Zahlen der Magie - Marcel Schmickerath - E-Book

Zahlen der Magie E-Book

Marcel Schmickerath

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Beschreibung

Claudia studiert an der magischen Universität in Drako die Zahlen der Magie. Doch leider liegen ihr die Zahlen ganz und gar nicht. Sie wird aufgrund der nicht vorhandenen magischen Begabung und ihres Körpergewichts von ihren Kommilitonen ausgelacht. Ihre Freundin Sichi, eine Hexe, versucht ihr zu helfen, doch plötzlich erwacht etwas Dunkles in Claudia. Derweil ist der königliche Hofnarr auf einer der wichtigsten Missionen im Namen der Majestät. Er soll eine geeignete Frau für den drakonischen Herrscher finden. Doch das ist gar nicht so leicht, denn der König von Drako ist ein Drache, noch dazu lässt er jeden Köpfen, der das SCH-Wort sagt... Das Schicksal von Drako liegt in dieser humoristischen Fantasy in den Händen eines Narren.

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Prolog
Eins
Zwei
Zwei und Eins
Unendlich

Zahlen der Magie

Von Marcel Schmickerath

Buchbeschreibung:

Claudia studiert an der magischen Universität in Drako die Zahlen der Magie. Doch leider liegen ihr die Zahlen ganz und gar nicht. Sie wird aufgrund der nicht vorhandenen magischen Begabung und ihres Körpergewichts von ihren Kommilitonen ausgelacht. Ihre Freundin Sichi, eine Hexe, versucht ihr zu helfen, doch plötzlich erwacht etwas Dunkles in Claudia.

Derweil ist der königliche Hofnarr auf einer der wichtigsten Missionen im Namen der Majestät. Er soll eine geeignete Frau für den drakonischen Herrscher finden. Doch das ist gar nicht so leicht, denn der König von Drako ist ein Drache, noch dazu lässt er jeden Köpfen, der das SCH-Wort sagt...

Das Schicksal von Drako liegt in dieser humoristischen Fantasy in den Händen eines Narren

Über den Autor:

Marcel Schmickerath, geboren 1988 in Düren, studierte Mathematik und Informatik an der RWTH Aachen. 2014 erschien sein erster Roman "Die Häldengilde" im Laufe seines Studiums. 2021 erschien sein Roman "Zahlen der Magie", in dem die Welt der Zahlen mit der Fantasywelt - genannt Tunuss - verschmolz.

Obwohl man annehmen könnte, sein Hintergrund sei "trocken" und "theoretisch", erschafft Marcel Schmickerath in seinen Büchern außergewöhnliche Charaktere, die in einer fantasievollen und humorvollen Welt leben. Die Reihe "Die Reisen des Phil", basieren auf Theologie, Mythologie und Dämonologie.

Zahlen der Magie

Von Marcel Schmickerath

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

4. Auflage, 2023

© 2021 Alle Rechte vorbehalten.

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

Coverart by Insta: @Schmipsy

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

[email protected]

www.tunuss-fantasy.de

ISBN: 9783754109236

Prolog

Die meisten Geschichten, die das Leben schreibt, beginnen mit einer Geburt. Nur die Seltensten kommen ohne eine Solche aus. Auch diese Geschichte begann mit einer Geburt. Dabei ist bei dieser Geburt fast alles bestens und völlig nach Plan verlaufen, zumindest, wenn man Schwester Britta fragte, die nicht nur Krankenschwester zu dieser Zeit, sondern auch für die Statistik des Krankenhauses zuständig war. Und Statistiken waren sehr wichtig. Wenn die Statistik stimmte, dann stimmte alles. Demnach stimmte bei dieser Geburt einfach fast alles.

Das erste Krankenhaus auf Tunuss war das St. Dingens. Das St. Dingens hatte eine ruhige und zentrale Lage innerhalb der Stadt Drako und wurde aufgrund der guten Bewertungen von den Eheleuten Herr und Frau Zartbitter, ein junges Paar voller inniger Zuneigung und Liebe, ausgewählt. Und auch wenn fast alles nach Plan verlief, verlief manches fast nicht nach Plan.

Dabei begann alles ganz harmlos, als Herr Zartbitter am Morgen - er erinnerte sich ganz genau, dass es ein Dienstag war, obwohl es ein Mittwoch war - eine Tasse Kaffee aufbrühte, zu der er nicht kommen sollte. Denn die Wehen seiner Frau setzten früher als erwartet ein. Ausgerechnet war sie für die ersten Tage im Jahr des springenden Lamas. Doch auch Mutternatur konnte sich einmal verrechnen und so geschah es in den letzten Tagen im Jahr des stacheligen Hasen. Herr Zartbitter wusste, es ging um jede Sekunde. Er schüttete den Kaffee, den er beinahe getrunken hatte, aus und packte seine Frau in seine Kutsche. Dann raste er mit ihr nach Drako, wo man sie im Krankenhaus St. Dingens freudig am Empfang begrüßte. Schwester Britta führte sie, nach einem kurzen Aufenthalt im Wartezimmer, das an diesem Tag überfüllt war und wo jeder leicht schockiert die schreiende Frau Zartbitter ansah, in den Kreißsaal des St. Dingens. Es war ein sauberer Raum, ein steriler Raum ohne Ecken und ohne Kanten. Selbst die Wände waren nach außen gebogen worden. Der kreisförmige Raum wirkte beruhigend auf Frau Zartbitter, die sich auf das Bett in der Mitte des Raumes setzte. Es war wissenschaftlich erwiesen worden, dass Kreißsäle kreisrund sein sollten. Entsprechende Studien dazu konnte Schwester Britta bei Nachfragen vorzeigen. Sogar fast immer.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, beruhigte sie Schwester Britta. „Doktor Krumm ist gleich bei Ihnen. Keine Sorge, alles wird gut.“ Für Schwester Britta war es wichtig, das zu betonen. Es gehörte einfach dazu. Eine wichtige Regel, damit alles gut werden würde, war es, es oft genug zu sagen.

