Die Reisen des Phil - Der Himmel weint - Marcel Schmickerath - E-Book

Die Reisen des Phil - Der Himmel weint E-Book

Marcel Schmickerath

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Beschreibung

Wolken ziehen über das Land von Tagalan auf. Die ersten Tropfen fallen auf die Erde. Viele weitere werden ihnen folgen. Die Welt steht vor ihrem Ende. Regen und Flut sollen alles ertränken, mit sich reißen auf den Grund des Meeres. Die Götter selbst weinen um diese Welt, doch ihr Entschluss ist endgültig. Zu oft haben die Sterblichen den Versuchungen der Dämonen nachgegeben. Eine große Flut soll alles beenden und mit den Menschen auch die Dämonen für immer vom Antlitz dieser Welt schwemmen. Der Priester Phil begegnet einem Dämonenjäger, der Jagd auf Wetterhexen macht. Er ist auf der Flucht vor einer Bardin, die direkt aus dem Meer stammt. Bald schon prophezeit ihm ein Dämon namens Amon, dass Regen und Flut die Sterblichen vernichten werden. Ein Beschluss, der von den Göttern selbst stammt...

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Nur ein Tropfen
Eine Bitte zum Tanz
Ein Stern, geboren im Meer
Ein hungerndes Herz

Die Reisen des Phil - Der Himmel weint

Von Marcel Schmickerath

Buchbeschreibung:

Wolken ziehen über das Land von Tagalan auf. Die ersten Tropfen fallen auf die Erde. Viele weitere werden ihnen folgen. Die Welt steht vor ihrem Ende. Regen und Flut sollen alles ertränken, mit sich reißen auf den Grund des Meeres. Die Götter selbst weinen um diese Welt, doch ihr Entschluss ist endgültig. Zu oft haben die Sterblichen den Versuchungen der Dämonen nachgegeben. Eine große Flut soll alles beenden und mit den Menschen auch die Dämonen für immer vom Antlitz dieser Welt schwemmen.

Über den Autor:

Marcel Schmickerath, geboren 1988 in Düren, studierte Mathematik und Informatik an der RWTH Aachen. 2014 erschien sein erster Roman "Die Häldengilde" im Laufe seines Studiums. 2021 erschien sein Roman "Zahlen der Magie", in dem die Welt der Zahlen mit der Fantasywelt - genannt Tunuss - verschmolz.

Obwohl man annehmen könnte, sein Hintergrund sei "trocken" und "theoretisch", erschafft Marcel Schmickerath in seinen Büchern außergewöhnliche Charaktere, die in einer fantasievollen und humorvollen Welt leben. Die Reihe "Die Reisen des Phil", basieren auf Theologie, Mythologie und Dämonologie.

Die Reisen des Phil - Der Himmel weint

Die Reisen des Phil Band 3

Von Marcel Schmickerath

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

1. Auflage, 2022

© 2022 Marcel Schmickerath – alle Rechte vorbehalten.

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

I

Nur ein Tropfen

Ein Weizenkorn, ummantelt von Muttererde und liebkost vom Regen, keimt es auf, bricht die harte Schale und wächst den Strahlen der Sonne entgegen. Der Spross sprießt hinauf, räkelt sich in den sanften Sonnenstrahlen, reckt sich himmelwärts. Grün wird zu Gold. Es will geerntet werden, wenn der Tag der Ernte gekommen ist. Es braucht nur ein Korn, das wächst, es ergibt viele neue Körner. Nur eine einzige Saat, nur ein winziger Keim, gepflanzt und genährt. Es kann Hoffnung sein oder Zwietracht oder Furcht.

Es geschah an einem schwülen Sommertag. Die Sonne schien auf das goldig gelbe Feld. Die Luft stand still und der Weizen hoch. Das Wetter bot die idealen Bedingungen für die Ernte. Es konnte nicht besser sein. Im Licht der Sonne, wenn die Sonne schien und wenn es nicht regnete oder die Luft zu feucht war, genau dann, mochte es der Weizen, geerntet zu werden. Und er wurde geerntet.

Surrende Sensen schnellten durch das Feld, zerschnitten die Halme. Ein Bauer wusch sich den Schweiß von der Stirn. Schnaufend warf er einen Blick zu den Frauen, die die Halme aufsammelten und aus ihnen Garben schnürten. Eine der jungen Frauen sah auf. Verlegen senkte er den Blick zu Boden.

„Was freue ich mich schon auf die Mahlzeit“, sprach ihn sein Bruder an. „Deine Frau kocht phantastisch.“

Er nickte bescheiden, dann schnitt er weiter.

Die Frauen häuften die Bündel zusammen mit Großvater zu Diemen, die sie zu guter Letzt mit Ähren krönten. So gelagert, trocknete der Weizen, bis alles geschnitten und die Zeit zum Dreschen gekommen war.

Kinder spielten auf dem Feld. Sie liefen umher, versteckten sich in den Haufen aus Halmen, bis Großvater sie ermahnte. Ihre Aufgabe war es, das geschnittene Getreide zu sammeln. Schon immer erfüllten dies die Kinder. Ihre Rücken waren jung, sie bückten sich besser. Zeit zum Spielen gab es noch genügend in ihrem Leben. „Der Bursche ist seinem Vater kaum ähnlich.“ Eine der Frauen errötete bei diesen Worten. Eine leichte Brise zog auf. „Wir sollten uns beeilen“, sprach der alte Mann.

