Edgar Wallace - Neue Abenteuer 04: Der Spieler - J. J. Preyer - E-Book

Edgar Wallace - Neue Abenteuer 04: Der Spieler E-Book

J. J. Preyer

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Beschreibung

Zwei Männer werben um Penelope Lane, die sehr reich sein wird, sobald sie fünfundzwanzig Jahre alt ist. Chief Inspector Milton Player von Scotland Yard und sein Cousin Roderick haben sich in die attraktive Schauspielerin verliebt. Doch können die beiden Rivalen sie vor dem skrupellosen Mörder beschützen, der ihr Leben bedroht? Edgar Wallace mit den traditionellen Elementen vom bekannten Krimi-Autor J. J. Preyer ins 21. Jahrhundert transponiert. Nach Motiven des Romans Der leuchtende Schlüssel (The Clue of the Silver Key) von Edgar Wallace. Die Printausgabe umfasst 224 Buchseiten.

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EDGAR WALLACE - NEUE FÄLLE

In dieser Reihe bisher erschienen

1901 Dietmar Kuegler Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle

1902 Dietmar Kuegler Die goldenen Mönche

1903 Thomas Tippner Im Bann des Erlösers

1904 J. J. Preyer Der Spieler

J. J. Preyer

Der Spieler

Edgar Wallace - Neue FälleBand 4

Nach Motiven des Romans „Der leuchtende Schlüssel/The Clue of the Silver Key“ von Edgar Wallace.

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-074-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

KAPITEL 1

Der Mann im schwarzen Overall musste warten, bis Mary Atkins den Safe geöffnet hatte.

Eigentlich schade um sie. Eine attraktive junge Frau. Das hellblonde Haar keck zu einem Pferdeschwanz gebunden, blaue Augen, gute Figur, besonders in dem engen Rock und der hellblauen Bluse.

Da sie seine Liebe zurückgewiesen und nun alles geerbt hatte, musste sie sterben.

Schnell, möglichst schmerzlos, mit einer Injektionsspritze.

Wenn er ihm wenigstens die Hälfte seines Vermögens vermacht hätte. Aber so! Wie hatte er sich um ihn bemüht, dem Gelähmten eine Pflegerin besorgt, sich einmal wöchentlich die langweiligen Erzählungen angehört, die um ein und dasselbe Thema kreisten, um seine Zukunft.

Er sollte auf das weiße Pulver verzichten, arbeiten, eine Familie gründen.

Er sollte ein Spießbürger werden wie der Onkel, wie ... wie Mary, die Engelsgleiche.

Wie er sie liebte! Wie er sie hasste! Sie, die die Erbschaft eigentlich ihm zu verdanken hatte. Er hatte den Onkel mit dem giftigen Sekret einer Kröte aus dem Amazonasgebiet ins Jenseits befördert.

Und jetzt kam Mary dran. In Socken bewegte er sich durch den dämmrigen Raum auf die junge Frau zu, die einen Schlüssel in das Schloss des Wandsafes steckte, um an ein unermesslich großes Vermögen zu gelangen.

Was würde sie mit all dem Reichtum machen? Nichts Vernünftiges, während er es benötigte, um dem zu entkommen, was man ihm angetan hatte. Seine Eltern, der Onkel, die Lehrer, die Ärzte. Die Ärzte, die ihn von seiner Sucht befreien wollten.

Er war nicht süchtig. Aber er hatte ein Recht darauf, der Hölle zu entkommen, die sie Leben nannten.

Nun musste er schnell sein. Mary könnte ahnen, was er vorhatte.

Doch was war das! Sie musste ihn entdeckt haben, nahm sanft seinen Arm und drückte ihm den Safeschlüssel in die Hand. Einen Schlüssel, dessen Kanten in seine Handfläche schnitten wie ein Messer.

Obwohl er vor Schmerz schreien wollte, flüsterte er ihr zu, dass er sie liebe.

Ja, er liebte sie, und sie hätten glücklich werden, das Geld teilen können.