Wenige Augenblicke später, nach dem der Eine oder Andere das Wartezimmer wieder verlassen hatte, weil er plötzlich doch gesund war, betrat Doktor Krumm den kreisrunden Saal, in dessen Mitte Frau Zartbitter sich krümmte und schrie.

Herr Doktor Krumm war ein ausgezeichneter Arzt und der beste Chirurg, den das Königreich Dego zu bieten hatte. Allerdings waren seine Kollegen gerade anderweitig beschäftigt. Er erhoffte sich, Frau Zartbitter durch die Anwesenheit eines Facharztes beruhigen zu können.

„Herr Doktor“, flehte Herr Zartbitter. „Bitte helfen Sie meiner Frau!“

Doktor Krumm legte ihr eine Hand auf die Stirn. Das wirkte in den meisten Fällen beruhigend. Dann sah er sich nach Schwester Britta um, die ihm mit einem Nicken zu verstehen gab, dass sich die Amme auf dem Weg zu ihnen befand. „Sind Sie sicher, dass Sie dabei bleiben wollen?“, fragte er Herrn Zartbitter.

„Ich lasse sie nicht allein“, sagte der Mann. „Wir stehen das gemeinsam durch.“

Schwester Britta zweifelte nicht an den Fähigkeiten der Chirurgie, allerdings zog sie es vor, Schwester Ursula hinzuziehen.

Eine junge Elfe in rosa Gewand betrat mit ihr den Kreißsaal und stellte sich zu Frau Zartbitter ans Bett. Frau Zartbitter drückte ihre Hand derart fest zusammen, dass sie Angst hatte, sie würde unter dem Druck zerbrechen. „Wir brauchen Heilkräuter“, sagte sie. „Gegen die Schmerzen.“

Schwester Britta rannte sofort los. Die ungeduldigen Patienten im Wartezimmer blickten ihr hinterher. Kurz darauf kam sie mit einem Floristen zurück in den Saal, der verschiedene Bündel Kräuter zur Auswahl bei sich trug.

Die Elfe nahm gezielt eines davon und griff nach dem Mörser.

„Wir brauchen Musik“, sprach Herr Doktor Krumm. Er hatte das Gefühl etwas tun zu müssen.

Schwester Britta brachte einen Schamanen in den Kreißsaal. „Etwas anderes habe ich nicht gefunden“, entschuldigte sie sich.

„Vielen Dank“, bedankte sich Herr Doktor Krumm und wies den Schamanen an, etwas zu singen.

„Aber“, gestand Al Dadda. „Ich wegen Rauschen hier.“ Nach einem fragenden Blick des Arztes fügte er hinzu: „Wenn singen.“ Nach einigem hin und her ließ man den Schamanen tanzen und singen. „Ubba Dubba, Ubba Dubba“, sang Al Dadda, wobei sich ein Rauschen unter seine tiefe Stimme mischte.

Herr Zartbitter sah den Arzt irritiert an. „Es wird reichen“, beruhigte er ihn. „Machen Sie sich keine Sorgen.“

Derweil hatte Schwester Ursula die Kräutermischung fertig und gab Frau Zartbitter einen kleinen Schluck davon. Sie wurde etwas ruhiger. Al Dadda konnte etwas leiser singen. So hörte man das Rauschen nicht allzu sehr.

Dann ging alles ganz schnell.

„Die Socken“, rief der Florist und zeigte aufgeregt auf Herrn Zartbitter.

Schwester Ursula verzog entsetzt das Gesicht. „Sie sind auf links gedreht“, entfuhr es ihr. „Schnell, Schwester Britta.“ Sie deutete der Schwester an, dem Mann zu helfen, ehe es zu spät war.

„Es ging alles so schnell heute Morgen“, suchte Herr Zartbitter nach einer Rechtfertigung. Die Schwester beruhigte ihn. Sie mussten es nur schaffen, die Socken zu korrigieren, ehe das Kind zur Welt kam. „So etwas verursacht ein dunkles Omen“, sagte sie.

Doktor Krumm fiel zu Boden und Schwester Ursula ließ Frau Zartbitter einen kurzen Moment allein. Dann mahnte sie Herrn Zartbitter, sich mit den Socken zu beeilen, und sandte Schwester Britta noch einmal hinaus einen Arzt zu holen.

Wieder folgten die Patienten hinter der Scheibe den Schritten der Krankenschwester, bis sie mit einem Zwerg in einem weißen Kittel erneut im Kreißsaal verschwand. Doktor Druff war Spezialist für Narkosen. Er wusste, wie er Doktor Krumm wieder zu Bewusstsein bringen konnte.

„Die sind wieder falsch herum!“, rief Schwester Ursula und wies Schwester Britta an, dem Mann mit den Socken zu helfen, solange sie noch Zeit hatten.

Es war übertrieben, zu sagen die Erde hätte gebebt, als sich die Amme dem Kreißsaal näherte, aber die kleine stämmige Frau hinterließ Eindruck, als sie an den Patienten im Wartezimmer vorbei stampfte. Es war nichts Ungewöhnliches, denn im St. Dingens glaubte man, bei Hebammen war es eher von Vorteil, wenn sie standfest waren. Je kräftiger sie waren, desto angesehener waren sie. Und Schwester Ruck vermittelte eine Menge Respekt. Mit nur einem Blick durchschaute sie die Lage im Kreißsaal. Sie brüllte Herrn Zartbitter an, sich mit seinen Socken zu beeilen, dann beruhigte sie seine Frau und half ihr.

Kaum zeigte sich der Kopf des Kindes, erlosch das Licht. Al Dadda hörte für einen kurzen Augenblick auf zu singen und zu tanzen.

