Die Legende der Lemminge - Marcel Schmickerath - E-Book

Die Legende der Lemminge E-Book

Marcel Schmickerath

0,0

Beschreibung

Ein junger Lemming bricht aus seiner Heimat unter der Erde auf. Er bestreitet seinen Weg in Richtung Gipfel, wo hoch oben - umringt von steilen Klippen - das Königreich der Berglemminge liegt. Während seiner Reise durchlebt der Lemming eine Reihe von positiven wie auch negativen Erlebnissen, die ihn bis zur Verzweiflung treiben. Er gerät in den Konflikt zwischen Berglemmingen und Waldlemmingen. Dieses Stück ist mit einem gewissen Abstand zu betrachten, mitunter anspruchsvoll und weniger geeignet für leichte Gemüter. In dieser dramatischen Fantasy verfolgt ein Lemming das Streben nach dem Gipfel.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 208

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Vorwort des Autors
Auf zum Gipfel
Ins Tal
Im Wald
Zuhause
Bis zum Gipfel
Die Klippe
Die verlorene Seite
Nachwort des Autors

Die Legende der Lemminge

Von Marcel Schmickerath

Buchbeschreibung:

Eine Legende voller Lemminge, voller Leidenschaft und voller Klippen. Vorsicht! Diese Legende enthält ziemlich viele und ziemlich hohe Klippen. Nichts für Lemminge mit schwachen Nerven.

Ein junger Lemming bricht aus seiner Heimat unter der Erde auf und bestreitet seinen Weg in Richtung Gipfel, wo hoch oben - umringt von steilen Klippen - das Königreich der Berglemminge liegt. Während seiner Reise durchlebt der Lemming eine Reihe von positiven wie auch negativen Erlebnissen, die ihn bis zur Verzweiflung treiben.

Dieses Stück ist mit einem gewissen Abstand zu betrachten, mitunter anspruchsvoll und weniger geeignet für leichte Gemüter.

In dieser dramatischen Fantasy verfolgt ein Lemming das Streben nach dem Gipfel.

Über den Autor:

Marcel Schmickerath, geboren 1988 in Düren, studierte Mathematik und Informatik an der RWTH Aachen. 2014 erschien sein erster Roman "Die Häldengilde" im Laufe seines Studiums. 2021 erschien sein Roman "Zahlen der Magie", in dem die Welt der Zahlen mit der Fantasywelt - genannt Tunuss - verschmolz.

Obwohl man annehmen könnte, sein Hintergrund sei "trocken" und "theoretisch", erschafft Marcel Schmickerath in seinen Büchern außergewöhnliche Charaktere, die in einer fantasievollen und humorvollen Welt leben. Die Reihe "Die Reisen des Phil", basieren auf Theologie, Mythologie und Dämonologie.

Die Legende der Lemminge

Von Marcel Schmickerath

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

2. Auflage, 2025

© 2023 Alle Rechte vorbehalten.

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

Coverart by Insta: @Schmipsy

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

ISBN: 978-3758437045

Trigger:

Dieses Buch beinhaltet Elemente, die möglicherweise triggern.

Daher befindet sich eine Triggerwarnung auf der letzten Seite.

Achtung: Die Triggerwarnung kann Spoiler enthalten!

In Gedenken an einen Freund, der fehlt.

Vorwort des Autors

Die Legende der Lemminge entstand in einer Zeit, in der ich das Gefühl hatte, nicht der einzige Lemming zu sein, der den Ruf einer Klippe hörte. Die Welt hatte sich gedreht. Vieles hatte sich rasant geändert. Nicht alles ins Positive ....

Das Stück beinhaltet einige Leiden, die Trigger für ganz spezielle Fälle sein können. Wer nicht den nötigen Abstand findet oder sich vor Triggern schützen möchte, der sollte nicht weiterlesen, und/oder sich Hilfe suchen. Es ist kein Grund sich zu schämen. Eine mögliche Hotline ist die Telefonseelsorge 0800 1110111.

Das folgende Buch findet ferner einen Weg trotz aller Eskapaden, die manchmal nicht gemieden werden können und trotz allen Elends, nur die sonnigen Tage zu sehen, und ruft auf, das Leben zu genießen.