„Ich muss jetzt unterbrechen, Rory“, klang eine laute männliche Stimme durch den Raum. „Alles sehr, sehr beeindruckend. Aber zu freundlich. Darüber waren wir uns schon einig.“

„Also, ich bin froh, dass er mich nicht so packt wie du“, meldete sich die auf dem Bühnenboden liegende ­Penelope Lane zu Wort. „Und ich finde es überhaupt nicht unpassend, dass Rory seine Rolle so anlegt. Schließlich liebt er mich.“

„Das ist ja das Problem.“

„Ich meine im Stück.“

Roderick Random, der groß gewachsene dunkelhaarige Darsteller des drogensüchtigen Fielding, stand lächelnd daneben und schwieg.

„Außerdem“, ereiferte sich die junge Schauspielerin weiter, „waren wir uns einig, dass wir die Generalprobe nicht unterbrechen, sondern alles nachher besprechen ...“

„Wir befinden uns am Ende des Stücks“, widersprach der Regisseur, der wie eine Reinkarnation von Oscar Wilde wirkte. Weiche, beinahe mädchenhafte Züge, etwas untersetzt, schulterlanges Haar.

„Keineswegs. Noch fehlt Rorys Wahnsinnsszene. Sein Meisterstück“, sagte die junge Frau.

„Ich weiß“, lenkte der Regisseur ein. „Rory ist großartig, unvergleichlich. Nur in dieser Szene muss er etwas mehr Entschlossenheit, etwas mehr ...“

„Okay, okay. Wiederholen wir es“, unterbrach ihn Roderick Random aufgebracht. „Ab dem Punkt, an dem Mary, äh, Penny, mir den leuchtenden Schlüssel in die Hand drückt.“

Und so geschah es. Dieses Mal reibungslos, kalt, effizient, sodass die Zuschauer im dunklen Theater begeistert klatschten.

Die Schauspieler verbeugten sich, Mike Hennessey bat die Gäste der Generalprobe zu einer Feier ins Lord of the Hill, ein Pub in der Drury Lane, jener Straße, in der der klobige Backsteinbau des Theaters stand.

*

Da das Rauchen seit 2007 in Pubs verboten war, roch es im Lord of the Hill nur nach frittierten Kartoffeln und Fischen, auf die Intendant und Regisseur Hennessey die Gäste der letzten Probe vor der Premiere am Samstag einlud. Dazu gehörten einige ausgesuchte Vertreter der Medien, der Autor des Stücks, ein sehr junger Mann, die Schauspieler und Freunde und Verwandte, darunter ­Hervey Lyne, den sein Butler Binny im Rollstuhl vom Theater ins Pub befördert hatte, unterstützt von seiner Nichte Penelope Lane und seinem Sohn Roderick ­Random.

„Du warst großartig, Penny“, pries der Alte die Schauspielerin, während er für den Sohn kein Lob übrig hatte.

Doch dieser ließ sich seine gute Laune nicht nehmen, in der er verkündete, dass alles blendend lief und dass das Stück ein großer Erfolg werden würde.

„In einem Jahr feiern wir hier wieder“, sagte er. „Und auch dann ist noch lange nicht Schluss.“ Etwas leiser fügte er hinzu: „Nicht weil das Stück so gut ist, sondern wir.“

„Das Stück ist auch nicht schlecht“, verteidigte ­Penelope den jungen Autor und blickte wie schon so oft an diesem Abend nicht zu Leo Moran, der das Stück verfasst hatte, sondern zu einem blonden, blauäugigen Mann, der vom Aussehen her ihr Bruder sein könnte.

Chief Inspector Milton Player von Scotland Yard.

Roderick Random bemerkte das und meinte: „Ein übler Typ. Korrupt bis auf die Knochen.“

„Das sagst du doch nur, um ihn mir zu verleiden“, erwiderte Penelope und streichelte sanft die rechte Wange des Eifersüchtigen.

„Euch ist bewusst, dass ihr verwandt seid“, krächzte der alte Lyne aus dem Rollstuhl und wurde von einem Hustenanfall übermannt, sodass sich sofort Butler Binny um ihn kümmerte.

Der rundliche Mann, der, so wie es in fernen Zeiten üblich gewesen war, eine schwarz-grau gestreifte Butleruniform trug, kontrollierte die Lage der Wolldecke, in die Lyne gehüllt war, und wollte ihm ein blütenweißes Taschentuch reichen, doch dieser lehnte das übellaunig ab.

