Die Rechte der Natur - Tilo Wesche - E-Book

Die Rechte der Natur E-Book

Tilo Wesche

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Beschreibung

Der Natur werden weltweit von Parlamenten, Regierungen und Gerichten zunehmend eigene Rechte verliehen. Was ist dran an den Rechten der Natur? Kann diese Rechtspraxis zur Bewältigung des Klimawandels beitragen? Wie lassen sich solche Rechte begründen? Und wie anwenden? Diesen Fragen geht Tilo Wesche in seinem philosophischen Grundlagenwerk mit Blick auf das Eigentumsrecht nach. Beim Klima-, Arten- und Umweltschutz werden Eigentumsrechte häufig vernachlässigt. Dabei wohnt ihnen selbst eine Vorstellung ökologischer Nachhaltigkeit inne, die zur Überwindung eines extraktiven Naturverhältnisses beitragen kann.

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Cover

Titel

3Tilo Wesche

Die Rechte der Natur

Vom nachhaltigen Eigentum

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2414

© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2023

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-77704-6

www.suhrkamp.de

Widmung

5Für Regina

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

345Ausführliches Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Einleitung: Wem gehört die Natur?

Ein Fluss gehört sich selbst

Dialektik der Naturverhältnisse

Eigentum mit seinen eigenen Waffen schlagen

Der Weg zur nachhaltigen Gesellschaft

Der Aufbau des Buchs

Teil

I

Die Natur des Eigentums

1 Gütereigentum

1.1 Eigentumsformen

1.1.1 Privateigentum

1.1.2 Gemeineigentum

1.1.3 Öffentliches Eigentum

1.1.4 Natureigentum

1.2 Eigentumsarten

1.2.1 Gebrauchsgüter

1.2.2 Bedarfsgüter

1.2.3 Produktivgüter

1.2.4 Naturgüter

2 Eigentumsfreiheit

2.1 Nutzung, Verwertung, Übertragung

2.1.1 Nutzungsrechte

2.1.2 Verwertungsrechte

2.1.3 Übertragungsrechte

2.2 Eigentum als Freiheitsrecht

2.2.1 Konstruktivismus

2.2.2 Naturrechtslehren

2.2.3 Normative Theorien

2.3 Konflikte des Eigentums

2.3.1 Schädigung

2.3.2 Schließung

2.3.3 Ungleichheit

2.3.4 Soziale Macht

3 Liminales Eigentum

3.1 Die Schranken und Grenzen des Eigentums

3.1.1 Kontextuelle Schranken

3.1.2 Moralische Schranken

3.1.3 Interne Grenzen

3.1.4 Inhärente Grenzen

3.2 Eigentumsverhältnisse

3.2.1 Eigentumsförmigkeit

3.2.2 Eigentumsordnungen

3.2.3 Eigentumspflichten

Teil

II

Das Eigentum der Natur

4 Der normative Eigensinn der Natur

4.1 Politik

4.2 Rechtssubjektivität

4.3 Normativer Eigensinn

5 Der Wert der Natur

5.1 Anthropozentrismus und Ökozentrismus

5.1.1 Der Gebrauchswert der Natur

5.1.2 Der Eigenwert der Natur

5.1.3 Die metaphysische Existenzannahme

5.2 Ökosystemdienstleistungen

5.2.1 Natürliche Ressourcen

5.2.2 Naturleistungen

5.2.3 Ökologische Wertschöpfung

6 Die Rechte der Natur

6.1 Die Werttheorie des Eigentums

6.1.1 Theorie des Selbsteigentums

6.1.2 Okkupationstheorie

6.1.3 Werttheorie

6.2 Die Eigentumsrechte der Natur

Teil

III

Nachhaltiges Eigentum

7 Handlungstheorien der Nachhaltigkeit

7.1 Prudentielles Eigeninteresse

7.2 Moralische Verantwortung

7.3 Politische Regulierung

8 Nachhaltige Eigentumsrechte

8.1 Liminales Natureigentum

8.1.1 Gemeinschaftliches Natureigentum

8.1.2 Nachhaltiger Eigentumsschutz

8.1.3 Liminales Eigentum der Natur

8.2 Nachhaltigkeitspflichten

8.2.1 Kompensationspflicht

8.2.2 Pflicht zur Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien

8.2.3 Abgabenpflicht

8.3 Robuste Nachhaltigkeit

8.3.1 Instrumentalisierungsverbot

8.3.2 Kohabitation

8.3.3 Juristische Waffengleichheit

8.3.4 Universalismus

8.3.5 Endogene Nachhaltigkeit

8.3.6 Delegitimation

8.3.7 Strukturelle Intervention

9 Sozialökologische Transformation

9.1 Rechtsentwicklung

9.2 Kritik des Eigentums

Ausblick: Der Strukturwandel des Eigentums

Postextraktivismus und Postwachstum

Eigentum neu denken

Anhang: Grundriss des Eigentumsbegriffs

1. Gütereigentum (versus Sacheigentum)

2. Eigentumsfreiheit

3. Liminalität

Dank

Namenregister

Fußnoten

Informationen zum Buch

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8»Doch an den Fensterscheiben,

Wer malt die Blätter da?

Ihr lacht wohl über den Träumer,

Der Blumen im Winter sah?«

Franz Schubert, Winterreise (nach Wilhelm Müller)

9Einleitung: Wem gehört die Natur?

Ein Fluss gehört sich selbst

Der Whanganui River entspringt im Vulkanmassiv Tongariro der nördlichen Hauptinsel Neuseelands und schlängelt sich durch das dichte Grün dünn besiedelter Landschaften hin zu seiner Mündung im Pazifischen Ozean. Außer als beliebtes Ausflugsziel für Städter aus der Umgebung ist der Fluss weit über die Landesgrenzen hinaus vor allem für eines bekannt: Der Fluss hat eigene Rechte – einschließlich Eigentumsrechte. Seine indigenen Anwohnerinnen, die Māori wi, führten mit der neuseeländischen Regierung einen jahrzehntelangen Rechtsstreit über die Frage, wem der Fluss gehört. In der maorischen Weltanschauung wird er auch Te Awa Tupua (»Fluss als Ahne«) genannt und als Heiligtum verehrt, weil die Ahnen in ihm wohnen. Der Whanganui River ist für Menschen unantastbar und kann deshalb nicht ihnen gehören; er entzieht sich den Eigentumsrechten, die Menschen über leblose Dinge ausüben. Die Regierung hingegen beharrte darauf, dass ein Fluss nicht außerhalb einer staatlichen Rechtsordnung mit entsprechenden Eigentumsrechten stehen könne, die die Nutzung des Flusses, aber auch Weisen und Umfang seiner Verwertung und Übertragung regeln. Wer darf das Wasser nutzen? Wem gehören die Einnahmen aus dem Flusstourismus und dem Fischfang? Wer darf mit Früchten und Holz aus den angrenzenden Wäldern Handel treiben? Usw. Ohne eine Eigentumsordnung ließen sich solche Streitfragen nicht gewaltfrei vor Gericht entscheiden.

Der Rechtsstreit wird mit der Novellierung des Te Awa Tupua Act (Whanganui River Claims Settlement) 2017 No. 7 beigelegt. Dem Whanganui River werden damit eigene Rechte zugestanden. In Artikel 14 (1) heißt es: »Te Awa Tupua ist eine juristische Person und hat alle Rechte, Befugnisse, Pflichten und Verbindlichkeiten einer juristischen Person.«[1]  Der Fluss wird als Träger eigener Rechte anerkannt und gilt als juristisches Subjekt, das durch seine Stell10vertreter (das Te Pou Tupua Office) vor Gericht ziehen und seine Rechte einklagen kann. Eigentumsrechte, bislang Menschen vorbehalten, werden damit auf den Fluss übertragen: Der Fluss gehört sich selbst.[2]  Er ist weder ein eigentumsloses Gut, das niemandem gehört, noch eine eigentumsförmige Sache, über die Menschen verfügen. Der Whanganui River besitzt Eigentumsrechte an seinen Fischen und seinen Pflanzen, an seinem Wasser und seinem Boden. Er verkörpert damit exemplarisch die Vorstellung von einer Natur, die ebenso wie ihre Bestandteile Rechtssubjekt und insbesondere Inhaberin von Eigentumsrechten an den Naturgütern ist.

Solche ökologischen Rechte haben Schule gemacht und sind kein Einzelfall mehr. Weltweit wurden der Natur inzwischen in knapp zweihundert Fällen eigene Rechte zugestanden. Außer in Neuseeland sind sie in den USA, in Ecuador, Kolumbien, Bolivien, Uganda, Spanien etc. anerkannt. Ökologische Rechte sind also keine Traumtänzerei mehr, sondern mittlerweile gelebte Rechtspraxis, die in den Parlamenten, Regierungen und Gerichtshöfen angekommen ist. Mit dieser ökologischen Eigenrechtsidee, wie sie genannt wird, wird klarerweise ein grundlegender Paradigmenwechsel im Rechtsverständnis vollzogen:[3]  Rechte, die bisher Menschen vorbehalten waren, werden einer nichtmenschlichen Entität zugebilligt. Daher lohnt es sich, sie auf den Prüfstand zu stellen, was in diesem Buch geschehen wird.

Das wachsende Interesse an ökologischen Rechten erklärt sich natürlich aus den Ökologiekrisen der Gegenwart und der Ratlosigkeit darüber, wie sie sich auf friedliche, sozialverträgliche und stabilisierende Weise bewältigen lassen. Die Rechte der Natur durchlaufen dabei einen Wandel und entwickeln sich von einer lokalen Maßnahme des Umweltschutzes zu einer globalen Nachhaltigkeitsstrategie. Anfangs dienten sie dem Schutz der Lebensräume von Anwohnerinnen, die durch Land-, Vieh‑, Forst- und Holzwirtschaft sowie Bergbauindustrie und illegalen Rohstoffabbau zer11stört werden. Heutzutage sind sie mit der Erwartung verbunden, nicht nur einzelne Biotope, sondern die Ökosphäre insgesamt vor Übernutzung, Verunreinigung und Zerstörung zu schützen. Ging es zunächst darum, Mülldeponien, Grundwasserverunreinigungen und Abholzungen zu verhindern, so soll nunmehr die Natur im Ganzen vor ihrem Missbrauch als Rohstofflager, Verwertungsquelle und Abfallhalde bewahrt werden. Es liegt auf der Hand, dass globale Ökologiekrisen Gegenmaßnahmen von grenzüberschreitender Reichweite erfordern. Einen solchen weltweiten Wirkungskreis verspricht man sich von der Etablierung ökologischer Eigenrechte, die dazu beitragen soll, vier weltweite Ökologiekrisen einzudämmen: die Erderwärmung, das Artensterben, die Ressourcenerschöpfung und die Globalvermüllung.

