Die Rebellinnen - Hoffnung für Irland - Bettina Reiter - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Rebellinnen - Hoffnung für Irland E-Book

Bettina Reiter

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Kampf für die Freiheit: Die große Frauensaga »Die Rebellinnen – Hoffnung für Irland« von Bettina Reiter jetzt als eBook bei dotbooks. Irland, 1916: Eine neue Welt dämmert herauf, in der Frauen selbst über ihr Leben und ihre Liebe entscheiden können – doch jede Freiheit hat ihren Preis … Als Tochter verarmter Gutshofbesitzer hat Catherine bereits früh gelernt, was es heißt, machtlos zu sein – doch nun führt die Einladung einer alten Familienfreundin sie und ihre Schwestern auf das herrschaftliche Anwesen Coole Park, in ein aristokratisches Leben mit all seinen Möglichkeiten. Ausgerechnet Maud Gonne, die mutige Anführerin der Suffragetten, nimmt sich hier ihrer an. Nur, darf Cat der Revolutionärin wirklich trauen? In der schillernden Welt der Adligen und Einflussreichen begegnet sie auch dem charmanten David Wolfe Mitchel wieder: dem Erben einer Whiskey-Dynastie und Sohn von Cats größter Feindin. Darf sie es wagen, auf eine Zukunft mit ihm hoffen – gegen alle Widerstände? Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Die Rebellinnen – Hoffnung für Irland« ist der zweite Band der großen irischen Saga über die revolutionären Frauenrechtlerinnen »Die Töchter Irlands« und die Geheimnisse zweier Familien. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Irland, 1916: Eine neue Welt dämmert herauf, in der Frauen selbst über ihr Leben und ihre Liebe entscheiden können – doch jede Freiheit hat ihren Preis … Als Tochter verarmter Gutshofbesitzer hat Catherine bereits früh gelernt, was es heißt, machtlos zu sein – doch nun führt die Einladung einer alten Familienfreundin sie und ihre Schwestern auf das herrschaftliche Anwesen Coole Park, in ein aristokratisches Leben mit all seinen Möglichkeiten. Ausgerechnet Maud Gonne, die mutige Anführerin der Suffragetten, nimmt sich hier ihrer an. Nur, darf Cat der Revolutionärin wirklich trauen? In der schillernden Welt der Adligen und Einflussreichen begegnet sie auch dem charmanten David Wolfe Mitchel wieder: dem Erben einer Whiskey-Dynastie und Sohn von Cats größter Feindin. Darf sie es wagen, auf eine Zukunft mit ihm hoffen – gegen alle Widerstände?

Über die Autorin:

Bettina Reiter wurde 1972 geboren und arbeitet im sozialen Bereich. Neben dem Schreiben malt und fotografiert sie leidenschaftlich gerne. Sie ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Tirol.

Die Website der Autorin: www.bettina-reiter-autorin.com/

Bei dotbooks veröffentlichte Bettina Reiter ihre »White Manor«-Saga mit den Romanen »Die Töchter von White Manor – Schicksalsjahre« und »Die Töchter von White Manor – Sturmwellen« sowie ihre irische Saga mit den Romanen »Die Rebellinnen – Sturm über Irland« und »Die Rebellinnen – Hoffnung für Irland«.

***

Überarbeitete eBook-Neuausgabe April 2022

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel »Der Wind inmitten wilder Schwäne« bei hey! publishing.

Copyright © der Originalausgabe 2016 hey! publishing, München

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Serg Zastavkin / Victoria Chudinova sowie 12119 Royal Avenue, Belfast. County Antrim, Ireland between 1890 and ca. 1900. From the Photochrom Print Collection at the Library of Congress.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-271-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die Rebellinnen 2« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Bettina Reiter

Die Rebellinnen – Hoffnung für Irland

Roman

dotbooks.

Für meine Großmutter

The trees are in their autumn beauty,

the woodland paths are dry.

Under the October twilight the water,

Mirrors are a still sky.

Upon the brimming water among the stones,

are nine and fifty swans …

William Butler Yeats

Auszug aus seinem Gedicht The Wild Swans At Coolei

Kapitel 1

Mai 1916

Die Reise nach Galway war ziemlich strapaziös. Nicht nur aufgrund von Lady Gregorys zweifelhaftem Fahrstil. Mehrmals sah sich Catherine blutend im Graben liegen. Hinzu kam, dass die alte Dame keine Lust auf Pausen hatte. Diese wären jedoch bitter nötig gewesen. Um sich selbst zu erholen, aber auch um den anderen dasselbe zu gönnen. Zumal Catherine die Enge im Fahrzeug ebenfalls zu schaffen machte. Wie zusammengepferchtes Vieh saßen sie zwischen Taschen und Koffern. Und wehe, sobald Lady Gregory bremsen musste, was laufend vorkam.

Als sie endlich auf Coole Park eintrafen, wurde Catherine für all die Anstrengungen jedoch mehr als belohnt. Zumal sich Lady Gregorys Hütte als feudales Herrenhaus herausstellte. Mit nüchterner Fassade, über die sich Äste eines Apfelbaumes bis zum Dach hinauf verzweigten. Durch ein kastenförmiges Vorhaus gelangte man ins Innere. Gartenseitig gab es einen weiteren Zubau. Lady Gregorys persönliche Bibliothek, in der sie ihre literarischen Lieblingswerke hortete. Catherine war fasziniert von der Auswahl und konnte sich kaum sattsehen. Aber Lady Gregory setzte sogleich den Rundgang fort und zeigte ihnen den Rest des Hauses. Es versinnbildlichte ihre Gastgeberin auf ganz eigene Weise. Nach außen hin spiegelte es ihre Nachdenklichkeit wider, mit einer Prise trockenen Charme. In den Räumen taten sich jedoch ungeahnte Facetten auf. Kostbare Gemälde und Kunstwerke zeugten von einem erlesenen Geschmack. Fotos davon, dass Lady Gregory gern im Augenblick lebte, aber die Vergangenheit ebenso ihren Platz hatte. Auf Tischen und Kommoden stapelten sich Unterlagen, Texte und unleserliche Kritzeleien. »Bei meinen Spaziergängen nehme ich gern leere Papierbögen und einen Bleistift mit. Man weiß nie, was einem unterwegs einfällt. Inspiriert von einer Umgebung, in der die Worte beinahe wie von selbst fließen, doch das werdet ihr bald herausfinden«, schwärmte sie, während sie ihnen ihre Zimmer zeigte. Catherine hatte kaum einen Blick dafür übrig. Ihre Schwestern ebenso wenig. Nach dem langen Sitzen brauchten sie dringend Bewegung. Darum baten sie Lady Gregory nach dem Hinauftragen des Gepäcks um die Erlaubnis, hinausgehen zu dürfen.

»Na gut, aber bleibt in Sichtnähe«, zeigte sich diese gnädig. »Coole Park ist über vierhundert Hektar groß, durch die gut und gerne fünf bis sechs Kilometer lange Pfade führen. Ihr könntet euch verlaufen.«

»Selbst wenn, die Mädchen finden schon zurück.« Maud lächelte nachsichtig. »Und wir genehmigen uns jetzt eine Tasse Tee, was meinst du?«

Catherine und ihre Schwestern hörten Lady Gregorys Antwort nicht mehr, da sie aus dem Haus stoben und sich neugierig umblickten. Coole Park war in ein Kalksteingebiet gebettet und von dichten Wäldern bewachsen. Etliche Gartenanlagen taten sich vor Catherine und ihren Schwestern auf. Manche waren klein und gepflegt, andere mit dem bloßen Auge kaum zu ermessen und sich selbst überlassen. Auch neben dem Haus befand sich ein Garten. Jedes Beet war akkurat angelegt. Alle Sträucher sorgsam gestutzt und die Farbharmonie beeindruckend. Magisch angezogen wurde Catherine jedoch von der Blutbuche, die einen Platz für sich allein beanspruchte. Im Stamm waren viele Initialen eingeritzt. Eine weiße Bank in der Nähe lud zum Verweilen ein. Catherine fragte sich, wer sich im Baum verewigt hatte und verdrängte den Gedanken an die Eiche. Selbige war meilenweit entfernt, ebenso wie Robert. Sie lebte jetzt auf Coole Park. War umgeben von einer beeindruckenden Natur, und stromerte mit ihren Schwestern durch diesen großzügigen Garten, in dem es sogar Kräuterbeete gab. Nur die nüchterne Umgebungsmauer störte das beschauliche Bild. Ebenso wie Lady Gregorys energisches Rufen nach ihnen. Unwillig machten sie kehrt.