„Noch bin ich nicht am Ende“, brummte er und ließ sich in seiner Rede nicht beirren, indem er darauf hinwies, dass Roderick Random und Penelope Lane Cousin und Cousine waren. „Ich liebe dich und will, dass du glücklich bist, und möchte, nein, werde dich vor Unheil bewahren“, krächzte er.

„Und dieses Unheil bin ich“, beteiligte sich nun auch der junge Schauspieler am Gespräch.

„Auch du bist mir wichtig“, wandte sich der alte Lyne nun an seinen Sohn, der den Künstlernamen Random angenommen hatte, nach einer Romanfigur eines Schriftstellers aus dem 18. Jahrhundert.

„Auch du bist mir wichtig“, wiederholte Hervey Lyne. „Aber du bist ein schwieriger Mensch, ein Schauspieler von morgens bis abends. Und wer weiß, was du in deinen Träumen treibst.“

Ein weiterer, sehr heftiger Hustenanfall unterbrach die Rede des Alten und er gab dem Diener ein Zeichen, den Rollstuhl weiterzubewegen.

Der mollige Butler, dem der Schalk aus den Augen lachte, verbeugte sich leicht, löste die Bremsen des Rollstuhls und entschwand mit einem Zitat aus einer Operette, wie es der stets gut gelaunte Mann als Anhänger von Musicals und Operetten zu tun pflegte.

„Heute da, morgen dort. Was macht es?“

Damit erheiterte er auch seinen Herrn so sehr, dass dieser schon bedeutend freundlicher hustete.

„Er hat recht“, wandte sich die schöne Penelope an ihren nicht minder attraktiven Cousin. „Wir sind so etwas wie Geschwister.“

„Wir sind Verwandte, wie alle Menschen miteinander verwandt sind. Außerdem hat schon Königin Victoria ihren Cousin geheiratet. Und sie hatten neun Kinder.“

„Ich werde dich nicht heiraten und keine Kinder haben“, widersprach Penelope Lane.

„Doch. Du hast es mir versprochen.“

„Von Kindern war nicht die Rede. Außerdem waren wir zur Zeit des Versprechens gerade mal vier oder fünf Jahre alt.“

„Versprochen ist versprochen.“

„Du hast mir auch schon viel versprochen.“

„Und gehalten“, konterte Random.

„Du hast mir immer versprochen, mir eine Rolle in deinen Filmen zu verschaffen.“

„Und du spielst in diesem Stück.“

„Aber nicht wegen dir. Du bist Gaststar in unserem Ensemble. Ich war schon immer hier.“

„Es kommt auf das Ergebnis an.“

Das spielerische Streitgespräch der beiden wurde durch ein glockenhelles Geräusch unterbrochen, das dadurch entstanden war, dass Intendant und Regisseur Mike ­Hennessey mit einem Teelöffel gegen einen Sektkelch schlug.

Er stand vor einer großen Torte, die mit einem bläulich eingefärbten Schlüssel dekoriert war, wanderte jedoch durch den Gastraum zur Schank, an der gefüllte Sektgläser standen, die er an die Gäste der Generalprobe zu verteilen begann.

„Ich möchte mit Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, auf unser Stück anstoßen“, sagte er dann. „Möge es ein großer Erfolg beim Publikum, aber auch bei den Medien werden. Wir haben uns sehr bemüht, indem wir einen großartigen Autor beauftragt haben, ein Kriminaldrama im Stil des vergangenen Jahrhunderts zu schreiben und dieses mit Leben zu erfüllen. Mit großartigen Schauspielerinnen und Schauspielern, mit unserer bewährten Bühnenmannschaft. Aber all das wäre nicht möglich gewesen ohne ein großes Geheimnis. Und darauf möchte ich mit Ihnen, verehrte Gäste, anstoßen.“

Der Mann, der mit seiner Ähnlichkeit zu Oscar Wilde selbst wie eine Figur aus einem Krimi der Vergangenheit wirkte, hob sein Glas, setzte an und trank daraus.

