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Die Schatten der Vergangenheit – Ein Roman über Wahrheit, Verrat und die Macht des Schweigens Als Anna Bergmann nach Jahren in ihre norddeutsche Heimat zurückkehrt, erwartet sie ein stiller Abschied – doch der Tod ihrer Mutter ist nur der Anfang. In dem kleinen Küstenort Winden, vom Wind zerschnitten und von alten Geschichten durchzogen, stößt Anna auf ein Netz aus Lügen, das bis tief in die Neunzigerjahre reicht. Ein Tagebuch, ein vergilbter Brief – und plötzlich bricht die Fassade ihrer Familie wie morscher Putz auseinander. Ihre Mutter Klara war keine Frau, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war. Sie war Zeugin von Machtmissbrauch, Korruption und Erpressung. Und Anna beginnt zu begreifen: Klara ist nicht an einem Herzinfarkt gestorben – sie ist am Schweigen gestorben. Mit jedem Schritt in die Vergangenheit wird Winden dunkler. Geschäftsleute, Politiker, Beamte – ein komplettes Netzwerk verschleiert bis heute die Wahrheit. Und mitten darin: Jonas Krüger, der Mann, den Klara liebte. Der Mann, der sie zerstört hat. Der Mann, der vielleicht Annas biologischer Vater ist. Anna kämpft gegen die Schatten von damals, gegen Menschen, die ihre Fragen als Bedrohung sehen – und gegen die Frage, die ihr Leben erschüttert: Wer bin ich, wenn alles, was ich über meine Familie glaubte, eine Lüge war?
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Seitenzahl: 468
Veröffentlichungsjahr: 2025
◈◈◈
Die Schatten der
Vergangenheit
◈
ROMAN
DANILO SIEREN
1
Weitere Bücher vom Autor
◈
Die Stille Zeugin (Thriller)
Ein atemberaubender Tech-Thriller über die dunkle
Seite künstlicher Intelligenz, über Macht, Täuschung
und die Frage: Wem können wir trauen, wenn selbst
Maschinen lügen können?
Budapest Protokoll (Thriller)
Die Reihe ist multiperspektivisch erzählt, visuell
komponiert und dramaturgisch klar gegliedert. Sie
richtet sich an Leser und Leserin, die politische
Spannung mit literarischer Tiefe suchen, und
verbindet retro-investigative Ästhetik mit
psychologischer Resonanz.
Band 1 Schwarze Donau
Band 2 Rote Brücke
Band 3 Das Archiv
Das Archiv des Verbrechens (Krimi-Reihe)
2
Zehn Fälle. Zehn Einblicke in eine Welt, die sich
selbst schützt.
Mord, Manipulation, Machtmissbrauch – nichts ist,
wie es scheint.
Dies ist kein Krimi für nebenbei.
Dies ist ein Archiv.
Und es beginnt jetzt.
Band 1: Die ersten zehn Fälle
Band 2: Die nächsten zehn Fälle
Band 3: Tiefer als zuvor
Band 4: Kein Zurück
Band 5: Letzte Wahrheit
Das Gedächtnis der Toten
Ist nicht nur ein Thriller – es ist eine emotionale Reise über Verlust, Gerechtigkeit und die Frage: Was
würdest du für die Wahrheit opfern?
3
Danilo Sieren
Württembergerstr. 44
44339 Dortmund
Auflage 1
4
Vorwort
Kapitel 1
Rückkehr nach Winden 16
Kapitel 2
Das Tagebuch 31
Kapitel 3
Die Schatten der Stadt 45
Kapitel 4
Der alte Freund 62
Kapitel 5
Hamburgs Zwänge 78
Kapitel 6
Spurensuche 96
Kapitel 7
Emma 112
Kapitel 8
Die dunkle Wahrheit 128
Kapitel 9
Konfrontation 144
Kapitel 10
Der Bruch 161
Kapitel 11
Die Gemeinschaft 175
Kapitel 12
Die Enthüllung 188
Kapitel 13
Verborgene Wahrheiten 204
5
Kapitel 14
Wendepunkte 222
Kapitel 15
Neue Horizonte 237
Kapitel 16
Enthüllungen und Echos 254
Kapitel 17
Risse im Fundament 271
Kapitel 18
Unerwartete Wendungen 288
Kapitel 19
Die Hochzeit 304
Kapitel 20
Zerbrochene Spiegel 319
Kapitel 21
Narben und Neuanfänge 339
Kapitel 22
Die Schatten kehren zurück 357
Kapitel 23
Neue Fronten 373
Kapitel 24
Oslo und Offenbarungen 388
Kapitel 25
Risse und Rekonstruktionen 403
Kapitel 26
Brüchige Fundamente 419
Kapitel 27
Im Fadenkreuz 434
Kapitel 28
Lissabonner Licht 449
6
Kapitel 29
Kreise schließen sich 464
Kapitel 30
Epilog – Drei Jahre später 480
Kapitel 31
Impressum 500
7
8
◈
Es gibt Geschichten, die man wählt zu erzählen. Und es gibt Geschichten,
die keine Wahl lassen.
Diese ist von der zweiten Sorte.
Ich habe lange gezögert, bevor ich mich hinsetzte, um diese Worte zu schreiben. Nicht aus Angst – obwohl Angst sicherlich eine Rolle spielte – sondern aus der Erkenntnis, dass manche Wahrheiten, einmal ausgesprochen, nicht zurückgenommen werden können. Sie verändern nicht nur die Welt um uns herum, sondern auch die Menschen, die sie hören. Und manchmal, am meisten, die Person, die sie erzählt.
Mein Name ist Anna Bergmann. Ich bin Journalistin, Professorin, Tochter einer ermordeten Frau und, wie ich erst als Erwachsene lernte, die biologische Tochter eines Mannes, der Verbrechen beging, die ich nie vollständig verstehen werde. Ich bin auch eine Überlebende – nicht im dramatischen Sinne, nicht wie die, die durch Krieg oder Katastrophe gingen, sondern als jemand, der gelernt hat, mit Wahrheiten zu leben, die leichter gewesen wären zu ignorieren.
Dieses Buch ist viele Dinge. Es ist eine Chronik einer Familie, zerrissen durch Gewalt und Geheimnisse. Es ist eine Untersuchung über Macht und wie sie missbraucht wird. Es ist eine Meditation über Wahrheit – was sie kostet, was sie bringt, warum sie wichtig ist.
Aber vor allem ist es ein Zeugnis.
9
Ein Zeugnis für meine Mutter, Klara Bergmann, die starb, weil sie zu viel wusste. Ein Zeugnis für Ruth Bergmann, die floh, weil sie zu viel fürchtete. Ein Zeugnis für alle Frauen und Männer, die zwischen unmöglichen Entscheidungen gefangen waren und das Beste wählten, was sie konnten, mit den Werkzeugen, die sie hatten.
Wenn Sie dieses Buch in den Händen halten, fragen Sie sich vielleicht: Warum noch eine Geschichte über Trauma? Warum noch ein Buch über familiäre Dunkelheit?
Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich: Weil Schweigen tötet.
Nicht sofort. Nicht dramatisch. Sondern langsam, über Jahre, durch die Ansammlung von unausgesprochenen Wahrheiten, die in unseren Körpern und Seelen festsitzen wie Gift.
Ich wuchs auf in einer Lüge. Eine gut gemeinte Lüge, sollte ich hinzufügen. Die Menschen, die mich aufzogen – mein Vater Karl, meine Mutter Klara – taten es aus Liebe. Sie wollten mich schützen vor der Wahrheit über meine Herkunft, vor dem Wissen, dass mein biologischer Vater, Jonas Bergmann, ein Mann war, der fähig war zu unvorstellbaren Taten.
Aber Liebe kann nicht auf Lügen gebaut werden. Oder wenn doch, dann ist es ein fragiles Gebäude, das beim ersten Windstoß der Wahrheit zusammenbricht.
Als meine Mutter ermordet wurde – als ich neunundzwanzig war, gerade am Beginn meiner journalistischen Karriere – begann dieses Gebäude zu wackeln. Als ich die Wahrheit über ihre Vergangenheit entdeckte, über Jonas, über die Geheimnisse, die unsere Familie zusammenhielten wie morscher Mörtel, stürzte es vollständig ein.
10
Was blieb, waren Trümmer. Und die Frage: Was baut man aus Trümmern?
Dieses Buch ist mein Versuch, diese Frage zu beantworten.
Es ist nicht immer eine schöne Antwort. Es gibt Momente in diesen Seiten, die schwer zu lesen sein werden. Gewalt, nicht grafisch beschrieben, aber präsent. Manipulation und Missbrauch, die subtilen und die offensichtlichen Arten. Der Schmerz von Menschen, die versuchen, das Richtige zu tun, und scheitern.
Aber es gibt auch Licht. Das verspreche ich Ihnen.
Es gibt Momente der Verbindung, der unerwarteten Freundschaft, der Familie, die nicht durch Blut, sondern durch Wahl geschaffen wird. Es gibt Humor, selbst in den dunkelsten Zeiten – weil Menschen, selbst gebrochene Menschen, lachen müssen, um zu überleben. Und es gibt Hoffnung.
Nicht die naive Hoffnung, dass alles gut wird, wenn man nur hart genug kämpft. Sondern die reifere Hoffnung, dass man weitergehen kann, selbst wenn Dinge nicht gut werden. Dass man leben kann, selbst mit Narben. Dass man lieben kann, selbst nach Verlust.
