Die Null-Euro-Tour - Kein Geld, keine Sicherheit, aber jede Menge Gottvertrauen - Johannes Bartels - E-Book

Die Null-Euro-Tour - Kein Geld, keine Sicherheit, aber jede Menge Gottvertrauen E-Book

Johannes Bartels

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Beschreibung

Die "Null-Euro-Tour" kommt ohne Geld und ohne Sicherheiten aus - und wird für die Teilnehmenden zur unbezahlbaren Erfahrung. Auf der Suche nach Arbeit, Essen und Quartier ereignet sich Erstaunliches: Menschen öffnen spontan ihre Türe und ihren Kühlschrank für bis zu 20 Jugendliche, die plötzlich auf ihrer Matte stehen. Ein frisch gebackener Vater feiert mit ihnen die Geburt seines Kindes. Ein Hotelier präsentiert stolz seinen Tanzsaal und wird spontan zum DJ, während die Jugendlichen tanzen. Es drängt sich der Eindruck auf: Da ist jemand, der das alles arrangiert. So kommt es in all dem auch zu Begegnungen mit Gott. "Ein absolut spannender und aufregender Reisebericht, ein Handbuch für verrückte Jugendliche und junge Erwachsene zum Nachahmen oder einfach nur zum Staunen, wie Gott schützt, trägt, durchhilft und motiviert." Arno Backhaus

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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Für Doris, meine liebe Frau

und Doris, die Gastgeberin der Null-Euro-Tour 2019

Inhalt

Kopieren erlaubt! Vorwort von Arno Backhaus

Null-Euro-Tour – ein Konzept mit Potenzial

Auf der Null-Euro-Tour erlebt – Erfahrungen aus den Jahren 2015 – 2024

„Das gibt’s doch nicht: Ein Mann, der bügelt!“

- Vom Erzgebirge ins Vogtland 2015

„Seid ihr Islamisten?“

- Oberlausitz 2016

Auf Luthers Spuren

- Lutherweg im Sächsischen Burgenland 2017

Wenn der Hotelier zum DJ wird

- Sächsische Schweiz 2018

„Könnt ihr nicht einfach noch eine Woche bleiben?“

- Zittauer Gebirge 2019

„Null-Euro-Tour light“

- Von Meißen nach Dresden 2020

„Ohne Handy ist es eigentlich viel schöner!“

- Wolkensteiner Schweiz 2021

Die „Hardcore-Null-Euro-Wellness-Tour“

- Vogtländische Schweiz 2022

„Die Zukunft der Kirche, das seid ihr!“

- Leipziger Seenlandschaft 2023

„Schaut auf die Vögel des Himmels!“

- Mittweidaer Schweiz 2024

Sieben Markenzeichen der Null-Euro-Tour

Gottvertrauen

Beziehung

Abenteuer

Niedrigschwelligkeit

Lernen in der Begegnung

Nachhaltigkeit

Kommunikation des Evangeliums

Fragen und Antworten zur Null-Euro-Tour – die wichtigsten Praxistipps

Anhang

Akteure der Null-Euro-Tour

Packliste

Literatur

Bildnachweis

Kopieren erlaubt!

Vorwort von Arno Backhaus

Als ich 1985 mit 12 Kindern zwischen 12 und 14 Jahren in Nordhessen drei Tage querfeldein gewandert bin, ohne Geld, Karte, Kompass, Zelt und ohne Ziel, konnte ich nicht ahnen, dass das Experiment 30 Jahre später verfeinert und „professioneller“ durchgeführt würde. Ein bunt gewürfelter Haufen von 20 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Sachsen macht sich sechs Tage auf den Weg, versucht sich, ohne einen Euro in der Tasche, schlafensmäßig, arbeits- und verpflegungsmäßig durchzuschlagen, frei nach dem biblischen Motto: „Schafft euch kein Reisegeld, weder Goldstücke noch Silber- oder Kupfergeld! … Denn wer arbeitet, hat ein Anrecht auf Unterhalt.“ (Matthäus 10,9-10).