Eine wesentliche Inspiration des Stückes ist „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang Goethe, 1774. Ein Meilenstein der Literatur, obschon dieses Werk nicht anstrebt, mit diesem mitzuhalten. Die Intension (auch Intention) ist eine ganz andere. Ebenso die Aussage und die Protagonisten. Dennoch ist hinreichend Abstand zum Stück zu wahren. Es sind Lemminge hier ... Der aufmerksame Leser wird viele weitere Stücke auch anderer historischer Autoren erkennen, die in dieser (unserer) Zeit wie neu erscheinen. Ich entschied mich, das Werk als Tagebuchroman zu schreiben, nicht, weil die Leiden des jungen Werthers in der ähnlichen Form, dem Briefroman, geschrieben wurden, sondern weil wir die Sprache der Lemminge nicht verstehen würden und so einen noch tieferen Einblick erhalten, als nur ein Quietschen und Fiepen zwischen den Zeilen zu lesen. Auch ist das Schreiben eines Tagebuchs einem emsigen Bloggen sehr nahe. Ist das Schreiben eines Blogs etwa häufig ein moderner Tagebucheintrag? Der gewählte Sprachstil ist meiner Ansicht nach ebenso wie die Form der Darstellung einerseits gut geeignet, um die Emotionen des Protagonisten darzustellen, andererseits sorgt sie für einen gewissen Abstand zwischen der fiktiven Figur und der lesenden Person.

Die Legende der Lemminge spielt auf eine amüsante Weise sowohl mit Vorurteilen als auch mit dokumentierten Eigenschaften von Lemmingen und ihren Populationen. So beginnt etwa die Legende in einer der Paarungszeiten in einer Landschaft umzäunt von Klippen. Dazu noch eine Brise dichterische Freiheit.

Lösen wir unsere Sorgen, Ängste, Gedanken und Kummer, und folgen dem Wind, der in einer leichten Brise über die Klippe weht ...

Auf zum Gipfel

15. März

Nie wollte ich ein Tagebuch schreiben. Nie sollte der Welt das bleiben, was mir widerfährt. Die Geschichte meines Lebens sollte allein meine Eigene sein. Fest verankert in meinem Verstand, meiner Seele, meinem Selbst. Einzig ich und die Götter sollten meine Gedanken kennen. Vor allem du, Buddla, Herr der fleißigen Wühler, den mein Vater so zu ehren weiß. Der Maulwurf, der den rechten Pfad fand durch Meditation und Arbeit. Und auch dir Issi, Gemahlin des Roissi, Mutter Sols, der Sonne selbst, die ich so sehr vermisse unter der Erde. Ein Schreiben ist doch bloß ein wertloses Stück Papier, bemalt und beschrieben, das Freud und Leid kaum zu ertragen vermag. Vielleicht zerreiße ich diese Schrift eines Tages. Vielleicht verbrenne ich sie. Doch habe ich mich nun erst einmal entschieden, eben diesen kläglichen Versuch zu wagen. Zu viele Eindrücke wirken auf meinen Geist ein. Schieben sich ins Innere. Sammeln sich. Zuhauf. Es gibt kein Entrinnen. Kein Ventil, das zu öffnen ist. Bevor Sie mich übermannen, gebe ich zumindest den Versuch nicht auf, sie festzuhalten. Es besteht die Möglichkeit, die Dinge besser zu verstehen, wenn ich sie mir selbst zu erklären versuche.