Ich möchte ehrlich mit Ihnen sein, lieber Leser: Ich bin keine objektive
Erzählerin.
Wie könnte ich sein? Das ist meine Geschichte, meine Familie, mein Schmerz. Ich habe versucht, fair zu sein, alle Perspektiven zu zeigen, die Komplexität der Menschen, über die ich schreibe, zu ehren. Aber meine Subjektivität ist in jeder Zeile, in jeder Wortwahl.
Vielleicht ist das gut so. Vielleicht brauchen wir weniger Objektivität und mehr Ehrlichkeit. Weniger distanzierte Beobachtung und mehr involviertes Zeugnis.
11
Jonas Bergmann war ein Monster. Das ist die einfache Wahrheit. Er ordnete Morde an, manipulierte Menschen, baute ein Imperium auf Korruption und Angst. Er verdient keine Sympathie.
Aber er war auch ein Mensch. Ein Vater (wenn auch ein schrecklicher), ein Ehemann (wenn auch ein missbräuchlicher), ein Geschäftsmann (wenn auch ein krimineller). Und das macht seine Geschichte nicht weniger schrecklich, sondern mehr. Weil Monster, die wie Menschen aussehen, gefährlicher sind als die offensichtlichen.
Ruth Bergmann war eine Mittäterin. Sie wusste von Jonas' Verbrechen und schwieg. Das ist unverzeihlich.
Aber sie war auch eine verängstigte Frau, gefangen in einer Situation, die sie nicht vollständig kontrollieren konnte. Sie zahlte einen Preis für ihre Entscheidungen – Exil, Einsamkeit, Reue. Verdient das Vergebung? Ich weiß es nicht. Aber es verdient Verständnis.
Klara Bergmann war ein Opfer. Das ist unbestreitbar.
Aber sie war auch stark, mutig, fähig zu großer Liebe. Sie war keine passive Heldin, sondern eine Kämpferin, die verlor. Und ihr Verlust war tragisch, nicht weil sie schwach war, sondern weil ihre Gegner stärker waren.
Das ist die Komplexität, mit der ich in diesem Buch gerungen habe. Menschen sind nicht gut oder böse. Sie sind beides, in unterschiedlichen Anteilen, zu unterschiedlichen Zeiten.
Wenn Sie ein Opfer von Gewalt sind, von Manipulation, von irgendwelcher Form von Missbrauch, dann wissen Sie: Dieses Buch kann schwer sein zu lesen. Es kann Erinnerungen hervorrufen, Wunden öffnen.
12
Aber ich hoffe – ich hoffe von ganzem Herzen – dass es auch etwas anderes tun kann: Ihnen zeigen, dass Sie nicht allein sind. Dass Ihre Geschichte wichtig ist. Dass Überleben möglich ist, und mehr als Überleben – Gedeihen.
Ich bin nicht geheilt. Ich werde wahrscheinlich nie vollständig geheilt sein. Heilung ist nicht ein Ziel, das man erreicht, sondern ein Prozess, den man lebt. Jeden Tag wähle ich, weiterzugehen. Jeden Tag wähle ich, Licht zu suchen, selbst in Dunkelheit.
Manche Tage sind leichter als andere. Manche Tage will ich nur im Bett bleiben und die Welt ausschließen. Aber ich stehe auf. Ich gehe weiter.
Das ist nicht Heldentum. Das ist nur Leben. Aber vielleicht ist Leben, nach allem, was passiert ist, sein eigener Akt der Rebellion.
Ich schulde Dank an viele Menschen, die dieses Buch möglich gemacht
haben.
An Emma, meine Schwester durch Wahl, die mir zeigte, dass Familie mehr ist als Blut. An Maximilian und Isabelle, die trotz allem an meiner Seite blieben. An Lukas, der mich liebt, selbst an den Tagen, wo ich nicht liebenswert bin. An Professor Stein, der an mich glaubte, als ich nicht an mich selbst glaubte. An Kommissar Weber und Staatsanwältin Martens, die Gerechtigkeit suchten, wo sie selten gefunden wird.
Und an die vielen, deren Namen ich nicht nennen kann, die mir ihre Geschichten anvertraut haben, die mir zeigten, dass ich nicht allein war in meinem Schmerz.
Aber vor allem schulde ich Dank an Klara und Ruth. An die Frauen, die nicht mehr hier sind, um ihre eigenen Geschichten zu erzählen, aber deren Stimmen durch diese Seiten hallen.
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Das ist für euch. Das war immer für euch.
Ein letztes Wort, bevor Sie diese Reise beginnen:
Wenn Sie dieses Buch lesen und Fragen haben, wenn Sie verwirrt sind oder wütend oder traurig – das ist normal. Das ist erwartet. Das ist sogar gewünscht.
Wahrheit sollte uns nicht bequem machen. Sie sollte uns herausfordern, uns zwingen, schwierige Fragen zu stellen, uns weigern, einfache Antworten zu akzeptieren.
Aber am Ende – ich hoffe – wird es Sie auch befreien.
Wie es mich befreit hat.
Nicht von Schmerz. Nicht von Erinnerung. Sondern von der Last des
Schweigens.
Und das, lieber Leser, macht alle Unterschied.
Dr. Anna Bergmann Hamburg Eine Dienstagnacht im November Das Ende einer Reise, der Anfang von vielen anderen
Willkommen zum Buch
„Die Schatten der Vergangenheit“– und dem Licht, das wir trotzdem
finden.
Danilo Sieren
Württembergerstr.44
44339 Dortmund
14
15
◈◈◈
Kapitel 1
Rückkehr nach Winden
◈
Der Wind peitschte Anna ins Gesicht, als sie aus dem Auto stieg. Salzig und kalt, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Die Nordsee war keine zwanzig Meter entfernt, unsichtbar hinter den Dünen, aber ihr Atem durchdrang alles. Anna zog ihren Mantel enger und starrte auf das alte Haus vor ihr. Das Haus ihrer Kindheit. Das Haus ihrer Mutter.
Drei Wochen waren vergangen, seit der Anruf gekommen war. Tante Sophie, nüchtern wie immer: "Anna, deine Mutter ist tot. Herzinfarkt. Du musst nach Hause kommen." Nach Hause. Als ob Winden jemals ihr Zuhause gewesen wäre. Sie hatte Hamburg nie verlassen wollen, die Anonymität der Großstadt, die geschäftigen Straßen, die endlosen Cafés. Hier, in diesem winzigen Flecken an der Küste, kannte jeder jeden. Und jeder wusste alles.
Das Haus sah kleiner aus als in ihrer Erinnerung. Die weiße Farbe blätterte von den Holzfassaden, die Fensterläden hingen schief. Der Vorgarten, einst Klaras Stolz, war überwuchert. Anna fühlte einen Stich in der Brust. Ihre Mutter hatte dieses Haus geliebt, trotz allem. Trotz der Gerüchte, trotz der Blicke, trotz der Einsamkeit, die sie hier ertragen hatte.
"Du bist gekommen." Sophie stand plötzlich in der Tür. Ihre Tante war eine Erscheinung: groß, schmal, mit einem Gesicht wie aus Stein gemeißelt. Sie trug Schwarz, natürlich, und ihr graues Haar war straff zurückgebunden.
"Ich musste ja", erwiderte Anna und versuchte, nicht zu klingen wie ein trotziges Kind.
Sophie nickte knapp. "Komm rein. Es ist kalt."
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Das Innere des Hauses roch nach abgestandener Luft und etwas Süßlichem, das Anna nicht identifizieren konnte. Die Möbel standen genauso, wie sie sie verlassen hatte – der braune Samt-Sofa, der ovale Esstisch, die Bücherwand, die bis zur Decke reichte. Alles war staubig, aber ordentlich. Ihre Mutter war immer ordentlich gewesen.
"Ich habe dir das Gästezimmer vorbereitet", sagte Sophie. "Ihr
Zimmer... ich dachte, du möchtest dort nicht schlafen."
Anna nickte dankbar. Sie war noch nicht bereit, in Klaras Schlafzimmer zu gehen. "Danke."
Sophie verschwand in der Küche, und Anna blieb allein im Wohnzimmer stehen. Ihr Blick fiel auf ein gerahmtes Foto auf dem Kaminsims. Sie und ihre Mutter am Strand, Anna vielleicht acht Jahre alt, beide lachend. Sie erinnerte sich nicht an diesen Moment. Hatten sie je so ausgesehen? So glücklich?
"Ich habe Tee gemacht." Sophie trat mit zwei Tassen zurück ins
Zimmer. Sie reichte Anna eine und setzte sich steif auf die
Sofakante. "Die Beerdigung ist übermorgen. Ich habe alles
organisiert. Es wird klein sein. Nur Familie und ein paar
Nachbarn."
"Hat sie... hat sie gelitten?" Anna wusste nicht, warum sie das fragte. Es änderte nichts.
"Der Arzt sagte, es ging schnell. Sie war allein, aber es ging
schnell." Sophies Stimme brach für einen Moment, dann fing sie
sich wieder. "Sie hat in letzter Zeit viel allein hier gesessen. Ich
habe sie ermutigt, rauszugehen, Leute zu treffen, aber du kennst
sie. Sie war immer so... zurückgezogen."
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Anna nahm einen Schluck Tee. Er war zu heiß und schmeckte nach nichts. "Ich hätte öfter anrufen sollen."
