Die Saphirtochter - Dinah Jefferies - E-Book
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Die Saphirtochter E-Book

Dinah Jefferies

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Beschreibung

Ceylon, 1935. Louisa Reeve, Tochter eines erfolgreichen Edelsteinhändlers, ist glücklich verheiratet mit dem Geschäftsmann Elliot. Als dieser tödlich verunglückt, erfährt sie nach und nach, dass er ein Doppelleben führte. Eines Tages besucht Louisa die koloniale Zimtplantage Cinnamon Hills, an der ihr Mann Anteile besaß, und lernt den raubeinigen Naturburschen Leo kennen, der mehr über Elliot zu wissen scheint, als er vorgibt. Und während die herrliche Plantage mit Blick auf den Indischen Ozean ihren magischen Zauber entfaltet, gerät Louisas Herz nicht nur wegen Elliots schockierendem Verrat zunehmend in Aufruhr ...

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Seitenzahl: 504

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Inhalt

 

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressum12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637383940414243444546474849Danksagung

Über dieses Buch

 

Ceylon, 1935. Louisa Reeve, Tochter eines erfolgreichen Edelsteinhändlers, ist glücklich verheiratet mit dem Geschäftsmann Elliot. Als dieser tödlich verunglückt, erfährt sie nach und nach, dass er ein Doppelleben führte. Eines Tages besucht Louisa die koloniale Zimtplantage Cinnamon Hills, an der ihr Mann Anteile besaß, und lernt den raubeinigen Naturburschen Leo kennen, der mehr über Elliot zu wissen scheint, als er vorgibt. Und während die herrliche Plantage mit Blick auf den Indischen Ozean ihren magischen Zauber entfaltet, gerät Louisas Herz nicht nur wegen Elliots schockierendem Verrat zunehmend in Aufruhr …

Über die Autorin

 

Dinah Jefferies wurde 1948 im malaiischen Malakka geboren. Acht Jahre später übersiedelte die Familie nach England. Dinah Jefferies studierte Theaterwissenschaft und Englische Literatur und arbeitete als Lehrerin, Fernsehmoderatorin und Künstlerin. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann in Gloucestershire. Die Frau des Teehändlers ist ihr zweiter Roman.

Dinah Jefferies

Die Saphirtochter

Roman

Übersetzung aus dem Englischen von Andrea Koonen

 

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

Titel der englischen Originalausgabe:

»The Sapphire Widow«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Dinah Jefferies

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, München unter Verwendung von Motiven von © Alex James Bramwell/shutterstock.com; © kakteen/shutterstock.com; © Laboko/shutterstock.com; © leoks/shutterstock.com; © Thomas Dekiere/shutterstock.com; © Chansom Pantip/shutterstock.com; © Richard Jenkins Photography

eBook-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-7198-7

www.luebbe.de

www.lesejury.de

1

Ceylon 1935Auf einer Zimtplantage

Wegen seiner zierlichen Statur ist sein Alter schwierig zu schätzen, aber er wirkt einsam, wie er unter den hängenden Zweigen des Banyanbaumes sitzt, und als die Sonne durch die glänzenden Blätter scheint, spielt das Licht auf seinen dünnen Gliedern. Dieser Junge, mehr Waldgeist als Kind aus Fleisch und Blut, weckt in einer Mutter sofort den Wunsch, ihn in die Arme zu schließen. Er sucht sich einen Kieselstein aus und konzentriert sich mit gefurchter Stirn, dann wirft er ihn, um zu sehen, wie weit er fliegt. Zufrieden, weil dieser Wurf ihm besser geglückt ist als der vorige, steht der Junge auf und geht auf der kleinen Rhododendron-Lichtung einmal im Kreis. Er zerkratzt sich die Sandalen an trockenen Zweigen, und unter seinen Füßen knackt und raschelt das Laub.

Der Junge lauscht auf Eulen, die im Baum ihr Gefieder sträuben, schaut einem Streifenhörnchen nach, das einen Baumstamm hochflitzt, und dann schnuppert er – Citronellgras, verbrannte Erde, Zimt und ein salziger Meeresgeruch, den er fast auf der Zunge schmeckt. Er pflückt eine helle Aprikosenblüte und hüllt die Nase in den zarten, fruchtigen Duft. Die ist für seine Mutter.

Er sieht eine rote Libelle von einem Blatt zum anderen sausen und wünscht sich, er hätte sein Insektenbuch mitgenommen. Solch eine hat er noch nicht im Freien gesehen, nur in dem Buch bei den Libellen und Schmetterlingen. Es gibt Tausende davon auf Ceylon, und seine Mutter sagt, die Insel sei eine Perle.

Als frischer Wind aufkommt, spürt er ihn an den Armen, und die Haut kribbelt dabei. Dieser Wald, in dem das Sonnenlicht flimmert und funkelt, ist der beste Platz auf der Welt, und er kann es kaum erwarten, am Abend, wenn es kühler ist, mit seiner Mutter spazieren zu gehen. Sie findet die Tageshitze ermüdend, aber er kennt alle schattigen Orte, und es gibt immer irgendwo eine kühle Stelle, wo man sich verstecken kann. Doch dann wechselt seine Stimmung, eine leise Traurigkeit verdunkelt sein Gesicht. Obwohl er gern allein spielt, sehnt er sich nach mehr und schaudert unter einem unangenehmen Schuldgefühl.

Der Moment geht vorbei.

Wenn er mit seiner Mutter spazieren geht, ist er umgeben von ihrem Duft und freut sich daran, die Namen der Vögel auszurufen. Dann kann sie sich erstaunt geben, weil er so viele kennt, und lacht vergnügt. Seine Mutter lacht nicht genug, auch wenn das nicht verwunderlich ist, denkt er, in Anbetracht der Umstände. Den Ausdruck hört er ständig: »In Anbetracht der Umstände« ist es wahrscheinlich keine gute Idee. Oder: »In Anbetracht der Umstände« sollten wir das vielleicht lieber lassen.

Nun ist er auf den Hügel gestiegen und fast ganz oben angekommen, an seinem bevorzugten Aussichtspunkt. Hier kann er kilometerweit sehen, und wenn er die Augen halb schließt, kann er das Meer spüren. Er stellt sich die kühlen Wellen vor, wie sie an seinen erhitzten Gliedern brechen, sieht sich den Strand entlanglaufen, seine langen Haare im Wind wehen, sieht die Fischer am frühen Abend hinausfahren, bevor sich der Himmel rosa und das Meer lila färbt.

Bei einem Rascheln zwischen den Bäumen erschrickt er und horcht. Vermutlich ist es ein Hutaffe, denkt er, oder einer der Languren mit den sehr langen Schwänzen. Man darf sich mit Hutaffen nicht anfreunden und sie nicht füttern, sagt seine Mutter. Sie denken sonst, man sei ihnen untergeordnet, also, man stünde unter ihnen. Untergeordnet. Das wäre schlecht. Niemand möchte unwichtiger sein als andere, nicht wahr?

2

Ceylon, 23. Dezember 1935In der dreihundert Jahre alten Festungsstadt Galle

Tagsüber herrschten fast dreißig Grad, und selbst jetzt, um sieben Uhr abends, waren es noch fünfundzwanzig. Louisa Reeves schräg geschnittenes Kleid aus silberfarbenem Seidensatin war in Colombo angefertigt worden, nach einem Modell, das sie in der amerikanischen Vogue gesehen hatte. Bis die Zeitschriften bei ihr eintrafen, waren sie schon Monate alt, aber trotzdem, man tat sein Möglichstes. Die Schneider in Galle waren zwar sehr zuverlässig, hatten jedoch keinen Sinn für moderne Kleider, und was sie in die Hand nahmen, geriet in der Ausführung immer ein bisschen singhalesisch. In Colombo dagegen gab es Werkstätten, in denen man jedes Modell kopieren lassen konnte. Bei ihrer Körpergröße von eins fünfundsiebzig stand ihr der elegant fließende, feminine Stil gut und war zweifellos eine Abwechslung zu der Leinenbluse und den bequemen Hosen, die sie gewöhnlich beim Radfahren trug.

Elliot umarmte sie von hinten. »Glücklich?«, flüsterte er ihr ins Ohr, um ihr dann durch die Haare zu streichen.

»Hey, die habe ich stundenlang frisiert.« Sie hatte ihre widerspenstigen blonden Locken in Wasserwellen gelegt und an einer Seite mit einer unechten Saphirspange festgesteckt.

»Geht es dir so weit gut?«, fragte er ernst und besorgt.

Sie griff nach seiner Hand. »Ja, schon, obwohl ich vorhin einmal an Julia denken musste.«

»Wirklich?«

Sie nickte. »Aber es geht mir gut.«

»Schön. Das wird ein wunderbares Weihnachten, und du siehst hinreißend aus.« Er wandte sich zum Gehen. »Wenn es dir wirklich gut geht … Ich sehe nur eben nach dem Wein.«

»Hast du immer noch vor, am zweiten Weihnachtstag segeln zu gehen?«

»Ich denke, ja. Nur für ein paar Stunden. Du hast doch nichts dagegen? Jeremy hat eine nagelneue Jolle, und wir probieren einen dieser neumodischen Trapezgurte aus. Den hat er hier nach einem Muster aus England anfertigen lassen. Genau richtig für Wettfahrten, heißt es.«

Auf dem Weg zur Tür strich er an ihr vorbei, und als sie sein Zedern-Rasierwasser roch, lächelte sie und schaute ihm im Spiegel nach. Selbst nach zwölf Jahren Ehe war er in ihren Augen noch ein wirklich gut aussehender Mann. Er hatte lockige braune Haare, grüne Augen und einen anziehenden Charme. Um die Zuneigung anderer brauchte er sich kaum zu bemühen, sondern gewann schnell Freunde und brachte Leben in jede Gesellschaft. Sie selbst brauchte länger, um jemanden kennenzulernen, und hatte nicht Elliots direkte Art. Sie liebte es aber, aus Leuten schlau zu werden, zu verstehen, wie sie tickten, und wenn sie sich einmal mit jemandem angefreundet hatte, dann wurde daraus eine Freundschaft fürs Leben.