Die übrigen Anwesenden machten es ihm nach, wobei einige der Damen und ein einziger Mann keinen Sekt, sondern Orangensaft tranken.

Der einzige Mann, der auf Alkohol verzichtete, war der Autor, der so jung wirkte, als würde er noch zur Schule gehen.

Nach dem ersten Schluck verbreitete sich Unruhe im Pub. Die Leute wollten wissen, was es mit dem Geheimnis auf sich habe, von dem der Regisseur gesprochen hatte.

Dieser schien darauf gewartet zu haben, nun unter großer Aufmerksamkeit fortzufahren, und sagte: „Ich kann das Geheimnis beschreiben, es jedoch nicht lösen. Aber das macht nichts. Im Vordergrund stehen seine wunderbaren Auswirkungen.“ Der Theatermann legte nun eine kurze Pause in seiner Ansprache ein, in der er von seinem Glas trank, dann fuhr er fort: „Wir sind uns zwar sicher, dass das Stück ein Erfolg wird – auch finanziell. Dennoch musste es vorfinanziert werden. Wir mussten den Autor bezahlen, wir haben mit Roderick Random einen ganz Großen der Schauspielzunft engagieren können, wir haben an nichts gespart. Und dafür haben wir Geld benötigt und bekommen. Ohne Wenn und Aber. Auf geheimnisvolle Weise. Das heißt, wir wissen nicht, wer es uns anvertraut hat. Aber ich bedanke mich dafür von Herzen. Sollte der unbekannte Wohltäter heute Abend anwesend sein, gilt ihm mein großer Dank. Sie, mein Herr oder meine Dame, haben damit etwas Großes ermöglicht. Das, verehrte Damen und Herren, ist die helle Seite der Medaille. Sollte es auch eine dunkle geben, wie ich ebenfalls vermute, wollen wir solidarisch zusammenstehen. Gemeinsam sind wir stark.“

Bei seiner düsteren Andeutung hatte Mike Hennessey dem Mann von Scotland Yard sehr ernst zugenickt, der seinen Blick abweisend senkte.

„Player ist ein Spieler“, flüsterte Roderick Random Penelope zu, von deren Seite er nicht wich.

„Inwiefern?“, fragte diese und betrachtete wieder mit Wohlgefallen den jungen Chief Inspector vom Yard.

„In jeder Hinsicht“, lautete die Antwort ihres eifersüchtigen Begleiters. „Er war Schauspieler.“

„Darum ist er so besonders schön.“

„Also, ich finde, er hat etwas Gewöhnliches“, widersprach Roderick. „Und er spielt mit den Menschen, mit denen er beruflich und privat verkehrt.“

„Verkehrt“, wiederholte Penelope mit einem spöttischen Blitzen in ihren blauen Augen und fügte hinzu: „Du klingst schon wie dein Vater.“

„Oh Gott!“, stöhnte Roderick theatralisch auf. „Da muss ich aufpassen. Das möchte ich wirklich nicht.“

In diesem Moment erlosch das Licht, es war plötzlich stockdunkel im Gastzimmer des Lord of the Hill.

Doch da, was war das?

Ein bläulich leuchtender Gegenstand schwebte durch den Raum, in Richtung der Torte mit dem Schlüssel. Ein Gag, wie er nur Theaterleuten einfallen konnte. Ein mit Leuchtfarbe präparierter Schlüssel wie im Theaterstück.

Im Gegensatz zur Generalprobe bewegte sich der Schlüssel sehr unruhig, wie ein überdimensionales Glühwürmchen, hin und her, auf und nieder, bis es zu Boden glitt und verschwand.

Dann ging das Licht wieder an und man sah etwas – jemanden – auf dem Holzboden liegen.

Das lange Haar, die untersetzte Figur, alles deutete auf Mike Hennessey hin. Er lag reglos vor der Torte mit dem Schlüssel.

War er gestolpert? Was war geschehen?

Eine laute Stimme bat die Anwesenden zurückzutreten. Hier sei etwas sehr Ernstes geschehen.

Diese Stimme gehörte zu Chief Inspector Milton Player.

Roderick Random drückte seine Cousine fest an sich.