"Das hättest du." Sophie sagte es ohne Vorwurf, aber die Worte
trafen trotzdem. "Sie hat nach dir gefragt. Immer. Bis zuletzt."
Die Stille zwischen ihnen war schwer. Anna stellte die Tasse ab und stand auf. "Ich möchte mich kurz hinlegen. Die Fahrt war lang."
Sophie nickte. "Natürlich. Dein Zimmer ist oben, zweite Tür links. Wenn du etwas brauchst, ich bin in der Küche."
Anna nahm ihre Tasche und stieg die knarrende Holztreppe hinauf. Der Flur im ersten Stock war dunkel, die Wände mit vergilbten Tapeten bedeckt. Sie zögerte vor der Tür zu Klaras Schlafzimmer, dann ging sie weiter zum Gästezimmer.
Das Zimmer war klein und spartanisch eingerichtet: ein schmales Bett, ein Kleiderschrank, ein Stuhl am Fenster. Anna ließ ihre Tasche fallen und trat ans Fenster. Von hier aus konnte sie das Meer sehen, eine graue Linie am Horizont. Der Himmel war bedeckt, drohend. Es würde regnen.
Sie setzte sich aufs Bett und schloss die Augen. Die Erschöpfung überkam sie wie eine Welle. Nicht nur die Fahrt, sondern alles – die letzten Wochen, die Nachricht vom Tod ihrer Mutter, die Schuldgefühle, die unausgesprochenen Worte, die jetzt für immer ungesagt bleiben würden.
Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. Es kam von nebenan, aus Klaras Zimmer. Anna stand auf und öffnete leise die Tür. Der Flur war leer. Sie ging zur Tür ihrer Mutter und legte die Hand auf die Klinke. Ihr Herz klopfte schneller. Dann drückte sie die Klinke herunter.
Das Zimmer war genau, wie sie es erwartet hatte: ordentlich, kühl, unpersönlich. Das Bett war gemacht, die Vorhänge zugezogen. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Wasser, halb voll.
18
Daneben eine Lesebrille. Anna trat näher. Ein Buch lag aufgeschlagen auf dem Bett, als hätte ihre Mutter es gerade erst weggelegt. "Die Leiden des jungen Werther". Anna hatte nicht gewusst, dass ihre Mutter Goethe las.
Sie setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und nahm das Buch in die Hand. Zwischen den Seiten steckte ein Lesezeichen – ein alter Briefumschlag, vergilbt und zerknittert. Anna zog ihn heraus. Auf der Vorderseite stand in geschwungener Schrift: "Für Klara. Privat."
Ihr Puls beschleunigte sich. Sie drehte den Umschlag um. Er war offen. Drinnen steckte ein Brief, zusammengefaltet. Anna zögerte. Dies war privat. Dies war Klaras Geheimnis. Aber Klara war tot. Was spielte es jetzt noch für eine Rolle?
Sie entfaltete den Brief. Die Schrift war männlich, krakeliges Gekritzel. Kein Datum.
"Klara, ich kann nicht mehr so weitermachen. Die Lügen
zerfressen mich. Du musst verstehen, dass ich damals keine Wahl
hatte. Sie hätten alles zerstört – nicht nur mich, auch dich, auch
Anna. Ich weiß, du hasst mich dafür, aber es war der einzige Weg.
Bitte, sprich mit mir. Bitte, lass uns das klären. J."
Anna las den Brief dreimal. J. Wer war J.? Und was für Lügen? Welches Geheimnis hatte ihre Mutter mit sich herumgetragen?
Sie stand auf und begann, das Zimmer zu durchsuchen. Die Schubladen des Nachttisches: leer bis auf ein paar alte Rezepte und Taschentücher. Der Kleiderschrank: Kleider, ordentlich aufgehängt, nichts Ungewöhnliches. Unter dem Bett: Staub und eine alte Hutschachtel.
Anna zog die Schachtel hervor und öffnete sie. Drinnen lagen weitere Briefe, alle in derselben Handschrift, alle an Klara adressiert. Und darunter, sorgfältig in Stoff gewickelt, ein altes Tagebuch. Leder gebunden, die Seiten vergilbt. Anna öffnete es mit zitternden Händen.
19
"15. Juni 1997. Heute habe ich Jonas wiedergesehen. Nach all den
Jahren. Er stand einfach da, am Hafen, als hätte er auf mich
gewartet. Ich wusste sofort, dass das Unheil bringen würde. Aber
ich konnte nicht weglaufen. Nicht von ihm."
Jonas. J. Anna blätterte weiter.
"22. Juni 1997. Wir haben uns heimlich getroffen. Im alten
Bootshaus. Es ist so falsch, und doch fühlt es sich richtig an. Er
sagt, er hat mich nie vergessen. Er sagt, er wird seine Frau
verlassen. Aber ich glaube ihm nicht. Männer wie Jonas lügen. Sie
lügen, um zu bekommen, was sie wollen."
Anna las weiter, Seite um Seite. Das Tagebuch war eine Chronik einer Affäre, einer verbotenen Liebe, eines Skandals, der sich langsam aufbaute. Jonas Krüger – Anna erinnerte sich vage an den Namen. Ein Geschäftsmann, einflussreich in Winden, verheiratet, respektiert. Und ihre Mutter hatte eine Affäre mit ihm gehabt.
"3. August 1997. Es ist vorbei. Alles ist vorbei. Jonas hat Angst
bekommen. Die Gerüchte haben angefangen, die Leute reden. Er sagt, wir müssen aufhören, bevor es zu spät ist. Aber es ist schon
zu spät. Ich bin schwanger."
Anna ließ das Tagebuch fallen. Schwanger. 1997. Das war das Jahr, bevor sie... nein. Das konnte nicht sein. Ihre Mutter war 1997 nicht schwanger gewesen. Oder doch?
Sie zwang sich, weiterzulesen.
"10. August 1997. Ich habe Jonas gesagt, dass ich schwanger bin.
Er wurde weiß im Gesicht. Dann wütend. Er beschuldigte mich,
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ihn zu erpressen. Als ob ich das wollte. Als ob ich nicht genauso
entsetzt wäre. Er sagte, ich müsse es loswerden. Ich sagte ihm, er
solle zur Hölle fahren."
"25. August 1997. Ich habe es verloren. Das Baby. Die Ärzte
sagen, es war eine Fehlgeburt, natürlich, nichts, was ich hätte
verhindern können. Aber ich fühle mich schuldig. Als hätte mein
Körper gewusst, dass dieses Kind nicht sein sollte. Jonas hat nicht
angerufen. Er hat nicht gefragt, wie es mir geht. Er hat einfach
aufgehört zu existieren."
Anna schloss das Tagebuch und lehnte sich gegen das Bett. Ihre Mutter. Eine Affäre. Eine Schwangerschaft. Ein Verlust. All das hatte Klara mit sich herumgetragen, allein, im Schweigen. Und Anna hatte nichts gewusst.
Aber da war noch mehr. Das Tagebuch ging weiter bis 1998, 1999, 2000. Anna blätterte durch die Seiten, überflog die Einträge. Es ging um Gerüchte, um Druck, um Drohungen. Jemand hatte von der Affäre erfahren. Jemand hatte Klara erpresst. Und Jonas war in etwas Größeres verwickelt gewesen – Korruption, illegale Geschäfte, Vertuschung.
"12. März 1998. Sie haben mich heute besucht. Zwei Männer in
Anzügen. Sie sagten, ich solle schweigen über das, was ich wisse. Über Jonas, über die Firma, über das Geld. Sie sagten, wenn ich rede, würden sie dafür sorgen, dass Anna und ich alles verlieren.
Ich habe Angst. Ich weiß nicht, was ich tun soll."
Anna hörte Schritte auf der Treppe. Schnell stopfte sie das Tagebuch und die Briefe zurück in die Schachtel und schob sie unter das Bett. Sie stand gerade auf, als Sophie die Tür öffnete.
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"Ich dachte, du würdest dich ausruhen", sagte Sophie mit einem misstrauischen Blick.
"Ich konnte nicht schlafen", erwiderte Anna. "Ich wollte nur... ihre
Sachen ansehen."
Sophie nickte langsam. "Ich verstehe. Aber vielleicht solltest du das nicht allein tun. Es kann überwältigend sein."
"Hast du gewusst, dass sie ein Tagebuch geführt hat?" fragte Anna vorsichtig.
Sophies Gesicht verhärtete sich. "Deine Mutter hatte viele Geheimnisse. Es ist besser, manche Dinge ruhen zu lassen."
"Was meinst du damit?"
"Nichts. Komm, das Abendessen ist fertig." Sophie drehte sich um und ging die Treppe hinunter.
Anna folgte ihr, aber ihr Kopf drehte sich. Sophie wusste etwas. Und Anna war entschlossen, herauszufinden, was.
Das Abendessen war eine stumme Angelegenheit. Sophie hatte eine einfache Suppe gekocht, die Anna mechanisch löffelte, ohne wirklich zu schmecken. Ihre Gedanken kreisten um das Tagebuch, um Jonas, um die Männer in Anzügen. Was hatte ihre Mutter gewusst? Und warum hatte sie nie etwas gesagt?
"Wirst du das Haus verkaufen?" Sophies Frage riss Anna aus ihren Gedanken.
"Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht."
"Es wäre vermutlich das Beste. Du hast dein Leben in Hamburg.
Hier gibt es nichts mehr für dich."
