Brüder und Schwerter - Marcel Schmickerath - E-Book

Brüder und Schwerter E-Book

Marcel Schmickerath

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Beschreibung

Die junge Königin Mia muss sich als neue Herrscherin über Sacre den Schwierigkeiten des Wiederaufbaus der Stadt, die einst Weya, Göttin des Licht und des Weizens geweiht worden war, stellen. Keine leichte Aufgabe, denn sie kann als einfaches Mädchen aus dem Walde Rockwutt weder auf Erfahrung zurückgreifen noch auf eine gut gefüllte Schatzkammer. Auch die Verbrechensquote steigt in Sacre ins Unermessliche. Während ihr Freund Tak die Bruderschaft der Mönche vorantreibt, schmieden die auferstandenen Toten Pläne, um ihren Hass auf Tak und alles Neue freien Lauf zu lassen. Sie gründen "dBoBdmK", die Bündelschaft ohne Brüder dafür mit Körnern und trachten dem jungen Mönch nach seinem Leben. Sacre steht in dieser humoristischen Fantasy kurz vor dem Zerfall.

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Prolog
Trümmerhaufen im Morgenrot
Ganoven in der Mittagssonne
Stoßgebet zur Abenddämmerung
Krieg im Mondschein
Epilog

Brüder und Schwerter

Von Marcel Schmickerath

Buchbeschreibung:

Eine Gesellschaft droht sich zu spalten.

Die junge Königin Mia muss sich als neue Herrscherin über Sacre den Schwierigkeiten des Wiederaufbaus der Stadt, die einst Weya, Göttin des Licht und des Weizens geweiht worden war, stellen. Keine leichte Aufgabe, denn sie kann als einfaches Mädchen aus dem Walde Rockwutt weder auf Erfahrung zurückgreifen noch auf eine gut gefüllte Schatzkammer.

Auch die Verbrechensquote steigt ins Unermessliche.

Während ihr Freund Tak die Bruderschaft der Mönche vorantreibt, schmieden die auferstandenen Toten Pläne, um ihren Hass auf Tak und alles Neue freien Lauf zu lassen. Sie gründen "dBoBdmK", die Bündelschaft ohne Brüder dafür mit Körnern und trachten dem jungen Mönch nach seinem Leben.

Über den Autor:

Marcel Schmickerath, geboren 1988 in Düren, studierte Mathematik und Informatik an der RWTH Aachen. 2014 erschien sein erster Roman "Die Häldengilde" im Laufe seines Studiums. 2021 erschien sein Roman "Zahlen der Magie", in dem die Welt der Zahlen mit der Fantasywelt - genannt Tunuss - verschmolz.

Obwohl man annehmen könnte, sein Hintergrund sei "trocken" und "theoretisch", erschafft Marcel Schmickerath in seinen Büchern außergewöhnliche Charaktere, die in einer fantasievollen und humorvollen Welt leben. Die Reihe "Die Reisen des Phil", basieren auf Theologie, Mythologie und Dämonologie.

Brüder und Schwerter

Von Marcel Schmickerath

Marcel Schmickerath

Im Jadfeld 17

52353 Düren

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

6. Auflage, 2022

© 2021 Alle Rechte vorbehalten.

Marcel Schmickerath

Im Jadfeld 17

52353 Düren

Coverart by Insta: @Schmipsy

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

ISBN: 9783753177144

Prolog

Das All ist wie die See, wild und ungestüm. Manchmal sanft und gemächlich.

Wind und Regen lassen die Oberfläche erbeben. Lassen sie Wellen schlagen. Macht aus der scheinbar harmlosen See eine gewaltige Naturgewalt, der nichts und niemand widersteht.

Während die Oberfläche erbebt und ahnungslose Schiffe in die Tiefe reißt, bleibt die Tiefsee unberührt. Doch auch hier trügt der Schein. Auch in der Tiefe lauern Gefahren, die man nicht auf den ersten Blick sieht.

Was man von seinem Kutter nicht zu sehen vermag, lungert dort unten in der Dunkelheit, wartet geduldig darauf, dass jemand dorthin hinabsteigt. Überall gibt es Löcher und Höhlen, in denen sich Leben versteckt, das auf anderes Leben lauert. Überall gibt es Versteckmöglichkeiten für abstruse Ungeheuer.

Neben Grotten und kargen Landschaften gibt es ebenso Oasen des Lebens. Bunte Riffe, voller idyllischem Miteinander.

Es sind Schätze der Natur. Wenn wir sie nicht alle sehen, so gibt es sie dennoch. Vielleicht sind sie gerade deswegen in völliger Harmonie. Wie man es sehen mag, sie verdienen es, vor den Ungeheuern der Tiefe bewahrt zu werden.

Inmitten der finsteren Tiefe dieses Sees, in dem die Riffe aus Planeten bestehen, erleuchtet von den warmen Quellen einzelner Sterne, gibt es eine Luftblase, in der sich etwas regt. In einer Luftblase, tief unten im See des Otymp, wohnen die Götter. Von dort aus bewachen sie die See und ihre Riffe. Von dort, wo die Götter wohnen, kann man ein jedes dieser Riffe sehen. Hier hört man das Rauschen des Meeres am deutlichsten.

Ein solches Riff hatte die Form eines Torus und genoss die seichte Strömung, die es umschloss.

Einfach Tunuss, der große blaue Donut, zog sanft seine Bahn um Sol, die Sonne seines Sonnensystems. Begleitet wurde er von seinem Mond, Luna, welcher ihn in Form einer Acht treu umkreiste.

Weya, Göttin des Weizens, blickte über die Schulter auf den Torus herab. Es war ein Jahr her, als sie den See Otymp, Heimatstädte der Götter, verlassen hatte, um auf dem kleinen blauen Planeten für Ordnung zu sorgen.

Sie drehte einen Weizenhalm in ihrer Hand. Ein Jahr. Was war schon ein Jahr für eine Göttin? Ein Jahr war für eine Göttin nicht mehr, als ein amüsanter Lidschlag. Für den Weizen jedoch, war ein Jahr mehr, als sein Leben lang war. Er wurde gesät, spross aus dem Boden und genoss ein oder zwei warme Sonnenstrahlen. Dann wurde er geerntet und verarbeitet. Es war ihr Geschenk für die Bewohner von Tunuss.