Schwester Britta rief nach einem Handwerker, der sich um die magischen Lampen im Kreißsaal kümmern sollte. Sie hatte gerade einen Kobold hereingeführt, da sagte Schwester Ursula: „Und einen Klempner, der Wasserhahn ist aus der Wand gesprungen.“

Als Schwester Britta mit dem bärtigen Hausmeister in den Kreißsaal trat, war der kreisrunde Saal voller Leute. Auch einige der Patienten aus dem Wartezimmer waren hinzugekommen und spürten, das etwas Höheres am Werk war.

Schließlich war das Licht wieder in Ordnung, ein neuer Hahn angeschraubt, Herr Doktor Krumm wieder bei Bewusstsein und auch der Florist lächelte, als der Schamane aufhörte zu singen.

„Es ist ein Mädchen“, sagte Schwester Ruck und legte Frau Zartbitter die Kleine in den Arm.

Herr Zartbitter zog seine Socke hoch und näherte sich vorsichtig seiner Frau. „Habe ich es geschafft?“, fragte er mit schwacher Stimme.

„Ich denke schon“, beruhigte ihn Schwester Britta. „Alles ist gut verlaufen.“

„Nur für den Fall“, sprach Schwester Ruck. „Geben Sie der Kleinen einen Namen, der das Böse fernhält. Wegen der Socken, Sie verstehen sicher.“

Herr Zartbitter nickte euphorisch und gab seiner kleinen Tochter einen Kuss.

Eins

Drako, die Hauptstadt des Königreichs Dego. Hier traf das geballte Wissen des Einzelnen auf das geballte Wissen aller Anderen. Um mit derart viel Wissen umgehen zu können, errichtete man die Universität von Drako innerhalb der Stadt. Hier konnten angehende Magier die Zahlen der Magie studieren.

Eine dieser Studentinnen war Claudia, Claudia Zartbitter. Ihre Freunde nannten sie einfach nur Claudia. Leider hatte sie davon nicht sehr viele. Sie zerknüllte ein Stück Papier unter dem Tisch und ließ das Stück Schokolade in ihrem Mund verschwinden.

„Wolltest du damit nicht aufhören?“, fragte ihre Freundin Sichi, zu ihr hinüber geneigt. Das Mädchen mit der riesigen Brille sah sie erwartungsvoll an.

Sichi war ihre beste Freundin. Sie war auch ihre einzige Freundin, aber selbst, wenn sie mehr Freunde gehabt hätte, wäre die strebsame Sichi ihre beste Freundin gewesen, da war sie sich sicher. Sichi war die Einzige, die ihr jemals richtig zuhörte und sie war auch die Einzige, die sich wirklich um sie sorgte.

„Eigentlich nicht“, flüsterte Claudia und drückte das Stück Schokolade in eine ihrer Wangen, wo sie langsam schmelzen konnte.

„Und deine Diät?“, fragte Sichi weiter. Sie erinnerte sich, dass sie neulich bei einer ihrer Mond Séancen über ihr Übergewicht gesprochen hatten.

Claudia war nicht übergewichtig, sie hatte nur schwere Knochen. Das war alles. Und sie beherrschte keine Magie, was ihre Freundin auf ihre schweren Knochen schob, an denen sie arbeiten sollte. Es lag nicht an ihrem Gewicht, da war sie sich sicher.

Sichi war strebsam. Die Magie war stark in ihr. Aus ihr würde eines Tages eine glorreiche Hexe werden, da war sie sich sicher. Schon allein ihre roten Haare und die vielen Sommersprossen waren ein Markenzeichen für begnadete Hexenkünste. Was ihre eigenen magischen Künste betraf, da war sich Claudia nicht so sicher. Manchmal dachte sie darüber nach, die Universität zu verlassen und etwas anderes mit ihrem Leben anzufangen. Vielleicht Köchin oder Restauranttesterin oder in der Forschungsabteilung einer Schokoladenmanufaktur. Es gab viele Möglichkeiten, die das Leben dem dicken Mädchen mit den blonden Haaren bereitstellte. Wäre da nicht ihr Vater gewesen, der darauf bestand, dass sie die Zahlen der Magie studierte. Dabei hatte sie das Gefühl, die Zahlen mochten sie nicht wirklich.

„Sichi!“, tadelte Professor Lysis. „Was ist der Unterschied zwischen einer Unbekannten und einer Unbestimmten?“

„Eine Unbekannte ist nicht bekannt“, antwortete Sichi. „Während eine Unbestimmte nicht bestimmt ist?“

„Das ist korrekt“, sprach Professor Lysis. Er ignorierte die Frage, welche Sichi zum Antworten benutzt hatte, denn er kannte seine Studenten nur zu gut. Was Sichi betraf, wusste jeder von ihrer Unsicherheit. Für sie war es einfach nicht möglich, einen Satz zu beenden, ohne Fragezeichen anzuheften, selbst dann, wenn es eigentlich eindeutig eine Aussage war.

„Was ist mit dir, Claudia?“ Der Professor richtete sein Augenmerk auf sie. „Würdest du sagen, Unbekannte lassen sich zählen?“

Nervös zog sie den Rest der Schokolade aus ihrer Wange und zerkaute sie. „Ja?“, hörte sie ihre Freundin flüstern, während sie die zarte Versuchung hinab schluckte.

„Ich habe Claudia gefragt“, beharrte der Professor.

„Entschuldigung?“, sagte Sichi. „Es war reiner Reflex? Ich wollte es ihr nicht vorsagen?“

„Schon gut“, winkte Professor Lysis ab. „Alles lässt sich zählen, das sollte auch Claudia wissen.“ Sie nickte, während er weitersprach. Nicken schadete in den seltensten Fällen, wenn ein Dozent etwas erzählte. Man hatte dabei das Gefühl, als gäbe man dem Lehrenden das Gefühl, man würde genau dasselbe sagen, wenn er jemanden vor seiner Erklärung dazu aufgefordert hätte, etwas zu sagen.