Ein absolut spannender und aufregender Reisebericht, ein Handbuch für verrückte Jugendliche und junge Erwachsene zum Nachahmen oder einfach nur zum Staunen. Wer den Reisebericht „Mit 50 Euro um die Welt“ von Christoph Schacht verschlungen hat, findet hier, auf kleiner deutscher „Sparflamme“, ähnliche außergewöhnliche Berichte, wie Gott schützt, trägt, durchhilft und motiviert. Denn die Null-Euro-Tour lebt vom Gottvertrauen. Was 2015 als Experiment begonnen hat, ist inzwischen zur Institution geworden. Seit 2015 findet die Null-Euro-Tour jedes Jahr statt. Auch an anderen Orten in Deutschland.

Arno Backhaus

Null-Euro-Tour – ein Konzept mit Potenzial

Wir leben im Zeitalter des „Übertourismus“: Angesagt sind Flugreisen, Kreuzfahrten, All-inclusive-Angebote. Was für viele vielleicht aufregend klingt, ist in der Praxis aber oft wenig spannend: Alles ist durchgeplant und durchgestylt, es gibt kaum Spielraum für spontane Begegnungen oder unvorhergesehene Herausforderungen. Abgesehen davon können sich viele solche Reisen gar nicht leisten. Und von Nachhaltigkeit wollen wir gar nicht erst reden…

Doch es gibt auch Gegenmodelle eines sanften Tourismus. Eines davon ist die „Null-Euro-Tour“. Sie kommt ohne Geld und ohne Sicherheiten aus – und wird für die Teilnehmenden in den meisten Fällen doch zur unbezahlbaren Erfahrung.

Bisher ist die Null-Euro-Tour höchstens ein Geheimtipp – zu Unrecht, wie ich finde. Das Konzept hat so viel Potenzial, dass es etwas mehr Aufmerksamkeit verdient. Dafür habe ich dieses Buch geschrieben.

Ich möchte hier das Konzept der Null-Euro-Tour vorstellen. Dazu dienen zunächst eigene Erfahrungsberichte aus den Jahren 20152024. Daran anschließend reflektiere ich das (religions-)pädagogische Potenzial der Null-Euro. Einige Hinweise für die Praxis runden die Sache ab.

Meiner Frau Doris danke ich für die vielfältige Unterstützung – nicht zuletzt durch gründliches Korrekturlesen.

Auf der Null-Euro-Tour erlebt – Erfahrungen aus den Jahren 2015 – 2024

„Das gibt’s doch nicht: Ein Mann, der bügelt!“ Vom Erzgebirge ins Vogtland (2015)

Montag, 13.7.2015

Am Bahnhof des Erzgebirgsdorfs Hartenstein treffen nach und nach schwer bepackte Jugendliche aus verschiedenen Teilen Sachsens ein. Am Ende sind es 20 Personen. Bis auf drei sind alle anderen zwischen 14 und 20 Jahre alt.

Jeder kennt höchstens zwei oder drei andere aus der Gruppe, alle anderen begegnen einander zum ersten Mal. Zum Kennenlernen gibt es daher eine Übung: den „Fröbelkran“, auch „Tower of Power“ genannt, ein Teamspiel mit dem Ziel, gemeinsam einen Turm aus sechs Holzklötzen zu bauen. Dafür bekommt jede und jeder einen Strick in die Hand. Alle Stricke führen in der Mitte zu einer Holzplatte zusammen, an der ein Drahtbügel hängt. Damit werden die Holzklötze aufgerichtet und nach und nach aufeinandergestellt. Eine knifflige Gemeinschaftsaufgabe: Es ziehen ja alle in verschiedene Richtungen – und trotzdem müssen sie lernen, sozusagen an einem Strang zu ziehen. Es dauert fast eine halbe Stunde! Doch am Ende ist der Turm komplett. Die gemeinsame Herausforderung ist gemeistert.

Aber das ist erst der Anfang. Denn als nächstes werden die Portemonnaies und Handys der angereisten Jugendlichen eingesammelt und in die Obhut eines Teilnehmervaters gegeben, der sie für uns aufbewahren wird, und zwar für die nächsten sechs Tage – bis zum Ende der Null-Euro-Tour. Das nämlich ist die eigentliche Herausforderung: die „Null-Euro-Tour“. Eine Tour ohne Geld und ohne organisierte Quartiere. Eine Art Work and Travel im Kleinen und im Großen. Im Kleinen: Es geht um den überschaubaren Zeitraum von sechs Tagen. Im Großen: Wir sind eine 20köpfige Gruppe! 20 Personen sind im Begriff, gemeinsam auf Wanderschaft zu gehen, ohne zu wissen, wo sie am Abend schlafen werden. Und essen. Und sich waschen.