Und was war ein Jahr für die, die sie mit ihrem Weizen segnete? Bedeutete für sie ein Jahr genauso wenig wie ihr? Oder ebenso viel wie ihrem Weizen? Vielleicht sogar mehr? Reichte ihnen ein Jahr, um aus ihren Fehlern zu lernen, ihre Gesellschaft neu zu ordnen? Hatten sie einen Weg gefunden, Vergangenheit und Gegenwart im Glanz einer glorreichen Zukunft zu vereinen? Hatten die Einwohner von Sacre ihren Glauben an ihre Göttin, der Göttin, der sie einst ihre Stadt weihten, zurückerlangt? Hatten sich die von ihrem Sohn, dem Fürst der Finsternis, verfluchten Seelen einfinden können? Hatte die ewige Finsternis oder gar ihr Wandeln auf Tunuss einen wesentlich größeren Schaden hinterlassen, als sie es je in Erwägung gezogen hatte?

Sie drehte sich um und richtete ihr Augenmerk auf ihr Spiel. Das Spiel der Götter. Das Spielfeld sah wie das Bild jenseits der Götterblase im See Otymp aus. Nur nahm Tunuss wesentlich mehr Platz darauf ein. Kleine Figuren standen der Oberfläche. In allen vier Himmelsrichtungen war eine Stadt mit dem Namen Sacre abgebildet.

Die Götter spielten. Sie spielten ihr Lieblingsspiel.

Die Würfel fielen.

„So ein Mist, ausgerechnet eine Elf“, sprach Aio, Gott des technischen Fortschritts.

Ein Entenkopf in einer Tunika schnatterte schadenfroh. Nack. Nack. Nack.

„Du brauchst nicht zu lachen, Dyck.“

Dyck war der Gott derer, die gerne einen Entenkopf hätten. Er sah aus wie ein stattlicher Mann mit kräftigen Muskeln, nur eben mit dem Kopf eines Erpels.

Nack. Nack. Nack.

„Er hat recht, dein kleiner freier Händler landet in Sacre“, sprach Weya. „Du weißt, was das für dich bedeutet. Mir gehört die Stadt seit rund etlichen Jahrhunderten.“

Nack. Nack.

„Dies kostet dich weitere einhundert deiner Gläubigen.“

„Wie soll das vonstattengehen? Ich nenne keine hundert Gläubigen mehr mein Eigen.“

Oink, Herr über die Schweine und deren Priester, wirkte auf den ersten Blick wie ein schlichter Hirte. Doch er hatte es in sich. „Du hattest noch nie einen richtigen Anhänger, Aio. Du bist zu bescheiden, um ein Gott zu sein. Die Sterblichen sind viel zu sehr mit dem Fortschritt selbst beschäftigt, als dass sie dich für jenen preisen. Solange niemand zu dir aufschaut, bist du für mich kein wahrer Gott des Otymp.“

„Wie kannst du so etwas behaupten? Es geziemt sich nicht. Mir gehörte einst das große Fürstentum Bana. Mit all den erfindungsreichen Elfen und Menschen. Mein Reich und meine Sterblichen waren das Mächtigste, das je auf Tunuss wandelte.“

„Doch du hast es verloren. Und deine letzten Anhänger - wobei ich sie nicht einmal so nennen mag - sitzen im Wald von Rockwutt und beten einen harmlosen Pflaumenbaum an. Sieh dir die Schweine an. Wie oft am Tag rufen sie meinen Namen? Selbst Barbaren ehren ihre Gottheiten und verspotten sie nicht. Du solltest dieses Spiel aufgeben, Aio. Du hast bereits zu viel verloren.“

„Oink! Tadel ihn nicht!“ Die Göttin des Weizens suchte einen Weg die anbahnende Diskussion zu umgehen. Eine Auseinandersetzung zwischen Göttern konnte für einen jeden schwerwiegende Folgen mit sich ziehen. Der dreiunddreißigeindritteljährige Krieg, vor über dreihundert Jahren, war da nur ein Puppenspiel.

Nack. Nack?

„Es erfüllt mich mit Trauer, Dyck, dass auch du deine Tempel in Sacre verlierst. Aber so sind nun einmal die Spielregeln. Es ist meine Stadt.“

Nack?

„Ich werde darüber nachdenken. Es ist möglich, dass ich dir deine große Quietscheente gestatte. Wenn es den Frieden unter uns Göttern bewahrt, so soll es so sein. Dann sollst auch du, Aio, da ich für meine Milde unter den Sterblichen bekannt bin, dieses eine Mal Aussetzen.“

„Das ist gegen die Regeln! Die Hexen des Tartaros sollen dich richten, Weya!“

„Es ist amüsant, gerade von dir solche Worte zu vernehmen, Oink. Wo du doch nie Wert auf Regeln legst. Ich erinnere dich nur zu gerne an die Asse in deinem Ärmel während unseres Kartenspiels. Doch auch dir bleiben ein paar der Hirten und all die Schweineställe in deinem Namen erhalten.“

Die letzten Worte eröffneten eine offene Debatte unter den Gottheiten. Jeder forderte, einen Teil seiner Macht in dem kleinen Reich aufrecht zu erhalten. Jeder von ihnen hatte über die Jahrhunderte hinweg mindestens einen Tempel dort erbauen können. Niemand wollte nun auf eben diesen verzichten.

So auch Pfosten, Herr der Vorschlaghammer. „Die Schmieden sind mein!“ Der graubärtige Gott schlug mit einem immensen Hammer auf den Boden. Die Götterblase erbebte unter der Wucht des Hammers. Blitze zuckten hervor. Der Boden riss in Zwei und mit ihm ein paar der Säulen.

„Also gut“, sprach die Göttin. „Ein jeder darf einen Teil seiner Gläubigen bewahren. Doch wisset, dieses Reich ist das Meinige. Nicht das Eure.“

Dyck stimmte ihr bei. Es gab noch weitere Reiche auf Tunuss. Und einige waren wesentlich vielversprechender für einen Erpel, der kurz vor der Mauser stand. Er dachte an den Schnattersee, was für eine traumhafte Landschaft und dieses beruhigende Blau. Er sollte dort noch einmal schwimmen gehen, am besten wartete er, bis Issi dort einkehrte. Eine wunderschöne Gottheit, die jedoch eine dunkle Seite hatte. Vor allem dann, wenn sie den Erpel beim Baden erwischte. Leider spielte Issi nicht gerne mit ihnen, sie spielte lieber ihr eigenes Spiel.