KAPITEL 2

Die Art, wie Chief Inspector Milton Player vor dem leblosen Körper des Regisseurs kniete, erinnerte an eine kultische Handlung, an einen Gottesdienst ohne Gott. Die Szene hatte etwas Heidnisches, Wildes, Unberechenbares.

Nach kurzer Untersuchung stellte Player fest, dass für Mike Hennessey jede Hilfe zu spät kam.

Regisseur und Intendant Mike Hennessey lag tot auf dem Boden. Unter dem schweren Körper des Theatermanns fand der Chief Inspector den Schlüssel, den er jedoch nicht berührte, sondern mit seinem Autoschlüssel zur Seite beförderte, bevor er Mike Hennessey in die Ausgangslage zurückgleiten ließ.

„Niemand verlässt diesen Raum!“, befahl er. „Ich verständige meine Kollegen. Wir haben es mit großer ­Wahrscheinlichkeit mit einem Anschlag zu tun. Einem Mordanschlag.“

„Oh mein Gott“, schrillte die Stimme einer Frau durch den Raum.

Die Anwesenden lenkten ihre Blicke auf die Person, die geschrien hatte, und erkannten, dass es sich um einen aufgeregten jungen Mann handelte, um Leo Moran, den Autor des Stücks, der aschfahl am Schanktisch lehnte. „Er war mein Mann“, klagte er. „Mike war mein Mann. Oh Gott! Was ist geschehen? Hat ihn jemand erstochen? Mit dem Tortenmesser?“

„Was genau passiert ist, wird sich herausstellen, sobald unser Forensikteam eingetroffen ist“, erklärte der Chief Inspector. „Auf den ersten Blick lassen sich keine Verwundungen erkennen. Ich vermute, man hat Mr Hennessey vergiftet. Daher rate ich den Anwesenden, nicht weiter vom Sekt zu trinken.“

Beunruhigt blickten nun die Anwesenden auf ihre Gläser und versuchten, diese loszuwerden, indem sie sie auf Tischen deponierten.

„Oh mein Gott“, erklang erneut die hohe Stimme des Schriftstellers. „Ich habe ziemlich viel davon getrunken.“

„Dann wissen wir ja bald, ob das Gift im Sekt war“, meinte der Chief Inspector ungerührt und fügte hinzu: „Der Mörder muss einen Komplizen haben. Derjenige, der sich am Schaltkasten zu schaffen gemacht hat, muss ...“

„Das war ich“, unterbrach ihn die tiefe Stimme eines älteren Mannes. „Ich habe das im Auftrag unseres Chefs erledigt.“

„Und wer ist Ihr Chef?“, fragte Random.

„Mike Hennessey. Ich bin Inspizient am Theater, verantwortlich für ...“

„Wir wissen, was ein Inspizient ist“, sagte Player streng. „Sie behaupten also, dass der Auftrag, das Licht zum Erlöschen zu bringen, vom Ermordeten stammte.“

„Vom damals noch nicht Ermordeten.“

„Vermeiden Sie diesen scherzhaften Ton!“, wies ihn Player zurecht. „Ein Mensch wurde ermordet.“

„Wie auch immer“, fuhr der Theatermann fort. „Die Szene mit dem leuchtenden Schlüssel war geplant.“

„Und was bringt den Schlüssel zum Leuchten?“, fragte Player.

„Eine LED-Lampe mit Batterie.“

„Also keine Farbe, die eventuell vergiftet sein könnte.“

Der Inspizient verneinte und meinte dann: „Ich hätte keinen Grund, meinen Chef zu ermorden. Er war ... nun er war nicht ganz unschwierig, aber wir haben uns ­aneinander gewöhnt, seit er das Theater übernommen hat.“

„Alles klar. Ins Detail gehen wir bei den Vernehmungen, die meine Kolleginnen, die Kollegen und ich führen werden.“

„Die Frage ist, warum Player überhaupt anwesend ist“, flüsterte Roderick Random seiner Cousine zu.

