Die neuen Fälle des Pater Brown 01: Die Beichte des Grossinquisitors - J. J. Preyer - E-Book

Die neuen Fälle des Pater Brown 01: Die Beichte des Grossinquisitors E-Book

J. J. Preyer

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Beschreibung

Dies ist das erste Buch in der Serie Die neuen Fälle des Pater Brown In einem idyllischen Städtchen im Südosten Englands wird ein untreuer Ehemann ermordet. Kurz darauf gibt es ein zweites Todesopfer, das ebenfalls gesündigt haben soll. Stecken die Verfasser des Heiligen Blattes dahinter, die auch gegen Pater Brown integrieren? Der gewiefte Pfarrer ermittelt in seinem ersten neuen Fall. Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten.

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DIE NEUEN FÄLLE DES PATER BROWN

 

 

J. J. Preyer

 

 

PATER BROWNUND DIE BEICHTEDES GROSSINQUISITORS

 

 

Basierend auf den Charakteren vonGilbert Keith Chesterton

 

 

J. J. Preyer, geboren 1948 in Steyr, Österreich. Ab dem 14. Lebensjahr literarische Veröffentlichungen. Studium Deutsch, Englisch in Wien. Lehrtätigkeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung. 1976 Auslandsjahr in Swansea in Wales. 1982 Initiator des Marlen-Haushofer-Gedenkabends, der durch die Teilnahme des Wiener Kulturjournalisten Hans Weigel den Anstoß zur Wiederentdeckung der Autorin gab. Mitarbeit an der Kinderzeitschrift KLEX von Peter Michael Lingens.

1996 gründete J. J. Preyer den Oerindur Verlag, einen Verlag für lesbare Literatur und Krimis. Der Autor schreibt seit Jahresbeginn 2010 für die Romanserie JERRY COTTON im Bastei-Verlag.

© 2015 by BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mark Freier

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-951-5

KAPITEL 1

 

„Oh Gott!“, seufzte Pater Brown, als er die Frau des Dorfarztes auf sich zukommen sah. Dabei hatte dieser Tag so gut begonnen.

Seit dem Augenblick, als die Sonne über dem Städtchen Edenbridge aufgegangen war (und das war an diesem 5. März um 6.34 Uhr gewesen, zwei Minuten früher als am Tag zuvor), hatte Vogelgesang die Luft erfüllt. Pater Brown, der wie jeden Morgen verlässlich um 5.50 Uhr seinem Bett entstiegen war, freute sich über die länger werdenden Tage und den Frühling, der Anfang März mit einer Kraft über das Land zog, die den Menschen buchstäblich den Atem nahm. Vor allem der Blütenstaub von Haselnussstauden und Weiden machte vielen Allergikern zu schaffen.

Wie immer, wenn er das Gotteshaus aufsuchte oder sonst in seiner Funktion als Priester öffentlich auftrat, trug Pater Brown seine schwarze Soutane, ein bis zu den Knöcheln reichendes schwarzes Männerkleid, das an der Hüfte von dem Zingulum, einem breiten schwarzen Gürtel, zusammengehalten wurde. Auf dem Kopf hatte er einen kreisrunden schwarzen Hut, Saturno genannt. Auch sein Regenschirm, ohne den er selten unterwegs war, glänzte schwarz, nur der Stehkragen, das Kollar, leuchtete weiß.

Der Pater, der in jungen Jahren viel und gerne gelesen hatte, bevor er immer stärkere Brillen tragen musste, erinnerte sich der Canterbury Tales von Geoffrey Chaucer, in denen der Lenz enthusiastisch begrüßt wurde und die Menschen in der blühenden Landschaft Englands auf Pilgerfahrt gingen. Er könnte Mrs Stiltskin vorschlagen, mit ihrem Frauenverein Anfang April, nach Ostern, eine Pilgerreise nach Canterbury zu unternehmen. Das würde Edenbridge drei, vier Tage von der Tyrannei der energischen Person befreien. Wenn man sie darüber hinaus dazu überreden könnte, auch die Rückreise zu Fuß anzutreten, sogar eine ganze Woche. Immerhin war Canterbury fünfzig Meilen von Edenbridge entfernt.