Das Leben unter Tage ist nichts für mich. Das wird es auch nie sein. Wie auch das Leben in der Nacht zum Leben nicht reicht. Ganz gleich wie viele meiner Geschwister die Tage unter dem Schnee genießen. Zu viel passiert in der Welt, als dass man es sich entgehen lassen sollte. Schon eben gar nicht in Dunkelheit und Kälte und dem ewigen Wühlen. Vater verzeihe mir. Der Tag, an dem die ersten Tropfen tauten, bleibt mir unvergessen. Licht brach durch die dicke Decke aus Schnee, traf direkt auf mein Haupt, wärmte mir das Fell. Von dem Tage an wusste ich, den Berg zu besteigen. Bis zum Gipfel werde ich reisen. Der warmen Sonne so nah sein wie nur möglich. Nach Noahrge, Hauptstadt der Lemminge, erbaut hoch oben auf dem Gipfel, dem Königreich der Lemminge zur Ehre. Ich möchte sehen, ob die Stadt wirklich so prächtig ist, wie Großvater sie beschrieb. Ein armer Lemming ist er. Gebrochen, gezeichnet vom Leben selbst. Ich vermisse ihn jetzt schon. Und Mutter? Sie ist zu beschäftigt. Sicher wird sie bald wieder Kinder bekommen. Deshalb musst ich fort. Raus aus dem tristen Licht, fort aus dem matten Dasein und hinein in das Wohl der Berge. Ich möchte sehen, ob das Frühjahr wirklich so schön ist, wie Großvater erzählte. Morgen zieh ich weiter. Heute bin ich genug gelaufen. Die Beine werden schwer. Sie sind das Laufen nicht gewohnt. Dennoch werden sie es lernen. Das müssen sie. Eine kleine Höhle wird für heute Nacht reichen. Wer braucht schon ein warmes Plätzchen, nur um zu ruhen? Nein, so zimperlich will ich nicht sein. So zierlich bin ich nicht. Wohl denn, weite Welt leg dich mit mir zur Ruhe. Heute haben wir sie uns verdient, mit dem ersten Schritt von vielen weiteren, inmitten der wärmenden Sonne. Morgen wird es weitergehen. Dann lacht die Sonne auf ein Neues und alles aus der Nacht, Sorgen wie Träume, scheinen wie vergessen. Die Dunkelheit wie auch die Kälte. Der letzte Schnee taut. Ich spüre es bis in meinen Leib hinein. So will ich auch sein. So soll es sein. Alles aus der Erde hinter mir soll tauen und sich am Frühjahr erfreuen. Mit dem Frühjahr und all den Knospen und Farben, da feiert sich das Leben selbst. Jedes Jahr auf ein Neues. So will ich auch sein. So soll es sein. Ebenso mein Flötenspiel. Treue Flöte meines Großvaters, die ich stets mit mir trage. Gute Nacht auch meinem Ich, dem ich schreibe. Ein komisches Gefühl. Irgendwie in seiner Weise befreiend. Ob ich mich daran gewöhne? Und doch bin ich so aufgeregt. Was wird mich erwarten? Ist der Gipfel so hoch, die Sonne dort so prächtig, wie ich es immer erträumt habe? Morgen, morgen werde ich es sehen. Das weiß ich. Drum schlaf ich nun. Gute Nacht. Gute Nacht, ich. Gute Nacht, Buddla. Und gute Nacht, all ihr Wühler jenseits der Sonne.

16. März

Noch immer stockt mir der Atem. Der Schrecken ist in meinem Leib wie gefroren, verankert. Am ehesten bin ich um mein törichtes Selbst erschrocken. Im Schlaf da hörte ich Laute. Ein Wesen. Schwach und leise. Dennoch kräftig genug in seiner Stimme, mir den Schlaf zu rauben. Es drang aus dem Inneren der Höhle zu mir hervor. Kaum wurde es lauter, sah ich zwei junge Füchse. Ihr Fell rot wie Flammen unter der Erde. Sie waren nicht sehr alt, tapsig und unbeholfen. Planlos riefen sie nach ihrer Mutter. Ich machte kehrt und rannte, so schnell wie ich es nur konnte. Wie lange ich zuvor auch gelegen habe, ich könnte nun im Magen eines Fuchses liegen. Welch schauriger Gedanke. Selbst die kleinen Zähnchen der Jungen reichen, um einem Lemming das Licht der Welt zu rauben. Ich mag gar nicht an die Mutter denken. Wäre sie dort gewesen. In dem Moment, in dieser Nacht ... Es wäre um mich geschehen. So unbedacht, leichtsinnig und tauglos ich war ... Der Kampf und Waffen sind nichts für mich. Die Flöte ist mir ein Schwert. Soll es auch bleiben. Doch welcher Fuchs scheut sich vor der Musik? Es kam nicht so weit, dass ich es wagen musste. Zum Glück. Das Leben jenseits des Fußes des Berges scheint verlockend, doch darin liegt die Gefahr. Ohne Umsicht ist es umso gefährlicher. Ich muss umsichtig sein, ehe meine Reise noch vorschnell ein Ende findet. Ich will den Göttern dankbar sein, dass sie in dieser Nacht über mich wachten. Es sollen noch viele Tage vergehen, wohl am ehesten derer ewig, bis ich vor sie trete.