„Was ist? Sie haben eine Frage?“, wandte sich nun der Chief Inspector an ihn, doch Random erwiderte: „Nur ein Gespräch mit Miss Lane. Nichts von Bedeutung.“

Bei diesen Worten drückte er Penelopes linken Oberarm, wohl, um sich zu versichern, dass sie ihn nicht verraten solle.

Und Penelope schwieg natürlich. Auch sie schien sich Gedanken zu machen.

„Ich bin hier“, fuhr der Chief Inspector fort, der offenbar genau gehört hatte, was Random geflüstert hatte, „weil mich jemand gebeten hat zu kommen. Weitere Fragen kommen von mir, die Antworten von Ihnen.“

„Das heißt, dass dieser Jemand den Verdacht hatte, etwas würde passieren“, überlegte nun Penelope laut.

„So ist es“, bestätigte der Chief Inspector sehr freundlich.

„Und dieser Jemand ist oder war unser Chef?“

„Das, wie gesagt, wird nicht verraten.“

„Jedenfalls hat seine Anwesenheit wenig bewirkt“, flüsterte nun wieder Roderick Random mit einem bösen Blick auf den vermeintlichen Konkurrenten bei Penelope.

„Ich höre sehr gut, Mr Random“, wandte sich nun Player direkt an ihn. „Und ja, leider konnte ich den Tod Mike Hennesseys nicht verhindern.“

„Den Mord an ihm.“

„Ob Mord oder Unfall oder was immer werden die Untersuchungen ergeben. Ich gehe von der schlimmsten der möglichen Annahmen aus, nämlich von Mord und damit von der möglichen Täterschaft jedes und jeder der Anwesenden.“

„Er könnte es selbst gewesen sein“, flüsterte Roderick Random so leise, dass weder Penelope noch der ­Inspector darauf reagierten. Dann fügte er hinzu: „Ich trau diesem Mann keinen Millimeter weit.“

*

Während sich das Forensik-Team um den Toten bemühte und den unmittelbaren Tatort untersuchte, nahmen eine Polizistin und ihr männlicher Kollege sowie der Chief Inspector persönlich die Daten der Anwesenden auf.

Um Penelope Lane kümmerte sich, wie Random vermutet hatte, Player persönlich. Sie wurde nach Hervey Lyne und seinem Butler Binny an den Tisch beim Eingang geleitet.

Der Chief Inspector bat die junge Schauspielerin, Platz zu nehmen, war aber noch mit seinen Notizen beschäftigt, die er in ein Notebook tippte. Ab und zu trank er von einem kleinen Glas Bier.

Keiner der anderen Gäste außer dem Chief Inspector wagte es, etwas zu essen oder zu trinken, aus Angst, auch Opfer des Mörders zu werden.

Könnte es sein, dass Roderick recht hatte in seinem Verdacht, der Chief Inspector selbst könnte der Täter sein, überlegte Mary, verwarf jedoch diesen Gedanken, als sie in das Gesicht des schönen Mannes blickte, dem die langen, Wimpern etwas Weiches, beinahe Mädchenhaftes verliehen.

Stirn und Wangen waren glatt, letztere leicht gerundet. Der schlanke Mann wirkte ausgeschlafen, gesund, freundlich.

Die Lippen, ja die Lippen waren voll, wunderbar geformt wie ...

Oh, jetzt hatte er bemerkt, dass sie ihn musterte. Er schaute sie an, mit seinen blauen Augen, in denen sich etwas verbarg, das nicht ungefährlich war.

Eine Raubkatze vor dem Sprung.

Penelope errötete ob ihrer Gedanken, und der Chief Inspector blickte sie weiterhin an, ohne mit den Wimpern zu zucken.

Dann sagte er: „Jetzt sind Sie an der Reihe, Miss Lane. Der Grund Ihrer Anwesenheit ist klar. Sie sind die weibliche Hauptdarstellerin in diesem Spiel.“

„Spiel?“, fragte Penelope.

