Die Rothaarige - James Ellroy - E-Book

Die Rothaarige E-Book

James Ellroy

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Beschreibung

Ein ungelöster Mord wird zum tragischen Beginn eines Schriftstellerlebens Geneva "Jean" Ellroy wurde 1958 in einem schäbigen Vorort von L.A. vergewaltigt und ermordet. Der Täter wurde nie gefasst, die Ermittlungen eingestellt und der Fall als tragischer Ausgang einer durchzechten Nacht ad acta gelegt. James Ellroy war damals zehn Jahre alt. Der Mord an seiner Mutter wurde seine Obsession. In den kommenden Jahrzehnten hat er die verstörenden Erinnerungen abwechselnd verdrängt und im Schreiben heraufbeschworen. Erst 1994 stellt er sich dem Trauma seines Lebens. Zusammen mit dem pensionierten Detective Bill Stoner begibt Ellroy sich auf die Suche: nach seiner Mutter, ihrem Mörder – und seiner Erlösung. "Ellroy ist der wichtigste zeitgenössische Kriminalautor." Der Spiegel  "Eine erschütternde Autobiographie ... unverblümt, grausam und seltsam erregend." San Francisco Chronicle "Mit Sicherheit war das Verbrechen an meiner Mutter auch der Impuls, mich der Crime Fiction zu widmen." James Ellroy in Die Welt

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Der Autor James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

Das Buch

Ein ungelöster Mord wird zum tragischen Beginn eines Schriftstellerlebens

Geneva “Jean” Ellroy wurde 1958 in einem schäbigen Vorort von L.A. vergewaltigt und ermordet. Der Täter wurde nie gefasst, die Ermittlungen eingestellt und der Fall als tragischer Ausgang einer durchzechten Nacht ad acta gelegt. James Ellroy war damals zehn Jahre alt. Der Mord an seiner Mutter wurde seine Obsession. In den kommenden Jahrzehnten hat er die verstörenden Erinnerungen abwechselnd verdrängt und im Schreiben heraufbeschworen. Erst 1994 stellt er sich dem Trauma seines Lebens. Zusammen mit dem pensionierten Detective Bill Stoner begibt Ellroy sich auf die Suche: nach seiner Mutter, ihrem Mörder – und seiner Erlösung.

„Ellroy ist der wichtigste zeitgenössische Kriminalautor.“ Der Spiegel 

„Eine erschütternde Autobiographie ... unverblümt, grausam und seltsam erregend.“ San Francisco Chronicle

„Mit Sicherheit war das Verbrechen an meiner Mutter auch der Impuls, mich der Crime Fiction zu widmen.“ James Ellroy in Die Welt

James Ellroy

Die Rothaarige

Die Suche nach dem Mörder meiner Mutter

Ullstein

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Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »My Dark Places: An L.A. Crime Memoir« bei Alfred A. Knopf, New York. Neuausgabe zum 70. Geburtstag des Autors ISBN: 978-3-8437-1741-0   © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin © der deutschsprachigen Ausgabe 2002 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München © der deutschsprachigen Ausgabe 1997 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg © 1996 by James Ellroy Alle Rechte für die Übertragung ins Deutsche bei Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

Umschlaggestaltung: ZERO Media, München

Umschlagmotiv: © Los Angeles Times Photographic Archive, Library Special Collections, Charles E. Young Research Library, UCLA

Autorenfoto: É P. Matsas/Opale/Leemage/laif

Alle Rechte vorbehalten

Für Helen Knode

I DIE ROTHAARIGE

Ein billiger Samstagabend war dein Verhängnis. Du starbst einen dummen und brutalen Tod. Du warst nicht imstande, dein Leben zu lieben.

Deine Flucht in die Geborgenheit gewährte dir nur eine kurze Gnadenfrist. Du hast mich als Talisman in dein Versteck mitgenommen. Ich habe als Glücksbringer versagt – deshalb will ich jetzt dein Zeuge sein.

Dein Tod bestimmt mein Leben. Ich will die Liebe finden, die wir nie erlebten, und sie in deinem Namen erklären.

Ich will deine Geheimnisse öffentlich machen. Ich will die Kluft zwischen uns niederbrennen.

Ich will dir Luft zum Atmen geben.

1

Ein paar Kinder fanden sie.

Sie spielten in der Babe Ruth League und waren auf dem Weg zum Baseballtraining. Hinter ihnen gingen drei erwachsene Trainer.

Die Jungs entdeckten in dem Efeustreifen gleich neben dem Bordstein eine Gestalt. Die Männer sahen lose Perlen auf dem Pflaster. Ein kurzes telepathisches Zucken durchfuhr alle.

Clyde Warner und Dick Ginnold scheuchten die Kinder ein Stückchen beiseite – damit sie nicht so genau hinschauen konnten. Kendall Nungesser rannte über die Tyler und fand neben dem Milchstand ein Münztelefon.

Er rief das Büro des Sheriffs in Temple City an und erklärte dem diensthabenden Sergeant, er habe eine Leiche entdeckt. Sie liege direkt an der Straße am Sportplatz bei der Arroyo High School. Der Sergeant sagte: Bleiben Sie da, und fassen Sie nichts an.

Ein Funkspruch ging raus: 10:10, Sonntag, 22.6.58. Leiche Ecke King’s Row/Tyler Avenue, El Monte.

Ein Streifenwagen des Sheriffs war in weniger als fünf Minuten dort. Ein paar Sekunden später kam eine Einheit des El Monte Police Department.

Deputy Vic Cavallero schirmte die Trainer und die Kinder ab. Officer Dave Wire sah sich die Leiche an.

Es war eine weibliche weiße Person. Sie hatte helle Haut und rote Haare. Sie war ungefähr 40 Jahre alt. Sie lag flach auf dem Rücken – auf einer efeubewachsenen Stelle ein paar Zentimeter vom Bordstein der King’s Row entfernt.

Ihr rechter Arm war nach oben gebogen. Ihre rechte Hand ruhte ein paar Zentimeter über ihrem Kopf. Ihr linker Arm war im Ellenbogen gebeugt und lag über ihrer Taille. Ihre linke Hand war zur Faust geballt. Ihre Beine waren ausgestreckt.

Sie trug ein rundausgeschnittenes, ärmelloses Kleid in Hell- und Dunkelblau. Ein dunkelblauer Mantel mit dazu passendem Futter war über ihren Unterleib drapiert.

Man konnte ihre Füße und Knöchel sehen. Ihr rechter Fuß war nackt. Ein Nylonstrumpf war bis zu ihrem linken Knöchel hinabgerutscht.

Ihr Kleid war verrutscht. Ihre Arme waren von Insektenstichen übersät. Sie hatte blaue Flecken im Gesicht, und ihre Zunge quoll hervor. Ihr Büstenhalter war offen und über ihre Brüste hochgerutscht. Ein Nylonstrumpf und eine Baumwollschnur lagen um ihren Hals. Beide Schlingen waren fest verknotet.

Dave Wire sandte einen Funkspruch an die Einsatzleitung in El Monte. Vic Cavallero rief das Büro in Temple an. Die bei einem Leichenfund zuständigen Stellen wurden alarmiert.

Der Gerichtsmediziner von L. A. County. Das kriminaltechnische Labor des Sheriffs und der Polizeifotograf. Ein Team der Mordkommission des Sheriffs wurde angefordert.

Cavallero blieb bei der Leiche. Dave Wire lief zum Milchstand hinüber und organisierte ein Stück Schnur. Cavallero half ihm, den Tatort damit abzustecken.

Sie erörterten die merkwürdige Stellung der Leiche. Es sah willkürlich und beabsichtigt zugleich aus.

Schaulustige sammelten sich. Cavallero drängte sie auf den Gehsteig der Tyler Avenue zurück. Wire entdeckte ein paar Perlen auf der Straße und umkreiste jede einzelne mit Kreide.

Polizeiwagen hielten vor dem Absperrband. Cops in Uniform und Zivilbeamte duckten sich unter dem Seil hindurch.

Vom El Monte PD: Chief Orval Davis, Captain Jim Bruton, Sergeant Virg Ervin. Captain Dick Brooks, Lieutenant Don Mead und Sergeant Don Clapp vom Büro des Sheriffs in Temple. Die Temple-Deputies riefen die Leute und bloß neugierige Cops auf, Abstand zu halten.

Dave Wire vermaß die genaue Position der Leiche: 19 Meter westlich der ersten geschlossenen Schranke zum Schulgelände/60 Zentimeter südlich des Bordsteins der King’s Row. Der Polizeifotograf erschien und fotografierte die King’s Row und den Sportplatz der Arroyo High.

Es war Mittag – und schon fast 32 Grad.

Der Polizeifotograf nahm die Leiche von oben und von der Seite auf. Vic Cavallero versicherte ihm, dass die Leute, die sie gefunden hatten, nichts angefasst hätten. Sergeant Ward Hallinen und Sergeant Jack Lawton erschienen und gingen direkt zu Chief Davis. Davis übergab ihnen den Fall – gemäß dem Abkommen, nach dem alle Mordfälle in El Monte in den Zuständigkeitsbereich der Mordkommission des Sheriffs von L. A. fielen.

Hallinen ging zu der Leiche hinüber. Lawton zeichnete eine Skizze der Umgebung in sein Notizbuch.

Die Tyler Avenue verlief von Norden nach Süden. Sie wurde am südlichen Rand des Schulgeländes von der King’s Row gekreuzt. Die King’s Row führte etwa 160 Meter in Richtung Osten. Sie endete an der Cedar Avenue – dem Ostrand des Schulgeländes. Sie war kaum mehr als ein asphaltierter Zufahrtsweg.

An der Einmündung zur Cedar Avenue befand sich eine Schranke. Davor sperrte eine weitere Schranke ein paar Bungalows in der Nähe der Arroyo-High-Hauptgebäude ab. In die King’s Row kam man nur über die Tyler Avenue.