Das Gefühl absoluter Freiheit ist mit nichts zu vergleichen. Ich lag faul in der Mittagssonne, roch einen einzigartigen Geruch. Ein Duft, der die Tiefe der Lunge beflügelt. Es lässt mich alle Furcht vergessen. Für mich beginnt ein neues Leben. Lelene hätte das nicht verstanden. Niemals. Wie kann sie auch? Auch Mutter nicht. Nein, ich sollte nicht an sie denken. Ich möchte sie nicht wiedersehen. Noch nicht. Womöglich eines Tages, wenn ich ihnen sagen kann, wie unrecht sie in allem hatten. Doch nicht jetzt und eine lange Zeit nicht. Andernfalls hätte ich ebenso bei ihnen bleiben können.

Heute Nacht werde ich umsichtiger sein. Ich habe ein Zelt aus Zweigen und Schnee gebaut. Es tropft an einigen Stellen, weil der Schnee nicht länger zu ruhen gewillt ist. Dennoch wird es reichen. Zumindest wird es halten, für eine Nacht. Für diese Nacht. Nicht mehr lange, dann bin ich auf dem Gipfel, ruhe in einem Bettchen gemacht aus Sonnenstrahlen selbst. So weich und geruhsam, dass jede Nacht den Körper bewahrt wie eine Kinderwiege. Ach, bald ist es so weit. Ich bin so aufgewühlt. Ich spiele noch ein wenig auf meiner Flöte, durchbreche die Stille der Nacht, dann werde ich ihr folgen. Gute Nacht.

17. März

Die tropfende Bleibe brachte keinen erholsamen Schlaf. Ich wurde nass und bald schon wurde es kalt. Natürlich hätte ich unter die Erde kriechen können. Ebenso hätte ich im Schutz der Nacht reisen können. Doch das will ich nicht. Ich will einzig am Tag leben. Nur die hellen Stunden in meinem Leben erleben. Auf der Welt wandeln, nicht darunter. Unsere Zeit ist zu kurz, um nur die Dunkelheit zu sehen. Lelene mag das anders sehen. Ich sehe es so. Und so bleibt es.

Den ganzen Tag zitterte ich, von ganzem Leib. Die Strahlen der Sonne waren an diesem Tag nicht stark genug, um mich zu wärmen. Das ist nicht schlimm, es wird andere geben. Einzig der Anblick der Natur schenkte mir ein wohlig warmes Gefühl in der Brust. Die Wiesen so grün, der Himmel so weit. Mein Blick fiel die Hügel hinab ins Tal. Wäre mein Ziel nicht der Gipfel, so wäre ich nach dort unten gezogen worden. Die strahlende Sonne wärmte in einem Augenblick, bis Wolken und Berg mich ihrer beraubten. Auf dem Gipfel werde ich sie unentwegt sehen, mich allzeit in ihrer Liebe baden. Buddla sei mein Zeuge. Der laue Wind brachte die Kälte zurück, die sich durch mein nasses Fell biss, bis auf die Knochen. Ein wildes ungestümes Tier, welches auf mir herumnagt, mich zu verschlingen sucht, wie die Nacht ebenso die Erde selbst es immer wieder versuchten. Nein, so leicht bin ich nicht zu vernichten.

Meine Nase tropft. Ich fürchte, ich werde krank. Wie es auch sei. Es gibt kein Zurück. Niemals. Nie mehr. Wollen die Knospen zurück in ihren Stamm, wenn sie bereits begonnen haben zu keimen? Wenn sie um der liebenswerten Sonnenstrahlen wissen? Hier und dort lassen sich erste Blüten blicken, mit Farben, die ich noch nie gesehen habe. Gelb, blau und sogar weiß. Auch Rote sah ich. So rot wie das Fell eines Fuchses.

Auf einem Plateau entdeckte ich sie. Sie muss die Mutter der Jungen letzte Nacht gewesen sein. Herrje, schlug mir das Herz. Bis zum Hals hinaus. Panik breitete sich in meinem Leib aus wie ein Blitzschlag, der heiter aus dem Himmel fuhr. Ich wollte davonlaufen. Dann sah ich all das Blut, indem sie gebettet lag. Es war dunkel, nicht frisch. Mehr ranzig, krustig. Sie lag ein paar Tage tot. Sie wird nie wieder einen Lemming fressen. Doch, es tut mir um ihre Jungen leid. Sie sind keine Bestien und dennoch würde eben dies aus ihnen werden. Eines Tages, wenn sie das erste Blut eigenständig lecken werden. Lange sah ich sie an, überlegte, was ich tun könne. Doch es gibt kein Mittel gegen die Natur. Es ist, wie es ist. Und so wird es auch immer sein. Naturgesetze sind die höchsten Gesetze, die ein jeder zu befolgen hat.