Dass es eine menschengemachte Erderwärmung gibt, die auf den Verbrauch von fossilen Energieträgern zurückgeht, ist seit einem halben Jahrhundert bekannt. Klimaschädliche Emissionen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas haben die Temperaturen seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert durchschnittlich um 1,2 Grad steigen lassen. Um Meeresspiegelanstieg, Wüstenbildung, Dürren, Überflutungen, Ernteausfälle, Gesundheitsbelastungen und die sozialen Auswirkungen wie Migration, Ressourcenkonflikte und Ungleichheiten noch zu begrenzen, müsste die Erderwärmung bei 1,5 Grad gestoppt und müssten Gesellschaften klimaneutral werden.[4]  Dieses Ziel ist zwar mit dem Pariser Abkommen 2015 beschlossen worden und rein theoretisch noch erreichbar. Um aber auf den nötigen Dekarbonisierungspfad zu gelangen, müsste der entsprechende Umbau der Infrastrukturen und die Neuausrichtung der Investitionszyklen in kürzester Zeit vollzogen werden. Die derzeit weltweit weiterhin steigenden Emissionen sprechen nicht unbedingt dafür, dass das gelingt. Aufgrund nachlaufender Effekte des Klimasystems stellen sich Wirkungen von Handlungsveränderungen zudem verzögert ein: Selbst dann, wenn ab sofort keinerlei Treibhausgase mehr ausgestoßen würden, stiegen die Temperaturen um mindestens ein halbes Grad weiter an. Es gibt also einen enormen Zeitdruck, der es nötig macht, neue Wege zu beschreiten.

12Das Zeitfenster, um das Artensterben aufzuhalten, ist ebenfalls sehr klein. Denn täglich verschwinden 150 Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich von unserem Planeten – und mit ihnen auch zahlreiche Ökosystemdienstleistungen, die Menschen für ihr Wohlergehen und Überleben benötigen: ohne Bienen keine Pflanzenbestäubung, ohne Wälder und Moore keine natürliche Bindung von Kohlendioxid etc.[5]  Auch beim Artensterben gibt es Kipppunkte, nach deren Überschreitung sich ganze Ökosysteme, etwa der Regenwald im Amazonasgebiet oder das Mittelmeer, selbst nicht mehr stabilisieren können. Bereits heute führt der Artenschwund auf 60 Prozent der Erdoberfläche zu einem Kollaps von Ökosystemen.[6]  Mit dem Verlust von Biodiversität wird also auch Menschen die Lebensgrundlage entzogen, so dass ein grundsätzliches Umsteuern schon deshalb dringend geboten erscheint.

Weiterhin zugenommen hat auch die Ressourcenerschöpfung, trotz eindringlicher Warnungen. Fakt ist: Bliebe der weltweite Ressourcenverbrauch auf aktuellem Niveau, bräuchte es 1,6 Erden, um ihn dauerhaft zu decken. Auf die Weltbevölkerung hochgerechnet, würde die Wirtschaftsweise und das Konsumverhalten allein des globalen Nordens die Landfläche von mehr als drei Erden erfordern. Diese Übernutzung geht auf Kosten anderer Länder und zukünftiger Generationen. Aber schon gegenwärtig kann der Ressourcenhunger kaum noch gestillt werden. Fruchtbare Nutzflächen, Süßwasser und Wälder werden stärker genutzt, als sie sich regenerieren können; nichterneuerbare Rohstoffe wie Bausand, Kupfer und das als Dünger genutzte Phosphat werden knapper und noch in diesem Jahrhundert versiegen.

Einen gleichermaßen dringenden Handlungsbedarf erzeugt die weltweite Vermüllung insbesondere durch Kunststoffabfälle. Nicht nur schwimmen in den Ozeanen riesige Plastikstrudel wie der Great Pacific Garbage Patch[7]  und lagern auf jedem Quadratkilometer des 13Meeresbodens heute durchschnittlich 70 Kilo Plastik. Plastikstaub ist praktisch überall in der Luft zu finden, in den Innenräumen der Metropolen ebenso wie auf den Hochebenen Tibets oder den Gipfeln der Pyrenäen.[8]  Allein auf Frankreich rieseln Jahr für Jahr 2000 Tonnen Mikroplastik herab. Durch Wind, Wetter, Wellen und Licht fragmentierte Kunststoffteile legen sich wie ein unsichtbarer Teppich auf den Planeten. Auf verschiedenen Wegen gelangen wöchentlich ungefähr sechs Gramm Mikroplastik in unsere Körper, was der Plastikmenge einer Kreditkarte entspricht. Mikroplastik wird verantwortlich gemacht für Krebs, Atemwegserkrankungen und Unfruchtbarkeit bei Tier und Mensch. Dieser Plastikfallout ist nur ein Beispiel von vielen Kontaminationen der Natur, die von den Luft- und Umweltverschmutzungen der frühen Industrialisierung bis zum heutigen weltweiten Einsatz von umweltschädlichen Pestiziden reichen.

Es steht außer Frage, dass sich die genannten (und hier nur knapp umrissenen) Ökologiekrisen nicht mit einer einzigen Maßnahme effektiv und vor allem zeitnah bewältigen lassen. Vielmehr bedarf es vielfältiger Maßnahmen im arbeitsteiligen Einsatz. David Boyd, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte und Umwelt, empfiehlt daher »drei Schritte zur Beschleunigung des Fortschritts auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft: Vermittlung von Umweltwissen, Förderung des Rechts auf ein Leben in einer gesunden und nachhaltigen Umwelt und Anerkennung der Rechte der Natur«.[9]  Letztere, also die Eigenrechte der Natur, stehen im Zentrum dieses Buches, aber nicht in Konkurrenz zu den herkömmlichen Umweltrechten – etwa zum Recht auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt, das durch die UN-Generalversammlung im Juli 2022 anerkannt wurde. Vielmehr werden sie als wichtige und vor allem innovative Ergänzung zu diesen verstanden. Ihr zentraler Beitrag, so werde ich zeigen, liegt darin, dass sie ökologische Nachhaltigkeit deutlich wirkungsvoller umzusetzen vermögen als alle anderen Maßnahmen. Wenn der Natur eigene Rechte verliehen werden, dann ist Nachhaltigkeit nicht mehr verhandelbar. Anders gesagt: Die Natur kann nur dann ef14fektiv geschützt werden, wenn sie als Rechtssubjekt auf Augenhöhe mit ihren Nutzerinnen steht. Mit eigenen Rechten wird Waffengleichheit hergestellt.

Nun hat die Diskussion um Sinn und Grenzen ökologischer Eigenrechte gerade erst begonnen. Eines zeichnet sich aber jetzt schon ab: Im Vergleich zum weltumspannenden Netz von Eigentums-, Vertrags- und Unternehmensrechten erscheinen die seltenen Erfolgsfälle der Naturrechte wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Von einer Erfolgsgeschichte kann nicht die Rede sein, denn die bislang geschaffenen Rechte der Natur sind nicht mehr als ein verheißungsvoller Anfang. Ausgebremst wird die Entwicklung durch den Eindruck, dass sie mit heutigen Rechtsvorstellungen unvereinbar seien. Die Vorstellung, dass eine nichtmenschliche Entität Rechteinhaberin sein und etwa ein Fluss sich selbst gehören könne, scheint mit Grundgewissheiten vorherrschender Rechtsvorstellungen jedenfalls des globalen Nordens nur schwer vereinbar. Diese angenommene Unvereinbarkeit stellt aus meiner Sicht die Hauptursache für die schleppende Rechtsentwicklung dar. Um den Rechten der Natur zum Durchbruch zu verhelfen, muss deshalb erst einmal gezeigt werden, dass sie und geltendes Recht Geschwister sind. Die wichtigste Aufgabe, die zu lösen ist, um den ökologischen Rechtsfortschritt zu befördern, besteht in der Erklärung, warum Rechte der Natur durchaus mit modernen Rechtsordnungen vereinbar sind. Der Gedanke, dass ein Fluss (wie der Whanganui River) sich selbst gehört, muss sich unter den Voraussetzungen moderner Rechtsordnungen verstehen lassen.

Ich will in diesem Buch daher darlegen, wie sich Rechte der Natur aus dem geltenden Recht gegenwärtiger Eigentumsgesellschaften entwickeln lassen. Meine These lautet, dass ökologische Eigenrechte modernen Rechtsordnungen bereits innewohnen, und zwar als ein unabgegoltenes Potenzial. Moderne Rechtsordnungen sind mit der ökologischen Eigenrechtsidee also deshalb vereinbar, weil diese Idee sich aus den Rechtsordnungen selbst ergibt. Um dies plausibel zu machen, wird ein Perspektivenwechsel vollzogen. Anstatt die bestehenden Rechte der Natur in Ecuador, Kolumbien, Neuseeland etc. als Blaupause zu verwenden, sollen Rechtsordnungen betrachtet werden, die sich für unvereinbar mit ihnen halten. Nicht die bisherigen Erfolgsfälle etablierter Naturrechte sollen untersucht werden, sondern die Rechtsordnungen, denen sie fehlen, 15um zu zeigen, dass ihnen selbst Rechte der Natur eingeschrieben sind. Mittlerweile haben zahlreiche Forschungsarbeiten dazu beigetragen, die Praxis ökologischer Eigenrechte im globalen Süden besser zu verstehen. Darüber hinaus geht es mir darum, ein Fehlverständnis moderner Rechtsgemeinschaften zu korrigieren.[10]  Diese gehen nämlich fehl in der Annahme, dass ihnen Rechte der Natur fremd seien. Vielmehr kann die ökologische Eigenrechtsidee ihnen selbst entnommen werden.