Sie neigte sich aus dem Fenster im obersten Stock und schaute in den blauen Himmel und über das glitzernde türkisfarbene Wasser rings um Galle. Die Gegenwart verblasste, und zurück kehrte der Moment, als sie ihrer Tochter den Namen Julia gegeben hatte. An diesem Fenster hatte sie ihr Kind eine kostbare Stunde lang im Arm gehalten, bis sie vor Tränen blind war. Wann war es gestorben? Vor oder während der Geburt? Leblos geboren werden, was bedeutete das? Diese Fragen verfolgten sie noch immer. Hätte Julia noch einen Tag gelebt, wäre sie in der anglikanischen Allerheiligen-Kirche getauft worden, in der Louisa Elliot geheiratet hatte und selbst getauft worden war.

Auch nach über zwei Jahren ließ das Ereignis sie nicht los. Sie fühlte sich schuldig und dachte, sie hätte vielleicht doch etwas tun oder unterlassen können, und dann wäre es nicht passiert. Louisa schloss die Augen und sah einen schönen sonnigen Tag vor sich. Julia spielte am Strand mit den Hunden Tommy, Bouncer und Zip, dem Kümmerling des Wurfs. Alle hatten ein sandiges, nasses Fell und rochen nach Meerwasser, und ihr kleines Mädchen kreischte vor Vergnügen. Es sammelte Muscheln und rannte und stolperte über die eigenen Füße, weil es seinen kostbaren Fund so unbedingt vorzeigen wollte, nur um ihn Augenblicke später schon wieder vergessen zu haben. Und dann stellte Louisa sich vor, ach, fast fühlte sie es, wie sie ihre Tochter nach dem Baden in die Arme hob und ihre Haare nach Babyshampoo rochen.

Sie holte tief Luft und ließ den Tagtraum vergehen, um in die Gegenwart zurückzukehren.

Ihr blieb nun lediglich, das Personal anzuweisen und stets für frische Blumen zu sorgen. Sie ging auf die Veranda, nahm ein Streichholz und eine Kerze und zündete die Öllampen an, ebenso die Zitronenölkerzen, die die Mücken abhielten. Auf Zehenspitzen schaute sie in einen Lampenschirm, in dem ein Rotohrbülbül sich ein Nest gebaut hatte, um zu prüfen, ob die Glühbirne weisungsgemäß entfernt worden war. Sie hörte das Tschriek-tschriek des Vogels, der es bewachte. »Schon gut, mein Kleiner«, flüsterte sie. »Die Glühbirne wird erst wieder eingeschraubt, wenn eure Jungen flügge geworden sind.« Der Wind hatte rosa Hibiskusblüten auf die Veranda geweht. Louisa saß gern am frühen Morgen dort, schaute in den Garten, der das große Kolonialhaus umgab, und lauschte dem Chor der Dämmerung, wenn alles im ersten Sonnenschein leuchtete.

Sie ging zurück ins Wohnzimmer. An der Decke zwischen den Holzbalken aus dem achtzehnten Jahrhundert verbreiteten verborgene Lampen einen goldenen Schein. Sie hatte den Raum eigenhändig in Orange und die Türrahmen in Türkis gestrichen, eine Gestaltung, die manche Leute erschreckte, zumal wenn sie den traditionellen cremefarbenen Wänden anhingen. Doch Louisa schwärmte für die strahlenden Farben. Zwei Ventilatoren aus dunklem Holz sorgten für Luftbewegung, und in einer Ecke warf eine Zimmerpalme Schattenflecken an die hohe Wand. Das Grammofon spielte I Only Have Eyes for You.

Im Erdgeschoss des Hauses befanden sich die Küche, das Zimmer der stundenweise angestellten Haushälterin, die Wohnräume und die Arbeitszimmer. Die Gästezimmer und zwei Bäder waren im ersten Stock untergebracht, wo auch Louisas Nähzimmer lag, im zweiten Stock ihr gemeinsames Schlafzimmer, ihr Bad und ein luftiges privates Wohnzimmer, ein sonniger, ruhiger Raum, zu dem eine Dachterrasse gehörte. In dem Haus am hinteren Rand des Gartens war die Dienerschaft untergebracht, wobei einige vom Personal bei ihren Familien in Galle wohnten.

Ein wenig später, als die letzten Gäste eintrafen, standen Louisa und Elliot zusammen im Foyer, um sie zu begrüßen. Damit das erleuchtete Haus von draußen einladend wirkte, hatte sie angewiesen, die Lamellenfensterläden an der Vorderseite offen zu lassen. Ihre Gäste sollten an diesem herrlichen Abend glücklich sein, und sie selbst empfand nun eine freudige Erregung.

Einer von Elliots Freunden kam an, Jeremy Pike, der Sohn eines vermögenden Plantagenbesitzers, den Elliot schon aus Colombo kannte, ein gut gekleideter Mann mit einem säuberlich gepflegten Schnurrbart. Er verbrachte oft ein paar Tage im Sommerhaus der Familie in Galle, und Elliot und er gingen häufig zusammen segeln, aber Louisa hatte ihn nie näher kennengelernt. Er war ein Mann, der sich nur in männlicher Gesellschaft wohlfühlte. Nach ihm begrüßten sie ein älteres Ehepaar, Freunde ihres Vaters, das sich über die drückende Hitze beklagte. Unterdessen fuhr ein Teeplantagenbesitzer mit seiner Frau in einem Daimler vor.

»Ah«, sagte Elliot. »Das ist gut. Die Hoopers sind gekommen.«

Louisa sah die schlanke dunkelhaarige Frau in einem violetten Kleid langsam mit ihrem Ehemann auf die Haustür zukommen. Die Frau war sehr hübsch. Das Haar fiel ihr in natürlichen Ringellocken den Rücken hinunter, und ihre Augen passten genau zum Farbton des Kleides. Sie trug einen Säugling, der in einen Spitzenschal eingehüllt war, und als sie ein wenig stolperte, streckte die hinter ihr gehende Kinderfrau sogleich eine stützende Hand aus. Der Mann legte den Arm um die Schultern seiner jungen Frau, und Louisa dachte, wie fürsorglich er doch sei.

Breit lächelnd trat Elliot auf sie zu, um sie willkommen zu heißen. »Laurence und Gwendolyn, wie schön, dass Sie es einrichten konnten.«

Louisa gab dem Mann die Hand, und seine Frau reichte den Säugling an die Kinderfrau weiter, bevor sie Louisa einen Kuss auf die Wange hauchte. »Ich freue mich so sehr, Sie wiederzusehen«, sagte sie.

Louisa lächelte. »Es ist Monate her, seit wir uns in Colombo getroffen haben.«

»Zum Tee im Galle Face Hotel, nicht wahr? Es war wunderbar, übers Meer zu schauen und sich Galle im Dunst der Ferne vorzustellen. Und nun sind wir tatsächlich hier.«

»Da hatten Sie Ihr Kind noch nicht.«

Gwen schüttelte den Kopf. »Gott, nein. Es ist wirklich viel zu lange her.«

»Nun, umso mehr freue ich mich jetzt. Wie gefällt Ihnen Galle?«

»Ganz außerordentlich. Ich war schon einmal hier, kurz nachdem wir nach Ceylon gezogen waren, doch das war vor einer Ewigkeit. Das ist ein so verträumtes Städtchen. Ich kann es kaum erwarten, morgen früh auf Erkundungstour zu gehen.«

»Würden Sie mir erlauben, Sie herumzuführen?«

Gwen nickte. »Wenn Sie die Zeit haben?«

»Reichlich, und ich kenne mich bestens aus.«

»Sie sind hier aufgewachsen, nicht wahr?«

»Ja. Allerdings war ich in England im Internat. Ich bin viel mit dem Fahrrad unterwegs. Wie Sie wahrscheinlich bemerkt haben, liegen wir auf einer Landzunge und sind an drei Seiten von einer Wallanlage umgeben.«

»Die würde ich mir zu gern einmal näher ansehen.«

»Dann ist es abgemacht. Sie sind vermutlich im New Oriental Hotel abgestiegen?«

Gwen nickte.

»Da werde ich Sie abholen kommen. Sagen wir, um acht? Der frühe Morgen ist die beste Zeit, weil es noch nicht so heiß und schwül ist.«

»Fabelhaft. Das ist ein kleiner Urlaub für uns. Meine Mutter ist aus England gekommen, und sie passt auf unseren Hugh auf. Wir werden morgen zum Abendessen wieder zu Hause sein.« Sie schaute lächelnd zu ihrem Mann auf, der sich gerade dazu äußern wollte, doch Elliot unterbrach ihn.

»Laurence, was sagen Sie zu einem Glas wirklich gutem Malzwhisky?«

Als Laurence nickte, klopfte Elliot ihm auf den Rücken. »Wir lassen die Damen dann mal allein«, meinte er zwinkernd. Er berührte Louisa an der Hand. »Einverstanden?«

Sie bedachte ihn mit einem Blick, den hoffentlich kein anderer bemerkte, und bat ihn damit, nicht so viel zu trinken. Aber nein, das Spielen und Trinken gehörte ganz bestimmt der Vergangenheit an. Dann wandte sie sich ab und lächelte Gwen an. »Wie heißt Ihr Jüngstes?«, fragte sie.