„Aber“, räumte Weya ein, „die Tempel, die durch die Ereignisse im letzten Jahr so arg beschädigt wurden, dass sie einzustürzen drohen, werden abgerissen, um keine Sterblichen zu gefährden.“ Als niemand ihren Worten widersprach, nahm sie die Würfel zur Hand und ließ sie über das Spielfeld rollen. Als sie gefallen waren, brach ein lautes Stöhnen unter den Göttern aus.

„Eine Sieben?“, wunderte sich Aio. „Du kannst doch nicht schon wieder in Sacre landen. Willst du dort etwa noch mehr Tempel errichten lassen? Du könntest ruhig mal auf Drako landen…“

Sie setzte die Kapuze auf ihr blondes Haar. „Oink, bitte halte während meiner Abwesenheit meinen Sohn Rüdiger im Auge.“ Sie wandte sich ab und blickte erneut auf den Planeten jenseits der Götter blase herab.

Ein Jahr. Was hatte sich in einem Jahr dort unten geändert? Konnte sie es wagen, einmal nach dem Rechten zu sehen?

Weya löste sich in Licht auf. Ein Schwarm goldig glänzender Käfer machte sich auf in Richtung Tunuss. Die Neugierde trieb den funkelnden Schwarm an.

Ein zurückhaltendes Kichern war zu hören, als sie an den kleinen Mönch mit dem beinahe kahlen Kopf dachte.

Trümmerhaufen im Morgenrot

Ein lauer Wind streifte über die Felder von Sacre. Goldener Weizen, Weizen für den das Reich berühmt war, neigte sich sachte hin und her.

Weit und breit ausschließlich Weizen. Weizen umschloss das Königreich wie ein schützender gelber Mantel, der vor etwas schützte, das gar nicht existierte oder es bedrohte. Wie ein Regenmantel, der vor Regen schützt, ohne dass Regen eine Gefahr darstellt.

Hitze staute sich auf dem Pfad zwischen den Halmen. Die Luft flackerte. Verzerrte den ein oder anderen Bauernhof am Horizont.

Für einen Außenstehenden schien es, als bestände das Königreich nur aus Weizenfeldern, doch das stimmte nicht. Es gab eine Stadt im Königreich von Sacre. Die größte Stadt von ganz Sacre. Und weil es die einzige Stadt im ganzen Land war, war sie zur Hauptstadt ernannt worden.

Sacre - die Stadt der Göttin.

Somit war Sacre Königreich und Stadt zugleich. Derzeit jedoch, war es weder das Eine noch das Andere. Denn die Hauptstadt befand sich in einer mehr als bloß angeschlagenen Verfassung. Besser gesagt: in einer Trümmerphase.

Es geschah vor einem Jahr, im Jahr des schielenden Drachen, als der Fürst der Finsternis, Halbgott und riesige umher wandelnde Rüstung zugleich, die Stadt seiner Mutter, der Göttin Weya - Göttin des Weizens-, heimgesucht hatte. Sein inbrünstiger Zorn auf alles, was im Namen seiner Mutter lebte und wandelte, und das sehnliche Verlangen nach Rache an jenen, die ihn einst in seiner letzten Schlacht zum Ende des dreiunddreißigeindritteljährigen Krieges, der in Wirklichkeit genau genommen dreiunddreißig Jahre, vier Monate, zehn Tage, acht Stunden, zwanzig Minuten, zwanzig Sekunden und dreihundertdreiunddreißig und eindrittel tausendstel Sekunden gedauert hatte und mit dem Ausruf des damaligen Herrschers über das Königreich Dego mit den Worten: „Es reicht, das Töten macht keinen Spaß mehr!“ endete, hintergangen hatten, war Sacre zum Verhängnis gefallen. Etliche der Gebäude, darunter vor allem Tempel, deren Gottheiten nicht einmal im See des Otymp bekannt waren, fielen ihm zum Opfer.

Im letzten Augenblick, gerade als sich sein Zorn gegen den Tempel der Göttin Weya selbst wandte, gelang es ihr, diesen und vor allem ihre einst so innig geliebten Bürger von Sacre vor einem gänzlichen Ende zu bewahren. Sie wies ihren Sohn zurecht und nahm ihn mit sich in die Heimatstädte der Götter. Dort sollte er die nächsten hundert Jahre in seinem Zimmer über sein Handeln nachdenken. Sie war es auch, die die von dem Fürsten verbrannten und unfruchtbar gewordenen Ackerflächen des Reiches, wieder mit ihrem goldigen Weizen segnete. So, wie sie es einst getan hatte, als ein jeder Einwohner Sacres ihr allein seine ewige Treue geschworen hatte. Doch sie rang ihren Kindern ein Versprechen ab. Die Stadt Sacre sollte wieder zu einer angesehenen Stadt werden, in der die Sterblichen gerne und sicher lebten.

Da die Stadt zu einem einzigen Haufen aus Trümmern geworden war, sah sich die neue Herrscherin über Sacre genötigt, schwere Geschütze aufzufahren. Sie hatte aus einer der angesehensten Städte auf Tunuss, nämlich aus Drako, Hauptstadt des Königreiches Dego, Hilfe zukommen lassen. Nennen wir es Hilfe, denn der Begriff Fachpersonal oder gar Spezialist wäre in diesem Falle nicht allzu angemessen gewesen.

Pete war einer dieser Gehilfen. Er studierte die Zahlen der Magie an der großen Universität von Drako. Er und einige seiner Kommilitonen waren dabei ein weiteres Bauwerk abzureißen. „Sind die Rüben alle dort, wo sie sein sollten?“

„Ja, Pete“, bestätigte sein engster Freund Dürr, der seinem Namen alle Ehre machte.