Dieses Vorgehen motiviert sich aus der Einschätzung, dass die Rechte der Natur in den Eigentumsgesellschaften des globalen Nordens nur dann Fuß fassen, wenn sie sich als eine logische Konsequenz aus ihnen selbst ergeben. Im Sinne einer globalen Nachhaltigkeitsstrategie lässt sich ihr bisheriger Wirkungskreis also nur erweitern, indem die ökologische Eigenrechtsidee selbst weiterentwickelt wird. Diese Weiterentwicklung geht Hand in Hand mit der bewährten Praxis ökologischer Rechte in Ländern vor allem des globalen Südens. Beide Ansätze ergänzen sich und führen nur im Verbund zum Erfolg. Die bisherige Forschung über das Erstreiten und die Ausübung kodifizierter Naturrechte in Ecuador, Kolumbien oder Neuseeland ist um Untersuchungen darüber zu erweitern, wie sich Rechte der Natur aus der Eigenlogik geltender Rechtsordnungen des globalen Nordens entwickeln lassen.

Die bestehenden Rechte der Natur in den Ländern des globalen Südens bringen eine universelle Rechtsidee zum Ausdruck. Rechte stehen demnach derselben Natur zu, auf die sich alle Bewohnerinnen des Planeten gleichermaßen beziehen. Verdient die Natur Rechte, müssen diese Rechte deshalb weltweit gelten. Eine universelle Geltung wird jedoch nicht erreicht, indem eine Norm über fremde Rechtskulturen gestülpt wird. Der Universalismus ökologischer Eigenrechte besteht vielmehr darin, dass sie sich aus verschiedenen Kontexten jeweils herleiten. So sind bislang die ökologischen Rechte im globalen Süden an spezifische Kontexte gebunden: an lateinamerikanische Kulturen der Pachamama, an maorische Naturanschauungen, an religiöse Einheits- und Schöpfungsmythen oder Harmonievorstellungen. Diese Rechtfertigungsfiguren erfül16len ihren Zweck im je konkreten lokalen Fall, lassen sich aber nicht auf die Rechtskulturen des globalen Nordens übertragen, die anderen Geltungslogiken folgen. Jede Gesellschaftsformation besitzt kontextspezifische Ausgangspunkte für die Schaffung ökologischer Eigenrechte, die zu berücksichtigen sind, wenn das Vorhaben gelingen soll. Deshalb haben auch ökologische Eigenrechte in den Gesellschaften des globalen Nordens nur dann eine Chance, wenn sie sich aus deren eigenen Grundlagen herausbilden.

Wenn sich Rechte der Natur aus den eigenen Rechtskulturen des globalen Nordens ergeben sollen, drängt sich die Frage nach den möglichen Anknüpfungspunkten auf. Auf welche Vorstellungen berufen sich die Gesellschaften des globalen Nordens, an die die Idee ökologischer Eigenrechte anschließen kann? Das Selbstverständnis säkularer Rechtskulturen, die um Eigentumsrechte, Freiheitsrechte und menschliche Würde kreisen, haben diesbezüglich dem ersten Anschein nach nichts zu bieten, ja, Vorstellungen von Rechten der Natur lösen hier einen geradezu natürlichen Abwehrreflex aus. Weil die Idee von den Eigenrechten der Natur unseren geläufigen Rechtsvorstellungen in nahezu allen Hinsichten zu widersprechen scheint, gilt sie häufig als Naturglaube von Hinterwäldlern oder bestenfalls als heiße Luft.[11]  Folgende Einwände werden in säkularen Gesellschaften typischerweise hervorgebracht: Rechte dienen dem Schutz von individuellen und kollektiven Interessen; aber weil die Natur im Unterschied zu Menschen keine Interessen hat, kommen ihr auch keine Rechte zu. Wer Rechte hat, besitzt auch Pflichten; die Natur kann aber nicht handeln, weshalb sie keine Pflichten und insofern auch keine Rechte besitzt. Freiheit bilde den normativen Kern unserer wichtigsten Rechte; da die Natur aber nicht frei ist, sind ihre Eigenrechte eine Wunschvorstellung ohne jede normative Grundlage. Rechte schützen Ansprüche und Verletzbarkeiten; was aber wie Flüsse, Tierarten (im Unterschied zu einzelnen Tieren) und Landschaften kein schmerzfähiges, bedürftiges oder bewusstes Wesen ist, kann auch keine Rechtsträgerin sein.

Um Vorbehalte dieser Art auszuräumen, wird oftmals darauf hingewiesen, dass vieles, was früher unvorstellbar erschien – Re17gierungen ohne König, ein Selbstregieren von Menschen außerhalb Europas, das Frauenwahlrecht, das Verbot der Sklaverei, eine Moral ohne Kirche –, heute selbstverständliche Realität ist und als Fortschritt gegenüber den früheren Verhältnissen gilt. Warum also sollten nicht auch die Eigenrechte der Natur ins Reich des Möglichen gehören? Der Vergleich etwa zwischen Menschenrechten und Rechten der Natur erinnert daran, dass Rechte stets gegen den Widerstand überkommener Weltanschauungen erkämpft werden mussten. Er darf dennoch nicht überstrapaziert werden, und auch wenn er Berührungsängste und Bedenkenträgerei partiell abzubauen vermag, kann er die genannten Einwände nicht entkräften. Aus meiner Sicht werden Zweifel eben erst dadurch zerstreut, dass die ökologische Eigenrechtsidee den etablierten Rechtsvorstellungen selbst entnommen wird. Rechte der Natur werden als globale Nachhaltigkeitsstrategie gegen vorherrschende Eigentumsgesellschaften in Anschlag gebracht, indem sie aus der eigenen Rationalität ebendieser Eigentumsgesellschaften entwickelt werden.

Damit ist das Hauptanliegen dieses Buchs bezeichnet: eine normative Rekonstruktion ökologischer Eigenrechte. Ökologische Rechte sollen verteidigt werden, indem sie aus den normativen Grundlagen moderner Eigentumsgesellschaften rekonstruiert werden und dadurch begründet werden. Bestehende Eigentumsrechte verdanken ihre Geltung denselben Bedingungen, unter denen auch ökologische Eigenrechte eine Geltung verdienen. Unsere gegenwärtigen Eigentumsgesellschaften, so ließe sich auch sagen, beruhen auf normativen Grundlagen, auf denen sich zudem und ebenso gut Rechte der Natur rechtfertigen lassen. Damit rücken das Eigentum und die Frage »Wem gehört die Natur?« in den Mittelpunkt von Klima- und Umweltpolitik.

Der Whanganui River, von dem am Anfang die Rede war, besitzt Naturrechte, die sich durchaus in die Rationalität säkularer Eigentumsgesellschaften übersetzen lassen. Er verkörpert ein Muster ökologischer Nachhaltigkeit, das auch in Gesellschaften des globalen Nordens angewandt werden könnte. Sein Fall macht deutlich, was unter einem Fluss verstanden werden kann, dem seine Naturgüter gehören: Einem Fluss stehen Rechte zu, weil bestimmte Naturgüter ihm gehören und Eigentum stets vor der Zerstörung durch andere zu schützen ist. Wann immer Menschen Naturgüter gebrauchen, nutzen sie auch fremdes Eigentum, das nicht beschä18digt werden darf; sie sind deshalb zu einem sorgsamen Umgang verpflichtet. Einem Fluss gegenüber gelten ökologische Pflichten, weil die genutzten Güter ihm gehören und dieses Eigentum schutzwürdig ist; sein Wasser, seine Ufer und seine Fische können nur unter dem Vorbehalt ökologischer Nachhaltigkeit genutzt werden. Um das Eigentum der Natur zu schützen, dürfen Unternehmen deshalb – und notfalls auch unter Einsatz von Zwang – davon abgehalten werden, ihn zu überfischen, Schadstoffe einzuleiten, angrenzende Wälder zu roden, ihn als Abfallhalde zu missbrauchen oder Sand im großen Stil abzubauen.

Dialektik der Naturverhältnisse

Mit den Rechten der Natur wird das Aufklärungsprojekt der Moderne unter ökologischen Vorzeichen aufgegriffen und weiterentwickelt. Die Angst vor der Natur war von Anbeginn eine starke Antriebskraft für Aufklärung, Wissenschaft und Emanzipation. Naturgewalten, Naturkreisläufe und Naturwunder erschienen den Menschen als Schicksalsmächte, von deren Launen das eigene Überleben abhing. Ihnen entkommen zu sein und die eigenen Überlebensbedingungen weitgehend selbst in der Hand zu haben, bedeutete einen Zuwachs an Freiheit, auf den auch heutzutage niemand verzichten wollte. Emanzipation von der Natur heißt, Kontrolle über das eigene Leben und seine gesellschaftliche Reproduktion zu gewinnen. Das Freiheitsversprechen der Moderne bleibt ohne diese fortschreitende Emanzipation von der Natur uneingelöst.

Diese neue Freiheit verkehrt sich jedoch im Zeitalter der Erderwärmung, des Artensterbens, der Ressourcenerschöpfung und der Globalvermüllung in ihr Gegenteil. Die Emanzipation von einer schicksalhaften Natur schlägt um in einen ökologischen Kontrollverlust und lässt die Überlebensfrage mit Wucht wiederkehren. Dieser Rückfall in eine Ohnmacht gegenüber einer als Bedrohung widerfahrenden Natur lässt zwei Missverständnisse des Menschen über seine Freiheit zutage treten. Zum einen erinnern sie ihn schmerzlich an seine Abhängigkeit von einer nicht nur intakten, sondern auch begrenzten Natur. Die Idee einer fortschreitenden Unabhängigkeit von den Naturmächten baute auf dem Irrglauben auf, die Natur sei eine unerschöpfliche Quelle von Überfluss und 19versorge den Menschen unbegrenzt mit Gütern, Ressourcen und Leistungen.[12]  Mit den menschengemachten Ökologiekrisen stoßen Gesellschaftsformationen vielmehr an planetare Belastungsgrenzen, die dem Menschen die Endlichkeit einer Leben spendenden Natur vor Augen führt.[13] 

Zum anderen erweist sich als Trugschluss, dass sich der Mensch von der Natur befreien könne, indem er über sie herrsche. Soll Emanzipation durch Naturherrschaft erreicht werden, schlägt sie in ihr Gegenteil, in Ohnmacht gegenüber der Natur um. »Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.«[14]  Für René Descartes – einer der Gründerväter des neuzeitlichen Naturherrschaft-Paradigmas – werden Menschen kraft ihrer Vernunft »zu Herren und Eigentümern der Natur« (maîtres et possesseurs de la nature).[15]  Herrschaft über die Natur wird, genauer betrachtet, auf vier Arten ausgeübt: Durch Technik wird Natur gezähmt, gesteuert und nachgeahmt; mittels Wissenschaft werden ihre Kräfte und Abläufe erkennbar, berechenbar und erwartbar gemacht; in der Wirtschaft wird die Natur als vermeintlich kostenfreie Ressource und leistungsloser Gewinn verwertet; und das Recht macht die Natur als Eigentum verfügbar.