»Alice. Sie ist heute sechs Wochen alt und noch zu klein, als dass ich sie zu Hause lassen könnte.« Sie schaute sich um.

»Kommen Sie, ich zeige Ihnen ein Zimmer, wo sie schlafen kann.«

Während Gwen und die Kinderfrau den Säugling schlafen legten, ging Louisa nach unten, um sich unter die Gäste zu mischen. Dabei stiegen ihr ein Hauch Zitronenpolitur und der frische Duft des blühenden Pongambaums im Garten in die Nase, der dieses Jahr schon früh Knospen angesetzt hatte. Die kleinen Blüten in dem hellen Purpur liebte sie besonders und hatte Zweige davon in Bodenvasen gestellt und im Haus verteilt.

Sie hatte auch etliche Freunde ihres Vaters und Geschäftsleute aus Galle eingeladen. Von denen saßen jetzt einige in ihren besten Kleidern auf der Veranda um die Zitronenölkerzen versammelt. Ihr Gelächter drang bis ins Foyer des Hauses. Das Schöne an Galle war, dass wenigstens einige Briten mit den Muslimen, Buddhisten und Hindus Umgang pflegten. Die Stadt war wirklich multinational, und die Religionen existierten friedlich nebeneinander. Es gab vieles zu besichtigen, nicht zuletzt das bezaubernde Labyrinth enger Seitenstraßen. Dort kannte Louisa jeden mit Namen, und bei schönem Wetter roch es da am Morgen nach frischem Ingwer- oder Pfefferminztee, und beim Spazierengehen begegnete man vielen Ziegen, Kühen und Eidechsen. Sie freute sich darauf, Gwen all das zu zeigen.

Das Teeanbaugebiet lag weit entfernt. Dass die Hoopers die weite Fahrt auf sich genommen hatten, um zu ihrer Party zu kommen, war eine fabelhafte Überraschung. Da Louisa in Galle jeden kannte, war die Verabredung mit Gwen eine Abwechslung, und sie würden sicherlich Spaß miteinander haben. Sie war ihr schon ein paarmal begegnet und hatte sie von Anfang an sympathisch gefunden.

Als sie sich umdrehte, sah sie ihren Vater eintreffen. Er war ein großer, dünner Mann, trug eine Brille, hatte buschige Augenbrauen und wirkte ein wenig grimmig, wenn man ihn nicht kannte. Aber einen herzlicheren Mann als Jonathan Hardcastle würde man nicht so leicht finden. Er war immer auf Fairness bedacht, behandelte sein Personal untadelig, und seine wegweisende Gesinnung war bei den Machthabern nicht immer gut angekommen.

Er kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Mein Liebling. Du hast es wie üblich schön gemacht.«

Sie umarmten sich, und Louisa lächelte. »Das sagst du immer.«

»Und ich sage immer, deine Mutter wäre stolz auf dich.«

Sie wechselten einen Blick. Seine Frau war gestorben, als Louisa erst sieben Jahre alt gewesen war. Sie konnte sich kaum an sie erinnern, er dagegen würde sie wohl nie vergessen. Louisa hatte die goldgesprenkelten hellbraunen Augen ihrer Mutter geerbt, und er bemerkte oft, wie ähnlich sie ihr sah. Er hatte kein zweites Mal geheiratet. Louisa war deshalb von einer Kinderfrau erzogen worden, die ihr mehr Freiheiten ließ, als eine Mutter es getan hätte. Daher war sie seit eh und je mit dem Fahrrad gefahren. Sie hatte »ihre Runden gedreht«, wie sie es gern nannte. Es dauerte nicht lange, um die Festungsmauer einmal zu umfahren. Louisa war es gewohnt, das täglich zu tun, und die Leute schienen es zu mögen, wenn sie anhielt, um mit ihnen zu plaudern.

»Wollen wir gemeinsam hineingehen?«, fragte ihr Vater.

»Geh nur voraus. Ich will eben Ashan einen Wink geben. Ich denke, man sollte das Essen schon servieren.«

»Das kann ich übernehmen.«

»Keine Umstände, Pa.« Sie drückte seine Hand. »Mach dir einen schönen Abend.«

Als sie den hinteren Flur durchquerte, der zur Küche führte, kam sie an der offenen Tür zu Elliots Arbeitszimmer vorbei und stutzte. Dort stand ein Mann, der ihr vage bekannt vorkam. Ein dunkelhaariger Burgher, so viel war klar, mit ungeschnittenen Brauen und teilnahmsloser Miene, ein Abkömmling der Portugiesen, die Galle als erste Europäer erobert hatten. Sie war überrascht, dass Elliot nicht erwähnt hatte, ihn eingeladen zu haben, und trat auf ihn zu, um sich vorzustellen. Elliot, der sich ebenfalls im Arbeitszimmer aufhielt, entdeckte sie und zog die Brauen zusammen. Sein ärgerlicher Blick verunsicherte sie, doch ehe sie etwas sagen konnte, nahm sie aus dem Augenwinkel eine plötzliche Bewegung wahr und sah einen Weißbartlangur in die Küche huschen. Sie würde sofort ein strenges Wort mit dem Personal reden müssen. Bestimmte Fenster und Türen mussten stets geschlossen bleiben. Die Affen waren schlau, und wenn man ihnen den kleinen Finger reichte, nahmen sie die ganze Hand. Sie wagte sich kaum daran zu erinnern, dass ihr Vater dasselbe einmal über Elliot gesagt hatte.

3

 

Am nächsten Morgen verließ Louisa ihr Haus in der Church Street, ging die Straße hinunter, überquerte die Middle Street und erreichte nach wenigen Schritten das New Oriental Hotel, das mit seinen dicken Sandsteinmauern beeindruckte. Es war 1684 von einem Holländer erbaut worden und hatte zunächst als Unterkunft für Heeresoffiziere gedient. Heutzutage stiegen dort Plantagenbesitzer und Kaufleute ab, in jüngster Zeit aber auch Urlaubsreisende. Im Foyer, das ganz im Regency-Stil eingerichtet und üppig mit Lehnsesseln und Sofas aus Ebenholz sowie dem ein oder anderen Korbsessel ausgestattet war, herrschte schon Betrieb.

Es roch nach Bienenwachs und Zigarrenrauch, aber auch ein schwacher Geruch nach dem Whisky vom Vorabend hing in der Luft, und ein großer Tannenbaum nahm einen prominenten Platz ein. Er war geschmückt mit Kugeln und kleinen Kerzen, die, einmal angezündet, ständig von einem der Boys beobachtet werden mussten. Im vergangenen Jahr war der zuständige Aufpasser bei einem Nickerchen erwischt worden und wäre fast für einen Brand verantwortlich gewesen.

Louisa liebte das Hotel auch wegen seiner eleganten Fassade und seiner Lage am Hafen und hatte es wie die meisten Gebäude der Stadt zu der einen oder anderen Gelegenheit gezeichnet. Sie hatte Talent und wäre gern Architektin geworden, aber in Ceylon hatten Frauen keine Möglichkeit zu studieren. Sie hätte nach Europa oder Amerika gehen können, hatte ihren Vater seinerzeit jedoch nicht allein lassen wollen. Fasziniert von der Architektur und von Bauten, entwickelte Louisa eine Leidenschaft für das Interieur. Oft fand man sie an dem schönen Mahagonigehäuse ihrer Singer-Nähmaschine sitzen und bis spät in die Nacht Vorhänge oder Kissenbezüge nähen. Oder wenn nicht das, so fertigte sie Federzeichnungen und Aquarelle von Häusern in Galle an, um sie an die Wände zu hängen. Du verdirbst dir die Augen, pflegte Irene, ihre Schwiegermutter, zu sagen.

Irenes spießiger Standesdünkel war typisch für gewisse Europäer, und Louisa wagte kaum zuzugeben, wie erleichtert sie war, weil ihre Schwiegermutter sie dieses Jahr nicht zu Weihnachten besuchte. Die Reeves, Irene und Harold, ein Staatsbeamter, waren bei Freunden in Colombo eingeladen, und daher würde Louisa mit ihrem Mann und ihrem Vater allein sein.

Einen Moment später kam Gwen in einem wadenlangen Baumwollkleid mit ausgestelltem Saum und einem großen Sonnenhut ins Foyer. »Guten Morgen«, sagte sie und küsste Louisa auf die Wange, bevor sie die Krempe herabbog. »Nicht sehr weihnachtlich, wie? Ich muss ihn ständig tragen, weil ich mir so leicht die Haut verbrenne.«

Louisa blickte auf ihre eigenen gebräunten Arme. »Zum Glück habe ich das Problem nicht. Ich bin so häufig mit dem Fahrrad unterwegs; ich sehe immer aus, als hätte mich jemand draußen in der Sonne vergessen.«

»Wenigstens ist das neuerdings Mode.«

Sie verließen das Hotel und gingen durch die gepflasterten Straßen, vorbei an niedrigen Bungalows mit herrlichen Ornamenten über der Tür und roten, von Säulenreihen getragenen Ziegeldächern, die den Veranden Schatten spendeten.

»Also«, sagte Louisa. »Nun erzählen Sie mir, was Sie auf Ihrer Teeplantage so treiben.«

»Sie ist recht abgelegen, sodass wir wenig Gesellschaft haben. Es gibt nur die eine oder andere Fahrt nach Colombo oder Nuwara Eliya zu einem Ball. Einmal sind wir allerdings für einen Monat nach New York gereist.«

»Das muss wunderbar gewesen sein.«

»Es war eine schöne Zeit. Wir waren gerade dabei, Hooper’s Tea als Handelsmarke zu etablieren.«

»Waren Sie erfolgreich?«

»Durchaus. Jedoch bin ich in dem Geschäft eigentlich nicht tätig. Ich stelle hauptsächlich Käse her.«

»Wirklich?«

»Wenn Sie mich einmal besuchen, müssen Sie ihn probieren. Er ist köstlich, wenn ich das sagen darf.« Sie lächelte, und ihre Augen strahlten.