22
"War da jemals etwas für mich?" Die Worte rutschten Anna heraus, bevor sie sie zurückhalten konnte.
Sophie sah sie lange an. "Deine Mutter hat dich geliebt. Auf ihre Art. Sie hat versucht, dich zu schützen."
"Wovor?"
"Vor den Gespenstern der Vergangenheit." Sophie stand auf und
begann, den Tisch abzuräumen. "Geh schlafen, Anna. Morgen wird
ein langer Tag."
Anna ging nach oben, aber sie konnte nicht schlafen. Sie lag im Dunkeln und starrte an die Decke, während draußen der Wind heulte. Das Meer war unruhig heute Nacht. Sie hörte die Wellen gegen die Dünen schlagen, ein stetiges, drohendes Rauschen.
Um Mitternacht stand sie auf und schlich zurück in Klaras Zimmer. Sie zog die Schachtel unter dem Bett hervor und trug sie in ihr Zimmer. Dann las sie weiter, Stunde um Stunde, bis das erste Morgenlicht durch die Vorhänge sickerte.
Das Tagebuch erzählte eine Geschichte von Verrat und Angst. Jonas Krüger war nicht nur ein untreuer Ehemann gewesen, sondern ein Krimineller. Er hatte Gelder veruntreut, Dokumente gefälscht, Beamte bestochen. Und Klara hatte es gewusst. Sie hatte Beweise gehabt – Dokumente, die Jonas ihr in einem Moment der Schwäche gegeben hatte.
Aber sie hatte geschwiegen. Aus Angst. Aus Liebe. Aus einem verzweifelten Versuch, ihre Tochter zu schützen. Die Männer, die sie besucht hatten, waren Jonas' Geschäftspartner gewesen. Sie hatten gedroht, Anna etwas anzutun, wenn Klara sprach. Und Klara hatte sich gefügt.
Anna fühlte, wie Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Ihre Mutter hatte so viel ertragen, so viel geschluckt, so viel Schmerz in sich verschlossen. Und Anna war weggegangen, hatte ihr
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den Rücken zugewandt, hatte ihr vorgeworfen, schwach zu sein, sich nicht zu wehren. Jetzt verstand sie. Klara hatte sich gewehrt. Auf die einzige Art, die ihr geblieben war – durch Schweigen.
Aber das Schweigen hatte sie am Ende umgebracht. Anna war sich sicher. Der Herzinfarkt war kein Zufall gewesen. Es war die Last der Geheimnisse, das Gewicht der unterdrückten Wahrheit, dass Klaras Herz zum Stillstand gebracht hatte.
Am Morgen, beim Frühstück, sah Sophie Anna mit besorgten Augen an. "Du siehst müde aus."
"Ich habe nicht viel geschlafen." Anna rührte in ihrem Kaffee.
"Sophie, ich muss dich etwas fragen. Kennst du Jonas Krüger?"
Sophie erstarrte. "Warum fragst du?"
"Weil ich glaube, er hatte etwas mit Mamas Tod zu tun."
"Anna, bitte. Lass die Vergangenheit ruhen."
"Ich kann nicht." Anna sah ihre Tante direkt an. "Ich habe ihr Tagebuch gefunden. Ich weiß von der Affäre. Ich weiß von der
Erpressung. Ich weiß, dass sie Angst hatte. Und ich will wissen,
warum niemand ihr geholfen hat."
Sophie seufzte tief. "Es ist nicht so einfach, wie du denkst."
"Dann erklär es mir."
"Jonas Krüger ist ein mächtiger Mann. Er hat Verbindungen,
Einfluss. Damals, in den Neunzigern, hatte er noch mehr Macht.
24
Niemand wagte es, sich ihm in den Weg zu stellen. Deine Mutter...
sie hat einen Fehler gemacht. Sie hat sich in ihn verliebt, und er
hat sie benutzt. Als es brenzlig wurde, hat er sie fallen lassen wie
eine heiße Kartoffel. Aber sie konnte nicht reden, weil..."
"Weil sie mich schützen wollte", vollendete Anna den Satz.
Sophie nickte. "Sie liebte dich mehr als ihr eigenes Leben. Alles, was sie tat, tat sie für dich."
Anna fühlte, wie ihr Herz sich zusammenzog. "Und wo ist er jetzt? Jonas?"
"Er lebt noch hier. In Winden. Er ist jetzt Witwer, seine Frau ist vor
ein paar Jahren gestorben. Er hat sich zurückgezogen, lebt allein
in seinem großen Haus am Rand der Stadt."
"Ich muss mit ihm sprechen."
"Anna, nein. Das ist keine gute Idee."
"Ich muss es tun. Ich muss wissen, was damals wirklich passiert ist. Und ich muss wissen, ob er etwas mit ihrem Tod zu tun hat."
Sophie schüttelte den Kopf. "Du wirst nur Schmerz finden. Glaub mir."
Aber Anna hatte sich bereits entschieden. Nach dem Frühstück fuhr sie in die Stadt. Winden war kleiner, als sie es in Erinnerung hatte. Die Hauptstraße bestand aus einer Handvoll Geschäften, einem Supermarkt, einer Bäckerei, einem Café. Die Leute auf der Straße musterten sie neugierig. Sie erkannte niemanden, aber sie spürte ihre Blicke. Die Tochter von Klara Bergmann. Die, die weggegangen war.
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Sie parkte vor dem Café und ging hinein. Es war fast leer, nur ein älteres Ehepaar saß in der Ecke. Die Kellnerin, eine junge Frau mit kurzen roten Haaren, kam sofort zu ihr.
"Was kann ich Ihnen bringen?"
"Einen Kaffee, bitte. Und... kennen Sie zufällig Jonas Krüger?"
Die Kellnerin zögerte. "Klar. Jeder kennt Herrn Krüger. Warum?"
"Ich muss mit ihm sprechen. Wissen Sie, wo ich ihn finde?"
"Er kommt manchmal hierher, zum Frühstück. Aber sonst ist er
meistens zu Hause. Das große Weiße Haus am Deichweg, können
Sie nicht verfehlen."
Anna bedankte sich und trank ihren Kaffee schnell aus. Dann fuhr sie zum Deichweg. Das Haus war tatsächlich nicht zu übersehen – ein imposantes zweistöckiges Gebäude mit einem gepflegten Garten und einer hohen Hecke. Anna parkte und ging zum Tor. Es war verschlossen. Sie drückte die Klingel.
Nach einer langen Minute ertönte eine Stimme aus der Gegensprechanlage. "Ja?"
"Herr Krüger? Mein Name ist Anna Bergmann. Ich bin die Tochter
von Klara Bergmann. Ich würde gerne mit Ihnen sprechen."
Stille. Dann: "Kommen Sie herein."
Das Tor summte und öffnete sich. Anna ging den Kiesweg hinauf zur Haustür. Sie wurde von einem Mann geöffnet, der älter aussah, als sie erwartet hatte. Jonas Krüger war Ende Sechzig, grauhaarig, mit tiefen Falten im Gesicht. Aber seine Augen waren noch scharf, wachsam.
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"Anna Bergmann", sagte er leise. "Du siehst deiner Mutter
ähnlich."
"Können wir reden?"
Er nickte und führte sie in ein Wohnzimmer, das ebenso imposant war wie das Haus. Dunkles Holz, Ledermöbel, Bücherregale bis zur Decke. Anna setzte sich auf einen Sessel, Jonas gegenüber.
"Ich nehme an, du bist wegen deiner Mutter hier", begann er.
"Ich habe ihr Tagebuch gefunden."
Jonas schloss die Augen. "Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde."
"Sie war schwanger von Ihnen."
"Ja."
"Und Sie haben sie im Stich gelassen."
"Ja." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Ich war ein
Feigling. Ich hatte Angst vor dem Skandal, vor meiner Frau, vor
den Konsequenzen. Ich habe Klara gesagt, sie solle... sie solle das
Problem loswerden. Ich schäme mich jeden Tag dafür."
"Und dann hat sie das Baby verloren."
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"Ich habe es erst später erfahren. Sie wollte nicht mit mir
sprechen. Ich habe versucht, sie zu erreichen, aber sie hat mich
abgewiesen. Mit Recht."
"Es geht nicht nur um die Affäre." Anna beugte sich vor. "Es geht
um die Erpressung. Um die Männer, die sie besucht haben. Um die
Drohungen."
Jonas sah sie schockiert an. "Das steht in ihrem Tagebuch?"
"Alles. Sie wusste von Ihren illegalen Geschäften. Sie hatte
Beweise. Und jemand wollte sicherstellen, dass sie schweigt."
Jonas stand auf und ging zum Fenster. "Es war mein Geschäftspartner. Rolf Dietrich. Er hatte Angst, dass Klara alles auffliegen lassen würde. Er hat Leute geschickt, um sie einzuschüchtern. Ich habe es erst später erfahren, und da war es schon zu spät. Klara wollte nichts mehr mit mir zu tun haben."
"Und Sie haben nichts getan?"
"Was hätte ich tun sollen? Ich war selbst in diese Geschäfte
verwickelt. Wenn sie geredet hätte, wäre ich auch ins Gefängnis gegangen. Ich war ein Egoist. Ich habe an mich selbst gedacht,
nicht an sie."
Anna fühlte, wie Wut in ihr aufstieg. "Sie haben ihr Leben zerstört."