Gerade die letztgenannte Herrschaftsform wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die Ökologiekrisen. Denn mithilfe von Eigentumsrechten wird die Natur in eine beherrschbare Sache verwandelt, über die ihre Eigentümer frei bestimmen. Diese Sachherrschaft wird als das Recht ausgeübt, Naturgüter wie jede andere Sache nutzen zu dürfen. Eigentumsrechte berechtigen zu freiem Gebrauch und Verbrauch der Naturgüter. Sie verleihen dem Zugriff auf Naturgüter Legitimität und Legalität. Eigentumsrechte machen Na20turgüter überhaupt erst verfügbar und schaffen die Voraussetzung dafür, dass Naturgüter ökonomisch verwertet, in die Wirtschaftsprozesse eingespeist und als Waren gehandelt werden können. Dadurch wird ein extraktives Naturverhältnis etabliert und den Ökologiekrisen Tür und Tor geöffnet, die den Emanzipationsprozess in sein Gegenteil verkehren.

Keine Theorie bildet diese Dialektik der Naturverhältnisse so treffend ab wie die Dialektik der Aufklärung von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.[16]  »Wie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich in Mythologie«, heißt es dort.[17]  Aufklärung schlägt in ihr Gegenteil um: Indem Natur beherrscht werden soll, entgleitet sie dem Menschen. In dieser Umschlagsdynamik lässt sich leicht das Verhältnis von Eigentum und Natur wiedererkennen: Die Natur kehrt sich gegen die Menschen in Gestalt von Ökologiekrisen, die durch die Eigentumsrechte an ihr entfesselt worden sind. Naturgüter werden mithilfe von Eigentumsrechten verfügbar gemacht, und ebendiese Verfügungsmacht führt dazu, dass eine letztlich unbeherrschbare Natur sich gegen die Menschen erhebt und deren Selbsterhaltung bedroht.

Die Verkehrung von Eigentumsmacht in einen ökologischen Kontrollverlust ist die eine Seite der Dialektik. Die andere besteht darin, dass der Mythos bereits Aufklärung vollzieht, denn in ihm wird um die Unverfügbarkeit der Natur gewusst. Die Natur wird als Macht anerkannt, über die sich eben nicht verfügen lässt. Sie entzieht sich damit auch der Verfügungsmacht des Eigentums. Diese Einsicht in die Unverfügbarkeit der Natur ist der Anteil von Aufklärung, den die Mythen schon vollziehen. Sie ist der Wahrheitsgehalt des Mythos, den es zu retten gilt.

Dieser Wahrheitsgehalt lässt sich in der Moderne jedoch nicht durch eine Remythologisierung wiederbeleben. Romantisierung, 21Verzauberung und Verklärung der Natur können ihn nicht retten. Es gelingt nicht, die Unverfügbarkeit der Natur anzuerkennen, indem bezogen auf sie neue Mythen gestiftet, Narrative erdichtet und Heiligkeiten verehrt werden. Die Unverfügbarkeit der Natur nimmt in mythischen Vorstellungen die Gestalt der Ursprünglichkeit, Reinheit, Unberührtheit, Unversehrtheit, Unantastbarkeit, Urgewalt oder Wildnis der Natur an und erklärt sich daraus, dass die Natur das ganz Andere gegenüber dem Geist, der Kultur, Freiheit und menschlicher Macht ist. Als dieses Andere ist die Natur der Freiheit entzogen und mit Freiheit unvereinbar. Solche Naturvorstellungen verspielen die Freiheitsgewinne der Aufklärung und fallen in den Mythos zurück.

Der unabgegoltene Wahrheitsgehalt des Mythos lässt sich demgegenüber nur durch begriffliche Erkenntnis bergen. Wie Adorno schreibt: »Nur Begriffe können vollbringen, was der Begriff verhindert.«[18]  Der Eigentumsbegriff instrumentalisiert zunächst die Natur zum bloßen Objekt der Verfügung. Zugleich gelingt es nur mithilfe ebendieses Begriffs, der Unverfügbarkeit der Natur gerecht zu werden. Diese Dialektik der Naturverhältnisse, die ich mir in diesem Buch zu eigen mache, stellt die Theoriealternative zur konservativen Restauration des Mythos dar. Unverfügbarkeit soll nicht in vorbegrifflicher Gestalt wiederbelebt werden – weder durch das ästhetische Gefühl der Naturschönheit noch durch das Verschmelzen mit der Natur oder durch den Glauben an eine beseelte Natur. Die Begrifflichkeiten und Denkweisen der Aufklärung sind stattdessen weiterzuentwickeln und münden in die Idee ökologischer Eigenrechte.[19]  Die Dialektik der Naturverhältnisse läuft darauf hinaus, dass die Natur der Eigentumsmacht entzogen wird, indem Eigentumsrechte auf sie ausgedehnt werden. Im Begriff des Eigentums selbst findet sich eine Handhabe, die Sachherrschaft über die Natur zu brechen. Eigentumsrechte werden von ihrer Naturblindheit nur kraft eines aufgeklärten Begriffs des Eigentums geheilt.

In dieser dialektischen Perspektive wird die Unverfügbarkeit der Natur nicht als etwas Gegebenes anerkannt. Im Mythos hingegen 22erscheint sie als der Rest, der übrig bleibt, wenn sich Natur der Emanzipation entzieht und der Rationalisierung widersteht. Als ein solcher Rest wird Unverfügbarkeit zu etwas Gegebenem mythologisiert: Sie verselbstständigt sich zur betörenden Urgewalt, unantastbaren Ursprünglichkeit, unberührten Reinheit, unversehrten Wildnis, authentischen Lebendigkeit.[20]  Diese Gestalten unverfügbarer Natur sind schlechterdings unvereinbar mit Emanzipation. Erst kraft der Rechtsform lassen sich Unverfügbarkeit und Freiheit verbinden. In der Perspektive dialektischer Naturverhältnisse wird die Unverfügbarkeit der Natur nicht vorgefunden, sondern vermittelt über das Recht anerkannt. Unverfügbarkeit wird durch das Recht hergestellt. Sie ist nicht etwas Gegebenes, sondern Gemachtes. Die Natur wird unverfügbar gemacht – nicht durch einen Willensbeschluss oder Vertrag, sondern dadurch, dass ihr eigene Rechte verliehen werden, die sich aus modernen Eigentumsgesellschaften rekonstruieren lassen.

Dialektik der Naturverhältnisse heißt also, dass eine verbindlich anzuerkennende Unverfügbarkeit der Natur durch das Eigentumsrecht hervorgebracht wird. Eigentumsrechte machen die Natur zwar beherrschbar, entziehen aber zugleich die Natur ebendieser Herrschaft, indem sie auf die Natur übertragen werden. Die Natur entzieht sich der Verfügungsgewalt aufgrund ihres Eigentums. Was der Natur gehört, wird kraft des Eigentumsschutzes vor dem Zugriff anderer geschützt. Sie wird also unverfügbar gemacht, indem ihr Eigentumsrechte und ein entsprechender Eigentumsschutz verliehen werden. Menschen können dann nicht frei über Naturgüter verfügen, weil sie nicht ihnen allein, sondern auch der Natur gehören.

Zur Dialektik der Naturverhältnisse gehört demnach auch, dass das Argument für die ökologischen Eigenrechte eben der Aufklärung entstammt. Es ist der Rationalität geltender Eigentumsrechte selbst zu entlocken. Diejenige Rationalität, die zu den Ökologiekrisen geführt hat, wird gegen sich selbst gewendet und über sich hinausgetrieben. Die Natur wird der menschlichen Verfügbarkeit entzogen, indem Eigentumsrechte auf sie ausgeweitet werden. Diese Erweiterung folgt aus der Geltungslogik des Eigentumsrechts. 23Die Einsicht in die Unverfügbarkeit der Natur wird im Rückgriff auf die Rationalität geltender Eigentumsrechte gewonnen. Ökologische Nachhaltigkeit wird also aus den normativen Grundlagen moderner Eigentumsgesellschaften selbst hergeleitet.

Eigentum mit seinen eigenen Waffen schlagen

Bei Fragen des Klima-, Arten- und Umweltschutzes ist das Eigentum der sprichwörtliche Elefant im Raum, denn die bestehenden Eigentumsrechte sind eine Hauptursache für die weltweiten Ökologiekrisen, werden aber kaum thematisiert. Sie sind das Einfallstor für Klimawandel, Übernutzung, Verschmutzung und Artenschwund, das in einem ersten Schritt verschlossen werden muss. Eigentumsrechte befugen bislang dazu, Naturgüter genauso gebrauchen und verbrauchen zu dürfen wie andere Gebrauchsgüter; solange keine Gesetze dagegen sprechen, können Eigentümer mit Rohstoffen, Böden oder Wäldern genauso umgehen wie mit ihren Kleidern, Möbeln und Zahnbürsten. Gezähmt werden sollen sie durch Umweltrechte. Umweltrechten mangelt es jedoch gegenüber Eigentumsrechten an Biss, die Nachhaltigkeitsziele in der Regel ausstechen. Ökologische Maßnahmen werden aufgeweicht oder bereits im Keim erstickt, weil Eigentümer sich auf ihr verbrieftes Recht berufen, das vor einschneidenden Regulierungen schützt. Sie prallen an der tief verankerten Vorstellung vom Eigentum als einem überlebenswichtigen Grundrecht ab. Wenn es ernst wird, wiegt das sakrosankte Eigentum, so lässt sich feststellen, stets schwerer als Nachhaltigkeit.