Alle Häuser, an denen sie vorbeikamen, hatten Fensterläden, die offen oder geschlossen waren, und in den Torwegen standen verschlungene Tempelbäume, in denen sich Affen von Ast zu Ast schwangen.

Louisa dachte daran zurück, als Elliot und sie in ihr Haus eingezogen waren, kurz nachdem er die Geschäftsleitung der Edelsteinschleiferei ihres Vaters übernommen hatte. Ihr Vater hatte erst überzeugt werden müssen, Elliot überhaupt einzustellen, doch am Ende hatte er sich trotz Jonathans bleibender Vorbehalte bewährt.

Während die beiden Frauen plaudernd durch die Stadt schlenderten, begegneten sie buddhistischen Mönchen und weiß gekleideten Moslems, und Louisa nickte allen zu.

»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte Gwen. »Wir müssen früher abreisen als geplant.«

»Wir laufen nur rasch hier entlang, einverstanden? Dann bringe ich Sie auf den Befestigungswall. Elliot und ich gehen abends in der Dämmerung gern darauf spazieren, bevor der Himmel indigoblau wird.«

»Wie romantisch. Sie haben Glück. Sie haben alles, was man sich wünschen kann.«

Louisa lächelte, erwiderte aber nichts darauf.

»Es ist hier sehr hübsch, märchenhaft sogar.«

Sie rochen den Fisch, bevor sie ihn sahen. Vor einem Laden schlug er im Wind an eine Holzstange, an der er aufgehängt war, um in der Sonne zu trocknen. Der Laden verkaufte auch Thunfischsoße, die in großen Fässern aufbewahrt wurde und einen penetranten Geruch verbreitete. Es war noch früh genug, dass man den Fischverkäufer bei seiner Auslieferungstour sah. Auf seinem Fahrrad balancierte er große Körbe mit frischen Fischen, wobei ihm eine Schar Katzen folgte. Er winkte den beiden Frauen im Vorbeifahren zu. Jeder grüßte Louisa.

»Er liefert überall innerhalb der Stadt und wirft die Köpfe und Schwänze den Katzen zu«, sagte sie. »Wie Sie sehen, sind die ziemlich gut genährt.«

Sie kamen an einem sehr großen, lieblich duftenden Tempelbaum vorbei, und bald erreichten sie die alte Wallanlage aus Granit und Korallen. Hier konnten sie bis zum Horizont über glitzerndes Meer schauen.

»Das ist unglaublich schön«, sagte Gwen. »Und ich liebe den Geruch.«

Louisa lachte. »Von Fisch?«

»Ja, es riecht auch nach Fisch, aber ich meine den wunderbar salzigen Meeresgeruch. Wir leben an einem See, doch ich habe mich oft gefragt, wie es wohl ist, so nah am Meer zu wohnen.«

»Das ist ein ständig wechselnder Anblick. Mir gefällt das. Manchmal ist es ruhig und glänzt silbrig, dann ist es beruhigend, hier zu sitzen und hinauszusehen, und manchmal ist es goldgesprenkelt, so wie jetzt.«

Als sie sich auf der Mauer niederließen, fühlte Louisa sich so entspannt wie schon eine Weile nicht mehr. Sie hatte sich danach gesehnt, sich jemandem anzuvertrauen, aber nicht den richtigen Menschen oder den passenden Zeitpunkt dafür gefunden. Gwen war die Erste, der sie zutraute, nichts weiterzuerzählen. »Sie haben gefragt, ob ich glücklich bin«, begann sie.

»Ja.«

»Nun, vielleicht werde ich es noch. Vor zwei Monaten hatte ich eine Fehlgeburt.«

»Du meine Güte, wie schrecklich für Sie!«

»Aber das war nicht meine erste.« Louisa schluckte schwer, bevor sie weiterreden konnte. Beide so früh verlorenen Kinder waren für sie Menschen, um die sie trauerte. Kleine Menschen, die sie hätte in die Arme nehmen und ans Herz drücken sollen. Es fiel ihr sehr schwer, darüber zu sprechen, doch sie konnte auch nicht mehr schweigen. »Vor gut zwei Jahren hatte ich eine Totgeburt und vor acht Jahren eine Fehlgeburt.«

Gwen schaute sie bestürzt an. »Das tut mir sehr leid … Es muss furchtbar gewesen sein.«

Louisa murmelte einen Dank.

Gwen nickte langsam, als überlegte sie, was sie sagen sollte. »Ich habe auch ein Kind verloren«, bekannte sie schließlich. »Es kostet mich noch immer Überwindung, darüber zu reden. Sonst hätte ich es erwähnt, als wir in Colombo miteinander Tee tranken. Ich konnte nicht.«

Louisa biss sich auf die Lippe, um die Tränen zurückzudrängen.

»Das ist eine lange Geschichte. Wir haben es für uns behalten. Sie hieß Liyoni«, erzählte Gwen weiter. »Der Verlust hat mir das Herz gebrochen.«

Louisa verstand das. »Aber wenigstens haben Sie jetzt Ihre hübsche kleine Alice.« Und sowie es ausgesprochen war, klang es ganz falsch. »Du meine Güte, das war ungeschickt! Es tut mir leid, ich meinte nicht …«

Gwen blickte sie an. »Keine Sorge. Doch nichts kann den Verlust wettmachen, wie Sie sicherlich wissen.«

Louisa nickte. Nach dem vertraulichen Gespräch hatte sich zwischen ihnen etwas geändert, und Louisa fühlte sich Gwen sehr verbunden. »Danke, dass du es mir anvertraut hast.«

Als sich ihre Augen mit Tränen füllten, berührte Gwen tröstend ihre Hand, und die beiden Frauen saßen zusammen in der entspannenden Ruhe des Morgens.

Am nächsten Abend gingen Louisa und Elliot, beide gut gesättigt von einem langen und sehr späten Weihnachtslunch mit ihrem Vater, zur Festungsmauer hinaus und setzten sich an dieselbe Stelle, an der Louisa mit Gwen gewesen war. Spaziergänger ließen sich auf der Mauer nieder und verzehrten einen Imbiss, und Louisa beobachtete die Krähen, die aufmerksam darauf lauerten, ob ein Bissen für sie abfiel.

»Ich glaube, ich habe zu viel Brandy mit deinem alten Herrn getrunken«, sagte Elliot und schloss die Augen.

»Dann wird dir die frische Luft guttun.« Sie fühlte sich ein wenig enttäuscht.

Als es etwas kühler wurde, strömten die Einheimischen zu ihrem Abendspaziergang ins Freie.

Nachdem sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergewonnen hatte, lächelte Louisa ihn an. »Die Party war großartig, nicht? Ich bin sehr froh, dass du Gwen und Laurence eingeladen hast. Aber warum nicht den Mann, den ich bei dir im Arbeitszimmer sah? Den Burgher?«

»Das tat ich durchaus, doch Pieter de Vos hatte andere Verpflichtungen.«

»Du schienst verärgert, als ich euch beinahe unterbrochen hätte.«

»Aber gar nicht.«

»Weshalb war er hier?«

»Wegen einer geschäftlichen Angelegenheit.«

»Oh, Elliot! Du hast versprochen, über Weihnachten die Geschäfte ruhen zu lassen.«

»Es tut mir leid.« Er hakte sich bei ihr unter. »Reden wir nicht mehr davon. Lass uns lieber den Abend genießen. Wir sind glücklich, oder? Du kommst darüber hinweg?«

Sie lehnte sich an ihn. »Ja.«

Als die Sonne unterging, loderte der Himmel in feurigen Rot- und Rosatönen, und dann hörte man den melodischen Gebetsruf von der Moschee. Sogleich machten alle Männer in Weiß kehrt und eilten dorthin.

Louisa liebte die diesigen, friedlichen Abende, auch wenn die Atmosphäre hin und wieder etwas Trauriges hatte. Denn Galle war dieser Tage nicht mehr so belebt wie früher. Ihr Vater hatte es noch erlebt, dass fünfhundert Passagiere am Tag mit Ozeandampfern ankamen, Gewürzfrachter an den Kais lagen und Flottillen der Kriegsmarine anlegten, um frische Vorräte aufzunehmen. Inzwischen lebten noch einige kosmopolitische Europäer in Galle, zumindest einen Teil des Jahres, und die Stadt blieb das Handelszentrum für Edelsteine, Zimt und Kautschuk, aber der Teehandel hatte sich nach Colombo verlagert.

Derweil freute sich Louisa, den Kaufleuten zu begegnen, die noch von Malaya, Indien und China kamen. Galle konnte sich gerade so über Wasser halten, und sie hörte gern den repetitiven melancholischen Ruf zum Gebet, der bei Sonnenaufgang, zu Mittag, am Nachmittag, bei Sonnenuntergang und noch einmal zwei Stunden später ertönte. Er hatte ihr ganzes Leben begleitet. Zwar gab es jetzt weniger Moslems, und die meisten Singhalesen waren Buddhisten, die Menschen lebten jedoch friedlich miteinander. Wie jeder wusste Louisa von gelegentlichen Aufständen gegen die Briten, sie kamen jedoch viel seltener vor, seit jeder Stimmrecht hatte, und in Galle noch seltener als in Colombo. Ja, die Dinge hatten sich geändert in Serendip, wie Ceylon früher einmal genannt wurde, und zwar zum Besseren.