"Ich weiß." Jonas drehte sich zu ihr um, Tränen in den Augen. "Ich
weiß. Und ich habe jeden Tag damit gelebt. Als ich hörte, dass sie
gestorben ist... ich wusste, dass ich schuld bin. Vielleicht nicht
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direkt, aber indirekt. Der Stress, die Angst, die Einsamkeit – all
das hat sie umgebracht."
"Wo ist Rolf Dietrich jetzt?"
"Tot. Herzinfarkt, vor zehn Jahren. Er ist seinen Verbrechen
entkommen. Ich nicht. Ich lebe mit der Schuld."
Anna stand auf. "Das ist nicht genug. Sie müssen mir alles erzählen. Alles, was damals passiert ist. Ich will die ganze Wahrheit."
Jonas nickte langsam. "Ich werde dir alles erzählen. Aber es wird nicht schön sein. Und es wird nicht nur meine Schuld offenbaren. Es wird auch andere verletzen."
"Das ist mir egal. Meine Mutter hat im Schweigen gelebt und ist
daran gestorben. Ich werde nicht denselben Fehler machen."
Jonas seufzte. "Dann setz dich. Es ist eine lange Geschichte."
Und so begann er zu erzählen. Von den illegalen Geschäften in den Neunzigern, von der Korruption, die Winden durchzogen hatte wie ein Gift, von den Politikern und Geschäftsleuten, die alle mitgemacht hatten. Von Klaras Rolle als unfreiwillige Zeugin, von ihrer Angst, von ihrem Mut, trotzdem zu schweigen, um ihre Tochter zu schützen.
Anna hörte zu, und mit jeder Minute wuchs ihr Verständnis für ihre Mutter. Klara war keine schwache Frau gewesen. Sie war eine Kämpferin gewesen, die auf ihre eigene, stille Art gekämpft hatte. Und Anna würde dafür sorgen, dass diese Geschichte nicht im Schweigen endete.
29
Als sie Stunden später Jonas' Haus verließ, hatte sie einen Plan. Sie würde die Wahrheit ans Licht bringen. Nicht für Rache, sondern für ihre Mutter. Für Klara, die es verdient hatte, dass ihre Geschichte erzählt wurde.
Der Wind hatte sich gelegt, als Anna zurück zum Haus fuhr. Die Sonne brach durch die Wolken, und für einen Moment sah die Nordsee fast friedlich aus. Anna fühlte, wie sich etwas in ihr löste. Die Rückkehr nach Winden war nicht das Ende gewesen, das sie gefürchtet hatte. Es war ein Anfang. Der Anfang einer Reise in die Vergangenheit, um die Zukunft zu verstehen.
Und sie war bereit, diesen Weg zu gehen, egal wohin er sie führte.
30
◈◈◈
Kapitel 2
Das Tagebuch
◈
Die Nacht nach dem Gespräch mit Jonas schlief Anna keinen Moment. Sie lag wach, starrte an die Decke und hörte das unablässige Rauschen des Meeres. Das Gespräch wiederholte sich in ihrem Kopf wie ein defekter Film – Jonas' gebrochene Stimme, seine Tränen, seine Geständnisse. Ich war ein Feigling. Diese Worte hallten nach, vermischten sich mit dem Wind draußen.
Aber etwas stimmte nicht. Anna konnte es nicht genau benennen, aber da war ein Gefühl, eine Intuition, die ihr sagte, dass Jonas nicht alles erzählt hatte. Seine Geschichte war zu glatt gewesen, zu sehr darauf ausgelegt, ihn als reuigen Sünder darzustellen. Als hätte er diese Beichte schon hundertmal geprobt.
Du bist Journalistin, ermahnte sie sich selbst. Du solltest es besser wissen. Menschen lügen. Besonders die, die etwas zu verbergen haben.
Als das erste Morgenlicht durch die Vorhänge sickerte, stand Anna auf und zog sich an. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, aber ihr Geist war hellwach. Sie musste mehr über Jonas herausfinden, über Rolf Dietrich, über die Geschäfte, die ihre Mutter in Gefahr gebracht hatten. Aber vor allem musste sie mehr aus dem Tagebuch erfahren.
Sie holte die Schachtel unter ihrem Bett hervor und setzte sich ans Fenster. Das frühe Licht war grau und flach, passend zu ihrer Stimmung. Mit zitternden Fingern öffnete sie das Tagebuch an der Stelle, wo sie letzte Nacht aufgehört hatte.
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"15. April 1998. Ich habe heute etwas gesehen, das ich nicht sehen sollte. Jonas und dieser Mann, Dietrich, in Jonas' Büro. Sie haben gestritten. Ich war gekommen, um mit Jonas zu reden – dumm, ich
weiß, aber ich dachte, wenn ich ihm ins Gesicht sehen könnte...
Die Tür war angelehnt. Ich hörte Dietrich sagen: ‘, Wenn sie
redet, sind wir beide erledigt. Sie muss zum Schweigen gebracht
werden.' Jonas sagte: 'Nicht so. Ich werde mit ihr reden.' Dietrich lachte. 'Reden? Du Idiot. Reden funktioniert nicht bei Frauen, die
sich betrogen fühlen.' Ich bin weggerannt, bevor sie mich sehen
konnten."
Anna hielt inne. Ihre Mutter hatte gewusst, dass sie in Gefahr war. Und trotzdem war sie geblieben. Warum? Die Antwort kam ihr sofort: Wegen mir. Sie konnte nicht fliehen, weil ich hier zur Schule ging, weil mein ganzes Leben hier war.
Sie blätterte weiter, überflog die Einträge. Mai, Juni, Juli 1998. Jeder Eintrag atmete mehr Angst, mehr Verzweiflung. Klara hatte versucht, normal weiterzuleben, aber die Paranoia hatte sich eingeschlichen wie Wasser durch Risse.
"12. Juli 1998. Ich werde verfolgt. Ich bin mir sicher. Ein
schwarzer Wagen steht jeden Morgen gegenüber vom Haus.
Derselbe Mann drinnen, mit Sonnenbrille. Er schaut. Wartet. Auf
was? Dass ich einen Fehler mache? Dass ich zur Polizei gehe? Sophie sagt, ich bilde mir das ein. Aber ich weiß, was ich sehe."
"23. Juli 1998. Anna hat mich heute gefragt, warum ich so nervös
bin. Ich habe gelogen, habe gesagt, es ist die Arbeit, der Stress. Sie
ist erst zehn. Sie versteht nicht. Sie darf nie verstehen. Ich muss
stärker sein. Für sie."
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Zehn Jahre alt. Anna erinnerte sich an diesen Sommer. Sie hatte gedacht, ihre Mutter wäre einfach nur müde, überarbeitet. Jetzt verstand sie – Klara war am Rande eines Nervenzusammenbruchs gestanden.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. "Anna? Bist du wach?" Sophies Stimme.
Schnell versteckte Anna das Tagebuch unter ihrem Kissen. "Ja, komm rein."
Sophie trat ein, bereits vollständig angezogen, das Gesicht so undurchdringlich wie immer. "Die Beerdigung ist in drei Stunden. Du solltest dich fertig machen."
"Ich weiß." Anna stand auf. "Sophie, kann ich dich etwas fragen?"
"Was?"
"Erinnerst du dich an einen schwarzen Wagen, der 1998 vor unserem Haus stand? Einen Mann, der uns beobachtet hat?"
Sophies Gesicht versteinerte. "Warum fragst du?"
"Weil Mama davon geschrieben hat. In ihrem Tagebuch."
"Du liest noch darin?" Sophies Stimme klang scharf. "Anna, das
ist nicht gesund. Du wühlst in Dingen, die du nicht verstehst."
"Dann hilf mir, sie zu verstehen."
Sophie atmete tief ein. "Ja. Es gab einen Wagen. Klara war überzeugt, dass sie überwacht wird. Ich dachte, es wäre Paranoia, aber vielleicht... vielleicht hatte sie recht."
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"Und du hast nichts getan?"
"Was hätte ich tun sollen? Zur Polizei gehen und sagen, meine Schwester fühlt sich verfolgt? Sie hätten mich ausgelacht. Zumal..." Sophie brach ab.
"Zumal was?"
"Zumal die Polizei möglicherweise auch involviert war." Sophie
sah Anna direkt an. "Winden ist eine kleine Stadt, Anna. Macht
konzentriert sich hier in wenigen Händen. Jonas und Dietrich
hatten Verbindungen. Überall."
Anna fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog. "Auch beim Bürgermeister? Bei der Polizei?"
"Ich weiß es nicht sicher. Aber Klara hatte Angst vor allen. Sie vertraute niemandem mehr. Nicht einmal mir." Sophies Stimme
brach für einen Moment. "Sie hat sich komplett zurückgezogen.
Und ich... ich habe nicht verstanden, warum. Ich dachte, sie wäre
einfach depressiv nach der Fehlgeburt. Ich wusste nicht von der
Erpressung."
"Sie hat dich schützen wollen."
"Vielleicht. Oder sie hatte Angst, dass ich nicht glauben würde."
Sophie wandte sich ab. "Mach dich fertig. Wir sollten nicht zu spät
kommen."
Als Sophie gegangen war, zog Anna das Tagebuch wieder hervor. Sie musste es zu Ende lesen, egal wie schmerzhaft es war. Aber jetzt wartete erst die Beerdigung.