Diese Schieflage ist der Hauptgrund für die ernüchternde Ergebnis- und Harmlosigkeit aller bisherigen Bemühungen um den Schutz der Natur. Ökologische Zukunftsszenarien und Planungsanstrengungen sind aus meiner Sicht nur dann aussichtsreich, wenn sie mit den Eigentumsrechten mindestens gleichgestellt werden. Nachhaltigkeit muss den gleichen Rang wie das Grundrecht auf Eigentum haben. Die Rechte der Natur müssen mit Eigentumsrechten gleichziehen.

Dieser Gedanke gewinnt seinen besonderen Twist erst dadurch, dass Eigentumsrechte nicht geschwächt oder gar abgeschafft werden müssen, um den Naturschutz zu erhöhen. Ökologische Nach24haltigkeit wird vielmehr im Gegenteil gestärkt, indem – nur scheinbar paradox – Eigentumsrechte erweitert und eben auf die Natur übertragen werden. Das Eigentum an der Natur wird also insoweit in Schranken gewiesen, als es auf die Natur übertragen wird, um sie genau vor ihm zu retten. Gegen Eigentum lässt sich nur etwas ausrichten, wenn es mit seinen eigenen Waffen geschlagen wird.

Dieser Zug mag überraschen, gehören doch Eigentum, Freiheit und Naturnutzung zum Selbstverständnis von Gesellschaften, die für die ökologischen Krisen verantwortlich sind. Ausgerechnet sie sollen als Grundlage für eine robuste Nachhaltigkeit dienen und ein Bollwerk gegen die Ökologiekrisen errichten? Das erscheint wie die Quadratur des Kreises. Auf den ersten Blick mag es in der Tat kontraintuitiv sein, die Natur vor dem Eigentum zu retten, indem es ihr verliehen wird. Ökologische Nachhaltigkeit leitet sich jedoch, so mein Vorschlag, aus der Geltungslogik bestehender Eigentumsrechte her, die ihr zunächst widerstreiten. Wie ich zeigen werde, stehen Eigentumsrechte in Bezug auf Naturgüter unter dem Vorbehalt ökologischer Nachhaltigkeit und lassen sich insoweit nur als nachhaltige Eigentumsrechte verteidigen. Eigentumsrechte schwächen also nicht ökologische Nachhaltigkeit, sondern stärken sie, weil ihnen bei Lichte betrachtet selbst eine Nachhaltigkeitsnorm eingeschrieben ist. Eigentum und Nachhaltigkeit sind kein Gegensatz, sondern lassen sich in Gestalt nachhaltigen Eigentums zusammenführen. Weil der Natur ihre Güter gehören und ihr Eigentum, wie jedes andere Eigentum auch, Schutz verdient, steht sie unter einem Nachhaltigkeitsschutz. Die Eigentumsrechte der Natur avancieren damit zu einer globalen Strategie ökologischer Nachhaltigkeit.

Mit dem Vorschlag nachhaltiger Eigentumsrechte möchte ich der Idee ökologischer Rechte einen neuen Impuls geben. Die Rechte der Natur, so die Annahme, lassen sich als nachhaltige Eigentumsrechte rechtfertigen und institutionalisieren. In den Ökologiedebatten fremdelt man allerdings noch mit dem Eigentumsgedanken. Eigentum wird als Bedrohung und nicht als Ausweg betrachtet; mit ihm werde der Bock zum Gärtner gemacht. In einem solchen Abwehrverhalten verkehrt sich, wie man sagen könnte, die Furcht vor der Natur, die einst Antrieb der Aufklärung war, in eine Angst vor dem Eigentum. Eigentumsrechte aber schwächen nicht per se ökologische Nachhaltigkeit, sondern sind 25im Gegenteil in der Lage, sie zu stärken. Das mag für weltanschaulich geschulte Ohren widersinnig klingen. Doch es gibt Argumente für ein nachhaltiges Eigentum, die ich darlegen werde. Dies gelingt allerdings nicht ohne eine Neudeutung des Eigentums, denn mit den bestehenden Eigentumsrechten ist ökologische Nachhaltigkeit tatsächlich unerreichbar. Nicht die Überwindung des Eigentums, sondern eine alternative Eigentumsvorstellung führt aus den ökologischen Krisen heraus. Daher muss Eigentum neu vermessen und seine innere Ökologienorm freigelegt werden. Wie ich bereits habe durchblicken lassen: Allein nachhaltige Eigentumsrechte verschaffen ökologischer Politik eine Durchschlagskraft, die ihr gegen bestehende Eigentumsrechte bislang fehlt.

Der Weg zur nachhaltigen Gesellschaft

Unsere Beziehung zur Natur erschöpft sich freilich nicht in einem Rechtsverhältnis, und schon gar nicht in einem Eigentumsverhältnis. Auch in Vorstellungen einer heiligen, schönen oder erhabenen Natur wird diese als schutzwürdig wahrgenommen. Wir können die Natur bewundern, über sie staunen, uns ihrer Schönheit hingeben, aus ihr Inspiration schöpfen, vor ihrer Größe erschaudern, sie als Quelle unseres Wohlbefindens wertschätzen, ihr mit Ehrfurcht begegnen, Demut vor ihrer Unermesslichkeit empfinden, ihre heilenden Kräfte rühmen, von ihrer Erhabenheit ergriffen sein, uns in eine Landschaft einfühlen, Freude von der Natur empfangen, sie als geheimnisvoll und rätselhaft anerkennen oder in ihrer Existenz einen unentrinnbaren Rest von Metaphysik wahrnehmen. Die phänomenologische Vielfalt von Naturerfahrungen spiegelt die zahlreichen Gestalten wider, in denen die Natur von uns als eine Entität erlebt, wahrgenommen, geschätzt oder gefühlt wird, die an sich schützenswert ist. Zweifelsohne werden durch solche Naturerfahrungen auch Sorgebeziehungen gestiftet, die sich für eine Naturethik nutzen lassen.

Ebenso gewiss ist aber auch, dass mit Staunen, Ehrfurcht, Demut und Wohlbefinden den gesellschaftlichen Systemerfordernissen nicht die Stirn geboten werden kann. Auf der Grundlage von Naturerfahrungen allein lassen sich Klima-, Arten- und Umweltschutz nicht gegen Wirtschaftsinteressen, Staatsmächte und Eigen26tumsrechte durchsetzen. Um gegen diese bestehen zu können, bedarf es zunächst der Rechtsform, die ökologische Nachhaltigkeit notfalls gegen Unternehmen, Regierungen und Einzelpersonen zu erzwingen erlaubt. Vor allem aber ist ein nachhaltiger Strukturwandel derjenigen Gesellschaften erforderlich, die den Klimawandel, den Verlust von Biodiversität, toxische Fallouts, Übernutzungen und Raubbau verursachen. Ohne den strukturellen Wandel ihres Konsumverhaltens, ihrer Produktionsweisen und Handelsarten lässt sich gegen die globalen Ökologiekrisen nichts ausrichten. Mit den behelfsmäßigen Reparaturen und dem Krisenmanagement der gegenwärtigen Umweltpolitik laufen Gesellschaften den Ökologiekrisen bloß hinterher, deren Takt von den systemischen Imperativen der Wirtschaft, der Politik und des Rechts vorgegeben wird. Nur mit einer Transformation in Richtung nachhaltiger Gesellschaften wird den Ökologiekrisen kraftvoll gegengesteuert. Diese sozialökologische Transformation vollzieht sich zentral über die Einführung nachhaltiger Eigentumsrechte.

Ökologie ist mehr als nur Ökologie, wenn sie in Eigentumsstrukturen verankert ist. Die Ökologisierung der Eigentumsrechte ist der Weg, auf dem eine Gesellschaftsformation umfassend – ökologisch, ökonomisch und sozial – verändert wird. Sie führt zu Fragen nach dem Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft und insoweit über einen monothematischen Umweltschutz hinaus. Über den ökologischen Umweg entwickeln sich Gesellschaftsformationen also auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht.

Die Ökologisierung des Eigentumsrechts, für die ich in diesem Buch argumentiere, setzt einen Überschuss in zwei Richtungen frei. Zum einen stößt sie eine sozialökologische Transformation an, in der die ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mitverändert werden. Mit dem ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft führt sie zu Veränderungen im Konsumverhalten, in der Produktionsweise, in den Arbeitsverhältnissen und in den Sozialbeziehungen. Zum anderen geben nachhaltige Eigentumsrechte Anlass dazu, Eigentum umfassend und nicht nur bezogen auf Naturgüter neu zu denken. Indem die Rechte der Natur in Gestalt von nachhaltigen Eigentumsrechten institutionalisiert werden, verläuft die sozialökologische Transformation in den Bahnen eines Strukturwandels des Eigentums. Dieser Strukturwandel erfasst auch die Eigentumsrechte jenseits der Ökologiesphäre und 27betrifft, wie schon angedeutet, eine grundsätzliche Neuvermessung dessen, was wir unter Eigentum verstehen können.

Nachhaltige Eigentumsrechte sind der Weg, auf dem bestehende Produktions- und Konsumptionsverhältnisse in Richtung hin zu einer nachhaltigen Gesellschaftsformation verändert werden. Sie sind nicht das Ziel, sondern der Weg der Veränderung. Bestehende Gesellschaftsformationen werden zwar mittels nachhaltiger Eigentumsrechte, aber nicht zu deren Zweck verändert. Eigentumsrechte der Natur bilden freilich keine ideale Gesellschaft ab, die wir uns letztendlich wünschen, wie beispielsweise ein herrschaftsfreies Naturverhältnis, ein vollendetes Reich der Freiheit und geldlose Solidargemeinschaften. Eigentumsrechte, auch nachhaltige, sind kein Zweck an sich, der um seiner selbst willen erstrebenswert ist. Die Verrechtlichung des Naturverhältnisses – zumal die Ausweitung des Eigentumsrechts auf die Natur – ist sicherlich keine Idealvorstellung von Gesellschaft und Naturerfahrung.