»Sichtnähe, habe ich gesagt!«, wurden sie von Lady Gregory empfangen. Schmunzelnd stand Maud neben ihr. »Haltet euch in Zukunft an meine Anweisungen.« Strenge Worte, aus denen Sorge zu hören war. »Und nun solltet ihr euch frisch machen und euch umziehen. Das Abendessen wird um fünf Uhr serviert. Seid pünktlich.«

Catherine und ihre Schwestern stürmten die Stufen hinauf.

»Himmel, siehst du den Dreck im Foyer und auf der Treppe?«, empörte sich Lady Gregory sogleich. »Wir sind doch nicht bei den Wilden!«

»Beruhige dich, Isabella. Auf uns werden noch ganz andere Dinge zukommen.«

»Es war wie immer nett, mit dir zu plaudern, Maud«, entgegnete Lady Gregory spitz.

Catherine betrat das ihr zugedachte Zimmer im ersten Stock. Ihre Schwestern verschwanden in den anderen Schlafräumen. Ob sie ähnlich riesig waren? Groß und feudal? Sie fühlte sich unendlich verloren im Raum mit dem Himmelbett. Der Boden war aus feinstem italienischem Marmor. Edler Goldstuck glänzte auf den Säulen, die den Raum teilten und das Bett von der blauen Sitzecke trennten. Das darüber befindliche bogenförmige Fenster gewährte einen schönen Ausblick auf den Garten. Der einzige Pluspunkt.

»Dein Zimmer ist ja auch so … äh, geräumig«, stellte Hannie fest und blickte sich ausgiebig um.

»Wie alles hier.« Catherine wollte sich auf das Bett setzen, unterließ es aber. Selbst das Laken schien aus purer Seide zu sein. »Zum ersten Mal schlafen wir allein«, stellte sie dann mit Bedauern fest. Bislang war sie keine Nacht von Hannie getrennt gewesen.

»Und? Freust du dich?« Hannie setzte sich auf das Sofa.

»Geht so …«

»Zu zweit wäre es jedenfalls gemütlicher.«

Catherine nahm Hannies hoffnungsvollen Ton wahr. »Sollen wir fragen, ob wir zusammenschlafen dürfen?«

»Wäre das nicht undankbar?«, gab Hannie halbherzig zu bedenken.

»Mag sein, aber du würdest mir fehlen. Gerade jetzt.«

Ein Argument, von dem sich auch Lady Gregory zehn Minuten später überzeugen ließ. Sofort wies sie ihre Bediensteten an, ein zweites Bett in Catherines Zimmer zu stellen. Emma hatten sie natürlich ebenfalls gefragt, doch ihre jüngste Schwester sprach sich dagegen aus. Ohnedies war ihr anzumerken, dass sie bereits jetzt diesen Luxus in vollen Zügen genoss.

Ebenso wie das erlesene Abendessen, zu dem sie sich pünktlich einfanden. Doch mit dem üblichen Hinunterschlingen war es vorbei. Lady Gregory hatte sich jedenfalls noch nie so oft geräuspert. Zumal sie die Hühnerkeulen nicht mit den Händen anfassen durften. Selten hatte Catherine beim Essen einen solchen Spießrutenlauf erlebt. Jeden Bissen überlegte sie sich zweimal, schielte ständig zu Lady Gregory, um in ähnlich vornehmer Weise das Besteck zu halten und nippte am Wasserglas, statt es in einem Zug auszutrinken. Natürlich beherrschten sie gewisse Umgangsformen, aber die waren meilenweit entfernt von den Anforderungen der alten Lady. Von der kerzengeraden Haltung, mit der sie am Tisch sitzen mussten, gänzlich zu schweigen. Umso erleichterter war Catherine, als das Abendessen vorbei war. Doch ihre Freude währte nicht lange, denn Lady Gregory beorderte sie in die Bibliothek. Wie die Orgelpfeifen saßen sie vor ihrer Gastgeberin, die sich einen Likör genehmigte.

»Damit unser Zusammenleben funktioniert, müssen gewisse Regeln eingehalten werden«, begann Lady Gregory mit ihrer Standpauke, nachdem sie das leere Glas neben sich abgestellt hatte. »Dazu gehören gute Umgangsformen. Natürlich kümmere ich mich auch um eure Bildung. Allerdings dulde ich keine Widerworte. Wenn ich Nein sage, bleibt es bei einem Nein. Darin bin ich äußerst konsequent.« Sie schenkte sich erneut nach. »Wenn ihr euch an meine Regeln haltet, werden wir eine wunderbare Zeit haben. Sollte jemand das Gegenteil tun, haben wir alle ein Problem. Und nun zieht euch zurück. Ich bin müde.«

***

In der folgenden Nacht schlief Catherine besser als gedacht. Trotz Lady Gregorys Ermahnung. Aber wie hieß es so schön: Bellende Hunde beißen nicht. Die alte Dame entpuppte sich in den nächsten Tagen als liebenswürdige Gastgeberin und war so inkonsequent wie Emma, die sich kaum die Zähne putzte. Ansonsten sprach Lady Gregory gerne über sich selbst und bereits nach dieser kurzen Zeitspanne kannten sie fast ihr ganzes Leben.

Die alte Lady war tief mit der Schriftstellerei und Folklore, der irischen Mythologie sowie Dramatik verbunden. Gemeinsam mit Maud kümmerte sie sich um das Abbey Theatre und zeigte ihre tiefe Liebe zu Irland in vielerlei Hinsicht. Unter anderem war es Lady Gregory ein großes Anliegen, die irische Literatur zu beleben. Deswegen versammelte sie häufig Literaten um sich und organisierte regelmäßige Treffen der Irish Literary Revival. Und wenn sie aus ihrer Kindheit erzählte, ging es weniger um die Eltern als um ihr Kindermädchen. »Durch sie habe ich gelernt, was Irland tatsächlich ist. Nicht nur ein Land, sondern ein mythologisches Geschichtsbuch. Jedes Kapitel, das wir gemeinsam aufschlugen, hat mich fasziniert und das hält bis heute an.« Ihr Blick verschleierte sich, ehe sie weitersprach: »Nun ja, meine Mutter ist eine gläubige Protestantin gewesen. Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr waren mir Romane strengstens untersagt. Aber das hat mein Kindermädchen nicht interessiert.« Es gab durchaus Parallelen zu ihrem Leben, was Catherine noch mehr für die alte Dame einnahm, obwohl sie das zuletzt gedacht hätte. Sicherlich trug auch Lady Gregorys Traurigkeit dazu bei, die sich vertiefte, als sie ihren Mann erwähnte.

Mit siebenundzwanzig Jahren hatte sie den fünfunddreißig Jahre älteren und inzwischen verstorbenen Sir William Henry Gregory geheiratet und war zu ihm nach Coole Park gezogen. »Mein Mann ist ein außergewöhnlicher Mensch gewesen. Als ich zum ersten Mal dieses Haus betrat, war ich überwältigt von der großen Auswahl an Büchern. Ich brauchte viele Nächte und genauso viele Tage, um dieses Glück zu realisieren. Auch unsere Reisen werde ich nie vergessen. Wir waren oft in unserem Haus in London, wo wir uns mit Künstlern getroffen haben. Ägypten, Spanien und Ceylon gehörten genauso zu unseren Reiserouten wie Italien oder Indien. Aber seit dem Tod meines Mannes bin ich müde geworden und bleibe am liebsten hier.«

Das konnte Catherine gut verstehen. Coole Park war ein Schmuckstück und machte es ihr ebenfalls leicht, sich einzuleben. Vor allem die Winterseen hatten es ihr angetan. Kleine Biotope, die auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar waren, da sie wie unscheinbare Mulden wirkten. Doch im Winter – oder wenn Regenfälle über das Land zogen – füllten sie sich aufgrund des steigenden Grundwasserspiegels. Ein ständiges Wechselspiel der Natur, wodurch sich die Umgebung laufend veränderte. Als würde man einen Ort immer wieder neu malen.