34
Der Friedhof von Winden lag auf einem Hügel mit Blick aufs Meer. Es war ein alter Friedhof, die Grabsteine verwittert und schief, manche so alt, dass die Namen nicht mehr lesbar waren. Der Wind zerrte an Annas schwarzem Kleid, als sie zwischen den Reihen hindurchging.
Die Kapelle war klein und feucht. Etwa zwanzig Menschen saßen verstreut auf den Bänken – Nachbarn, ehemalige Kollegen, ein paar entfernte Verwandte. Sophie saß in der ersten Reihe, steif und aufrecht. Anna setzte sich neben sie.
Der Pfarrer war ein alter Mann mit zitternden Händen. Er sprach über Klara mit der distanzierten Freundlichkeit eines Menschen, der die Verstorbene kaum gekannt hatte. "Klara Bergmann war eine ruhige Frau, eine hingebungsvolle Mutter, eine treue Nachbarin..." Die Worte waren generisch, austauschbar. Sie erfassten nichts von dem, wer Klara wirklich gewesen war.
Anna hörte kaum zu. Ihr Blick wanderte durch die Kapelle. In der hinteren Reihe saß ein Mann allein. Älter, grauer Mantel, Hut tief ins Gesicht gezogen. Er sah nicht zum Altar, sondern nach unten, auf seine gefalteten Hände. Etwas an ihm kam Anna bekannt vor.
Der Gottesdienst endete, und die Menschen drängten nach draußen zur Grabstelle. Anna verlor den Mann aus den Augen, aber als sie am Grab stand und zusah, wie der Sarg in die Erde gelassen wurde, sah sie ihn wieder. Er stand abseits, unter einer großen Eiche, und beobachtete.
"Wer ist das?" flüsterte Anna Sophie zu.
Sophie folgte ihrem Blick. "Ich weiß nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen."
Als die Zeremonie vorbei war und die Menschen begannen, sich zu zerstreuen, ging Anna auf den Mann zu. Er sah sie kommen und machte Anstalten zu gehen, aber Anna war schneller.
"Entschuldigung. Kannten Sie meine Mutter?"
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Der Mann hielt inne. Unter dem Hut sah Anna ein schmales, faltiges Gesicht mit wässrigen blauen Augen. "Ja", sagte er leise. "Vor langer Zeit."
"Wie haben Sie sie gekannt?"
Er zögerte. "Ich habe mit ihr gearbeitet. In den Neunzigern. Bei der Stadtverwaltung."
"Ihr Name?"
"Müller. Heinrich Müller." Er reichte ihr nicht die Hand. "Mein
Beileid. Sie war eine gute Frau."
"Herr Müller, ich würde gerne mit Ihnen sprechen. Über damals.
Über meine Mutter und... Jonas Krüger."
Bei Jonas' Namen zuckte Müller zusammen. "Ich weiß nichts."
"Bitte. Es ist wichtig."
Er sah sie lange an, dann seufzte er. "Morgen. Zehn Uhr. Im Café am Hafen. Aber ich bleibe nicht lange." Bevor Anna mehr sagen konnte, drehte er sich um und verschwand zwischen den Grabsteinen.
Anna sah ihm nach, ihr Herz klopfte. Noch jemand, der etwas weiß. Noch jemand, der Geheimnisse trägt.
Zurück im Haus fand Anna keine Ruhe. Die Gäste – wenn man sie so nennen konnte – waren gegangen, Sophie hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, und Anna war allein mit ihren Gedanken. Und dem Tagebuch.
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Sie setzte sich aufs Sofa und las weiter. Die Einträge wurden sporadischer, Wochen, manchmal Monate dazwischen. 1999, 2000, 2001. Klara schrieb nur noch, wenn es unerträglich wurde.
"3. November 2000. Jonas hat heute versucht, mich anzurufen.
Zum ersten Mal seit Jahren. Ich habe nicht abgehoben. Was könnte
er mir noch sagen, dass einen Unterschied macht? Es ist zu spät.
Alles ist zu spät."
"14. Februar 2001. Anna ist heute dreizehn geworden. Sie wird so groß. Manchmal sehe ich Jonas in ihr – die Form ihrer Augen, die Art, wie sie lächelt. Aber dann schüttele ich den Gedanken ab. Sie
ist meins. Nur meins."
Anna hielt inne. Die Form ihrer Augen. Sie stand auf und ging zum Spiegel im Flur. Betrachtete ihr Gesicht. Hatte sie Jonas' Augen? Sie hatte nie darüber nachgedacht, wem sie ähnlich sah. Ihr Vater war gestorben, als sie zwei war – ein Autounfall. Klara hatte selten über ihn gesprochen.
Aber was, wenn...?
Nein. Anna schüttelte den Kopf. Das ist absurd. Mama wäre nicht schwanger von Jonas gewesen, während sie mit Papa verheiratet war. Oder?
Sie ging zurück zum Tagebuch, blätterte zurück zu den ersten Einträgen. 1997. Die Affäre hatte im Juni begonnen. Anna war im Februar 1988 geboren. Fast zehn Jahre vorher. Es konnte nicht sein.
Aber dann fand sie einen Eintrag, der alles veränderte.
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"15. Juni 1997. Heute habe ich Jonas wiedergesehen. Nach all den
Jahren. Er stand einfach da, am Hafen, als hätte er auf mich
gewartet. Ich wusste sofort, dass das Unheil bringen würde. Aber
ich konnte nicht weglaufen. Nicht von ihm. Nicht von der
Erinnerung an damals, an 1987, an die einzige Zeit in meinem
Leben, in der ich wirklich lebendig war."
Das Jahr vor Annas Geburt. Anna blätterte hastig zurück, suchte nach weiteren Hinweisen, aber die ersten Seiten des Tagebuchs waren leer. Es begann erst 1997. Als hätte Klara alles vorher vergessen wollen. Oder versteckt.
Es muss noch ein Tagebuch geben, dachte Anna. Eines von früher.
Sie durchsuchte das ganze Haus. Klaras Zimmer, das Arbeitszimmer, den Keller, den Dachboden. Überall Staub, alte Möbel, Kartons voller Erinnerungen. Aber kein zweites Tagebuch.
Es war schon dunkel, als Anna erschöpft auf dem Dachboden auf einem alten Koffer zusammensank. Ihre Hände waren schmutzig, ihre Kleidung voller Spinnweben. Sie wollte aufgeben, aber dann fiel ihr Blick auf eine alte Truhe in der Ecke, halb verdeckt von einem Vorhang.
Mit letzter Kraft zog sie die Truhe hervor und öffnete sie. Drinnen lagen alte Kleider, Fotos, Briefe. Und ganz unten, in ein Tuch gewickelt, ein zweites Tagebuch. Älter als das erste, das Leder brüchig, die Seiten vergilbt.
Anna öffnete es mit zitternden Händen.
"1. Januar 1987. Ein neues Jahr. Ein neuer Anfang. Ich habe
beschlossen, alles aufzuschreiben, bevor ich den Mut verliere.
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Karl weiß nichts. Er darf nie erfahren, was passiert ist. Aber ich
muss es loswerden, dieses Geheimnis, das mich auffrisst."
Karl. Ihr Vater. Anna las weiter, ihre Augen flogen über die Seiten.
"10. Januar 1987. Ich habe Jonas getroffen. Es war ein Unfall –
ich war im Rathaus wegen der Bauerlaubnis, und er war dort für
ein Meeting. Wir haben uns unterhalten. Er war charmant, witzig,
so anders als Karl. Karl, der nie lacht, der immer nur arbeitet.
Jonas hat mich zum Kaffee eingeladen. Ich habe ja gesagt."
"25. Januar 1987. Ich habe einen Fehler gemacht. Einen
schrecklichen, wunderbaren Fehler. Jonas und ich. Es sollte nicht
passieren. Ich bin verheiratet. Aber es ist passiert. Und Gott
vergebe mir, ich bereue es nicht."
"14. Februar 1987. Ich bin schwanger. Der Arzt hat es heute
bestätigt. Ich weiß nicht, wessen Kind es ist. Karl und ich... wir
haben auch... Aber die Daten. Die Daten sagen, es könnte Jonas
sein. Ich habe Angst. Was soll ich tun?"
Anna ließ das Tagebuch fallen. Ihre Hände zitterten unkontrollierbar. Nein. Nein, nein, nein.
Sie war Jonas' Tochter. Möglicherweise. Vielleicht.
Die Welt drehte sich. Anna schloss die Augen, aber das half nicht. Die Worte brannten sich in ihr Gehirn. Ich weiß nicht, wessen Kind es ist.
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Wie lange sie so saß, wusste sie nicht. Als sie die Augen wieder öffnete, war es tief in der Nacht. Unten im Haus war alles still. Sophie schlief. Und Anna saß auf dem Dachboden mit einem Geheimnis, das schwerer wog als alles andere.
Sie musste es wissen. Sie musste Gewissheit haben. Aber wie?
Ein DNA-Test. Das war die einzige Möglichkeit. Aber dafür brauchte sie Jonas' DNA. Und sie bezweifelte, dass er freiwillig kooperieren würde.
Anna stand auf, nahm beide Tagebücher und ging nach unten in ihr Zimmer. Sie versteckte sie unter der Matratze – sicherer als unter dem Bett. Dann legte sie sich hin, aber Schlaf war unmöglich.
Wer bin ich? Die Frage hämmerte in ihrem Kopf. Bin ich Anna Bergmann, Tochter von Klara und Karl? Oder bin ich Anna... Krüger? Die Tochter eines Mannes, der meine Mutter verraten, erpresst und zerstört hat?
