Die Quandts - Rüdiger Jungbluth - E-Book

Die Quandts E-Book

Rüdiger Jungbluth

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Beschreibung

Die mächtige Familie hinter BMW "Wenn Frau Klatten spricht, horchen Unternehmer auf", titelt Die Welt zu einem der seltenen Auftritte von Susanne Klatten. Sie und ihr Bruder Stefan Quandt sind aus dem Schatten ihrer Vorfahren getreten. Aus Erben wurden Unternehmer. Susanne Klatten und Stefan Quandt kontrollieren BMW, den erfolgreichsten deutschen Konzern. Aber ihr Imperium ist noch viel größer, ihr Einfluss breitet sich beständig aus, und ihr Vermögen ist auf annähernd 40 Milliarden Euro angewachsen. Der Bestsellerautor Rüdiger Jungbluth hat die Biografie der mächtigsten deutschen Wirtschaftsdynastie geschrieben. - "Die Quandts" ist eine Geschichte voller Triumphe und voller Tragödien, ein Lehrstück über Unternehmertum und die Verführungskraft des Geldes. - Eine Familiensaga, die von Schuld und Streit, von Zusammenhalt und Erneuerung erzählt. - Jungbluth ist einer der wenigen, mit denen "Die Quandts" gesprochen haben, er gibt einen tiefen Einblick in das heutige Wirken und Denken der Quandt-Erben. - Dieses Buch ist die Biografie der erfolgreichsten und mächtigsten Familiendynastie Deutschlands.

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Rüdiger Jungbluth

Die Quandts

Deutschlands erfolgreichste Unternehmerfamilie

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Die mächtige Familie hinter BMW

Als Susanne Klatten und Stefan Quandt das Industrievermögen ihres Vaters erbten, waren beide noch Jugendliche. Heute sind sie aus dem Schatten ihrer Vorfahren getreten. Aus Erben wurden Unternehmer, die ein Imperium aus Unternehmen verschiedenster Branchen kontrollieren.

Rüdiger Jungbluth kennt die mächtigste deutsche Wirtschaftsdynastie wie kein Zweiter. Er zeichnet eine Geschichte voller Triumphe und Tragödien, von Unternehmertum und der Verführungskraft des Geldes. Eine Familiensaga, die von Schuld und Streit, von Zusammenhalt und Erneuerung erzählt. Als einer der wenigen, mit denen die Geschwister gesprochen haben, gibt er einen tiefen Einblick in das heutige Wirken und Denken der Quandt-Erben.

Vita

Rüdiger Jungbluth studierte Volkswirtschaft und absolvierte die Journalistenschule in Köln. Er arbeitete als Wirtschaftskorrespondent bei Stern und Spiegel und viele Jahre als Wirtschaftsredakteur bei der Zeit. Jungbluth hat verschiedene hochgelobte Wirtschaftsbiografien veröffentlicht, im Jahr 2002 eine erste aufsehenerregende Biografie über die Quandts, auf deren Recherchen sein neues Buch über die junge Generation aufbaut. Er lebt heute als freier Autor in Hamburg.

Für Ulrike

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1Das Erbe vervielfacht — Die Quandt-Geschwister auf dem Gipfel der Macht

Kapitel 2Uniformen für Preußen und das Kaiserreich — Wie die Quandts als Tuchfabrikanten in Brandenburg begannen

Kapitel 3Feindliche Übernahmen und Machtgewinn in der Inflationszeit — Wie Günther Quandt den Elektrokonzern AFA übernahm und sein Imperium vergrößerte

Kapitel 4Ein Neuanfang und Schicksalsschläge — Günther Quandts Ehe mit Magda, der späteren Frau Goebbels

Kapitel 5Des Vaters zweite Wahl — Kindheit, Jugend und Berufseinstieg Herbert Quandts

Kapitel 6Schmeicheln, kämpfen, profitieren — Günther Quandt und die Nazis

Kapitel 7Ein Mann ohne Skrupel — Günther Quandt als Rüstungsfabrikant in Hitlers Reich

Kapitel 8Zweier Väter Sohn — Harald Quandt, Vorzeigekind des Ehepaars Goebbels

Kapitel 9Ein Mitläufer der besonderen Art — Günther Quandt in Haft, vor Gericht und beim Neuanfang

Kapitel 10Die ungleichen Brüder — Herbert und Harald Quandt regieren ihr Reich gemeinsam

Kapitel 11Die Rettung von BMW — Herbert Quandt beginnt ein neues Leben

Kapitel 12Tod, Trennung, Teilung — Große Brüche im Hause Quandt

Kapitel 13Eine Pille für den DAX — Susanne Klatten und ihr Glück mit Altana

Kapitel 14Es begann mit einer Krise — Der Antritt der Quandt-Geschwister bei BMW

Kapitel 15Lehr- und Herrenjahre eines Industriellen — Wie Stefan Quandt sein Firmenreich verkleinerte und vergrößerte

Kapitel 16Die anderen Quandts — Die Erben von Varta und Co.

Kapitel 17Erpresst und befreit — Susanne Klatten wird Opfer eines Verbrechens

Kapitel 18Ein Wirtschaftswunder der Jetztzeit — Der phänomenale Erfolg von BMW

Kapitel 19Maßhalten mit Milliardeneinkünften — Neue Investments und Philanthropie

Quellen und Literatur

Archivquellen

Literatur

Bildnachweise

Register

Vorwort

In diesem Buch erzähle ich die Geschichte der Familie Quandt von ihrer Einwanderung nach Brandenburg im 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Mein erstes Buch Die Quandts, das im Jahr 2002 erschien, hat diesem Buch als Ausgangsbasis gedient. Allerdings steht nun im Vordergrund die vierte Generation dieser bedeutenden Unternehmerdynastie, aus der die BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt herausragen. Das vorliegende Buch schreibt die Geschichte der Familie und ihrer Unternehmen fort und ist zugleich in seinen historischen Teilen so grundlegend überarbeitet worden, dass keine Seite gleich geblieben ist.

Berücksichtigt sind nun vor allem die Erkenntnisse aus der gründlichen Studie von Joachim Scholtyseck über den Aufstieg der Quandts, die 2011 erschienen ist. Der Bonner Historiker hatte einen Zugang zum Archiv der Familie, der mir 2001/2002 noch versagt geblieben war. Scholtyseck hat auch in allen anderen einschlägigen Archiven geforscht und dabei eine Vielzahl neuer Fakten, vor allem aus der NS-Zeit, zutage gefördert. Das Wichtige und Bedeutsame daraus habe ich in diese Familienbiografie eingearbeitet.

Anders als die Arbeit Scholtysecks ist das vorliegende Buch nicht durch die Familie Quandt finanziell gefördert worden, und es ist nicht durch eines ihrer Unternehmen unterstützt worden. Es handelt sich nicht um eine von der Familie autorisierte Darstellung. Susanne Klatten und Stefan Quandt haben meine Arbeit dadurch unterstützt, dass sie sich auch dieses Mal die Zeit für Gespräche nahmen und meine Fragen beantwortet haben. Wörtliche Zitate aus diesen Interviews, die ich für das Buch verwendet habe, habe ich mit beiden zuvor abgestimmt.

Rüdiger Jungbluth

Hamburg, im Juli 2015

Kapitel 1Das Erbe vervielfacht

Die Quandt-Geschwister auf dem Gipfel der Macht

Das Auffälligste an Susanne Klatten sind ihre hellen Augen, die mal grün erscheinen und mal grau. Einprägsam ist auch ihre tiefe Stimme. Beides hatte sie immer schon. Das Neue an ihr ist die Härte. Sie zeigt diese Härte manchmal in ihrem Gesicht. Und sie zeigt sie seit einiger Zeit öfter in dem, was sie tut. Vor einigen Jahren wurde Susanne Klatten das Opfer eines Erpressungsversuchs, anschließend wurde sie öffentlich bloßgestellt. Sie hat sich gegen den kriminellen Angriff zur Wehr gesetzt und sie hat die Peinlichkeit ertragen. Seitdem, so scheint es, lässt sich Susanne Klatten nichts gefallen. Sie setzt ihren Willen durch, wo immer es ihr darauf ankommt.

Als erste Frau in Deutschland erkämpfte sich Susanne Klatten 2013 den Vorsitz im Aufsichtsrat eines börsennotierten Konzerns gegen Widerstände. Seit Jahren macht sie durch eine Vielzahl von unternehmerischen Initiativen und Beteiligungskäufen von sich reden. Sie begann große neue philanthropische Projekte – und beendete alte, mit denen sie sich nicht mehr identifizieren konnte.

Susanne Klatten ist Großaktionärin von BMW, und sie übt daneben die Kontrolle über zwei weitere angesehene Konzerne aus. Nebenher ist sie dabei, sich ein kleines Reich an Ökofirmen verschiedenster Art aufzubauen. Statt sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, wie viele das nach der Erpressungsaffäre vermutet hatten, hält sie heute hin und wieder vor Publikum persönlich eingefärbte und programmatische Reden. Und manchmal tanzt sie, die sich früher auf Society-Partys nicht sehen ließ, mittlerweile sogar auf feierlichen Bällen.

Ihre persönliche Krise hat Susanne Klatten gemeistert, und es macht den Eindruck, als sei sie daran gewachsen. Lange hat die BMW-Erbin nach eigener Aussage mit der Angst gelebt, dass sie im Vergleich zu den großen Vorfahren nicht bestehen würde, dass sie Fehler machen könnte und sich blamieren würde. Lange Jahre hat sich die Unternehmerin, die zur vierten Generation der Quandt-Dynastie gehört, an der Leistung ihres Vaters und Großvaters gemessen – und das tut sie auch heute noch. Dabei ist sie schon lange die reichste Frau Deutschlands und nach der Bundeskanzlerin wohl auch die mächtigste.

Susanne Klatten im Gespräch beim Forum UnternehmerTUM 2013 in München.