Unzählige Tiere fanden hier einen Lebensraum. Vogelarten, die Catherine nie zuvor gesehen hatte. Aber was sie besonders bewegte, waren die wilden Schwäne. In Scharen bevölkerten sie die Ufer der Turloughs. Glitten majestätisch durch das Wasser, mit ihren stolz gereckten schmalen Hälsen und ihrem schneeweißen Federkleid. Die Anmut war unbeschreiblich. Sie in einer solchen Überzahl zu sehen, ein Geschenk. Als hätte Catherine Wild Swan nicht nur in Gedanken mitgenommen. Doch während draußen der Krieg tobte, herrschte auf Coole Park eine ganz eigene Gelassenheit. Als würden die Uhren hier langsamer laufen. Der Tag beständiger sein. Die Natur in sich selbst ruhen. Damit erklärte sich auch Lady Gregorys Nachdenklichkeit, weil sie inmitten der Nachdenklichkeit lebte.

Jeden Tag ging Catherine mit ihren Schwestern auf Entdeckungsreise. Anfangs hielten sie sich an Lady Gregorys Anweisung zwecks Sichtnähe. Irgendwann siegte jedoch die Neugierde und sie streunten kreuz und quer durch das Areal. Da sie jedes Mal pünktlich zum Abendessen erschienen, ließ ihnen Lady Gregory schließlich diese Freiheit. Nur in einem Punkt zeigte sie sich bedauerlicherweise unnachgiebig: Jeden Vormittag wurden sie höchstpersönlich von ihr im Lesen und Schreiben unterrichtet. Dazu suchte ihre Gastgeberin entsprechende Lektüre aus oder diktierte ihnen einen Text. Dann wiederum gab es Tage, an denen nur gesungen wurde. »Die Stimme muss geölt werden wie die Türen. Sonst kann man keine Konversation führen«, pflegte Lady Gregory zu sagen und begleitete sie am Klavier. Ein Instrument, das sie besonders Emma ans Herz legte, um deren Taktgefühl zu schulen. »Weißt du, Emmalein«, hob sie belehrend an, wenn sich diese vor dem Unterricht drücken wollte, »es ist immer der alte Kampf zwischen denen, die eine Zahnbürste benutzen und denen, die es nicht tun.ii Um aufzufallen, musst du aber mehr machen, als dich anzupassen. Wenn nötig, benutze zwei Zahnbürsten.« Ihre Worte drangen nicht zu Emma durch, die bisher auch mit wenig Aufwand stets zum gewünschten Ziel gekommen war. Lady Gregory hatte nämlich einen solchen Narren an ihr gefressen, dass sie Emma wie eine kleine Prinzessin behandelte. Ferner schien in Gegenwart ihrer Schwester das Wort Konsequenz nicht einmal mehr in Lady Gregorys Sprachschatz vorzukommen. Maud war in der Hinsicht energischer, weshalb Emma sie inzwischen mied wie die Pest.

»Morgen kommt die alte Hexe wieder«, flüsterte Emma Catherine zu, als sie im Postamt von Gort auf Lady Gregory warteten. Am Samstag wollte sie das Fest geben und verschickte die letzten Einladungen. »Von mir aus könnte Maud bleiben, wo der Pfeffer wächst.« Mit Schwung warf Emma ihr Haar zurück. Sie trug wieder das gestreifte Kleid und hielt einen Sonnenschirm in der behandschuhten Hand. Für dieses Accessoire hatte sie ein Faible entwickelt, wie für Schuhe mit Absätzen, rote Lippen und schwarzem Augenstift. Lady Gregory hatte ihr erlaubt, sich zuhause nach Lust und Laune zu maskieren. In der Öffentlichkeit sollte sie jedoch darauf verzichten. Bislang ging das gut, da sie Coole Park nicht verlassen hatten. Aber heute begleiteten sie Lady Gregory zum ersten Mal wohin. Emma hatte einen fürchterlichen Schreikrampf bekommen, als Lady Gregory sie an die Abmachung erinnerte. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung stand jetzt neben Catherine. Emma wirkte wie eine kleine Lolita.

»Ich mag Mrs. MacBride«, brach Hannie eine Lanze für Maud, die zu ihrem Sohn gefahren war. Seán besuchte die Mount St. Benedict Schule in Gorey in der Grafschaft Wexford. Per Telegramm hatte Maud ihre Rückkehr angekündigt und wollte morgen Vormittag auf Coole Park eintreffen. »Sei froh, dass sie sich um uns kümmert, Emma.« Hannie spielte mit dem Monokel, das sie neuerdings wieder trug. »Maud ist es schließlich zu verdanken, dass wir hier sind. Wer weiß, wo wir jetzt ohne sie wären.«

»Auch auf Coole Park«, erwiderte Emma und lächelte einem älteren Mann zu, der das Postamt betrat. »Lady Gregory wäre früher oder später auf denselben Gedanken gekommen. Das hätte ich schon irgendwie geschafft. Übrigens werde ich nicht mit euch zu Annie fahren, sondern hierbleiben.«

»Das sagst du uns zwischen Tür und Angel?«, warf Hannie ihr vor. »Davon abgesehen, wie alt bist du? Achtzehn? Vor ein paar Monaten hast du noch in die Hosen geschissen und führst dich jetzt auf, als wärst du erwachsen. Emma, wir sind Schwestern und sollten zusammenbleiben.«

»Wer bestimmt das? Du?«

»Nein, ich!«, stellte sich Catherine hinter Hannie. »Da ich als Älteste für euch verantwortlich bin, wirst du uns begleiten. Wenn du volljährig bist, kannst du meinetwegen tun und lassen, was du willst.«

»Das werden wir ja sehen!« Wutentbrannt stampfte Emma zu Lady Gregory, deren ernstes Gesicht sich sofort erhellte, als sie sich an sie schmiegte.

»Emma wird mit jedem Tag schlimmer«, beklagte sich Hannie und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Über ihr hingen einige Bilder mit Briefmarken aus aller Welt. Auf dem Tisch lagen Kataloge, wie der Monthly Advertiser. Catherine hatte vorhin darin geblättert. Nichts, was sie näher interessierte, da bloß Neuausgaben von Briefmarken präsentiert wurden. Inklusive langweiliger Informationen. »Dabei ist Emma aufgewachsen wie wir. In bescheidenen Verhältnissen. Aber die führt sich auf, als sei sie Fräulein Hochwohlgeboren.«

»Womöglich ihre Art, um mit allem fertig zu werden. Vergiss nicht, dass sie erst zehn Jahre alt ist. Umso dringender sollten wir zusehen, dass sie auf den Boden der Tatsachen zurückkommt. Wir müssen uns einfach mehr um sie kümmern.«

»Noch mehr? Emmas Höhenflug ist schon jetzt kaum auszuhalten. Alles dreht sich nur um sie. Rede lieber mit Maud. Sie weiß sicher, was zu tun ist.«

»Warum soll ausgerechnet ich mit Maud reden?«

»Du hast den besseren Draht zu ihr.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Na ja, dich mag sie am meisten.«

Gott sei Dank endete dieses absurde Gespräch, da Lady Gregory mit Emma auf sie zukam. Kurz danach fuhren sie durch Gorts Straßen und suchten einen Zuckerbäcker auf, bei dem Lady Gregory Pralinen und süßes Gebäck für den Samstag bestellte. Zehn Minuten später hielten sie bei einem Schlachthof. Lamm, Rind und Huhn wurden beinahe im Vorbeilaufen geordert, dann hasteten sie zu einem tatterigen Fischhändler. Zwei Gassen weiter wanderten noch einige Tischtücher ins Vehikel sowie Kartons mit Papier und vier Packungen Bleistifte. Einen davon klemmte sich Lady Gregory hinter das Ohr. Es hätte Catherine nicht gewundert, wenn sie einige Zeilen aufs Papier gebracht und nebenbei den Wagen gelenkt hätte.