Das Zischen und Surren der Sensen wurde von einem kleinen und zarten Glöckchen unterbrochen. Die Frauen breiteten eine Decke über die Stoppel im Boden aus. Wurst und Brot holten sie aus den Körben hervor. Auch Krüge stellten sie auf. Man lachte und scherzte, richtete freudig Speisen und Trank an. Erst gab man den Kindern ein Stück, dann den Männern, die sich den Schweiß von der Stirn rieben. Nur Großvater ließ sich mehrfach rufen. Er zog es vor, in der Pause die Sensen zu wetzen. „Es ist nicht die Zeit dafür“, sagte er gelassen. Für ihn gab es ebenso nach der Ernte ausreichende Mahlzeiten.

Sie speisten, tranken, lachten und scherzten, bis sich der Himmel über ihnen zusammen zog. Nur Großvater schnitt weiter. Man musste den Tag nutzen, bis der erste Tropfen fiel oder es dämmerte. Dann war Zeit für eine Erholung.

Ein Tropfen fiel vom Himmel herab, verschwand im Krug einer der beiden Brüder. Er trank aus und sah nach seinem Vater. Doch der Mann war verschwunden.

Es begann zu regnen. Immer mehr und immer lauter. Zwischen dem Plätschern und Rascheln hörte er, ein Zischen aus dem Feld. Er rief nach seinem Vater, doch niemand antwortete.

Der Regen wurde stärker. Rasch wurden die Decken eingerollt und alles sicher verstaut. Von Großvater blieb keine Spur.

„Vater?“ Einer der Halme bewegte sich. Ein Zischen drang zwischen dem Getreide hervor. Dann noch eins. Etwas schnappte fauchend vor, griff nach dem Bauern und zog ihn durch die Halme hindurch. Der Regen erstickte Teile seines Schreiens.

Die Frauen kreischten, als ihr Verstand begriff, was vor sich ging.

Kreaturen mit Schuppen und spitzen Zähnen krochen hervor, ergriffen jeden, den sie zu fassen bekamen.

Der Bruder versuchte Frau und Kinder zu schützen, griff nach einer der Sensen, doch die Bestie war schneller. Sie riss ihn mit sich.

Dann nahmen sie sich die Frauen und zuletzt die Kinder. Es gab kein Entkommen. Als sie mit ihrer Beute zwischen dem Weizen verschwanden, ließen sie nur die Sensen und Diemen im strömenden Regen zurück. Blut mischte sich in die Pfützen und Rinnsale auf dem Acker.

Im Westen Tagalans lag die Stadt Sichel. Sie war das Zentrum von Tagalan allen Handels. Hier trafen sich unzählige Menschen. Gelegentlich begegnete man dort ebenso Zwergen und Elfen. Meist zogen sie es vor, in den Bergen und Wäldern zu bleiben, die sie ihre Heimat nannten. Sie fühlten sich nicht geborgen in der Gegenwart von Menschen. Besonders nicht in Sichel, wo sich so viele von ihnen auf engem Raum trafen, um Waren und Güter zu tauschen, ihre Ernte zu preisen oder ihren Leib, da sie sonst nichts für einen Markt besaßen. In der Geschichte der Stadt war die Distanz der übrigen Völker zu den Menschen keine unkluge Entscheidung, das lag allerdings nicht an den Charakterzügen des menschlichen Wesens, die den anderen Rassen auf Tagalan missfielen. An einem Ort wie Sichel, in einer Stadt die den Handel lebte, hatte die Pest in der Vergangenheit gewütet und schwere Wunden gerissen. Viele Angehörige und geliebte Personen hatten die Bürger Bandors vor einem Jahr verloren. Schmerz und Kummer saßen tief, waren so präsent wie die rußige Luft der Stadt. Zwar lagen die letzten Todesfälle einige Zeit zurück, ebenso die Verbrennungen der Leichen, aber es war, als habe der Tod die Stadt nie verlassen. Nie verlassen wollen. Manchmal dachte er, der Tod selbst habe sich ebenso wie er in der Stadt niedergelassen, festgebissen an Leid und Elend, hingerissen von all dem bunten Treiben.

Phil rührte in einem schwarzen Kessel aus Guss. Der milde Geruch von gewürzter Fleischbrühe umnebelte seine Nase. Die kahle Stelle auf seinem Kopf juckte. Sie juckte, wenn er nachdachte. Ein Jahr waren die Ereignisse her. Die Menschen kamen allmählich zur Ruhe. Er hatte es ihr versprochen. Dieses Mal wollte er sein Wort halten.

Eine Schüssel schob sich neben den Topf. Ein Mann mit fahlem Gesicht lächelte flüchtig.

Er erwiderte das Lächeln und schöpfte etwas Brühe aus dem Kessel.

„Danke.“ Der Mann stützte sich betrüblich auf ein Stück Holz. „Du bist ein guter Junge, Phil. Das Herz am rechten Fleck. Möge Weya dir wohlgesonnen sein.“

Phil nickte wehrlos. Die Götter, selbst Weya, die den jungen Priester nach Tagalan gesandt hatte, um das Land zu retten, konnten unergründlich sein. Die Nacht ohne Morgen war da nur einer von vielen ihrer für ihn undurchschaubaren Plänen. Es hatte nicht viel gefehlt und die gesamte Welt von Tunuss wäre zerstört worden. Wenn er nicht die Götter und Erzengel hätte besänftigen können. Wohlwissend, dass der große Plan nicht wirklich aufgehoben worden war, sondern nur aufgeschoben. Er hoffte, aufgeschoben bis in alle Unendlichkeit. Und doch, oder vor allem deshalb, fühlte es sich an, als wäre er hintergangen worden. Er war nicht bloß von seiner Göttin und den Moiren des Tartaros hintergangen worden, es war das Ende von allem, was ihm zu schaffen machte. Das konnte unmöglich der Plan der Götter gewesen sein. Obschon selbst Weya bei diesem Plan machtlos zu sein schien.