Bei Stefan Quandt liegen die Dinge etwas anders. Der jüngere Bruder von Susanne Klatten legt Wert darauf, nicht zu einer öffentlichen Person zu werden, und das ist ihm mit seiner Zurückhaltung auch weitgehend gelungen. Stefan Quandts Geltungsbedürfnis ist gering ausgeprägt. In einer Talkshow hat er bis heute nicht gesessen, und er wird es wohl auch in Zukunft nicht tun. Auf Automessen und Branchentreffen taucht der größte Einzelaktionär von BMW zwar regelmäßig auf, aber er hält sich dort im Hintergrund und von den Kameras fern. Es kommt ihm nicht in den Sinn, sich dort neben den neuen BMW-Modellen ablichten zu lassen. Lieber schließt er sich jenen BMW-Mitarbeitern an, die die Konkurrenz beobachten, und schaut sich aufmerksam die Modelle der anderen Hersteller an.

Im persönlichen Kontakt ist Stefan Quandt ein umgänglicher Mensch, höflich, umsichtig und zugewandt. Im Gespräch ist er anfangs reserviert, nach einer Weile aber zeigen sich Engagement und Temperament. Eine der wenigen Situationen, bei denen der Unternehmer vor einem größeren Publikum auftritt, ist die alljährliche Verleihung des von seiner Mutter gestifteten und nach seinem Vater benannten Journalistenpreises. Da steht er dann im Saal eines Frankfurter Hotels, kerzengerade und mit durchgestreckten Beinen, und begrüßt mit strahlendem Lächeln die handverlesenen Gäste persönlich mit Handschlag. Die Reden, die Stefan Quandt bei diesen Gelegenheiten hält, sind sehr substanziell, da geht es zum Beispiel um die Energiewende, den Euro, die Versorgung der Industrie mit Rohstoffen oder die digitale Ökonomie. Im Juni 2015 rief er die deutsche Wirtschaft dazu auf, »dem Sendungsbewusstsein des Silicon Valley mit möglich viel unternehmerischem Ehrgeiz und Pragmatismus zu begegnen«. Quandts Vortragsweise verrät die mangelnde Übung, und er neigt dazu, Silben zu verschlucken.

Das Gravitätische liegt Stefan Quandt nicht, denn von seinem Wesen her ist er ein quirliger Typ, der schnell spricht und noch schneller denkt. Das hat zur Folge, dass er manche seiner Sätze nicht beendet, weil er die Aussage, noch während er sie formuliert, bereits variiert. Wie man es sonst oft bei sehr jungen Menschen hört, bestätigt sich Stefan Quandt häufig selbst mit einem in seine Sätze eingeschobenen »Genau«. Seine Mimik ist intensiv, und unwillkürlich legt er die Stirn in Falten, wenn er über etwas nachdenkt oder ihm etwas nicht behagt.

Auch im Alter von fast fünfzig Jahren wirkt Stefan Quandt immer noch wie ein großer Junge, Typ netter Schwiegersohn. Im Gespräch verwendet er öfter die Formulierung »Sag ich jetzt mal«, und wenn man ihn so sieht und hört, kann es einem leicht passieren, dass man ihn unterschätzt. Aber was dem schlanken, groß gewachsenen Mann mit dem schmalen Gesicht an Charisma fehlt, das gleicht er durch analytische Fähigkeiten und strategische Weitsicht aus. Mit Intelligenz, Intuition und einer bemerkenswerten Disziplin managt Stefan Quandt seit nunmehr zwei Jahrzehnten ein riesiges Unternehmensvermögen.

Rückblende: Pfingsten 1982. Die Familie Quandt ist mit ihrer stattlichen Motorjacht Seebär auf der Ostsee unterwegs. Solche Ferien haben Herbert und Johanna Quandt in den Jahren zuvor, als die Kinder noch klein waren, schon oft gemacht. Und an der Kieler Woche, die die Familie in diesem Jahr miterleben will, hat sie auch schon mehrfach teilgenommen. Susanne ist zwanzig Jahre alt und Stefan sechzehn. Am Pfingstmontag fahren die beiden jungen Leute mit ihrer Mutter nach Hause, zurück nach Bad Homburg vor der Höhe. Herbert Quandt bleibt zurück in Kiel, der Industrielle will ein wenig länger ausspannen, wie er sagt. In Kiel lebt eine Cousine, zu der er kurz zuvor wieder Kontakt aufgenommen hat, mit ihr schwelgt er gerne in Erinnerungen, etwa an die gemeinsamen Sommerferien auf dem Quandt'schen Landgut Severin in Mecklenburg.

Am 2. Juni 1982, dem Mittwoch nach Pfingsten, bleibt Herbert Quandts Herz stehen und kommt nicht wieder in Gang. Bei seinem Tod ist er 71 Jahre alt.

Herbert Quandt hinterließ eines der größten Industrievermögen, die es in Deutschland damals gab. Dazu gehörte vor allem der Automobilhersteller BMW, dessen Aktien sich mehrheitlich in Quandts Besitz befanden. Aber Quandts Reich war noch viel größer, es bestand aus Dutzenden von Firmen verschiedener Branchen, in denen insgesamt 70 000 Menschen arbeiteten. Zu den Marken, mit denen der Unternehmer Geld verdiente, gehörten Varta und Milupa, Ceag und Byk, Sanostol und Mouson. Die Umsätze der Firmen summierten sich auf 13  Milliarden D-Mark.

Der Tod ihres Vaters rückte Susanne und Stefan Quandt erstmals in das Licht der Öffentlichkeit. Gemeinsam mit ihrer Mutter wurden die junge Frau und der Teenager zu Erben eines Unternehmensreichs, das ihr Urgroßvater hundert Jahre zuvor mit einer Tuchfabrik in Brandenburg begründet hatte und ihr Großvater nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Industrieimperium ausgebaut hatte.

Stefan Quandt im Gespräch beim Herbert Quandt Medien-Preis 2014 in Frankfurt.

Herbert Quandts früher Tod bedeutete für das Vermögen der Familie ein erhebliches Risiko, denn die beiden Nachkommen waren noch sehr jung. Das, was eine Dynastie ausmacht: die Weitergabe der Macht an die nächste Generation, das war in ihrem Fall nun nicht mehr möglich. Es war klar, dass weder Quandts Witwe noch eines der beiden Kinder den Industriellen würde ersetzen können. Ein sechzehnjähriger Gymnasiast und eine Zwanzigjährige, die in einer Ausbildung zur Werbekauffrau steckte – sie konnten unmöglich die Großaktionäre und Aufsichtsräte sein, die dem Automobilkonzern BMW die Richtung weisen würden. Die jungen Quandts waren darauf angewiesen, dass sich zunächst andere ihres Vermögens annahmen und sich so lange darum kümmerten, bis sie selbst dazu in der Lage sein würden. Ihr Vater hatte für diesen Fall vorgesorgt. Herbert Quandt hatte seine Frau und seinen langjährigen Vertrauten Hans Graf von der Goltz zu Testamentsvollstreckern bestimmt.

Von dem großen Erbfall im Jahr 1982 bis in die Gegenwart sind mehr als 30 Jahre vergangen. Die Kinder Herbert Quandts haben inzwischen längst eigene Familien. Susanne Quandt heißt seit ihrer Heirat Susanne Klatten, sie ist Mutter von drei erwachsenen Kindern und hat am 28. April 2015 ihren 53. Geburtstag gefeiert. Ein knappes Jahr später, am 9. Mai 2016, feiert Stefan Quandt seinen 50. Geburtstag. Er ist verheiratet, hat eine kleine Tochter und überdies einen noch sehr jungen Sohn, von dem die Öffentlichkeit bislang nichts erfahren hat.

Wenn in den vergangenen drei Jahrzehnten von Susanne Klatten und Stefan Quandt die Rede war, dann wurden sie zumeist als Erben bezeichnet, als Quandt-Erben oder BMW-Erben. Auch in der berühmten Reichen-Liste des US-Magazins Forbes wird als Quelle dieses Vermögens stets angegeben: inherited. Geerbt. Das ist nicht falsch, aber es ist doch irreführend. Tatsächlich geht das Vermögen der Quandt-Geschwister auf ihr Erbe zurück, aber dabei bleibt die Frage unbeantwortet, wie sich dieses Vermögen in ihren Händen entwickelt hat. Blieb es nach dem Tod Herbert Quandts in seiner Zusammensetzung und in seinem Umfang erhalten? Schmolz es im Laufe der Jahre zusammen oder vergrößerte sich der Wert womöglich noch?

Geht man diesen Fragen nach, so stößt man auf Erstaunliches. Der große Kern des Quandt'schen Vermögens ist nach wie vor BMW. Der Automobilkonzern mit Sitz in München feiert im Jahr 2016 zwar bereits sein hundertjähriges Bestehen, aber erst seit 1960 haben die Quandts bei BMW das Sagen. Herbert Quandt bewahrte das Unternehmen vor dem Untergang, er sanierte es mithilfe sorgfältig ausgewählter Manager, und er führte es anschließend zu einer neuen Blüte. Die Rettung von BMW, das war Herbert Quandts Lebenswerk. 1982, im Jahr seines Todes, erwirtschaftete BMW einen Umsatz von 11,6 Milliarden D-Mark. In seinen Werken und Büros beschäftigte der Konzern damals 47 466 Mitarbeiter. Sie produzierten 379 000 Autos im Jahr.

Heute nennt sich dieses Unternehmen BMW Group, und es ist tatsächlich um ein Vielfaches größer als damals. Zum einen, weil zu der Automobilgruppe nun auch die Marken Mini und Rolls-Royce gehören. Zum anderen, weil es bei BMW selbst ein enormes Wachstum gab. Im Jahr 2014 verkaufte der Konzern weltweit mehr als 2,1 Millionen Autos – das sind fünfeinhalbmal so viel wie in Herbert Quandts letztem Lebensjahr. Dabei ist die Produktivität des Unternehmens seither stark angestiegen. Heute braucht es erheblich weniger Mitarbeiter, um dieselbe Zahl von Autos zu fertigen wie damals. Weil aber auch der Absatz stark gestiegen ist, hat sich die Zahl der Menschen, die in der BMW-Gruppe arbeiten, in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls erheblich vergrößert. 2014 waren es mit 116 000 Mitarbeitern zweieinhalbmal so viele wie 1982.