„Exakt dort, wo sie nach unseren Berechnungen sein sollten?“

„Ja, Pete.“

„Bist du dir wirklich sicher, dass ALLE exakt dort platziert wurden, wo ich es dir gesagt habe?“ Manchmal war es bei Dürr besser, noch einmal nachzufragen, um sich zu vergewissern. Auch das Nachfragen der Nachfrage, sollte in Erwägung gezogen werden. Denn Dürr gehörte zu der Sorte Studenten, die sogar selbst glaubten, für ihre Prüfung ausreichend gelernt zu haben, um dann doch durch die Wiederholung der Wiederholungsprüfung durchzurasseln, nur um dann durch Einsatz aller Tränendrüsen den Dozenten vom Gegenteil zu überzeugen.

„Ja, Pete.“

„Gut.“

„Allerdings…“ Dürr senkte verlegen seinen Blick. „Naja…“, versuchte er einen neuen Anlauf. „Also ich meine… Nein, wir meinen… Also eigentlich meinen nur die Anderen… Die Anderen meinen, dass wir alles genau so gemacht haben, wie du es uns gesagt hast. Was ich… ich meine… was wir… ähm… Was sie allerdings nicht wissen ist, ob deine Berechnungen auch immer so sind, wie sie sein sollten.“

„Was soll das denn heißen?“

„Die letzte Sprengung, mein ich… ähm… wir… sie. Meinen sie.“

„Was soll damit sein?“

„Naja… Also wir hatten die Sprengrüben genau dort platziert, wo du es uns gesagt hattest. Aber es ging in gewisser Weise schief…“

„Du meinst den Tempel der Fruchtbarkeitsgöttin Dieva?“

„Ja genau. Der mit all den Störchen darin.“

„Nur, weil alle Gebäude um den Tempel herum eingestürzt sind und der Tempel selbst noch immer ohne einen Riss in den Himmel ragt, soll ich daran schuld sein?“

„Ja genau. Es klingt ein wenig nach einem… Vorzeichenfehler, meinst du nicht auch?“

„Möglich“, gab Pete von sich. „Aber dieses Mal habe ich alles mehrfach durchgerechnet. Immer wieder kam ich auf die gleichen Koordinaten. Es sollte keine Schwierigkeiten geben.“

„Ähm… gut… Es geht auch weniger um Schwierigkeiten, eher um Überraschungen…“

„Also sind wir so weit?“, fragte Pete.

„Ich denke schon… Die Rüben sind angebracht und die Priester evakuiert.“

„Sehr schön.“

„Vorsichtshalber haben wir auch alle anderen Gebäude in den angrenzenden beiden Straßen evakuieren lassen.“

„Findest du das nicht ein wenig übertrieben?“

„Naja. Eigentlich wollte ich… ähm, wollten wir… sie. Eigentlich wollten sie, zuerst die ganze Stadt evakuieren. Aber das fand dann Knoppe… ähm… ich, für völlig übertrieben.“

„Na schön. Fangen wir an.“ Pete hob die Hände an den Mund und rief einem Studenten ein paar Steinbrocken weiter vor ihnen zu: „Knoppe! Wir können zünden!“

Der angesprochene Knoppe nickte. Er krempelte die Ärmel seines blauen Gewandes nach oben und begann mit kreisenden Armen vor sich her zu brabbeln. Man konnte es für Zählen halten. Doch Knoppe zählte nicht. Er zauberte.

Die ausgesprochene Zauberformel zündete die Sprengrüben. Erst zischten nur ihre Zünder, dann knallte, knatterte und klirrte es aus allen Ecken.

Eine Rübe nach der Anderen detonierte, wirbelte Unmengen an Staub auf. Alle starrten und gafften, als die Sicht auf das Gebäude wieder klarer wurde.

Der Tempel des Gottes Dyck, Gott derer, die gerne einen Entenkopf hätten, stand noch immer an seinem Platz. Gerade so, als wäre nichts geschehen.

„Ähm, Pete?“, fragte Dürr.

„Was?!“ Der Student und Beauftragte des Sprengkommandos wirkte angespannt.

„Ähm… ist das normal? Also, ich meine… Sollte er so stehenbleiben?“

„Nein. Eigentlich nicht.“

„Also wieder ein kleiner Vorzeichenfehler?“

„Nein. Die anderen Gebäude stehen doch noch alle.“

„Ein doppelter Vorzeichenfehler? Sowas fällt nicht einmal den Besten auf.“

„Dürr! Ich weiß, was ich tue.“

„Ähm, okay… “

Plötzlich knarrte es. Der Tempel setzte sich in Bewegung. Er wankte zur Seite und stürzte gegen das Mauerwerk neben ihm. Dann ging alles ganz schnell. Haus an Haus stürzte der Reihe nach in sich zusammen, wie eine lange Kette aus Dominosteinen. Überall krachte und rumpelte es, bis schließlich die gesamte Straße in Trümmern lag. Am Kopf blieb ein Haus stehen, das aussah wie eine gewaltige Quietscheente. Gelbe Käfer flogen um sie herum.

„Ähm… Pete?“

„Nein, das war keine Absicht.“ Kam er seinem Freund zuvor.

„Okay.“

„Ich denke, ich habe lediglich eine Unbekannte bei den Berechnungen übersehen. Mehr nicht.“

„Oh, okay… Weißt du schon welche?“

„Nein. Dann wäre sie doch nicht unbekannt, oder?“

Wenige Häuser weiter, rumpelte ein Karren voller Wissen über das unebene Pflaster von Sacre. Es war sehr altes Wissen. Weises Wissen. Wissen, welches vor hunderten von Jahren gelebt hatte. Es hatte sich durch Menschen und Elfen im Fürstentum Bana manifestiert und unerreichte Erfolge verzeichnen können.

