Die Paschkes - Auf Wiedersehen in Werfenweng - Sabine Pires - E-Book

Die Paschkes - Auf Wiedersehen in Werfenweng E-Book

Sabine Pires

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Beschreibung

Erzieherin Antonia-Petra Paschke hat es geschafft ihr Leben zu ordnen, auch ist sie endlich in Lohn und Brot. Alles scheint geregelt. Statt sich wohlverdient auf Mallorca zu entspannen, kommt ihr ein insgeheim geschmiedeter Familienurlaub in die Quere.Dieses Mal wollen die Berge und Abfahrten des Tennengebirges erkundet werden. Hinterrücks schlägt dabei das Schicksal zu und katapultiert Antonia ungewollt auf überraschend andere Lebensbahnen. Die Berliner Autorin S. de S.A.Pires beschreibt auf erfrischend schwarzhumorige Weise eine neue Episode aus dem Leben der Paschkes.

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Die Paschkes

Auf Wiedersehen in Werfenweng!

Von

Sabine Pires

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-414-3

MOBI ISBN 978-3-95865-415-0

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

  

Für Christa

 

 

Einen besonderen Dank der Gemeinde Werfenweng, meiner Familie, Freunden und Kollegen.

 

 

 

-1-

Tempus fugit – Zeit flieht, behauptet mein gebildeter Großonkel Roman stets. Gerechtfertigte Worte, denn in null Komma nichts waren fast zwei Jahre vergangen und für die besonders Neugierigen gleich vorne weg, ich war seit wenigen Monaten endlich in Lohn und Brot.

Dieser für mich wie im Lotto vergleichbare Glückstreffer wurde von Mutter passend spröde kommentiert mit den Worten: „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn!“

Trotz Mutters situationsgegenwärtigen Sticheleien war ich zufrieden mit meinem Zeitvertrag als halbtags in einem Reinickendorfer Schulhort tätige Erzieherin. Ich gebe zu, nicht jeder würde dort gerne arbeiten wollen mit zum Teil hyperaktiven Kindern, die auf verschiedene Weise mannigfaltige Talente besitzen, auch wenn es Geduld und Mühen kostet, diese herauszukitzeln, desgleichen sie an Regeln und Respekt zu gewöhnen.

Ich liebe meinen abwechslungsreichen Beruf und jene Kinder, deren Biografien vereinzelt mehr traurig als fröhlich sind. Bis zu dieser heiß begehrten Anstellung war ich eine lange Durststrecke gegangen.

Durch mein Praktikum beim Film habe ich zwar reichlich erlebt und konnte mich, nachdem mein Arbeitslosengeld auslief, mit kleinen Nebenjobs im Filmunternehmen über Wasser halten. Doch so faszinierend und spannend diese Arbeitswelt ist, so wenig sichert sie eine grundlegende Existenz, vor allem für gering Beschäftigte. Ein regelmäßiges Einkommen ist bedeutend angenehmer. Nach wie vor studierte Torsten und das, was er als Referendar erhielt, war nicht gerade üppig. Nebenbei jobbte er weiterhin für sechs Euro die Stunde in „seiner” Videothek in Neukölln.

Der geneigte Leser wird feststellen, Antonia und Torsten existieren noch immer als Lebensgemeinschaft.

Schnell hatte sich Torsten im beschaulichen Berlin Hermsdorf eingelebt, selbst mit der Fleischermeisterin aus dem Nebenhaus war er bald per „Du”.

„Sieh ma´ zu Junge“, neckte sie, sobald er in den Laden trat, „dit da bald een Hosenmatz neben euch kräht, schon wejen der Fassjurken von uns!“

Mein Kätzchen Jorinde fand ich anstelle eines Kindes als völlig genügend. Zudem reichte unser kärgliches Geld gerade, um die monatlichen Unkosten zu decken und minimal etwas zur Seite zu legen. Den einzigen Luxus, den ich mir seit geraumer Zeit gönnte, war der monatliche Besuch bei meiner „Nageltante” auf der Residenzstraße. Torsten konnte dieses Hobby, wie er es nannte, nicht nachvollziehen. Immerhin duldete ich ja auch seinen Hang zu teuren PC-Zeitungen, die sich mittlerweile im Flur stapelten.

 

An dieser Stelle muss man nicht glauben, dass in unserer Beziehung alles harmonisch erschien. Reibungspunkte gab und gibt es reichlich. Zum Beispiel die Art wie Torsten Wäsche aufhängt, bringt mich zur Weißglut.