Oscar, einer ihrer Kommilitonen, stellte dem Professor eine Frage. „Also lässt sich auch Magie zählen?“

Professor Lysis lächelte, wie nur ein Dozent lächeln konnte, wenn jemand eine Frage stellte, auf die er gewartet hatte. „Fast“, sagte der Professor. „Es ist eher andersherum. Zählen ist Magie. Daher ist es wichtig, dass wir die Dinge zählen und lernen, mit dem Zählen umzugehen. Addieren ist Zählen. Und Multiplizieren ist Addieren. Die Umkehrungen sind ebenso wichtig. Jede Magie sollte umkehrbar sein, aber ist auch jede Magie umkehrbar?“

„Nein?“, meldete sich Sichi. Manchmal wunderte sich Claudia, warum ihre Freundin aufzeigte und so fest entschlossen mit einer Frage antwortete, obwohl sie genau wusste, dass sie Recht hatte.

„Das ist korrekt“, freute sich der Professor für gezählte Magie. „Dann kann uns Claudia sicher erzählen, was eine Diskriminante ist und wozu wir sie in der Magie einsetzen können.“

Claudia zuckte zusammen. Dieses furchterregende Wort hörte sie zum ersten Mal. Auch ein hilfloser Blick zu ihrer Freundin half ihr nicht weiter.

Professor Lysis räusperte sich. Dozenten taten so etwas, wenn sie auf eine Erklärung warteten, von der sie wussten, dass sie nicht über die Lippen des Studenten kommen würden.

„Hat es etwas mit Diskriminierung zu tun?“, fragte Claudia, sie musste irgendetwas sagen. Doch als der gesamte Raum lachte, wurde ihr bewusst, es war die falsche Antwort. Sie senkte den Blick und griff nach ihrer Schokolade.

„Es tut mir leid?“, flüsterte Sichi.

„Schon gut“, sagte sie. Dann biss sie auf das Stück Schokomilch in ihrem Mund.

Abseits der Stadt Drako, von Felsen umgeben, lag das Schloss Drachenzahn. Ein beachtliches Bauwerk, welches sich stolz über die Stadt erhob. Zahlreiche Türme, Giebel, Zinnen und Wasserspeier zeugten von der höchsten Kunst der frühen architektonischen Meisterleistung des Königreichs Degos. Wenn die Sonne aus einem gewissen Winkel auf die weißen Fassaden strahlte, erinnerte es an ein Märchen, welches dieses Schloss jedem erzählte, der es ansah. Das wohl Auffälligste, wenn man sich ihm näherte, war die lange schmale Brücke, die zu einem viereckigen Turm führte, unter dem sich eine Reihe von Gestalten tummelte. Dieser Bereich war der Landeplatz der Drachen. Die Drachen bereisten im Auftrag des Königs das gesamte Land von eben dieser Brücke.

Das Schlagen von Leder ertönte über der üppigen Plattform. Die Echsensoldaten näherten sich dem Drachen mit ihren langen spitzen Speeren.

„Post.“ Olaf nahm seine Mütze ab und stellte ein großes Paket auf den Platz ab. „Eine Lieferung für unsere Hoheit“, sagte er zu den Wachen, die ihn im Auge behielten. „Der Neue“, fügte er hinzu, dann senkten sie die Waffen.

„Schon wieder ein Neuer“, entfuhr es einer der Wachen. „Wann lernen die es endlich?“ Seine Kameraden zuckten mit den Achseln. „Aufmachen!“

Der Bote drehte sich und schlug mit dem Schwanz gegen das Paket, die Klappe fiel auf. Etwas kullerte heraus, landete vor den Füßen der Echsen.

„Tada!“ Glöckchen klimperten. Der Mann mit der Narrenmütze erwartete ein Lachen oder wenigstens ein Grinsen, doch die Mienen der Echsen blieben ernst.

„Zu früh“, sagte eine der Wachen nüchtern.

„Die werden auch immer hässlicher“, merkte sein Kamerad an.

„Wie du“, feixte die Wache, dann wandte er sich an den Boten.

„Was heißt hier wie ich? Meine Mutter war kein Salamander.“

„Feuersalamander“, fügte er mürrisch hinzu. Dann richtete er sich an den Boten. „Bring ihn zum König!“

Olaf fasste dem Narren unter die Arme und führte ihn entlang der langen Brücke. „Sie lachen nicht gerne“, versuchte er die Stille zu unterbrechen.

„Schon gut“, sagte der Narr. „Es reicht, wenn der König lacht.“

„Was das betrifft, sieht es auch nicht besser aus“, sagte Olaf und schnaubte. „Du bist nicht der erste Narr an diesem Hof.“

„Was ist mit den anderen passiert?“

„Ich hoffe, du erfährst es nicht…“ Der Drache sah zu den lachenden Wasserspeiern hinauf.

„Sie lachen“, freute sich der Narr.

„Sie lachen immer. Das ist nichts Ungewöhnliches. Die haben nichts als Flausen im Kopf.“

„Mein Name ist Urzl“, lachte der Narr. „Wie der Purzl vorhin.“

„Was das betrifft… Lass dir etwas anderes einfallen. Noch hast du Zeit zum Denken. Oder anders gesagt: Noch könnte ich dich von hier fortbringen.“

Urzl schüttelte den Kopf. „Ich brauche die Stelle. Ich kann sonst nirgends hin. Wer lässt sich schon gerne einen Narren aufbinden? Au!“ Einer der Wasserspeier grinste hämisch. „Hat er gerade einen Stein nach mir geworfen?“

Olaf führte ihn über die Brücke, weg von den Statuen. „Sie haben nur ihr Lachen und ihre Steine. Manchmal verstehe ich sie. Das Leben auf einem Sockel zu verbringen muss sehr eintönig sein.“ Er sah zu den Glöckchen an der Mütze des neuen Hofnarren. „Du scheinst sehr sympathisch, daher gebe ich dir einen kleinen Tipp. Was du auch tust, mache keine Witze über Schuppen. Unsere Majestät leidet sehr darunter.“