Pater Brown zog seinen runden Hut. „Einen wunderschönen guten Morgen, Mrs Stiltskin.“

„Grüß Gott“, erwiderte die Frau schroff. „Gut, dass ich Sie treffe, Hochwürden.“ Die große, hagere Frau Mitte vierzig lehnte ihr Fahrrad an die Buchsbaumhecke, die den Zugang zur St. Lawrence Kirche säumte und trocknete mit einem weißen Taschentuch ihre schweißnasse Stirn. „Ich hasse das Frühjahr“, klagte sie. „Es bringt nichts als Beschwerlichkeiten.“

Pater Brown, der insgeheim nicht das Frühjahr, sondern die Symptome der beginnenden Menopause für die Probleme der Arztfrau verantwortlich machte, setzte den Hut auf sein exakt gescheiteltes graues Haar und lächelte freundlich. „Mich erinnert diese Jahreszeit an Chaucers Canterbury Tales und die beginnende Saison der Pilgerreisen. Dabei dachte ich …“

„Ich bin nicht bereit, mich mit Ihnen über dieses unmoralische Buch zu unterhalten!“, unterbrach ihn Mrs Stiltskin. „Ich habe ein ganz anderes Anliegen.“

„Nur zu, ich bin ganz Ohr.“ Der Pfarrer beobachtete zwei kopulierende Tauben auf dem Dach der kleinen, aus Backstein gebauten Kirche. Er dachte an die vielen Taufen, die neun Monate nach den anregenden Frühlingstagen (und vor allem den lauen Nächten) anfallen würden, und erinnerte sich an die Taufe des Sohnes von Dorfarzt Medwin Stiltskin und seiner Frau Florence. Der kleine Patrick war einer der wenigen Säuglinge gewesen, die bei der Zeremonie, in deren Verlauf den Kindern Weihwasser über den Kopf geträufelt wurde, nicht geschrien hatten. Patrick war immer sehr ruhig und viel zu ernst gewesen – kein Wunder bei diesen Eltern, die in religiösen Dingen päpstlicher als der Papst waren. Pater Brown musste bei diesem Gedanken lächeln und bemerkte zu seinem Schrecken, dass er nicht mitbekommen hatte, was Mrs Stiltskin ihm soeben erzählt hatte.

„Das ist aber interessant“, meinte er vorsichtig und versuchte auf diese Weise herauszufinden, worum es der Frau ging.

„So, interessant finden Sie das also, Hochwürden! Ich möchte Sie nicht kritisieren, aber glauben Sie wirklich, dass das die richtige Bezeichnung für einen Akt der Unmoral ist, für den sich nur schwer Worte finden lassen?“

„Darum sind Sie so schweigsam … ich verstehe“, erwiderte Pater Brown und beobachtete, wie die Frau versuchte, in seinem breiten Gesicht zu lesen, das ihn selbst manchmal, wenn er sich im Spiegel betrachtete, an das eines molligen kleinen Jungen erinnerte. Er konnte ihre Gedanken beinahe hören: Will mich der Mann beleidigen? Meinte er das eben etwa ironisch?

„Also, ich halte die Torheiten des alten Narren für einen handfesten Skandal“, legte sie los, nachdem seine mild blickenden grauen Augen sie offenbar beruhigt hatten. „Gertrude hat das wirklich nicht verdient! Sie hat ein Leben lang treu an seiner Seite gestanden.“

„Sie meinen Mrs Hepburn?“

„Wen sonst?“, kam die mürrische Antwort.

„Und der Mann hat …“

„Er ist im Krankenhaus gestorben.“

„Oh, das ist mir neu. Er war kein Katholik“, stellte Pater Brown fest.

„Aber Gertrude gehört unserer heiligen Gemeinschaft an. Sie hätte diesen Heiden nie heiraten dürfen.“

„Sie meinen den Angehörigen unserer Schwesterkirche.“

„Sie sind Heiden“, wiederholte Mrs Stiltskin trotzig.