Die King’s Row war 4,5 Meter breit. An ihrem nördlichen Rand erstreckte sich der Sportplatz. Hinter dem südlichen Bordstein und einem 90 Zentimeter breiten Efeustreifen führte ein von Strauchwerk überwachsener Maschendrahtzaun entlang.

Die Leiche lag 69 Meter östlich der Kreuzung Tyler/King’s Row.

Der linke Fuß des Opfers war fünf Zentimeter vom Rinnstein entfernt. Das Gewicht der Leiche hatte den Efeu um sie herum plattgedrückt.

Lawton und Hallinen betrachteten die Leiche. Die Leichenstarre setzte langsam ein – die geballte Faust des Opfers war bereits steif. Hallinen bemerkte einen Ring mit einer künstlichen Perle an ihrem Mittelfinger. Lawton meinte, er könne vielleicht bei der Identifizierung hilfreich sein.

Ihr Gesicht war bläulich angelaufen. Sie sah aus wie der klassische Fall einer nachts entsorgten Leiche.

Vic Cavallero schickte die Trainer und die Baseball-Kids nach Hause. Dave Wire und Virg Ervin mischten sich unter die Zivilisten. Sergeant Harry Andre erschien – er gehörte zur Mordkommission des Sheriffs und war außer Dienst, wollte sich aber unbedingt nützlich machen.

Die Presse tauchte auf. Ein paar Deputies aus Temple kamen angefahren, um sich den Fall anzusehen. Das halbe 26-köpfige El Monte PD schaute vorbei – weiße Frauenleichen waren eine ziemliche Attraktion.

Der Gerichtsmediziner erschien. Der Polizeifotograf gab das Opfer zur Untersuchung frei.

Hallinen und Lawton drängelten sich nach vorn, um zuzuschauen. Der Gerichtsmediziner hob den Mantel vom Unterleib des Opfers. Die Frau trug weder Unterrock noch Hüfthalter oder Slip. Ihr Kleid war bis über die Hüften hochgeschoben. Kein Slip, keine Schuhe. Der eine Strumpf um ihren linken Knöchel. Blaue Flecken und Kratzer auf der Innenseite der Oberschenkel. Eine Schürfwunde an der linken Hüfte, mit der sie offenbar über den Asphalt geschleift worden war.

Der Gerichtsmediziner drehte die Leiche um. Der Polizeifotograf fotografierte das Opfer mehrfach von hinten. Der Rücken des Opfers war nass vom Tau und zeigte erste Totenflecken.

Der Gerichtsmediziner sagte, sie sei vermutlich seit acht bis zwölf Stunden tot. Sie war vor Sonnenaufgang hier deponiert worden – dafür war der Tau auf ihrem Rücken ein klares Indiz.

Der Polizeifotograf machte weitere Fotos. Der Gerichtsmediziner und sein Assistent hoben die Leiche hoch. Sie war schlaff – die Leichenstarre war noch nicht vollständig. Sie trugen das Opfer zu ihrem Wagen und legten es auf eine Bahre.

Hallinen und Lawton durchsuchten den Efeustreifen und den angrenzenden Straßenrand.

Auf der Straße fanden sie eine zerbrochene Autoantenne. Im plattgedrückten Efeu fanden sie bei der Stelle, wo die Leiche gelegen hatte, eine zerrissene Perlenkette. Sie lasen die mit Kreide markierten Perlen auf und fädelten sie auf. Es fehlte keine.

Der Verschluss war intakt.

Die Kette war in der Mitte gerissen. Sie tüteten beide Teile der Kette als Beweisstücke ein.

Den Slip, die Schuhe und die Handtasche des Opfers fanden sie nicht. Sie fanden keine Reifenabdrücke im Rollsplitt am Straßenrand. Auf keinem Belag an der King’s Row gab es irgendwelche Schleifspuren. Der Efeu am Fundort der Leiche sah nicht niedergetrampelt aus.

Es war 13:20. Die Temperatur lag bei 35 Grad.

Der Gerichtsmediziner entnahm Proben von Kopf- und Schamhaar des Opfers. Er schnitt ihm die Fingernägel und steckte die Abschnitte in einen kleinen Umschlag.

Er ließ die Leiche entkleiden und mit dem Gesicht nach oben auf seine Bahre legen.

Auf der rechten Handfläche des Opfers klebte eine kleine Menge getrockneten Bluts. Etwa in der Mitte der Stirn des Opfers befand sich eine kleine Kratzwunde.

Die rechte Brustwarze des Opfers fehlte. Der Warzenhof ringsum bestand aus streifigem weißen Narbengewebe. Es sah nach einer alten chirurgischen Amputation aus.

Hallinen nahm dem Opfer den Ring ab. Der Gerichtsmediziner maß die Körpergröße. Er kam auf 168 Zentimeter und schätzte das Gewicht auf 61 Kilo. Lawton ging, um die Daten der Einsatzleitung im Präsidium zu melden und beim Sheriff anzufragen, ob eine entsprechende Vermisstenmeldung vorläge.

Der Gerichtsmediziner nahm ein Skalpell und trennte mit einem tiefen, 15 Zentimeter langen Schmitt den Unterleib des Opfers auf. Er teilte die beiden Fleischlappen mit den Fingern, stieß ein Fleischthermometer in die Leber und maß 32 Grad. Er bestimmte die Todeszeit auf 3:00 bis 5:00 morgens.

Hallinen untersuchte die Schlingen. Der Strumpf und die Baumwollschnur waren separat um den Hals des Opfers geschlungen. Die Schnur sah aus wie eine Wäscheleine oder die Zugleine einer Jalousie.

Sie war im Nacken des Opfers verknotet. Der Mörder hatte so fest zugezogen, dass sie gerissen war – das ausgefranste Ende und die ungleiche Länge der Schnürenden waren dafür ein klares Indiz. Der Strumpf um den Hals des Opfers passte zu dem um ihren linken Knöchel.

Der Gerichtsmediziner verschloss seinen Wagen und fuhr die Leiche ins Leichenschauhaus von L. A. County. Jack Lawton gab über Polizeifunk folgende Meldung durch:

An alle Einheiten im San Gabriel Valley: Achten Sie auf verdächtige männliche Personen mit frischen Schnitt- und Kratzwunden.

Ward Hallinen rief ein paar Reporter von lokalen Radiosendern zusammen.

Er wies sie an, folgende Meldung zu verbreiten:

Weiße Frau tot aufgefunden. Vierzig/rotes Haar/braune Augen/1,68/61. Sachdienliche Hinweise nehmen das El Monte Police Department sowie das Büro des Sheriffs in Temple City entgegen – –

Chief Davis und Captain Bruton fuhren zum Polizeipräsidium in El Monte. Drei hochrangige Beamte der Mordkommission des Sheriffs kamen hinzu: Inspector R. J. Parsonson, Captain Al Etzel, Lieutenant Charles McGowan.

Sie hielten eine Lagebesprechung ab. Bruton rief die Police Departments Baldwin Park, Pasadena, das Sheriffbüro in San Dimas und die Police Departments Covina und West Covina an. Er gab die Beschreibung des Opfers durch und erhielt überall die gleiche Antwort: Trifft auf keine der weiblichen Personen zu, die in letzter Zeit bei uns als vermisst gemeldet wurden.

Uniformierte Deputies und Cops aus El Monte durchkämmten das Gelände der Arroyo High. Hallinen, Lawton und Andre befragten die unmittelbare Nachbarschaft.

Sie sprachen mit Spaziergängern und Leuten, die sich in ihrem Garten sonnten. Sie sprachen mit etlichen Kunden am Milchstand. Sie beschrieben ihr Opfer und bekamen durch die Bank weg die Antwort: Keine Ahnung, wer das sein soll.

Das Viertel war eine etwas ländliche Wohngegend – kleine Häuser, dazwischen freie Grundstücke und unerschlossene landwirtschaftliche Flächen. Hallinen, Lawton und Andre fanden es aussichtslos, hier noch länger Leute zu befragen.

Sie fuhren in Richtung Süden zu den Hauptdurchgangsstraßen von El Monte: Ramona, Garvey, Valley Boulevard. Dort klapperten sie eine Reihe von Cafés und ein paar Cocktailbars ab. Sie beschrieben die Rothaarige und bekamen lauter abschlägige Antworten.

Die ersten Befragungen hatten zu keinem Ergebnis geführt.

Das Durchkämmen des Geländes hatte zu keinem Ergebnis geführt.

Keine Streife hatte eine verdächtige männliche Person mit Schnitt- und Kratzwunden gemeldet.

Beim El Monte PD ging ein Anruf ein. Die Anruferin sagte, sie habe gerade die Durchsage im Radio gehört. Die Beschreibung der Frau, die bei der Schule gefunden worden war, höre sich ganz nach ihrer Mieterin an.

Die Zentrale funkte an Virg Ervin: Die Frau wohnt in der Bryant Road 700. Fahren Sie hin.

Die Adresse lag in El Monte – etwa eine Meile südöstlich der Arroyo High School. Ervin fuhr hin und klopfte an die Tür.

Eine Frau machte auf. Sie wies sich als Anna May Krycki aus und erklärte, die Beschreibung der toten Frau passe auf ihre Mieterin, Jean Ellroy. Jean hatte ihr Häuschen auf dem Grundstück der Kryckis am vorigen Abend um circa 20:00 verlassen. Sie war die ganze Nacht weggeblieben – und immer noch nicht wieder da. Ervin beschrieb den Mantel und das Kleid der Frau. Anna May Krycki sagte, das könnten die Sachen sein, die Jean am liebsten trug. Ervin beschrieb die Narbe an der rechten Brustwarze des Opfers. Anna May Krycki sagte, Jean habe ihr diese Narbe gezeigt.

Ervin ging zurück zu seinem Wagen und gab die Informationen an die Funkzentrale in El Monte durch. Die Einsatzleitung schickte einen Streifenwagen auf die Suche nach Jack Lawton und Ward Hallinen.