In dem ehemaligen Reich, Bana, schufen die beiden Rassen - in völliger Harmonie - die größten und sagenhaftesten Erfindungen, die je das Licht von Tunuss erblickt hatten. Sie entwickelten die mächtigsten Kriegswaffen, die Aigolems, welche ungeschlagen und unüberwindbar als Kriegswaffen eingesetzt wurden. Sie schufen nicht nur Waffen, sie schufen auch die Bürokratie, die Herrschaft des Zimmers. Man sagt, viele ihrer Entdeckungen und Werke übertrafen ein jegliches Vorstellungsvermögen. Manche waren so meisterhaft, dass ganz Tunuss auf ewig dem Verlust dieses glorreichen Wissens nachtrauern würde, wenn es denn wüsste, was ihm entgangen war. Anderes Wissen hingegen hätte nie entdeckt werden sollen, doch da sind die Meinungen durch aus verschieden…

All das ruhmreiche Wissen der Bananer (Der Name Bananer klingt fruchtig, aber die Einwohner Banas waren weder gelb noch hingen sie untätig auf Bäumen herum.) war in der großen Bibliothek von Bana zusammengetragen worden. Doch als das Reich zerfiel und das Gesetz der größten gemeinsamen Bibliothek eintrat, brannte in nur einer Nacht all ihr sorgsam zusammengetragenes Wissen nieder und war für immer verloren. Das Gesetz der größten gemeinsamen Bibliothek, kurz ggB, besagt: Wann immer zwei exakt gleich große Bibliotheken in zwei unterschiedlichen Paralleluniversen existieren, die einzig und allein das gesamte Wissen eines Planeten enthielten, brennen früher oder später beide nieder.

Alles Wissen von und um Bana war also verloren? Nein, nicht alles. Ein paar der kostbaren Bücher konnten von einem fleißigen und furchtlosen Bibliothekar vor ihrem Ende in den Flammen bewahrt werden. Dieser strebsame Mann - eigentlich ein Kobold, der Wert auf seine Abstammung legte und daher nicht gerne als Goblin bezeichnet wurde, ein Kobold, der sich an Objekte klammerte - nannte sich Lork. Jahrhunderte lang führte Lork seine Bibliothek in den Ruinen von Bana nach ihrer Zerstörung weiter. Ewig wartete er auf einen neuen Kunden. Doch als hundert Jahre später niemand die Gedenkstätte des Wissens betreten hatte, zog der einfallsreiche Kobold es vor, seinen Beruf zu wechseln.

Über mehrere Jahre hinweg wandelte er sich von einem durchschnittlichen Herrn der Bücher zu einem profitgierigen Händler. Einem freien Händler. So versprach er sich mehr Kundschaft. Denn frei klang immer gut. Ein freier Händler zu sein, bedeutete in seinem Fall mehr als nur ein klangschöner Name. Es gab keine Gesetze auf Erden, die für den kleinen Kobold galten. Nicht bloß, weil es niemanden mehr gab, der in Bana Gesetze erlassen konnte, sondern vor allem, weil nicht einmal das Leben selbst ihn aufhalten konnte.

Nichts war umsonst, wie er immer zu sagen pflegte. Auch nicht die Rettung literarischer Werke vor den Flammen. Der Tribut, den er dafür gezahlt hatte, war nichts Geringes als sein Leben. Der eiserne Wille und die unentwegte Hoffnung auf neue Kundschaft hielten den untoten Kobold im Reich der Lebenden. Und genau das, machte den freien Händler zu einem wirklich freien Händler. Allerdings brachten sein Strategiewechsel und die Vielzahl an Werbeslogan in der Hauptstadt Ai - abgesehen von ein paar jungen Helden, die in den letzten dreihundert bis vierhundert Jahren in seinem Laden nichts Geringes suchten, als ein Mittel die Welt zu retten - nicht einen einzigen ehrlichen Kunden ein.

Lork sah sich erneut gezwungen, sich der neuen Situation auf dem Markt anzupassen. So beschloss der freie Händler, zu einem noch freieren Händler zu werden und seine Waren hinaus in die Weiten von Tunuss zu tragen.

Sein erster Reisepunkt bildete das Königreich Sacre. Gerüchten zu folge, war es in jüngster Vergangenheit ein wenig angeschlagen worden. Und nichts klang für einen freien Händler vielversprechender als die gesetzeslose Anarchie in einem Haufen aus Trümmern.

Er zog einen Bollerwagen vollgepackt mit Büchern und Heilkräutern. Die Bücher waren die letzten Verbliebenen aus seiner ehemaligen Bibliothek. Die Kräuter hatte er unterwegs vom Straßenrand gepflügt. Die Meisten von ihnen besaßen Namen, das wusste er, jedoch erkannte er nur eines unter ihnen. Es trug den Namen Hautpsachegewinnbringend.

Die vielen Risse in der Straße erschwerten seine Reise. Immer wieder blieb eines der Räder in den Fugen des Pflasters stecken. Selbst der sandige Boden aus Bana wäre ihm lieber gewesen.

So etwas wie ein Stadttor gab es in Sacre nicht. Auch keine Stadtmauer, wie man es von anderen Städten kannte. Die einzigen Tore und Türme befanden sich an der Schlossmauer. Zumindest an den Teilen, die von ihr noch standen und nicht verfallen oder abgerissen worden war. Dies ging auf einen der frühen Herrscher von Sacre zurück. Er hatte sein Schloss ausbauen lassen, bis es die gesamte Fläche jenseits der Stadtmauer ausfüllte und ließ den Rest der Stadt als eigentliche Stadtmauer nach außen auslagern. Somit bildete die Stadt selbst die Stadtmauer für die Schlossmauer des Schlosses. Klingt ein wenig makaber, aber über hunderte von Jahren hinweg hatte dieses Modell seinen Schutz bewährt. Anstelle der sonst notwendigen Stadttore, die Eindringlinge von Sacre fernhielten und Zoll für die einführende Ware erhoben, patrouillierten Angehörige der Stadtwache zwischen den Reihen der Bürger und übernahmen die Rolle der überflüssigen Torhüter.

Einer dieser torlosen Torhüter marschierte geradewegs auf den Kobold zu. Lork hob seine Hand vor die Augen, so sehr blendete ihn seine fein säuberlich polierte Uniform.

„Halt! Im Namen der Königin“, herrschte der Torhüter des Gesetzes. Der Karren hielt augenblicklich inne.