„Aber …“

„Lassen Sie es gut sein, Hochwürden. Er ist und bleibt ein Heide.“

„Würden Sie auch unsere verehrte Monarchin, die Königin unseres Landes, als Heidin bezeichnen?“ Pater Brown versuchte die aufgebrachte Frau zu beruhigen.

„Das … das ist doch etwas vollkommen anderes! Bei der Königin handelt es sich um eine Person, die über jeden Tadel erhaben ist.“

Was man von manchen anderen Mitgliedern des Königshauses wahrlich nicht behaupten kann, dachte der Pater und beobachtete kopfschüttelnd das Treiben der Vögel auf dem Kirchdach. Hielt nicht nun jene Taube, die soeben die andere begattet hatte, still, während die zweite, die er für das Weibchen gehalten hatte, die aktive Rolle übernahm?

„Merkwürdig …“ Pater Brown konzentrierte sich nun auf das Gesicht seines Gegenübers. Mrs Stiltskin trug ein leichtes Make-up, das allerdings an der Oberlippe verstärkt war, vermutlich um Falten zu überdecken.

„Jedenfalls hat er die Strafe verdient“, sagte die Frau und wollte ihr Rad besteigen.

„Sie meinen doch nicht etwa die Todesstrafe?“

„Ich wünsche niemandem den Tod. Aber wenn ein Mann über 60 seine Frau mit einem jungen Flittchen betrügt und daran stirbt, hält sich mein Mitleid in Grenzen.“

„Woher wissen Sie das, Mrs Stiltskin? Mir war es jedenfalls bisher nicht bekannt.“

„Sie waren nicht bereit, das Heilige Blatt zu abonnieren.“

„Ach, Sie meinen dieses …“

„Seien Sie vorsichtig mit Ihren Äußerungen, Pater!“, fiel ihm die Frau ins Wort.

Pater Brown wusste, dass er sich nun in Acht nehmen musste. Wenn Mrs Stiltskin ihn nicht mehr Hochwürden, sondern Pater nannte, war Feuer auf dem Dach.

„… dieses Vereinsblatt des katholischen Frauenvereins“, beendete er seinen Satz.

„Falsch, völlig falsch, Pater! Das Heilige Blatt hat nichts mit uns Frauen zu tun, auch wenn ich nicht leugnen kann, dass fast alle unsere Mitglieder zu seinen Abonnenten zählen.“

„Ich dachte, Sie seien die Herausgeberin?“

„Wieder falsch gedacht, Pater. Ich bin eine Leserin wie viele andere.“

„Dieses Heilige Blatt hat also berichtet, dass Mister Hepburn seine Frau mit einer anderen betrogen hat?“

„Es hat in allgemein gehaltenen Worten auf diese Torheit Bezug genommen, natürlich ohne Namen zu nennen.“

„Natürlich. Ich verstehe. Und das wollten Sie mir mitteilen, als Sie am Beginn unseres anregenden Gesprächs meinten, es sei gut, mich zu treffen.“

Die Frau schaute Pater Brown verwundert an und schien erneut zu überlegen, ob dieser so naiv und harmlos wirkende Mensch in Wahrheit boshaft und ironisch war. „Eine Einladung an Sie, Hochwürden, deshalb habe ich Sie aufgesucht. Eine Einladung zum Vortrag meines Mannes vor dem Frauenverein über Wege und Abwege der modernen Medizin. Am Freitag, in unserer Praxis.“

Sie griff in den Korb, der auf dem Gepäckträger über dem hinteren Kotflügel ihres Fahrrades befestigt war, entnahm ihm ein Kuvert, dessen Vorderseite in geschwungenen Lettern die Worte Hochwürden Pater Jeremiah Brown zierten, und überreichte es dem Adressaten. Dieser bedankte sich und setzte seinen Weg in die Kirche fort.