Der Wagen fand die beiden innerhalb von zehn Minuten. Sie fuhren direkt zu den Kryckis.

Hallinen zog ohne Umschweife den Ring des Opfers hervor. Anna May Krycki identifizierte ihn als Jean Ellroys.

Lawton und Hallinen gaben ihr einen Stuhl und verhörten sie. Anna May Krycki sagte, sie sei verheiratet. Der Name ihres Mannes sei George, und sie habe einen zwölfjährigen Sohn namens Gaylord aus einer früheren Ehe. Jean Ellroy nannte sich zwar noch Ms Jean Ellroy, doch sie war seit mehreren Jahren von ihrem Mann geschieden. Jeans vollständiger Vorname war Geneva. Ihr zweiter Vorname war Odelia und ihr Mädchenname Hilliker. Jean war staatlich geprüfte Krankenschwester. Sie arbeitete in einer Fabrik für Flugzeugteile in der Innenstadt von L. A. Sie wohnte mit ihrem 10-jährigen Sohn in dem kleinen steinernen Bungalow hinter dem Haus der Kryckis. Jean fuhr einen rot-weißen ’57er Buick. Ihr Sohn war übers Wochenende bei seinem Vater in L. A. und müsste in ein paar Stunden zurück sein.

Mrs Krycki zeigte ihnen ein Foto von Jean Ellroy. Das Gesicht war das ihres Opfers.

Mrs Krycki erklärte, sie habe gesehen, wie Jean am vorigen Abend gegen 20:00 ihren Bungalow verließ. Sie war allein. Sie fuhr mit ihrem Wagen fort und kam nicht zurück. Ihr Wagen stand weder in der Auffahrt noch in ihrer Garage.

Mrs Krycki sagte aus, das Opfer hätte vor vier Monaten mit dem Sohn den Bungalow bezogen. Sie erklärte, der Junge verbringe die Wochentage bei seiner Mutter und die Wochenenden bei seinem Vater. Jean stammte aus einer Kleinstadt in Wisconsin. Sie war eine stille Frau, die hart arbeitete und zurückgezogen lebte. Sie war 37 Jahre alt.

Der Vater hatte den Jungen gestern Morgen per Taxi abgeholt. Sie hatte Jean gestern Nachmittag bei der Gartenarbeit gesehen. Die beiden hatten kurz miteinander gesprochen, doch Jean hatte nicht gesagt, was sie am Samstagabend vorhatte.

Virg Ervin lenkte das Gespräch auf den Wagen des Opfers. Bei welcher Werkstatt ließ Jean ihn warten?

Mrs Krycki empfahl ihm, es bei der Union-76-Tankstelle im Ort zu versuchen. Ervin besorgte sich die Nummer bei der Auskunft, rief die Tankstelle an und sprach mit dem Besitzer. Der Mann sah in seinen Unterlagen nach und nannte ihm ein Kfz-Kennzeichen: California/KFE 778.

Ervin gab das Kennzeichen der Funkzentrale des El Monte PDs durch. Diese übermittelte es an alle Einheiten des Sheriffs und der örtlichen Polizeireviere.

Das Verhör wurde fortgesetzt. Hallinen und Lawton interessierten sich besonders für einen Punkt: das Verhältnis des Opfers zu Männern.

Mrs Krycki sagte, Jean habe nur wenig Umgang mit anderen Menschen gehabt. Offenbar hatte sie keine Liebhaber. Manchmal ging sie allein aus – kam aber meistens früh wieder nach Haus. Sie trank kaum Alkohol. Sie hatte oft gesagt, sie wolle ihrem Sohn ein Vorbild sein.

George Krycki kam herein. Hallinen und Lawton fragten ihn, was er Samstagabend gemacht habe. Er erklärte, Anna May sei gegen 21:00 ins Kino gegangen. Er sei zu Hause geblieben und habe sich einen Boxkampf im Fernsehen angesehen. Er habe Jean zwischen 20:00 und 20:30 wegfahren sehen und weder gehört noch gesehen, dass sie wieder nach Hause gekommen wäre.

Ervin bat die Kryckis, ihn ins Leichenschauhaus von L. A. County zu begleiten. Sie mussten die Leiche identifizieren.

Hallinen rief im Labor des Sheriffs an und bestellte einen Deputy von der Spurensicherung zur Bryant 700, El Monte – das kleine Haus hinter dem größeren Haus.

Virg Ervin fuhr die Kryckis zur L. A. Hall of Justice – zwölf Meilen den San Bernardino Freeway rauf. Die gerichtsmedizinische Abteilung und die Leichenhalle lagen im Keller unter dem Büro der Mordkommission des Sheriffs.

Die Leiche lag aufgebahrt in einer Kühlkammer. Die Kryckis sahen sie sich getrennt an. Sie identifizierten sie beide als Jean Ellroy. Ervin ließ die Kryckis eine formelle Erklärung unterschreiben und fuhr sie zurück nach El Monte.

Der Deputy von der Spurensicherung traf Hallinen und Lawton vor dem Bungalow der Ellroys. Es war 16:30 und immer noch heiß und stickig.

Der Bungalow war klein und aus rotbraunem Holz und Naturstein erbaut. Er stand hinter dem Haus der Kryckis, ganz am Ende des gemeinsamen Gartens. Im Garten wuchsen schattige Palmen und große Bananenpflanzen. Den Mittelpunkt bildete ein Teich aus aufeinander gemauerten Felsbrocken. Die Häuser lagen an der südöstlichen Ecke der Kreuzung Maple/Bryant. Jean Ellroys Haus hatte eine Maple-Avenue-Adresse.

Von ihrer Haustür aus schaute man auf den Teich und die Hintertür der Kryckis. Sie bestand aus schräggestellten Glaslamellen und einem hölzernen Rahmen. In der Nähe des Schlüssellochs fehlte eine Lamelle. Die Tür ließ sich weder von innen noch von außen abschließen.

Hallinen, Lawton und der Deputy von der Spurensicherung betraten das Haus. Drinnen war es sehr eng: zwei winzige Schlafzimmer, die von einem schmalen Wohnzimmer abgingen; eine Stehküche, eine Essecke und ein Badezimmer.

Alles war gepflegt und aufgeräumt. Nichts sah durchwühlt aus. Die Betten des Opfers und des Sohnes waren unbenutzt.

In der Küche fanden sie ein halbvolles Glas Wein. Sie durchsuchten die Schubladen im Schlafzimmer des Opfers und fanden ein paar persönliche Unterlagen. Daraus ging hervor, dass das Opfer bei Airtek Dynamics gearbeitet hatte – South Figueroa 2222, L. A.

Es stellte sich heraus, dass der Ex-Mann des Opfers Armand Ellroy hieß. Seine Adresse lautete Beverly Boulevard 4980, L. A. Seine Telefonnummer war Hollywood 3–8700.

Sie stellten fest, dass das Opfer selbst kein Telefon hatte.

Der Deputy von der Spurensicherung bestäubte das Weinglas und einige andere glatte Oberflächen. Es waren keine brauchbaren Fingerabdrücke zu finden.

Hallinen ging zu den Kryckis hinüber und wählte die Nummer des Exgatten. Er ließ es lange klingeln, doch niemand hob ab. Virg Ervin kam herein. Er sagte, Dave Wire habe den Wagen des Opfers gefunden – hinter einer Bar am Valley Boulevard.

Die Bar hieß Desert Inn. Die Adresse war Valley Boulevard 11721, zwei Meilen vom Fundort der Leiche und eine Meile vom Haus des Opfers entfernt. Es war ein eingeschossiger Flachdachbau mit einem roten Lehmziegeldach und Markisen an den Vorderfenstern.

Das Gelände hinterm Haus grenzte an eine Reihe billiger Steinbungalows. Ein mit Platanen bewachsener Grasstreifen trennte vier Reihen von Parkplätzen. Seitlich begrenzten niedrige Ketten das Grundstück.

Ein rot-weißer Buick parkte vor dem Zaun auf der Westseite. Dave Wire stand daneben. Jim Bruton und Harry Andre warteten bei einer Streife des Sheriffs.

Al Etzel war da. Blackie McGowan war da.

Hallinen und Lawton bogen auf den Parkplatz ein. Virg Ervin und der Deputy von der Spurenermittlung kamen in getrennten Autos.

Dave Wire ging hinüber und erstattete Bericht. Er hatte den Funkspruch mit dem Kfz-Kennzeichen empfangen und begonnen, Nebenstraßen und Parkplätze abzusuchen.

Um 15:35 hatte er den Wagen des Opfers gefunden. Er war unverschlossen und offenbar nicht ausgeplündert. Er hatte Vorder- und Rücksitze untersucht und weder Autoschlüssel noch Handtasche, Unterwäsche oder Schuhe des Opfers gefunden. Stattdessen war er auf ein halbes Dutzend leerer Bierdosen gestoßen. Sie waren in braunes Papier eingewickelt und mit Bindfaden verschnürt.

Hallinen und Lawton untersuchten den Wagen. Er schien völlig unangetastet. Der Deputy von der Spurensicherung fotografierte ihn von innen und von außen und bestäubte die Türen und das Armaturenbrett. Er fand keine brauchbaren Fingerabdrücke.

Ein Deputy aus Temple erschien. Er beschlagnahmte den Buick und stellte ihn bei einem Ford-Händler in der Nähe unter.

Ein paar Zivilisten hingen auf dem Grasstreifen herum. Wire zeigte seinen Kollegen Roy Dunn und Al Manganiello – zwei Barkeeper aus dem Desert Inn.

Andre und Hallinen sprachen mit ihnen. Dunn sagte, er habe letzte Nacht gearbeitet; Manganiello erklärte, er arbeite nur tagsüber.

Hallinen zeigte ihnen Mrs Kryckis Schnappschuss von dem Opfer. Beide Männer erklärten, diese Frau hätten sie noch nie gesehen.