Wäsche muss atmen beim Trocknen und mein System ist dahingehend äußerst effektiv, behaupte ich. Mein Partner hingegen knautscht das frisch duftende „Leinen” auf den Wäscheständer, wie gerade beliebt. Selbst Socken werden im aufgeribbelten Zustand an die Leine geklammert. Ergo benötigen die Fußüberzieher an die drei Tage zum Durchtrocknen und wer bin ich, seine Socken zu glätten?

Ein weiterer Streitpunkt ist, dass ich nicht der geduldigste Mensch bin. Was ich zähneknirschend zugebe und wenn „Monsieur” kurz vor Mitternacht eine Pizza in den Ofen schiebt, oder nach seiner Videotheken-Nachtschicht sich einen Döner um halb vier Uhr morgens zu Hause einverleibt, reagiere ich entsprechend. Bei allem Verständnis für Hunger, solch Gerüche zur Schlafenszeit sind furchtbar.

Ab Rosenmontag ging es für mich gesundheitlich bergab. Nein, ich habe nicht gefeiert, die wenigsten Berliner mögen die Faschingszeit. Fortan löste jeder nicht mit meiner Nase kompatible Geruch schwere Migräneschübe aus.

Auf Arbeit drückte ich mich vor dem Mensadienst und vermied Blick und Gang zu den Schultoiletten. Leider musste ich durch hohen personellen Krankenstand weitaus mehr arbeiten, als ich wollte und hatte demzufolge mehr Stress als ohnehin schon.

Von meiner Hausärztin erhielt ich homöopathische Tropfen und den unwahrscheinlich guten Ratschlag, Stress zu vermeiden. Was beides nichts half und somit entschloss ich, meinen Zustand zu ignorieren und mich tiefer in Arbeit zu stürzen. Sei es im Hort oder in den Fernlehrgang zur Grafikdesignerin, den ich nebenbei zu absolvieren hatte.

Der Gedanke an meinen ersten Urlaub, der in greifbare Nähe rückte, ließ mich durchhalten. Drei Wochen über Ostern sollten es sein, Palmen, Sonne, Strand, Mallorca!

Torsten litt ebenfalls und das nicht nur unter meinem dünnen Nervenkostüm. Die Oberschule, an der er eingesetzt war, gehörte nicht gerade zu den Berliner Vorzeige-Schulen. Zumeist fassungslos stand er dem Gehabe der Jugendlichen gegenüber, obwohl diese, und damit meine ich vor allem die weiblichen Schüler, ihm äußerst zugeneigt waren.

Er konnte nicht verstehen, wie junge Menschen es fertigbrachten, so verquer daher zu quatschen. Allen Ernstes glaubte er bis zu Beginn seines Referendariats, ausschließlich „Erkan und Stefan” würden als Comedians Artikel und korrekte Satzstellungen vermeiden.

„Selbst mein bester Arbeitskollege und Kumpel Mustafa spricht nicht so“, schimpfte er eines Tages aufgebracht. „Wenn ich das Studium hinter mich gebracht habe, gehe ich an eine Waldorfschule.“

„Ach, da sprechen die anders?“, piesakte ich. „Lass die Kids reden. Je älter sie werden, desto mehr verliert sich ihr alberner Slang!“

„Das glaubst du tatsächlich?“

„Ich gehe einfach davon aus.“

„Seit wann bist du Optimist? Träum weiter.“

Genauso gut hätte ich mit einer Wand reden können, denn Tipps und Ratschläge nahm Torsten prinzipiell ungern an, außer sie kamen von seiner Mutter. So endeten gut gemeinte Hilfestellungen meinerseits in belastende Streitgespräche, wo ich in letzter Instanz die Schuld an allem zugeschoben bekam. Denn, wie ich mit der Zeit herausgefunden hatte, bin ich anscheinend mit einem gottähnlichen Wesen zusammen, das alles besser weiß und kann. Insbesondere sich stundenlang vor dem PC zu verkriechen, ausgenommen der Gottheit eigenen Mutter ruft an, was täglich geschah.

Miteinander reden taten wir zunehmend seltener. Nein, ein Kind brauchte ich wahrlich nicht, denn ich hatte bereits ein großes mit Drei-Tage-Bart. Höchstwahrscheinlich würde Torsten Ähnliches über mich berichten, doch bin ich diejenige die erzählt!