Das ist ein echtes Wagnis. Und mir, dem Leiter dieses Unternehmens, ist schon etwas mulmig, zugegeben. Doch wir haben uns im Vorfeld für diese „Hardcore-Version“ der Null-Euro-Tour entschieden. Also ohne organisierte Quartiere. Ohne Sicherheitsnetz. Weit außerhalb der Komfortzone.

Wir haben auch über die Variante mit organisierten Unterkünften gesprochen. Null-Euro-Tour light sozusagen. Anderswo ist diese Variante üblich. Doch unser Team will es wissen. Wenn schon, denn schon!

Aber die Fragen drängen sich natürlich auf: Werden wir tatsächlich immer einen Platz zu Schlafen finden? Und Essen und Trinken? Und ab und zu eine Waschgelegenheit, wenn’s geht? Und das alles für 20 Personen, viele davon mitten in den Wachstumsjahren und folglich mit gesegnetem Appetit ausgestattet?

Und ebenso wichtig: Werden wir Gelegenheit finden, uns erkenntlich zu zeigen? Werden wir arbeiten können?

Und dann ist da natürlich auch noch die Frage nach dem Wetter: Werden wir, wenn nötig, ein Dach über dem Kopf haben? Gut, wir haben zwei Tarps dabei, Zeltplanen, die man zwischen die Bäume spannen oder am Gartenzaun befestigen kann. Aber was sind zwei Tarps, wenn es einmal richtig stürmt und prasselt?

Das sind schwierige Fragen, und ich kann, je näher das Abenteuer rückt, eine gewisse Unruhe nicht leugnen.

Jetzt also ist der Zeitpunkt gekommen.

Bevor es losgeht, bitten wir Gott um seinen Segen zu unserer Reise. Denn die Null-Euro-Tour ist nicht einfach ein Just-for-fun-Ding. Sie ist eine Art Umsetzung von Matthäus 10, also der Anweisungen, die Jesus seinen Jüngern mit auf den Weg gibt, als er sie aussendet. Wir wollen, wenigstens für eine Woche, ernstnehmen, was Jesus seinen Jüngern aufträgt: „Schafft euch kein Reisegeld, weder Goldstücke noch Silber- oder Kupfergeld! … Denn wer arbeitet, hat ein Anrecht auf Unterhalt.“ (Matthäus 10,9-10)

Die Idee dazu fand sich im Internet. Auf der Suche nach Freizeitaktionen mit dem Blick über den Tellerrand, wurde ich beim Essener Weigle-Haus und der Evangelischen Gemeinde Schönblick (Schwäbisch Gmünd) fündig. Seit mehreren Jahren fanden dort Null-Euro-Touren statt, über die anschließend im Netz berichtet wurde. Ich war sofort begeistert. Und bald war mir klar: So was machst du auch!

Einige Zeit später posteten ein paar Jugendliche, die ich aus der Jugend der Kirchgemeinde Hartenstein kannte, ein Foto von einer Nachtwanderung. Die Jugendlichen sahen so abenteuerlustig aus, dass ich spontan dachte: Das sind meine Mitarbeiter!

Spontan schickte ich ihnen das Konzept der Null-Euro-Tour und schrieb dazu: „Für nächstes Jahr hätte ich mal eine völlig neue Idee: die ‚Null-Euro-Tour‘. Ich hätte Lust, das mal auszuprobieren. Und ihr könntet dabei sein – als Mitarbeiter. Was meint ihr?“

Ich brauchte nicht lange zu betteln. Drei von den Jungen waren sofort interessiert: Elias, Stephan und Lukas. Später fand ich auch noch eine Gemeindepädagogin, die verrückt genug war, mitzukommen: Bringfriede. Damit war auch für spezifische weibliche Themen der Teilnehmerinnen eine Ansprechpartnerin im Team.