Er füllte eine weitere Schüssel. Ein dicker Zwerg bedankte sich.

Es lag an den Lebenden, den Lebenden zu helfen. Vermutlich war das ein weiterer Plan der Götter. Zumindest war es ein Plan, der von Weya selbst hätte stammen können. Sie liebte die Sterblichen, das wusste er. Der beste Beweis ihrer innigen Liebe war ihr Sohn Rüdiger, den sie mit einem der Herrscher Sacres gezeugt hatte. Sacre, das war seine Heimat. Es war die Stadt der Göttin. Dort war alles voller Farben und Lebensfreude, ganz anders wie auf Tagalan. Hier hausten Dämonen und Bestien. Flüche und Gespinste, sogar Vampire suchten das triste Land heim. Die Natur mochte in vielen Teilen des Landes üppig erblühen, doch es nicht wie Sacre. Tagalan war ein Land, das die Götter vergessen hatten.

Eine junge Frau bedankte sich.

Weya hatte es nicht vergessen. Sie war es, die sie ihn nach Tagalan sandte. Die übrigen Götter hatten vergessen, weil die Sterblichen die Götter vergessen hatten. Das musste es sein.

„Danke“, brummte ein Zwerg mit einem Laib Brot im Mund.

Man vergaß niemanden, den man liebte. Er vergaß auch sie nicht. Obschon sie ein grausames Heer im Osten aufstellte. Sie hatten sich auseinandergelebt. Er war mit Herkyna in Sichel und er half den Menschen. Er half den Menschen, sich selbst zu helfen. Er schenkte ihnen zu Essen, Fürsorge und Hoffnung.

„Danke.“

Er erwartete keinen Dank. Es war seine Bestimmung. Mit jedem Leid, welches er linderte, rettete er einen Teil seines Selbst.

Wieder stand der dicke Zwerg vor ihm. Er schmatzte laut, hielt ihm die Schüssel entgegen.

„Giggles?“, wunderte er sich. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte den Zwerg wiederzusehen oder ob er wütend darüber sein sollte, dass er den Dürftigen das Essen streitig machte. Er lächelte schließlich. Er kannte den Zwerg. Er stahl nicht.

„Ich bin nicht Giggles“, sagte der Zwerg knapp. „Giggles war vorhin hier. Er ist irgendwo dorthin verschwunden. Ich wollte nur etwas zu Essen.“

„Dein Mund ist noch voll. Ich verstehe dich kaum.“ Er schob die Schüssel zurück. „Du hast genug.“

„Aber ich habe Hunger.“ Der Zwerg sah ihn erwartungsvoll an.

„Du hast immer Hunger“, wandte er ein. Der Zwerg ließ die Schultern sinken. „Es ist schön, dich wiederzusehen. Bist du allein? Was verschlägt dich nach Sichel?“

„Ich habe Hunger.“

Er kannte Giggles besser als jeden anderen Zwerg Tagalans. Ein kräftiger Zwerg mit einer gutherzigen Seele. Leider hatte er den Berg verlassen müssen und durfte wie alle übrigen verstoßenen Zwerge auf Tagalan nicht wieder zurück. Die Gesetze von Metbrunn waren strikt. Zwerge waren unerbittliche Kämpfer mit einem ausgeprägten Zusammenhalt. Wer einmal gegen eine ihrer Regeln verstoßen hatte, sei es Diebstahl, Beleidigen ihres Königs oder, wie im Fall von Giggles, ein gewisser Grad an Nichtsnutzigkeit, was Met und Speisen verschlang und keine Tunnel graben konnte, dann waren die Zwerge von Metbrunn mehr als unbarmherzig. Doch in seinem tiefsten Inneren war Giggles ein besserer Zwerg, als es der König selbst zu sein vermochte. Er war nur etwas leicht zu überreden. Um nicht zu sagen, zu manipulieren. Und einer seiner Begleiter beherrschte diese Gabe in Perfektion. „Ist Jorf auch hier?“, erkundigte er sich bei dem Zwerg. Der Gnom war das exakte Gegenteil von dem dicken Zwerg. Er war klein, gerissen und heckte immer etwas aus. Vor allem konnte er seine Finger nicht bei sich halten. Alles, was er sah, ob es glänzte oder nicht, verschwand früher oder später in seinen kleinen Taschen. Wo Giggles war, da konnte der Gnom nicht weit sein. Und wenn Jorf in Sichel war, dann sicher nicht um zu handeln oder den Bedürftigen zu helfen.

Giggles zuckte mit den Schultern.

Er wies Gerda an, seinen Platz einzunehmen. Eine korpulente Frau nahm ihm die Kelle ab und ließ den Nächsten vortreten.

„Komm mit“, sprach Phil. „Ich möchte dir jemanden vorstellen.“

Er führte den immer hungrigen Zwerg zu einem schmalen Häuschen, eingeengt von einer ganzen Reihe von schmalen kleinen Häuschen. Ihr Gewicht wurde von mittelmäßigen Brettern gestützt. Die Fensterschläge waren weit geöffnet. Ein angenehmer Duft von gebratenem Fleisch und gedünstetem Kohl drang in ihre Nasen. Das Wasser lief dem rundlichen Zwerg aus den Mundwinkeln. Schmatzen und Magenknurren übertönten die Laute, die er sonst noch von sich gab. Der Zwerg sah den Priester an, als etwas in dem Zimmer rumpelte und schepperte.