Noch stärker ist der Umsatz gewachsen. Den 11,6 Milliarden D-Mark des Jahres 1982 stehen 80,4 Milliarden Euro Erlöse im Jahr 2014 gegenüber. Diese Beträge sind allerdings schlecht miteinander zu vergleichen, nicht nur, weil die Währung gewechselt hat, sondern vor allem, weil der heutige Umsatzbetrag durch die Inflation der vergangenen Jahrzehnte aufgebläht ist. Aussagekräftig sind die realen Werte, die sich dann zeigen, wenn man die Inflation herausrechnet. Dabei kommt Folgendes heraus: Die 11,6 Milliarden D-Mark des Jahres 1982 entsprechen in ihrer Kaufkraft einem Betrag von 10,5 Milliarden Euro zur heutigen Zeit. Vergleicht man das mit dem aktuellen Umsatz der BMW Group, so zeigt sich: Der Automobilkonzern ist heute annähernd achtmal so groß wie beim Tod Herbert Quandts. Umgekehrt bedeutet das: Sieben Achtel der heutigen BMW Group sind erst in den Jahren entstanden, in denen Susanne Klatten und Stefan Quandt gemeinsam mit ihrer Mutter an dem Unternehmen beteiligt sind.

Nimmt man den Börsenwert als Maßstab, ergibt sich folgendes Bild: Im Sommer 1982 war BMW rund zwei Milliarden D-Mark wert. Das entspricht in der Kaufkraft einem Betrag von rund 1,8 Milliarden Euro zur heutigen Zeit. Im Frühjahr 2015 sind die BMW-Aktien zusammengenommen rund 70 Milliarden Euro wert. Das ist das 39-Fache.

Die Entwicklung von BMW ist glänzend. Dabei war der große Erfolg in den vergangenen drei Jahrzehnten keineswegs naturgesetzlich, wie die Beispiele Opel, Saab und Volvo zeigen. Auch bei BMW hätte es schlechter laufen können. Es hätte sogar komplett schiefgehen können. In den neunziger Jahren bestand diese Gefahr tatsächlich. Als sich der Konzern im Streben nach Größe die britische Autofirma Rover einverleibte, bekam ihm das sehr schlecht. Die Neuerwerbung verursachte in den Folgejahren Milliardenverluste. Susanne Klatten und Stefan Quandt hatten gerade erst ihre Plätze im Aufsichtsrat von BMW eingenommen, als die Krise eskalierte. Sie sahen eine Weile mit wachsender Besorgnis zu, dann zogen sie beherzt die Notbremse. Der Vorstandsvorsitzende und eine Reihe anderer Manager wurden ausgewechselt, die marode britische Autotochter Rover wurde abgestoßen.

Das Eingreifen der Erben und der übrigen Aufsichtsräte erwies sich unerwartet schnell als wirksam. Schon bald konnte BMW an die alten Erfolge anknüpfen. Nach der Jahrtausendwende entwickelte sich die Automobilfirma unter der Ägide der jungen Quandts dann von einer Nischenmarke zu einem Weltkonzern mit einem überaus breiten Modellangebot. Aus einer bayerischen Firma mit einem traditionell großen Exportgeschäft wurde ein nahezu perfekt globalisierter Konzern mit neuen großen Produktionswerken in den USA und in China.

Heute sind Fahrzeuge der Marke BMW weltweit begehrte Luxusgüter und Statussymbole. Mit dem Mini und der 1er-Modellreihe hat sich BMW überdies auf dem Markt für Klein- und Kompaktwagen etabliert und verdient auch dort vergleichsweise viel Geld. Ende der 1990er übernahm BMW dann Rolls-Royce, eine Weltmarke, die nicht nur der Inbegriff des Luxusautomobils ist, sondern auch die meistgewählte Metapher, wenn es darum geht, das jeweils Beste und Teuerste (»Der Rolls-Royce unter den …«) zu bezeichnen.

Auf dem Markt für Elektroautos gehört BMW zu den Pionieren. Mit dem BMW i3 hat der Konzern ein technisch völlig neuartiges Elektroauto auf den Markt gebracht, dessen Markterfolg allerdings noch zweifelhaft ist. Gegenwärtig ist das Unternehmen dabei, den Karosseriebau zu revolutionieren. Erstmals überhaupt produziert ein Autohersteller Karosseriehüllen aus einem extrem leichten Carbonfaserwerkstoff in Serie, ein technologisch ambitioniertes Unterfangen, das mit großen wirtschaftlichen Risiken verbunden ist.

Der Aufstieg von BMW in den vergangenen Dekaden lässt sich eindrucksvoll darstellen, wenn man diese Entwicklung mit der anderer großer deutscher Unternehmen vergleicht. 1982 war BMW unter den größten Konzernen der deutschen Industrie unter »ferner liefen«, genauer gesagt: auf Platz 23. Heute steht das von der Familie Quandt fast geräuschlos beherrschte Unternehmen auf Platz 4. Sogar den Weltkonzern Siemens hat BMW beim Umsatz inzwischen überholt. BMW ist derzeit eines der wenigen deutschen Großunternehmen, in denen neue Arbeitsplätze entstehen. Im Jahr 2015 sollen den Planungen zufolge 8 000 Menschen neu eingestellt werden, davon 5 000 in Deutschland. Schon im Jahr zuvor hatte der Konzern 7 000 neue Arbeitsplätze eingerichtet, die Hälfte davon in Deutschland.

Bis zu deren Tod hielten Susanne Klatten und Stefan Quandt gemeinsam mit ihrer Mutter Johanna Quandt einen Anteil von 46,8 Prozent am Stammkapital von BMW. Das ist zwar nicht die absolute Mehrheit, es reicht aber aus, um die Aktiengesellschaft zu kontrollieren, weil auf den Hauptversammlungen üblicherweise ein großer Teil der Aktionäre nicht anwesend ist und sich auch nicht vertreten lässt. Der Wert des BMW-Anteils im Besitz der Familie Quandt schwankt mit dem Aktienkurs an der Börse. Die Veränderungen sind im Laufe der Jahre extrem. Der Tiefstkurs der BMW-Stammaktie lag 2008 bei nur 17 Euro, im Frühjahr 2015 kosteten solche Papiere fast siebenmal so viel. Da die Familie kein Interesse daran hat, Aktien zu verkaufen, kümmern sie diese Schwankungen so gut wie gar nicht.

Das Unternehmen arbeitet gegenwärtig extrem profitabel. 2014 verzeichnete BMW den fünften Gewinnrekord in Folge, unterm Strich stand ein Betrag von 5,8 Milliarden Euro. Die Eigenkapitalrendite liegt bei 25 Prozent und damit genau bei jenem Wert, den Josef Ackermann der Deutschen Bank zum Ziel gesetzt, aber meist verfehlt hatte.

Aus voller Kasse zahlt BMW an seine Aktionäre gegenwärtig so viel Geld aus wie niemals zuvor in der Geschichte des Unternehmens. Die beiden Quandt-Geschwister und ihre damals 88-jährige Mutter erhielten nach der Hauptversammlung im Mai 2015 insgesamt 815 Millionen Euro als Dividenden. Rechnet man sämtliche Gewinnausschüttungen an die Familie seit der Jahrtausendwende zusammen, so ergibt sich die gigantische Summe von fünf Milliarden Euro.

Wie groß gegenwärtig das Vermögen der Familie ist, das lässt sich nur schätzen. Die Experten des Manager-Magazins taxierten das Trio aus Mutter, Tochter und Sohn im Herbst 2014 auf 31 Milliarden Euro. Damit standen die Quandts auf Platz 1 der Liste der 500 reichsten Deutschen. Aber die Zahl war rasch überholt, weil der Kurs der BMW-Aktie anschließend weiter in die Höhe ging. Gegenwärtig liegt der Gesamtwert des Vermögens wohl bei annähernd 40 Milliarden Euro.

Dabei ist BMW nur ein Teil des Imperiums der Quandts. Susanne Klatten besitzt überdies als Alleinaktionärin den Chemiekonzern Altana. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Wesel am Niederrhein ist weltweit tätig und unterhält 46 Produktionsstätten. Der Umsatz belief sich 2014 auf fast zwei Milliarden Euro. Mehr als 6 000 Menschen arbeiten in den Firmen der Altana-Gruppe, die als Zulieferer für die Lackherstellung, die Kosmetikbranche, die Druck- und die Elektroindustrie tätig sind. Produziert werden Speziallacke, Klebstoffe, Effektpigmente, Dichtungsmassen und Imprägniermittel. Dieses Unternehmen ist nicht glamourös, aber es ist außerordentlich gewinnbringend.

Die Geschichte von Altana illustriert, wie sich Susanne Klatten unternehmerisch von ihren Vorfahren emanzipiert hat. Seit gut zehn Jahren beschränkt sie sich nicht mehr darauf, den ererbten Besitz zu verwalten und zu erhalten. Sie hat ihn grundlegend umgestaltet und dabei in großen Teilen erneuert. In einem spektakulären Schritt setzte sie als Großaktionärin 2006/2007 durch, dass die damals noch erheblich größere Altana in zwei Teile aufgespalten wurde und die wertvolle Pharmasparte anschließend für viereinhalb Milliarden Euro verkauft wurde. Das forschungsintensive Geschäft mit Medikamenten war ihr zu riskant geworden, und nach ihrer Einschätzung war Altana trotz aller vorangegangenen Erfolge zu klein, um auf diesem schwierigen Markt dauerhaft erfolgreich zu sein.

Das durch den Verkauf des Pharma-Konzerns eingenommene Geld investierte die Großaktionärin wieder in andere Firmen und Branchen. Und so bestimmt Susanne Klatten heute nicht nur in den Aufsichtsräten von BMW und der neu formierten Altana mit. Sie hat seit 2013 auch den Vorsitz im Aufsichtsrat der SGL Carbon SE. Das ist ein Konzern mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Euro Umsatz, an dem Susanne Klatten persönlich mit 27 Prozent beteiligt ist. Ein weiteres Aktienpaket von rund 18 Prozent liegt bei BMW, in dessen Elektroautos SGL-Carbonfasern verbaut werden. Dieser Aufsichtsratsvorsitz ist für Susanne Klatten alles andere als ein Schönwetterposten. Im Gegenteil: Der Carbon-Konzern, der weltweit 6 300 Menschen beschäftigt, steckt derzeit in einer schweren Krise. 2014 verlor SGL fast 250 Millionen Euro. Unter der intensiven Kontrolle von Susanne Klatten ist ein neuer Vorstand derzeit dabei, das Unternehmen zu sanieren und aus der Verlustzone zu führen.