 

Kurz vor den Osterferien bekam unsere, nennen wir es Beziehungsdepression, eine neue Wendung.

Wir saßen an der sonntäglichen Kaffeetafel meiner Eltern. Wo auch sonst am Sonntagnachmittag? Es soll Menschen geben, die sich ein gemütliches Wochenende machen. Wir doch nicht, wir haben Familienpflichtprogramm!

Natürlich waren die kompletten Paschkes sowie Torstens Eltern anwesend. Kaum dass die Torte aufgetischt war, kam lautlos Mister Jones gekrochen. Das Katzenvieh meiner fast volljährigen Schwester Melanie, welches mit dem Hervorwürgen unverdauter Haare weiterhin auf sich aufmerksam machte. Was Mutter beruhigte war, dass seine Bewegungen mit den Monaten schlaffer erschienen, auch wurde er zunehmend dünner. Das ließ sie hoffen, Emjay, so sein Kürzel, eines nicht allzu fernen Tages im Garten ruhen würde, fünfzig Zentimeter unter der Rasenfläche.

Der Tag läpperte sich hin und plötzlich war es an der Zeit zum Abendessen. Bereits da kam es mir merkwürdig vor, dass anstatt des üblichen Stullengeschmieres, Brühsuppe mit Leberknödel und danach Weißwürste nebst Krautsalat gereicht wurden. Intuitiv spürte ich: Hier stimmt etwas nicht!

„Fast zwei Jahre sind wir Paschkes nicht mehr im Urlaub gewesen ...“, begann Vater, räusperte sich und ich horchte atemlos auf.

„Nun wird es Zeit dafür! Also liebe Familie, ich hoffe, unser Abendbrot hat euch auf das eingestimmt, was Harald, Ebi und ich geplant haben.“

Ich schielte zu Torsten, der verhalten grinste. War er eingeweiht und warum wusste ich nichts davon?

„Genau“, jubelte Eberhardt, „wir sind die drei Männer im Schnee, sozusagen!“

Harald lachte beseelt und prostete mit der Bierflasche herüber, „ein Glück ist dieser Urlaub vor der Europameisterschaft im Juni. Bei der WM waren wir in Dänemark und wurden nur Dritter!“

„Und daran war ausschließlich unser Urlaub schuld“, säuselte Mutter lakonisch.

Heinrich Paschke breitete einen Prospekt aus, auf dem man Berge und kleine Bauernhäuser im Schnee erkennen konnte. Unwillkürlich lief es mir kalt den Rücken herunter.

Erklärend wies Vater auf einzelne Details, „wie ihr erkennen könnt, das ist Österreich. Dorthin werden wir allesamt in die Osterferien fahren.“

„Cool“, dröhnte Melle. „Rodeln!“

„Die Melanie-Rudolphina wieda, was bist ´n du für ´ne Babbneese? Snowboard´n is´ anjesacht!“ Ja auch Cousin Hendrik Jost ist und bleibt nesthockender Bestandteil der Familie. Neuerdings mit strubbeligem blauschwarz gefärbtem Hahnenkamm und zwei neuen Augenbrauenpiercings. Nach überstandenem Zivildienst hätte er laut seinem Vormund Onkel Harald alle Möglichkeit der Welt gehabt, aber Jost entschied sich für ein gemütliches Soziologie-Studium in Potsdam, was seinen sächsischen Akzent noch breiter werden ließ.

Mürrisch linste ich zu Torsten, daher weht der Wind! Deshalb hatte er mich Anfang Januar malträtiert, Urlaub über Ostern anzumelden und ich dachte, er wolle mit mir allein sein! In meinem Magen begann es ungemütlich zu brodeln, derweil Vater weitersprach.

„Wir fahren nach Werfenweng. Dort haben wir die netteste und natürlich preisgünstigste Pension für uns reserviert.“

„Die Salzburger Alpen“, schwärmte Großonkel Roman und wies mit einer Hand zum Prospekt, „dort können wir viele herrliche Exkursionen unternehmen. Zum Salzbergwerk, oder wilde Bergschluchten und prächtige Burgen erkunden ...“

„Und es gibt ´nen Obasalzberch für ´n Harald“, kiekste Jost frech. Angesprochener prustete in die Bierflasche,

„Burschi wird langsam aufmüpfig, was?“

Wogen vorsorglich glättend fragte Oma Beck, „ja gibt es überhaupt genügend Skier in der Familie? Roman und ich wir haben unsere Plenk-Langlaufausrüstung von 1972, die ist tadellos in Schuss.“