Ein Habicht kreiste über mir. Ich kroch dichter in den Schatten eines Felsen. Für eine endlose Zeit überschlugen sich meine Gedanken noch immer auf ihren Leichnam blickend. Noch immer als der Vogel weitergezogen war.

Der Busch vor mir bewegte sich. Ich war nicht allein auf dem Plateau. Es bewegte sich rasch. Lauerte es mir auf? Ein weiteres Tier, das an mir nagen mag? Wie erleichtert ich war, freute sich ein grünes Paar Augen aus dem Gestrüpp, mein Selbst zu sehen. Ein Lemming, dachte ich. Dann sah ich, wie groß er war und stattlich. Ein Waldlemming. Mutter erzählte mir von den Waldlemmingen, wie stark, kräftig und gefährlich sie sind. Durchtrieben nannte sie sie. Nie war es möglich, zwischen den Lemmingen des Bergs und den Waldlemmingen ein Band der Freundschaft zu schmieden. Es war, als wäre eine Harmonie zwischen den Arten alles andere als natürlich. Begegnungen führten zum Kampf. Die Motive mochten vielfältig sein. Die Ergebnisse dem Schrecken gleich. Und doch war es weder Zorn noch List, die ich in dem Paar Augen fand. Sie sahen mich an, blinzelten. Dann winkte ich ihnen aus einer Laune heraus zu. Der Waldlemming schob den Kopf vor. Tapsig, vorsichtig und zaghaft. Er sah sich um, vergewisserte sich, ob ich alleine war. Dann trat er vor. Sein Name ist Wegon. Warum jemand von seiner Statur so viel Angst hat, ist mir ein wahrlich Rätsel. Von seiner Furcht abgesehen, ist er ein sehr netter, zuvorkommender Lemming. Wegon ist aus dem Tal, was bei einem Waldlemming zu erwarten war. Den Winter und auch den letzten Sommer hat er in den Bergen verbracht. Ich fragte ihn, warum er nicht im Tal geblieben sei. Erst jetzt wird mir bewusst, wie altbacken diese Frage war. Dumm noch gleich an erster Stelle. Kein Wunder, dass seine Antwort ausblieb. Er mag seine Gründe haben. Das muss mir als Antwort genügen. Nachdem er bemerkte, dass von mir keine Gefahr drohte, bat er mich, niemanden von seinem Leben in den Bergen zu erzählen, vor allem nicht irgendeinem meiner Art. Dann nahm er mich bei sich auf. Nett ist er und aufmerksam. Sein Fell ein wenig zerzaust, doch wie könnte es auch anders sein, wenn er so zwischen den Welten lebt. Er gab mir ein paar Nüsse und Samen aus seinem Vorrat. Bald müsse er Neue sammeln, sagte er. Er entflammte ein Lagerfeuer, an das ich mich wärmen konnte. Jetzt gerade sitze ich noch vor der letzten Glut, die ihre wohlige Wärme ausstrahlt. Wegon neben mir schläft bereits. Sein Bett aus Moos und Zweigen. Ich bin gespannt, wie es sich im Moos schlafen lässt. Besser als auf Sonnenstrahlen? Ich werde beides erfahren, das weiß ich. So wird es sein. Doch ich bin zu munter, um zu schlafen. Seine Art zu leben strahlt eine Faszination aus, die mich wachhält. Ganz allein, in völligem Einklang mit der Natur. Soll ich bei ihm bleiben? Mein Leben eine Weile mit ihm hier oben verbringen? Mein Ziel ist die Stadt der Lemminge gen Gipfel. Ich bin es nicht gewohnt, allein zu sein. Selbst den Lärm meiner Geschwister beginne ich zu vermissen. Und doch… Ich werde noch eine Weile darüber nachdenken. Danach lege ich mich zur Ruhe. Bis dahin eine gute Nacht. Auch dir Wegon.

18. März

Der Schock sitzt mir so tief in den Knochen, es ist mir kaum möglich, die Feder zu führen. Wie eine Klaue, die sich in mich bohrt, mich nicht entrinnen lässt. Und doch zerfressen mich meine Gedanken innerlich, wenn ich sie nicht bald niederschreibe. Wegon ist fort. Er war am Morgen verschwunden. Wir haben uns gut verstanden, sehr gut. Doch scheinbar nicht so gut, wie ich dachte. Meine Gegenwart bescherte ihm Unbehagen. Ich nehme es ihm nicht übel. Wie könnte ich auch, wo ich nichts tauge. Nur schlafen kann ich, träumen und Flöte spielen. Das habe ich nicht einmal für uns aus Dankbarkeit. War das mein Fehler? Wie engstirnig gedacht von mir ... Dennoch hätte ich ihn gerne bei diesem Entsetzen in meiner Nähe gehabt.