Stefan Quandt ist Großaktionär und stellvertretender Aufsichtsratschef von BMW. Anders, als es Ferdinand Piëch bei VW getan hat, beansprucht er nicht den Vorsitz im Kontrollgremium für sich. Ihm genügt es, wenn er seine Vorstellungen zur Strategie des Unternehmens in den Sitzungen und im direkten Gespräch mit dem jeweiligen Aufsichtsratschef einbringen kann. Gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester hat Stefan Quandt aber die Macht, zu bestimmen, wer an der Spitze des Aufsichtsrats steht. Innerfamiliär hat er die Führung für das BMW-Engagement der Familie.

Die Familie Quandt hat in den vergangenen Jahrzehnten gute Erfahrungen damit gemacht, das Amt des BMW-Chefkontrolleurs einem früheren Vorstandsmann zu überlassen, und hält an diesem Modell fest. Die Quandts betrachten BMW nicht als ein Familienunternehmen und unterscheiden sich in dieser Hinsicht zum Beispiel von den Mohns bei Bertelsmann. Dass sie bei dem Automobilkonzern die Macht in ihren Händen haben, ist dort allerdings fast jedem bewusst. Als der US-Autojournalist David Kiley 2004 mit BMW-Managern Interviews führte, fiel ihm auf, wie einsilbig die Herren wurden, wenn das Gespräch auf die Quandts kam. Als Kiley einen der Manager direkt darauf ansprach, erhielt er eine Frage zur Antwort: »Wer will schon riskieren, dass Milliardäre sauer auf einen sind?«

Neben BMW regiert auch Stefan Quandt noch ein weiteres Firmenreich. Dazu gehört die Delton AG, ein Konzern mit immerhin 5 850 Mitarbeitern. Diese Gesellschaft, deren Umsatz bei 1,4 Milliarden Euro liegt, hat nur einen Aktionär: Stefan Quandt. Bei Delton handelt es sich um eine Holding, die einst als Dach über ein Sammelsurium von Firmen gezogen wurde, die Herbert Quandt hinterließ. Eine Vielzahl dieser Beteiligungen hat Stefan Quandt in den vergangenen Jahren verkauft. Behalten hat er die Logistikgruppe Logwin und den Arzneimittelhersteller Heel.

Die Liste der Firmen, bei denen die Quandts heute das Sagen haben oder jedenfalls ein gewichtiges Wort mitreden, ist lang. Darauf stehen Namen wie Nordex und Solarwatt, Entrust Datacard und Gemalto, und neuerdings ist auch ein Geldinstitut dabei: die Frankfurter BHF-Bank. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein neuer Deal verkündet wird. Mal ist es ein mittelständischer Anlagenbauer, bei dem einer der Quandts einsteigt. Mal ist es ein Start-up, mit dessen Servern und Software dezentrale Energieanlagen gesteuert werden können. Nur wenige dieser Investitionen machen so viele Schlagzeilen wie Susanne Klattens spektakulärer Kauf eines noch zu bauenden Büroturms in Frankfurt im Herbst 2014. Der Preis des Gebäudes mit 29 Stockwerken dürfte zwischen 350 und 400 Millionen Euro gelegen haben.

Anders als viele Spitzensportler und eine Reihe anderer deutscher Unternehmenserben versteuern die Quandts ihre Einkommen in Deutschland. Das fällt ihnen erheblich leichter, seit die Regierung von Helmut Kohl 1997 nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Vermögensteuer abschaffte. Wohl keine zweite Familie in Deutschland profitierte davon so sehr wie die Quandts. Sie hatten bis dahin Jahr für Jahr 1 Prozent ihres Vermögens an den Fiskus abführen müssen. Um welche Beträge es dabei ging, fördert ein Blick in die Börsentabellen zutage. Allein für ihr BMW-Aktienpaket hätten die Quandts beim gegenwärtigen Kursniveau jährlich rund 750 Millionen Euro an das Finanzamt zahlen müssen. Es wäre ihnen allerdings dann vermutlich nicht möglich gewesen, die Aktienmehrheit zu halten.

Der enorme Reichtum der Quandt-Erben spielt gegenwärtig auch in der Debatte um die Kapitalertragsteuer und die Erbschaftsteuer eine Rolle. 2014 ging das Bundesverfassungsgericht der Frage nach, ob die geltenden gesetzlichen Vergünstigungen für Firmenerben mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Unternehmenserben sind seit 2009/2010 von der Erbschaftsteuer ganz oder teilweise befreit, wenn sie die Firmen über mehrere Jahre weiterführen und die Arbeitsplätze erhalten. In dem Karlsruher Verfahren fiel mehrfach der Name von Susanne Klatten. Sie und ihr Bruder würden eines Tages ihre Mutter Johanna Quandt beerben. Einer der Verfassungsrichter führte Susanne Klatten als ein Beispiel für den Umstand an, dass das geltende Recht auch solche Firmenerben schont und begünstigt, bei denen das gar nicht nötig wäre.

Im Dezember 2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Erbschaftsteuerrecht für teilweise verfassungswidrig. Die Richter urteilten, dass Unternehmenserben zu stark begünstigt würden. Zwar dürfe der Gesetzgeber solche Erben privilegieren, um auf diese Weise Arbeitsplätze zu schützen. Im Fall von Großunternehmen müsse aber geprüft werden, ob eine solche Verschonung auch wirklich notwendig sei. »Die Privilegierung betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen«, erklärte das Gericht. Bis zur Mitte des Jahres 2016 muss der Gesetzgeber das Erbschaftsteuerrecht nach den Vorgaben aus Karlsruhe überarbeiten. Klar ist dabei: Die steuerfreie Übertragung von großen Unternehmensvermögen wird erheblich schwieriger oder sogar ganz unmöglich werden.

Die Familie Quandt ist davon nicht betroffen. Am 3. August 2015 starb Johanna Quandt im Alter von 89 Jahren. Was die Karlsruher Richter nicht wussten und auch sonst bislang unbemerkt blieb: Johanna Quandt hat ihre BMW-Aktien zum größten Teil bereits vor vielen Jahren auf ihre beiden Kindern übertragen. Was da still und leise und in mehreren Einzelschritten vollzogen wurde, war eine der größten Schenkungen, die es in Deutschland jemals gegeben hat, vermutlich sogar die größte überhaupt. Es handelte sich nämlich um ein Aktienpaket, das im Frühjahr 2015 einen Wert von 11,5 Milliarden Euro hatte.

Im Zentrum dieser gigantischen Vermögensverschiebung stand eine in der Öffentlichkeit unbekannte Firma: die Johanna Quandt GmbH & Co. KG für Automobilwerte. Das ist eine Kommanditgesellschaft, in die Johanna Quandt 1998 ihre BMW-Aktien eingebracht hatte. Seither lag dort ein Paket von 16,4 Prozent der stimmberechtigten Aktien des Automobilherstellers. Daneben hatte die Witwe noch ein Aktienpaket in direktem persönlichem Besitz, das ihr 0,4 Prozent der Stimmrechte bei BMW gibt. Bei den Quandt-Geschwistern gibt es Firmenkonstruktionen, die der ihrer Mutter entsprechen. Susanne Klatten hält ihre BMW-Beteiligung (12,6 Prozent am Stammkapital) in der Susanne Klatten GmbH & Co. KG für Automobilwerte. Diese KG gehört der Susanne Klatten Beteiligungs GmbH (SKB) und diese Firma wiederum gehört Susanne Klatten persönlich. Stefan Quandts BMW-Aktien (17,4 Prozent) liegen in der Stefan Quandt GmbH & Co. KG für Automobilwerte, die ihrerseits im Besitz der AQton SE ist, deren Anteile wiederum zu 100 Prozent Stefan Quandt persönlich gehören.

Irgendwann im Laufe des Jahres 2011 wanderte die Firma, die den Namen der Mutter trägt und in der ihre BMW-Beteiligung steckte, lautlos zu den beiden Kindern hinüber. Das ging finanztechnisch so: Die Kommanditanteile am Kapital der Johanna Quandt GmbH & Co. KG für Automobilwerte wurden zu gleichen Teilen an die Gesellschaften der beiden Kinder übertragen. 49,5 Prozent der KG-Anteile gingen in das Anlagevermögen der Susanne Klatten Beteiligungs GmbH über. Weitere 49,5 der Anteile an der Johanna Quandt GmbH & Co. KG für Automobilwerte übernahm Stefan Quandts Beteiligungsgesellschaft, die AQton SE.

Nachvollziehen lässt sich das aus dem Vergleich der Jahresabschlüsse dieser Gesellschaften, die im November 2012 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden, aber dort offenbar von niemandem beachtet wurden. Man musste genau hinschauen, um zu bemerken, dass in der Bilanz für das Jahr 2011 die Beteiligung an der Firma der Mutter unter den Finanzanlagen der Firmen von Tochter und Sohn aufgeführt wurde, während es sie dort im Jahr zuvor noch nicht gegeben hatte.

Damit kamen die BMW-Aktien zum allergrößten Teil in den Besitz von Susanne Klatten und Stefan Quandt. Johanna Quandt selbst war nur noch in einem geringen Umfang Aktionärin von BMW. Ihre direkt gehaltenen Aktien in Höhe von 0,4 Prozent am Stammkapital stellten zwar immer noch ein stattliches Vermögen dar, der Kurswert des Pakets lag im Frühjahr 2015 bei 300 Millionen Euro. Aber eine Großaktionärin von BMW war Johanna Quandt damit nicht mehr. Trotzdem wurde die alte Dame von BMW weiterhin als Großaktionärin angesehen und auch noch im Geschäftsbericht 2014 als solche ausgewiesen. Dort und ebenso auf der Website des Konzerns wurde Johanna Quandt wie in den Jahren zuvor als Anteilseignerin mit einem Stimmenanteil von 16,8 Prozent genannt.

