. Aber die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen, und beim ersten Rückschlag heißt es nicht mehr: ›Keine Experimente.‹ Darauf kannst du jetzt schon Gift nehmen.«

»Das mag schon sein«, entgegnet Gärig. »Aber solange alles so bleibt, wie es ist, stricke ich meine sieben, acht Filme jährlich nach der bisherigen Erfolgsmasche.«

Der Aufbruch der Evamarie Dutscheweit beendet das Streitgespräch. Der Blickfang läuft Spießruten durch eine Allee männlicher Huldigung. Die Blicke und Wünsche vieler Größen des Filmgeschäfts geleiten sie hinaus und folgen ihr im Geist bis zu ihrer Maisonette-Wohnung.

»Mensch, Gärig«, sagt der Luna-Chef. »Das war doch eine prächtige Idee, diesen Wonnebrocken auf die Leinwand zu bringen. Warum hast du sie nur so schnell aufgegeben? Diese Luxusbiene ist genau, was wir suchen«, begeistert er sich. »Ich schaff’ das, was dir mißlungen ist: Ich stell’ sie vor die Kamera! Sie hat halt das, was die Leute sehen wollen, die sich so einen Leckerbissen nicht leisten können: vulgäre Dezenz, schräge Eleganz, geile Unnahbarkeit, damenhafte –«

»Übernimm dich nicht«, fällt ihm Gärig ins Wort. »Im Prinzip bin ich diesmal durchaus deiner Meinung, schließlich hab’ ich bei dieser Sirene einen ersten Versuch unternommen. Aber dann kamen mir doch Bedenken. Wie willst du zum Beispiel dieses verhurte Prachtstück durch die Filmselbstkontrolle schleusen?«

»Durch Läuterung und Reue«, erwidert der Mann vom Verleih. Er schürzt die Lippen. »Bei der Filmselbstkontrolle herrscht mehr Freude über eine Sünderin, die Buße tut, als über –«

»Alte Huren werden fromm«, unterbricht ihn der Produzent. »Damit lockst du keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.«

»Stell dich doch nicht so an, Auwa. Wir müssen uns eben etwas einfallen lassen: eine knallharte Story zum Beispiel, in der die Wundernutte am Ende schrecklich umkommt. Damit hast du dein Alibi und kannst vorher die schönsten Ferkeleien zeigen. Verstehst du: Die Moral muß vom Drehbuch ausgehen.«

Gärig nickte. Gremlitzka hat nicht seine Nase, aber Einfälle und Ideen, zudem versteht er sein Handwerk.

»Willst du nicht noch einmal mit der Dame Dutscheweit reden?« fragt der Verleihchef.

»Ich nicht«, versetzt der Produzent. »Aber vielleicht versuchst du dein Glück.«

»Mach’ ich«, erwidert Gremlitzka. »Du mußt mir nur die Verbindung herstellen.«

»Unter einer Bedingung«, entgegnet Gärig. »Falls du mit ihr zurechtkommst, wird sie ausschließlich der AUWAG zur Verfügung stehen.«

»Einverstanden. Du bekommst sie exklusiv, wenn ich sie einkaufen kann. Jeder Termin ist mir recht. Wir sollten so rasch wie möglich mit dieser Sündenbraut in die vollen gehen.«

»Ich tu’, was ich kann«, verspricht der Produzent. »Gleich morgen früh.«

Das Spiel mit dem Feuer beginnt, obwohl seine Teilnehmer wissen müßten, daß Geschäfte mit Luzifers Tochter in des Teufels Küche führen.

2

Der Produzent mit der goldenen Nase erlebt nach einer unruhigen Nacht einen unguten Morgen. Er hat schlecht geschlafen, weil ihn Gremlitzkas Neuerungsforderungen verfolgten. Gärig ist zu gerissen, um nicht zu spüren, daß sein Partner vom Luna-Verleih im Grunde recht hat; er nimmt sich verdrossen vor, zumindest teilweise auf seine Vorschläge einzugehen. Dann teilt ihm Syndikus Kupski mit, daß die AUWAG-Hausbank die vorläufige Zusage zur Finanzierung des ersten Kriegsfilms wegen der zu hohen Produktionskosten zurückgezogen hat.