 

Pater Brown betete das umfangreiche Morgenlob, das aus Hymnus, Psalmen, Schriftlesung, Benedictus, Bitten, Vaterunser, Tagesgebet und Segen bestand, am liebsten in der Kirche. An diesem Morgen musste er sich allerdings zuerst von den Gedanken freimachen, die seine Begegnung mit der Vorsitzenden des katholischen Frauenvereins und die Beobachtung der Tauben auf dem Kirchdach bei ihm ausgelöst hatten.

Der Engel auf Erden, wie Pater Brown Phyllis Eliot immer wieder nannte, stellte inzwischen zwei Vasen mit gelben Narzissen aus dem Pfarrhausgarten auf den Altartisch, kontrollierte das weiße Spitzentuch, das diesen schützte, strich es glatt und wechselte die in den Halterungen herabgebrannten Kerzen aus. Die Tätigkeit der jungen Frau, die für Ordnung und Sauberkeit in der Kirche, im Pfarrhaus und im Garten sorgte, lenkte ihn nicht von seinen Gebeten ab. Im Gegenteil. Sie bereitete die positive Grundlage, die für das Gespräch mit Gott vonnöten war. Pater Brown erinnerte sich daran, wie er als kleiner Junge seine Schulaufgaben am liebsten in der Küche erledigt hatte, weil er sich in der Gegenwart seiner Mutter am wohlsten fühlte.

Köchin gab es in der Pfarre St. Lawrence keine, obwohl natürlich der Engel auf Erden für Imbisse sorgte. Pater Brown nahm sein Abendmahl meistens im Old Eden Pub in der High Street ein. So konnte er den Kontakt zu den Bewohnern der kleinen, im Südosten Englands gelegenen Stadt halten, wie er sich einredete. Dabei war er selbst es, der das Alleinsein schwer ertrug.

Charles Eliot, der Ehemann seiner treuen Helferin, arbeitete in einem Computerladen in Tonbridge und war gerade dabei, das Personenstandsregister der Pfarre zu digitalisieren, in dem Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle verzeichnet waren. Darüber hinaus erledigte er sämtliche anfallenden Reparaturen im Pfarrhaus und in der Kirche.

Am Ende seiner Gebete fielen Pater Brown wieder Florence Stiltskin und das Heilige Blatt ein. Er sollte sich vielleicht doch überwinden und diese Zeitung abonnieren, um zu erfahren, was seine übereifrigen Glaubensbrüder und -schwestern ausheckten. Vielleicht könnte er herausfinden, wer die Artikel schrieb, und mäßigend einschreiten, sobald wieder einmal über das Ziel hinaus geschossen wurde. Schließlich war es nicht die Aufgabe eines Pfarrers oder irgendeines Mitgliedes der katholischen Kirche, andere an den Pranger zu stellen, sondern sich zu bemühen, zur Freude und zum Vorbild der Mitmenschen ein gottgefälliges Leben zu führen. Die Zeiten der Inquisition waren vorüber.

Pater Brown öffnete das Neue Testament, das er immer in einer Tasche seines schwarzen Anzugrockes bei sich trug, und schlug das achte Kapitel des Johannes-Evangeliums auf. Halblaut las er daraus die folgenden Worte: „Jesus aber ging an den Ölberg. Und frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm; und er setzte sich und lehrte sie. Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte dar und sprachen zu ihm: Meister, dies Weib ist ergriffen auf frischer Tat im Ehebruch. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche zu steinigen; was sagst du? Das sprachen sie aber, ihn zu versuchen, auf dass sie eine Sache wider ihn hätten. Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun anhielten, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und bückte sich wieder nieder und schrieb auf die Erde. Da sie aber das hörten, gingen sie hinaus (von ihrem Gewissen überführt), einer nach dem andern, von den Ältesten bis zu den Geringsten; und Jesus ward gelassen allein und das Weib in der Mitte stehend. Jesus aber richtete sich auf; und da er niemand sah denn das Weib, sprach er zu ihr: Weib, wo sind sie, deine Verkläger? Hat dich niemand verdammt? Sie aber sprach: Herr, niemand. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!“

Als Pater Brown das Büchlein schloss, atmete er tief durch. Diese Worte waren erfrischend und ermunterten ihn, unbeirrt seinen Weg weiterzugehen, der darin bestand, selbst möglichst wenig zu sündigen und andere, die damit größere Schwierigkeiten hatten, zu Reue und Umkehr zu bewegen. Ohne Drohung, ohne Zwang.