4

 

Eine Woche nach Weihnachten, am Neujahrstag, war Elliot zum Flag Rock gegangen, dem südlichsten Punkt der Halbinsel, um von dort ins Meer zu springen. Louisa hielt das für einen riskanten Zeitvertreib, aber Elliot war süchtig nach Gefahr. Er fuhr zu schnell, nahm in einer kleinen Jolle an Segelrennen teil und lebte sein Leben mit extremer Geschwindigkeit. Louisa fand es schwer, mit ihm Schritt zu halten. Andererseits war er auch kein stiller, nachdenklicher Mensch wie sie. Er verabscheute die Anspannung, die er ihr manchmal ansah, und meinte, sie halte sich mit den Dingen nur unnötig auf. Sie hatte ihn gebeten, ihr auf dem Rückweg vom Markt eine Überraschung mitzubringen. Dort hatte er auch die Saphirspange für sie gefunden. Natürlich war sie nicht echt, und Elliot war wohlhabend genug, um ihr echten Schmuck zu kaufen, doch es gefiel ihnen, auf den verschiedenen Märkten und Basaren füreinander kleine Geschenke zu erstehen. Das taten sie schon seit Jahren. Elliot war nur in letzter Zeit dafür zu beschäftigt gewesen.

In der vergangenen Woche war er auf Cinnamon Hills gewesen, der Zimtplantage außerhalb von Galle, an der er Anteile besaß. Sie sei von den früheren Besitzern vernachlässigt worden, sagte er, und da viel Arbeit nötig war, damit sie wieder etwas abwarf, hatte er ausgeholfen. Im vorigen Monat war er auch in Colombo gewesen, um sich dort um seinen Gewürzhandel zu kümmern, und das noch zusätzlich zu seiner ganztägigen Arbeit in der Firma ihres Vaters.

Louisa versuchte, nicht mehr an ihre letzte Fehlgeburt zu denken und optimistisch zu sein, doch das war nicht immer einfach. Sie rief sich ihren Spaziergang mit Gwen Hooper in Erinnerung. Die Frau hatte etwas Zerbrechliches an sich und auch ein Kind verloren, lebte aber voller Optimismus weiter. Was Frauen durchmachen!, dachte Louisa. Was sie durchmachen – und trotzdem gelingt es ihnen zu lächeln.

Nach einem Frühstück aus Früchten, Büffelquark und zarten Reismehlkokosfladen, sogenannten Hoppers, die manchmal auch mit gestockten Eiern serviert wurden, rief Louisa ihre drei Springer Spaniels zu sich und brach zu einem Spaziergang auf. Sie gingen durch das Haupttor der Festungsmauer und über einen Kanal in den Park. Als der Blumenverkäufer auf seinem alten Fahrrad vorbeifuhr, erinnerte Louisa sich an früher, als Elliot und sie gerade frisch verheiratet gewesen waren. Da waren sie häufig vor dem Frühstück in den Park und dann zum Leuchtturmstrand gegangen. Einmal forderten sie einander heraus, bis zum Riff ins Wasser zu waten, da gerade Ebbe herrschte. Sie fühlten sich wie Kinder, die eine neue Welt erkundeten, und lachten so viel, dass sie ausglitten und, da sie sich aneinander festhielten, zusammen hinfielen. Darauf mussten sie nass und sandig den Rückweg antreten und schlichen sich zu Hause die Treppe hinauf, damit die Diener sie nicht bemerkten. Mit Elliot hatte sie immer viel Spaß gehabt.

Ihr Vater war ein viel ernsterer, nachdenklicherer Mensch als ihr Ehemann. Die Briten in Ceylon waren entweder Offiziere, Plantagenbesitzer, Staatsbeamte oder Kaufleute. Ihr Vater gehörte der letzten Gruppe an. Durch den Verlust seiner Frau war er vielleicht erst so ernst geworden. Es machte Louisa traurig, dass sie sich nicht erinnern konnte, wie er vor dem Tod ihrer Mutter gewesen war.

Nach ihrem Spaziergang legte sie sich aufs Bett unter den Ventilator, eine Hand auf ihrem Bauch. Wenn doch nur …, dachte sie, aber dann besann sie sich. Elliot zeigte nie seine Trauer über Julias Verlust, doch sie wusste, der Tod seiner Tochter schmerzte ihn. Er wäre der geborene Vater, besonders da sein jüngerer Bruder mit fünf Jahren an Cholera gestorben war. Elliot war sieben gewesen und Margot, seine jüngere Schwester, noch ein Kleinkind. Darum hatte Louisa trotz allem Mitgefühl für Irene Reeve, auch wenn der Verlust offensichtlich nicht der einzige Grund für Irenes ständige Unzufriedenheit war. Louisa seufzte, als ihr der Geruch einer mit Kokos gewürzten Speise in die Nase wehte. Ihre Schwiegermutter würde rechtzeitig zum Abendessen aus Colombo anreisen; daher war es Zeit, sich zu frisieren und ein wenig zurechtzumachen.

Während des Abendessens, das aus einem singhalesischen Reisgericht bestand, kamen sie mit belangloser Plauderei ganz gut zurecht. Elliots Vater hatte seine Frau zu dem längeren Besuch nicht begleiten können, weil er zu viel zu tun hatte.

»Es ist schade, dass Harold es nicht einrichten konnte«, sagte Louisa. »Wir hatten sehr darauf gehofft, nicht wahr, Elliot?«

Ihr Mann nickte. »Macht nichts. Es ist schön, dass du hier bist, Mutter.«

»Ja, wirklich, Irene«, bekräftigte Louisa pflichtbewusst.

Ihre Schwiegermutter rümpfte gereizt die Nase. Es schien ihr nach all den Jahren noch immer zu missfallen, dass die Frau ihres Sohnes sie mit dem Vornamen anredete. »Man tut, was man kann, doch ihr wisst ja, wie er ist. Wenn er eine höhere Position bekleiden würde, hätte er mehr Freiheiten, aber du kennst deinen Vater. Er ist nicht einmal Mitglied des Colombo Clubs.«

»Ich bin sicher, Vater tut sein Möglichstes.«

Sie lächelte. »Du, lieber Elliot, siehst immer das Beste in den Menschen, doch dein Vater hätte viel mehr aus sich machen können. Nun ja, es ist, wie es ist. Du hast großes Glück, Louisa, dass du einen Mann wie meinen Sohn geheiratet hast.«

Louisa nickte, auch wenn sie beabsichtigte, sich bei dem Thema herauszuhalten. Sie hatten dieses Gespräch schon so oft geführt, sie konnte fast vorhersagen, welcher Satz als Nächstes fallen würde. Außerdem war sie froh, einmal nicht Gegenstand des Gesprächs zu sein.

Elliot brummte wie erwartet etwas Begütigendes, und im nächsten Moment trat ein Diener ein, um den Tisch abzuräumen, sodass die Familie verstummte. Dann kam Camille und servierte den Ananasmilchpudding, aber Louisa lehnte ab.

Camille legte den anderen eine Portion vor und ging hinaus.

»Es geht mich zwar nichts an«, begann Irene, »doch meinst du nicht, dass du von dem Milchpudding ein wenig mehr Fleisch auf die Rippen bekämst? Warum stellst du keine englische Köchin ein oder vielleicht sogar eine Französin? Das viele singhalesische Essen kann doch nicht gut für dich sein. Von den Puddingspeisen abgesehen.«

»Tatsächlich haben wir ein französisches Küchenmädchen. Sie heißt Camille und hat gerade den Pudding aufgetragen. Hast du sie nicht bemerkt? Obwohl sie Französin ist, trägt sie meistens einen Sari. Vielleicht hast du sie deshalb nicht beachtet.«

»Wie überaus ungewöhnlich. Eine Europäerin, die niedere Küchenarbeit verrichtet.«

»Sie hat eine traurige Geschichte hinter sich. Offenbar hatte sie sich in einen Matrosen verliebt, der ihr eine Stelle in der Kombüse des Passagierschiffs besorgte, auf dem er arbeitete. Aber dann ließ er sie in Galle sitzen, völlig mittellos.«

»Also hast du sie aufgenommen. So viel Freundlichkeit sieht dir ähnlich.«

Louisa sah an Irenes missbilligender Miene, dass sie das gar nicht für freundlich, sondern für dumm hielt. »Sie hat keine Familie. Ich fühlte mich verpflichtet, und wir hatten sowieso gerade unseren Küchenjungen verloren.«

Irene neigte den Kopf. »Ich verstehe. Nun, ich halte es für angebracht, ein wenig länger zu bleiben als geplant, mit deiner Erlaubnis natürlich. Jemand muss einmal dafür sorgen, dass du richtig isst.«

Louisa stöhnte im Stillen.

5

 

Louisa lag neben Elliot und hing ihren Gedanken nach, während er las. Er war immer sehr um sie bemüht, wenn sie unpässlich war. Vielleicht ist es ihm ja lieber, wenn ich nicht stark bin, dachte sie. Dann fühlt er sich gebraucht. Sie rückte näher an ihn heran und streichelte ihm über den Bauch. Kurios, wie leicht sich Zweifel einschlichen, selbst in einer gefestigten Ehe. Aber als er sein Buch zuklappte und den Arm um sie legte, verwarf sie rasch die flüchtigen Gedanken, und dann liebten sie sich zärtlich, zum ersten Mal seit ihrer Fehlgeburt.

Hinterher schlief er ein.