»Ich muss kurz zu William«, informierte Lady Gregory sie, bevor sie wie üblich haarscharf in eine Seitenstraße einbog, als sei ihr das erst im letzten Moment eingefallen. Catherine hatte keine große Lust auf den Literaten, aber sie konnte schlecht aus dem fahrenden Automobil springen. Darum konzentrierte sie sich wider Willen auf die vorbeiziehende Landschaft. Als sie auf die Bogenbrücke zufuhren – die sich im Cloon River spiegelte – mussten sie stehenbleiben, weil ein Bauer einige Kühe darüber trieb.

Im zweiten Stock eines Turmhauses jenseits der Brücke öffnete sich plötzlich ein Fenster. Überschwänglich winkte ein Mann in ihre Richtung. Lachend winkte Lady Gregory zurück, bevor sie einige Flüche in Richtung der Kühe ausstieß. Sie hasste es zu warten, was für Catherine zweitrangig war, die den Mann nicht aus den Augen ließ. War das etwa Yeats?

Fünf Minuten später hatte sie ihre Antwort, denn sie befanden sich in Yeats Thoor Ballylee. Das rechteckige Turmhaus glich einer Normannenburg und hatte einst Lady Gregory gehört. Sie verkaufte es Yeats jedoch zu einem Freundschaftspreis, was sie ihnen leise zuflüsterte. »Seither ist Thoor Ballylee seine Sommerresidenz. Vornehm, nicht wahr?«

Das mochte sein, doch Catherine konnte sich nicht für das Haus begeistern. Schwermut beherrschte das Innere. Dieselbe strahlte Yeats aus. Als erdrücke ihn die Last des Lebens, der unerfüllten Liebe oder die Flut an Worten, die unbedingt geschrieben werden mussten. Ein sensibler und unruhiger Zeitgenosse, allerdings umgänglicher als gedacht und trotz seiner Berühmtheit war er weder arrogant noch kokettierte er damit. Eher trat er bescheiden auf, was ihn sympathisch machte. Das revidierte Catherines Meinung über ihn und allmählich wunderte sie sich über sich selbst. Sie änderte ihre Ansichten schneller, als sie in eine Hose schlüpfen konnte. Zumal sie sich sogar für seine Gedichte begeistern konnte, die er auf Lady Gregorys Bitte hin zum Besten gab. Manche hatten die Leichtigkeit eines lauen Sommerregens. Andere klangen unendlich traurig, fast schon selbstzerstörerisch. Doch Yeats war tatsächlich ein begnadeter Poet, das gestand Catherine ihm ohne Wenn und Aber zu.

Eine Stunde später unterhielten sich Lady Gregory und Yeats noch eine Weile am offenen Eingang. Catherine und ihre Schwestern warteten im Fahrzeug. Emma wippte ungeduldig mit den Füßen. Hannie hatte sich zurückgelehnt und war eingeschlafen. Ihre Müdigkeit kam nicht von ungefähr. Sie litt nach wie vor unter Albträumen. Catherine kämpfte ebenfalls auf ihre Art mit Schlaflosigkeit. Ständig sah sie diesen Briten vor sich. Wie der Vater zusammenbrach. Sein Grab und Georgies. Im Nachhinein schämte sie sich für ihre Gedanken, weil ihr auf Coole Park allmählich bewusstwurde, dass ihr Vater niemals freiwillig von ihnen gegangen wäre. Dennoch weinte sie für sich alleine und teilte den Schmerz nicht. Sie konnte es nicht. Obwohl sie es sich manchmal wünschte. Vor allem, wenn Lady Gregory Hannies und Emmas Tränen mit liebevollen Worten trocknete, oder beide in ihren Armen wiegte …

***

»Du bist ein jämmerlicher alter Mann!«, stieß Davids Mutter aus. Mit einer Whiskey-Flasche in der Hand stand sie vor dem Großvater, der starr zum Terrassenfenster schaute. Zornig hastete David auf seine Mutter zu. Alarmiert von ihrem Geschrei war er in den Wintergarten geeilt.

»Bist du jetzt völlig durchgedreht?«, wütete er, entriss ihr die Flasche und stellte sie neben das Grammophon. Dann bugsierte er seine Mutter ins Foyer hinaus. »Es reicht, Mutter! Damit bist du eindeutig zu weit gegangen.« Sie war am tiefsten Punkt seiner Achtung angelangt. Tiefer ging es nicht mehr. Diesem Streit waren viele Dispute vorausgegangen. Kaum ein Tag verging, an dem sie sich nicht volllaufen ließ. Die Schimpftiraden auf seinen Vater und Großvater waren kaum zu ertragen gewesen. Doch bislang war sie Laurence ferngeblieben, wie er es von ihr gefordert hatte. Das hatte sich nun geändert und mittlerweile traute er seiner Mutter alles zu.

»Jeden in diesem Haus beschützt du. Nur mich nicht!«

»Du erntest nur, was du gesät hast, Mutter.«

»Was bist du bloß für ein undankbarer Bengel.« Sie taumelte gegen die Kommode und hielt sich im letzten Moment daran fest, sonst wäre sie vermutlich gestürzt. David hatte keine Ahnung, ob er ihr geholfen hätte. Diese Frau kannte er nicht mehr, und hatte sie im Grunde nie gekannt.

»Wie auch immer, so geht es nicht weiter.«

»Was willst du tun?« Sie grinste. »Mich hinauswerfen?«

»So ist es.«

Ihr Grinsen verschwand augenblicklich, als hätte es ihr jemand aus dem Gesicht gewischt. »Das ist nicht dein Ernst?«, hakte sie ungläubig nach. »Wo soll ich denn hin?«

»Das ist nicht mein Problem.« David ließ sie stehen und ging in den Wohnraum.

»Aber ich bin eine Wolfe Mitchel!«, begann sie zu jammern und folgte ihm. »Vor allem aber deine Mutter. Du kannst mich nicht einfach auf die Straße setzen.«

»Und ob!« Man mochte von Sarah halten, was man wollte, aber in einem hatte sie recht: Seine Mutter war nicht mehr tragbar. Wer wusste schon, was sie als Nächstes tun würde. Ob bewusst oder im betrunkenen Zustand. Davon abgesehen gefährdete diese ständige Unruhe im Haus die Genesung seines Großvaters. »Ich werde jetzt für meine Geschäftsreise nach Gort packen. Du solltest dasselbe tun. Da ich kein Unmensch bin, kannst du in unser Haus nach Howth ziehen.« Auch von dessen Existenz hatte David erst aus dem Testament erfahren.

Entsetzt starrte seine Mutter ihn an. »Weißt du, was du mir damit zumutest?«

»Ehrlich gesagt nicht, da ich unseren Besitz bislang nie zu Gesicht bekam. Aber dass du das Haus als einziges behalten hast, wird seinen Grund haben.« Nur die Reederei hatte sie ebenfalls nicht veräußert. Alles andere hingegen längst zu Geld gemacht.

»Natürlich hat es den!«, hallte ihre Stimme durch das Foyer. »Niemand wollte dieses potthässliche Haus kaufen! Nur deshalb gehört es noch uns. Davon abgesehen ist das kleine Fischerdorf eine Zumutung, da es aufgrund von Sturmfluten ständig vom Festland abgeschnitten wird. Gott, ich habe diesen Ort gehasst. Leider hing dein Vater daran und nötigte mich jahrelang dazu, im Sommer mit ihm dorthin zu reisen. Es gibt keinerlei Komfort. Ferner kümmert sich seit Jahren keiner mehr darum. Vermutlich ist es längst eine Baracke. Und ich soll nun dort wohnen? Zumal es kein Personal gibt!«

»Es ist deine Entscheidung. Zwingen will ich dich natürlich zu nichts.«

»Habe ich eine Wahl?«

»Was mich betrifft, nicht. Entweder Howth oder du suchst dir selbst eine Bleibe. Dank deiner umsichtigen Verkäufe steht dir keine andere Möglichkeit offen. Tja, ich würde sagen, dass du dir mit deiner Geldgier ins eigene Fleisch geschnitten hast.« Damit ließ er seine Mutter stehen und suchte Mary. Hastig informierte er sie über die neuesten Entwicklungen und bat seine Hausangestellte, bis zur Abreise der Mutter beim Großvater zu bleiben. Danach suchte er sein Appartement auf. Das meiste hatte er bereits gepackt. Es fehlten nur noch ein paar Kleinigkeiten. Eine Viertelstunde später war auch das getan, und als er wieder ins Erdgeschoss hinunterging, traf er auf Sarah. Sie trug ein himmelblaues Kleid sowie einen dazu passenden Hut. Mit zufriedenem Blick betrachtete sie sich im Spiegel.