„Aber er ist doch ein Drache, wie kann das sein?“

„Er wirft Unsummen von Goldmünzen aus dem Fenster, damit ihm einer der Alchemisten eine Haarspülung entwirft, die gegen Schuppen helfen soll. Es ist wie mit den Narren. Alchemisten gehen scheinbar nie aus.“ Olaf sah den jungen Mann traurig an. „Bisher ist es aussichtslos. Wenn du mich fragst, sollte unsere Majestät lernen, sich selbst zu akzeptieren. Aber das darf man natürlich nicht einmal denken. Jetzt fragst du dich, warum ich dir das sage, nicht wahr? Vermutlich, weil ich es sonst niemandem sagen kann, ohne meinen Kopf zu verlieren. Und jetzt ist es auch deine Bürde. Naja, gern geschehen.“

„Aber das…“

„Kein aber. Du musst lernen, damit umzugehen. Und jetzt zeig mir ein paar deiner Scherze, wir sind gleich da. Und hinein musst du schon allein. Wir liefern nur bis zur Haustüre. Auch wenn diese etwas größer ist als eine gewöhnliche Haustüre.“

„Und rot“, wunderte sich Urzl, über das Tor vor ihnen, dann präsentierte er Olaf seine besten Scherze, mit denen er bereits ganze Königreiche auf die Knie gezwungen hatte.

Claudia versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie musste mit der Strömung, die durch ihre Synapsen floss, die Keime vor sich zum Sprießen bringen. Sie hasste Wurzelziehen.

„Du musst zählen?“, riet ihr Sichi, das sagte sie immer und wie immer half es nicht. Für Sichi war alles einfach. Auch das Wurzelziehen. Vor ihrer Nase wuchs ein ganzer Strauch aus dem Topf. Er trug sogar Früchte.

Claudia zählte und zählte, aber es geschah nichts. In der Hand hielt sie ein Bonbon, sie wusste genau, wo es herkam. Schon allein das Knistern des Papiers beruhigte sie.

„Du setzt dich zu sehr unter Druck“, riet ihr Dürr. Er war ihr Nachbar in Angewandter Magie. Dürr sah genauso aus, wie er hieß. Es war schwer zu sagen, ob er seinen Namen bekommen hatte, weil er so dürr war oder ob er so dürr war, weil er Dürr hieß? Es gehörte zu den Fragen, die das Universum gerne aufwarf. Es war seine Art von Humor. Andererseits sah sie auch nicht wie eine Claudia aus oder war zartbitter. Es war sinnlos, darüber nachzudenken. Das Universum kann sehr eigenwillig sein.

Dürr grinste sie an, als habe er ihre Gedanken gelesen.

Sein Blick machte sie nervös. Sie mochte es nicht, wenn er sie so ansah. Sie wusste, er sah sie so an, weil er sich über sie lustig machte.

„Dürr!“, herrschte Frau Kaadzpuckel, ihre lange Nase zitterte, wenn sie sich aufregte. Dürr und sein Freund Pete konnten sich das Lachen nicht verkneifen. Sie lachten immer, wenn sich die Professorin aufregte und wütend schnaufte. Manchmal erinnerte sie dabei an einen Drachen, einen Drachen mit einer sehr langen Nase und einem krummen Rücken, aber irgendwie war die Nase auffälliger. Qualm stieg aus ihren Ohren. Frau Kaadzpuckel dampfte. Doch Frau Kaadzpuckel fackelte nicht lange. Niemand beherrschte das Wurzelziehen wie sie. Sie schnippte mit den Fingern, während sie Quadratwurzeln, dritte Wurzeln und sogar zweifach die fünfte Wurzel zog und das ganz ohne Hilfe und ohne mit der Wimper zu zucken. Nur ihre Nase, die zuckte und das machte alles nur schlimmer. Aus den Töpfen der beiden Studenten spross etwas hervor, das rasch an Größe gewann. Schlingen packten die beiden und zerrten sie in die Luft. Dann spross eine Blüte, die sich öffnete. Inmitten der Blüte lungerten spitze Zähne, die gierig auf sie warteten. Die Pflanzen leckten an ihrem Gesicht. Spätestens jetzt, wenn Frau Kaadzpuckel ernst zu machen drohte, war das Lachen vorbei. Wieder schnippte die Professorin, dann herrschte Ruhe.

Das Bonbon war bereits seit einiger Zeit in ihrem Mund verschwunden, doch noch immer zogen sich keine Wurzeln durch das Häufchen Erde vor ihr.

„Soll ich dir helfen?“, fragte Sichi und zog ihr ein paar kleine Sprossen aus dem Topf.

„Sichi!“, fauchte Frau Kaadzpuckel. „Das habe ich gesehen!“

Claudia wusste es sich nicht zu erklären, aber sie hatte immer das Gefühl, Frau Kaadzpuckel hasste sie. Vermutlich, weil sie die Einzige im Studium war, die nicht in der Lage war, Wurzeln zu ziehen, und das brachte Frau Kaadzpuckel zum Zischen.

„Du kannst weder Wurzeln ziehen noch machst du deine Hausaufgaben. Was soll ich bloß mit einer Göre wie dir anfangen?“ Wieder lachten alle, doch dieses Mal lachten sie nicht über die Frau Professorin.

Claudia kramte nach ihrer Schokolade, sie brauchte ein Stück.

Frau Kaadzpuckel riss ihr die Tafel aus der Hand. „Du sollst nicht essen, du sollst lernen, mit Magie umzugehen.“

„Aber sie lernt jeden Tag?“, eilte ihr Sichi zur Hilfe. Sie zog die Brille mit dem Zeigefinger hoch. Diese Geste machte sie noch schlauer, als sie ohnehin bereits war.

„Lass mich!“, herrschte Claudia ihre Freundin an.

Frau Kaadzpuckel legte die Tafel auf ihr Pult. Dann schnippte sie mit den Fingern, damit die Herrschaften wieder aufhörten zu lachen.