Bei ihr wollte sich der Schlaf jedoch nicht einstellen. Ihre Haut kribbelte, ihre Beine fühlten sich zu schwer an. Egal, wie sie lag, es war unbequem, und schon änderte sie wieder die Position. Dabei blieb es eine Weile, und nach einer Stunde stand Louisa auf. Sie zündete lediglich eine Kerze an, um Elliot nicht zu wecken. Er konnte es nicht leiden, wenn ihn etwas aus dem Schlaf riss, und meistens war er dann den ganzen nächsten Tag schlecht gelaunt.

Im Bad schaltete sie das Licht ein. Seit sieben Jahren gab es in Galle Elektrizität, und obwohl das ihr Leben verbessert hatte, vermisste Louisa im Haus den romantischen Schein der Öllampen und Kerzen. Manchmal waren die Nächte für sie schwer zu überstehen, und dann setzte sie sich oft eine Zeit lang auf den Rand der Badewanne. Diesmal öffnete sie das Fenster und lehnte sich mit geschlossenen Augen hinaus, um die Nachtluft einzuatmen. Feucht war sie. Lieblich. Salzig. Nachts allein auf zu sein gab ihr ein intensives Gefühl der Zeitlosigkeit, das sie sofort beruhigte. Sie blickte zum Vollmond hinauf. Der Garten schimmerte in dem bläulichen Licht. Wäre es nicht wunderbar, wenn sie heute Abend wieder schwanger geworden wäre?

Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht, und nach einer weiteren halben Stunde legte sie sich wieder ins Bett und dachte an ihre Kinder. In ihrer Fantasie spielten und tollten sie jauchzend umher, aber es schmerzte doch zu sehr, dass es sie nicht wirklich gab.

Irgendwann wachte Elliot auf und zog sie in seine Arme.

»Ich liebe dich«, flüsterte sie.

»Ich dich auch«, murmelte er im Halbschlaf.

Dann konnte sie doch noch einschlafen.

Während der folgenden Wochen ging das Leben wie gewohnt weiter. Louisa unternahm mit den Hunden lange Spaziergänge, nähte viel und schnitt die Sträucher. Die Abende brachten ihr zusätzlichen Trost, wenn sich der Himmel rotviolett verfärbte und sie den Gebetsruf von der Moschee hörte. Der weite dramatische Himmel über einem violetten Ozean, der sich bis zum Südpol erstreckte, weckte in ihr stets ehrfürchtiges Staunen. Aber kaum war alles wieder im Gleichgewicht und sie sichtbar glücklich, fuhr Elliot zur Zimtplantage und blieb diesmal noch länger fort als sonst.

Sie ging weiter mit den Hunden spazieren und kümmerte sich um den Haushalt. Eines Morgens Anfang Februar, nachdem Elliot zurückgekehrt war, kam ihr Vater, um sich zu ihr auf die Veranda zu setzen. Es war ein warmer, diesiger Tag. Viele Fliegen summten in der stillen Luft, und Louisa wischte sie sich ständig von den Augen. Sie ließ Tee kommen, und ehe ihr Vater nach der Ceylon Times griff, streckte er ihr die Hand hin. Louisa nahm sie und drückte sie sanft. »Das ist mein Mädchen«, sagte er.

Sie nickte und ließ seine Hand los. Er vertiefte sich in die Zeitung, doch sie empfand seine Gegenwart immer als tröstlich. Während sie in den Garten schaute und den Vögeln lauschte, die in den Zweigen umherhüpften, regte sich Freude in ihr. Es war noch früh, aber ein lebhafter Morgen, und der Duft der Jasminsträucher stimmte sie heiter. Das Leben musste weitergehen. Die dritte fehlgeschlagene Schwangerschaft war ein herber Schlag gewesen, doch sie hatte ein schönes Zuhause, einen guten Ehemann und einen Vater, der sie liebte. Das konnten nicht viele Frauen von sich behaupten, und bald würde sie wieder für das Waisenhaus in Colombo Spenden sammeln. Vielleicht wäre ein französisches Dinner mal eine nette Abwechslung. Camille könnte ihr bei der Auswahl der Speisen helfen. Louisa hatte schon zum Vormittagskaffee eingeladen, Flohmärkte veranstaltet und extravagante Lunchs gegeben, um dem Waisenhaus zu helfen. Elliot scherzte jedes Mal, wenn sie wieder zu Hause war, er habe sie im Geiste schon mit zwei braunen Säuglingen unter dem Arm heimkehren sehen.

Ein wenig später erschien er, und seine Mutter gesellte sich ebenfalls zu ihnen auf die Veranda. Louisa würde sich wohl der Tatsache stellen und darauf insistieren müssen, dass Irene nach Colombo zurückreiste. Ihre Schwiegermutter hatte ihre Gastfreundschaft schon zu lange in Anspruch genommen, wenn man es überhaupt so nennen konnte. Sie war nun bereits über vier Wochen bei ihnen. Louisa fürchtete, sie könnte noch da sein, wenn Elliot und sie anlässlich ihres Hochzeitstages die alljährliche Party gaben, die Ende des Monats stattfinden sollte.

»Wollen wir noch eine Tasse Tee trinken?« Louisa läutete und bat Ashan, ihren Butler, um eine weitere Kanne. Er trug den traditionellen Sarong. Ashans lange Haare waren auf dem Kopf mit einem silbergefassten Schildpattkamm festgesteckt.

»Danke, Ashan. Auf Sie kann ich mich immer verlassen.«

Er lächelte breit. »Das will ich hoffen, Madam.«

Sie blickte zu ihrem Mann. Seinem strahlenden Gesicht nach zu urteilen, hatte Elliot etwas bekannt zu geben. Für ein, zwei Augenblicke sagte er nichts, sondern saß nur lächelnd da, während sein Blick unergründlich blieb.

»Nun, was gibt es?«, fragte ihr Vater, der es ebenfalls bemerkt hatte. »Heraus damit.«

Louisa runzelte die Stirn und blickte ihren Mann fragend an. »Elliot?«

Er nahm ein Päckchen Zigaretten heraus, riss ein Streichholz an und zündete sich eine an, um noch einen Moment abzuwarten. »Ich habe die alte Druckerei gekauft.« Er lehnte sich zurück, wobei er zufrieden nickend die Lippen schürzte.

»Oh Liebling, wie wunderbar«, sagte Irene mit dem Überschwang mütterlichen Stolzes.

Jonathan Hardcastle blickte von der Zeitung auf, jedoch keineswegs erfreut. »Du hast was?«

»Mir kam da eine wunderbare Idee.« Trotz der Reaktion seines Schwiegervaters wirkte Elliot mit sich zufrieden.

»Welche Idee, Liebling?«, fragte Louisa sanft.

»Sie kam mir ganz überraschend zwei Wochen vor Weihnachten. Der alte Kasten steht seit einer Ewigkeit leer, und ich dachte, wir könnten daraus ein Kaufhaus für Schmuck und Gewürze machen, das größte von Ceylon. Gleich im Zentrum des Handels. Ich muss nur die Abschlusszahlung leisten.«

»Was hast du dir dabei gedacht? Wir sind keine Juweliere«, protestierte Jonathan. »Wir handeln mit Edelsteinen.«

Elliots Gesichtsausdruck blieb unverändert, und Louisa sah an dem Strahlen in seinen Augen, dass ihn gerade nichts ernüchtern könnte. »Ich meine, es ist Zeit zu expandieren, Jonathan, mal etwas zu riskieren.«

Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Wo wir so überlastet sind? Ganz und gar nicht.«

»Warum hörst du dir nicht erst einmal an, wie er sich das vorstellt, Pa?«

»Nein. Der Edelsteinhandel lässt stark nach, weil immer bessere Imitationen hergestellt werden, die den Markt überschwemmen und das nicht so kaufkräftige Publikum befriedigen.«

»Dann sollten wir erst recht expandieren, und zwar in die andere Richtung«, hielt Elliot entgegen.

»Nein. Das ist verrückt. Ich musste mich schon auf hochwertige Edelsteine konzentrieren, und das bindet enormes Kapital.«

Ashan brachte den Tee, und sie unterbrachen das Gespräch, bis er hinausgegangen war. Er arbeitete seit Jahren für die Familie und war ein Muster an Diskretion, dennoch besprach Louisa heikle Themen lieber vertraulich.

»Pa, du wirst das Geld doch sicherlich noch auftreiben können«, sagte sie. »Mir gefällt die Idee.«

»Mir absolut nicht. Das ist ein ganz schlechter Zeitpunkt.«

»Aber …«

Jonathan hob die Hand. »Ich bin überhaupt nicht dafür, und das meine ich ernst. Nun habe ich zu arbeiten. Ich hoffe, von dieser idiotischen Idee nichts mehr zu hören.« Er faltete die Zeitung zusammen, klemmte sie sich unter den Arm und verließ die Terrasse.

Plötzlich ernüchtert, stieß Elliot den Atem aus.

Louisa fühlte sich hin- und hergerissen. Sie wollte ihren Mann unterstützen, liebte aber auch ihren Vater.

»Nun ja.« Elliot schüttelte den Kopf. »Das lief ja wie geschmiert.«

»Ich werde mich ein wenig hinlegen«, sagte Irene indigniert und stand auf. »Ich bekomme wieder meine Kopfschmerzen. Solche Unstimmigkeiten sind nichts für meine heikle Verfassung.«

»Ich werde dir gleich einen Pfefferminztee bringen, Mutter.«

Nachdem Irene gegangen war, schaute Louisa ihren Mann an und überlegte seufzend, wie sie ihn unterstützen könnte. »Ich bin sicher, Pa wird einlenken.«

»Er liegt falsch und wird seine Meinung nicht ändern, das weißt du.« Elliot trank seinen Tee aus. »Er konnte mich nie leiden.«

»Sei nicht so gereizt. Natürlich kann er dich leiden. Aber vielleicht hättest du mir zuerst davon erzählen sollen, anstatt vor allen damit herauszuplatzen«, sagte Louisa.