»David, was war das vorhin für ein Lärm?« Sie nahm den hellblauen Beutel von der Kommode.

»Mutter hat den Bogen endgültig überspannt. Ich werfe sie aus dem Haus.«

»Eine gute Entscheidung«, blieb sie gleichgültig, als ginge sie das nichts mehr an. Dabei hatte sie bis vor kurzem keine Gelegenheit ausgelassen, um ihn dahingehend zu bearbeiten.

»Gehst du aus?«

»Ich treffe mich mit Érem. Morgen früh bin ich zurück. Graham weiß bereits Bescheid, dass er mich wie üblich abholen soll.«

»Schon wieder das King’s?« Sein Blick fiel auf den Koffer neben ihr. Normalerweise verzichtete sie auf Gepäck.

»Es ist das letzte Mal, versprochen.«

»Was deine Versprechen wert sind, sieht man ja mittlerweile«, äußerte sich David mürrisch. »Von wegen Diskretion.« Sogar Mary hatte ihn auf Sarahs Affäre angesprochen, weshalb er Farbe bekennen musste. Ohnedies kannte sie ihn viel zu gut, als dass er ihr etwas hätte vormachen können. Er wollte es auch nicht. »Die mitleidigen Blicke sind kaum zu ertragen. Ganz Dublin ist vermutlich darüber informiert, dass du mich betrügst.«

»Nun, wir zwei wissen es besser, nicht wahr? Demnach hast du keinen Grund, dich aufzuregen.«

»Ach ja? Du stellst mich hin wie einen Vollidioten.«

»Bald bist du mich ja los«, erwiderte sie in eigentümlichem Ton.

»Ich hoffe, dass du dich wenigstens daran hältst.« David fuhr sich durch das Haar. »Heute Abend breche ich übrigens nach Gort auf. Soll ich deinem Vater etwas ausrichten?«

»Beste Grüße, wenngleich er sie nicht verdient. Aber bitte behalte unsere Unterredung über ihn für dich. Trotz allem ist er immer noch mein Vater.« Lächelnd drehte sie sich erneut vor dem Spiegel, ehe sie den Koffer nahm, David zunickte und das Haus verließ.

Eine Stunde später stand er beinahe am selben Fleck. Nur mit einer anderen Protagonistin.

»Ist das der Dank dafür, dass ich all die Jahre für dich dagewesen bin?«, warf ihm seine Mutter vor. Zur Abwechslung halbwegs nüchtern. »Ganz alleine musste ich dich großziehen und du schickst mich in diese Einöde!« Mit dem Handkoffer harrte sie vor ihm.

»In Howth kannst du in Ruhe darüber nachdenken, was du den Menschen im Laufe der Jahre angetan hast.«

»Du willst mir tatsächlich alles nehmen?« Abwartend blickte sie ihn an. Vermutlich hoffte sie, dass er es sich anders überlegen würde. Aber darauf konnte sie lange warten. Obwohl er sie nicht für immer verbannen wollte. Doch dieser Rauswurf würde ihr hoffentlich eine Leere sein. Sofern sie das jedoch ebenfalls nicht läuterte, würde sie nie wieder einen Fuß über diese Schwelle setzen. »Graham hat dir einen Fahrer organisiert. Er wartet draußen auf dich. Auf Wiedersehen, Mutter.«

***

Am Nachmittag übte Lady Gregory mit Emma am Klavier. Die Tür zum Musikzimmer stand weit offen. Catherine eilte durch das Foyer und warf einen hastigen Blick auf die beiden. Emma zog einen Schmollmund. Lady Gregory verfügte wirklich über eine Engelsgeduld, wurde jedoch ungemütlich, wenn jemand in die Musikstunde platzte. Darum huschte Catherine rasch weiter.

Da sich Hannie hingelegt hatte, verließ sie zum ersten Mal alleine das Haus. Sie hatte sich zu einem Spaziergang entschlossen und schlug den Weg zur Allee ein. Kolossale Bäume erhoben sich aus dem Erdreich. Wie ein kahles Dach überdeckten die knorrigen Äste fast die ganze Wegbreite. Sonnenlicht fiel durch die Zweigrisse und malte helle Punkte auf die staubige, rostbraune Erde. Catherine mochte diesen Platz. Ebenso wie sie gerne auf den Brücken Halt machte, die über idyllische Teiche führten. Eine Weile schaute sie den Fischen zu, ehe sie zum Mammutbaum weiterging. Anders konnte Catherine ihn nicht bezeichnen, denn der Baum war kolossal. Um dessen Stamm zu umarmen, hätte sie viele Armlängen benötigt. Zudem verzweigten sich fünf gigantische Äste in die Höhe, als wären fünf Bäume aus ein und derselben Wurzel gewachsen. Ein wundersamer, beinahe magischer Ort, an dem sich auch eine Sitzbank aus Stein befand. Verwittert, mit Grünspan und Moos überzogen. Eine Weile saß Catherine gedankenverloren da, ehe sie ihren Weg fortsetzte und vor den Steinstufen stoppte. Sie führten zum Garten neben dem Haus hoch. Sofort dachte sie an die Bucht.

Ob David bereits verheiratet war? Die Vorstellung tat weh. Sehr sogar. Und eigentlich hatte sie gehofft, dass sie ihn in Kingstown zurückgelassen hatte. Insbesondere, da er anfangs hier auf Coole Park weniger präsent gewesen war. Zumindest untertags. Doch vermutlich hatte es an den vielen neuen Eindrücken gelegen. Aber nun war ihr bereits vieles vertraut und das ließ andere Gedanken zu. Oder bittersüße Gefühle. Manchmal glaubte Catherine sogar, seinen Blick auf sich zu spüren. Genau wie jetzt …

Rasch wandte sie sich um.

Wie erwartet war David nirgends zu entdecken und sie schalt sich eine Närrin. Mit dumpfem Herzschlag schritt sie die Stufen hoch und schlenderte zum Autograph Tree. Nun wusste sie nicht nur, wie der Baum hieß, sondern auch, was es mit den Initialen auf sich hatte. Literaten, Künstler und Freunde von Lady Gregory hatten sich im Stamm der Blutbuche verewigt. Allen voran William Butler Yeats. Die anderen wie Douglas Hyde, John Millington Synge, Augustus John, George Bernard Shaw und weitere sagten ihr nichts.

Müde setzte sich Catherine auf die weiße Bank zwischen zwei Rosensträuchern und betrachtete den alten Baum. Eine hübsche Idee. Vielleicht in hundert Jahren noch zu sehen. Für sie gab es nichts Bleibendes und in Gegenwart des Autograph Tree spürte Catherine mehr denn je die Vergänglichkeit des Lebens. Es war wie eine Handvoll Wasser, das durch die Finger tropfte, bis nichts mehr da war, außer Erinnerungen. Aber irgendwann würden selbst diese verblassen.