Auch den rot-weißen Buick hatten sie noch nie gesehen. Dunn hatte letzte Nacht Schicht – aber er meinte, er habe hinter dem Tresen zu tun gehabt und nicht sehen können, wer kam oder ging. Beide waren der Ansicht, der Buick habe den ganzen Tag auf dem Parkplatz gestanden – vielleicht sogar über Nacht.

Andre fragte sie, wer letzte Nacht sonst noch gearbeitet habe. Dunn verwies ihn an Ellis Outlaw, den Geschäftsführer.

Hallinen und Andre gingen nach drinnen, Captain Etzel und Lieutenant McGowan im Schlepptau.

Das Desert Inn war schmal und L-förmig. Kunstlederbezogene Sitzgruppen säumten die Wände. Von der Bar aus blickte man auf drei Tischreihen und die Eingangstür; der Tresen und die Küche befanden sich direkt hinter der Bar. Eine Tanzfläche und eine erhöhte Bühne bildeten den kurzen Abschnitt des L.

Andre und Hallinen schnappten sich Ellis Outlaw und zeigten ihm das Foto des Opfers. Outlaw sagte, weder die Frau noch den ’57er Buick hinter dem Haus habe er je zuvor gesehen. Er hatte zwar am vorigen Abend nicht selbst gearbeitet, wusste aber, wer Schicht hatte.

Er nannte ein paar Namen:

Seine Frau, Alberta »Bert« Outlaw. Seine Schwester, Myrtle Mawby. Beide seien momentan bei ihm zu Hause in den Royal Palms Apartments – West Mildred Avenue 321, West Covina. Außerdem sollten sie es bei Margie Trawick versuchen – Gilbert 8–1136. Sie kellnere hin und wieder im Desert Inn – und er habe gehört, dass sie vorige Nacht dort gewesen sei.

Hallinen notierte die Adressen und folgte den anderen Cops nach draußen. Der Parkplatz war voller Leute vom Polizeirevier El Monte, die scharf auf Neuigkeiten waren. Eine zweite Gruppe überwachte das Haus an der Ecke Bryant und Maple – gemeinsam wartete man darauf, dass der Ex-Mann und das Kind des Opfers auftauchten.

Es war 18:30, und es kühlte sich ein wenig ab. Es war ein langer Frühsommertag und noch lange nicht dunkel.

Mehrere Funkgeräte krächzten auf einmal los.

Das Kind und der Ex waren zurück. In getrennten Wagen wurden sie zum Polizeirevier El Monte gebracht.

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Der Ex-Mann des Opfers wurde in einer Woche 60. Er war groß und athletisch gebaut. Er wirkte beherrscht.

Der Sohn des Opfers war etwas dicklich und für einen 10-Jährigen relativ groß. Er war nervös – machte jedoch keinen sonderlich mitgenommenen Eindruck.

Der Junge war allein in einem Taxi nach Hause gekommen. Er war vom Tod seiner Mutter unterrichtet worden und hatte die Nachricht ruhig aufgenommen. Er sagte einem Deputy, sein Vater befinde sich am Busbahnhof von El Monte – dort wartete er auf einen Freeway Flyer, der ihn zurück nach L. A. bringen sollte. Ein Streifenwagen wurde losgeschickt, Armand Ellroy abzuholen. Vater und Sohn hatten keinen Kontakt miteinander gehabt, seit sie sich am Busbahnhof voneinander verabschiedet hatten. Jetzt wurden sie in getrennten Räumen untergebracht.

Hallinen und Lawton befragten zuerst den Ex-Mann. Ellroy sagte aus, er sei seit 1954 von dem Opfer geschieden und nehme dieses Wochenende sein Besuchsrecht in Anspruch. Er habe den Jungen am Samstag um 10:00 per Taxi abgeholt und seine Ex-Frau nicht gesehen. Er und sein Sohn hätten einen Bus zu seinem Apartment in Los Angeles genommen. Sie hätten zu Mittag gegessen und sich im Fox-Wilshire Theatre einen Film namens The Vikings angesehen. Die Vorstellung endete um 16:30. Dann hätten sie eingekauft und seien nach Haus zurückgekehrt. Sie hätten zu Abend gegessen, ferngesehen und seien zwischen 22:00 und 23:00 ins Bett gegangen.

Am Morgen hätten sie lange geschlafen. Sie seien mit dem Bus in die Innenstadt gefahren und hätten in Clifton’s Cafeteria zu Mittag gegessen. Sie hätten einen mehrstündigen Schaufensterbummel gemacht und dann einen Bus zurück nach El Monte genommen. Er habe seinen Sohn am Busbahnhof im ein Taxi gesetzt und dann auf einen Bus nach L. A. gewartet. Ein Cop sei auf ihn zugekommen und habe ihn darüber informiert, was vorgefallen war. Hallinen und Lawton fragten Ellroy, wie er sich mit seiner Ex verstanden habe. Er erzählte ihnen, sie hätten sich ’39 kennengelernt und ’40 geheiratet. ’54 seien sie geschieden worden – sie seien nicht mehr miteinander ausgekommen und hätten sich am Ende gehasst. Die Scheidungsprozedur sei schmerzhaft und unversöhnlich gewesen.

Hallinen und Lawton befragten Ellroy nach dem Privatleben seiner Ex-Frau. Er erklärte, Jean sei eine in sich gekehrte Frau gewesen, die vieles für sich behielt. Wenn es ihr in den Kram passte, habe sie auch einfach gelogen – in Wirklichkeit sei sie 43, nicht 37, wie sie behauptet hatte. Sie habe ständig die Liebhaber gewechselt und sei Alkoholikerin gewesen. Sein Sohn habe sie mehrmals mit fremden Männern im Bett überrascht. Ihren Umzug nach El Monte könne er sich nur so erklären, dass sie etwas mit irgendeinem zwielichtigen Typen hatte, vor dem sie weglaufen oder in dessen Nähe sie sein wollte. Jean habe sich über ihr Privatleben ausgeschwiegen, weil sie gewusst habe, dass er das Sorgerecht für seinen Sohn wollte und deshalb Beweise dafür suchte, dass sie eine schlechte Mutter war.

Hallinen und Lawton baten Ellroy, ihnen die Namen von Liebhabern seiner Ex-Frau zu nennen. Er erklärte, er wisse nur einen: Hank Hart, einen fetten Proleten, dem ein Daumen fehle.

Hallinen und Lawton dankten Ellroy für seine Hilfe und gingen zu einem Verhörzimmer ein Stück weiter den Flur hinunter. Ein paar Cops, die gerade keinen Dienst hatten, leisteten dem Kind des Opfers Gesellschaft.

Der Junge hielt sich prima. Er war die ganze Zeit über wirklich sehr tapfer.

Hallinen und Lawton gingen sanft mit ihm um. Der Junge bestätigte die Aussage seines Vaters hinsichtlich des Wochenendes bis ins kleinste Detail. Er sagte, er kenne nur zwei der Männer, mit denen seine Mom ausgegangen war, namentlich: Hank Hart und einen Lehrer an seiner Schule namens Peter Tubiolo.

Es war 21:00. Ward Hallinen schenkte dem Jungen einen Schokoriegel und ging mit ihm über den Flur zu seinem Vater.

Armand Ellroy umarmte seinen Sohn. Das Kind erwiderte die Umarmung. Beide sahen erleichtert und seltsam glücklich aus. Der Junge wurde in die Obhut Armand Ellroys übergeben. Ein Cop fuhr beide zum Busbahnhof. Sie nahmen den Freeway Flyer um 21:30 zurück nach L. A.

Virg Ervin fuhr Hallinen und Lawton zu den Royal Palms Apartments. Sie zeigten Bert Outlaw und Myrtle Mawby das Foto und stellten ihnen die üblichen Fragen.

Beide Frauen erkannten das Bild. Beide Frauen sagten aus, das Opfer sei zwar kein Stammgast im Desert Inn gewesen, aber am vorigen Abend hätten sie die Frau dort gesehen. Sie habe bei einem zierlich gebauten Mann mit glattem schwarzem Haar und schmalem Gesicht gesessen. Die beiden seien die letzten Gäste gewesen und erst um 2:00 gegangen, als das Lokal schloss.

Beide Frauen sagten aus, sie hätten den zierlich gebauten Mann nie zuvor gesehen.

Myrtle Mawby riet ihnen, Margie Trawick anzurufen. Sie habe gestern am frühen Abend in der Nähe der Bar gesessen und könne ihnen vielleicht weiterhelfen.

Jack Lawton wählte die Nummer, die Ellis Outlaw ihnen gegeben hatte. Margie Trawick nahm ab.

Lawton stellte ihr ein paar einleitende Fragen. Margie Trawick erwies sich als Volltreffer – sie hatte letzte Nacht tatsächlich eine attraktive Rothaarige bei einer Gruppe von Leuten sitzen sehen. Lawton forderte sie auf, sich in einer halben Stunde auf der Polizeiwache El Monte mit ihm zu treffen.

Ervin fuhr Lawton und Hallinen zurück zur Wache.

Margie Trawick wartete bereits. Sie wirkte aufgeregt und sehr hilfsbereit.

Hallinen zeigte ihr das Foto von Jean Ellroy. Ohne zu zögern identifizierte sie sie.

Ervin fuhr ins Desert Inn – um das Foto herumzuzeigen. Hallinen und Lawton sorgten dafür, dass Margie Trawick sich wohl fühlte, und ließen sie erzählen, ohne sie zu unterbrechen.

Sie sagte, sie sei nicht im Desert Inn angestellt – aber sie habe dort in den letzten neun Jahren sporadisch gekellnert. Sie habe sich kürzlich einer schweren Operation unterziehen müssen und genieße es nun, das Lokal nur zum Vergnügen zu besuchen.