Phil zog die Achseln hoch. „Sie ist manchmal etwas tollpatschig“, erklärte er. „Du wirst sie mögen.“ Ein Schrei entriss ihm seine Gelassenheit. Sie war meist etwas unbeholfen und nicht selten stolperte sie oder etwas entglitt ihren zarten Händen. Es war nicht übermäßig, nicht störend. Oftmals bemerkte er es gar nicht. Es gehörte zu ihr, wie der gesamte Rest ihrer offenen und liebenswürdigen Art. Manchmal ertappte er sich sogar bei dem Gedanken, dass er genau das so sehr an ihr mochte. Doch dieser Schrei war anders. Das Rumpeln und das Brechen von Glas erinnerten eher an einen Angriff. Er trat die Tür auf, rannte die Stufen hoch.

Herkyna lag auf dem Boden, hielt die Hände abwertend vor sich. Suppe und Fett tropfte vom Herd auf ihr weißes Kleid. Es wies einige Risse auf. Blut färbte Teile darauf ein. „Phil!“, rief sie entsetzt.

Die Luft hinter dem jungen Priester tönte sich dunkel, tauchte in die Schatten und füllte den kreisrunden Raum zwischen zwei Welten mit kaltem Schwarz, aus dem eine grausige Fratze herausragte. Die dicke warzenübersäte Nase drückte sich durch den Spalt ins Zimmer. Sie schnitt mit ihren Klauen tief ins Fleisch.

Phil sprang zur Seite. Der Riss schloss sich wieder. Das Wesen verschwand kichernd darin.

„Ein Spaltentroll“, erklärte Herkyna knapp, presste die Lippen zusammen.

Der Versuch, den Zwerg aufzuklären, wurde von einem weiteren Angriff unterbrochen. Dieses Mal wich er aus.

Giggles verzog keine Miene, stürzte sich prompt in die kleine Küche hinein. Ohne zu zögern, bediente er sich an dem zarten Fleisch, das unentwegt seine Nase umwarb.

„Giggles!“, herrschte Phil, wofür er eine weitere Verletzung erlitt.

Der Spaltentroll kicherte, griff nach der blonden Frau unter dem Tisch und zerrte sie hervor. Sie trat ihm ins Gesicht, woraufhin er erneut in einem Spalt verschwand. Giggles Schmatzen übertönte die schmerzhaften Laute, die ihr aus ihren zusammengepressten Zähnen entwischten.

Phil sah sich um. Diese Art von Trollen war bekannt für ihre heimtückischen Angriffe. Sie bewegten sich zwischen den Dimensionen, verschwanden so schnell, wie sie auftauchten und hinterließen nichts als Schmerz und Chaos. Meist waren ihre Beweggründe simpel. Oftmals drehten sie sich um primitive Grundbedürfnisse, wie etwa Hunger. Er sah auf den Ofen, von dem das Fett aus einem der Töpfe tropfte. „Gib es ihm“, riet er den Zwerg. Er ignorierte ihn, kaute weiter.

Eine Hand tauchte neben dem Braten auf und packte zu. Das Fleisch wollte im Riss verschwinden, da schlug etwas Schweres darauf ein. Der Spaltentroll ließ seine Beute mit einem Schrei fallen, zog die Klaue zurück ins Nichts. Giggles hob den Morgenstern und aß genüsslich weiter. Er senkte gelassen die Waffen. Niemand störte ihn beim Essen. Auch kein Spaltentroll.

Herkyna nahm seine Hand und stand auf. „Wer ist dieser Zwerg?“

„Das ist Giggles“, seufzte Phil. „Ich hatte gehofft, ihr würdet euch gut verstehen.“

„Er ist ein Vielfraß.“ Sie wich dem Angriff aus, dann zog sie Ranken aus den Bodendielen hervor. Sie griffen nach dem Troll, umschlangen eine seiner Arme und zogen die dunkle Kreatur aus dem Reich der Schatten hervor.

„Ich habe nur etwas Hunger“, murrte der dicke Zwerg.

Ein Wesen mit dürren langen Armen und spitzen zerfressenen Ohren schlug auf den Boden auf. Der Troll fletschte die spitzen gelben Zähne. Die Ranken rankten sich den Arm entlang, pressten ihn fest auf den Boden.

Ein Stechen raubte der Nymphe die Konzentration. Der Zauber verlor an Wirkung, die Ranken rissen. Die Fesseln zersprangen und der Spaltentroll tauchte kichernd in ein dunkles Loch im Boden ab, das, kaum war er darin verschwunden, sich in nichts auflöste. Das schadenfrohe Kichern klang noch eine Weile nach.

Phil half ihr zurück auf die Beine und versicherte sich, dass es ihr gut ging. Er warf einen Blick durch den Raum. Es gab weder Waffen noch Hilfsmittel in seiner Nähe, nur den Dolch in seiner Tasche. Langsam holte er den kleinen Dolch hervor. Abwesend warf er einen Blick auf die Verzierungen darauf. Er hatte es ihr versprochen.

Herkyna belächelte seinen Blick geringwertig, dann stand sie auf und befreite sich aus seinen Armen. Sie wusste, weswegen er zögerte.