»Deswegen brauchen Sie mich doch nicht um Mitternacht zu wecken«, fährt ihn Gärig an. Er verfügt über Geld genug, seine Filme aus eigener Tasche zu finanzieren, zieht es aber vor, sich die Mittel günstig zu pumpen und die eigenen lukrativer anzulegen. Immer wieder macht er seine Leute mit seiner Geldphilosophie vertraut: Ein Mann mit null Mitteln ist ein Habenichts, aber einer mit einer Million Schulden und einer Million Eigenkapital ein erfolgreicher Unternehmer.

»Mitternacht ist bei Ihnen wohl um neun Uhr morgens«, stellt der Jurist fest. »Außerdem wollte ich noch vorschlagen, den heutigen Vorführungstermin von ›Liebe am Lago‹ in Biebrich zu verschieben. Es ist so«, fährt er fort, bevor ihn Gärig unterbrechen kann. »Ein paar konservative Blätter haben einen gleichzeitigen Großangriff auf die angebliche Laxheit der Filmselbstkontrolle gestartet. In diesem Moment sind die Juroren außer Rand und Band und wollen beweisen, wie streng und unerbittlich sie sind.«

»Schöne Bescherung«, erwidert der Produzent mit unterdrücktem Zorn. »Ich kann die Absegnung nicht verschieben. Die Premiere wird mit dem Luna-Jubiläum zusammengelegt, und das ist am Freitag nächster Woche in München. Wir wollen ›Liebe am Lago‹ mit großem Tamtam in riesiger Starbesetzung starten. Auf diese Gratisreklame möchte ich unter keinen Umständen verzichten.«

»Versteh’ ich alles – aber ich mußte Sie warnen, Gärig.«

»Unser Schluckesaft wird das schon schaffen«, versetzt der Produzent nun doch beunruhigt. »Er ist ein cleverer Junge, und –«

»Aber Biebrich muß ein Exempel statuieren.«

»So ein Mist«, schimpft Gärig. »Von wo rufen Sie an, Doktor?«

»Ich bin noch im Hotel«, antwortet der Jurist.

»Warten Sie bitte auf mich im Frühstücksraum. Ich komm’ gleich.«

Gärig duscht, rasiert sich und schlüpft in einen der Maßanzüze, die sein Übergewicht vorzüglich tarnen. Er geht nach unten, wo ihn Dr. Kupski und Gremlitzka erwarten.

»Nimm das nicht auf die leichte Schulter, Auwa«, empfängt ihn der Verleihchef.

»Aber ›Liebe am Lago‹ ist doch ein ganz harmloser Streifen.«

»Was du für harmlos hältst, bewerten die als anstößig«, erklärt der große Blonde. »Für wann ist denn die Vorführung angesetzt?«

»Zehn Uhr dreißig«, antwortet Gärig. »Und der Streifen ist zweiundneunzig Minuten lang.«

»Dann genügt es, wenn ihr kurz vor zwölf auf Schloß Biebrich eintrefft«, stellt Gremlitzka fest. »So tüchtig Schluckesaft auch ist, laßt ihn nicht allein.«

»Paßt mir gar nicht«, erwidert der vielbeschäftigte Anwalt.

»Mir auch nicht«, stimmt ihm Gärig zu. »Abfahrt elf Uhr – in meinem Wagen. Tut mir leid, Doktor.«

»Mir auch«, versetzt der gutaussehende Mann mit dem intelligenten Gesicht, bekannt für seine aggressive Zivilcourage.

»Er wird diese komische Selbstkontrolle in ihre Bestandteile zerlegen, wenn es sein muß«, stellt Gremlitzka fest. »Hast du die Dame Dutscheweit schon angerufen?« fragt er dränglerisch.

»Nicht jetzt. Die schläft doch immer bis Mittag.«

Der Verleiher sieht auf die Uhr. »Versuch’s trotzdem«, bittet er. »Ich kann nicht den ganzen Tag in Frankfurt herumsitzen wie ein Pennäler, der pinkeln muß und das WC nicht findet.«

»Wenn du meinst«, erwidert Gärig und geht in die Kabine.