„Darf ich stören, Hochwürden?“, wandte sich Phyllis Eliot an den Pater.

„Wenn Sie mich nicht Hochwürden nennen, jederzeit.“

Mrs Eliot lächelte. „Sie wissen, dass ich mich an diese Anrede gewöhnt habe. Ein alter Hund lernt keine neuen Tricks.“

„Aber Mrs Eliot! Sie mit Ihren 24 Jahren sind doch nicht alt.“

„Danke, Ho… äh … Pater. Das war ich einmal, damals, als ich bei Ihnen begann.“

„Trotzdem. Ich wäre froh, wenn ich noch einmal so jung wäre wie Sie.“

„Sie haben bald Geburtstag.“

„Erinnern Sie mich nicht daran!“, sagte der rundliche kleine Pfarrer und schüttelte abwehrend den Kopf, bevor er sich erneut an den Engel in Menschengestalt wandte, der vor ihm stand. Höflicherweise erhob auch er sich und fragte seine Helferin flüsternd, immerhin befanden sie sich in der Kirche, ob sie das Heilige Blatt kenne.

„Als Mitglied des Frauenvereins beziehe ich diese Zeitung, aber mein Mann und ich lesen kaum darin.“

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir ein Abonnement vermitteln könnten.“

„Das ist nicht nötig. Sie bekommen das Blatt von mir.“

„Ich weiß das sehr zu schätzen, Mrs Eliot. Und wenn Sie zufällig auch noch einige alte Exemplare davon hätten …“

„Leider nicht, denn ich verheize sie, so schnell es geht. Aber ich kann das organisieren.“

„Wie oft erscheint diese Zeitung?“

„Wöchentlich. Immer am Freitag, dem Tag, an dem unser Herr …“

„Ich verstehe“, unterbrach sie Pater Brown und drückte der Frau dankend die Hand. „Also, heute ist Dienstag. Da muss ich mich wohl gedulden.“

„Die alten Nummern bekommen Sie noch heute. Aber was ich Sie fragen wollte: Sie erlauben mir doch, dass ich wie jedes Jahr Zweige aus Ihrem Garten für die Palmbesen verwende, die wir am Palmsonntag …“

„Das ist doch selbstverständlich“, erwiderte Pater Brown. „Der Pfarrgarten gehört der gesamten Pfarre.“

 

Wenig später trank der Pater in seinem Büro im Pfarrhaus gerade eine Tasse Tee, als er bemerkte, dass das kombinierte Telefon- und Faxgerät blinkte. Er drückte auf die Wiedergabetaste des Anrufbeantworters und hörte die Stimme einer Frau, die um Rückruf bat: „Gertrude Hepburn, Quarry Rise, Edenbridge, Telefonnummer 01732 862384. Ich ersuche Sie um ein Gespräch, den Tod meines Mannes betreffend.“

Pater Brown wählte die Nummer und fragte Mrs Hepburn, ob sie lieber zu ihm kommen wolle oder ob er sie aufsuchen solle.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Pater, komme ich in einer Stunde.“

 

Mrs Hepburn war eine Frau um die 60, sehr schlank (fast schon mager, wie es Pater Brown schien, der im Gegensatz zu seinem Gast zu Korpulenz neigte), und sie überragte den Priester um zwei Haupteslängen. Sie war elegant gekleidet und trug ihr dunkles Haar kurz. Dem Pater fiel auf, dass zwar die Spitzen ihrer Haare noch schwarz gefärbt waren, dass aber der Nachwuchs grau bis weiß hervorlugte und damit Mrs Hepburn ein, trotz des ernsten Anlasses, heiter-scheckiges Aussehen verlieh.