„Wenn du magst, können wir heute Nachmittag etwas zusammen lernen“, sagte Dürr.

Claudia drehte sich stumm von ihm weg, dann griff sie rasch nach der Schokolade, ehe Frau Kaadzpuckel wieder zu ihr kommen würde.

Der Thronsaal von Schloss Drachenzahn war durchflutet von Licht, das durch die hohen und schmalen mit Spitzen verzierten Fenster fiel. An der Decke, welche mit bunten Gemälden von glorreichen Schlachten und großen Drachen erzählte, hingen Kronleuchter herab, auf denen sich brennende Kerzen befanden. Sie waren bereits ein ganzes Stück nieder gebrannt, wenn auch ihr Licht bei all den Fenstern am helllichten Tag völlig vergebens leuchtete. Doch die Schatzkammern im Schloss waren derart dicht befüllt, dass man nicht einmal an das Wort Verschwendung dachte, wenn man sich oben auf dem Felsen befand. Eine kleine Fee flog umher und tauschte die Stummel gegen neue Kerzen aus. Ihr Schnaufen war das einzige Geräusch, welches Urzl im Thronsaal erwartete. Dafür ruhten erwartungsvolle Blicke mit geschlitzten Pupillen auf ihm.

Auf einem Thron, aus purem Gold, saß König Dego der Achte und sah den Mann in der Narrentracht stumm an. König Dego der Achte war streng genommen König Dego der Siebte, aber Acht war seine Glückszahl und er glaubte, dass diese Zahl nicht nur Glück brachte, sondern auch eine gewisse magische Aura ausstrahlte. Das sagte ihm zumindest der königliche Hofmagier, nachdem der König von Dego darauf bestanden hatte, die Zahl Sieben zu überspringen. Das war der große Vorteil eines Herrschers mit einer Guillotine im Innenhof, man hatte immer Recht. Auch wenn man für einen kurzen Augenblick im Unrecht war, hatte man kurz darauf wieder Recht. König Dego war ein kleiner Drache mit zwei spitzen Eckzähnen, die aus seinen Mundwinkeln ragten. Seine Schuppen waren mattbraun und seine Hörner schneeweiß, was vor allem an der intensiven täglichen Pflege lag. Er faltete die Flügel auseinander, als der Hofnarr sich verneigte.

„Euer Majestät“, erklärte ein älterer Mann mit einem dunklen lila Gewand neben dem Drachen. Er trug einen spitzen Hut mit funkelnden Diamanten darauf. „Vor Euch steht Urzl, der neue Anwärter für die Stelle des Hofnarren. Herr Urzl hat die Narrengilde in Muuhdor besucht.“ König Dego schnaufte, Qualm stieg aus den Nasenlöchern. „Wie war noch gleich der Numerus Clausus?“, fragte der Mann neben dem Thron.

Urzl vermutete, dass es sich bei dem Mann um den Hofmagier handeln musste. Kein Mann würde sonst freiwillig so etwas anziehen. „Abgeschlossen“, sagte er.

Der Mann mit dem spitzen Hut hustete. „Wie dem auch sei…“ Er unterdrückte krampfhaft einen Kommentar, er sah es in seinem Gesicht. „Ihr dürft anfangen“, sagte der Mann.

Der Narr zog zwei Rasseln aus der Tasche und begann zu zappeln, dass die Glöckchen an Mütze und Schuhwerk klingelten. „Tütütü“, machte er dabei. Er tanzte eine Zeit lang weiter. Als niemand einen Mundwinkel verzog, sagte er: „Das, Eure Majestät, ist der Balztanz einer Taube im Regen.“

Der Blick des Königs blieb grimmig, selbst als Urzl mit dem Unsinn stoppte.

Der alte Mann hustete. „Unsere Majestät bevorzugt, das Dasein als Junggeselle.“

König Dego schnaufte.

„So muss unsere Majestät nicht auf die Zeralien zwischen den Mahlzeiten achten.“

„Ohja, Zeralien“, sagte der Narr. „Üble Dinger.“ Das Schnaufen ließ ihn rasch hinzufügen: „Kennt Euer Majestät den Unterschied zwischen einem Hahn und einem Wasserhahn?“ Der Magier hustete, darum fuhr er einfach fort. „Der Wasserhahn ist nass.“

Der Mundwinkel des Drachen zuckte nicht einmal, stattdessen zischte Qualm aus den Nüstern. Es erinnerte an das Pfeifen eines Teekessels. Und dieser Tee schien fertig zu sein.

„Unsere Majestät mag es nicht, wenn man ihm Fragen stellt. Ihr wollt unsere Majestät doch nicht für dumm halten mit Eurer Fragerei?“

„Nein, nein, natürlich nicht.“ Urzl dachte kurz nach. „Kennt…“ Er unterbrach sich, als der Drache die Krallen hob. „Treffen sich zwei Einhörner“, sagte der Narr schließlich. „Beide verletzt.“

„Keine Witze über Hörner“, erklärte der Magier. „Die Hörner unserer Majestät stellen alle Hörner von Tunuss in den Schatten.“

Urzl gingen langsam die Ideen aus. „Das sind wirklich große Hörner“, sagte er, ohne darüber nachzudenken.

„Nicht wahr, fauchi?“, sprach der Drachenkönig. Das „fauchi“ nahm seiner tiefen Stimme einen gewissen Grad seiner Bedrohlichkeit. Die gleiche Menge Bedrohlichkeit fügte der Dampf aus seinen Nüstern hingegen wieder hinzu.

Ein Anfang, dachte Urzl. „Ich kannte einmal eine Schlange“, sagte der Narr. „Die hat einen Wecker verschluckt. Man hatte immer das Gefühl, man stände neben einer Bombe. Aber sie kam nie zu spät zur Arbeit.“

Der Drache schlug mit der Faust auf den Thron. „Keine Scherze über Reptilien, fauchi!“

Die kleine Fee zwischen den Kerzen kicherte.