Ob sie eines Tages nicht mehr wissen würde, wie ihr Vater ausgesehen hatte? Ihre Brüder oder David? Es war seltsam, dass sich ihr Weg ebenfalls gekreuzt hatte. Lange, bevor sie den Brief seines Großvaters fand. Natürlich wäre es früher oder später aufgrund dieses Umstandes ohnehin zu einem Treffen mit David gekommen, doch was, wenn ihr das Bild der Großmutter nicht entglitten wäre? Wiederum fühlte Catherine, dass ihre Begegnung Schicksal sein musste. Obwohl sie nie an so etwas geglaubt hatte, und sich auch jetzt dagegen wehrte. Der Gedanke blieb hartnäckig. Nur, was brachte es, darüber nachzudenken? David hatte eine Wunde hinterlassen, für die er zwar nichts konnte, die deswegen aber nicht weniger schmerzte. Und ja, inzwischen war er bestimmt verheiratet! Während sie hier mit dem Wissen kämpfte, ihn zu lieben. Mitten in den Trümmern ihres Lebens schien er sich in ihr Herz geschlichen zu haben. Vielleicht an jenem Tag, als sie barfuß über Wild Swan gewandert waren …

Plötzlich sah sie Maud aus dem Seiteneingang des Hauses treten. Suchend blickte sich diese um. Schnell fuhr sich Catherine über die Augen und schaute in die andere Richtung. Bedächtige Schritte näherten sich auf dem Kiesweg.

»Guten Abend, Catherine. Darf ich mich zu dir setzen?«

»Warum sind Sie schon da? Ich dachte, Sie kommen erst morgen.«

»Tja, die Hoffnung stirbt zuletzt, nicht wahr?«, scherzte sie. Das Holz ächzte, als sie auf der Bank Platz nahm. »Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass du mich brauchst«, fügte sie sanft hinzu. »David Mitchel hat übrigens das Geld bezahlt.«

Damit war die letzte Verbindung zu ihm durchtrennt!

»Schön.« Sein Gesicht schien so nahe …

Maud lehnte sich zurück. »Sarah Trust und er sind inzwischen verheiratet.«

Warum quälen Sie mich so. Eigentlich will ich es gar nicht wissen, hätte Catherine am liebsten gesagt. Doch damit würde sie sich nur verraten. Maud wusste nichts von ihrem Liebeskummer und dabei sollte es bleiben. »Ich hoffe, dass er glücklich wird.«

»Tust du das wirklich?«

»Natürlich«, wand sie sich. »David hat viel für uns getan.«

»Catherine, willst du mich nicht endlich ansehen?«

Widerwillig wandte sie den Kopf. »Zufrieden?«, fuhr sie Maud an.

»Wie ich es mir gedacht habe. Du hast geweint.«

»Blödsinn. Mir ist etwas ins Auge geflogen.«

»In beide?«

»Wie es der Zufall will …«

»Du bist ein harter Brocken, Kleines.«

»Das kann ich nur zurückgeben.«

Maud machte auf einmal Anstalten, den Arm um sie zu legen.

Catherine rückte von ihr ab. »Bitte nicht«, flüsterte sie.

»Entschuldige.« Maud drehte am Goldring auf der rechten Hand. »Soll ich dich alleinlassen?«

»Es ist das Haus Ihrer Freundin. Sie haben die älteren Rechte.«

»Gut, dann lass uns gemeinsam schweigen.« So saßen sie still beieinander, eine Lücke zwischen sich, und blickten zur Blutbuche. Rotgoldenes Abendlicht floss über den Baum, schmiegte sich in den unebenen Stamm und malte einen Schatten ins Gras. Auf einmal verspürte Catherine Heimweh und sehnte sich unendlich nach Wild Swan. Sie wollte wieder mit ihrem Vater auf der Veranda sitzen. Oder mit ihren Brüdern streiten. Sogar mit dem Bubi-Kopf hätte sie leben können, wenn bloß wieder alles so sein könnte wie früher. Aber es gab Wünsche, die würden ein Leben lang welche bleiben. Das galt ebenso für David.

***

Keuchend rollte sich Érem von Sarah runter. Ihr Atem ging ebenfalls stoßweise. Dieser Mann wusste genau, wie man eine Frau zum Höhepunkt trieb. Kaum vorstellbar, dass es einen besseren Liebhaber gab als ihn. Dagegen war David vermutlich ein Stoffhündchen.

»Während dein Mann nach Gort fährt, lässt du dich von mir verwöhnen«, sagte Érem grinsend. »Was bist du bloß für ein Luder!«

Sarah lachte leise. »David wusste, worauf er sich einlässt.«

 »Wir sollten trotzdem zusehen, dass wir aus Irland fortkommen. Hast du das Geld dabei?«

»Im Koffer.« Sie deutete zum geschlossenen Kleiderschrank. »Aber wozu brauchst du die ganze Summe? Du hast gesagt, dieser Australier will nur eine Anzahlung für das Grundstück.«

Erbost erwiderte er ihren Blick, ehe er sich eine Zigarette vom Nachttisch nahm und sie anzündete. »Der Halsabschneider hat es sich anders überlegt. Da die Farm ein Schmuckstück ist, muss ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und zahlen.«

»Oder ich«, berichtigte Sarah ihn und dachte an Davids Warnung. War es tatsächlich richtig, ihm die gesamte Mitgift zu geben?

»Was soll die blöde Anspielung? Warst es nicht du, die behauptet hat, dass es unsere Mitgift ist? Zumal du mir ständig die Sache mit den Griffiths vorgeworfen hast und mich bedrängst, mein Geld auf saubere Weise zu verdienen. Tja, Schätzchen, Ehrlichkeit währt vielleicht am längsten, aber der Lohn ist dürftig.«

»Schon gut«, lenkte Sarah ein. Sie wollte keinen Streit. »Wann fahren wir?«

»In zwei Wochen. Leider habe ich für einen früheren Zeitpunkt keine Schiffskarten gekriegt.«

»Zwei Wochen«, wiederholte sie enttäuscht. »Dieses Gerede über uns macht mich langsam wahnsinnig. David ist auch nicht gerade in bester Stimmung. Wir waren zu oft hier, als dass wir unser Geheimnis hätten wahren können.«

»Na und?« Er zog ausgiebig an der Zigarette. »David bist du bald los. Außerdem ist er ohnehin in Gort und gedanklich mit dieser Catherine beschäftigt, wie du mir erzählt hast. Insofern kann auch bei ihm nicht von Treue gesprochen werden.« Érem grinste.

»Was nichts zur Sache tut. Jedenfalls bin ich froh, wenn ich mich nicht mehr verstellen muss. Die gemeinsamen Unternehmungen mit ihm haben mich zu Tode gelangweilt. Er glaubt tatsächlich, dass ich es gut mit ihm meine. Das lässt ihn unvorsichtig werden. Im Sekretär seines Kabinetts ist jede Menge Geld versteckt, das uns das Leben in Australien zusätzlich erleichtern wird. Aber bis ihm der Diebstahl auffällt, sind wir längst fort.«

»Das wird David weniger tangieren, als die Tatsache, dass du zwar weg bist, ihr aber dennoch verheiratet bleibt.« Er zog den Aschenbecher bis zur Kante des Nachttisches, und aschte hinein.

»Na und? Er ist trotzdem ein freier Mann. Aber ich will nicht länger auf mein Glück verzichten. Auch wenn ich bis dahin wenigstens von Esther verschont bleibe.« Sarah rang mit sich. Érem war über alles bestens informiert. Nur nicht über eine Sache! »Meine Monatsblutung ist ausgeblieben.« Endlich war es raus!

»Tatsächlich?« Mit einem seltsamen Blick drückte er den Zigarettenstumpen im Aschenbecher aus. »Du bist schwanger?«

»Vermutlich.«

»Also weißt du es selber nicht. Warum plagst du mich dann damit?«

»Ich plage dich?« Sie richtete sich auf. Die Decke rutschte bis zu ihren Hüften hinunter. »Ich dachte, du würdest dich über die Nachricht freuen. Ich mache es jedenfalls. Ein Kind ist schließlich die Krönung unserer Liebe.«

»Mag sein, aber nicht ausgerechnet jetzt. Immerhin haben wir einiges vor.« Sarah kämpfte gegen die Tränen an. Wiederholt fragte sie sich, ob er sie tatsächlich liebte. »Nun ja, noch ist nichts bewiesen.« Érem küsste sie auf den Rücken. Seine Hände umspannten ihre Brüste. Sarah stöhnte auf und plötzlich war alles wie weggewischt. »Ich habe Lust auf dich.« Im Nu wälzte sich Érem auf Sarah und drang grob in sie ein. Die Leidenschaft wurde zu einem lauten Stöhnen. Ihre Finger krallten sich in das Laken. Keuchend stieß Érem in sie, immer schneller und härter. Auf einmal riss er sie am Haar zurück. Sarah schrie auf. »Du bist besser als jede Hure«, presste er hervor, ehe er sie roh küsste.