Und was bedeutete das für alles, was sie über sich selbst geglaubt hatte?
Am nächsten Morgen war Anna wie betäubt. Sie funktionierte mechanisch – stand auf, duschte, zog sich an, trank Kaffee. Sophie bemerkte nichts, oder sie tat so, als würde sie nichts bemerken.
Um halb zehn fuhr Anna zum Hafen. Das Café war ein kleiner, schäbiger Ort mit beschlagenen Fenstern und dem Geruch von altem Fett. Heinrich Müller saß bereits an einem Tisch in der Ecke, eine Tasse Kaffee vor sich.
Anna setzte sich ihm gegenüber. "Danke, dass Sie gekommen sind."
Müller nickte steif. "Ich habe nicht viel Zeit. Was wollen Sie wissen?"
"Alles über Jonas Krüger. Über Rolf Dietrich. Über die Geschäfte
in den Neunzigern."
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Müller seufzte. "Sie sollten das ruhen lassen."
"Das kann ich nicht."
Er sah sie lange an, dann begann er zu sprechen. "In den Neunzigern war Winden eine boomende Stadt. Neue Firmen, neue Bauprojekte, viel Geld. Jonas und Dietrich waren mittendrin. Sie hatten eine Baufirma, haben Aufträge von der Stadt bekommen. Große Aufträge. Zu große für eine Stadt dieser Größe."
"Korruption."
"Natürlich. Sie haben Beamte geschmiert, Politiker gekauft,
Konkurrenten eingeschüchtert. Es war ein offenes Geheimnis. Aber niemand hat etwas gesagt. Wer sich traute, wurde... zum
Schweigen gebracht."
"Wie?"
"Unterschiedlich. Drohungen. Erpressung. Manchmal auch
Gewalt. Ein Journalist, der zu viel nachgefragt hat, hatte plötzlich
einen Autounfall. Ein Konkurrent verlor seine Lizenz unter
mysteriösen Umständen. Die Botschaft war klar: Halt dich raus."
"Und meine Mutter?"
Müller zögerte. "Ihre Mutter arbeitete damals in der Buchhaltung der Stadtverwaltung. Sie hat Unstimmigkeiten bemerkt – Rechnungen, die nicht stimmten, Zahlungen an Scheinfirmen. Sie hat angefangen, Fragen zu stellen. Das war ihr Fehler."
"Jonas hat sie benutzt."
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"Zunächst hat er versucht, sie auf seine Seite zu ziehen. Die Affäre
war Teil davon, denke ich. Er wollte sie kompromittieren, sie
abhängig machen. Aber Klara war stärker, als er dachte. Sie hat
gedroht, zur Polizei zu gehen."
"Und dann?"
"Dann wurde es gefährlich. Dietrich hat Leute geschickt. Sie
haben Klara gedroht, sie eingeschüchtert. Sie haben ihr gesagt,
wenn sie redet, würde ihrer Tochter etwas passieren." Müller sah
Anna direkt an. "Ihnen."
Anna fühlte sich kalt werden. "Und die Polizei? Hat sie nichts getan?"
"Die Polizei war auch involviert. Der damalige Polizeichef,
Werner Schmidt, stand auf Jonas' Gehaltsliste. Klara hatte keine
Chance."
"Warum sind Sie hier? Warum erzählen Sie mir das?"
Müller sah auf seine Hände. "Weil ich einer von denen war, die weggeschaut haben. Ich wusste, was vor sich ging. Ich hatte Beweise. Aber ich hatte auch eine Familie, eine Hypothek, Angst. Also habe ich geschwiegen. Und jetzt... jetzt ist Klara tot. Und ich kann nicht mehr mit dieser Schuld leben."
"Sie hatten Beweise?"
"Ich habe Kopien gemacht. Von Dokumenten, Überweisungen,
Verträgen. Alles. Ich dachte, vielleicht würde ich sie eines Tages
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brauchen. Als Versicherung." Er griff in seine Tasche und zog
einen USB-Stick heraus. "Hier. Nehmen Sie das. Machen Sie
damit, was Sie wollen. Aber seien Sie vorsichtig. Diese Leute sind
gefährlich. Sie waren es damals, und manche von ihnen sind es
noch heute."
Anna nahm den USB-Stick mit zitternden Händen. "Wer? Wer ist noch involviert?"
"Werner Schmidt ist in Rente, aber er lebt noch hier. Und dann ist
da noch... " Müller brach ab. "Nein. Das sollten Sie selbst
herausfinden. Ich habe genug gesagt."
Er stand auf. "Vergessen Sie nicht: Ihre Mutter hat für Sie geschwiegen. Überlegen Sie gut, bevor Sie all das ans Licht bringen. Es wird nicht nur die Schuldigen treffen."
Bevor Anna antworten konnte, war er gegangen.
Sie saß allein im Café, den USB-Stick in der Hand, und fühlte, wie sich das Gewicht der Wahrheit auf ihre Schultern legte. Die Vergangenheit war ein Abgrund, und sie stand am Rand. Ein Schritt weiter, und es gäbe kein Zurück mehr.
Aber sie hatte keine Wahl. Nicht mehr. Ihre Mutter hatte den Großteil ihres Lebens im Schweigen verbracht, hatte die Wahrheit in Tagebüchern begraben und Geheimnisse mit ins Grab genommen.
Anna würde nicht denselben Fehler machen.
Sie steckte den USB-Stick in ihre Tasche, verließ das Café und fuhr zurück zum Haus. Sie hatte Arbeit zu tun.
Die Schatten der Vergangenheit warteten. Und Anna würde Licht ins Dunkel bringen – egal, was es kostete.
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◈◈◈
Kapitel 3
Die Schatten der Stadt
◈
Der USB-Stick lag auf dem Schreibtisch vor Anna wie eine kleine, schwarze Bombe. Sie hatte ihn seit drei Stunden angestarrt, ohne ihn anzurühren. Draußen war es dunkel geworden. Das Meer rauschte unablässig, ein hypnotischer Rhythmus, der ihre Gedanken in kreisende Bahnen zwang.
Mach ihn auf, drängte eine Stimme in ihr. Du musst wissen.
Lass es, flüsterte eine andere. Manche Türen sollten verschlossen bleiben.
Anna dachte an Müllers Worte: Es wird nicht nur die Schuldigen treffen. Was bedeutete das? Wie viele Menschen würden verletzt werden, wenn sie die Wahrheit ans Licht brachte? Und hatte sie überhaupt das Recht dazu?
Ihre Mutter hatte sich für das Schweigen entschieden. Nicht aus Feigheit, sondern aus Liebe. Aus dem verzweifelten Wunsch, ihre Tochter zu schützen. War es nicht ein Verrat an Klara, jetzt alles aufzudecken?
Aber dann dachte Anna an die Tagebücher, an die Angst, die aus jeder Zeile tropfte wie Gift. An die Einsamkeit ihrer Mutter, die jahrzehntelang mit diesen Geheimnissen gelebt hatte, bis sie ihr buchstäblich das Herz brachen. War das gerecht? War das richtig?
Nein, entschied Anna. Das war es nicht.
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Sie griff nach dem USB-Stick, steckte ihn in ihren Laptop und wartete. Der Bildschirm flackerte. Ein Ordner öffnete sich. Dutzende Dateien – PDFs, gescannte Dokumente, Fotos. Anna öffnete die erste Datei.
Es war ein Vertrag. Datiert auf den 12. März 1996. "Bauauftrag für die Erweiterung des Hafens Winden. Auftragnehmer: Krüger & Dietrich Bau GmbH. Auftraggeber: Stadt Winden. Gesamtsumme: 2,4 Millionen DM."
Anna überflog den Text. Es schien ein normaler Bauvertrag zu sein, aber dann sah sie die Anmerkungen am Rand – handschriftlich, in verschiedenen Farben. Zahlen, Namen, Pfeile. Jemand – vermutlich Müller – hatte die Ungereimtheiten markiert.
"Materialkosten überhöht – Marktwert ca. 800.000 DM, berechnet
1,5 Millionen."
"Subunternehmer 'Schmidt Bauservice' – existiert nicht in
Handelsregister."
"Unterschrift Bürgermeister unleserlich – möglicherweise
gefälscht?"
Anna öffnete weitere Dateien. Überweisungsbelege. Rechnungen für Dienstleistungen, die nie erbracht wurden. Zahlungen an Scheinfirmen mit Briefkastenadressen. Das System war raffiniert – die Gelder wurden in mehreren Schritten gewaschen, über verschiedene Konten und Firmen geleitet, bis die Spur zu verwischen schien.
Aber Müller hatte alles dokumentiert. Wie ein akribischer Buchhalter hatte er jeden verdächtigen Cent verfolgt, jede Transaktion notiert. Und das Ergebnis war verheerend: Über einen Zeitraum von fünf Jahren, von 1995 bis 2000, hatten Jonas und Dietrich die Stadt Winden um geschätzte acht Millionen Mark betrogen.
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Acht Millionen. In einer Stadt mit weniger als zehntausend Einwohnern war das eine astronomische Summe. Genug, um Schulen zu renovieren, Kindergärten zu bauen, Straßen zu reparieren. Stattdessen war das Geld in den Taschen zweier skrupelloser Geschäftsleute verschwunden.