Die Glöckchen zitterten. „Ich“, versuchte Urzl es erneut. „Ich kannte einmal einen Wasserspeier, der vertrug keinen Alkohol, seitdem speit er nur noch Wasser.“

Die Fee ließ vor lauter Lachen eine Kerze fallen.

„Das reicht, fauchi!“, herrschte der Drache. „Dieser Mensch ist nicht lustig, fauchi!“

Urzl setzte zu einem letzten verzweifelten Anlauf an. Ohne darüber nachzudenken, was er sagte, sagte er: „Ein Bär steht an einem Berg an einem Fluss und zieht einen Fisch aus dem Wasser. Der Fisch sieht den Bären schockiert in die Augen und während ihm die Schuppen zu Berge stehen, sagte er:…“

„Köpft ihn, fauchi!“, brüllte der König, als er das vermeintliche Sch-Wort hörte.

„Aber Majestät“, wandte der Hofmagier ein, „der Henker hat bereits Feierabend. Er ist mit seiner Frau Blumen kaufen. Sie wollen den Vorgarten neu bepflanzen, sagte er mir.“

„Dann sperrt ihn ein, bis der Henker zurück ist, fauchi!“

„Gewiss, Eure Majestät.“

Die Wachen zerrten den Narr hinaus, die Glöckchen klingelten, während seine Schuhe über den Boden schleiften. Er hasste es, wenn er einen Witz nicht zu Ende erzählen konnte.

Das Differenzieren wurde an der magischen Universität von einer Jungprofessorin unterrichtet. Sie hatte es nicht gerne, wenn man sie mit Professorin ansprach. Sie hieß einfach nur Neele. Sie war so ziemlich in allem das Gegenteil von Professorin Kaadzpuckel. Sie war jung und hübsch. Ihr Gesicht und ihre Nase waren makellos. Zwar hatte sie auch ein Rückgrat, aber bei Weitem nicht so viel wie die alte Professorin. Die Jungs liebten es, wenn sie ihr langes blondes Haar über die Schultern warf und dabei über Magie sprach. Die Kunst des Form-und Gestaltwandels war die Verschmelzung von differenzieren und integrieren einzelner Komponenten, die das Leben darbot. Wenn man einem Schwein Flügeln zaubern wollte, dann war es nach Neeles Lehre wichtig, das Innere des Schweins zu sehen. Man sah in das Tier hinein, man sah die Zahlen darin und die Funktionen, welche die Zahlen einnahmen. Wenn man diese Funktionen sehen und verstehen konnte, dann konnte man beispielsweise aus der Menge dieser Zahlen und Funktionen neue Zahlen und Funktionen herleiten.

Das Schwein vor ihr grunzte, während ihre zarten Hände sanft über die borstige Haut des Tieres glitten.

„Es geht nicht darum, etwas Neues zu erschaffen“, erklärte die Juniorprofessorin. „Man nutzt das Bestehende und leitet daraus ab.“

Aus dem Grunzen wurde ein Quieken, während sie, wie aus Lehm, den Rücken des Schweins verformte. Erst einen kleinen Buckel, dann zwei und aus den Buckeln wurden Flügel, denen sie mit sanften Bewegungen Federn formte. „Das Verformen ist ein Differenzieren bestehender Zahlen. Aber sind damit die Flügel auch funktionsfähig?“

Neele beruhigte das Tier. Aus dem Quieken wurde wieder ein zufriedenes Grunzen.

„Claudia?“

Sie hatte sich nicht gemeldet, anders als Sichi, die eifrig mit den Fingern schnipste und sie enttäuscht ansah. „Man muss sie integrieren“, sagte sie, ohne aufzusehen.

„Dann komm doch bitte nach vorne und zeig es uns.“

Ein paar Bonbons fielen auf den Fußboden, als sie sich träge aus ihrem Stuhl erhob. Sie warf einen flüchtigen Blick auf ihre Freundin.

„Du schaffst das?“, sprach Sichi ihr Mut zu.

Die Jungs sahen ihr nach. Sie hörte ihr Kichern, als sie an ihnen vorbeiging. Jungs konnten so gemein sein. Sie lachte ja auch nicht, wenn einer der Dozenten sie drannahm, weil sie gerade Mal wieder in der Nase bohrten.

Sie sah in die nussbraunen Augen des Schweins und versuchte darin, etwas zu sehen, das sie nicht an Schokolade erinnerte.

„Spürst du die Magie?“, fragte Neele und nahm ihre Hand. Dann strich sie mit ihr über die Flügel. Sie begannen zu schlagen. Erst ganz schwach und zaghaft, dann immer schneller. Das Schwein erhob sich und flog durch das Zimmer. Claudia hörte, wie Neele aufhörte zu zählen. Sie wusste, sie wollte ihr damit helfen, aber…

„Nein!“, rief Claudia und rannte zurück zu ihrem Platz. Das Schwein fraß ihre ganze Schokolade vom Tisch. Als sie es aufscheuchte, flog es zu einem der Fenster hinaus und ließ einen Raum voller lachender Studenten zurück.