„Ich habe mich vor zwei Monaten entschieden, nicht mehr gegen das Alter anzukämpfen“, erklärte die Frau, die seinen forschenden Blick augenscheinlich richtig deutete. „Auch in meiner Haartracht.“

Pater Brown wandte seine Augen von ihr ab und betrachtete verlegen seine Fingerspitzen. „Darf ich fragen, was Sie zu dieser Veränderung in Ihrer Haltung zum Älterwerden veranlasst hat?“

„Ich bemerkte, dass mich mein Mann betrog … mit einer 24-jährigen.“

„Ich verstehe“, sagte Pater Brown und nickte. Diese beiden Worte und ein oftmaliges Nicken wirkten meist Wunder in den Gesprächen mit Menschen, die mit Sorgen zu ihm kamen.

Pater Brown führte die Besucherin in sein Wohnzimmer und bat sie, auf einem der angenehm weichen, aber schon etwas abgewetzten Polstermöbel Platz zu nehmen. „Sie sind meinen Aufzeichnungen nach Katholikin und …“

„Ich gehe selten zur Sonntagsmesse … eigentlich so gut wie gar nicht“, unterbrach ihn Mrs Hepburn und fügte, wie um sich zu entschuldigen, hinzu: „Mein Mann gehörte der anglikanischen Kirche an und sah das nicht gern. Aber jetzt wird sich auch das ändern. Pater Brown, Sie können auf mich zählen.“

Wieder nickte der Pater freundlich. „Worauf ich hinauswollte, war die Klärung der Frage, ob es sich bei unserer Unterredung um eine Beichte oder um ein Gespräch handelt.“

„Gebeichtet habe ich ein halbes Leben nicht mehr“, seufzte die Frau und blickte zur Zimmerdecke. „Aber nein, es soll ein ganz normales Gespräch sein. Ein Gespräch zwischen einer betrogenen Witwe und einem begnadeten Kriminalisten.“

Bei dem Wort Kriminalist horchte Pater Brown auf. Er ahnte mit einem Mal, dass er am Beginn eines neuen Falles stand.

„Hegen Sie etwa Zweifel am natürlichen Tod Ihres Mannes, Mrs Hepburn?“

„Die habe ich sehr wohl“, erwiderte sie bestimmt. „Seitdem er dieses Flittchen kannte, ging es ihm schlecht. Sie muss ihm irgendeine Substanz eingeflößt haben, die seine Gesundheit angriff, möglicherweise ein langsam wirkendes Gift.“

„Was hat die Leichenschau ergeben?“

„Es gab keine. Der Arzt behauptete, Reginald sei eines natürlichen Herztodes gestorben, dabei hatte er, wenn auch kein gutes, so doch ein gesundes Herz.“

„Ich verstehe. Wie alt war Ihr verstorbener Mann?“

„63“, antwortete sie knapp und presste ihre Lippen fest aneinander.

„Sie verstehen, Mrs Hepburn, dass ich auch einige unangenehme Fragen stellen muss, sollte ich mich entscheiden, diesen Fall zu übernehmen.“

„Ich bitte Sie zu klären, woran mein Mann wirklich gestorben ist, und ich will, dass sie die Täterin zur Verantwortung ziehen“, präzisierte Gertrude Hepburn. „Was wollen Sie fragen, Pater?“

„War Ihr Mann reich?“

„Reich? Was heißt schon reich! Aber ich würde uns durchaus als wohlhabend bezeichnen.“

„Welcher Beschäftigung ging Ihr Mann nach?“

„Er leitete die Royal Exchange Bank in Tonbridge.“

„Haben Sie Kinder?“

„Leider nein. Ich kann …“ Die Frau stockte und verbesserte sich. „Ich konnte keine Kinder bekommen. Leider.“

„Das heißt, Sie selbst erben den Großteil des Vermögens.“

„Das ist korrekt, obwohl Reginald sein Testament ändern wollte, vermutlich zugunsten des Flittchens. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen.“

„Sie trinken doch eine Tasse Tee, Mrs Hepburn? Das regt den Verstand an, und so etwas können wir jetzt dringend gebrauchen.“

Pater Brown setzte den elektrischen Wasserkessel auf der Kommode in Gang und brühte in einer Kanne aromatischen Ceylon-Tee auf. Dann ließ er ihn ziehen und leerte schließlich die fast schwarze Flüssigkeit in die Tassen. Mrs Hepburn nahm Milch und Zucker, der Pater trank den Tee ungesüßt.