„Also wir drei sind versorgt“, versicherte Alma mit Blick zu Torsten und Ebi, der hinzufügte: „Oma Lindholm kommt auch zum Langlauf mit. Sie mag zwar keine Autofahrten, aber es wird ihr nichts anderes übrig bleiben.“

„Wie schön“, flötete Lilly Beck, „dann werden wir viel Spaß haben!“

Harald nickte zustimmend, „Burschi hat sein Snowboard, meine und Heinis ollen Fischer-Skier sind auch noch brauchbar und das Tanzpüppchen pflegt mit Inge die Aussicht.“

Benanntes Tanzpüppchen tauschte vielsagende Blicke mit Mutter aus. Letztere zuckte kühl eine Braue und sagte: „was fehlt, wird vor Ort geborgt, hat Vater entschieden!“

Provozierend beugte sich Melle zu Jost und unkte vorlaut, „die Aussicht pflegen? Das macht Mama nur, damit die Deneuve-Wellen nicht verrutschen. Hauptsache das Haar sitzt!“

„Unpassender Kommentar“, zischte Mutter überheblich und strich dabei unbewusst über das blondierte Haupt.

„Toni kann meine Skihose und die Skier nehmen“, vermeldete Isadora in einem Ton, als wenn ich begeistert davon wäre, mich derart ertüchtigen zu wollen.

„Sie hat nur eine Schuhgröße weniger, daher sollten die Skischuhe mit dicken Socken kein Problem ergeben.“

Ich schluckte.

„Toni, du sagst ja gar nichts?“ Tante Isa sah mich erwartungsvoll zwinkernd an.

„Ich-bin-äh ...“

„Ach, sie freut sich!“, winkte Torsten ab und ich schnappte nach Luft. Doch bevor ich etwas entgegnen konnte, klatschte Mutter in die Hände, „bitte, nehmt Kaffee und macht es euch bequem!“

Denn nun sollten wir andächtig Mutters Querflötenspiel lauschen. Doch meinerseits gab es Diskussionsbedarf.

„Das mit dem Urlaub müssen wir besprechen“, flüsterte ich Torsten ins Ohr, „das passt mir irgendwie nicht.“

Er verzog einen Mundwinkel, „dir passt doch nie was! Wir fahren übrigens mit meinem Auto.“

„Wieso? Der Audi ist völlig in Ordnung!“

„So wie du, was?“

„Was willst du damit sagen?“

Beabsichtigt ließ Torsten mich schmoren, indem er das komplette Bach´sche Larghetto Flötenkonzert in A-Dur abwartete. Dann zischte er verhalten: „wenn du dich weiterhin so penetrant benimmst, fahre ich alleine!“

„Ich penetrant? Du bist doch wohl eher der Oberignorant, was Rücksichtnahme angeht?“, wisperte ich scharf zurück.

„Vielleicht könnten ‚Mister und Misses Smith’ das eine Etage höher klären?“, rügte Melle mit gedämpfter Stimme hinter uns. Seite an Seite schmollend warteten wir die Zeit ab, bis wir nach oben gehen konnten.

 

„Mein schöner KFW-Zuschuss vom Heizungseinbau, den ich mühsam zusammengehalten habe, geht für diese blöde Reise drauf!“

Torsten stemmte die Hände in die Seiten, „wir beide haben uns die letzten Jahre kaum etwas gegönnt. Es wird Zeit an uns zu denken!“

„Gerne, dann aber nur wir zwei, irgendwo im Warmen, unter Palmen am Meer und nicht mit der kompletten Familie im Schnee. Lass uns Last Minute nach Mallorca!“

„Nach Malle? Bis du verrückt? Schnee ist viel romantischer. Hauptsache ist, wir sind zusammen und lassen es uns gut gehen. Sei zufrieden, dass Harald einen günstigen Preis ausgehandelt hat. Für uns alleine, wäre es mehr als doppelt so teurer gekommen.“

Hm, dem Argument musste ich stattgeben, gab jedoch zu bedenken, „meine Winterjacke ist kaputt, ich habe nur den verschlissenen Norwegerpulli, die Fleecejacke und meine Steppweste.“

„Mehr benötigst du nicht, dir wird warm genug beim Bewegen. Vielleicht kannst du dort endlich abschalten und dich erholen. Du siehst wirklich geschafft und müde aus. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, auch weil du immer dünner wirst.“

Gerührt von seiner Aussage kämpfte ich mit den Tränen. Gütiger Himmel, so nah am Wasser war ich doch sonst nie gebaut?