Der Ansatz nachhaltiger Eigentumsrechte wird in diesem Buch auf den methodischen Grundlagen einer Transformationstheorie der Gesellschaft entwickelt, die sich weder an Idealen noch Utopien, sondern am Bestehenden orientiert. Mit den Rechten der Natur wird zwar eine Alternative zum Bestehenden aufgezeigt, die sich jedoch nicht auf den idealen Endpunkt, sondern den realen Ausgangspunkt der Transformation bezieht. Eine solche Transformationstheorie der Gesellschaft lehnt sich an die Philosophie Hegels an, dem zufolge sich Gesellschaften nicht am Leitfaden ihres Ideals entwickeln, sondern kraft der Aufhebung ihrer Widersprüche.[21]  Komplexe Gesellschaften der Moderne erzeugen Widersprüche – wie den zwischen Eigentum und Ökologie. Den gesellschaftlichen Widersprüchen lässt sich nicht einfach entkommen, indem sie handstreichartig zerschlagen (eigentumslose Naturverhältnisse) oder schöngeredet werden (»grünes Wachstum«). Sie werden viel28mehr durch innovative Institutionen (nachhaltige Eigentumsrechte) und veränderte Gesellschaftsstrukturen (sozialökologische Transformation) aufgehoben. Gesellschaften vollziehen einen Prozess der Emanzipation nur kraft der Aufhebung ihrer Widersprüche.[22]  Nachhaltige Eigentumsrechte bilden, wenn man so will, eine doppelte Verneinung ab: die Aufhebung einer krisenhaften Gesellschaftsformation. Um eine Alternative zum Bestehenden zu entwickeln, werden also nicht Gesellschaftsideale entworfen, sondern neue Eigentumsrechte eingeführt, die einen Widerspruch innerhalb des Bestehenden auflösen. Mit nachhaltigen Eigentumsrechten werden die Ursachen gegenwärtiger Ökologiekrisen behoben. Durch sie sollen Krisen überwunden und nicht eine Utopie verwirklicht werden, wie wir idealerweise leben wollen. Das krisenhafte Bestehende wird dabei allein im Rückgriff auf seine Eigenlogik und wiederum nicht im Vorgriff auf sein ideales Gegenbild betrachtet. Nachhaltige Eigentumsrechte leiten sich aus der Geltungslogik bestehender Eigentumsrechte her. Sie sind deshalb alles andere als naturromantische Fantasiegebilde, sondern das Ergebnis einer Transformationstheorie, deren Ausgangs- und Endpunkt einzig und allein die gesellschaftliche Realität ist.

Transformationstheorien erschöpfen sich weder in der Kritik von gesellschaftlichen Widersprüchen noch entwerfen sie die Vision einer widerspruchsfreien Gesellschaft. Vielmehr zielen sie auf die Aufhebung der Widersprüche. Sie gehen über bloße Kritik hinaus, eben weil sie konkrete Vorschläge unterbreiten, wie sich ein bestimmter Widerspruch – beispielsweise zwischen Eigentum und Nachhaltigkeit, zwischen Ökonomie und Ökologie – aufheben lässt. Vom extremen Negativismus, der sich auf reine Kritik beschränkt, unterscheiden sie sich ebenso sehr wie von normativistischen Theorien, die sich am moralisch Seinsollenden orientieren.[23]  Die Theorie nachhaltiger Eigentumsrechte nimmt insoweit eine 29Mittlerposition zwischen Kritik und Utopie ein. Sie erschöpft sich nicht in der Kritik am Kapitalismus. Es reicht nicht aus, nur auf den Abgrund zu zeigen, vor dem man steht. Es bedarf auch der Brücke, die ihn überquert. Die beste Kritik ist immer noch die, welche zeigt, wie es besser geht. Es müssen deshalb auch Alternativen zum Kritisierten aufgezeigt werden. Nachhaltige Eigentumsrechte sind eine solche Alternative und beschreiben, wie bestehende Eigentumsordnungen zu transformieren sind, um den Ökologiekrisen noch zu entkommen. Obwohl die Mehrheit der Menschen weiß, dass die Erderwärmung hausgemacht ist und ihr langfristiges Überleben gefährdet, tun sie wenig dagegen.[24]  Der Hauptgrund für diese Tatenlosigkeit liegt aus meiner Sicht im Fehlen konkreter Alternativen. Ohne ihre Kenntnis wächst die Schockstarre. Bloße Kritik ohne einen positiven Gegenvorschlag zementiert so das Bestehende auf verhängnisvolle Weise.

Mit den nachhaltigen Eigentumsrechten wird im vorliegenden Buch eine Alternative zum extraktiven Naturverhältnis vorgeschlagen, die jedoch keine reine Utopie ist. Das Nachdenken über Utopien mündet nicht selten auch in Tatenlosigkeit. Vorstellungen vom rettenden Felsen jenseits des Abgrunds lähmen, wenn man nicht die nächsten Schritte kennt, um dorthin zu gelangen. Die Sozialfantasie eigentumsloser Gesellschaften lässt einen rat- und hilflos zurück, wie aus bestehenden Eigentumsordnungen auszusteigen ist. Sie überfordert, weil das Ziel mit dem Weg verwechselt wird. Theoriearbeit sollte deshalb keine Utopie, sondern eine tragfähige Brücke entwerfen, die sicher über den Abgrund führt. Für Utopien gilt ein Bilderverbot. Nicht hingegen für die Transformation, die einen Ausweg aus den Ökologiekrisen weist. Wie ich schon sagte: Nachhaltige Eigentumsrechte sind der Weg, nicht das Ziel. Sie bilden die Brücke, die aus den Ökologiekrisen in eine nachhaltige Zukunft führt.

Der Aufbau des Buchs

In der historisch und kulturell überraschend weit verbreiteten Vorstellung einer heiligen, schönen oder erhabenen Natur drückt sich eine geradezu unwiderstehliche Intuition aus: dass die Natur an 30sich schutzwürdig und erhaltenswert sei. Grundsätzlich stehe es den Menschen nicht zu, die Natur zu zerstören. Nicht nur würden sie sich damit einen Schaden zufügen. Sondern der Natur selbst gebühre ein Schutz. Diese Intuition durchzieht in unterschiedlichen Ausprägungen die Kulturen unserer Welt wie eine Strukturähnlichkeit. Ob in der lateinamerikanischen Kultur der Pachamama, den indigenen Naturreligionen Afrikas und Nordamerikas, den asiatischen und europäischen Ästhetiken des Naturschönen und Erhabenen oder den Schöpfungserzählungen der Weltreligionen – fortwährend wird die Natur als eine Größe eigenen Rechts vorgestellt, die Wertschätzung, Sorge und Respekt verdient. Darin drückt sich je dieselbe Intuition aus: Der Natur steht die Achtung der Menschen zu; Menschen haben demnach Pflichten gegenüber der Natur, sie zu erhalten, zu pflegen und zu schützen.

Diese Intuition in ein Argument umzumünzen, ist mein Vorhaben in diesem Buch. Das Ziel ist, belastbare Argumente für nachhaltige Eigentumsrechte zu formulieren. Nur so hält die ökologische Eigenrechtsidee den Standards überprüfbaren Wissens stand. Und erst damit wird sie vom Verdacht der Esoterik befreit. Der Aufbau des Buchs orientiert sich an der Rekonstruktion von insgesamt drei Argumenten: In Teil I, »Die Natur des Eigentums«, führe ich das Argument liminalen Eigentums ein. In dem mit »Das Eigentum der Natur« überschriebenen Teil II wird das eigentumstheoretische Argument für die Eigenrechte der Natur erläutert. Und in Teil III wird unter dem Titel »Nachhaltiges Eigentum« das eigentumstheoretische Argument für die ökologische Nachhaltigkeit ausgeführt.

Ich beginne in Teil I mit einem Klärungsversuch. Um zu begründen, warum der Natur ihre Ressourcen gehören, muss zuvor das Eigentumsverständnis möglichst scharfgestellt werden. Dafür bedarf es keiner vollständig ausgearbeiteten neuen Eigentumstheorie, sondern es reicht aus, ein paar Pflöcke für eine solche Theorie einzuschlagen. Zunächst wird mit dem Gütereigentum eine Alternative zur Standardtheorie des Sacheigentums entwickelt, der zufolge sich Eigentum durch drei Strukturmerkmale auszeichnet: Eigentum ist erstens eine Weltbeziehung; zweitens macht Freiheit den normativen Gehalt der Eigentumsrechte aus; und drittens zeichnet sich Eigentum durch Liminalität aus. Eigentumsrechten wohnen ihre Grenzen demnach selbst inne. Sie werden von außen durch 31Schranken und von innen durch bereits in ihrem normativen Kern liegende Grenzen reguliert.

Liminales Eigentum konkretisiert sich nun in Bezug auf Naturgüter als nachhaltiges Eigentum. Die theoretische Grundlage für die Rechte der Natur wird in Teil I mit dieser Vorstellung liminalen Eigentums geschaffen. Dem Argument liminalen Eigentums zufolge ist dem Eigentum an Naturgütern eine Ökologienorm eingeschrieben, die zur nachhaltigen Naturnutzung verpflichtet.

In Teil II wird erörtert, warum der Natur Eigentumsrechte zustehen. Weil der Natur ihre Ressourcen gehören, verdient sie kodifizierte Eigentumsrechte und deshalb den Status eines Rechtssubjekts. Die Rechtssubjektivität der Natur ergibt sich demnach aus dem Eigentumsanspruch. Anstatt die Rechte der Natur im Rückgriff auf einen Wert der Natur zu begründen, sollen sie aus der Geltungslogik bestehender Eigentumsrechte hergeleitet werden. Wenn Menschen Eigentumsrechte besitzen, dann gibt es keinen Grund, sie der Natur vorzuenthalten. Für die Begründung ökologischer Eigenrechte muss demnach lediglich angewendet werden, was in der bestehenden Rechtspraxis bereits anerkannt ist; ihre Begründung ist kein metaphysisches Zauberwerk.

Das eigentumstheoretische Argument für die Rechte der Natur baut auf einer Werttheorie des Eigentums auf. Ihr zufolge berechtigt eine Wertschöpfung zum Eigentum an den geschaffenen Werten. Diese Regel gilt für bestehende Eigentumsrechte, trifft aber auch – was zu begründen ist – auf die Ökosystemdienstleistungen der Natur zu. Naturgüter (darunter verstehe ich im Folgenden immer Ökosysteme sowie Pflanzen- und Tierarten) erbringen sogenannte Ökosystemdienstleistungen wie Bestäubung von Pflanzen, Filterung von Wasser, Regulierung von Erosion, Stabilisierung des Wetters, Bildung von Humus, Bereitstellung von Transportwegen für Feuchtigkeit sowie von medizinischen Substanzen, Energieträgern, Baustoffen und dergleichen mehr. Im Argument für die Eigenrechte der Natur wird die Werttheorie nun auf die Ökosystemdienstleistungen angewandt: Wenn Wertschöpfung zu Eigentum berechtigt und wenn mit Ökosystemdienstleistungen zur Wertschöpfung beigetragen wird, dann steht der Natur das Eigentum an ihren Ressourcen zu; sie verdient also Eigentumsrechte.