Gestern Abend sei sie etwa um 22:10 dort eingetroffen. Sie habe sich an einen Tisch in der Nähe der Bar gesetzt und ein paar Gläser getrunken. Die Rothaarige sei etwa um 22:45 oder 23:00 zur Tür hereingekommen. Sie war in Begleitung einer vollschlanken Frau mit aschblondem Pferdeschwanz. Die Blonde war um die 40, die Rothaarige ebenfalls.

Die Rothaarige und die Blonde setzten sich an einen Tisch. Sofort ging ein mexikanisch aussehender Mann hinüber und half der Rothaarigen aus dem Mantel. Sie gingen auf die Tanzfläche und begannen zu tanzen.

Der Mann war zwischen 35 und 40, 1,70 bis 1,80 groß. Er war schlank gebaut, trug sein schwarzes Haar zurückgekämmt und hatte Geheimratsecken. Er war dunkelhäutig. Er trug einen dunklen Anzug und ein am Hals offenes weißes Hemd. Der Mann schien die beiden Frauen zu kennen.

Ein anderer Mann forderte Margie zum Tanzen auf. Er war etwa 25, mittelgroß und -schwer und hatte helle Haare. Er trug saloppe Kleidung und Tennisschuhe. Er war betrunken.

Margie lehnte seine Einladung ab. Der Betrunkene fing an zu pöbeln und zog ab. Kurze Zeit später sah sie ihn mit der Aschblonden tanzen.

Dann sei sie von anderen Dingen abgelenkt worden. Sie traf einen Freund und entschloss sich, ein wenig mit ihm umherzufahren. Um 22:30 verließen sie die Bar. Da habe der Betrunkene bei der Rothaarigen, der Blonden und dem Mexikaner gesessen.

Sie habe weder die Rothaarige noch die Blonde je zuvor gesehen. Auch den Mexikaner habe sie nie zuvor gesehen. Möglicherweise habe sie den Betrunkenen schon mal gesehen – er kam ihr irgendwie bekannt vor.

Lawton und Hallinen bedankten sich bei Margie Trawick und fuhren sie nach Hause. Sie erklärte sich bereit, irgendwann in den nächsten Tagen zu einem zweiten Verhör vorbeizukommen. Es war kurz vor Mitternacht – eine gute Zeit, um die Bar-Kundschaft unter die Lupe zu nehmen. Sie fuhren wieder zurück zum Desert Inn. Jim Bruton war bereits dort und stellte den Gästen Fragen. Lawton und Hallinen nahmen ihn zur Seite und erzählten ihm Margie Trawicks Geschichte.

Mit dem, was sie nun wussten, ließ sich schon besser arbeiten. Sie gingen von Tisch zu Tisch und erzählten die Geschichte herum. Sofort landeten sie einen Treffer.

Jemand meinte, bei dem Betrunkenen könne es sich um einen komischen Kauz namens Mike Whittaker handeln. Er arbeite auf dem Bau und habe ein Zimmer in South San Gabriel.

Bruton ging nach draußen zu seinem Wagen und funkte eine Anfrage an das California State Department of Motor Vehicles.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Michael John Whittaker, weiß, männlich, geb: 1.1.34. 1,78 m, 84 Kilo, braunes Haar, blaue Augen. 2759 South Gladys Street, South San Gabriel.

Die Adresse gehörte zu einer heruntergekommenen Pension. Die Besitzerin war eine Mexikanerin namens Inez Rodriguez.

Hallinen, Lawton und Bruton zeigten ihr an der Tür ihre Polizeimarken. Sie sagten, sie seien auf der Suche nach einem gewissen Mike Whittaker – einem potenziellen Mordverdächtigen.

Die Frau sagte, Mike sei gestern nicht nach Hause gekommen. Möglicherweise sei er tagsüber da gewesen und wieder gegangen – das wusste sie nicht. Er sei ein ziemlich starker Trinker. Meistens hänge er im Melody herum, drüben am Garvey Boulevard.

Das mit dem »Mordverdacht« hatte Inez Rodriguez einen gehörigen Schrecken eingejagt.

Hallinen, Lawton und Bruton fuhren zum Melody Room. Ein Mann, auf den Mike Whittakers Beschreibung passte, saß an der Bar. Sie umringten ihn und wiesen sich aus. Der Mann erklärte, er sei Michael Whittaker.

Hallinen sagte, sie hätten ein paar Fragen – zum Beispiel, wo er letzte Nacht gewesen sei. Lawton und Bruton filzten ihn und beförderten ihn zum Wagen.

Whittaker machte auf kleinlaut.

Sie brachten ihn auf die Wache. Dort schleiften sie ihn in ein Verhörzimmer und nahmen ihn in die Mangel.

Whittaker stank. Er war zittrig und halb betrunken.

Er gab zu, am vorigen Abend im Desert Inn gewesen zu sein. Er sagte, er habe eine Frau aufreißen wollen. Er sei ziemlich blau gewesen, deshalb wäre es möglich, dass er sich nicht mehr allzu gut erinnere.

Sag uns, woran du dich erinnerst, Michael.

Er erinnerte sich, in die Bar gegangen zu sein. Er erinnerte sich, dass er eine Frau zum Tanzen aufgefordert und einen Korb bekommen hatte. Er erinnerte sich, dass er sich unaufgefordert zu Leuten an den Tisch gesetzt hatte. Die Runde bestand aus einer Rothaarigen, einer anderen Frau und einem italienisch aussehenden Typen. Er wisse ihre Namen nicht, und er habe sie nie zuvor gesehen.

Lawton sagte ihm, dass die Rothaarige ermordet worden sei. Whittaker schien ehrlich erschrocken.

Er erklärte, er habe mit der Rothaarigen und der anderen getanzt. Er wollte sich mit der Rothaarigen für Sonntagabend verabreden. Sie lehnte ab und sagte irgendwas in der Art, ihr Kind komme von seinem Wochenende bei seinem Vater zurück. Auch der italienisch aussehende Typ habe mit der Rothaarigen getanzt. Er sei ein guter Tänzer gewesen. Kann sein, dass er gesagt hat, er heißt Tommy – aber das weiß ich nicht mehr genau.

Sag uns, was du weißt, Michael.

Michael wusste noch, dass er vom Stuhl gefallen war. Michael wusste noch, dass er länger an dem Tisch sitzen blieb, als den anderen lieb war. Michael wusste noch, dass die drei zusammen das Lokal verließen, um ihn loszuwerden.

Er blieb in der Bar und betrank sich noch mehr. Er ging zu Stan’s Drive-in, um noch etwas zu essen. Eine Streife des Sheriffs griff ihn ein paar Blocks weiter auf dem Valley Boulevard auf. Sie sackten ihn wegen Volltrunkenheit ein und fuhren ihn zur Wache Temple City.

Der dortige Ausnüchterungstrakt war schon voll. Die Cops brachten ihn zum Gefängnis der Hall of Justice und buchteten ihn dort ein. Irgendwelche Bohnenfresser klauten seine Schuhe und Socken, während er schlief. Der Deputy des Ausnüchterungstrakts warf ihn am Morgen raus.

Barfuß lief er nach South San Gabriel zurück – vielleicht 12 Meilen. Es war glühend heiß. Er lief sich auf dem Pflaster die Füße wund und bekam große rote Blasen. Zuerst holte er sich Geld und ein Paar Schuhe und Socken aus seinem Zimmer. Dann ging er zum Melody und fing an zu trinken.

Bruton verließ den Raum und rief im Büro des Sheriffs in Temple City an. Ein Deputy bestätigte Whittakers Geschichte: Der Mann war ab 0:30 in Gewahrsam gewesen. Damit hatte er für die mutmaßliche Tatzeit ein Alibi.

Bruton ging wieder ins Verhörzimmer zurück und erstattete Bericht. Whittaker war hocherfreut. Er fragte: Kann ich jetzt nach Hause gehen?

Bruton sagte ihm, er müsse innerhalb von 48 Stunden seine Aussage zu Protokoll geben. Whittaker willigte ein. Jack Lawton entschuldigte sich für die grobe Behandlung und bot ihm an, ihn zu seiner Pension zurückzubringen. Whittaker nahm an. Lawton fuhr ihn nach Hause und setzte ihn am Straßenrand ab.

Seine Wirtin hatte seine Habseligkeiten auf den Rasen vorm Haus geworfen. Die Eingangstür war verschlossen und verriegelt.

Sie wollte keine verdammten Mordverdächtigen unter ihrem Dach.

Es war 2:30 morgens, Montag, 23. Juni 1958. Der Fall Jean Ellroy – Aktenzeichen des Sheriffs #Z-483–362 – war jetzt 16 Stunden alt.

2

Das San Gabriel Valley war der Rattenschwanz von Los Angeles County – ein Provinznest neben dem anderen auf einer Strecke von 30 Meilen, genau im Osten der Stadt L. A.

Die San Gabriel Mountains bildeten die nördliche Grenze. Im Süden wurde das Tal von den Puente-Montebello Hills gesäumt. Schlammige Flussbetten und Eisenbahngleise durchschnitten die Mitte. Die östliche Grenze war nicht klar bestimmt. Sobald die Sicht besser wurde, wusste man, dass man aus dem Tal heraus war.

Das San Gabriel Valley war flach und quaderförmig. Die Bergflanke von Smog verhüllt. Die einzelnen Städte – Alhambra, Industry, Bassett, La Puente, Covina, West Covina, Baldwin Park, El Monte, Temple City, Rosemead, San Gabriel, South San Gabriel, Irwindale, Duarte – gingen ineinander über, unterscheidbar nur durch Kiwanis-Club-Schilder.

Das San Gabriel Valley war heiß und feucht. Widrige Winde fegten Staub von den Ausläufern der Berge im Norden. Der Schmutz von den ungepflasterten Gehsteigen und der Schutt aus den Kiesgruben brannten in den Augen.