Und dann ging die Werbung raus. Der Wortlaut folgte weitgehend dem des Flyers der Null-Euro-Tour der Kirchgemeinde Schönblick. Sven Siegler hatte so wunderbare Worte gefunden – ich hätte es nicht besser ausdrücken können:

0-€-Tour - die all-exclusive Freizeit

Echte Abenteuer erleben, uns wirklich kennen lernen, an unsere Grenzen kommen, ausprobieren, ob Gott wirklich handelt, das sind die Ziele unserer 0-€-Tour.

All exclusive bedeutet hier: Keine Handys, kein Geld, keine Zelte, kein Programm, kein fester Plan.

„All you can eat“ bedeutet hier: Du kannst alles essen, was du in der Natur (Ungiftiges) findest, was du geschenkt bekommst oder wir uns gemeinsam verdienen.

„Animationsprogramm“ bedeutet hier: echte Leiter, spürbare Erfahrungen, improvisierte Spiele, Abenteuer ohne fake.

„Im Glauben wachsen“ bedeutet hier: Gebete ums tägliche Brot, überraschende Wunder, ehrliche Gespräche, gemeinsames Leiden – gemeinsame Freude.

Und die Unterkunft? Milliarden-Sterne Luxus-Suiten unter freiem Himmel, Gemeindehäuser, Gartenlauben, Keller, …

Konkret: Wir laufen in Hartenstein los und laufen von dort ins Vogtland, wo wir einen Tag an der Talsperre Pöhl verbringen werden. … Wir planen keine Route und haben weder Nahrung noch Geld oder Zelte dabei. Wir bieten Menschen unsere Hilfe an und bitten dafür um Verpflegung, Unterkunft oder Spenden. Wir erwarten ein echtes Abenteuer und gleichzeitig viel Ruhe und tolle Gemeinschaft.

Da nur 20 Plätze zu vergeben waren, verzichteten wir auf Flyer. Die Werbung beschränkte sich auf Mund-zu-Mund-Propaganda und Social Media. Die Entscheidung erwies sich als richtig, denn auch so wurden die 20 Plätze schnell voll. Drei Jugendlichen mussten wir sogar absagen; sich mit mehr als 20 Personen spontan bei jemandem einzuladen, das wäre wohl doch etwas zu viel verlangt.

Interessanter Weise waren es nicht nur Jungen, die sich für die Tour interessierten. Die ersten, die sich anmeldeten, waren Mädchen. Es waren überhaupt mehr Mädchen als Jungen. Und nur weil das Mitarbeiter-Team überwiegend männlich war, war das Geschlechterverhältnis am Ende insgesamt ausgeglichen: zehn Abenteurer und zehn Abenteuerinnen.

Auch vom Alter her waren die Teilnehmenden gut durchmischt: Die Altersspanne reichte von 14 bis 20. Eigentlich hatten wir als Mindestalter 15 Jahre festgesetzt. Doch Sara, ein Mädchen aus meinem Dorf, wollte unbedingt mit, obwohl sie erst 14 war. Da die Eltern nichts dagegen hatten, und da ich sie als zähes Mädchen kannte, drückte ich ein Auge zu, sehr zur Freude ihrer ebenfalls teilnehmenden Freundin Edda – meiner Tochter.

Jetzt, wo ich am Treffpunkt in Hartenstein die Rucksäcke sehe, mit denen die Teilnehmenden – zum Teil recht zierliche Mädchen – eintreffen, beschleichen mich doch leise Zweifel, ob es wirklich so gut ist, schon so junge Mädchen mitzunehmen. An die Empfehlung, möglichst nur sieben Kilo Gepäck mitzunehmen, hat sich jedenfalls kaum jemand gehalten. Es stellt sich heraus, dass die meisten zehn Kilo und mehr im Rucksack haben. Den Rekord erzielt Georg mit 19 Kilo!

Nun ja, das Gepäck zu reduzieren, dafür ist es jetzt zu spät. Irgendwie muss es so gehen. Zur Not müssen die Stärkeren die Schwächeren entlasten und ihnen Gepäck abnehmen.