Auf dem Gedanken von den Rechten der Natur, die in Teil II erläutert werden, baut das eigentumstheoretische Argument ökologischer 32Nachhaltigkeit auf, das in Teil III entwickelt wird. Hier werden die Pflichten ökologischer Nachhaltigkeit ausgeführt, die sich aus den Rechten der Natur ergeben.

Der Eigentumsschutz ist hierfür zentral. Eigentumsrechte üben eine Schutzfunktion aus. Sie schützen Eigentum davor, dass es von anderen beschädigt, verunstaltet oder gar zerstört wird. Dieser Schutz gilt auch für die Eigentumsrechte der Natur. Die Eigentumsrechte der Natur verpflichten dazu, den Erhalt von Naturgütern nicht zu gefährden. Nutzerinnen sind, positiv gesagt, zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Mit der Nutzung von Naturgütern wird immer auch fremdes Eigentum genutzt – das der Natur gehört. Aufgrund des Eigentumsschutzes sind die Nutzerinnen deshalb dazu verpflichtet, Naturgüter nachhaltig zu nutzen. Eigentum an Naturgütern ist, so wird gezeigt, einzig und allein unter der Bedingung seiner ökologischen Nachhaltigkeit berechtigt. Eigentumsrechte schließen also Nachhaltigkeitspflichten mit ein und werden somit von vornherein durch eine innere Ökologienorm begrenzt. Die Rechte der Natur nehmen demnach die Gestalt von nachhaltigen Eigentumsrechten an.

Ich beschließe das Buch in einem Anhang mit Überlegungen zu einem übergreifenden Strukturwandel des Eigentums, der durch die Ökologisierung der Eigentumsrechte eingeleitet wird. Mit der Einführung nachhaltiger Eigentumsrechte werden die Weichen für eine grundlegende Transformation gestellt, die weit über die Ökologie hinausführt und auch andere Gesellschaftsbereiche betrifft. Denn sie geben Anlass, Eigentum insgesamt neu zu denken.

33Teil IDie Natur des Eigentums

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Eigentumstheorien werden von ökologischen Belangen vor besondere Herausforderungen gestellt. Der kleinste gemeinsame Nenner aller Eigentumsvorstellungen ist – über jegliche Unterschiede hinweg – die Überzeugung, dass Eigentum das Recht ist, über das, was einem gehört, selbst zu bestimmen. Eigentumsrechte berechtigen Eigentümer dazu, über ihre Güter zu entscheiden. Das gilt auch für Naturgüter. Eigentümer sind demnach scheinbar dazu befugt, über Naturgüter genauso zu entscheiden wie über andere Dinge, die ihnen gehören; so wie Kleidung, Möbel und Computer dürfen Bäume, Wasser und Kohle von ihren Eigentümern gebraucht und verbraucht werden. Freilich kann die Nutzung von Naturgütern durch Umweltrechte, Naturschutzrechte und Tierschutzrechte reguliert werden. Eigentümer dürfen demnach über Naturgüter innerhalb der Schranken bestimmen, die durch ökologische Pflichten errichtet worden sind. Doch solche Standardtheorien sind für ökologische Belange unzureichend. Denn die nachträgliche Beschränkung unterstreicht vielmehr, dass Nachhaltigkeitspflichten im Widerstreit mit Eigentumsrechten von vornherein das Nachsehen haben. Erst gelten Eigentumsrechte und dann ihre Schranken. Eigentum erscheint so stets als ein höherwertiges Recht, das einer ökologischen Norm zuvorkommt. Eigentumsrechte scheinen durch Nachhaltigkeitspflichten also nur nachträglich reguliert werden zu können. Somit kommt ihre ökologische Regulierung immer schon zu spät.

Zielpunkt der folgenden Überlegungen ist dagegen die Vorstellung liminalen Eigentums, der zufolge Eigentumsrechte bereits in ihrem Kern durch Ökologienormen begrenzt werden. Nachhaltigkeit ist ihnen von Haus aus eingeschrieben. Nachhaltigkeitspflichten werden den Eigentumsrechten nicht nachträglich und von außen als Schranke auferlegt. Sie leiten sich vielmehr aus den Eigentumsrechten selbst her und bilden somit deren innere Grenzen. Doch um zu diesem Ziel zu gelangen, muss zunächst zurückgeblickt werden, wo in der Theoriebildung zuvor die Weichen falsch gestellt worden sind.

Den Ausgangspunkt bildet deshalb eine Theoriealternative, die das Eigentumsverständnis in grundsätzlicher Weise berührt. Die Unterscheidung zwischen Sacheigentum und Gütereigentum mar36kiert in der Theoriebildung eine echte Weggabelung, die in unterschiedliche Richtungen führt. Auf der einen Seite steht das Sacheigentum, das von den Standardtheorien in problematischer Weise vertreten wird; auf der anderen Seite das Gütereigentum, das ich im Folgenden verteidigen werde. Sacheigentum wird von seinem Subjekt her kodiert – den Eigentümern und ihren Ansprüchen –, Gütereigentum zusätzlich von seinem Objekt – den Eigentümern und ihren Gütern.[1]  Mit dem Gütereigentum soll den Besonderheiten Rechnung getragen werden, durch die sich Güter unterscheiden. Dieser Grundgedanke des Gütereigentums drückt sich in der doppelten Bedeutung des Ausdrucks »die Natur des Eigentums« aus. Um Nachhaltigkeit und Eigentum in Einklang zu bringen, bedarf es einer Neudeutung dessen, was Eigentum ist. Die Natur des Eigentums (genitivus obiectivus) bedeutet hier seinen Begriff. Seinen Begriff oder seine Natur – das, was Eigentum ausmacht – zu klären, gelingt jedoch nur, wenn Eigentum auch von den Naturgütern und ihren Besonderheiten (den Ökosystemdienstleistungen) her kodiert wird. Eigentum lässt sich nur ausgehend von den jeweiligen Gütern verstehen. Die Natur des Eigentums (genitivus subiectivus) meint insoweit die Naturgüter, an denen Eigentum gehalten wird und von denen her nachhaltige Eigentumsrechte entwickelt werden.

Beide Konzepte – Gütereigentum und liminales Eigentum – sind die Bausteine einer Theorie nachhaltigen Eigentums. Sie bilden den eigentumstheoretischen Unterbau für die Rechte der Natur. Die Theorie nachhaltigen Eigentums soll aus einer Neuvermessung des Eigentums entwickelt werden, da die einschlägigen Standardtheorien mit dem Bedarf an ökologischer Regulierung nicht Schritt halten können. Allerdings lässt sich ein passender Eigentumsbegriff nicht einfach schnitzen. Gewachsene Rechtstraditionen, etablierte Eigentumskonzepte und bestehende Hintergrundtheorien lassen sich nicht beiseiteschieben, als ob man noch einmal ganz von vorn anfangen könnte. Stattdessen sollen nachhaltige Eigentumsrechte aus den bestehenden Praktiken und Theorien des Eigentums entwickelt werden.

37Dafür greife ich auf eine rekonstruktive Methode zurück. Der Eigentumsbegriff wird aus dem Bestehenden entwickelt, indem die Voraussetzungen rekonstruiert werden, auf denen bestehende Eigentumsvorstellungen aufbauen. In der Rekonstruktion wird Eigentum also von seinen Voraussetzungen her bestimmt. Die Voraussetzungen sind dabei von struktureller, kontextueller und normativer Art. Eigentum setzt formale Strukturmerkmale, bestimmte Gesellschaftskontexte und normative Geltungsbedingungen voraus. Nachhaltige Eigentumsrechte werden deshalb mithilfe einer dreifachen Rekonstruktion entwickelt: einer formalen Rekonstruktion der Strukturmerkmale (a), einer kontextuellen Rekonstruktion geltender Eigentumsrechte (b) und einer normativen Rekonstruktion der Geltungsbedingungen (c). Die Rekonstruktion entwickelt einen Eigentumsbegriff insoweit aus dem Bestehenden. Denn der Eigentumsbegriff wird anhand von Strukturmerkmalen, Gesellschaftskontexten und Geltungsbedingungen nachgezeichnet, die von Eigentumsrechten notwendig vorausgesetzt werden. Mit ihrer Rekonstruktion wird nur ausdrücklich gemacht, was unvermeidlich vorausgesetzt wird. Diese Rekonstruktionen bilden die methodische Grundlage für alles Weitere. Dabei lassen sie sich an keiner Stelle voneinander trennen, sondern greifen als Perspektiven ineinander, unter der Eigentum jeweils in bestimmter Hinsicht betrachtet werden kann.

(a) Schier unerschöpflich sind die Vorstellungen, was Eigentum ist und sein soll. Bevor das verminte Gelände hochpluraler Eigentumsvorstellungen betreten wird, ist es deshalb hilfreich, zunächst einen Schritt zurückzutreten und auszuloten, was Eigentum formal betrachtet auszeichnet. Der Begriff des Eigentums setzt sich formal aus dem zusammen, was die Einheit in der Vielfalt von Eigentumsvorstellungen ausmacht. Er ist insoweit nicht mit einer bestimmten Vorstellung oder herrschenden Meinung zu verwechseln. Der Begriff umfasst die notwendigen Strukturmerkmale, die Eigentum in formaler Hinsicht besitzt. Er besteht dabei in dem sogenannten besonderen Allgemeinen, unter das alle Fälle von Eigentum fallen (genus proximum) und wodurch sich Eigentum von allen anderen Sachverhalten unterscheidet (differentia specifica). Was für die eine Sichtweise als Eigentum gilt und für eine andere nicht, lässt sich nicht ohne diesen gemeinsamen Begriff bestimmen. Was die einen bejahen und die anderen verneinen, ist derselbe Begriff. Der ein38heitliche Begriff ist die Voraussetzung dafür, dass sich Eigentumsvorstellungen überhaupt unterscheiden können. Sie grenzen sich voneinander nur ab, wenn sie sich auf das Gleiche beziehen, hinsichtlich dessen sie abweichen. Inhaltliche Andersheit setzt formale Identität voraus.