»Hier Schlenker«, meldet sich die Dutscheweit auf dem Anrufbeantworter unter dem Namen ihrer verheirateten Schwester, der auch an der Wohnungstür steht. »Ich bin vorübergehend außer Haus. Bitte versuchen Sie es später noch einmal, oder hinterlassen Sie Ihren Namen und Ihre Rufnummer. Danke für Ihren Anruf. Das Gerät schaltet jetzt ab.«

»Delilah, hier ist Samson«, meldet sich Gärig mit seinem Codewort. »Zuerst mein Kompliment. Sie haben phantastisch ausgesehen, gestern abend in der Lipizzaner-Bar. Ich muß Sie unbedingt sprechen, hab’ einen interessanten Vorschlag für Sie. Ich versuche es in einer halben Stunde noch einmal. Sonst können Sie mich bis morgen auch noch im ›Frankfurter Hof‹ erreichen. Danke. Ende.« Der Produzent geht zu Gremlitzka an den Tisch zurück. »Entweder ist sie beim Coiffeur, oder sie pennt noch«, berichtet er. »Ich probier’s später noch einmal.«

Kurz vor elf Uhr klappt es. »Delilah«, begrüßt der Anrufer Evamarie Dutscheweit, »hier ist Samson.«

»Ach ja«, entgegnet die Kurzzeitgefährtin. Vermutlich hat sie ihn an der Stimme erkannt oder benutzt für jeden ihrer Kandidaten ein eigenes Codewort.

»Erinnern Sie sich an meinen Begleiter von gestern?« fährt Gärig fort. »Er ist Geschäftsführer und Inhaber des zweitgrößten deutschen Filmverleihs. Es wäre in jedem Fall nützlich für Sie, ihn kennenzulernen.«

»Privat?«

»Privat und geschäftlich«, entgegnet Gärig.

»Sie wissen doch, daß mir eine Filmlaufbahn wenig bietet.«

»Vielleicht war neulich mein Angebot zu schwach auf der Brust«, versetzt der Produzent schnell. »Wenn ein so großer Filmverleih auf Sie scharf ist, winken Ihnen natürlich ganz andere Summen.«

»Ehrlich gesagt, habe ich trotzdem kein übertriebenes Interesse.«

»Hören Sie sich trotzdem meinen Geschäftspartner einmal an – ganz unverbindlich natürlich«, entgegnet Gärig. »Er ist enorm einflußreich auf vielen Gebieten, und solche Protektoren kann schließlich jeder brauchen.«

»Na ja«, entgegnet Delilah, die Königin der Diskretion. »Ich bin ausgebucht wie ein Generaldirektor. Außerdem fliege ich heute nachmittag nach Paris.«

»Wenigstens zwanzig Minuten, Delilah«, drängt der Filmmann. »Bitte machen Sie es möglich – tun Sie mir den persönlichen Gefallen.«

»Zehn Minuten«, entschließt sie sich. »Punkt fünfzehn Uhr. Genau zehn Minuten später kommt das Taxi, das mich zum Flughafen bringt – Ihr Freund muß sich kurz fassen. Sagen Sie ihm bitta.« ihm das bitte.«

»Danke und guten Flug.« Gärig legt auf und macht Gremlitzka sprungbereit.

Mit dem Wagen ist es von Frankfurt nach Wiesbaden nur ein Katzensprung, aber man muß mit Staus rechnen; der Traumfabrikant hat die Zeit gleich mit eingeplant. Die Freiwillige Filmselbstkontrolle tagt ein paar Kilometer außerhalb der hessischen Landeshauptstadt in einem idyllischen Schloß, das ganz im Dienst der Flimmerkunst steht. Keiner der fast fünfhundert Filme im Jahr, auch kein ausländischer, darf in der Bundesrepublik öffentlich vorgeführt werden, wenn er die Prüfung auf Sex und Sünden nicht bestanden hat.

Es ist eine Zensur, wenn auch eine freiwillige. Die Mitglieder des Kontrollgremiums, unter ihnen natürlich auch Interessenvertreter der Filmindustrie, setzen sich nach dem üblichen Proporz zusammen. Vorsitzender ist ein evangelischer Pfarrer und Amateurcineast, der sich abwechselnd gegen den Vorwurf verteidigen muß, er leiste durch zu liberale Handhabung der Bestimmungen der Unmoral Vorschub oder er behindere als Berufsmoralist die freie Entfaltung der Filmkunst. Wie er auch entscheidet, es ist falsch, wenigstens nach Meinung der unterliegenden Partei.