„Schauspiel. Das, was Schauspieler aufführen.“

„Sie meinen, es handle sich um ein Spiel?“

„Das, was Sie auf die Bühne bringen, ist ein Spiel. Was wir heute hier erlebt haben, unterscheidet sich nicht davon. Das Licht erlischt, ein leuchtender Schlüssel schwebt durch den Raum, ein Mensch geht sterbend zu Boden.“

„Sie haben gesagt, es könnte sich um einen Unfall handeln.“

„Oder um Selbstmord“, bestätigte der Chief Inspector. „Gegen diese These spricht allerdings, dass die Kanten des Schlüssels so scharf waren, dass das Opfer Schnittwunden erlitten hat. Wunden, durch die Gift in den Körper eindringen konnte.“

„Ein Mordanschlag.“

„Vermutlich.“

„Und Sie verdächtigen mich.“

„Eine interessante Annahme, die sich worauf gründet?“

„Auf den Umstand, dass Sie mich zur Chefsache gemacht haben. Zunächst mein Onkel ...“

„Und dessen Diener.“

„Nun ich.“

„Nach Ihnen Ihr Cousin. Die Reihenfolge der Einvernahmen ergibt sich aus den Zusammenhängen, den familiären Verbindungen.“

„Ah ja?“, fragte Penelope und musste lachen.

Daraufhin senkte der Chief Inspector verschämt den Blick und schien das erste Mal an diesem Abend verunsichert zu sein.

Penelope nützte die Chance und fuhr in ihren Überlegungen fort: „Onkel Hervey kann es nicht gewesen sein. Er sitzt im Rollstuhl, und Binny ...“

„Täter und Komplize. Außerdem wissen wir als Konsumenten von Fernsehkrimis sehr genau, dass die meisten Unschuldigen im Rollstuhl irgendwann aufstehen, durch den Raum gehen, die Heldin bedrohen und ihre Untaten gestehen.“

„Onkel Hervey ist wirklich gelähmt. Seit einem Autounfall, bei dem meine Eltern ums Leben kamen.“

„Ja.“

„Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein?“

„Wollen Sie Lügen, geheuchelte Gefühle?“

„Wie das bei uns Theatermenschen so üblich ist“, setzte Penelope eins drauf.

„Danke, ich spreche selbst für mich.“

„Und zwar? Was sprechen Sie?“

„Sie sind eine eigenständige Person um die ...“

„Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt.“

„Eigenständig, selbstbewusst, intelligent. Natürlich war der Verlust Ihrer Eltern tragisch, als er geschah. Da Sie sich aber so ideal weiterentwickelt haben, nehme ich an, dass Sie gut betreut wurden.“

„Ich kam zu einer Schwester meiner Mutter, die wunderbar für mich sorgte. Um das Finanzielle kümmerte sich ... kümmert sich Onkel Hervey.“

„Er ist Geldverleiher.“

„So würde eine übel meinende Beschreibung seiner Tätigkeit lauten.“

„Und wie nennen Sie das, was er macht?“

„Finanzberatung.“

„Ah ja.“

„Ah ja. Und jetzt zum Verhör. Was wollen Sie von mir wissen?“

„Noch sind wir bei den Personalien. Ihr Vermögen wird also von Ihrem Onkel verwaltet.“

„Meine Eltern waren wohlhabend. Sehr wohlhabend“, bestätigte Penelope.

„Nun eine private Frage: Warum sind Sie Schauspielerin geworden?“

„Sie meinen, das wäre nichts für eine junge Frau aus reichem Haus?“

„Es ist zumindest außergewöhnlich“, gestand der Chief Inspector und blickte forschend in Penelopes Augen.

Vergeblich versuchte sie, ruhig zu bleiben. Sie spürte Wärme in ihrem Gesicht, Hitze und hoffte, das Make-up würde ihr Erröten verbergen.

Sie wollte kein offenes Buch für diesen Mann sein, vor dem Roderick sie gewarnt hatte. Womöglich war er wirklich gefährlich, ein Tänzer zwischen den Welten des Rechts und der Ordnung und ...

„Ich frage“, fuhr der Chief Inspector fort, „weil ich selbst als Schauspieler begonnen habe. Ihr Cousin und ich hatten denselben Lehrer. Barry Bansford, der bei ihm Wunder gewirkt, aber bei mir versagt hat. Also bin ich zur Polizei gegangen.“

Penelope reagierte überrascht auf diese Aussage.