Also los! Bevor sich das Mittagsloch im Magen so richtig breit macht und die Euphorie gleich zu Beginn einen Dämpfer bekommt, starten wir. Als erstes geht es Richtung Süden, hinauf ins Gebirge. Wir haben perfektes Wanderwetter: für den Hochsommer zu kühl, aber dadurch genau richtig zum Laufen. Halb fünf erreichen wir Schneeberg-Griesbach. Wenn wir noch arbeiten wollen, müssen wir jetzt schnell nach einer Möglichkeit suchen. Da wir unsere Chancen geringschätzen, gleich für 20 Leute Arbeit und/oder Quartier zu finden, teilen wir uns in Kleingruppen auf. Elias und drei Teilnehmer werden bald fündig: Sie jäten Unkraut und bekommen dafür Pizza, allerdings kein Quartier. Aber immerhin: Vier hungrige Jungen werden schon mal satt. Lukas und drei andere Teilnehmende finden Arbeit auf dem Möckel-Hof: Das Auto bekommt eine Intensiv-Wäsche. Weitere drei Teilnehmende und ich verhandeln mit einem anderen Landwirt: Arbeit und Essen hat er zwar nicht, und das mit dem Quartier: nun ja, zur Not. Aber wir sollen uns erst mal noch woanders umschauen. Und wenn alle Stricke reißen, dann können wir auf seiner Wiese schlafen.

Jetzt ist Griesbach nicht wirklich groß. Die Zahl großzügiger Grundstücke ist übersichtlich. Erst recht gilt das für die Zahl großzügiger und zugleich spontaner Gastgeber. Also landen auch wir auf dem Möckel-Hof, ebenso wie letztlich auch die restlichen beiden Gruppen, die nach und nach eintrudeln. Arbeit gibt es zwar außer dem einen Auto, das gerade gewaschen wird, weiter keine. Aber die Bäuerin versteht unsere Lage – und ringt sich dazu durch, uns ihre Scheune zu öffnen. Wir sind dankbar und erleichtert, erst recht, als sie mit dem frisch gewaschenen Auto losfährt, um uns etwas zu essen zu kaufen! Inzwischen wirft der Junior schon mal den Grill an, und dann gibt es Bratwurst und Toastbrot.

Da es angefangen hat zu regnen, nehmen wir das Essen in der Scheune ein. Es ist eng, aber wir finden alle einen Sitzplatz, und einen Tisch haben wir auch. Es sind jetzt auch keine Massen zu essen, aber wir haben etwas im Magen und damit sind wir zufrieden.

Nach dem Essen gesellt sich Günther Möckel, der Senior, zu uns. Anfangs wirkt er noch etwas reserviert, doch dann findet er ein Thema, über das er gerne redet: der Krieg und die Verbrechen der Nazis. Ich höre mir die alten Geschichten an. Herr Möckel ist ein aufrechter Mann, der offenbar versucht hat, im Rahmen seiner Möglichkeiten Widerstand zu leisten. Ich erzähle ihm von meiner Großmutter, die ebenfalls im Krieg viel erlebt hat. Ihr Fluchttagebuch ist später als Buch veröffentlicht worden. Die Erlebnisse dieser mutigen und tapferen Frau gehören zum Geschichten-Schatz meiner Familie, und Herr Möckel hört interessiert zu.

Nach etwa einer Stunde verschwindet er. Ich habe die Chance, mich um die Gruppe zu kümmern und beginne ein Spiel: „Äffchen - Äffchen - Elefant“. Es geht darum, einen völlig sinnfreien Spruch aufzusagen, begleitet von einer simplen Finger-Choreografie. Nachdem ich das vorgemacht habe, geht es reihum, und jeder versucht, die kleine Übung richtig nachzumachen. Der Haken ist: Zu der Choreografie gehört auch das Armeverschränken am Ende. Erfahrungsgemäß dauert es eine Weile, bis das alle verstanden haben. Ein lustiges kleines Spielchen, das immer für Spaß sorgt – selten jedoch für so viel Spaß wie an diesem Abend. Denn ausgerechnet der kluge Stephan, der Mitarbeiter, der sonst auf alles einen schlauen Kommentar weiß, steht an diesem Abend völlig auf dem Schlauch! Am Ende dauert es eine geschlagene Stunde, bis der Groschen schließlich auch bei ihm fällt. Zum Glück kann Stephan damit umgehen, dass sich alle auf seine Kosten köstlich amüsieren.