Trotzdem stellt ein eigentlich Ohnmächtiger eine gewaltige Macht dar. Im Vorjahr zum Beispiel schrieb er 6483 Filmtheaterbesitzern, die über 2,7 Millionen Sitzplätze verfügen, vor, was sie spielen, und 818 Millionen Kinobesuchern – vielen also mehrmals –, was sie sehen durften. Ob Filme »jugendfrei« eingestuft werden oder das Prädikat »besonders wertvoll« erhalten, hat erhebliche kommerzielle wie steuerliche Auswirkungen.

Gärig hat Wiesbaden erreicht und fährt durch eine lange Allee nach Biebrich. Als er die Schloßeinfahrt passiert, sieht er vor dem Eingang seinen Hausautor Nurell mit betretenem Gesicht stehen. »Was ist denn los?« fährt er ihn an. »Warum sind Sie nicht in der Vorführung?«

»Verschoben auf vierzehn Uhr.«

»Warum?«

»Weil Schluckesaft nicht da war –«

»So stiehlt man uns die Zeit«, tobt Gärig. »Und wo ist der Scheißkerl jetzt?«

»Tot«, erwidert der verstörte Papierdramatiker, noch immer überrollt von einem echten Schicksal.

»Was sagen Sie da?« tönt Gärig erschrocken. »Unfall?« Er faßt sich wieder.

»So könnte man es nennen«, antwortet Nurell, der eigentlich Nuller heißt, doch mit so einem Namen in der Zelluloidbranche nicht glänzen kann. »Er hatte darum gebeten, bei der Vorführung von ›Liebe am Lago‹ dabei zu sein. Als Schluckesaft nicht erschienen war, erklärte sich der Vorsitzende bereit, die Vorführung um eine halbe Stunde zu verschieben, obwohl das Gremium zeitlich ziemlich im Druck ist. Er zog dann einen anderen Streifen vor, und ich fuhr ins Hotel, um Schluckesaft aufzustöbern.« Er unterbricht sich und schüttelt den Kopf, sein Gesicht verdüstert sich. »Als ich ankam, wurde er gerade hinausgetragen. In einer Blechwanne. Er ist beim Zähneputzen im Badezimmer einfach umgefallen. Herzinfarkt. Aus. Sense. Amen –«

»So eine verdammte Scheiße«, spricht Gärig einen ordinären Nachruf auf seinen Vielzweckdramaturgen. »So mußte es ja eines Tages kommen. Der Mann hat einfach zu schnell gelebt: zu viel Whisky, zu viele Zigaretten, zu üppiges Essen und Weiber am laufenden Band. Und zu Hause ständiger Krach mit seiner verbitterten Alten.«

»Das Schlimmste kommt noch«, berichtet Nurell weiter. »Die Polizei vernahm Gerda Forbes, unser Nachwuchs-Starlet. Schluckesaft hat gestern abend mit ihr geflirtet und sie dann in sein Hotel abgeschleppt. Dabei hat er sich übernommen.«

»Quatsch, diese Schnepfe ist doch im Bett steif wie ein Bügelbrett.« Gärig muß es ja wissen, schließlich hat er Gerda entdeckt, eine aus der riesigen Schar der Nackten und der Schönen, die ganz groß beim Film herauskommen wollen und häufig nicht auf der vertikalen, sondern auf der horizontalen Leinwand landen. »Haben Sie die Witwe verständigt?« fragt er dann.

»Das hat die Polizei übernommen«, versetzt Nurell kleinlaut.

»Tun Sie es gefälligst selbst«, fordert ihn Gärig auf. »Es ist persönlicher. Und kondolieren Sie Frau Schluckesaft in unser aller Namen.«

Nurell zögert noch.

»Los!« faucht ihn der Produzent an. »Worauf warten Sie noch?«

Schluckesaft wohnte, wie die meisten AUWAG-Leute, in Berlin, wo die Firma – sie verfügt in München noch über einen Zweitsitz – sich aus steuerlichen Gründen niedergelassen hat. Der Hausautor muß seine Kondolenzbeteuerungen telefonisch übermitteln.