Das laute Schmatzen brach abrupt ab, als sich die Kreatur erneut am Fleisch zu schaffen machte. Der Zwerg hob den schweren stacheligen Stahl und pfefferte die Kugel dem Troll entgegen. Die Wucht riss ihn aus seinem Spalt heraus und schleuderte ihn auf einen der Tische, der unter der Last zerbarst. Keuchend stemmte sich der Troll auf, stützte die Wunde am Bauch. Giggles sprang mit all seinem Gewicht auf ihn, schlug auf ihn ein und zertrümmerte seine grässliche Fratze mit nur einem Schlag. Der schmächtige Leib des Trolls erschlaffte. „Ich mag es nicht, wenn man mich beim Essen stört“, kommentierte der Zwerg knapp, ehe er sich wieder seiner Leidenschaft hingab.

„Du hast dich verändert“, sagte Phil mehr zu sich selbst als zu dem Zwerg. Unter all den Esslauten erwartete er keine Antwort. Umso überraschter war er, als der Zwerg ihn verwundert ansah. „Bei unserer letzten Begegnung sagtest du, du wärst kein guter Kämpfer. Jetzt sehe ich einen talentierten Söldner vor mir, der einen Spaltentroll mit nur einem Hieb besiegt.“

„Das heißt nicht, dass ich kämpfen kann“, presste Giggles mit vollem Mund hervor. „Und ich bin ein Zwerg, kein Söldner.“

Phil lächelte entmachtet. Noch immer besaß der Zwerg nur wenig Selbstbewusstsein. Er konnte so viel mehr, als er selbst zu glauben vermochte.

„Phil?“ Herkyna sah ihn mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck an.

„Es geht schon.“ Mit einer Hand presste er die Schnittwunde zusammen.

Sie nahm seine Hand, sah ihm für einen kurzen Augenblick tief in die Augen, wollte etwas sagen, doch sie wandte sich ab. Dann griff sie nach einer der Pflanzen im Raum und legte die andere Hand auf die Wunde des kahlköpfigen Priesters. Grünes Licht strömte aus den Blättern durch sie hindurch bis hin zu seiner Wunde, die sich langsam schloss. Die Pflanze verwelkte.

Phil steckte den Dolch zurück in sein Gewand.

„Ich habe es gesehen“, sagte sie schließlich. „Du hast ihn sehr lange angesehen.“

„Weil Weya Gewalt ablehnt“, entgegnete er rasch.

Sie warf einen Blick auf die andere Wunde, ehe sie auch sie mit ihrer Magie zu heilen begann. „Es geht nicht um Weya“, sprach sie mit matter Stimme. „Es war keine Göttin, die dir diesen Dolch gegeben hat.“

„Du denkst, ich denke noch immer an sie?“ Er glaubte, ein Funkeln in einem ihrer Augenwinkel zu sehen.

„Das denke ich nicht“, sagte sie. „Ich weiß es.“

„Gibt es hier irgendwo etwas Salz?“, erkundigte sich der Zwerg. „Die Suppe ist etwas lasch.“

„Wer ist dieser Zwerg?“

„Er ist ein alter Freund von mir. Einer der tapfersten Zwerge, denen ich jemals begegnet bin. Er scheint unscheinbar, aber er ist in seinem tiefsten Inneren etwas Besonderes.“

„Das denkst du über jeden“, sagte sie, dann reichte sie dem Dicken das Salz. „Er scheint seit Ewigkeiten nicht gebadet zu haben.“

Giggles strahlte, dann aß er weiter.

„Und das Essen war nicht für ihn.“

„Für heute haben wir genug, er hat es verdient.“ Ihr Blick entging ihm nicht. Sie schien etwas zu verheimlichen.

„Wir reden später“, sagte sie. „Aufräumen kann dein Freund doch, oder?“ Der Zwerg sah nicht einmal auf. „War das nicht für die Bedürftigen?“

Phil nickte. „Wir können später noch etwas zubereiten.“ Er zog den Troll zu sich, zumindest versuchte er es. Es sah sehr unbeholfen aus. Der Leib des Spaltentrolls war zu schwer für seinen schlaffen Körper, der viele Jahre nichts weiter als Bücher gewälzt hatte. Irgendwann brachte man ihn dann in ein Kloster, welches unter dem Schutz Weyas, Herrin über das Licht und den Weizen, stand. Dort fand er Arbeit, die keine großen körperlichen Kräfte voraussetzte. Sie setzte den Grundstein für den Rest seines Lebens. Ein Leben, das ihm aufgrund seines Glaubens nach Tagalan geführt hatte. Nach einigen Strapazen und Erlebnissen hatte er in Sichel zusammen mit Herkyna seinen Frieden gefunden. Hier wollte er bleiben, wollte mit ihr sein, um denen zu helfen, die Hilfe benötigten.

Die Nymphe hob ein paar Scherben auf und legte sie auf den Tisch. „Wir sollten reden“, sprach sie mit fragiler Stimme. Die Art und Weise, wie sie sprach, verdrehte ihm den Magen. „Wem machen wir etwas vor?“ Es kam nicht ganz unerwartet. Die Frage, kaum ausgesprochen, stand sie wie eine unsichtbare Mauer zwischen den beiden im Raum. In seinem Hals bildete sich ein Kloß, den er nicht herunterschlucken konnte, egal wie sehr er sich bemühte. „Du stehst im Dienste Weyas“, fuhr sie fort. „Es ist dir nicht gestattet, an der Seite einer Frau zu ruhen.“

„Und doch tue ich es“, sprach Phil. „Das ist meine Bürde.“

Sie schüttelte den Kopf. „Es ist auch meine, wenn es deine ist.“

„Aber…“

„Es gibt kein Aber, Phil.“ Sie hob die Arme. „Sieh mich an.“

„Wir können dir ein neues Kleid besorgen und die Wunden verheilen.“

Ein Seufzen glitt in den Raum, prallte an der unsichtbaren Mauer ab und verteilte sich um sie herum. „Ich kenne dich“, sprach sie weiter. „Ich kenne aber auch mich. Eine Waldnymphe passt nicht in eine Stadt wie Sichel. Meine Heimat ist der Wald mit all seinen Tieren, dem Grün und klaren Wasser des Sees. Selbst den blauen Himmel vermisse ich.“

„In Sichel ist der Himmel auch blau“, versuchte er es.