Oliver Knussel lebte zusammen mit seiner neuen Freundin im Haus seines Vaters. Sein Vater, Herbert Knussel, hatte das erreicht, was viele anstrebten, einen ruhigen Lebensabend mit seiner Frau auf dem Land. Allerdings waren die Ländereien des Königreichs Dego dem pensionierten Familienvater und Nachbarn vieler glorreicher Nachbarn, wie etwa dem Fensterguckenden Ferdinand, der tagelang am Fenster stehen konnte und die Nachbarschaft beobachtete, viel zu ruhig. Herbert Knussel zog es daher nach Sacre. Außerdem wollte seine Frau dort hin. Er vermochte sein Haus seinem Sohn Oliver, der prompt mit seiner ersten Freundin dort einzog und ihm die Verantwortung über die Nachbarschaft überschrieb. Auf das sein Sohn den Fensterguckenden Ferdinand eines Tages vom Thron stoßen würde. Oliver erinnerte sich an Jenny, sie war bildhübsch und wunderschön und sie konnte sich sogar die Haare bürsten. Ein Traum. Leider konnte sie nicht viel mehr als das, abgesehen von Nägeln feilen und Fußnägel lackieren. Letzteres empfand Oliver ohnehin als überflüssig. Leider ist Eigentum auch verpflichtend, vor allem, wenn man es von einem glorreichen Nachbarn, wie Herbert Knussel erbte. Rasen und Sträucher mussten geschnitten werden, Vorgarten und Hof regelmäßig gekehrt sein und man musste natürlich die Nachbarn stets im Blick haben. Es gab nur einen einzigen Kutschenstellplatz in der Straße, dieser war öffentlich, aber er gehörte ohne Zweifel den Knussels etwas mehr als jedem anderen aus der Straße. Und ein Kutschenstellplatz hielt sich nicht von alleine stetig besetzt. Dazu kam natürlich noch der übliche Haushalt, das machte Oliver nichts aus, er war nicht so engstirnig, wie sein Vater es war. Er half gerne im Haushalt. Vor allem beim Ausrichten der Gardinen und beim Rausbringen des Mülls. Aber Jenny verstand von all dem nichts. Eines Tages eskalierte die Sache schließlich. Oliver hatte gerade den Rasen geschnitten, als der Kutschenstellplatz frei wurde. Einer der Nachbarn hatte es irgendwie geschafft, ihn zu besetzen, doch irgendwann musste selbst dieser Nachbar sein Haus verlassen. Oliver warf die Sense zur Seite und sprang in seine Kutsche, die in seiner Einfahrt stand, als Jenny plötzlich um Hilfe schrie. Er ließ die Zügel los, rannte ins Haus und entdeckte Jenny kreidebleich im Bad, wo sie sich gerade die Haare bürstete und Spliss entdeckt hatte. Er erinnerte sich nicht mehr an viel, nur dass er mit dem Kopf schüttelte und als er wieder vor dem Haus stand, war der Kutschenstellplatz durch einen anderen Nachbarn belegt. An diesem Tag sah er Jenny zum letzten Mal in seinem Leben.

„Hast du heute schon am Fenster gestanden?“, erinnerte ihn Denise. Denise war die bessere Jenny, sie konnte nicht so gut die Haare bürsten und lackierte auch ihre Fußnägel nicht, aber sie erinnerte ihn stets an die Pflichten eines jeden Knussels im Hinblick auf eine funktionierende und gut strukturierte Nachbarschaft. Wie sehr er sie dafür liebte.

„Gleich“, sagte Oliver und trug gerade den Müll vor die Türe.

Denise nahm ihm die Beutel ab. „Ich glaube, Herr Untertasse kommt heute früher nach Hause, setz lieber die Kutsche schnell auf den Stellplatz, ehe er da ist.“

Oliver warf sich den Mantel über und rannte hinaus. Die Pferde wieherten, als er an den Zügeln zog und die Kutsche aus der Einfahrt setzte. Im letzten Moment sprang er vom Sitz, als Herr Untertasse mit der Kutsche nach Hause kam und laut fluchend neben ihm anhielt. „Verfluchte Knussels.“ Er war so stolz auf Denise und auch ein bisschen auf sich. „Das ist ein öffentlicher Stellplatz, verflixt nochmal.“

Oliver schwoll die Brust an. „Sie werden erst an dem Tag hier ihre Kutsche abstellen“, sagte er. „An dem Schweine fliegen lernen.“

Aus der Luft flog etwas Grunzendes heran und setzte sich neben Oliver auf den Rasen. „Oink, Oink?“, machte das Schwein mit den weißen Flügeln.

Herr Untertasse warf einen Blick auf das Schwein, dann sah er seinen Nachbarn an und schnaufte vor Wut.

„Denken sie nicht einmal daran“, wies er seinen Nachbarn zurecht. „Meine Kutsche bleibt, wo sie ist!“

„Oink?“

Jede magische Universität besaß ein Herzstück, einen Kern, der die Universität mit all ihrem Wissen und ihrem Glanz nach außen trug. Einen Ort, an dem jeder sein wollte, der einfach alles ermöglichte und alles repräsentierte. Zu dem man aufsah und von dem man so viel dachte, dass man gar nicht wusste, was man darüber dachte. Für die meisten Studenten war dieser Ort wohl die stattliche Bibliothek der magischen Universität, denn eine Universität ohne Bibliothek, war wie ein Buch ohne Seitenzahlen oder wie ein paniertes Schnitzel ohne Zitronenscheibe. Für Claudia war das Kernstück der Universität von Drako jedoch nicht die Sammlung der vielen Bücher, sondern eine ganz andere Einrichtung.

„Oh, et Clodia“, grüßte sie der Chefkoch bei ihrem Besuch in der Mensa. Der Goblin hob seine Kelle und wackelte damit eifrig hin und her, als er das Mädchen kommen sah. „Wie isset disch?“ Gubbo lächelte.

Sie mochte Gubbo. Er war ein großartiger Goblin, der immer lächelte, wenn sie ihn sah. Und er war immer nett und freundlich. Was jedoch das Kochen betraf, da waren die Meinungen sehr verschieden. Einig war man sich in der Tatsache, dass man nach dem Essen keinen Hunger mehr hatte. Viele waren der Meinung, Goblins seien kleine grüne Wesen, die alles und jeden mit ihrer Keule schlugen, aber Gubbo war nicht klein und er war auch nicht nur für seine Schnitzel berühmt. „Wie immer“, seufzte sie, was den Goblin anspornte, noch fester zu grinsen.

Gubbo schöpfte ihr zwei große Kellen Essbares auf den Teller. „Datt is Tintenfisch“, sagte er. „Is jesund.“ Tentakel schwammen in einer Art Brei herum.

„Danke“, sagte Claudia und lächelte schief.