„Gibt´s ein Problem, der Herr?“ Lorks Stimme klang rau wie die Stimme eines tüchtigen Geschäftsmannes. „War ich zu schnell unterwegs? Oder ist es wegen des Lochs dort hinten im Boden? Ich versichere, das war schon vor mir da.“

„Ich muss ihren Wagen durchsuchen, Sir. Ein Befehl der Königin.“ Der junge Gefreite zog Stift und Papier hervor. „Führen sie irgendwelche Waren bei sich, Sir?“

„Wäre das ein Verbrechen?“

„Wenn sie kein eingetragener Handlungsreisender oder Marktschreier sind, dann ja.“

„Oh, wenn das so ist… Kann man sich in die Liste einschreiben lassen?“

„Derzeit leider nicht, Sir. Die Gesetzeslage ist im Moment sehr strikt. Es gibt zu viele Verbrechen in dieser Stadt. Einbrüche, Mord-und-Totschlag, selbst der Schwarzmarkt floriert. Doch wir von der Stadtwache haben ein waches Auge über die Stadt. Wir erwischen jeden Dieb und jeden, der seine Waren unversteuert auf unseren Straßen verkauft.“ Der Junge salutierte. „Wir sind die Stadtwache und wir sind stolz darauf. Wir dienen unter dem Motto: Wir dienen der Stadt mit Herz und Hand. Ob mit oder ohne Verstand.“

„Nun das klingt… redlich, würde ich sagen. Sehr redlich sogar. Nicht hintergründig, aber redlich.“

„Ich gehe also recht der Annahme, dass sie keine Waren bei sich führen, Sir… ?“

„Lork. Ein einfacher Name für einen einfachen Kobold.“

Der Stift huschte über das Papier. „Lork und weiter?“

„Nichts weiter.“

„Ich benötige ihren vollständigen Namen für das Protokoll, Sir.“

„Mein Name ist einfach nur Lork.“

„Sie haben keinen Nachnamen, Sir?“

„Nein. Man spart, wo man nur kann, sage ich immer.“

Der Gefreite notierte den Satz. „Sir, ich will sie nicht beängstigen oder verunsichern, aber hört sich das nicht ein wenig nach einem Geschäftsreisenden an? Fast schon wie ein Werbeslogan?“

„Hah. Ein Werbeslogan? Junge, glaub mir, ich weiß, was ein richtiger Werbeslogan ist.“

„Soso. Das muss ich ebenfalls notieren, Sir. Ihre Bemerkungen und ihr fehlender Nachname machen sie leider zu einem Verdächtigen, Sir. Dürfte ich mir ihren Wagen etwas näher anschauen, Sir?“

„Würde ein Nein etwas daran ändern?“

Der Gefreite durchforstete den kleinen Karren. Das Unkraut rückte er unbesorgt beiseite. Selbst, wenn es sich hierbei um Ware handelte, gäbe es niemanden, der bereit wäre, für welkendes Unkraut, das selbst zwischen den Kopfsteinpflastern der Straße wucherte, auch nur einen Kupferling zu zahlen. Bei den Büchern sah das hingegen schon anders aus. Er kannte genug Leute, die bereit waren, Bücher oder sogar einen Kodex zu kaufen. Manche von ihnen konnten sogar lesen.

Es sprach ihn ein Werk mit dem Titel Die Abenteuer der kleinen Schildkröte Siggi direkt an. Es war ein Kinderbuch mit vielen bunten Bildern. „Was beabsichtigen sie mit all den schriftlichen Werken, Sir?“

„Ähm… Ich lese sehr gerne. Und vor allem lese ich sehr viel“, versicherte der Kobold.

„Auch das hier?“ Er hielt ein Bilderbuch mit einer bunten Schildkröte auf der Vorderseite hoch.

„Ähm… Nein, das nicht. Das ist nur für junge Leser… “

„Dann verkaufen sie es mir, Sir?“ Der Junge strahlte, wie ein Kätzchen, das irgendwo ein kleines Mäuschen in eines der Büsche hat laufen sehen.

„Nein“, lehnte Lork ab. „Dann wäre ich ja einer dieser ungemeldeten Händler, die ihre Waren unversteuert und ungefragt an den Mann bringen, nicht wahr?“

Der Gefreite kratzte sich über den Kopf. „So habe ich das noch nicht gesehen, Sir. Aber ich erkenne dahinter eine gewisse Logik. Nun, wenn sie es nicht selber lesen, es aber nicht verkaufen, würden sie mir es dann vielleicht schenken?“

„Wäre das auch eine Straftat?“

„Nein, Sir. Das wäre keine Straftat. Sie würden damit nur einem Angestellten der Stadtwache einen Gefallen erweisen. So etwas ist nicht strafbar, Sir. Lediglich, wenn es sich um Bestechung handeln würde. Doch das würde ich ihnen nicht unterstellen wollen, Sir.“

„Wenn das so ist, kannst du es gern behalten… Aber ich müsste dann auch weiter. Ich habe einen weiten Weg vor mir.“

Der Gefreite steckte das Buch ein. „Natürlich, Sir. Kann ich ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein?“

„In der Tat. Du weißt nicht zufällig, wo die meisten dieser ungebetenen Händler ihre Waren an den Mann bringen? Nur für den Fall, dass ich dort zufällig in etwas hineingerate mit diesen ganzen Büchern im Karren…“

„Doch, Sir. Das weiß ich, Sir. Ein paar Straßen weiter, in der schmalen Zwielichtgasse, gleich am Ende der Athusstraße. Dort scheint der Schwarzmarkt regelrecht zu explodieren. Die Stadtwache kommt kaum mit ihren Ermittlungen hinterher.“

Der Kobold zog seinen Karren in die angedeutete Richtung. „Danke, Junge. Ich wünsche dir alles Gute und viel Spaß beim… Lesen. Oder besser gesagt beim Bilderbetrachten.“

„Danke, Sir. Ich wünsche ihnen auch viel Vergnügen mit ihren Werken. Und nochmals vielen Dank, Sir!“

Während sich die meisten Tempel in Schutt und Geröll verwandelten, um Platz für neuen Wohnraum zu bieten und um den Trümmerhaufen noch größer erscheinen zu lassen, gab es einen unter ihnen, der in seinem alten Glanz erstrahlte. Der Tempel der Weya. Marmorgiebel und Marmorsäulen zierten die schweren Stufen aus weißem Stein. Perlweiß erglänzte das Mauerwerk in den wärmenden Strahlen Sols.