Wie ist das möglich? Verstießen BMW und Johanna Quandt nicht gegen die Meldepflichten des Gesetzes über den Wertpapierhandel? Richtig ist, dass nach dem geltenden Recht Veränderungen bei den Stimmrechten von börsennotierten Aktiengesellschaften, die bestimmte Schwellen über- oder unterschreiten, dem Unternehmen und der Öffentlichkeit unverzüglich mitgeteilt werden müssen. Meldungen über Käufe und Verkäufe sind immer dann fällig, wenn Beteiligungen über 5 Prozent, 10 Prozent, 20 Prozent, 25 Prozent, 50 Prozent und 75 Prozent steigen oder sinken.

Es ist andererseits schwer vorstellbar, dass sich der Weltkonzern BMW und die Familie Quandt in solch heiklen Fragen nicht korrekt verhalten könnten, zumal sie ja die Bilanzen der zahlreichen Familienfirmen vorschriftsgemäß im Bundesanzeiger veröffentlicht haben. Tatsächlich hat die Familie auch nicht gegen die Meldevorschriften verstoßen, wie man erkennt, wenn man sich den Fall noch etwas genauer anschaut.

Für Unternehmen wie BMW und für die Finanzaufsicht kommt es generell darauf an, zu erfahren, wer in der Hauptversammlung über Stimmrechte in einem größeren Umfang verfügt und damit Einfluss nehmen kann. In dieser Frage sorgt das Gesetz heute tatsächlich für Transparenz. Veränderungen bei den Stimmrechten werden heutzutage umgehend gemeldet. Wem die Aktien tatsächlich gehören, ist demgegenüber zweitrangig. Im Fall von Johanna Quandt ist es so, dass sie zwar ihre Aktien größtenteils an ihre Nachkommen verschenkt hat, die Stimmrechte aus diesen Anteilen aber behalten hat.

Dass das überhaupt möglich war, hängt damit zusammen, wie die BMW-Beteiligung der Witwe gesellschaftsrechtlich strukturiert war. Die Johanna Quandt GmbH & Co. KG für Automobilwerte, der die BMW-Aktien gehören, ist eine Kommanditgesellschaft (KG) von der speziellen Art, bei der die Haftung dadurch reduziert wird, dass eine GmbH als Komplementär hinzugenommen wird. Derjenige Anteilseigner, der im Fall einer normalen KG unbeschränkt haften würde, ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Auf diese Weise lässt sich die Haftung für das gesamte Konstrukt begrenzen, und genau das macht diese Rechtsform seit Jahrzehnten so beliebt.

Nach außen hin wird eine GmbH & Co. KG stets durch die mit ihr verbundene GmbH und deren Geschäftsführer vertreten. Im Fall der Johanna Quandt GmbH & Co. KG für Automobilwerte ist der Komplementär eine zweite Firma, die so ähnlich heißt wie die erste, aber rechtlich eigenständig ist: die Johanna Quandt GmbH. Als deren Geschäftsführerin amtierte Johanna Quandt bis zu ihrem Tod im August 2015 persönlich. Und damit verfügt die alte Dame auch heute noch über die Stimmrechte aus jenen Aktien, die schon seit Jahren im Besitz ihrer beiden Kinder sind.

Mithilfe dieser Firmenkonstruktionen ist es der Familie Quandt gelungen, steuerliche Vorteile noch zu Lebzeiten von Johanna Quandt zu nutzen und die Übertragung dieses enormen Vermögens unbemerkt über die Bühne zu bringen. Für den Fiskus sind Erbschaften und Schenkungen das Gleiche, es gelten dieselben Steuersätze, Freibeträge und Verschonungsregeln.

Wären die BMW-Aktien von Johanna Quandt mitsamt dem Stimmrecht ihren beiden Kindern übertragen worden, hätte BMW das offiziell mitteilen müssen und die Öffentlichkeit hätte sogleich davon erfahren. Dass die Familie einen anderen Weg nahm, dürfte auch den Grund haben, dass sie sich einer Debatte über die Übertragung dieses Multimilliardenvermögens nicht aussetzen wollte. Man kann den Quandts allerdings nicht vorwerfen, dass sie die Übertragung der BMW-Aktien verheimlicht hätten, denn in den Anlagen zu den von ihnen veröffentlichten Bilanzen wurde korrekt ausgewiesen, welche Gesellschaftsanteile wo lagen.

Und noch ein weiteres Mal gab die Familie sogar einen Hinweis darauf, dass es in dem Familienvermögen eine grundlegende Veränderung gegeben haben könnte. Dabei ist allerdings nicht klar, ob das Absicht war oder ein Versehen. Zum 60. Geburtstag ihres Familien-Finanzchefs Johannes Fritz im Sommer 2014 rühmte die Familie in einer Mitteilung an Journalisten dessen Verdienste und erwähnte dabei auch, dass Fritz den »Generationenübergang« vorbereitet und abgesichert habe.

2011 gab Stefan Quandt der Wochenzeitung Die Zeit ein Interview über die NS-Verstrickung der Familie und deren Aufarbeitung durch einen Historiker. Damals wurde er auch gefragt, was er mit den hohen Einkünften aus BMW-Dividenden tue. Quandt antwortete damals: »Wir verwenden das Geld, um das Vermögen zu stabilisieren.« Er lehnte es damals ab, nähere Auskunft zu seinen finanziellen Verhältnissen zu geben, und sagte lediglich: »Ich habe keinen großen Geldspeicher wie Dagobert Duck.« In einem Interview für dieses Buch bestätigte Stefan Quandt im Mai 2015 die Schenkungen der Mutter: »Der Vermögensübertrag war gut geplant. Er fand in mehreren Teilschenkungen über einen längeren Zeitraum bis zum Jahr 2008 statt und war schenkungssteuerlich günstig. Das hat mit Aktienkursen und Bewertungen zu tun. Wir sahen: Wir können das jetzt stemmen. Innerhalb von zwei, drei Jahren ist das verkraftet.«

Wie viel Steuern die Familie bezahlt hat, mag Stefan Quandt nicht offenlegen. Die Familie habe von den steuerlichen Privilegien für Betriebsvermögen profitiert, aber sie habe auch in einem nennenswerten Umfang Schenkungsteuer gezahlt. Es gibt Hinweise darauf, dass der effektive Steuersatz bei den Schenkungen Johanna Quandts bei 18 Prozent gelegen haben könnte. Die Quandts haben die Schenkungen in jedem Fall noch vor der Einführung des seit 2009 geltenden besonders günstigen Erbschaftsteuerrechts abgewickelt, das von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) konzipiert und von der Großen Koalition beschlossen wurde.

Auf die Frage, warum die Schenkungen erst in den Bilanzen des Jahres 2011 zu erkennen waren, obwohl sie bereits in den Jahren bis 2008 stattgefunden haben, erläuterte der Sprecher der Familie: »Der Vermögensübertrag erfolgte in mehreren Teilschenkungen bis einschließlich 2008. Im Rahmen dieses Prozesses traten Frau Klatten und Herr Quandt zunächst als Kommanditisten in die Johanna Quandt GmbH & Co. KG ein. Dies ist im Handelsregister ausgewiesen. Im Jahr 2011 sind die Anteile der Geschwister an der Johanna Quandt GmbH & Co. KG für Automobilwerte dann in die jeweiligen Holdings SKB GmbH und AQton SE eingebracht worden. Dies wurde in den Jahresabschlüssen gezeigt. Frau Klatten und Herr Quandt konnten damit ihre – über SKB beziehungsweise AQton gehaltenen – direkten Beteiligungen an BMW mit ihren indirekten Beteiligungen zusammenfassen. Beide halten seitdem ihre gesamten BMW-Aktien über eine eigene Beteiligungsgesellschaft.«

Die Familie Quandt habe nicht verheimlichen wollen, dass die BMW-Aktien von der Mutter auf die Tochter und den Sohn übertragen worden seien, sagte Stefan Quandt in einem Interview für dieses Buch. »Alle Informationen sind öffentlich zugänglich. Ich wundere mich, dass es nicht früher thematisiert wurde.«

Im Handelsregister von Bad Homburg lässt sich die Mega-Schenkung genauer nachvollziehen. Es begann am 20. August 2003. An diesem Tag trennte sich Johanna Quandt von 30 Prozent der BMW-Beteiligung, die in der Johanna Quandt GmbH & Co. KG lag, indem sie Anteile von jeweils 15 Prozent an dieser Gesellschaft auf ihre Kinder übertrug. Weniger als zwei Jahre später wurden in drei Einzelaktionen im März 2005 insgesamt weitere 19 Prozent übertragen Die größte und letzte Schenkung fand am 21. Oktober 2008 statt. Johanna Quandt übertrug 50 Prozent der KG-Anteile zu gleichen Teilen an ihre Kinder, so dass sie selbst seither nur noch 1 Prozent am Kapital der Gesellschaft hat, die aber weiterhin ihren Namen trägt.

Nach Darstellung ihres Sohnes mochte Johanna Quandt nicht auf die Stimmrechte, die sie seit Jahrzehnten hatte, verzichten. »Meine Mutter begleitete BMW mit regem Interesse. Es war eine rationale Entscheidung, die wirtschaftliche Beteiligung an die nächste Generation zu übertragen. Aber es hatte auch eine emotionale Seite. Es bestand nicht die Notwendigkeit, mit dem wirtschaftlichen Wert auch die Stimmrechte zu übertragen. Es war für meine Mutter schön, dass sie als BMW-Aktionärin noch ihre Stimmrechte ausüben konnte.« Auch die Dividenden flossen weiterhin der Mutter zu.