Grundstücke im Valley waren billig. Die flache Landschaftsform war wie geschaffen für Rasterbebauung und zukünftige Autobahnen. Je entlegener die Gegend, desto mehr Land bekam man für sein Geld. Man konnte ein paar Blocks von der Hauptstraße des Ortes entfernt ungestört Waschbären jagen. Man konnte seinen Garten einzäunen und Hühner und Ziegen zum Schlachten züchten. Man konnte seine Gören in ihren vollgeschissenen Windeln auf der Straße herumlaufen lassen.

Das San Gabriel Valley war das Paradies des White Trash.

1769 entdeckten spanische Eroberer das Tal. Sie rotteten die indianische Urbevölkerung aus und gründeten in der Nähe der Kreuzung Pomona Freeway/Rosemead Boulevard eine Mission. Als die ersten Siedler nach L. A. kamen, bestand La Mision del Santo Arcängel San Gabriel de los Temblores schon zehn Jahre.

1822 rissen mexikanische Banditen das Tal an sich. Sie warfen die Spanier hinaus und nahmen die Ländereien der Mission in Besitz. ’46 kam es zu einem kurzen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko. Die Mexikaner verloren und mussten Kalifornien, Nevada, Arizona, Utah und New Mexico herausrücken. Der Weiße Mann brachte die Wirtschaft in Schwung. Das San Gabriel Valley erlebte einen lang anhaltenden landwirtschaftlichen Aufschwung. Anhänger der Konföderierten zogen nach dem Bürgerkrieg in den Westen und kauften im Tal jede Menge Land.

Der Bau der Eisenbahn löste 1872 einen Immobilienboom aus. Die Einwohnerzahl des Tals wuchs um 1000 Prozent. L. A. war mittlerweile eine ziemlich ansehnliche Stadt. Daraus schlug das Tal Kapital.

Immobilienhaie zerstückelten das Tal in Kleinstädte. Es folgte ein Bauboom, der bis Ende der 20er-Jahre anhielt. Die Einwohnerzahlen in den Städten wuchsen exponentiell.

Im ganzen Tal wurden Wohnverbote verhängt. Mexikaner durften nur in Slums und den Wellblechbaracken der Shantytowns wohnen. Schwarzen war es verboten, sich nach Einbruch der Dunkelheit auf der Straße aufzuhalten.

Die Walnussplantagen brachten fette Erträge. Die Zitrusplantagen brachten fette Erträge. Molkereien waren richtige Goldgruben. Die Depression gebot dem Wachstum im San Gabriel Valley Einhalt. Der Zweite Weltkrieg brachte es wieder in Gang. Kriegsheimkehrer sprangen auf den Zug gen Westen. Die Immobilienhändler sprangen hinterher.

Siedlungen und Parzellen entstanden. Mehr und mehr Walnusshaine und Obstbaumplantagen wurden ausradiert, um Platz für neue zu schaffen. Die Stadt dehnte sich aus.

In den 50er-Jahren stieg die Einwohnerzahl sprunghaft an. Die Landwirtschaft ging zurück. Industrie und Leichtindustrie florierten. Der San Bernardino Freeway reichte vom Zentrum L. A.s bis südlich von El Monte. Das Auto wurde zur Notwendigkeit. Der Smog kam. Der Wohnungsbau nahm weiter zu. Der wirtschaftliche Aufschwung gab dem Tal ein neues Gesicht – doch er änderte nichts an seinem Wildwest-Charakter.

Da waren die Dust-Bowl-Flüchtlinge und ihre halbwüchsigen Kinder. Da waren die Pachucos mit ihren Entenschwanzfrisuren, Sir-Guy-Hemden und am Saum geschlitzten Kakihosen. Die Okies hassten die Spics genauso, wie die alten Cowboys die Indianer gehasst hatten.

Kaputt aus dem Zweiten Weltkrieg und Korea heimgekehrte Männer strömten in Scharen ins Valley. Vororte, die aus allen Nähten platzten, wechselten sich mit weiträumigen ländlichen Gebieten ab. Man konnte am Rio Hondo Wash entlangspazieren und mit der Hand Fische fangen. Man konnte in Rosemead in einen Pferch springen und sich eine Kuh schießen. Man konnte sich an Ort und Stelle ein schönes frisches Steak abschneiden.

Man konnte auf Zechtour gehen. Man konnte im Aces, im Torch, im Ship’s Inn, im Wee Nipee, im Playroom, im Suzanne’s, im Kit Kat, im Hat, im Bonnie Rae und im Jolly Jug trinken. Man konnte einen Blick ins Horseshoe werfen, ins Coconino, ins Tradewinds, ins Desert Inn, ins Time-Out, in den Jet Room, ins Lucky X und ins Alibi. Das Hollywood East war gut. Das Big Time, das Off-Beat, das Manger, der Blue Room und das French Basque waren okay. Der Cobra Room, Lalo’s, das Pine-Away, der Melody Room, das Cave, der Sportsman, der Pioneer, das ’49er, das Palins und der Twister ebenfalls.

Man konnte sich einen hinter die Binde gießen. Vielleicht lernte man jemanden kennen. Der Scheidungsboom der 50er-Jahre befand sich auf seinem Höhepunkt. Man konnte aus einem großen Angebot williger Frauen schöpfen.

El Monte war ’58 der Mittelpunkt des Valley. Die ersten Siedler nannten es »die Endstation des Santa Fe Trail«. In der Stadt war immer was los, und man konnte sich prächtig amüsieren. Die neueren Siedler nannten sie »die Stadt der geschiedenen Frauen«. Es war ein Kneipenort mit einer mehr als ausgeprägten Western-Atmosphäre.

Die Einwohnerzahl schwankte um die 10 000. Die Stadtbevölkerung bestand zu 90 Prozent aus Weißen und zu 10 Prozent aus Mexikanern. Die Stadt erstreckte sich über fünf Quadratmeilen. Sie war von nicht eingemeindetem County-Territorium umgeben.

Samstags abends wuchs die Bevölkerung. Leute von außerhalb kamen in die Stadt, um durch die Cocktailbars an Valley und Garvey zu ziehen. Im El Monte Legion Stadium fanden Auftritte von Cliffie Stone und das Hometown Jamboree statt – von KTLA-TV live übertragen.

Das Publikum trug Cowboy-Kluft: die Männer Stetsons und Röhrenhosen; die Frauen gestärkte Röcke. An den Samstagen, an denen Cliffie freihatte, fanden im Stadium Doo-Wop-Tanzpartys statt. Pachucos und weiße Halbstarke trugen regelmäßig auf dem Parkplatz ihre Keilereien aus.

Der San Berdoo Freeway führte mitten durch El Monte. Die Autofahrer nahmen die entsprechende Abfahrt und fuhren dann den Valley Boulevard nach Osten. Sie hielten an, um bei Stan’s Drive-in oder bei Hula-Hut etwas zu essen. Sie hielten an, um im Desert Inn, dem Playroom und dem Horseshoe etwas zu trinken. Der Valley war samstags nachts die Hauptverkehrsader. Autofahrer auf dem Weg nach Osten blieben dort hängen, ob sie es vorgehabt hatten oder nicht.

Das bunte Treiben endete bei Five Points – der Kreuzung von Valley und Garvey. Stan’s und der Playroom befanden sich in Toplage an der nordöstlichen Ecke. Crawford’s Giant Country Market lag direkt gegenüber. Ein Dutzend Restaurants und Kneipen drängte sich in der Nähe der Kreuzung.

Die Wohngegenden El Montes erstreckten sich von dort aus nord-, süd- und westwärts. Die Häuser waren klein, und es gab sie in zwei Ausführungen: Pseudo-Ranch-Stil und verputzter Würfel. Die Mexikaner lebten isoliert auf einem schmalen Streifen namens Medina Court und in einer Barackensiedlung namens Hicks Camp.

Medina Court war drei Blocks lang. Die Häuser dort bestanden aus Schlackensteinen und selbstgesammeltem Holz. Hicks Camp lag gleich hinter den Pacific-Electric-Gleisen. Die Häuser dort hatten Lehmböden und bestanden aus dem Holz ausrangierter Güterwaggons.

’54 wurde in Hicks Camp der Film Carmen Jones gedreht. Aus einem Mexikaner-Slum wurde ein Slum für schwarze Farmpächter gemacht. Die Filmausstatter brauchten kein einziges Detail zu verändern.

Medina Court und Hicks Camp waren voll von Säufern und Drogensüchtigen. Eine beliebte Mordart in Hicks Camp war, das Opfer betrunken zu machen und es so auf die Eisenbahngleise zu legen, dass es vom nächsten Güterzug enthauptet wurde.

Das El Monte PD bearbeitete die eingehenden Notrufe und ermittelte in allen Verbrechensfällen bis auf Mord. Auf der Gehaltsliste standen sechsundzwanzig Cops, eine Wirtschafterin und ein Verkehrspolizist. Das PD war relativ unbescholten. Die ortsansässigen Ladenbesitzer schmierten die Jungs mit Lebensmitteln und Spirituosen. Die Cops in El Monte gingen stets in Uniform einkaufen.

Streife fuhren die Jungs allein. Die Arbeitsatmosphäre war freundlich – Captains und Lieutenants soffen zusammen mit einfachen Polizisten. Jobs beim PD waren begehrt – man konnte Menschen helfen, Illegale zusammenschlagen oder jede Menge Weiber flachlegen, je nach persönlicher Neigung.

Die Jungs trugen kakifarbene Uniformen und fuhren ’56er Fords Interceptor. Sie beschafften den Händlern am Ort ihre gestohlenen Autos zurück und kriegten sich mit den Leuten des Sheriffs wegen allem möglichen Kleinscheiß in die Haare. Die Hälfte der Männer ergatterte den Job durch Beziehungen. Die andere Hälfte kam über den Staatsdienst.

Die Mordfälle gab das PD an die Mordkommission des Sheriffs ab. Dafür, dass die Stadt so ein raues Pflaster war, wurde nur sehr selten jemand umgebracht.

Zwei Frauen, die aussahen wie Lesben, hatten am 30. März 1953 einen Anstreicher aus El Monte getötet. Der Name des Mannes war Lincoln F. Eddy.