„Für mich ist er das längst nicht mehr. Deine Selbstlosigkeit und“, sie sah kurz zu dem Zwerg herüber, dann fuhr sie fort: „Nächstenliebe ist beachtlich. Es ist etwas, das ich sehr an dir bewundere, auch zu teilen bereit bin.“

Er suchte nach den rechten Worten, doch das bevorstehende „Aber“ raubte ihn jeden Gedanken. Hatte sie nicht vorhin gesagt, es gäbe kein aber?

„Gibt es auch Nachtisch?“ Giggles sah von rechts nach links.

„Nein“, sprach die Frau knapp. „Heute gibt es leider keinen Nachtisch. Ein Nachtisch ist für besondere Tage, an denen besondere Ereignisse geehrt werden. Genau das ist heute nicht der Fall.“

Der Zwerg drehte sich um und löffelte etwas Suppe. „Achso.“

Sie verstand den Zwerg, konnte mit ihm in seiner Sprache sprechen, ohne ihn zu verletzen. Sanftmütig, wie eine Mutter. Doch er verstand sie nicht.

„Mach es mir nicht schwerer, als es ohnehin bereits ist.“ Etwas blitzte in ihren Augen auf. „Es gibt Dinge, die wir beide nicht ändern können.“

„Wir können Sichel verlassen.“

„Es ist nicht nur die Stadt. Manchmal denke ich, ich bin eine Last für dich.“

„Das bist du nicht.“ Er war selbst überrascht, wie zügig er es ausgesprochen hatte.

„Weil du es nicht siehst, ich schon. Willst du etwa wegen mir riskieren, in Verachtung im Fegefeuer zu enden?“ Ehe er nicken konnte, ergänzte sie: „Als ich gesehen habe, wie du den Dolch angesehen hast, war ich mir sicher. Du liebst sie noch immer und es ist nicht die Art von Liebe, die du jedem Wesen entgegenbringst. Euch verbindet mehr. Mehr als uns verbindet. Du solltest es einsehen.“

„Aber sie…“ Sie ließ ihn nicht sprechen. Was nun passierte, hatte sie sich schon zu lange vorgenommen. Nun war der Moment gekommen.

„Der Wald ruft mich“, sagte sie. „Und nur mich.“

„Willst du das wirklich?“

Sie nickte, rieb sich die Augen. „Sag jetzt nicht die Sache mit dem Schmetterling“, scherzte sie. „Du weißt, dass mir das gefällt, doch es ändert nichts an uns. Nichts an dem, was du bist und nichts an dem, was ich bin.“

„An mir auch nicht?“, erkundigte sich der Zwerg. Er kassierte zwei strenge Blicke dafür. „Dachte nur“, hob er die Schultern und schlürfte weiter.

„Wir können morgen darüber sprechen“, schlug er vor.

„Ich werde heute noch aufbrechen.“

„Wirst du zurückkehren?“

„Das weiß ich nicht“, sprach sie. „Wohl aber weiß ich, wir werden uns wiedersehen.“ Sie schritt über den Troll und drückte ihn fest an sich. Dann gab sie ihm einen Kuss und verabschiedete sich mit den Worten: „Bleib so, wie du bist. Mögen Weya und alle Götter des Sees Otymp über dich wachen.“

Kaum hatte sie die Türschwelle passiert, begann es zu regnen. Tränen kullerten über ihre Wangen. Sie blickte nicht zurück.

Er sah ihr eine Weile nach, die Kehle verklumpt und zugeschnürt. Irgendwann verschwand sie in einer der vielen Straßen von Sichel.

Eine Brise strich durch das Land, mau, sanft und auf ihre milde Art verheißungsvoll. Ein wohliges Gefühl. Die heiße und brennende Mittagssonne schien unerbittlich vom Himmel herab auf die karge, rötlichbraune Landschaft, aus tristem Fels und hartem Stein. Ihre Strahlen prallten auf glühende kleine Sandkörner auf dem Boden, kochten auf und brannten nieder, was Anzeichen von Leben in sich trug. Wer keine kühlende Zuflucht fand, der setzte alles in seiner Kraft daran, diesem unergiebigen Verlangen der Mittagssonne zu widerstehen.

Im Schatten eines Felsen, der nicht so lindernd war, wie die kleine Brise, die über ihn hinwegzog, regte sich graues Fell. Fell, das nicht zu demjenigen gehörte, der es trug. Zumindest früher nicht. Jetzt, nachdem unzählige wilde Tiere, grässliche Kreaturen, sogar Drachen, nach ihrem Niedergang gehäutet worden waren, gehörten sie ihm. Und das würde sich niemals ändern. Für immer.