Nach Aussage von Stefan Quandt hat die Familie nicht einmal BMW über die Übertragungen informiert. Heute dürfte es in München viele Manager und Mitarbeiter beruhigen, wenn sie erfahren, dass die vierte Generation der Quandts auf Sicht in dem bisherigen Umfang BMW-Aktionäre bleiben kann und nicht etwa durch hohe Erbschaftsteuern zu einer Verringerung der Beteiligung gezwungen sein wird. »Das Thema der Vererbung von der dritten auf die vierte Generation ist durch«, sagt Stefan Quandt. »Daraus wird es für das Unternehmen sicher keine Verwerfungen geben.«

Warum sich die Quandts zu einer Übertragung zu Lebzeiten Johanna Quandts entschlossen, liegt auf der Hand. Auf diese Weise konnten sie die BMW-Beteiligung in mehreren Portionen übertragen, wodurch es der Familie leichter fiel, die anfallende Schenkungsteuer zu tragen. Die Höhe der Schenkungsteuerbeträge wurde außerdem entscheidend von den jeweiligen Börsenwerten beeinflusst.

Schaut man sich die Aktienkurse zum Zeitpunkt der Schenkungen an, so ergibt sich folgendes Bild: Die erste Schenkung erfolgte 2003 bei Kursen von 36 Euro. Das bedeutet, dass an diesem Tag ein Aktienpaket im Wert von rund 1,1 Milliarden Euro innerhalb der Familie Quandt übertragen wurde. Die drei Schenkungen im März 2005 betrafen Aktien im Wert von damals 670 Millionen Euro. Bei der Schenkung 2008 kostete die BMW-Aktie an der Börse wegen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise nur 21 Euro, daher betrug der Marktwert des Pakets lediglich eine Milliarde Euro.

Unterm Strich ergibt sich, dass die BMW-Beteiligung von Johanna Quandt bei Marktwerten von 2,8 Milliarden Euro übertragen wurde. Im Nachhinein erweist sich das als sehr gut getimt. Zum Vergleich: Beim Höchstkurs im Frühjahr 2015 von 124 Euro je Stammaktie war diese Beteiligung mehr als zwölf Milliarden Euro wert.

Heute sind die Besitzverhältnisse so, dass Susanne Klatten 20,8 Prozent der BMW-Stammaktien hält und Stefan Quandt über 25,6 Prozent verfügen kann. Der Marktwert des Klatten-Pakets lag im Frühjahr bei rund 14 Milliarden Euro, der Wert von Stefan Quandts BMW-Beteiligung betrug rund 17 Milliarden Euro.

Die Quandt-Geschwister sind wirtschaftlich unabhängig voneinander und ihre Vermögen klar getrennt, sie arbeiten aber auf vielfältige Weise zusammen. Susanne Klatten und Stefan Quandt sind außerdem noch Teil einer vielköpfigen Unternehmerfamilie, die weitaus größer ist und deren Einfluss in zahlreiche andere Bereiche der Wirtschaft hineinreicht.

Salopp formuliert: Es gibt die beiden superreichen Quandts. Und es gibt etliche sehr reiche Quandts. Die meisten von ihnen sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Susanne Klatten und Stefan Quandt haben vier ältere Halbgeschwister – drei Schwestern und einen Bruder –, die aus den ersten beiden Ehen ihres Vaters Herbert Quandt stammen. Deren Namen beginnen ebenfalls allesamt mit dem Buchstaben S: Silvia, Sonja, Sabina und Sven. Die Älteste feiert 2016 ihren 79. Geburtstag, der Jüngste wird dann 60 Jahre alt werden.

Mit dem für ihn typischen Weitblick hatte Herbert Quandt dafür gesorgt, dass die Nachkommen aus seinen drei Ehen kein gemeinsames Erbe haben würden, um Streitigkeiten nach seinem Tod zu vermeiden. Noch zu Lebzeiten teilte er sein Reich unter ihnen auf und übertrug dabei große Vermögenswerte auf seine älteren Kinder. Seine älteste Tochter Silvia erhielt ein Immobilien- und Finanzvermögen, weil sie kein unternehmerisches Interesse hatte. Die drei Nachkommen aus der zweiten Ehe erhielten die Aktienmehrheit des Batteriekonzerns Varta, der lange Zeit die wichtigste Industriefirma im Besitz der Familie Quandt gewesen war. Dort saß Sohn Sven Quandt über viele Jahre im Aufsichtsrat, bevor er sich als Rallyefahrer und Rennstall-Unternehmer einen Namen machte.

Zum Quandt-Clan gehören überdies die vier Töchter Harald Quandts. Er war der jüngere Halbbruder von Herbert Quandt und in den fünfziger und sechziger Jahren ebenfalls ein sehr aktiver Industrieller. Er starb 1967 bei einem Flugzeugabsturz und hinterließ eine Frau und fünf teils minderjährige Töchter. Die jüngste von ihnen starb bereis 2005. Die verbliebenen vier Frauen haben ihr eigenes Firmenimperium und sie verfügen ebenfalls über ein Milliardenvermögen. Als Oberhaupt dieses Familienzweigs fungiert Gabriele Quandt, die zweitälteste Tochter Harald Quandts. Die geschäftliche Zentrale ist in einem Gebäude in Bad Homburg, das Harald-Quandt-Haus heißt. Es liegt dem Günther-Quandt-Haus, in dem die BMW-Erben heute ihr Hauptquartier haben, gegenüber.

Das Verhältnis der beiden Familienstämme ist heute gut nachbarschaftlich und freundschaftlich. Das war nicht immer so. Nach dem Tod Harald Quandts kam es in der Familie in den siebziger Jahren zu schweren Auseinandersetzungen und einem regelrechten Psychokrieg. Das zuvor gemeinsam verwaltete Vermögen wurde in langwierigen Verhandlungen aufgeteilt. Dabei wurde 1974 ein großes Aktienpaket der Daimler-Benz AG, das den Quandts früher gemeinsam gehört hatte, an das Scheichtum Kuwait verkauft.

Seither machen die beiden Quandt-Familien getrennte Geschäfte. Vor einigen Jahren sind die Mitglieder der vierten Generation der Unternehmerdynastie aber wieder etwas näher zusammengerückt. Unter dem Eindruck einer spektakulären Dokumentation, die 2007 im NDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde, haben sich die Geschwister und Cousinen erstmals gemeinsam mit der Geschichte ihrer Vorfahren während der NS-Zeit auseinandergesetzt und sich dabei öffentlich ihrer Verantwortung gestellt.

Ihr Großvater Günther Quandt war einer der wichtigsten Rüstungsproduzenten im »Dritten Reich« und beschäftigte in seinem Unternehmensreich Zehntausende von Zwangsarbeitern. Überdies gab es eine persönliche Verbindung mit Joseph Goebbels. Günther Quandts zweite Ehefrau Magda, mit der er den Sohn Harald hatte, ließ sich von ihm scheiden und heiratete 1931 Joseph Goebbels. Der Quandt-Sohn wuchs im Haus des NS-Propagandaministers auf. Als seine Mutter 1945 sich selbst und ihre sechs Kinder aus der Ehe mit Goebbels tötete, war Harald Quandt als Soldat in britischer Kriegsgefangenschaft.

Diese düstere Vergangenheit trug gewiss dazu bei, dass die Quandts über Jahrzehnte hinweg sehr darauf achteten, in der Öffentlichkeit möglichst selten in Erscheinung zu treten. Sie gaben keine Interviews und sie verbargen auch ihren wirtschaftlichen Einfluss, so gut es ging. Ihr Hang zur Geheimnistuerei wirkte auf manche Beobachter schon fast krankhaft.

Vor allem Herbert Quandt fühlte sich wohler, wenn er im Hintergrund bleiben konnte und dort die Fäden zog. Die Quandts zeigten sich andererseits immun gegenüber der Versuchung, sich im Glanz ihres Geldes und ihres wachsenden Erfolges zu sonnen. »Es hat sich auch bewährt, dass wir in der Vergangenheit immer versucht haben, uns zurückzuziehen und nicht jeden Tag in den Schlagzeilen oder im Rampenlicht zu stehen«, sagte Johanna Quandt vor einigen Jahren bei einer der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie überhaupt öffentlich sprach.

Das ist im Grundsatz bis heute so geblieben. Aber es hat sich auch einiges verändert im Verhältnis der Familie zur Öffentlichkeit. In den vergangenen Jahren hat sich die vierte Quandt-Generation in kleinen, vorsichtigen Schritten geöffnet. »Sie verkapseln sich nicht mehr«, sagt ein langjähriger Kenner der Verhältnisse. Der mannigfaltige Einfluss der Quandts und ihr wirtschaftliches Wirken sind heute erheblich transparenter als in früheren Jahrzehnten. Dazu trugen auch neue gesetzliche Bestimmungen für börsennotierte Unternehmen und private Unternehmen bei, die heute allesamt für die Öffentlichkeit durchsichtiger sind, als sie es in früheren Jahrzehnten waren.

Nach der Ausstrahlung des NDR-Films öffnete die Familie ihr privates Archiv und ließ die Geschichte ihrer Verstrickung in das NS-Regime von einem unabhängigen Historiker, dem Bonner Professor Joachim Scholtyseck, aufarbeiten. Als die Ergebnisse der Studie vorlagen, fanden Stefan Quandt und seine Cousine Gabriele Quandt die richtigen Worte, um sich einerseits von ihrem Großvater zu distanzieren und andererseits ihre heutige Verantwortung für das Vermögen zu definieren. Damit hatte das »Schweigen der Quandts«, wie der vorwurfsvoll gemeinte Titel des NRD-Films lautete, ein Ende.

Durch diesen Schritt hat sich die vierte Generation der Industriellenfamilie in gewisser Hinsicht befreit und emanzipiert. Gerade Susanne Klatten und Stefan Quandt sind als Unternehmer aus dem Schatten ihrer Vorfahren getreten. Die Geschwister, die das Manager-Magazin noch 2006 als »Erben ohne Fortune« beschrieben hatte, haben die Geschichte der Unternehmerdynastie höchst eindrucksvoll fortgeschrieben. Durch ihr geschicktes Agieren und dank glücklicher Umstände haben sie die Position der Familie als die der mächtigsten deutschen Wirtschaftsdynastie festigen können. Ihr wirtschaftlicher und finanzieller Erfolg ist geradezu atemberaubend und der Zuwachs an Vermögen exorbitant. Die Quandts sind heute die erfolgreichste Unternehmerfamilie in Deutschland.