Seine Aussage ernüchterte Sarah und zum ersten Mal spielte sie ihm den Höhepunkt vor. Er schien es zu spüren oder ihr Schauspiel war nicht gut genug, denn er zog sie danach ungewohnter Weise in die Arme. Doch Sarah befreite sich von ihm. »Was ist denn?«, fuhr er sie an.

»Das fragst du noch?« Sie rückte von ihm weg. »Du nanntest mich eine Hure.«

»Meine Güte, in der Hitze des Gefechtes sagt man eben solche Dinge.«

»Du tust geradeso, als müsste ich mich auch noch darüber freuen!« Sarah kam in den Sinn, dass sie ihm ihre Zuneigung viel zu deutlich zeigte. Womöglich würde sie ihn sogar irgendwann langweilen. Gleichzeitig ärgerte sie sich, dass ihr Esthers Bemerkung im Kopf herumspukte: Du bist nur eine von vielen … »Was bin ich für dich, Érem? Eine x-beliebige Frau oder liebst du mich tatsächlich?«

»Hör auf, so dämliche Fragen zu stellen. Immerhin gehe ich mit dir nach Australien. Wenn das kein Liebesbeweis ist, dann weiß ich auch nicht. Aber falls du es dir überlegen willst, nur zu.«

»Ich bin es nicht, die dich ständig beleidigt.«

»Komm schon, lass uns das vergessen.« Unvermittelt zog er sie an sich. »Wie wäre es mit einem Bad zur Entspannung? Ich gehe hinunter und bestelle uns eine Kleinigkeit zu essen. Na, ist das ein guter Vorschlag?«

Besänftigt küsste sie ihn. »Ja, das ist es. Aber ich habe keine Lust auf ein Bad.«

»Wieso denn nicht?« Ungeduld schwang in seiner Stimme mit.

»Meine Güte, weil ich nicht will. Ist das so schwer zu verstehen?«

»Ich meine es nur gut«, wurde sein Tonfall freundlicher. »Und wenn ich nachkomme?«

»Dann schon eher …« Sie lächelte und stieg aus dem Bett.

Kurze Zeit später entspannte sich Sarah im warmen Schaumwasser. Gleichzeitig fragte sie sich, wie David wohl mit ihrem Vater auskommen würde. Privat schienen sie sich zu verstehen. Beruflich konnte der Vater jedoch ziemlich einnehmend sein. Von seiner Strenge abgesehen liebte sie ihn natürlich, und hatte in vielerlei Hinsicht vor David übertrieben. Ein Scheusal war er sicher nicht, aber es hatte nicht geschadet, Davids Mitleid zu erregen.

Auch über eine schlimme Kindheit durfte sie sich nicht beklagen, was sich mit dem Älterwerden allerdings geändert hatte. Bei Nacht und Nebel verschwand ihre Mutter spurlos. Bis heute. Das hatte sie zutiefst verletzt. Zumal ihr nur fünf Wochen darauf eine Stiefmutter präsentiert wurde: Livia. Ein naives blondes Dummchen, das ein paar Jahre älter war als sie. Nachdem der Vater geschieden war, wollte er diese Frau sofort heiraten, doch Livia zierte sich. Daran hatte sich bislang nichts geändert. Zum Bedauern ihres Vaters, jedoch zu Sarahs Freude.

Aber diese Frau nahm ihn auch ohne Trauschein aus wie eine Weihnachtsgans. Darum war ihrem Vater die grandiose Idee gekommen, dass sie David heiraten sollte. Es ging nie um eine Fusion, wie sie auch Esther anstrebte. Nicht darum, das Vermögen zu vergrößern. Ihr Vater stand kurz vor der Pleite, denn er vergaß die Brennerei, sobald seine Geliebte auftauchte. Ihretwegen verlor er seine Umsicht und warf das Geld zum Fenster hinaus. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er auch ihre gesamte Mitgift verprasst hätte. Deshalb trieb sie selbst die Sache mit der Hochzeit voran, nicht zuletzt auf Érems Drängen. Esther und David hatten von alldem gottlob keine Ahnung. So gesehen waren die Griffiths ein Segen gewesen. Wenngleich David in Kürze dahinterkommen würde, wie es tatsächlich um die Brennerei bestellt war. Spätestens, sobald er Einblick in die Geschäftsbücher hatte. Doch das konnte ihr egal sein. Sie war ohnehin bald am anderen Ende der Welt.

Seufzend schloss Sarah die Augen. Voller Vorfreude stellte sie sich die Farm vor. Érem besaß zwar einige Fotos, vergaß sie jedoch ständig mitzubringen Darum musste sie ihm vertrauen, dass die Farm wie für sie geschaffen war. Sie lag in der Nähe der Hafenstadt Newcastle.

Australien! Man erzählte sich, dass es ein wunderbares Land war, weitläufig und groß. Nur die Hitze sei gewöhnungsbedürftig und für Europäer nicht einfach zu ertragen. Doch mit Érem an ihrer Seite würde sie alle Hürden mit Bravour nehmen.

Lächelnd hob sie die Lider. »Érem?«, rief sie. Inzwischen war das Wasser beinahe kalt. »Wann kommst du denn?« Sie horchte. Kein Geräusch war aus dem Schlafzimmer zu hören.

Es plätscherte, als Sarah aus der Wanne stieg. Während sie sich abtrocknete, fragte sie sich, ob er eingeschlafen oder noch unten war, um ihr Essen zu bestellen. Vermutlich trank er bei der Gelegenheit ein Ale, was er gerne tat. Nun, sie gönnte ihm dieses Vergnügen, denn die Nacht war noch lang.

Unvermittelt dachte sie an ihre mögliche Schwangerschaft. Wärme durchflutete sie, weil sie sich immer ein Kind von Érem gewünscht hatte. Sollte sich ihr Verdacht bewahrheiteten, würde er sich bestimmt in mancher Hinsicht ändern. Auch sie sollte etwas nachsichtiger mit ihm sein. Ein Kind änderte vieles, sogar einen Menschen. Sie war bereit dazu. Érem sicherlich auch.

Zuversichtlich legte sie das Handtuch über den Wannenrand und ließ das Wasser ablaufen. Danach zog sie ihren Wollmorgenmantel an. Im selben Moment hörte sie draußen eine Tür knarren. Das musste Érem sein.

Erwartungsvoll ging Sarah ins Schlafzimmer zurück, das sie jedoch leer vorfand. Hatte sie sich getäuscht? Ihr Blick glitt vom zerwühlten Bett zum halboffenen Kleiderschrank. In Sekundenschnelle registrierte sie, dass Érems Sachen fehlten. Hastig trat sie vor den Schrank und öffnete ihn zur Gänze. Nichts war mehr da, mit Ausnahme von Érems Beutel, in dem sich die englische Uniform befand.

Wo war der Koffer mit dem Geld?

Sarah zwang sich zur Ruhe. Blickte unter das Bett, und zog eine Schublade nach der anderen aus der Kommode. Keine Spur vom Geld! Panik stieg in ihr hoch. Fieberhaft überlegte sie. Vielleicht hatte Érem den Koffer mitgenommen, um ihre Reise vorzubereiten? Aber weshalb fehlte seine gesamte Habe? Unaufhörlich hallte Davids Warnung in ihrem Kopf wider, bis er zu schmerzen begann. Ruhelos wie ein Tier im Käfig durchwanderte sie das Zimmer. Blickte ständig aus dem Fenster, bis die Dunkelheit hereinbrach und sie nichts mehr sehen konnte.

Als eine ferne Turmuhr Mitternacht schlug, krümmte sie sich auf dem Bett zusammen und fiel weinend in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen bezahlte sie das Hotelzimmer, womit ihre Barreserven aufgebraucht waren.