Elliot zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Ich hielt das für eine tolle Überraschung. Dachte, du seiest auf meiner Seite.«

»Ach, komm, Elliot, das bin ich doch. Aber du kennst meinen Vater. Man muss ihn erst überzeugen.«

»Du meinst, du bekommst das noch hin?«

»Ich kann es versuchen. Versprich mir nur, dass das nicht wieder einer deiner hirnrissigen Pläne ist.«

»Bist du jetzt mein Aufpasser?«

Sie seufzte erneut. »Natürlich nicht, doch wenn ich dir helfen soll …«

»Hast du dir schon mal vorgestellt, wie es für mich ist, ständig betteln zu müssen?«

»Elliot, ich wollte damit nicht …«

»An das Rennpferd erinnern, nehme ich an?«

Sie schmunzelte. »Nun, es war tatsächlich lahm.«

Er stand auf und sah sie böse an. »Ehrlich, Louisa, willst du mir das immer wieder vorhalten? Ich weiß, ich bin eine Enttäuschung für dich, aber diesmal ist es vollkommen anders.«

»Beruhige dich. Das ist albern. Du bist keine Enttäuschung.« Sie streckte die Hand nach ihm aus.

Er nahm sie und setzte sich neben sie.

»Zufällig halte ich das Kaufhaus für eine gute Idee. Erzähl mir, wie du den Kauf finanziert hast.«

»Das Gewürzgeschäft hat in jüngster Zeit viel Gewinn abgeworfen. Davon habe ich die Anzahlung geleistet. Und der Kaufpreis war günstig.«

»Hast du die Kosten für die Renovierung berücksichtigt?«

»Selbstverständlich. Die sollte nicht allzu teuer werden. Das Haus ist in einem guten Zustand. Es braucht nur gründlich gereinigt zu werden und dann eine neue Innenausstattung. Das ist alles machbar.«

»Würde das lange dauern?«

»Nicht, wenn wir die richtigen Leute dafür bekommen.«

»Ich frage mich, ob wir auch die restliche Summe selbst aufbringen können. Und meinem Vater beweisen, dass es eine gute Idee ist.«

Er schien zu zögern. »Lou, die Sache ist die, ich bin gerade ein bisschen knapp bei Kasse.«

»Das verstehe ich nicht«, erwiderte sie. »Gerade sagtest du noch, die Geschäfte liefen gut.«

»Ja. Ja. Natürlich. So ist es. Ich habe momentan nichts flüssig. Das ist nur ein kurzfristiges Problem. Ich warte auf die Zahlung für eine große Lieferung, die noch unterwegs ist.«

»Und das ist alles?«

»Absolut.«

»Kein Rückfall in dein altes Problem?«

Er schaute entsetzt und gekränkt. »Natürlich nicht. Wenn die Zahlung da ist, steht alles bestens. Du weißt, wie die Dinge laufen.«

Sie vertraute ihrem Mann, natürlich, dachte jedoch einen Moment lang darüber nach, ehe sie weitersprach. Manche Dinge waren schwer zu vergessen, erst recht zu verzeihen. Trotzdem wollte sie ihm glauben. Sein entwaffnendes Lächeln überzeugte sie.

»Es könnte riskant sein, doch mein Vater kann sich auch irren.«

»Ich denke, das tut er.«

»Nun, schauen wir uns die Sache an, und wenn das Geschäft solide ist, kann ich sicherlich einen Weg finden, die Abschlusszahlung selbst beizusteuern. Ein neues Projekt würde mir gefallen.«

»Ich möchte nicht, dass du dich mit Jonathan überwirfst.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es sind meine Anteile, und bedenke, wir beide sind ein Team. Sobald ich das Haus gesehen habe, werde ich einige Anteile verkaufen, damit wir den Kauf abschließen können.«

»Gutes Mädchen! Ich wusste, ich kann auf dich zählen.«

»Und da wir schon dabei sind, ich werde dafür sorgen, dass auch für die Renovierung genug auf deinem Konto liegt.«

»Ausgezeichnet.«

»Dann können wir also zusammen planen. Ich freue mich schon darauf, die Innenräume zu gestalten.« So war es. Ein Projekt wäre jetzt genau das Richtige für sie. »Wie wäre es mit weißen Wänden und dazu Ladentische aus Ebenholz? Der Kontrast wirkt fabelhaft, und das Ebenholz aus Ceylon hat eine gleichmäßig dunkle Tönung. Das wird chic aussehen.«

»Ich hatte gehofft, dass du die Gestaltung übernimmst.«

»Du hast das für mich getan?«

»Nun, nicht ganz. Aber ich denke, eine neue Beschäftigung könnte dir guttun.«

»Und sobald Pa sieht, wie brillant alles wirkt und wie viele Juweliere ihre Waren anbieten möchten, wird er einlenken. Ganz sicher.«

»Ich bin froh, dass ich dich habe.«

Lächelnd griff sie nach seiner Hand. »Dann sind wir beide froh.«

»Wenn das so ist, hör zu, ich werde noch mal auf der Zimtplantage gebraucht.«

Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie, ihrer jähen Enttäuschung Herr zu werden. »Schon wieder? Wollen wir denn nicht mit den Plänen für das Kaufhaus vorankommen?«

»Das kann warten. Derzeit ist auf der Plantage enorm viel zu tun.«

»Zum Beispiel?«

»Du hast dich noch nie dafür interessiert.«

»Nun, aber jetzt.«

Es schien ihm nicht zu gefallen, so eingehende Fragen zu beantworten, und er überlegte anscheinend, was er sagen sollte. »Wenn du es unbedingt wissen willst, ich suche nach Möglichkeiten, sie produktiver zu machen. Zum Beispiel, indem wir ein Stück Wald roden und sie vergrößern.«

»Vielleicht begleite ich dich beim nächsten Mal. Ein Ausflug, wir beide allein, das wäre nett.«

Er sagte nichts dazu.

Und in dem anschließenden Schweigen kam es ihr vor, als wäre alles in der Schwebe.

6

 

Als Elliot zwei Tage später von der Plantage zurückkehrte, schien er bester Laune zu sein. Er strahlte geradezu. Louisa schlug erneut vor, ihn bei seinem nächsten Besuch zu begleiten. Zunächst war er nicht darauf erpicht, erklärte vielmehr, es sei dort recht primitiv und würde ihr nicht gefallen. Sie blieb jedoch beharrlich, und schließlich, nur wenige Tage danach, brachen sie gemeinsam auf. Er bestand auf diesem Tag, ohne es näher zu erklären, aber wenigstens erfüllte er ihr den Wunsch. Nur eine Stippvisite innerhalb eines Tages, da Hardcastle Gems neue Steine bekommen hatte und Elliot in der Firma gebraucht wurde, um die Registrierung der Neuware zu beaufsichtigen.

Die Straße nach Cinnamon Hills führte an den Handelskais vorbei, und Louisa musste sich die Nase zuhalten. Wenn Kautschuk verladen wurde, stank es entsetzlich. Danach fuhren sie an der ruhigen Bucht entlang, wo die größeren Schiffe vor Anker lagen, und passierten den südlichsten Zipfel des Rumassala, der auch als Watering Point bekannt war, weil die Schiffe früherer Zeiten dort aus einem Reservoir Süßwasservorräte aufgenommen hatten. Und von dort konnte man zwei Felsenriffe sehen, an denen während des Südwestmonsuns schon viele Schiffe zerschellt waren.

»Man hat eine prächtige Aussicht vom Gipfel, nicht wahr?«, sagte sie. »Wir sollten bald einmal wieder hinaufsteigen.« Nachdem sie den kleinen Friedhof hinter sich gelassen hatten, die letzte Ruhestätte britischer Verwaltungsbeamter und Seeleute, kurbelte Louisa das Fenster herunter, um die frische Luft zu genießen. »Ich liebe die Legende vom Rumassala.«

Das alte sanskritische Epos Ramayana erzählte von einer Zeit, als Hanuman, der Affengott, Kräuter brauchte, um die Verwundeten seines Heeres während seiner Schlacht gegen den Dämonenkönig Ravana von Ceylon zu behandeln. Dort waren jedoch keine Heilkräuter zu finden. Deshalb kehrte Hanuman nach Indien zurück und brachte ein Stück vom Himalaya mit, auf dem die benötigten Pflanzen wuchsen, ließ es aber am Rumassala versehentlich fallen. Die Singhalesen glaubten, dass es deshalb die seltenen Heilpflanzen in der Gegend gäbe.

»Ich überlege, es auch einmal mit Heilkräutern zu probieren«, sagte sie. »Vielleicht hilft das.«

»Doktor Russell wäre entsetzt.«

»Er braucht es nicht zu erfahren, und einen Versuch ist es wert. Die Einheimischen schwören darauf, und die Entscheidung liegt schließlich bei mir, nicht wahr?«

Als sie anderthalb Stunden später an der Plantage ankamen, gefiel Louise die raue Einsamkeit. Auf halber Höhe des Hangs stand, mitten auf einer Wiese und umgeben von Bäumen, ein alter Bungalow, wo Orchideen blühten, die über und über von Schmetterlingen bevölkert waren. Hinter dem Haus begann ein dichter, dunkler Wald. Da kann man sich verlieren, dachte Louisa. In dem Zwielicht sieht dich niemand, alles kann unbemerkt passieren …

Während sie die Zufahrt hinauffuhren, bemerkte sie oben auf der Anhöhe ein weiteres Haus, ein moderneres, das die Plantage überblickte. Dort parkten sie den Wagen und stiegen aus. Kurz genoss Louisa die fantastische Aussicht auf das Meer, dann drehte sie sich zu den dunstverhangenen violetten Hügeln um, die in der Ferne mit dem Himmel verschmolzen.