„Wenn man das, was Sie mir bis jetzt erzählt haben, Mrs Hepburn, sagen wir … durch die Augen eines Polizeibeamten betrachtet, entsteht das Bild einer verdächtigen Ehefrau.“

„Aber …“

„Keine Sorge, meine Augen sind die eines Priesters, der als Kriminalist nur dilettiert, also sehe ich das natürlich nicht so. Dennoch heißt es vorsichtig sein. Ein Polizist würde Folgendes erkennen: Eine Frau wird betrogen, ihr Mann will das Testament ändern, vermutlich zugunsten seiner viel zu jungen Freundin. Der Mann wird immer schwächer, bis er schließlich stirbt. Wenn man nun am natürlichen Tod Ihres Mannes zweifelt, geraten unweigerlich Sie selbst in den Verdacht, ihn ermordet zu haben.“

Mrs Hepburn nahm einen Schluck von dem heißen Tee, dann sagte sie feierlich: „Ich weiß, dass ich Reginald nichts angetan habe. Dafür habe ich ihn trotz allem zu sehr gemocht. Also wird mir auch nichts passieren. Ein Unschuldiger wird nicht verurteilt.“

„Letzten Endes, da kann ich Ihnen zustimmen, Mrs Hepburn. Aber der Weg dorthin kann steinig werden. Sie könnten Ihren guten Ruf verlieren und viel Geld, das Sie einem Anwalt zahlen müssten.“

„Ich möchte, dass der Tod meines Mannes geklärt wird“, bekräftigte die Frau ihr Anliegen.

„Das wäre nur möglich durch die Exhumierung seines Körpers und eine gerichtsmedizinische Untersuchung, die Sie verlangen müssten.“

„Vielleicht können Sie mich dabei unterstützen, Pater.“

„Ich kann sehr gerne ein gutes Wort beim Chief Inspector einlegen.“

„Und wenn erwiesen ist, dass mein Mann vergiftet wurde, dann werden Sie die Mörderin überführen.“

„Dann werde ich alles daransetzen, den Schuldigen oder die Schuldige zu finden.“

„Was verlangen Sie dafür, Pater?“

„Ich selbst koste nichts. Allerdings beschäftige ich einen Mitarbeiter, der …“

„Sind Sie mit einer Anzahlung von, sagen wir, fünfhundert Pfund einverstanden?“

Pater Brown nickte stumm, während er schon die nächsten Schritte überlegte. Er würde sich mit seinem Anliegen an Chief Inspector Umar Reed wenden, wollte aber nichts übereilen. Die Sache war heikel.

Als Mrs Hepburn gegangen war, zog Pater Brown Bilanz, während er das Teegeschirr in die Küche räumte und abspülte. Ein ganz und gar merkwürdiger Beginn eines neuen Falles, überlegte er. Die nach allen Regeln der Kunst Hauptverdächtige, die bisher nicht ins Licht der Ermittler geraten war, wandte sich an ihn, um Klarheit zu schaffen. Mrs Hepburn war von ihrem Mann, der noch dazu sein Testament zu ihren Ungunsten hatte verändern wollen, betrogen worden, doch Reginald Hepburn war gerade zur rechten Zeit gestorben. Mrs Hepburn verdächtigte nun die junge Geliebte als Mörderin, obwohl diese durch den Tod ihres Liebhabers alles verloren hatte. Das widersprach jedweder Logik. Doch bei den Geschehnissen, denen er auf den Grund gehen würde, handelte es sich nicht nur um einen Fall, sondern um das Schicksal von Menschen, deren Denken, Handeln und Fühlen nicht unbedingt logischen Gesetzen folgte. Außer Geldgier gab es noch etliche andere Gründe, einen Menschen zu töten. Die Palette der möglichen Motive reichte von Rachegelüsten über Eifersucht und Hass bis zu Wahnsinn.