Ihr Aufstieg ist eine Geschichte, die nicht selten dramatisch verlief. Sie ist voller Triumphe und auch voller Tragödien. Sie ist ein Lehrstück über Unternehmertum und über die Verführungskraft des Geldes. Es ist zugleich eine große Familiensaga, die von Kampf und Sieg erzählt, von Streit und Zusammenhalt, von Tod und Erneuerung.

Kapitel 2Uniformen für Preußen und das Kaiserreich

Wie die Quandts als Tuchfabrikanten in Brandenburg begannen

Die Geschichte der Quandts ist die Geschichte einer erfolgreichen Zuwanderung. Und sie ist eingebettet in den Aufstieg der Mark Brandenburg zur europäischen Großmacht Preußen. Am 18. Januar 1701 setzte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg in Königsberg die Krone auf den Kopf und wurde auf diese Weise zu Friedrich I., König in Preußen. Er herrschte allerdings über ein armes Land, es war dünn besiedelt und rückständig. Um das zu ändern, holte sein Sohn und Nachfolger, König Friedrich Wilhelm I., in großem Stil Einwanderer in sein Land. Er lockte Immigranten aus ganz Europa an. »Menschen achte ich vor den größten Reichtum«, sagte er.

In welchem Jahr die Quandts aus Holland nach Brandenburg einwanderten, lässt sich nicht mehr zurückverfolgen, ebenso wenig, aus welchem Grund sie ihre Heimat verließen. Vielleicht war der erste Quandt schon 1648 mit dabei, als die ersten Holländer als Kanal- und Landschaftsbauer nach Brandenburg kamen.

Womöglich kamen die Quandts aber auch erst, als bereits Friedrich II. regierte, der später der Große genannt wurde. Dieser König wollte »jeden nach Seiner Fasson selich« werden lassen und gewann 300 000 Einwanderer für sein Reich. Vor allem Menschen, die in ihrer Heimat religiös verfolgt wurden, folgten dem Ruf des Königs: Waldenser, Mennoniten, schottische Presbyterianer, böhmische Protestanten und Juden. Sie alle waren willkommen in Preußen, denn ihr neuer Herrscher verfolgte ein machtpolitisches Ziel. Die »Kolonisten« sollten dazu beitragen, die Wirtschaftskraft Preußens zu stärken. Nicht zuletzt sollten die Einwanderer dem König jene Steuern erwirtschaften, die er für den Unterhalt seiner Armee brauchte. Preußen war ein kleiner Staat mit einer großen Streitmacht und zielte auf Expansion.

Die Einwanderer versetzten dem sandigen und von Natur aus armen Land, das im Dreißigjährigen Krieg verwüstetet worden war, einen Modernisierungsschub. Die politischen Bedingungen, unter denen die Menschen lebten, waren günstig. Preußens Könige und ihre Minister machten eine gute Wirtschaftspolitik. Die Bürger mussten zwar hohe Steuern zahlen, aber sie lebten ein Leben, so frei von Willkür, wie das zu dieser Zeit in Europa nirgendwo sonst möglich war.

Die Quandts arbeiteten über Generationen hinweg als einfache Handwerker in Brandenburg. Sie waren Seiler, Schuhmacher und Tuchmacher. Ihr Aufstieg zur bedeutendsten deutschen Wirtschaftsdynastie begann mit Emil Quandt. Er war der erste kapitalistische Unternehmer der Familie. Geboren wurde er am 13. Januar 1849, als erster (und einziger) Sohn von Friedrich und Henriette Quandt. Die Familie lebte in Pritzwalk, einer kleinen Stadt in der Prignitz, im Nordwesten Brandenburgs gelegen.

Mit sechs Jahren verlor Emil Quandt seinen Vater. Die Mutter zog ihn alleine auf. Emil lernte Sparsamkeit als eine Tugend aus Notwendigkeit. Aber er durfte die höhere Schule in Perleberg besuchen. Mit 16  Jahren fing der junge Quandt dann in der Tuchfabrik der Gebrüder Draeger in Pritzwalk an. Das war ein überschaubarer Betrieb. Es gab sechs mechanische Webstühle, die durch im Kreis laufende Pferde angetrieben wurden. Garn wurde noch von Hand gesponnen, die erste Dampfmaschine aufgestellt, als Emil Quandt bereits zwei Jahre im Unternehmen tätig war. Quandt arbeitete sich vom Lehrling zum Handlungsgehilfen hoch und wurde schließlich Prokurist. Die Fabrik wurde zum Mittelpunkt seines Leben, doch dann musste Quandt 1871 miterleben, wie sie bis auf die Grundmauern abbrannte. Die Katastrophe passierte ausgerechnet in einem Jahr des allgemeinen Aufbruchs, dem Jahr der Reichsgründung, dem Jahr, in dem der preußische König Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser proklamiert wurde.

Zu ihrem Glück waren die Inhaber, die Gebrüder Draeger, versichert, bei einer Gesellschaft namens Phoenix in London. Sie kam für den Schaden zügig auf, so dass einem Wiederaufbau nichts im Wege stand. Einer der Brüder ließ sich bei der Gelegenheit allerdings lieber auszahlen. Der andere, Ludwig Draeger, sah den Neuanfang als eine Chance. 1873 ließ er ein neues vierstöckiges Gebäude errichten. Für Ludwig Draeger wurde der fleißige und fähige Quandt zum wichtigsten Mitarbeiter. Draegers ältester Sohn war ebenfalls begabt, er konnte sich aber für die Tuchfabrikation nicht begeistern. Da traf es sich gut, dass Draegers Tochter Hedwig und der junge Quandt aneinander Gefallen fanden. Die beiden verlobten sich. Noch vor ihrer Hochzeit am 20. Juli 1880 starb Vater Draeger. Emil Quandt musste die Leitung der Firma übernehmen, er war damals 30 Jahre alt. Das Unternehmen gehörte zunächst der Witwe Draeger und ihren fünf Kindern. 1883 übernahm dann aber Emil Quandt gemeinsam mit einem jüngeren Bruder seiner Frau die Fabrik. Von diesem Tag an war er sein eigener Herr.

Durch die Heirat mit der Fabrikantentochter Hedwig Draeger stieg Emil Quandt 1880 zum Unternehmer auf. Er produzierte Tuche für die Uniformen der Kaiserlichen Marine.

Emil Quandts Aufstieg zum Unternehmer fiel in eine Zeit, in der sich die Wirtschaft dramatisch veränderte. Nach dem Sieg Deutschlands im Krieg gegen Frankreich und der Gründung des Reiches hatte ein hitziger Konjunkturboom das Land erfasst. Doch der Aufschwung endete abrupt. Nach einem Börsenkrach in Wien am 9. Mai 1873 setzte eine scharfe Rezession ein. Auch an der Börse in Berlin fielen die Kurse all der neu gegründeten Eisenbahngesellschaften, Banken und Montanfirmen tief. Im Lande breitete sich Resignation aus.

Inmitten dieser Depression übernahm Emil Quandt die Geschäfte des Textilunternehmens. Er bewältigte die Krise: Unter den elf Tuchfabriken, die es in Pritzwalk gab, sollte sein Unternehmen das einzige sein, das die Flaute überlebte. Von der Konkurrenz unterschied sich das Unternehmen in mehrfacher Hinsicht. An der Spitze stand ein erfolgshungriger Aufsteiger, der darum kämpfte, den gerade erlangten Status nicht wieder zu verlieren. Zudem war die Fabrik technisch auf dem neuesten Stand, seit der Brand einen Neuanfang erzwungen hatte. Neben 26 mechanischen Webstühlen gab es mittlerweile halbautomatische Spinnmaschinen, sogenannte Mule-Jennies aus englischer Fabrikation. Hinzu kamen eine eigene Wäsche, Walke und Appretur, in denen die Tuche fertiggestellt wurden.

Noch wichtiger war, dass die Firma ihre Stoffe fast ausschließlich für einen finanzstarken Großabnehmer produzierte: den Staat. Schon seit 1858, dem Gründungsjahr der Marine des Norddeutschen Bundes, war die Fabrik der Gebrüder Draeger deren Lieferant gewesen. Das setzte sich fort, als 1871 die Kaiserliche Marine gebildet wurde. Diese Militäraufträge machten die Tuchfabrik unempfindlich gegen die Schwankungen der Konjunktur.

Ein Jahr nach ihrer Hochzeit bekamen die Quandts ihr erstes Kind, es war ein Sohn. Der Junge kam am 28. Juli 1881 in Pritzwalk zur Welt. Seine Eltern wählten den Namen Günther, in dem die althochdeutschen Wörter gund für Kampf und heri für Heer enthalten sind. Schon bald zog die junge Familie in Hedwig Quandts Elternhaus am Meyenburger Tor. Diese Villa lag in direkter Nachbarschaft der Fabrik.

Als er heranwuchs, konnte der kleine Günther mitansehen, wie sich der väterliche Betrieb entwickelte. Immer neue Maschinen wurden aufgestellt. Bald war die Fabrik eine der am besten ausgestatteten Anlagen im ganzen Kaiserreich. Der Junge erlebte das Unternehmen mit seiner strengen Hierarchie aus Arbeitern, Vorarbeitern und Meistern. Über allem thronte der Vater, ein großer, früh ergrauter Mann mit mächtigem, nach oben gezwirbeltem Schnauzbart. Die Familie wuchs rasch. Zwei Jungen kamen zur Welt, Werner und Gerhard, und ein Mädchen, Edith.