Er zog den Schädel eines Wolfs hoch. Große Hauer, die einst einem Wildschwein gehörten und Schuppen, die er von einem Drachen stahl, waren in das graue Fell eingeflochten. Darunter zierte ihn der braune Pelz eines Bären. Er schenkte ihnen mit seinen Bewegungen einen Hauch von Leben, das nach dem zweiten Blick unmittelbar daraus entwich. Ein paar grüne Augen zeigten sich, bedeckt von Schatten, sie wichen der Ungunst der Mittagssonne aus. Sein Gesicht war streng, die Wangen straff. Ein leichter Bart, wild gewachsen, durchzogen von allerlei Narben, große wie kleine. Alle stammten von Tieren oder dämonischen Kreaturen.

Die Wüstenlandschaft flackerte vor seinen Augen, suchte einen Weg mit dem heißen Gestein und der kochenden Luft zu verschmelzen. Sie floss wie Wasser hin und her, auf und ab. Es war nicht leicht etwas darin zu erkennen. Er erblickte Schemen, Schemen die nicht dorthin passten, wo sie sich regten.

Der Kopf verschwand wieder unter dem Schädel. Sein Magen knurrte. Er zog die Axt an sich heran. Stramme Muskeln zerrten das schwere Eisen durch den Sand. Es musste sein.

Überall streifte er durch das Land, allein und nur auf sich bedacht. Das war seine Natur. Sein Verlangen. Seine Gabe. Er hatte Gegenden gesehen, die erheblich fruchtbarer waren als die Wüste. Doch irgendeine seltsame Kraft fesselte ihn an genau diesen Ort. An eine Gegend, an die niemand freiwillig einkehrte. Es war nicht seine Heimat, die lag weiter westlich in den Wäldern. Selbst dort fühlte er sich nicht heimisch. Nicht heimischer als in dieser von der Sonne regierten Region. Aus einem Zuhause wurde man nicht vertrieben. Er dachte an Al Gabbga. Wut entbrannte in ihm. Es war alles Al Gabbgas Schuld. Ein elender Scharlatan, der seinen Stamm führte.

Zähne knirschend brachte er sich in eine bessere Position, schlug mit der Faust in den heißen Wüstensand. Al Gabbga hatte mehr als den Tod verdient. Sein Lebensende schien viel zu milde vollzogen worden. Durch ihn wurde der gesamte Stamm ausgelöscht.

Ein schriller Schrei riss ihn aus den Gedanken. Über ihm kreiste ein Falke. Er lauerte auf. Einer Beute, die er jagte. Echsen oder Wüstenmäuse. Möglicherweise auch größeren Insekten, die über den heißen Sand krabbelten. Es war der Kreislauf des Lebens. Nichts, was seiner Beachtung bedurfte. Doch diesmal gab er sich nicht mit kleiner Beute zufrieden. Was seine Aufmerksamkeit erregt hatte, war größer, reichhaltige, vielversprechender. Nur selten verirrte sich eine derart große Beute in dieser Einöde. Der Gedanke, wie lange er von dieser Ausbeute zehren und was er aus ihren Knochen herstellen konnte, versetzte ihn in einen Rausch. Er musste sie haben.

Ein Rüssel schob das Junge vor sich her. Der kleine Elefant bewegte sich träge und tapsig zugleich. Durst raubte ihm seine Kraft. Wenn die Herde nicht bald die Quelle erreichte, dann würde er die Hitze nicht überstehen. Sie schob das Kleine zurück in ihren Schatten.

Eine ganze Herde anzugreifen war gefährlich, Al Gabbga hätte es als töricht empfunden, aber Al Gabbga hatte seinen Stamm auch hungern lassen, wenn er es für richtig gehalten hatte. Barbaren wie Al Gabbga hätten seinen Stamm niemals führen dürfen und doch gab es immer jemanden wie Al Gabbga. Es gab immer einen Al Gabbga, der vorschrieb, was vorteilhaft und rechtens war.

Die Axt fest in der Hand rannte er los. Sein Brüllen scheuchte die Herde auseinander. Die größeren Tiere umschlossen das Junge. Die Elefantenkühe waren zum Kampf bereit, streckten ihre Hörner dem herannahenden Feind entgegen. Nichts und niemand würde den kleinen Elefanten erreichen.

Tjork wisch einem der anstürmenden Bullen aus, riss mit einem Schrei eine Wunde in sein Fleisch. Der Elefantenbulle wendete, baute sich auf, entfaltete die Ohren und hob den Rüssel laut trötend in die Luft. Er war aus der Nähe um ein Vielfaches größer. Der Barbar blieb unbeeindruckt. Er steckte die Beine fest in den Sand, hob die Axt provozierend in die Luft und brüllte. Dieser Kampf war der Seine, ebenso die Beute. Die Erde unter seinen Füßen bebte, als sich die Hörner ihm darboten und nach ihm stachen. Stahl traf auf Elfenbein. Eines der Hörner fiel zu Boden. Der Elefant tobte. Tjork setzte nach, verpasste ihm eine weitere Wunde. Blut tropfte in den heißen Sand. Sein Ziel glitt mit jedem Hieb näher. Was kümmerte ihn das Junge, der Bulle war um einiges ergiebiger. Er wusste, Al Gabbga hätte ein solches Verhalten niemals erduldet. Doch Al Gabbga war tot. Genauso tot wie der Rest seines Stammes. Was jetzt zählte, war nur er und alles, was ihm gehörte und alles, was ihm gehören würde.