Der Tod ist ein furchtbarer Begleiter auf all unseren Pfaden. Wer weiß es besser als die Götter. Vor allem du, nicht wahr, Roissi? Kaum haben wir ihn vergessen, erinnert er uns an seine Gegenwart, auf so grausame Weise. Nur zu oft so furchtbar, so unaufhaltsam. Ich sehe die Lichter der Stadt vor mir. Der Gipfel ist fast erreicht. Aber… ein Zustand aus Schock, Angst und Verzweiflung verschmort, fest verankert in mir. Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Ganz gleich wie sehr ich es mir wünsche. Nicht einmal, wenn er zugegen gewesen wäre. So nett und lieb, wie er ist, so gern ist er der Einzige unter seinen Gedanken. Er ist wohl ein Freund der Ruhe, wie ich es einer sein will. Am Morgen war er verschwunden. Ohne Abschied, dennoch mit ein wenig Proviant, welches er mir fürsorglich zurückließ. Ich weiß noch seine letzten Worte vor dem Schlafengehen. Alles Glück der Welt wünschte er mir, dass ich die Stadt unbeschadet erreiche und ein zufriedener Teil des Königreichs werde. Doch eben das gerät nun ins Schwanken.

Was ich gesehen, wenn wir es nicht beide, hindert mich daran, auf die verheißenen Lichter geradewegs zu zumarschieren. Ohne Zweifel muss jedes Leben einmal enden. Doch so kann das nicht rechtens sein. Ich war auf der Suche nach einer geeigneten Bleibe für die Nacht. Ein Meer aus Blüten und Schneeglöckchen erregte meine Aufmerksamkeit. Ein paar der Blütenköpfe präsentierten sich stolz an einem Vorsprung, als folgte der Blick den Pfad hinab ins Tal, Wegon wie ein richtiger Vater, der Sturz, er war da. Die Augen mögen trügen. Und doch wurde dieser Pfad gewählt.

Inmitten der Natur entdeckte ich einen Lemming. Er war nicht alt, auch nicht jung. Seine Kleidung war aus Seide. Erhaben mochte er nicht gewesen sein. Ich fragte ihn, ob er mich auf dem Weg zur Stadt begleite? Nie mehr, versicherte er mir. Nie mehr. Nie mehr kehre er dorthin zurück. Ich sollte meine Reise überdenken, riet er mir. Die Stadt sei schnelllebig, rücksichtslos, frisst einem die Seele aus dem Leib, wie kein Raubtier es vermag. Je mehr man hat, je mehr man gibt. Das Loch, das es in die Taschen und den Geist frisst, wird mehr und mehr, bis nichts mehr bleibt, dass es zu leben und zu lieben gilt. Ich verstand es nicht. Es klang wirr für meine Ohren. Wissen die Götter, warum habe ich nicht seine Hand ergriffen? Er sah in die Tiefe, gestand, dass es für ihn nur diese eine letzte Reise gab, nur diesen einen Weg, um all dem Chaos zu entrinnen. Und dann… Dann sprang er. Furchtbar, grausam, abgründig. Ja, abgöttisch. Übelkeit regte sich in mir. Eine Stimme riefe ihn, sagte er, dann war er fort. Ich verstand seine Gründe nicht. Welche Macht mochte es auch gewesen sein? Kein Leben sollte so enden. Es muss immer eine andere Lösung geben. Und doch war er fort. Was immer ihm in der Stadt widerfahren, ich will es nicht erleben, nicht noch einmal ein solches paar Augen sehen. Nicht einmal die Alten.

Es ist dunkel. Das Licht der Kerzen wird schwach. Das Schreiben fällt mir allmählich schwer. Erst wollte ich es nicht mehr, jetzt will ich es so sehr, dass ich mich kaum davon lösen kann. Und doch muss ich es, ganz gleich, wie ich mich an die Feder klammern mag. Den Schlaf werde ich wohl auch in dieser Nacht wieder vergebens suchen müssen. Wegon, wo du auch bist, du fehlst mir. Selbst Lelene würde ich in diesem Moment gern in den Arm schließen. In diesen schweren Stunden.