»Ausgerechnet Gerda Forbes«, sagt Gärig später zu Dr. Kupski. Aufgebracht droht er: »Ich schmeiß’ diese Schlampe raus!«

»Das würde ich nicht tun, Gärig«, entgegnet der Syndikus. »Erstens redet sie dann schlecht über uns, und sie kennt ja den einen oder anderen recht gut.« Der Spott verformt seine Lippen. »Aber wenn’s wirklich zu einem Kladderadatsch und zu übler Nachrede käme, könnten wir diese bittere Lovestory werbemäßig doch bestens vermarkten.«

»Möglich«, erwidert Gärig zerstreut. »Aber dieser Schluckesaft ist einfach unersetzlich«, stöhnt er. »Vertraut mit allen Schlichen, Finten und Usancen unserer köstlichen Branche. Überhöhte Gagenforderungen hat er abgeschmettert, mit Agenten ist er klargekommen und mit Schauspielern und der Selbstkontrolle wie nichts fertig geworden.« Lamentierend setzt er hinzu: »Wer soll mir diesen Mann ersetzen?«

»Wie ich Sie kenne, werden Sie schon einen Ersatz finden – Schlitzohren gibt es ja genug in unserem Metier. Aber wie schlagen wir jetzt die Zeit bis zur Vorführung tot?«

»Ihr Problem, Doktor«, versetzt der Produzent. »Ich muß zurück nach Frankfurt. Ich hab’ weiß Gott was noch alles zu erledigen. Gehen Sie mit Nurell anständig essen und präsentieren Sie mir eine saftige Spesenrechnung.«

»Mir ist der Appetit inzwischen vergangen«, entgegnet der Jurist.

In diesem Moment kommt Nurell zurück. »Diese Idioten von Polizei«, schimpft er schon von weitem. »Sie haben der Witwe doch tatsächlich genau erzählt, was vorgefallen ist, und jetzt ist sie außer sich. Als ich sie trösten wollte, hat sie mitten im Gespräch aufgehängt. Erst beim dritten Versuch habe ich die Fortsetzung geschafft. Ich soll Ihnen, Herr Gärig, persönlich bestellen, daß sie mit keinem AUWAG-Menschen mehr etwas zu tun haben will und auch nicht an der Beerdigung ihres Mannes teilnehmen wird.«

»Dann legen wir den Toten auf Eis«, entscheidet der Traumfabrikant. »Eine Beerdigung paßt mir ohnedies jetzt nicht ins Konzept. Es ist ganz gut, wenn sie erst nach der Premiere und dem Luna-Jubiläum stattfindet – dann aber ganz groß.«

»Aber wenn Frau Schluckesaft tatsächlich mauert?«

»Lassen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen«, versetzt Gärig. »Wenn wir über die Penunze sprechen, wird sie schon wieder mit uns zu tun haben wollen. Macht’s gut, Sportsfreunde!« verabschiedet er sich. »Tut mir leid, aber ihr müßt mit diesen Erbsenzählern allein fertig werden.«

Neben seinem Cadillac hält ein grauer Ford, seinem Aussehen nach nicht mehr der jüngste, aus dem der schärfste Kritiker der AUWAG-Filme klettert: Fred Schusser, trotz der Plattformschuhe, die er trägt, ein kleiner Mann mit spärlichem Kopfschmuck; die Haare hat er in erster Linie auf den Zähnen. Seine Kolumne wird von einem halben Dutzend Zeitungen nachgedruckt und weist dem journalistischen Fußvolk die Richtung; der Daumen zeigt nach unten wie bei Kaiser Nero im Amphitheater.

»Tag, die Herren«, sagt Schusser mit einem halbgaren Lächeln.

»Wenn ich Sie schon sehe, dann ist mir der ganze Tag verleidet«, brummelt Gärig undiplomatisch.

»Ganz meinerseits«, kontert der Scharfschütze der Feder und betritt das Biebricher Schloß.

»Paßt bloß auf diesen Scheißkerl auf und haltet ihn euch zehn Schritte vom Leib«, mault der Produzent hinterher, bevor er mit Vollgas startet. Er hat es eilig – längst ist ihm die Idee gekommen, sich für das Fiasko mit Schluckesaft wenigstens finanziell zu entschädigen.

3

Viel zu früh macht sich Gremlitzka auf den kurzen Weg, verzichtet auf ein Taxi, bleibt einen Moment vor dem Goethe-Denkmal in der gepflegten Anlage stehen und stellt belustigt fest, daß der deutsche Dichterfürst so von Bankpalästen umstellt ist, daß es aussieht, als sei er in den Hinterhalt des großen Geldes geraten.