Vater Quandt war ein konservativer Preuße. Auch in geschäftlichen Dingen war Emil Quandt altmodisch, er lehnte es beispielsweise ab, neue Maschinen auf Kredit zu kaufen. Jede Erweiterung musste aus Gewinnen finanziert werden. Was den Vater bei seiner Arbeit antrieb, das hat der Sohn Günther Quandt in späteren Jahren so beschrieben: »Er dachte wie ein Bauer oder Handwerker alten Stils in Generationen. Was er erarbeitet hatte, sollten seine Söhne, meine Brüder und ich, einmal fortführen.«

Unter den drei männlichen Nachkommen war Günther der Primus. Eine gründliche Ausbildung sollte ihn auf die Nachfolgerrolle vorbereiten. Doch das war zu dieser Zeit und an diesem Ort nicht einfach einzurichten. Wenn Günther all das lernen sollte, was er als Fabrikant in der sich rasch verändernden Textilbranche wohl brauchen würde, dann hätte der Vater in Pritzwalk, einer Stadt mit damals rund 6 000 Einwohnern, mehrere Hauslehrer beschäftigen müssen. Sie hätten den Sohn Englisch und Französisch lehren müssen, die Sprachen der zu dieser Zeit größten Industrie- und Handelsmächte in Europa, dazu die Grundzüge des kaufmännischen Rechnens und mindestens so viel Kenntnis der Naturwissenschaften, dass er die Patentschriften der Textilbranche würde lesen können. Der Vater wählte einen anderen Weg und stellte damit eine entscheidende Weiche im Leben Günther Quandts. Er schickte seinen Sohn mit 15 Jahren nach Berlin.

So kam es, dass der aufgeweckte Junge aus der Provinz, noch bevor er erwachsen wurde, eine Prägung in der aufstrebenden Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches erfuhr. Großstädte sind niemals statisch, doch die Entwicklung, die Berlin um die Jahrhundertwende nahm, war auch im historischen Vergleich atemberaubend. Die Stadt wuchs nicht, sie wucherte. Zu Hunderttausenden kamen Menschen in die Metropole, die bisher auf dem Lande gelebt hatten. Auf der Suche nach einem besseren Leben fanden sie Quartier in den schnell wachsenden Vorstädten Berlins. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der Einwohner Berlins um das Zehnfache auf vier Millionen.

Günther Quandt lebte in Berlin wohlbehütet. Er ging auf die Luisenstädtische Oberrealschule und wohnte im Haus seines Schulleiters, der zugleich sein Englischlehrer war. Er war ein guter Schüler, vor allem in Mathematik, Chemie, Geschichte und Geografie waren seine Leistungen überdurchschnittlich. Im Haus seiner Gasteltern lernte er Menschen kennen, denen er in der Provinz wohl niemals begegnet wäre, es verkehrten dort Persönlichkeiten wie der freisinnige Abgeordnete und langjährige Bismarck-Gegner Eugen Richter.

Der junge Quandt saugte Berlin in sich auf. Fast täglich unternahm er in seiner freien Zeit Streifzüge zur Erkundung der Metropole. Voller Faszination verfolgte er die Fortschritte beim Untergrund- und Hochbahnbau, der in diesen Jahren seinem Abschluss entgegenging. Der Schüler Quandt träumte davon, später einmal Architekt zu sein. Aber er wusste, dass auf ihn eine andere Aufgabe wartete.

Der Ruf kam früher als geplant. Gegen Ende des Jahrhunderts erkrankte Emil Quandt schwer an Galle und Leber. Sein Zustand besserte sich zwar rasch wieder, aber von nun an reiste der Firmenpatriarch in regelmäßigen Abständen zu Kuraufenthalten nach Karlsbad. Aus diesem Grund wollte er den Sohn so bald wie möglich im Unternehmen sehen. Emil Quandt spürte aber wohl auch, dass er selbst als Fabrikant bei dem rasanten Tempo der industriellen Veränderung nicht mehr lange würde mithalten können.

Von frühester Kindheit an wurde der älteste Sohn auf seine Rolle als Unternehmer vorbereitet: Günther (Mitte) mit seinen Brüdern Werner und Gerhard Quandt im Jahre 1890.

Günther Quandt war 17 Jahre alt, als ihn der Vater aus der Unterprima nahm. Damit war seine Jugend schlagartig beendet. Als Erstes durchlief er einen sechsmonatigen Schnellkurs im väterlichen Betrieb. Morgens um sechs Uhr setzte sich Günther an den Webstuhl, wo ihn eine erfahrene Weberin anlernte, anschließend übte er das Spinnen, lernte Walke und Wäsche. Ein Färbermeister führte ihn in die Kunst des Tuchfärbens ein und brachte ihm bei, wie man aus dem Saft der Indigopflanze leuchtende Marine- und Dragonerblaus zauberte. Im technischen Teil der Ausbildung machte sich Quandt mit der Dampfmaschine vertraut. Die Nachmittage waren der kaufmännischen Schulung reserviert. Täglich von zwei bis sieben Uhr saß Günther Quandt an der Seite des Vaters im Kontor und lernte von ihm Korrespondenz, Buchhaltung und Inventur.

Emil Quandt war mittlerweile Alleininhaber der Tuchfabrik Gebrüder Draeger geworden. Sein Schwager hatte sich beim Tennis eine Lungenverletzung zugezogen und zur Ruhe gesetzt. Im Oktober 1899 schickte Quandt seinen Sohn Günther auf die Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie nach Aachen. Für den jungen Mann begann eine harte Zeit. Seine Vorkenntnisse des Tuchmacherhandwerks erwiesen sich trotz der Schulung im elterlichen Betrieb als zu gering, er kam nicht mit. Bis in die Nächte musste Quandt über den Büchern sitzen, bis er aufgeholt hatte, was ihm zum Anschluss an die Mitschüler fehlte. Dieser selbst erarbeitete Erfolg beflügelte ihn. Freude machten ihm nicht nur die eigenen Fortschritte. Besonders gefielen ihm auch die Exkursionen, die ihn und seine Klassenkameraden in Kämmereien, Spinnereien, Maschinenfabriken oder Farbwerke in Köln, Elberfeld und Düren führten. Sein ganzes Leben sollte Günther Quandt kaum etwas so sehr fesseln wie die Besichtigung von Fabriken.

Mit großem Tatendrang übernahm der junge Günther Quandt – hier mit seinem Vater im Jahre 1900 – seine ersten Aufgaben als Unternehmer.

Der unternehmungslustige junger Mann durchwanderte den Aachener Wald und machte mit einem Schulkameraden eine zehntägige Tour mit dem Fahrrad den Rhein entlang. Er besuchte in Aachen die Tanzstunde und schloss sich einer studentischen Vereinigung namens Tessitura an. Die rheinischen Freunde schwärmten ihm von den Vergnügungen des Karnevals vor, und der junge Preuße, der wenig Taschengeld zur Verfügung hatte, bat den Vater brieflich um einen Zuschuss. Die ablehnende Antwort erhielt er nach drei durchfeierten Tagen am Aschermittwoch: »Du musst lernen, Dich nach der Decke zu strecken. Lerne sparen, leiste was, so kannst Du was, hast Du, bist Du was!«

An anderer Stelle zeigte sich der Vater großzügig. Als Quandt im August 1900 nach Hause telegrafierte, dass er sein Examen mit »gut« bestanden hatte, kam die prompte Antwort: »Herzlichen Glückwunsch. Durchfahre mit Mutter Aachen 23. August mitternachts zur Weltausstellung nach Paris. Du bist herzlich eingeladen mitzufahren.«

Die Reise nach Paris erlebte Günther Quandt wie einen wunderbaren Traum, sie hinterließ einen tiefen Eindruck. Sein damaliges Lebensgefühl beschrieb er Jahrzehnte später so: »Ich selbst unbeschwert, gerade 19 Jahre alt, mit einer zarten, stillen Liebe im Herzen, Mitglied eines siegreichen Volkes, das vor dreißig Jahren die Einigkeit errungen hatte, junger Bürger einer aufstrebenden Nation.«

Günther Quandts Ausgangsposition als Unternehmer war viel günstiger als die seines Vaters. 1896 hatte in der Wirtschaft des Kaiserreichs ein stürmischer Aufschwung eingesetzt. Verglichen mit dem Wandel in England und Frankreich erfolgte die Industrialisierung in Deutschland zwar spät, aber schnell und umfassend. Zur Jahrhundertwende war das Kaiserreich zur führenden Industrienation in Europa aufgestiegen.

Zurück im Unternehmen bewies Günther Quandt nicht nur schnell, dass er der übertragenen Aufgabe gewachsen war. Es gelang ihm auch, den vorsichtigen Vater, den der Gründerkrach mit seinen vielen Pleiten geprägt hatte, davon zu überzeugen, dass das Familienunternehmen vergrößert werden sollte. Die Gelegenheit zur Expansion ergab sich in der entfernten Verwandtschaft. In Wittstock stand die Tuchfabrik des Kommerzienrats Paul Georg Wegener zum Verkauf. Sie war sogar noch größer als die der Quandts, allerdings technisch veraltet. Emil Quandt beriet sich mit seinem Ältesten, dann kaufte er das Unternehmen für 1,1 Millionen Mark. Die Leitung der hinzugewonnenen Fabrik übernahm hoch motiviert Günther Quandt. »Was konnte es Schöneres für einen kaum zwanzigjährigen Jüngling geben, als lernend und leitend zugleich tätig zu sein?«, erinnerte er sich später.

Sechs Jahre lang führte er die Firma, ohne dass ihm der Vater hineinregierte. Er unterzog das Unternehmen, das über sechs Betriebsstätten verfügte, einer durchgreifenden Modernisierung, brachte die Herstellung auf den neuesten Stand der Technik und legte veraltete Produktionsanlagen still. Binnen zwei Jahren baute Günther Quandt eine neue Tuchfabrik.

Als die Fabrik fertig war, gründete der junge Unternehmer eine Familie. Günther Quandt hatte die drei Jahre jüngere Antonie Ewald gewählt, sie war die Tochter eines Maschinenfabrikanten aus Pritzwalk. Die jungen Leute kannten sich schon seit Jahren, sie hatten bereits Briefe getauscht, als Quandt noch die Aachener Webschule besuchte. Diese »Toni« war die »zarte, stille Liebe«, die er in seinem Herzen durch Paris getragen hatte.

Erst nachdem er sich sich als Textilfabrikant bewährt hatte, konnte er eine Familie gründen: Günther Quandt und Antonie Ewald bei ihrer Verlobung im Jahre 1905.