Wenig später traf Graham ein, um sie abzuholen. Der Chauffeur beherrschte sein Metier. Er war sicher über ihr Treiben informiert, verzog jedoch keine Miene. Sie hingegen war nur noch ein Nervenbündel und auf der Fahrt nach Hause ließ sie die Straße nicht aus den Augen. In der Hoffnung, Érem zu entdecken. Auch wenn sie nicht wusste, wie sie reagieren würde. Doch die Frage erübrigte sich. Nur fremde Menschen tummelten sich vor den Häusern, in den Gassen oder auf der Landstraße. Als sie über die Brücke zu Davids Haus fuhren, hätte Sarah am liebsten losgeweint. Doch sie riss sich zusammen und nachdem Graham ihr aus dem Fahrzeug geholfen hatte, eilte sie über die Eingangstreppe hinauf. Mitsamt Érems Beutel.

»Hat mir jemand eine Nachricht hinterlassen?«, erkundigte sich Sarah bei Mary, kaum, dass sie die Pforte hinter sich geschlossen hatte. »So rede schon!« Nachlässig legte sie den Beutel auf den Stuhl neben dem wuchtigen Kirschholzschrank.

»Nein, Lady Sarah.« Man hörte förmlich, wie schwer ihr die höfliche Anrede fiel. »Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«

»Was für eine dumme Frage! Wofür wirst du sonst bezahlt, wenn nicht für solche Dinge?« Aus Sarahs Kummer war Wut geworden. Alles in ihr wehrte sich dagegen, dass Érem mitsamt ihrem ganzen Geld über alle Berge war. Doch da gab es eine leise Stimme in ihr, die ihr zuflüsterte, dass sie sich nicht weiter selbst belügen durfte. Érem hatte sie sitzengelassen. Sie und sein mögliches Kind. Die vorausgegangene Liebesnacht war ein Adieu gewesen. Sein Abschiedsgeschenk. Denn im Nachhinein wurde ihr klar, dass sein Vorschlag zu baden weder romantisch noch liebenswert gemeint war. Das entspräche nicht Érems Naturell. Vielmehr fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, dass er sie loswerden wollte, um in Ruhe seine Sachen zu packen und zu verschwinden. Das hatte er von Anfang an geplant. Warum hätte er sonst darauf bestehen sollen, dass sie die gesamte Mitgift mitnahm? Und sie war so dumm und tat ihm auch noch den Gefallen! »Wissen Sie, wie lange David in Gort bleibt?« Er hatte es bestimmt erwähnt, doch in der letzten Zeit war sie nicht die beste Zuhörerin gewesen. Zu sehr lagen ihre Prioritäten bei Érem und der bevorstehenden Auswanderung. Das hatte sich nun schlagartig geändert.

»Nicht genau.« Mary hängte den Mantel an den Haken hinter der Pforte. »Er meinte, vor Ende Juni soll ich nicht mit seiner Rückkehr rechnen.«

»Wie schön, dass die Hausangestellten mehr über seine Pläne wissen als die eigene Frau.«

Mary drehte sich um. Blanker Hohn schlug ihr entgegen. »Wir wissen beide, wie die Wirklichkeit aussieht. Deswegen lasse ich mich von Ihnen weder beleidigen noch beschimpfen. Aber schön, dass Sie Ihr wahres Gesicht zeigen. Für mich war es ohnehin nur eine Frage der Zeit, wann es wieder zum Vorschein kommt. Haben sich die Dinge nicht nach Ihren Wünschen entwickelt?«

»Eigentlich geht es Sie nichts an, doch wenn Sie es genau wissen wollen: Sie liegen richtig. Vermutlich bin ich schwanger. David wird Vater. Ich hoffe, Sie freuen sich mit uns.«

»Was reden Sie da für einen Unfug? Jeder weiß, dass Sie und dieser Érem eine Affäre haben. Hat er Sie verlassen und Sie suchen nun einen Dummen, der Ihr Kind aufzieht?«

»Sie sind klüger, als ich dachte.«

»Aber Sie haben David versprochen, sich nach einem halben Jahr scheiden zu lassen«, entfuhr es Mary, die leichenfahl geworden war.

»Jeder Mensch darf seine Meinung ändern. Übrigens, Sie sollten sich wie eine Hausdame aufführen, nicht wie Davids Mutter.«

»Im Gegensatz zu Ihnen meine ich es gut mit ihm.« Eins musste man ihr lassen. Mary kämpfte wie eine Löwin für ihn. »Sie werden David nicht für Ihre Zwecke benutzen.«

»Was wollen Sie dagegen tun?«, erkundigte sich Sarah süffisant.

»Mir fällt schon etwas ein.«

»Mir ebenfalls. Sie könnten beten, dass mich Érem holt und alles nur ein dummes Missverständnis ist. Ansonsten wird diese Ehe bestehen bleiben. Meinem Kind soll es an nichts fehlen.«

»Sie sind ein hinterhältiges Miststück.« Marys Stimme hallte durch das Foyer.

»Na, na, na! Beherrschen Sie sich, oder wollen Sie Esther in die Einsamkeit folgen?« Sarah schlenderte zur Treppe. »Ich denke kaum, also zügeln Sie sich. Und nun möchte ich mich hinlegen. Lassen Sie mir einen Tee hochbringen. Um Punkt zwölf, und keine Minute später.«

***

In Lady Gregorys Haus ging es zu wie im Taubenschlag. Viele Gäste fanden sich zu ihrem prunkvollen Fest ein. Das Dienstpersonal hatte alle Hände voll zu tun. Catherine empfand das Gewimmel wie eine Völkerwanderung. Nie zuvor hatte sie so viele Menschen auf einem Fleck gesehen. Lady Gregory hingegen schien ganz in ihrem Element. Selten hatte man sie derart gelöst und aufgekratzt erlebt, was sicher auch an den Likören lag, welche sie sich laufend genehmigte.

Emma, angemalt wie eh, mischte sich ebenfalls unter die Gäste. In einem hochgeschlossenen nachtblauen Kleid, das ihr Maud förmlich aufzwängen musste. Ihre Schwester wollte partout nicht verstehen, weshalb sie nicht Catherines Kleid tragen durfte. Maud hatte es auf der Fahrt hierher in Gort erstanden und sie nicht nur damit überrascht, sondern auch ihren Geschmack getroffen. Wenngleich Catherine ein Paar Hosen lieber gewesen wären, aber das Kleid hatte was. Obwohl sie sich fragte, warum Maud ausgerechnet ihr ein Geschenk machte.

»Du siehst wie eine Lady aus«, raunte Maud ihr zu.

»Danke«, erwiderte Catherine artig und blickte an sich herunter. Das schwarze bodenlange Seidenkleid mit geraffter Schulterpartie schimmerte und zeigte einen nicht zu offenherzigen Rückenausschnitt. Die weichfließenden Chiffon-Ärmel verengten sich an den Handgelenken. Am rechten glitzerte ein Armband, das ihr Lady Gregory geliehen hatte. Desgleichen hatte ihre Gastgeberin einen Friseur kommen lassen. In sanften Wellen fiel Catherines Haar auf die Schultern. Ein schwarzes Stirnband mit Glasperlen und hohe Spangenschuhe rundeten ihr Äußeres ab. Auch Hannie sah hübsch aus und hatte von Lady Gregory ein knöchellanges Fransenkleid bekommen.

»Warum haben meine Schwestern so schöne Kleider, während ich diesen Sack tragen muss?«, beschwerte sich Emma plötzlich lautstark bei Maud. Einige Gäste schmunzelten.

»Weil Hannie und Catherine junge Frauen sind. Du bist noch ein Kind.«

»Und Sie eine alte Kuh!« Nach dieser wenig schmeichelhaften Aussage lief Emma weinend zu Lady Gregory, die jedoch keine Zeit für sie hatte. Daraufhin setzte sich ihre kleine Schwester mit verschränkten Armen vor der Brust in einen Ohrensessel und verfolgte die Gäste mit finsterem Blick. Vermutlich wartete sie darauf, dass Maud zu ihr kommen und ihr sagen würde, dass sie selbstverständlich sofort Catherines Kleid haben durfte. Doch Maud ignorierte die kleine Kratzbürste. Zum ersten Mal musste Emma hinnehmen, nicht die Nummer eins zu sein und Catherine gestand sich ein, dass ihr Mauds starre Haltung imponierte.