Anna öffnete einen Ordner mit der Bezeichnung "Beteiligte". Drinnen waren Fotos – Überwachungsaufnahmen, heimlich geschossen. Jonas und ein älterer Mann in teuren Anzügen, die sich vor einem Restaurant die Hand schüttelten. Der Text darunter: "Jonas Krüger und Bürgermeister Friedrich Hartmann, 14.08.1997."
Ein weiteres Foto: Jonas, Dietrich und ein Mann in Polizeiuniform in einem Auto, lachend. "Jonas Krüger, Rolf Dietrich, Polizeichef Werner Schmidt, 03.11.1998."
Noch ein Foto: Mehrere Männer in einem Büro, Dokumente auf dem Tisch ausgebreitet. Anna erkannte Jonas. "Planungstreffen für Hafenerweiterung, 22.01.1996. V.l.n.r.: Jonas Krüger, Rolf Dietrich, Friedrich Hartmann, Werner Schmidt, unbekannt, unbekannt."
Die zwei unbekannten Männer waren verschwommen, ihre Gesichter kaum erkennbar. Aber einer von ihnen... Anna zoome das Bild heran. Etwas an der Statur, der Art, wie er stand, kam ihr bekannt vor. Aber sie konnte ihn nicht identifizieren.
Sie las weiter. Es gab auch Tonaufnahmen – alte Kassetten, die Müller digitalisiert hatte. Anna öffnete die erste Datei. Statisches Rauschen, dann Stimmen.
"...kann das nicht mehr mitmachen, Jonas. Es wird zu heiß."
"Beruhig dich, Friedrich. Alles ist unter Kontrolle."
"Unter Kontrolle? Die Presse fängt an zu schnüffeln. Und diese
Frau, diese Bergmann, sie stellt Fragen."
"Ich kümmere mich um Klara. Sie wird schweigen."
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"Und wenn nicht?"
Eine Pause. Dann Jonas' Stimme, kalt und hart: "Dann wird Rolf sich um sie kümmern. Auf seine Art."
Anna fühlte, wie sich ihr Magen umdrehte. Dann wird Rolf sich um sie kümmern. Die Drohung war unverkennbar. Ihre Mutter war in Lebensgefahr gewesen. Und Jonas – der Mann, der möglicherweise ihr Vater war – hatte es zugelassen.
Sie hörte weitere Aufnahmen. Gespräche über gefälschte Rechnungen, über Schmiergelder, über Einschüchterung von Zeugen. Mit jeder Minute wurde das Bild klarer und zugleich dunkler. Dies war kein simpler Betrug gewesen. Es war ein ganzes Netzwerk der Korruption, das sich durch Winden zog wie Wurzeln eines faulen Baumes.
Und ihre Mutter hatte mittendrin gestanden, allein und wehrlos.
Anna schloss den Laptop und lehnte sich zurück. Ihr Kopf schmerzte. Die Informationen waren überwältigend, das Ausmaß der Verbrechen schockierend. Aber was sollte sie jetzt tun? Zur Polizei gehen? Werner Schmidt war zwar in Rente, aber wer garantierte, dass nicht andere Polizisten involviert waren? Zur Presse? Welche Zeitung würde eine Geschichte veröffentlichen, die auf Dokumenten eines anonymen Whistleblowers basierte?
Sie brauchte mehr. Mehr Beweise. Mehr Zeugen. Vor allem brauchte sie die Wahrheit über ihre eigene Identität.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken. "Anna?" Sophies Stimme. "Bist du wach?"
Anna versteckte schnell den USB-Stick in ihrer Tasche. "Ja, komm rein."
Sophie trat ein, ein Tablett mit Tee in den Händen. Sie stellte es auf den Schreibtisch und betrachtete Anna mit besorgtem Blick. "Du siehst erschöpft aus. Hast du überhaupt geschlafen?"
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"Nicht viel." Anna nahm dankbar eine Tasse. Der Tee war heiß und süß, genau richtig.
Sophie setzte sich aufs Bett. "Ich mache mir Sorgen um dich. Diese ganze Sache mit dem Tagebuch, mit Jonas... du wühlst in Dingen, die längst begraben sind."
"Sie sind nicht begraben, Sophie. Sie sind nur versteckt. Es gibt
einen Unterschied."
"Und was willst du erreichen? Rache? Gerechtigkeit? Glaubst du,
das bringt Klara zurück?"
Anna stellte die Tasse ab und sah ihre Tante direkt an. "Ich will die Wahrheit wissen. Über alles. Auch über mich."
Sophies Gesicht versteinerte. "Was meinst du?"
"Ich habe das alte Tagebuch gefunden. Das von 1987. Ich weiß
von der Affäre. Ich weiß, dass Mama nicht sicher war, wessen Kind
ich bin."
Die Stille im Raum war erdrückend. Sophie starrte Anna an, ihr Gesicht eine Maske der Bestürzung. "Du hast es gelesen."
"Ja. Und jetzt muss ich wissen: Bin ich Karl Bergmanns Tochter?
Oder Jonas Krügers?"
Sophie stand auf und ging zum Fenster. Lange Zeit sagte sie nichts. Draußen heulte der Wind. Das Meer war aufgewühlt, die Wellen schlugen mit dumpfem Krachen gegen den Strand.
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Schließlich drehte Sophie sich um. "Klara hat mir nie gesagt, wessen Kind du bist. Sie wollte es selbst nicht wissen. Sie hat Karl geheiratet, weil sie schwanger war, weil es das Richtige schien. Und Karl... Karl hat dich geliebt wie seine eigene Tochter. Vielleicht wusstest du das. Vielleicht auch nicht. Aber es spielte für ihn keine Rolle."
"Aber es spielt für mich eine Rolle." Annas Stimme brach. "Ich
muss wissen, wer ich bin."
"Du bist Anna Bergmann. Die Tochter von Klara. Das ist alles,
was zählt."
"Nein. Das reicht nicht. Ich brauche Gewissheit." Anna stand auf.
"Ich werde einen DNA-Test machen lassen."
Sophie schüttelte den Kopf. "Und wie willst du Jonas' DNA bekommen? Ihn höflich darum bitten?"
Anna hatte darüber nachgedacht. "Ich werde einen Weg finden."
"Anna, bitte. Lass es gut sein. Was immer du herausfindest, es wird
nur Schmerz bringen. Glaubst du, Jonas wird dich als Tochter
anerkennen? Er wird es leugnen, selbst wenn es wahr ist. Männer
wie er tun das immer."
"Das ist mein Risiko."
Sophie seufzte resigniert. "Du bist genau wie deine Mutter. Stur. Entschlossen. Blind für die Konsequenzen." Sie ging zur Tür, hielt dann inne. "Pass auf dich auf, Anna. Diese Stadt hat dunkle Ecken. Und manche Leute wollen nicht, dass Licht hineinscheint."
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Als Sophie gegangen war, saß Anna lange im Dunkeln. Die Worte ihrer Tante hallten nach, vermischten sich mit den Stimmen aus den Tonaufnahmen, mit den Worten aus den Tagebüchern. Alles drehte sich, ein Strudel aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Wahrheit und Lüge.
Schließlich stand sie auf, zog ihre Jacke an und verließ das Haus. Sie brauchte frische Luft, Abstand, Klarheit. Ohne nachzudenken, lenkte sie ihre Schritte zum Strand.
Der Strand war menschenleer. Der Wind peitschte Anna ins Gesicht, zerrte an ihren Haaren, versuchte sie zurückzudrängen. Aber sie ging weiter, tiefer in die Nacht hinein, bis die Lichter von Winden nur noch kleine Punkte in der Ferne waren.
Die Dünen ragten zu beiden Seiten auf wie Wächter. Anna erinnerte sich, wie sie als Kind hier gespielt hatte, Burgen aus Sand gebaut hatte, die der nächsten Flut zum Opfer fielen. Alles war vergänglich hier an der Küste. Nur das Meer blieb, ewig und gleichgültig.
Sie erreichte eine kleine Bucht, geschützt vor dem schlimmsten Wind. Hier hatte sie früher mit ihrer Mutter gesessen, Muscheln gesammelt, dem Rauschen der Wellen gelauscht. Es war einer der wenigen Orte gewesen, an dem Klara entspannt gewirkt hatte. Als könnte sie hier, mit dem Gesicht zum Meer, die Last der Vergangenheit abwerfen.
Anna setzte sich auf einen Felsen und schloss die Augen. Sie versuchte, sich ihre Mutter vorzustellen – jung, verliebt, lebendig. Klara von 1987, vor dem Betrug, vor der Angst, vor den Geheimnissen. War sie glücklich gewesen? Hatte sie gewusst, dass dieses Glück nicht dauern würde?
"Schöner Ort zum Nachdenken."
Anna fuhr herum. Ein Mann stand ein paar Meter entfernt, die Hände in den Taschen seines dunklen Mantels. Er war groß, breitschultrig, das Gesicht im Schatten.
"Wer sind Sie?" Annas Herz hämmerte.
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Der Mann trat näher, und das Mondlicht fiel auf sein Gesicht. Er war Mitte vierzig, mit scharfen Zügen und kalten, grauen Augen. "Mein Name ist Berger. Thomas Berger."
"Was wollen Sie?"
"Nur reden." Er setzte sich auf einen Felsen ihr gegenüber,
unaufgefordert, als hätte er jedes Recht, hier zu sein. "Sie sind
Anna Bergmann, richtig? Klaras Tochter."