Liebevoll nahm Torsten mich in die Arme, „es würde uns mehr als gut tun!“

„Na wenn du meinst“, knurrte ich und sah vor meinem geistigen Auge hunderte Euro im Schnee versinken.

 

Wenige Tage vor der Reise sollte ich auf mütterlichem Geheiß in Oma Becks Wohnung Großreine machen.

„Die Gelegenheit ist günstig“, erklärte Mutter, „solange Lilly bei Uroma Jolante in Hamburg ist, können wir handeln und ihre Wohnung säubern.“

Mit „Wir” meinte Mutter natürlich mich.

„Und setze deine Brille auf, dann siehst du den Staub besser!“

Brille aufsetzen? Niemals! Nicht mal zum Autofahren, allerhöchstens am PC, um besser lesen zu können!

Meine Großmutter wohnt nur eine Straßenecke entfernt von uns in einem Souterrain. Während ich im Rucksack nach Omas Schlüssel fingerte, betrachtete ich stumpf das Bildnis von Che Guevara, das mitten auf ihrer Haustür prangerte. Nanu, dachte ich verwundert, als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, die Tür ist nicht verschlossen! So schusselig ist Oma doch nicht?

Lauernd, man hat schließlich genügend böse Filme gesehen, betrat ich auf Zehenspitzen die Wohnung. Waren aus dem hintersten Zimmer nicht leise Musik und merkwürdig nuschelnde Laute zu hören? Mit Gänsehaut an den Armen schlich ich vorsichtig weiter, blickte in jeden Winkel und suchte den Fußboden nach verdächtigen Spuren ab, was bei Kurzsichtigkeit nicht viel von Nutzen ist. Vielleicht hätte ich doch die Brille aufsetzen sollen?

Tatsächlich glaubte ich im Wohnzimmer, meinen Augen kaum zu trauen. Inmitten dutzender bunter Kissen hockte meine Oma im Lotussitz mit gesenkten Lidern und gab rhythmisch schräge Töne von sich. Ihre Stimme stockte und sie sah mich ebenso überrascht an wie ich sie. Blitzblaue Augen zwinkerten, als wollten sie sich überzeugen, dass ich eine reale Erscheinung war.

„Toni?“

„Oma, ich denke, du bist in Hamburg?“

Ertappt verzog Lilly Beck ihr Gesicht, „offiziell schon. Du kennst doch Ingrid und ihr ständiges Getüttel an mir. Ich wollte einige Tage Ruhe für meine Mantras und für Roman haben. Seitdem Mutter weiß, dass wir seit Jahrzehnten eine offene Liebesbeziehung leben, scharwenzelt sie ständig um uns herum. Verrate mich bloß nicht!“

Ich hob die rechte Hand zum Schwur, „verlass dich auf mich.“

„Ich nehme an, du sollst während meiner Abwesenheit sauber machen?“

„Jawohl.“

„Untersteh dich meinen Mikrokosmos zu zerstören! Setz dich her und nimm einen Jasmintee.“

Während Oma Beck redete, reichte sie eine Tasse Tee und entzündete drei Räucherstäbchen. „Kindchen, dein momentaner Stress nimmt überhand. Ich rate dir zu meditieren, das ordnet die Gedanken, hilft deine Probleme objektiver zu sehen und führt dich auf neue Wege. Ich helfe dir, dich zu klären. Lege dich auf den Bauch. So, zuerst massiere ich dich, dann ein wenig Shiatsu, danach etwas Yoga, um dich innerlich zu öffnen. Anschließend werde ich deine Lichtaura reinigen, damit du die positiven Energien besser aufnehmen kannst und ...“

Kaum hatte ich das Massageöl gerochen, musste ich würgen. „Omi, sei nicht böse, aber ich fürchte, ich habe mich von den Kindern angesteckt. Seit Wochen geht ein Magenvirus in der Schule rum, ich muss ins Bett!“

Durchdringend sah mich Oma Beck an und schmunzelte hellsichtig, „na, wenn du meinst, das hilft dagegen? Geh, ruhe dich aus. Bald haben wir alle gemeinsam Urlaub!“

Ein unabwendbarer Umstand, auf den ich mich besonders freute.

 

-2-

Die Fahrt konnte beginnen.