Nachdem die Sache mit dem Äffchen und dem Elefanten endlich geklärt ist, kommt der alte Landwirt Möckel noch mal zu mir, diesmal mit einem seelsorgerlichen Anliegen. Offenbar hat er Vertrauen gefasst und redet sich jetzt eine dicke Portion Kummer von der Seele. Es scheint ihm gut zu tun, ein offenes Ohr zu finden, und es stört ihn auch nicht, dass direkt neben ihm die Jugendlichen feiern. Im Gegenteil: Für ihn sind wir „echte Kumpel“.

Irgendwann ist es Zeit, schlafen zu gehen. Herr Möckel gibt noch eine Bauernweisheit zum Besten: „Wer lange schläft, hält’s Bett lang warm – wer früh aufsteht, der frisst sich arm.“ In diesem Sinne verabschiedet er sich. Vor dem Schlafen nutzen besonders die Jüngeren unter uns noch die Gelegenheit, die Scheune als Abenteuerspielplatz in Besitz zu nehmen. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, aus zwei Metern Höhe nach Herzenslust ins Heu zu springen? Spätestens nach dieser Spiel- und Tobestunde sind alle müde genug. Wir sprechen noch ein Dankgebet und versinken erschöpft in den Schlaf.

Dienstag, 14.7.2015

Der zweite Tag beginnt mit einem eher bescheidenen Frühstück. Zum Glück haben wir am Vortag in einer Bäckerei ein paar Brötchen und etwas Brot abgestaubt. Von den Landwirten bekommen wir dazu Kaffee und Tee, ein Stück Butter, Marmelade, Blut- und Leberwurst aus eigener Schlachtung – alles in eher überschaubaren Mengen, aber immerhin: Wir sind ausgeschlafen; wir dürfen die Toilette im Haus benutzen, und der Wassertrog im Hof steht uns zum Waschen zur Verfügung.

Nach dem Frühstück laufen wir weiter ins Gebirge. Es nieselt. Es ist auch nicht wirklich warm. Und wir sind auch nicht wirklich satt.

Bereits in Lindenau fangen wir an, nach Arbeit zu suchen – doch vergeblich. Keiner der Landwirte hat Arbeit für uns. Auf der Karte finden wir einen Pferdezuchthof, der auf der Strecke liegt. Unsere Stimmung steigt, denn auf so einem Pferdehof gibt es doch eigentlich immer was zu tun, oder? Also laufen wir hin und klingeln. Der Besitzer starrt uns feindselig an. Wir bringen unser Anliegen vor. Doch der Mann sagt nur: „Das hier ist ein Privatweg, da habt ihr nichts zu suchen. Seht zu, dass ihr fortkommt!“ Das war wohl nix. Wir schütteln den Staub von den Füßen und setzen trotzig unsere Wanderung fort.

Nach dreistündigem Marsch sind wir mittags in Lichtenau. Wir sind erschöpft und hungrig. Unterwegs haben wir von Schokolade und anderen Leckereien phantasiert, die jetzt schön wären. Doch das waren halt Phantasien. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ernüchterung macht sich breit.

Um die Moral etwas zu heben, verteile ich die mitgebrachten Müsliriegel. Ganz wohl ist mir dabei nicht, schon am zweiten Tag den Notproviant anzutasten. Doch was wäre die Alternative?

Vielleicht mal irgendwo klingeln, auch wenn die Häuser nicht gerade so aussehen, als gäbe es hier Arbeit? Aber gut, einen Versuch ist es ja wert. Wir klingeln an der nächstbesten Tür – und bekommen immerhin eine Packung Butterkekse! Die Packung enthält 30 Kekse. Das heißt, jeder bekommt genau anderthalb Kekse. Das ist nicht viel, aber es ist mehr als nichts. Und: Nie hat Butterkeks so gut geschmeckt wie in diesem Augenblick!

Damit ist die Wende eingeleitet. Von nun an geht es bergauf, erst mit der Moral und dann auch mit dem „Erfolg“. Denn bald darauf finden wir zwei Kirschbäume, die am Straßenrand geradezu auf uns gewartet haben. Unzählige rote Kirschen hängen an den Bäumen, viele so tief, dass wir uns nur auszustrecken brauchen. Höher hängende Kirschen werden von Sara, unserem Fliegengewicht, auf meinen Schultern sitzend, in Georgs Lederhut gesammelt. Meine Aufforderung „Esst – ihr wisst nicht, wann es wieder was gibt!“ wird von nun an zum geflügelten Wort.