Eine Frage plagt meinen Kopf so sehr, dass sie, sofern sie nicht zu einer solchen Größe angeschwollen, eigenständig in einer zähen Masse aus meinen Ohren zu quellen versucht. Ist der Gipfel nicht das Ziel? Ist daran zu glauben, ein Fehler meines Selbst? Sollte ich umkehren? Zu Mutter, zu Vater, zu Lelene? Ich muss denken. Nein, schlafen muss ich. Das muss jeder. So ist es. Gute Nacht.

19. März

Wie schön das Leben ist. Im einen Augenblick da denk ich, wie hübsch doch diese Blume ist. Gleich danach sehe ich kristallklares Wasser vor meinen Augen plätschern. Und, oh welch Pracht. Wie ansehnlich und erhaben eine junge Dame sein kann, die einen Krug mit Wasser führt. Sie roch nach den feinsten Rosen gepaart mit etwas, das ich noch nie zuvor wahrgenommen habe. Ein einzigartiger Duft, der meine Nase nicht mehr ruhen lässt. Ihr Fell leuchtete goldbraun in der Sonne. Ich trank etwas kühles Wasser aus einem Teich, wie erfrischend und belebend, da durften meine Augen ihr Antlitz erblicken. Es war kaum möglich, sich an ihr sattzusehen. Eine Lüge an mich selbst, zu behaupten, nicht wieder einen Lemming sehen zu wollen. Erschöpft legte sie den Krug ab, hockte sich auf einen Stein und ließ die Beine baumeln. Allein dieses Bild soll sich ewig auf meine Netzhaut prägen. Nie möchte ich es vergessen. Wie kann eine Lemmingdame im Licht der Sonne nur so unbeschreiblich schön sein, dass mir die Worte nicht reichen. Sie schrak zusammen, als ich mich ihr näherte. Hat mich die Zeit in der freien Natur verkommen lassen oder hatte sie schlichtweg Angst vor einer Begegnung des männlichen Geschlechts, so allein und so weit abseits der Stadt? Ein paarmal zog ich Luft, um einen miserablen Duft meiner selbst ausschließen zu können. So schämte ich mich in diesem Moment. Was es auch war, es legte sich, so wie wir ins Gespräch gerieten. Unmengen von Bergen aus Kleidung, die sie hier für ihren Herrn zu waschen hatte. Teure, seidene Kleider, wie ich sie nie an mein Fell lassen werde. Weniger aus freiem Willen, mehr aus Kostengründen. Nur wenige Lemminge können sich derart noble Kleidung leisten. Jeder Fleck musste weg und jede Naht gestopft sein. Er sei streng, doch er zahle gut. So gut, dass sie damit ein Leben in der Stadt führen könne. Das Wort Leben betonte sie eigenwillig, so als drückte sich die Ironie der Wortwahl direkt in mein Gesicht. Eine Ironie, die ich nicht verstand. Das sollte sie jedoch nicht wissen. Sie sprach es, als lande ein Keim aus Natur und gesellschaftliches Miteinander direkt in meinem Gesicht. Ein Keim, der aufblühen wollte. Mit dem Ellbogen wischte ich es aus eben jenem heraus, um sie weiterhin Ansehen zu können. Neugierde wuchs aus ihr empor. Sie fragte nach dem Ziel meiner Reise. Zunächst zögerte ich, wollte von dem Lemming berichten, dessen letzte Worte mich noch immer verfolgten. Schließlich hielt ich es für solch ansehnliche Ohren nicht bestimmt. Die Stadt, sagte ich. In diesem Moment war ich mir keiner Lüge bewusst. Ihr Lächeln wärmte mir das Herz, das noch kurz zuvor zu Eis gefroren war. Ein Bad und etwas Fellpflege legte sie mir nahe. Es klang in keiner Form gemein noch abtrünnig, vielmehr amüsiert. Spielerisch rümpfte sie die zierliche Nase. Das Lachen hielt so lang, dass ich es selbst tun musste. Bis schließlich weitere Frauen an das Gewässer traten und unsere Unterhaltung unterbrachen. Sie mahnten sie, ihnen zu folgen. Der Herr möge niemanden leiden, der nichts täte. Was wäre gewesen, wenn sie sie mir nicht entrissen hätten? Doch sie taten genau dies.