Noch vor einem Jahr wurde hinter diesen heiligen Säulen Brot gebacken, ähnlich einer Backstube. Doch nicht für die Bürger von Sacre, sondern zum Eigenbedarf der Mönche. Ein junger Mann mit Halbglatze, aus dem an das Reich angrenzenden Wald Rockwutt, hatte es zum Oberhaupt unter den Dienern Weyas geschafft und nutzte die Kraft seines Amtes, um den Glaubensorden nach seinen Vorstellungen neu zu strukturieren. Der ehemalige Schornstein, der so gar nicht zu dem Tempel passte, wurde entfernt, die Brotproduktion wurde den Bäckereien überlassen und stattdessen, wurde in den heiligen Mauern aus dem Weizen das Luxusgut Weizenbier für die Bürger der Stadt gebraut. Sie sollten es trinken, genießen und dabei ihre Göttin preisen.

Die Erscheinung Weyas vor rund einem Jahr hatte den Glauben an sie neu entfacht. Von Tag zu Tag wuchs die Zahl ihrer Anhänger und mit ihr die Zahl der Mönche, die sich in ihren Dienst stellten. Aus der ehemaligen Backstube war eine Glaubensgemeinschaft geworden. Die Mönche nannten sie die Bruderschaft. Ihr Anführer, der oberste Diener der Göttin, war niemand Geringeres als der von Weya höchstpersönlich gesegnete Tak.

Bereits nach nur einem Jahr - im Jahr der blinden Kuh - hatte sich die Geschichte des schmächtigen Mönches mit dem Eierschädel auf ganz Tunuss herumgesprochen. Die ganze Welt hörte von einem tapferen obersten Diener, zu dem die Göttin selbst gesprochen hatte. Und sie erfuhren von seiner ruhmreichen Entdeckung des Weizenbieres. Während Bier und Mönch auf der ganzen Welt bekannt wurden, fanden immer mehr Pilger und Briefe den Weg hinter die heiligen Gemäuer von Sacre. Die Welt dort draußen nannte den Empfänger ihrer Bitten und Fürsorgen liebevoll: Erzbruder Taki.

Die Zahl der Anschriften zwang den jungen Mönch, einen seiner Brüder als Verwalter der Briefe einzustellen. Glücklicherweise hatte sich ein neuer Gläubiger im Tempel beworben. Sein Aussehen war nicht gerade das, was man gern der Öffentlichkeit präsentierte.

Er wies seinen neuen Glaubensbruder in den Alltag des Tempels ein. „In diesem Raum tragen wir die Fürbitten unserer Gläubigen zusammen. Es ist von nun an deine Aufgabe, neben den alltäglichen Gebeten, die wir in der Bruderschaft zusammen begehen, die gesamten Briefe zu ordnen und zu verwalten. Die Allermeisten bitten um Beistand ihrer Seelen. Sie sind entsprechend schnell abgearbeitet. Notiere ihren Namen und schließe sie in deine Gebete ein. Sofern der Verbrauch an Brieftauben es zu lässt, lasse ihnen ein Schreiben zukommen, in dem du ihnen den Beistand der Göttin versicherst.“

Der neue Bruder betrat den Raum und nahm die Kapuze vom Kopf. Sein kahler Schädel spiegelte das Licht. „Man kann ja kaum einen Fuß vor den Anderen setzen.“

„Richtig. Aber das wirst du sicher bald ändern können.“ Tak sah, wie das Skelett ein paar der Papiere zur Seite schaufelte und auf einem Stuhl am Schreibtisch Platz nahm. Die leeren Augenhöhlen erinnerten ihn an Angst und Schrecken, die die Untoten noch vor einem Jahr in der Stadt verbreitet hatten. „Ich finde es ja gut, dass ihr euch in unsere Gesellschaft integriert…“

Der Untote fiel ihm ins Wort, ehe er weitersprach. „Nicht wahr? Wir haben sogar eine eigene Bar in der Stadt errichtet. Ich kann dich dort gerne empfehlen.“

„Du meinst sicher die Unbesiegbar… Ich denke, ich sollte dort nicht… Ich meine, ich bin nicht…“

Der neue Bruder zog die Brauen fragend nach oben.

„Ich bin kein Freund von Wirtschaften und dergleichen, weißt du? Mein Gebiet ist der Tempel.“

„Wie du meinst, Bruder.“

„Was ich eigentlich sagen wollte: Bist du dir sicher, dass dieser Beruf der Richtige für dich ist? Briefe zu öffnen ist nicht sehr einfach. Man benötigt dazu ein gewisses Fingerspitzengefühl.“

„Und ob. Ich war nie ein guter Kämpfer… Da kannst du Brutus fragen. Er müsste sich daran erinnern, wie ich damals in der Schlacht meine Deckung verlor und…“

„Du möchtest auch nicht lieber zu einem der beiden neuen Tempel wechseln?“ Tak sah einen Tempel der Weya in einer Stadt wie Sacre und bei der großen Nachfrage als nicht ausreichend. Er hatte die Spenden und Einnahmen, die Backstuben und Brauereien einbrachten, genutzt, um zwei Weitere in Auftrag zu geben. Wenn ihr Bau im darauffolgenden Jahr abgeschlossen war, so wurde das Schloss Sacre von den drei Tempeln in Weyas Namen in Form eines gleichseitigen Dreiecks eingeschlossen. Dies - so Taks Gedanke - sollte das Ausschließen des Tempels jenseits der Schlossmauern kompensieren und letztlich gesehen das Schloss, das Symbol der Macht, durch eben diesen wieder einrahmen.