Eddy und Dorothea Johnson hatten den ganzen Tag über in diversen Bars in El Monte gezecht. Am späten Nachmittag machten sie einen Abstecher zu Eddys Wohnung. Eddy nötigte Miss Johnson, ihm einen zu blasen. Miss Johnson ging nach Hause und besprach die Angelegenheit mit ihrer Mitbewohnerin, Miss Viola Gale. Die Frauen besorgten sich ein Gewehr und kehrten zu Fuß zurück zu Eddy.

Sie erschossen Lincoln Eddy. Zwei Jungen, die draußen Fangen spielten, sahen sie hineingehen und wieder herauskommen. Sie wurden am nächsten Morgen verhaftet. Sie wurden vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.

Am 17. März 1956 durchbrach Mr Walter H. Depew mit seinem Wagen die Außenmauer vom Ray’s Inn am Valley Boulevard.

Zwei Männer kamen dabei ums Leben. Mr Depews Breitseite riss ein fünf Meter langes Stück aus der vorderen und ein sechs Meter langes Stück aus der hinteren Außenwand. Mehrere andere Kneipengäste erlitten schwere Verletzungen.

Mr Depew hatte früher am Tag im Ray’s Inn gezecht. Seine Frau arbeitete dort als Bardame. Mr Depew war mit dem Inhaber in Streit geraten. Ein paar Stunden vor dem Vorfall hatte dieser ihn vor die Tür gesetzt.

Mr Depew wurde sofort verhaftet. Er wurde vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt.

Die Mordkommission des Sheriffs bearbeitete beide Fälle. Die letzten drei Mordfälle in El Monte hatten sie in gottverdammter Rekordzeit gelöst.

Die Jean-Ellroy-Sache lief bereits länger.

3

Times, Express und Mirror brachten es auf Seite zwei. Die Lokalnachrichten im Fernsehen hatten fünf Sekunden dafür übrig.

Die Rothaarige fiel durch. Der Mord an Johnny Stompanato war das große Ding. Die Tochter von Lana Turner hatte Johnny im April erstochen. Die Story war immer noch brandheiß.

Der Mirror druckte ein Foto der Rothaarigen, auf dem sie lächelte. Die Times druckte ein Bild von dem Jungen, dem die Cops gerade die schlimme Nachricht überbracht hatten. Jean Ellroy war das zwölfte Mordopfer des Jahres im County.

Am frühen Montagmorgen kam Armand Ellroy ins Büro des Gerichtsmediziners. Er identifizierte die Leiche und unterzeichnete ein Health-and-Safety-Code-Formular, damit sie zur Bestattung durch die Firma Utter-McKinley freigegeben werden konnte. Dr. Gerald K. Ridge führte die Obduktion durch: Aktenzeichen der Gerichtsmedizin #35339–6/23/58.

Er führte den Tod auf »Asphyxie durch Erdrosseln mit einem Strangwerkzeug« zurück. In seinem Gutachten vermerkte er die »zwei enganliegenden Strangwerkzeuge« um den Hals des Opfers. Er vermerkte, dass das Opfer sich in seiner menstrualen Phase befand. Der Abstrich auf Spermien war positiv. Im hinteren Scheidengewölbe fand er einen Tampon.

Er vermerkte, dass die rechte Brustwarze des Opfers »operativ entfernt worden« war. Er fertigte eine Skizze der Schürfwunden an Hüfte und Knien sowie der Blutergüsse auf den Innenseiten ihrer Oberschenkel an. Er beschrieb die Leiche als »die einer nicht einbalsamierten Frau weißer Hautfarbe in gutem Allgemein- und Ernährungszustand«. Dann gehen seine Aufzeichnungen über die äußere Leichenschau direkt zu den beiden Drosselwerkzeugen über:

Zwei Strangwerkzeuge sind so eng um den Hals geschlungen, dass sie einen tiefen Einschnitt in das Weichteilgewebe verursachen. Bei dem einen Strangwerkzeug handelt es sich offensichtlich um ein Stück Wäscheleine, das anscheinend zuerst um den Hals gelegt und unter der linken Hinterhauptregion fest verknotet wurde. Die Enden der Schnur sind lose, das eine ist sehr kurz und offensichtlich am Knoten abgerissen, das andere ist von mittlerer Länge und schaut unter dem ersten hervor. Offensichtlich über das erste Strangwerkzeug wurde ein Nylonstrumpf geschlungen und fest verknotet, wobei der Knoten gleichfalls seitlich unter der linken Hinterhauptregion liegt. Der Strumpf überlagert an dieser Stelle das lange Ende der Wäscheleine. Der Nylonstrumpf ist offenbar zuerst mittels eines gewöhnlichen Überhandknotens festgezogen worden, und beim Schlingen des zweiten Knotens wurde dann aus einem Teil des losen Endes eine Schlaufe unter einem ziemlich fest angezogenen halben Schlag gebildet.

Dr. Ridge entfernte die Strangwerkzeuge und vermerkte die »tiefe, abgeblasste Strangmarke« um den Hals. Er rasierte der Toten den Kopf und beschrieb ihre Kopfhaut als »stark zyanotisch und dunkel violett-bläulich verfärbt«. Er machte einen Einschnitt bis zur Schädeldecke und klappte die Hautlappen auseinander. Er skizzierte elf Verletzungen und bezeichnete sie als »kräftig rote, tiefreichende fleckförmige Unterblutungen der Kopfhaut«.

Der Arzt öffnete die Schädeldecke und untersuchte das Hirngewebe des Opfers. Er wog es und fand »keine Anzeichen innerer Verletzungen oder sonstiger Anomalien«. Er trennte den Bauch des Opfers auf und fand unverdaute Kidney-Bohnen, Fleischbrocken, eine orangegelbe mohrrüben- oder kürbisähnliche Substanz und eine gelbliche käseähnliche Substanz.

Er untersuchte den Rest des Leichnams und fand keine weiteren Anzeichen von Verletzungen. Er entnahm eine Blutprobe zur späteren chemischen Analyse und Teile der lebenswichtigen Organe zur eventuellen feingeweblichen Untersuchung.

Er entnahm Proben des Mageninhalts zur späteren Analyse. Er fror den Spermienabstrich ein – zur Aufbewahrung und Blutgruppenbestimmung.

Ein Toxikologe nahm eine Blutprobe und ermittelte den Alkoholgehalt. Der Wert war niedrig: 0,8 Promille.

Ein Labortechniker untersuchte den Leichnam. Er fand winzige weiße, teppichähnliche Fasern unter dem Nagel des rechten Mittelfingers und tütete sie als Beweisstück ein. Er nahm die beiden Drosselwerkzeuge, das Kleid des Opfers, den rechten Strumpf und den Büstenhalter mit ins kriminaltechnische Labor des Sheriffs. Er vermerkte, dass die zum Erdrosseln verwendete Schnur aufgeknotet 43 Zentimeter lang war – jedoch auf acht Zentimeter um den Hals des Opfers zusammengezogen worden war.

Dr. Ridge rief Ward Hallinen an und fasste seine Erkenntnisse zusammen. Er bestätigte, dass die Todesursache Ersticken war, und berichtete, die Tote habe mindestens sechs Schläge auf den Kopf erhalten. Sie war möglicherweise bewusstlos, als sie erwürgt wurde. Sie hatte kurz vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr gehabt. Sie hatte vermutlich ein bis zwei Stunden vor ihrem Tod eine komplette Mahlzeit zu sich genommen. Es war höchstwahrscheinlich mexikanisches Essen – sie hatte halbverdaute Bohnen, Fleisch und Käse im Magen.

Hallinen notierte die Informationen und rief die Sheriff’s Metro an. Er schilderte seinen Fall dem diensthabenden Lieutenant und forderte zwei Männer an, die im Raum El Monte/Rosemead/ Temple City Befragungen in Bars und Restaurants durchführen sollten. Der Lieutenant sagte, er werde Bill Vickers und Frank Godfrey losschicken. Hallinen sagte, drei Dinge seien besonders wichtig:

Das Opfer habe Samstagabend oder sehr früh morgens am Sonntag mexikanisch gegessen. Sie war möglicherweise in Begleitung eines Mexikaners oder südländisch aussehenden Weißen, der eventuell Tommy hieß. Das Opfer war rothaarig – die beiden fielen vermutlich auf.

Der Lieutenant versprach prompte Weiterleitung. Hallinen sagte, er werde selbst losgehen und Leute befragen.

Lawton und Hallinen besprachen sich auf dem Revier El Monte. Sie trennten sich wieder und gingen einzeln auf Befragungstour. Jim Bruton tat sich mit Captain Al Etzel zusammen, fuhr mit ihm in die Bryant 700 und vernahm noch mal George und Anna May Krycki.

Mrs Krycki blieb bei ihrer Jean-trank-keinen-Alkohol/ Jean-hatte-keine-Männerbekanntschaften-Geschichte. Sie sagte, Jean habe sich auf eine Zeitungsannonce gemeldet und das kleine Hinterhaus spontan gemietet. Jean gefielen der umzäunte Garten und die dichte Belaubung. Sie sagte, sie fühle sich dort sicher. Die Kryckis hatten das Gefühl, Jean habe sich in El Monte versteckt. Jean hatte kein Telefon. Ortsgespräche führte sie vom Telefon der Kryckis aus, alle anderen von der Arbeit. Manchmal gab es Anrufe für sie. Sie hatten aber immer mit ihrem Job zu tun.

Bruton fragte Mrs Krycki, ob sie noch mehr Fotos von Jean habe. Sie gab ihm sechs Kodachrome-Schnappschüsse. Etzel bat sie, mit ihnen durch den Bungalow zu gehen, um eine Bestandsaufnahme von Jeans Sachen zu machen und herauszufinden, was für Schuhe und welche Handtasche sie Samstagabend dabeigehabt hatte.