Doch die nächste Gelegenheit kommt schon bald: als nämlich Lukas auf einem Firmenparkplatz einen Autoschlüssel findet. Er geht mit dem Schlüssel in die Firma – und kommt mit einer Tüte Waffelgebäck wieder raus.

In der Zwischenzeit fragen wir zu dritt bei der benachbarten Baumschule Vogel nach Arbeit. Frau Vogel hat zwar keine Arbeit für uns, aber frisch gebackenen Kuchen für den bevorstehenden Kindergeburtstag. Für uns drei müsste der Kuchen auch noch reichen, meint sie. Was sie erst danach mitbekommt, ist, dass um die Ecke noch 17 weitere hungrige Mäuler warten. Doch erstaunlicherweise bringt sie das nicht aus der Ruhe. Gut, der Kuchen reicht dann wohl doch nicht, aber sie hat sofort eine andere Idee. Wir sollen nur erst mal hereinkommen. Auf dem Gelände gibt es eine abgelegene Sitzecke an einem Teich. Frau Vogel lässt weitere Bänke und einen Tisch dorthin bringen, fährt zur Bäckerei und kehrt bald darauf schwer beladen zurück. Es sieht so aus, als habe sie die halbe Bäckerei leer gekauft. Wie sie da so ankommt mit einer großen Brötchentüte in jeder Hand, das ist so unerwartet, dass es für uns schon fast Offenbarungsqualität hat. Sie stellt dann auch noch Butter und Marmelade auf den Tisch – und setzt sich sogar noch zu uns. Wie gesagt, der Kuchen ist ja schon gebacken. Und wie sie da so sitzt, gibt es plötzlich ein wechselseitiges Erkennen: Wie sie trägt nämlich auch Tabea, eine der Teilnehmerinnen, ein Armband mit dem Aufdruck „Awakening Europe“. Beide haben das Armband am Wochenende zuvor auf einem evangelistischen Kongress in Nürnberg erhalten. Das erklärt vielleicht die ungewöhnliche Offenheit dieser Frau. Für mich ist das jedenfalls jetzt endgültig so ein Moment, wie ich mir den Moment vorstelle, in dem Mose plötzlich vor dem brennenden Dornbusch steht.1

Inzwischen haben unsere Mägen eine gewisse Grundlage erhalten, und so geht es gestärkt weiter Richtung Stützengrün. Die Stimmung ist bestens. Doch unsere Gedanken wandern langsam, aber sicher zu der Frage, wo wir die Nacht verbringen werden. Und da wir ja auch noch Zeit zum Arbeiten brauchen, beschließen wir, mit der Arbeits- und Quartiersuche zu beginnen, sobald wir nach Stützengrün kommen. Sprich: Beim ersten Hof, an dem wir vorbeikommen, wird geklingelt!

Doch zu klingeln brauchen wir gar nicht. Denn der erste Hof, an dem wir vorbeikommen, ist der Hof von Annelie und Martin Fischer. Und die stehen gerade vor der Tür. Eben haben sie Gäste verabschiedet, und im nächsten Moment tauchen 20 schwer bepackte Jugendliche vor ihrem Haus auf. Die Fischers staunen nicht schlecht, fragen, wer wir so sind, und ob wir vielleicht was trinken wollen. Das wollen wir. Also werden wir gebeten, auf ihrer geräumigen Terrasse Platz zu nehmen. Wir bekommen Kaffee, Milch, Wasser und Cappuccino. Als sich dann herausstellt, dass wir nicht nur trinken wollen, sondern auch essen und am liebsten auch gleich noch übernachten, geht das Staunen weiter. Doch es ist ein wohlwollendes Staunen, und so zögern die beiden nicht lange und überlassen uns ihre Scheune. Arbeit haben sie zwar gerade nicht für uns – höchstens ein bisschen aufräumen in der Scheune und Salate zubereiten fürs Abendessen. Aber wir sind willkommen. Sehr sogar. Während einige die Scheune kehren und eine Ecke zum Schlafen aufräumen, bereiten einige Mädchen mit Frau Fischer das Abendessen zu.