Um die Verwirrung um Sacre in der Vergangenheit auf die Spitze zu treiben, hatte der erste Herrscher über das Königreich die glorreiche Idee, das Schloss des Reiches nach eben diesem zu benennen. Der Grundgedanke ging dabei auf den ersten Einsiedler des Reiches zurück, der die ruhmreiche Idee hatte, das erste Dorf und später damit auch die erste Stadt von Sacre ebenfalls mit Sacre zu bezeichnen. Somit war Sacre Reich, Stadt und Schloss zu gleich. Wobei das Schloss Sacre im Jahr der blinden Kuh nichts weiter war als ein riesiger Trümmerhaufen mit dem Namen Sacre. Dabei sei angemerkt: Der erste Herrscher von Sacre besaß eine eigenartige Form von Humor. Er ließ sich selbst in Sacre umbenennen und sperrte sich zum Lachen im Kerker des Schlosses ein. Als eine der Wache vergessen hatte, ihn dort wieder herauszuholen, und die Schicht wechselte, verhungerte der erste Herrscher von Sacre lachend im eigenen Kerker. Den zweiten Herrscher von Sacre nannte man übrigens Ernst. Nicht weil er seine Berufung als Herrscher ernstnahm, sondern weil er sich im Kerker des Schlosses einsperrte, um ernste Debatten mit sich, seinem imaginären Freund, Ernst, und dem Universum zu führen. Es waren außergewöhnliche Dialoge und Wortgewandtheiten sowie Weisheiten, die zu Tage gebracht wurden. Leider sind diese Gespräche nicht aufgezeichnet worden, da die Dienerschaft, welche die Gespräche mit dem imaginären Freund ihres Herrn belauschten, zu sehr mit der Frage beschäftigt waren, ob das wirklich sein Ernst war.

Der Tempel im Norden der Stadt sollte von Bruder Sud geführt werden und der Dritte schließlich von einem der neuen Brüder mit dem Namen Erznus. Sud hatte sich in der Vergangenheit als wahrer Bruder bewährt und sich so den Respekt und das Ansehen als ein oberster Diener in einem eigenen Tempel redlich verdient. Was den neuen Bruder Erznus betraf, war sich Tak noch nicht ganz sicher. Das Einzige, was er über ihn wusste, war, dass er vor mehr als dreihundert Jahren bereits im Dienste Weyas gestanden hatte und dass - wie ihm Bruder Sud immer wieder nahelegte - die Aufnahme und Übergabe eines Tempels an einen aus der Reihe der Untoten, bezüglich der Integration der neuen alten Bürger in das Königreich beschleunigend wirkte.

„Nein“, antwortete ihm der Untote auf seine Frage. „Ich denke, dieser hier passt am besten zu mir. Auch wenn Bruder Sud kein schlechter Mann ist. Er ist aufgeschlossen und sicher ein ebenso großes Vorbild für unsere Bruderschaft wie du. Ganz im Gegensatz zu Bruder Erznus. Er scheint mir doch ein wenig… konservativ zu sein, würde ich sagen.“

„Nun, ich denke, konservativ ist eine nette Bezeichnung. Ich kenne ihn sicher nicht so gut und vor allem nicht so lange wie du, aber er gehört zu unserer Bruderschaft. Du solltest ihm Gelegenheit geben, das zu beweisen. Immerhin behauptet er, er habe sich gewandelt.“

„Wer nicht“, lachte der neue Bruder.

„Also gut, dann bist du ab dem heutigen Tag für unsere Briefe zuständig. Und da du von nun an ein Mitglied der Bruderschaft bist, nenne ich dich ab jetzt nur noch Bruder Scriptus. Bruder Manus Scriptus erscheint mir etwas zu lang… “

„Danke, Bruder Tak.“

„Ähm… Scriptus?“

„Ja, Bruder?“

„Es heißt Tak. Nicht Tack. Wie der Tag nur mit k statt g.“

Für die alten Krieger, die in einer Zeit aufgewachsen waren, in der man Sandalen noch für modisch empfand, war der neue zusätzliche Buchstabe K erst etwas, an das sie sich noch gewöhnen mussten. Immerhin reichte ihnen jahrhundertelang ein C völlig aus.

„Also wie Tac?“, vergewisserte sich Scriptus.

„So in etwa, ja.“

Wenn es eine sehenswerte Attraktion in Sacre gab, die sich selbst niemals als eine solche bezeichnen würde, dann war es mit Sicherheit die Stadtwache.

Im Keller, dort wo früher Papiere gestapelt worden waren, fanden sich heute sauber aufgereihte und tiefgekühlte Zeugen von Verbrechen, zu denen sie sich selbst nicht mehr aktiv äußern konnten. Dennoch gab es eine buckelige Kreatur in den Weiten der Wache, die fähig war, jedem Opfer auch nur das geringste Detail zu entlocken. Sicher waren dazu keine zwölf Finger oder ein zusätzliches Hirn in einem Glas in den Regalen notwendig (Auch hätten ein weniger narbenübersätes Gesicht - oder überhaupt ein Gesicht – ausgereicht), doch gehörten diese Utensilien zu den wichtigsten Merkmalen eines Igors. Wenigstens verzichtete er auf Haare, denn die hatte er sich fast vollständig ausgerissen. Der Beruf eines Igors ist je nach Master eben doch recht haarsträubend.

Hugo untersuchte eine der Blutproben unter dem Mikroskop. Der fleißige Gefreite Willy hatte seinen neuesten Patienten vor wenigen Stunden tot in der Zwielichtgasse aufgefunden. Nun lag der ehemalige Steuerzahler auf dem Obduktionstisch der Stadtwache. Es herrschte eine Eiseskälte, was ihn nicht sonderlich zu stören schien. Überall drang weißer Rauch hervor. Vor allem aus den Schubladen eines alten Aktenschrankes.

Unter dem Mikroskop schlugen kleine weiße Kobolde mit Helmen bunte haarige Wesen mit einem fiesen Grinsen auf dem Gesicht nieder. Das Immunsystem des Verstorbenen war noch intakt. Er konnte nicht allzu lange das Reich der Lebenden verlassen haben.

Hugo kannte die haarigen Viren. Die braunen zähnefletschenden Plüschkugeln, die allmählich in jede Zelle des Körpers ihres Opfers vordrangen, aus seiner Heimat jenseits des Dunkelwaldes.

Ein kleiner Dalmatiner sprang ihm ans Bein. Sein Schwanz wedelte. Er leuchtete matt, während er ein zweimal bellte.

Der Hund mit dem Feuerwehrhelm auf seinem Haupt war kein gewöhnlicher Hund. Er war eher eine Lampe. Was auch sein Brennen erklärte. Es war ein Hotdog, eine der neuesten Erfindungen aus der Universität von Drako.