Mögen sich Eigentumsvorstellungen historisch, kulturell und sozial noch so sehr unterscheiden, so setzen sie formal betrachtet gleichwohl drei gemeinsame Strukturmerkmale voraus. Eigentum ist immer eine Weltbeziehung, das heißt ein Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Mensch und Welt, zwischen Eigentümern und ihren Gütern. Zudem ist Eigentum untrennbar mit Freiheit als dem Recht verbunden, über die eigenen Güter (individuell oder kollektiv) selbst zu bestimmen. Und Eigentum besitzt unvermeidlich Grenzen, die ebendiese Freiheit einhegen.

(b) Weltbeziehung, Freiheit und Grenzen des Eigentums lassen sich zunächst als Strukturmerkmale formal nachzeichnen. Sie konkretisieren sich aber zugleich als die bestimmten Merkmale bestehender Eigentumsrechte. Es gibt nicht einen zeitlosen Eigentumsbegriff jenseits geltender Eigentumsrechte. Der Eigentumsbegriff ist stets der Begriff von konkreten Eigentumsrechten, die in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext entstanden sind und ausgeübt werden. Er nimmt immer schon die institutionelle Gestalt je bestimmter Eigentumsrechte an.

Die kontextuelle Rekonstruktion arbeitet in zwei Richtungen. Zum einen wird der Eigentumsbegriff in einen historischen Kontext gestellt. Die geltenden Eigentumsrechte in gegenwärtigen Gesellschaften zeichnen sich grob gesagt durch vier Besonderheiten aus: Die heutigen Eigentumsrechte entstammen den bürgerlichen Gesetzgebungen Europas und Nordamerikas im 18. und 19. Jahrhundert.[2]  Sie reihen sich in die Tradition subjektiver Rechte ein, deren Träger individuelle Einzelpersonen sind.[3]  Sie sind Rechtsinstitute in einem im Wesentlichen privat organisierten Markt.[4]  Und sie haben sich weltweit zunehmend durchgesetzt.[5]  Zu rekonstruieren ist insoweit, wie die Weltbeziehung, die Freiheit und die Grenzen geltender Eigentumsrechte in den Privatrechtsgesellschaften einer 39globalen Welt ausgelegt werden. Die bestehenden Eigentumsrechte lassen sich auf den Begriff des Sacheigentums bringen, das sich als die Standardtheorie des Eigentums etabliert hat.

Zum anderen und in umgekehrter Blickrichtung werden geltende Eigentumsrechte in den Kontext ihres Begriffs gestellt und eigentumstheoretisch sozusagen rekontextualisiert. Dadurch lässt sich eine Vielzahl von zersplitterten Einzelrechten – so unterschiedliche Rechte wie die von Aktionären, Kreditgebern, Rechteinhabern in Unternehmen mit verschachtelter Konzernstruktur, Vermögensverwaltern, Inhabern von Urheberrechten, Patenten und Datenbesitz etc. – als Eigentumsrechte sichtbar machen. Industrialisierung, Finanzialisierung, Globalisierung und Digitalisierung – man denke nur an den Hochfrequenzhandel – führen dazu, dass sich Eigentumsrechte in einem schwindelerregenden Ausmaß ausdifferenzieren. Die zahllosen Fragmentierungen, Spezialisierungen und Chiffrierungen erschweren es, hinter den endlosen Varianten von Schutzrechten, Verwertungsrechten, Kontrollrechten, Transaktionsrechten und Zugriffsrechten noch irgendein Muster zu erkennen, das es erlaubt, sie als Gestalten des Eigentums zu begreifen. Mit dieser begrifflichen Dekontextualisierung – man könnte auch sagen: ihrer Entbegrifflichung – wird Eigentum schwer fassbar, ja geradezu unsichtbar gemacht. Denn indem zersplitterte Einzelrechte von einem Begriff des Eigentums entkoppelt werden, sind sie nicht mehr als Eigentumsrechte erkennbar. Sind sie erst einmal als Eigentumsrechte unkenntlich gemacht, entziehen sie sich auch einer gesellschaftlichen Debatte über Eigentumskonflikte und die Regulierung von Eigentum. Ein erster Schritt muss deshalb die Visibilisierung des Eigentums sein: seine Unsichtbarkeit muss rückgängig gemacht werden, indem die diffusen und fluiden Einzelrechte in einen Zusammenhang mit dem Eigentumsbegriff gestellt und sie so in den Eigentumsdiskurs zurückgeholt werden. Die Strukturmerkmale Weltbeziehung, Freiheit und Grenzen des Eigentums verleihen ihnen erkennbare Konturen und machen sie so als Eigentumsrechte sichtbar. Erst durch ihre begriffliche Sichtbarkeit werden die verflüssigten und verflüchtigten Einzelrechte greifbar – und angreifbar.

(c) Um den Eigentumsbegriff neu zu vermessen, bedarf es vor allem seiner normativen Rekonstruktion. Dabei steht die normative Geltung des Eigentums im Mittelpunkt. Unter einer normativen Geltung – einer Sollgeltung – wird die Geltung berechtigter An40sprüche verstanden, deren Achtung erwartet und deren Missachtung kritisiert werden darf. Der normative Begriff des Eigentums soll dabei in Bezug auf Naturgüter rekonstruiert werden: Welche Eigentumsrechte gelten in Bezug auf Naturgüter als berechtigte Ansprüche? Ihre normative Rekonstruktion dient als Begründungsverfahren für nachhaltige Eigentumsrechte. Diese sollen also auf der methodischen Grundlage einer normativen Rekonstruktion begründet werden, die in drei Schritten erfolgt.

Erstens setzt die Begründung beim Bestehenden an. Nachhaltiges Eigentum wird durch die normative Rekonstruktion bestehender Eigentumsrechte begründet. Ausgangspunkt bilden die Eigentumsrechte, die in bestehenden Rechtsordnungen gelten. Anstatt Ideale an das Bestehende heranzutragen, werden zunächst die schon bestehenden Vorstellungen aufgegriffen. In der Rekonstruktion wird allein vom Bestehenden ausgegangen, indem deskriptiv beschrieben wird, was in ihm bereits vorausgesetzt wird. Es werden also keine neuen Annahmen eingeführt, sondern lediglich die Voraussetzungen nachgezeichnet, die dem Bestehenden selbst innewohnen. Insoweit wird bloß ausdrücklich gemacht, was in der Wirklichkeit selbst liegt.

Zweitens werden die Geltungsbedingungen nachgezeichnet, denen normative Ansprüche ihre Geltung verdanken. Bestehende Eigentumsrechte werden hinsichtlich ihrer Bedingungen rekonstruiert, unter denen sie Geltung besitzen. Um als berechtigte Ansprüche zu gelten, setzen sie bestimmte Geltungsbedingungen voraus. Mittels deren Rekonstruktion wird geklärt, welche Geltungsbedingungen erfüllt sein müssen, damit Eigentumsansprüche berechtigterweise gelten. Es werden also die allgemeinen Geltungsbedingungen rekonstruiert, die von Eigentumsrechten für ihre Geltung selbst beansprucht werden. Die eigenen Geltungsbedingungen wirken als ein immanenter Geltungsanspruch, der den bestehenden Eigentumsrechten selbst innewohnt und an dem sie sich messen lassen müssen. Dieser Geltungsanspruch bildet den Maßstab für eine immanente Kritik am Bestehenden.

Drittens werden die Wirklichkeitsbedingungen rekonstruiert und somit die Gestalten bestimmt, die Eigentumsrechte konkret annehmen müssen, um ihre Geltungsbedingungen zu erfüllen: Erst werden Bedingungen aufgestellt und dann wird überprüft, ob sie eingelöst werden. Eigentumsrechte sind inhaltlich und institutionell 41so zu bestimmen, dass sie ihre Geltungsbedingungen verwirklichen. Kraft der normativen Rekonstruktion wird entworfen, wie Eigentumsrechte auszugestalten sind, damit die Geltungsbedingungen erfüllt werden. Geltungs- und Wirklichkeitsbedingungen zusammengenommen bilden die normative Geltungslogik des Eigentums. Während alle Normen die gleichen Geltungsbedingungen (Konsistenz, Kohärenz, Faktizität und Transformation) haben, unterscheiden sich die Wirklichkeitsbedingungen hinsichtlich verschiedener Güterarten (Gebrauchsgüter, Bedarfsgüter, Produktivgüter, Naturgüter): Damit Eigentumsrechte ihren Geltungsanspruch auch einlösen und tatsächlich eine normative Geltung besitzen, sind sie in Bezug auf unterschiedliche Güter zu je besonderen Eigentumsverhältnissen zu konkretisieren. Eigentumsrechte erfüllen ihre Geltungsbedingungen in Bezug auf Naturgüter, indem sie zu nachhaltigen Eigentumsrechten ausgestaltet werden. Bevor wir in Teil III des Buchs dazu kommen, sollen in Teil I die Geltungsbedingungen bestehender Eigentumsrechte nachgezeichnet werden.

Eigentumsrechte gelten als berechtigte Ansprüche, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, denen sie diese Geltung verdanken. Der Eigentumsbegriff wird demnach normativ von den Geltungsbedingungen her rekonstruiert, denen Eigentumsrechte genügen müssen. Die normative Geltung des Eigentums entspringt insoweit weder moralischen Normen noch ethischen Werten noch kulturellen oder sozialen Konventionen.[6]  Vielmehr speist sie sich aus den Geltungsbedingungen, die von Eigentumsrechten vorausgesetzt werden und zu erfüllen sind, damit diese Geltung besitzen.

Die normative Geltung der Eigentumsrechte ist von der Rechtsnormativität zu unterscheiden. Berechtigte Ansprüche verdienen die bindende Kraft einer Rechtsnorm, ohne dass sie diese Verbindlichkeit schon besitzen. Ihnen gebührt ein Rechtsschutz, der mithilfe von Sanktionsandrohungen auch durchgesetzt werden kann. 42