»Hier ändert sich das Licht den ganzen Tag über. Gefällt es dir?«, fragte Elliot.

»Es ist atemberaubend.«

»Ich schaue mal nach, ob McNairn da ist. Er leitet die Plantage.« Er ging zur Haustür, wo ihm ein Diener öffnete.

Im nächsten Moment kehrte Elliot zu Louisa zurück, die noch den Ausblick aufs Meer bewunderte. »Leo ist in Colombo, aber das soll uns nicht abhalten, ein bisschen herumzuschlendern. Komm, ich zeige dir ein paar Zimtbäume.«

»Hier hängt ein wunderbarer Geruch in der Luft. Ist das Zimt?«

»Zimt und Citronellgras, denke ich.«

»Kein Wunder, dass du so häufig hierherfährst! Beim nächsten Mal würde ich liebend gern ein paar Tage bleiben.«

»Nun ja, wie gesagt, Leos Haus ist recht einfach. Mich stört das nicht, wenn ich hier bin.«

»Mir macht Einfachheit auch nichts aus, wie du sicherlich weißt.«

»Wollen wir uns umsehen?«

Louisa folgte ihm einen kurvigen Pfad zwischen spärlichen Büschen und Orchideen entlang, hinter dem hohe dunkle Bäume den Arglosen ins Halbdunkel lockten. Sie spürte die Versuchung, obwohl sich dort wer weiß was verbergen mochte.

»Achte auf Schlangen«, sagte er.

»Giftige?«

»Die schwarz-weiße Krait.«

»Aber die sind nur bei Nacht unterwegs, oder?« Sie blickte sich um. »Ich würde gern wissen, wie der Zimt produziert wird.«

»Das ist ein bisschen ermüdend.«

»Trotzdem.«

»Nun, nach drei Jahren kann man bei einem Baum zum ersten Mal die jüngeren Triebe abschneiden, aus denen der Zimt gewonnen wird. Regelmäßiger Rückschnitt erhöht den Ertrag, erhält aber auch den strauchartigen Wuchs und erleichtert das Ernten.«

»Wie gewinnt man den Zimt?«

»Das ist ein wenig mühsam. Die Rinde wird abgeschält und dann behutsam weiterverarbeitet.«

Nachdem sie einige Minuten gegangen waren, hörte sie hinter sich ein Schlurfen. Louisa schaute in die Richtung, sah aber zunächst niemanden. Als sie weiterging, vernahm sie erneut etwas und hätte schwören können, es wären Schritte. Sie drehte sich um und spähte umher. Diesmal sah sie etwas Kupferrotes aufblitzen. Sie stand still da, und einen Moment lang schien es, als beobachtete eine rothaarige Frau sie aus einiger Entfernung. Louisa rief nach Elliot, aber als sie erneut hinsah, war die Frau verschwunden.

»Was ist denn?«, fragte Elliot. »Stimmt etwas nicht?«

»Ich dachte, ich hätte eine Frau gesehen, die mich beobachtet.«

»Wahrscheinlich eine Einheimische.«

»Ja. Ich konnte sie nicht deutlich erkennen. Aber ich glaube, sie hatte rotes Haar.«

»Das ist hier unwahrscheinlich. Vielleicht hatte sie einen Schal auf dem Kopf. Die Frau eines Zimtschälers, würde ich sagen.«

»Ja. Da magst du recht haben. Lass uns umkehren und noch mal die Aussicht genießen.«

Auf dem Rückweg zur Plantage entdeckte sie zwei schwarz-gelbe Pirole, die eine schöne flüssige Melodie sangen. Sie wollte gerade Elliot darauf aufmerksam machen, doch der war abgelenkt. Er wunderte sich sichtlich, ein Motorrad neben ihrem Auto stehen zu sehen. »Ich sollte jetzt wirklich in die Firma zurückfahren«, sagte er, und sie bemerkte seine plötzliche Anspannung und die zusammengezogenen Brauen.

Doch dann kam ein großer, schlanker Mann aus dem Haus und schritt auf sie zu. Die grelle Sonne, die durch die Bäume schien, warf Schatten auf seine Wangen. Er trug Shorts und ein Hemd mit offenem Kragen und war sehr braun gebrannt. Louisa musterte sein schönes, zerfurchtes Gesicht, die Bartstoppeln am Kinn und seine rostroten Haare und fragte sich, ob er es war, den sie vorhin gesehen hatte. Bemerkenswert, schon wieder einem Rothaarigen zu begegnen, dachte sie, doch nein, das war nicht er gewesen. Da Elliot kein Wort sagte, streckte sie die Hand aus.

»Hallo, ich bin Louisa Reeve. Mein Mann führt mich ein wenig herum.«

Der Mann runzelte die Stirn und kratzte sich am Kopf. »Ich verstehe.«

»Und Sie …?«

»Verzeihen Sie. Leo McNairn«, sagte er. Ihm schien heiß zu sein, denn er wirkte ein wenig verschwitzt.

Es herrschte Schweigen, während Louisa ihn anstarrte. Sein intensiver dunkler Blick hatte etwas Beunruhigendes an sich. Sie erwartete ein höfliches Lächeln, doch er sah sie nur ernst und schweigend an. Louisa hatte den Eindruck, als würde sie einer Prüfung unterzogen, und das machte sie verlegen, zumal sie nicht wegsehen konnte. Die Situation hielt an, aber dann wurde sie von einem Sonnenstrahl geblendet, blinzelte hastig und konnte endlich den Blick abwenden. Dann erst entschloss sich der Mann, etwas zu sagen.

»Ich habe gerade ein paar alte Bäume gefällt. Drüben auf der anderen Seite.«

»Gut«, meinte Elliot. »Wir fahren jetzt wieder. Komm, Louisa.« Er wandte sich noch einmal McNairn zu. »War nett, Sie zu sehen. Meine Frau wollte die Plantage gern mal besuchen. Ihr Diener sagte, Sie wären in Colombo.«

McNairn kniff die Augen zusammen. »Ja.«

»Aber Sie sind früh zurückgekommen.«

»Probleme mit dem Motorrad.« Mit neuerlichem Stirnrunzeln blickte McNairn weg, und Louisa fand, seine Antwort wirkte ein wenig improvisiert.

Elliot legte einen Arm um sie und wandte sich zum Gehen. »Auf Wiedersehen«, rief er noch über die Schulter.

Als McNairn bloß nickte, zog Elliot sie zum Wagen, und Louisa überkam ein seltsames Unbehagen.

»Nun ja, kein sehr gesprächiger Mann«, bemerkte sie. Sie kamen gerade am unteren Hang des Hügels an. »Mir war recht unbehaglich zumute. Ist McNairn immer so?«

»Vermutlich ging ihm etwas im Kopf herum.«

»Warum hat er uns nicht ins Haus gebeten? Das kam mir sehr merkwürdig vor.«

»Leo ist ein wortkarger Mensch.«

»Offensichtlich. Schade, dass er so unfreundlich war.«

Nach einer Weile schüttelte sie die düsteren Gedanken ab und sagte: »Jedenfalls gefällt mir dieser bittersüße Flecken Land.«

»Bittersüß?«

»Ja. Findest du nicht?«

Er runzelte die Stirn.

»Er hat etwas. Etwas Reizvolles, weißt du? Und zugleich etwas Beunruhigendes. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, wir wären nicht so eilig wieder aufgebrochen. Ich habe den Eindruck, dass ich Leo schon einmal begegnet bin oder ihn schon mal irgendwo gesehen habe.«

»Vielleicht in Colombo. Wegen seiner Haare fällt er sehr auf.«

7

 

Am nächsten Morgen machte Louisa sich bereit, zum Lebensmittelladen zu gehen, als Irene in den Flur kam. Louisa nickte ihr zu, dann nahm sie ihre Einkaufstasche und wandte sich der Tür zu.

»Wohin gehst du?«, fragte Irene.

»Nur etwas besorgen.«

Ihre Schwiegermutter runzelte die Stirn. »Du wirst die Einkäufe doch sicherlich nicht selbst erledigen.«

Louisa lächelte. »Nur Kleinigkeiten. Ich gehe gern durch die Stadt.«

»Wenn das so ist, werde ich dich begleiten.«

»Wirklich? Das ist aber nicht nötig.«

»Trotzdem. Ein kleiner Bummel? Nur wir beide? Was meinst du dazu?«

Während Irene ihren Hut feststeckte, vertrat sie weiter die Ansicht, Louisa sollte Lebensmittel nicht selbst kaufen müssen – schließlich seien dafür die Diener da. Und dabei legte sie unweigerlich die arrogante Haltung an den Tag, die Louisa jedes Mal ärgerte. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, alle Leute mit Respekt zu behandeln, ungeachtet ihrer Hautfarbe oder Religion. Irene fand Louisas Neigung, sich unter die Einheimischen zu mischen, jedoch schwer zu verstehen und war leidenschaftlich davon überzeugt, die Briten sollten unter ihresgleichen bleiben, wobei die Beamten natürlich zur Elite gehörten und sich nicht zum gemeinen Volk gesellten.

»Ich gehe gern allein aus und sehe mir die Leute an«, sagte Louisa. »Ich brauche nur ein paar Kerzen, es wird also nicht lange dauern. Wir können eine Rikscha nehmen, wenn du möchtest.«

Irene zuckte mit den Schultern. »Ich würde lieber zu Fuß gehen.«

»Wird Margo nicht bald eintreffen?«, fragte Louisa. »Da wirst du doch sicherlich zu Hause sein wollen.«