Er geht weiter, mit schnellen, langen Schritten, die seine Unternehmungslust erkennen lassen. Er überlegt die Höhe eines ersten Angebots für. die unbezahlbare Käufliche. Er wird nicht kleckern, sondern klotzen. Dieser Gärig mag verdienen, was er will, aber wenn es bei Verhandlungen über bestimmte Summen hinausgeht, bleibt er einfach ein kleiner Mann, der B-Filme herunterkurbelt. Der Traumfabrikant hat nicht erfaßt, wie sich Evamarie Dutscheweit als sprudelnde Geldquelle erschließen läßt.

Wenn ihre Gönner so hoch angesiedelt sind, werden sie ihre Nobelmätresse entweder fördern oder darauf bedacht sein, nicht als ihre Liebhaber auf der Leinwand kenntlich zu werden. Längst ist es üblich, daß branchenfremde Firmen als stille Teilhaber Filme mitfinanzieren, worauf Produktion wie Verleih immer erpicht sind. Erpressung lehnt Gremlitzka natürlich ab, aber wenn die Presse erst einmal das Filmvorhaben ausposaunt, wird das Vorleben des neuen Stars zu einem gefundenen Fressen für die Klatschspalten. Soweit die Herren von Geld und Welt Gönner, Sponsoren und Gelegenheitsgalane der munteren Dame waren oder sind, werden sie schnellstens ihre Anwälte zur Produktion oder dem Verleih schicken, und diese werden mit bombastischen Drohungen oder finanziellen Angeboten versuchen, ihre Klienten aus dem Drehbuch herauszuhalten oder gänzlich unkenntlich zu machen. Die öffentliche Moral und das private Wirken sind zwei Paar Stiefel. Nicht nur in den Auslagen der in Mode kommenden Supermärkte gibt es Mogelpackungen. Bei Schicklichkeit und Sitte sind sie weit größer.

Wenn man die Verhandlungen mit Geschick, Delikatesse und Raffinement führt, sieht Gremlitzka eine Chance, Hunderttausende an diese Göttin der Sünde zu bezahlen und dabei Millionen zu verdienen – ganz abgesehen von persönlichen Gunstbeweisen, die sie ihm dann vielleicht sogar gratis gewähren wird.

Einen Moment lang spürt der Verleihchef das unterkühlte Fluidum dieser Trapezkünstlerin der Sinnlichkeit und läuft beim Überqueren der Kaiserstraße in die Fahrbahn eines Straßenkreuzers. Der Mann am Steuer kann im letzten Moment seinen Blechriesen noch abbremsen; er dreht die Scheibe herunter und flucht lauthals und verständnislos, er wird ja auch nicht von der verwirrenden Ausstrahlung einer perfekten Lotterprinzessin genarrt.

»Entschuldigen Sie bitte meine Schuld«, ruft der Tagträumer des Geldes und des Vorgenusses dem Fahrer zu. »Es soll nicht wieder vorkommen.«

Der Mann beruhigt sich wieder und lenkt seinen Luxusschlitten mit den Haifischflossen weiter. Die überflüssigen Blecharabesken am Heck spiegeln den Zeitgeschmack wider: Gelsenkirchener Barockoko, Schnörkel auch noch auf der Straße. Seitdem der Überfluß den Mangel ablöste, addieren sich Statussymbole zum Geltungskonsum: Wenn die Meiers ihren Urlaub in Österreich verbringen, müssen ihre Nachbarn, die Müllers, mindestens nach Italien reisen. Wenn die Schulzes einen Opel fahren, wollen die Hubers mit einem Mercedes glänzen, dem man schließlich nicht ansieht, auf wie vielen Wechseln er läuft. Viele Zeitgenossen übernehmen sich, um etwas vorzuzeigen oder vorzutäuschen.

So betrachtet, macht sich Gremlitzka klar, paßt diese Evamarie Dutscheweit, die Gespielin der ganz Großen, genau ins zeitgeschichtliche Bild: Sie bietet etwas, was sie zu Hause nicht finden, ist eine auffallend schöne Nebenfrau, die man mit Wonne seinen neidischen Freunden präsentieren kann, sozusagen als die Haifischflosse enthüllter Intimität.

Der Luna