Einer der Elefanten eilte seinem verletzten Artgenossen zu Hilfe, hielt auf den Barbaren zu. Er drehte sich um, sah den Zorn in den Augen des Tiers und holte aus. Da schnellte der Falke von oben herab, beraubte ihm seiner Sicht. Tjork fluchte, während der Greifvogel ihm das Gesicht zerkratzte. Dann rammte ihn der Elefant und schleuderte ihn auf den Boden. Er packte den Falken, warf ihn schnaubend von sich in den Sand. Das Erste, was er sah, war der Elefantenfuß über ihm, der auf ihn herabsauste und zu zerquetschen suchte. Er rollte zur Seite, worauf der Elefant einige Male nachsetzte. Stahl glitt ins Bein, brachte das Tier zum Straucheln.

Tjork stand auf. Sein Blick verfinsterte sich. Sie war ihm nicht groß genug. Es musste der Bulle hinter ihr sein. Wieder griff der Falke ein, nahm ihm die Sicht auf das, was ihm entgegentrat. Der Schmerz im Oberarm verriet es ihm. Das verbliebene Horn des Elefantenbullen traf ihn, durchbohrte ihn. Er schrie.

Ein Pfeifen rief den Falken zurück. Die Herde hinter ihm rannte los, ließ die verwundeten Elefanten zurück.

Er durchtrennte das Horn, stürzte zu Boden und zog es behutsam unter Schmerzen aus dem Arm. Pfeile schnellten an ihm vorbei, trafen einen der Elefanten, der noch immer auf ihn fixiert war. Doch sie blieben in der dicken Haut nicht stecken. Sie prallten ab. Dann sah er, dass es gar keine Pfeile waren. Es war eine Bö, die durch die Luft schnitt. Der Wind hielt das Tier im Zaum, machte es bewegungsunfähig. Dann spürte er eine Kraft an sich vorbeigleiten, die er bereits einmal in seinem Leben wahrgenommen hatte. Das konnte unmöglich sein. Eine merkwürdige Kraft riss ihn zu Boden. Die Rufe der Elefanten verstummten. Eine Fratze offenbarte sich ihm vor seinem Gesicht, neben ihr ruhte der Falke auf einer der Schultern. Viele Farben zeigten sich darin. Auf dem Kopf waren Federn und Büffelhörner. Noch mehr Männer näherten sich. Sie nahmen ihm die Waffe und fesselten ihn. Einige von ihnen widmeten sich den Elefantenleibern zu. Sie sagten etwas in einer Sprache, die er nicht kannte, dann nahmen sie ihn und seine Beute mit sich.

Der Regen hielt eine lange Zeit über der Stadt an. Sie hatten in der kleinen Stube fast alles hergerichtet. Doch eben leider nicht alles. Etwas Entscheidendes fehlte und diese Lücke konnte der dicke Zwerg mit all seinen Fragen nicht schließen.

Der sanfte und kühle Geruch von Petrichor stieg in seine Nase. Der Geruch von nasser Erde, unmittelbar nach dem Regen. Das Wort hatte er in einem der Bücher in einem Kloster gelesen. Sie nannten es das Blut der Götter. Er mochte es ebenso, wie den Geruch selbst. Es roch nach Erleichterung, die der trockene Boden bedurfte, aber auch nach aufgewühlten Partikeln, die ohne die aufprallenden Tropfen auf dem Erdboden geblieben wären, ohne dass sie jemand bemerkt hätte. Wenn das Blut auf die Erde fiel, dann stritten sich die Götter. Allerdings wusste er, wenn Nymphen weinten, dann regnete es. Doch was nutzte ihm all dieses Wissen? Er hatte sie nicht überreden können, bei ihm zu bleiben. Natürlich wollte er sie zwingen zu bleiben. Aber er wollte auch nicht, dass sie geht. Er dachte an sie und er wusste, sie tat ihm gleich.

Giggles Magen knurrte. „Du kannst unmöglich wieder Hunger haben“, mahnte er den Zwerg.

Der Zwerg lehnte den Vorwurf ab. „Nein, das habe ich nicht. Ich habe immer noch Hunger.“

„Du solltest lernen, an andere Dinge zu denken, als bloß an die nächste Mahlzeit.“

„Ist es denn schon Zeit für die nächste Mahlzeit? Das würde bedeuten, die Letzte wäre vorüber, nicht wahr? Es ist immer schwierig, das Ende einer Mahlzeit auszumachen, wenn es keinen Nachtisch gibt.“

Phil brummte. Etwas, das er nur selten tat. Sein Glaube erfüllte den jungen Priester mit einer innigen Ruhe und Gelassenheit. Doch nun war all dies verschwunden. „Kannst du mir jetzt sagen, was dich nach Sichel gebracht hat?“, fragte er kleinlaut.

„Hunger.“

„Abgesehen von deinem Hunger.“ Irgendwo in seinem tiefsten Inneren hatte er sich erhofft, der Zwerg hätte eine andere Erklärung genannt. Dabei wusste er, Giggles sprach immer die Wahrheit. Man musste ihm nur die richtigen Fragen stellen und ein wenig Zeit zum Nachdenken geben. So wie in diesem Moment.

„Da muss ich nachdenken“, sagte Giggles. „Mein Hunger bringt mich so ziemlich überall hin, weißt du?“. Der Zwerg dachte kurz nach. „Eigentlich nur der Hunger“, sagte er dann. Phil gab ein genervtes Geräusch von sich, deshalb fügte er irgendwann hinzu: „Jorf meinte, es gäbe von allem genug in Sichel. Also auch zu Essen, dachte ich. Dass es keinen Nachtisch gibt, hat er nicht gesagt.“

„Weißt du, wo er steckt?“

„Er meinte, er müsse ein paar Sachen besorgen.“