Mrs Krycki führte Bruton und Etzel durch das Haus und sah die Habseligkeiten des Opfers durch. Bei der Handtasche war sie ratlos, aber sie meinte, Jeans durchsichtige, hochhackige Plastikpumps fehlten.

Bruton und Etzel fuhren zum Revier El Monte und gaben die Schnappschüsse in die Repro.

Hallinen traf sich mit Lawton.

Die Befragungen hatten nichts ergeben. Sie hatten eine ganze Reihe von Bars und Nachtklubs abgeklappert – aber niemand hatte Samstagnacht eine Rothaarige mit einem dunkelhäutigen Mann gesehen.

Sie fuhren zur Airtek-Dynamics-Fabrik – einem großen sechsstöckigen Bau südlich der Innenstadt von L. A. Die Personalleiterin hieß Ruth Schienle.

Sie hatte schon von dem Mord gehört. Sie sagte, die Nachricht gehe durch die Firma wie ein Lauffeuer. Sie sagte, sie habe Jean gut gekannt. Jean sei bei ihren Kollegen beliebt gewesen.

Airtek gehörte zur Packmeyr Gun Company. Die Firma stellte Fensterdichtungen für Militärflugzeuge her. Jean war die Betriebskrankenschwester. Sie war seit September ’56 im Betrieb.

Mrs Schienle sagte, sie wisse sehr wenig über Jeans Privatleben. Hallinen und Lawton quetschten sie aus.

Sie sagte, Jean habe kaum enge Freunde gehabt. Sie sei nicht sehr gesellig gewesen und habe nur gelegentlich etwas getrunken. Ihre Freunde waren größtenteils ältere Ehepaare aus der Zeit ihrer Ehe. Hallinen und Lawton beschrieben die Blondine und den dunkelhäutigen Mann. Mrs Schienle sagte, sie glaube nicht, dass die beiden Airtek-Mitarbeiter seien – oder zu den Freunden gehörten, von denen Jean ihr erzählt hatte. Der Name Tommy sagte ihr nichts.

Hallinen und Lawton gaben ihr eine Visitenkarte und sagten, sie sollten in Verbindung bleiben. Sie solle sich melden, falls ihr etwas Verdächtiges zu Ohren käme.

Mrs Schienle versicherte ihnen, sie könnten auf sie zählen. Hallinen und Lawton fuhren zurück nach El Monte.

Die Metropolitan Detail war eine Bereitschaftstruppe. Ihre einzige Funktion bestand darin, die Kriminalpolizei in besonderen Fällen bei der Ermittlungsarbeit zu unterstützen. Die dort eingesetzten Deputies trugen Zivil und hatten Erfahrung im Durchführen von Befragungen.

Frank Godfrey nahm die Arbeit am Fall Ellroy am Montagnachmittag auf. Bill Vickers war angewiesen, bald anzufangen.

Godfrey hatte ein Foto des Opfers dabei. Er vernahm Kellnerinnen, Drive-in-Bedienungen, Barkeeper, Wirte von Restaurants und Cocktailbars. Er erkundigte sich vor allem nach der Rothaarigen, der Blondine und einem dunkelhäutigen Mann, der möglicherweise Tommy hieß. Er sagte, die Rothaarige habe etwas Mexikanisches oder eine Portion Chili mit Käse bestellt.

Er versuchte es bei Staat’s Café, Ecke Meeker/Valley. Eine Kellnerin meinte, die Rothaarige komme ihr bekannt vor. Sie sagte, eine Gruppe von vier Leuten sei Samstagabend reingekommen und habe Chilis bestellt. Pearl Pendleton habe sie bedient.

Pearl hatte heute frei. Godfrey ließ sich von dem Geschäftsführer ihre Nummer geben und rief sie an. Pearl hörte sich seine Fragen an und sagte, die Beschreibungen träfen auf keinen ihrer Gäste vom Samstagabend zu.

Godfrey probierte es bei Dick’s Drive-in, Ecke Rosemead/Las Tunas. Keiner von der anwesenden Belegschaft hatte von Samstag auf Sonntag gearbeitet. Der Geschäftsführer war nicht zugegen. Eine Bedienung nannte ihm ein paar Namen: Marlene, Kathy, Kitty Johnson und Sue, die Kassiererin. Sie alle hätten von Samstag auf Sonntag Nachtschicht gehabt und seien dann am Mittwoch wieder im Dienst.

Godfrey überquerte die Straße und versuchte es im Clock Drive-in. Der Geschäftsführer sagte, keiner von der anwesenden Belegschaft habe Samstagnacht oder Sonntag früh gearbeitet. Er sah auf seinen Dienstplan vom 21.6. und nannte ein paar Namen und Nummern: zwei Serviererinnen, die drinnen gearbeitet hatten, eine Serviceleiterin, eine Kassiererin und vier Bedienungen. Godfrey lief nach Five Points hinüber und versuchte es bei Stan’s Drive-in. Der Geschäftsführer sagte, seine Samstag-Sonntag-Mädels hätten heute alle frei. Godfrey notierte ihre Namen und Telefonnummern: Eve McKinley/ED3–6733; Ellen »Nicky« Nichols/ ED3–6442; Lavonne »Pinky« Chambers/ED7–6686.

Es war 16:00. Godfrey wandte sich auf der Garvey nach Süden und machte Station im Melody Room.

Der Inhaber stellte sich als Clyde vor. Er hörte sich geduldig Godfreys Fragen an und riet ihm, sich an Bernie Snyder, den Nacht-Barkeeper, zu wenden. Bernie habe das Lokal am Sonntagmorgen um 2:00 geschlossen. Rufen Sie Bernie an und sprechen Sie mit ihm.

Ein Gast mischte sich ein. Er sagte, er sei Sonntagmorgen dort gewesen – und er habe eine Blondine mit einem Pferdeschwanz gesehen, die eng mit einem dunkelhaarigen Typen zusammenhockte. Der Kerl sei zwischen dreißig und fünfunddreißig gewesen. Die mit dem Pferdeschwanz und er seien sichtlich nervös gewesen.

Clyde sagte, bei der mit dem Pferdeschwanz könnte es sich um eine Stammkundin namens Jo handeln. Sie arbeite bei Dun & Bradstreet in L. A. Er bezeichnete die Frau als »Barschlange«. Der dunkelhaarige Mann kam ihm gar nicht bekannt vor.

Godfrey notierte Name und Telefonnummer des Gastes. Clyde drängte ihn, Bernie Snyder anzurufen – Bernie kenne jeden.

Godfrey führte das Telefonat von der Bar aus. Bernies Frau war am Apparat. Sie sagte, Bernie sei nicht zu Hause – Godfrey solle es gegen 17:30 noch mal probieren.

Es war 16:30. Die meisten Nachtlokale öffneten nicht vor 18:00 oder 19:00. Godfrey hatte jede Menge Anrufe zu erledigen.

Das Desert Inn war ein Hillbilly-Schuppen. Zuvor hieß es Jungle Room bzw. Chet’s Rendezvous. Myrtle Mawby hatte den Laden für ihren kleinen Bruder, Ellis Outlaw, gekauft. Ellis benannte ihn in Outlaw’s Hide-out um.

Ellis hatte ständig Ärger mit der Polizei und dem verdammten Finanzamt. Die Staatsdiener machten ihm den Laden dicht, weil er Steuern seiner Angestellten hinterzogen hatte – und ließen ihn dann wiedereröffnen, damit er seine Schulden abbezahlen konnte. 1955 zog Ellis Al Manganiello eine Flasche über den Schädel und entging nur knapp einer Gefängnisstrafe. Er kam mit dem Hide-out einfach auf keinen grünen Zweig.

Er verkaufte es zurück an Chet Williamson. Chet taufte es Desert Inn und setzte Ellis als Geschäftsführer ein. Ellis kam aus einer Barkeeper-Familie. Seine Schwester Myrtle hatte einst ihrem Mann eine Kugel ins Ohr geschossen und im anschließenden Scheidungsprozess zwei Cocktailbars zugesprochen bekommen.

Ellis gehörten die Bungalows hinter dem Desert-Inn-Parkplatz. Eine der Bruchbuden vermietete er an seinen Kumpel Al Manganiello. Ellis betrieb von der Bar aus ein kleines Wettgeschäft. Er nahm Tipps auf alle Rennen in Hollywood Park und Santa Anita an. Im Mai ’57 wurde Ellis wegen Trunkenheit am Steuer eingelocht. Zwei Cops aus El Monte sagten aus, er habe versucht, sie zu bestechen – Bakschisch dafür, dass sie die Sache vergessen würden. Ein paar von Ellis’ Freunden hätten noch was draufgelegt.

Die Summen waren verhältnismäßig läppisch. Die ganze Sache wuchs sich zu einer hübschen Provinzposse aus.

Ellis wurde wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt. Er ging in Berufung und blieb über ein Jahr lang vor dem Gefängnis bewahrt. Vom Vorwurf der Bestechung wurden Ellis und seine Kumpel freigesprochen.

Die Galgenfrist endete am 19. Juni. Ein Richter bestätigte das Urteil. Ellis wurde angewiesen, die Strafe am 27. Juni anzutreten.

Im Desert Inn war immer ordentlich was los – und zwar für El Monte auf hohem Niveau.

Spade Cooley trat dort auf, als sein Stern nach seiner Zeit beim Lokalfernsehen bereits im Sinken war. Das, was einmal die Ink-Spots gewesen waren, machte auf dem Weg von Vegas nach ganz unten dort halt.

Schwarze wurden umgehend vor die Tür gesetzt. Hispanos waren zwar nicht besonders gern gesehen, wurden aber geduldet, solange sie nicht in Scharen auftauchten.

Das Desert Inn war eine gute Adresse, um einen zu zwitschern und jemanden aufzureißen. Das Desert Inn war ein gefahrloser und zivilisierter Ort – nach den 1958 in El Monte herrschenden Maßstäben.