Pater Brown betrachtete die frisch gespülten Tassen, die im Licht des Märztages glänzten, als der Stapel des nun sauberen Geschirrs plötzlich ins Rutschen kam und mit einem hässlichen Klirren zu Boden glitt. Er betrachtete die Scherben und ahnte, dass sie ein böses Omen für die nächsten Tage und Wochen bedeuten könnten, auch wenn sich derart abergläubische Gedanken für einen katholischen Priester natürlich nicht ziemten.

KAPITEL 2

 

Der Mann, der Pater Brown am Stammtisch des Old Eden Pubs begrüßte, wirkte gegen ihn wie ein Riese. Immerhin überragte Hercule Flambeau den kleinen Priester um mehr als dreizehn Zoll. Der 39-jährige Mann französischer Herkunft, der nach all den Jahren, die er in England verbracht hatte, Englisch praktisch ohne Akzent sprach, wirkte gegen den rundlichen Pater wie ein schwarzer Panther kurz vor dem entscheidenden Sprung. Ein Eindruck, zu dem nicht zuletzt sein dunkles Haar und die leuchtenden schwarzen Augen beitrugen.

„Schön, Sie zu sehen, Flambeau!“, begrüßte Pater Brown den Privatdetektiv. „Was führt Sie zu uns nach Edenbridge?“

„Das Gefühl, dass Sie mich brauchen, Pater. Ich vermute, dass es einen neuen Fall gibt, den wir gemeinsam lösen werden.“

„Ein Glas Lager?“, fragte der Wirt.

Pater Brown nickte und wandte sich wieder an sein Gegenüber. „Das heißt, die Geschäfte laufen nicht allzu gut.“

„Die Engländer haben Vorurteile gegen Menschen mit fremdländisch klingenden Namen“, bestätigte der Detektiv.

„Sie sind doch ein begnadeter Verkleidungskünstler, und Ihr Englisch übertrifft jenes vieler Einheimischer. Warum geben Sie sich nicht einen Englisch klingenden Namen?“

„Man hat seinen Stolz, Pater.“

„Ich verstehe.“

„Obwohl natürlich ein Mann mit meiner Vergangenheit …“

„Auf die Gegenwart kommt es an, Flambeau … und die Zukunft.“

In diesem Augenblick wurde ein Glas kühles Lagerbier auf den blank polierten Eichentisch gestellt. Pater Brown nahm einen ersten tiefen Zug und murmelte: „Auf die Zukunft.“

„Auf die Zukunft, Pater!“, erwiderte Flambeau, bevor er fragte: „Also, habe ich recht?“

„Womit?“

„Dass wir am Beginn eines neuen Falles stehen?“

Pater Brown nickte, schränkte aber ein: „Ich habe von einer Klientin fünfhundert Pfund kassiert. Für Sie natürlich, Flambeau. Ob es zu einer Bezahlung kommen wird, die darüber hinausreicht, kann ich nicht versprechen.“

„Das ist doch ein recht guter Auftakt“, fand der Detektiv. „Berichten Sie mir von dem Fall!“

In diesem Moment stießen mit dem Gesamtschullehrer Harry Griffiths und dem Apotheker Andrew Wilkinson zwei weitere Männer zum Stammtisch.

„Haben Sie schon gefragt, was es heute gibt?“, fragte Griffiths, wobei seine Frage von einem nervösen Zucken seines linken Auges begleitet wurde.

Die Schüler schienen das Nervenkostüm des immer freundlich blickenden Mannes wieder einmal beträchtlich strapaziert zu haben, dachte Pater Brown und meinte: „Gefragt habe ich noch nicht, doch finden Sie nicht auch, dass es verdächtig nach Huhn riecht?

---ENDE DER LESEPROBE---