„Ja“, sagte der Chief Inspector und lächelte sie derart entwaffnend an, dass sie sich in seinen hellen Augen verlor. „Aber ich bin zufrieden. Etwas Schauspielerei schadet auch im jetzigen Beruf nicht. Welchen Eindruck hatten Sie vom Ermordeten?“

„Kein leichtes Thema“, räumte Penelope ein. „Man neigt dazu, Chefs entweder zu verherrlichen oder zu verteufeln ...“

„Also beginnen wir mit seinen positiven Seiten“, schlug Milton Player vor.

„Mike ist ... war ein guter Organisator. Organisatorisch war bei uns alles in Ordnung. Er beherrschte auch das Handwerk eines Regisseurs, seine Inszenierungen hatten Hand und Fuß. Er hat mir und den anderen weiblichen Mitgliedern des Ensembles keine Avancen gemacht. Und das ist ein besonders positiver Punkt. Ich kenne das anders.“

„Der Umstand, dass der junge Autor sein Mann ist, erklärt das, meine ich.“

„Ja, Mike war schwul, Moran ist ... war sein Ehemann. Das ist am Theater nichts Außergewöhnliches.“

„Ich weiß.“

„Natürlich.“

Nach einem Moment des Schweigens ergriff der Chief Inspector erneut das Wort: „Mir wäre sehr daran gelegen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Miss Lane.“

„Sie wollen Scotland Yard verlassen und auf die Bühne zurückkehren?“, fragte Penelope überrascht.

„Ein interessanter Vorschlag. Aber nein. Ich möchte Sie bitten, Augen und Ohren offenzuhalten und zu mir Kontakt aufzunehmen, wenn es etwas zu berichten gibt. Sie sind Insider, Sie ...“ Nun unterbrach sich der Inspector selbst. „Oder haben Sie schon eine Vermutung, was hinter dem Tod von Mike Hennessey stecken könnte?“

„Nicht wirklich“, erwiderte Penelope mit einem Kopfschütteln. „In den Kriminalromanen, die ich so gerne lese, ist immer von einem Motiv die Rede. Also frage ich mich, wer erbt, halte diese Frage aber für wenig zielführend.“

„Warum?“, erkundigte sich der Chief Inspector lächelnd.

„Weil es nicht viel zu erben gibt. Soweit ich das überblicke, ist Mike nicht besonders reich gewesen. Das Geld, das das Stück finanziert, kommt aus unbekannter Quelle. Also muss es einen anderen Grund für den Mord geben. Wenn es sich um einen solchen handelt“, verbesserte sich Penelope rasch.

„Liebe, Hass, Eifersucht, Rache“ ergänzte der Chief Inspector. „Aus diesem Grund ist es wichtig, die menschlichen Hintergründe kennenzulernen.“

„Ich bin dazu bereit.“

„Oh“, sagte Player erfreut, überreichte Penelope seine Visitenkarte mit der Telefonnummer und meinte dann, dass es nützlich wäre, auch ihre Telefonnummer zu kennen. „Rein beruflich natürlich. Denn Sie sind ja in festen Händen.“

„So fest sind diese Hände nicht“, korrigierte ihn Penelope. „Wir sind Freunde seit Kindertagen. Roderick ist mein Cousin.“

„Ich verstehe“, sagte der Chief Inspector und verwahrte Penelopes Visitenkarte sorgfältig in seiner Brieftasche.

„Haben Sie schon jemanden in Verdacht, Inspector?“, fragte sie dann ganz direkt.

„Ich versuche, meinen Blick nicht durch Verdächtigungen einzuengen. Dafür ist es zu früh, dafür liegen zu wenige Fakten vor.“

„Aber Sie haben jemanden im Visier.“

„Ich sehe eine Möglichkeit vor meinem geistigen Auge“, bestätigte der Chief Inspector. „Und ich hoffe sehr, dass ich mich irre. Denn bewahrheitet sich mein Verdacht, wird das ein sehr schwieriger, sehr gefährlicher Fall.“

„Also, jedenfalls kein Unfall, sondern Mord. In Ihren Augen.“

Der Chief Inspector bestätigte dies nickend.

---ENDE DER LESEPROBE---