Tags zuvor kamen Isas Kanaries, Kater Emjay und meine süße Jorinde zu Mutters Freundin Marianne in die Hillmannstraße. Dort hatten beide Katzen Fußbodenheizung und ein Klavier, auf dem vor allem Emjay vorzugsweise lag. Mit schwerem Herzen verabschiedete ich mich von meiner Katze, nicht minder schwer hatte es Melle, die ihren Mister Jones über alles vergötterte.

Wie abgesprochen trafen wir uns am Reisetag pünktlich um 6:30 Uhr morgens auf dem Fellbacher Platz.

Torstens Eltern fuhren in ihrem weißen VW Passat Kombi von 1998 vor. Ohne Zweifel ein tadellos gepflegtes Fahrzeug. Auf diesem Wagen und Onkel Haralds Benz befanden sich jeweils ein Dachkoffer, in denen die Skier verstaut wurden.

„Na, macht ihr eine Weltreise?“, rief der hiesige Fleischermeister herüber, der wie immer in der Früh über den Fellbacher Platz stromerte.

Vom Gepäck her hätte man genau das meinen können. Dreizehn Personen auf vier Autos zu verteilen, ergab kein Problem, aber mit Koffer, Skiausrüstung, Snowboard und einem Schlitten entwickelte sich das Vorhaben zu einer logistischen Herausforderung.

Traurig sah ich zu meinem geliebten froschgrünen Audi 80. Erst vorgestern hatte ich ihn poliert, sodass seine lackierten Flämmchen im Morgenschein glänzten. Torsten fing meinen Blick auf und sprach: „gönn ihm die Pause. Beim Golf müssen wir wenigstens nicht alle Stunde mit dem Hammer auf den Starter klopfen, damit er anspringt.“

Bedauerlicherweise hatte sich diese kleine Unart in den letzten Monaten eingeschlichen.

„Zumindest benötigt mein Auto richtiges Werkzeug und nicht einen Lötkolben nebst Service-Computer um den TÜV zu erhalten“, parierte ich nuschelnd. Ups, da hatte ich meinen Schatz an einer empfindlichen Stelle erwischt. Während mein Audi von 1974 wahrscheinlich aus Leidenschaft zum Oldtimer den TÜV erhalten hatte, musste der erst drei Jahre alte Golf in der Werkstatt zurechtgemacht werden. Die Auslösesumme war, wie sollte es anders sein, eine bittere Pille.

„Los geht’s!“, rief Harald Paschke. „Erster Stopp Sophienberg kurz vor Bayreuth!“ Mit Elan wollte er sich in den Benz schwingen. Was ungeschickt wirkte, denn dadurch, dass Onkel Harald an Bauchmasse und Schwere ordentlich zugelegt hatte, kam er nicht mehr so behäbig in sein Auto.

Spitzzüngig kommentierte Jost Haralds Bemühen: „Der Onkel muss den Benz garnich´ dieferläjen, bei dem durchgesess´nen Siddz hasde audomaddch des richt´che Straßengefühl!“

 

Unsere Kolonne zog sich gemäß den Verkehrsregeln über die Berliner Stadtautobahn dahin. Kaum dass wir im Brandenburger Land angekommen waren, galt für Harald und Torsten: freie Fahrt für freie Bürger!

Was gerade bei Torsten bis zum Anschlag des Gaspedals führen konnte. Kombiniert wurde dies mit abstrusen Schimpfkanonaden, sobald jemand auf der linken Spur vor den Golf sprang.

Damals in Dänemark fuhr Torsten nie so rabiat. Als ich ihn irgendwann bei einer Geschwindigkeit von 236 km/h darauf aufmerksam gemacht hatte, antwortete er knurrig:

„Du ahnst nicht, was in Dänemark zu schnelles Fahren kostet. In Deutschland halte ich mich an die Vorgaben, Tempo 100 bei 100! Aber dort, wo es keine Begrenzung gibt, kitzel ich alles aus dem Wagen!“

Was meine Nervosität, wenn Torsten mit mir über die Autobahnen preschte, immens verstärkte.

Abgesehen von Torstens Rennfahrerstil, war ich wieder mit der Familie unterwegs. Ich hatte das Bedürfnis, diese kummervolle Gegebenheit von der Seele reden zu müssen. Dabei registrierte ich, wie Torstens Fuß mit zunehmender Diskussion tiefer auf das Gaspedal drückte.

„Nun hör endlich auf, zu jammern! “, reagierte er gereizt. „Überlege lieber, wir sparen fast drei Wochen Gas und Strom!“