Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wie kam es, dass eine vergleichsweise kleine Zahl von Juden auf der Iberischen Halbinsel rund 500 Jahre lang auf vielen Gebieten außerordentlich erfolgreich war? An den Höfen von Fürsten und Königen wirkten Juden als Dichter, Ärzte, Wissenschaftler, Diplomaten oder Schatzmeister. Dennoch gestaltete sich das Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen keineswegs immer harmonisch. Spannungen, Pogrome, Zwangsbekehrungen kamen nicht selten vor, bis schließlich 1492 alle Juden von der Iberischen Halbinsel vertrieben wurden. Was prägte und wie gestaltete sich das Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen? Wie zutreffend sind unsere Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter der Juden im muslimischen Spanien? Was hatte es mit der Spanischen Inquisition wirklich auf sich? Eine Betrachtung jenes bisher oft einseitig beleuchteten Zeitabschnitts jüdischer Geschichte.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Wie kam es, dass eine vergleichsweise kleine Zahl von Juden auf der Iberischen Halbinsel rund 500 Jahre lang auf vielen Gebieten außerordentlich erfolgreich war?
An den Höfen von Fürsten und Königen wirkten Juden als Dichter, Ärzte, Wissenschaftler, Diplomaten oder Schatzmeister.
Dennoch gestaltete sich das Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen keineswegs immer harmonisch. Spannungen, Pogrome, Zwangsbekehrungen kamen nicht selten vor, bis schließlich 1492 alle Juden von der Iberischen Halbinsel vertrieben wurden.
Was prägte und wie gestaltete sich das Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen? Wie zutreffend sind unsere Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter der Juden im muslimischen Spanien? Was hatte es mit der Spanischen Inquisition wirklich auf sich? – Eine Betrachtung jenes bisher oft einseitig beleuchteten Zeitabschnitts jüdischer Geschichte.
Einführung
Wer sind die Sepharden?
Sepharden und andere Juden
Ladino, die Sprache der Sepharden
Geografische und zeitliche Abgrenzung
Verwendete Bezeichnungen und Schreibweisen
Wann kamen Juden auf die Iberische Halbinsel?
Mythen um die ersten Juden auf der Iberischen Halbinsel
Waren Juden schon zur Zeit der Römer auf der Iberischen Halbinsel?
Erste Belege für die Anwesenheit von Juden
Die Grabinschrift von Adra
Der dreisprachige Grabstein von Tortosa
Das Konzil von Elvira
Jüdisches Leben vor der muslimischen Eroberung
Tolerante arianische Westgoten regieren Hispanien
Beginnende christliche Judenfeindschaft
Judenfeindliche Gesetze im Lex Visigothorum
al-Andalus – das muslimische Spanien
Muslime erobern große Teile der Iberischen Halbinsel (711)
Die rechtliche Stellung von Juden und Christen im islamischen Herrschaftsbereich
Handel und Produktion
Landwirtschaft, Bewässerung, Agrarwissenschaft
Zunehmender Wohlstand
Hygiene in al-Andalus
Goldenes Zeitalter der Juden in al-Andalus
Goldenes Zeitalter der Juden in Spanien und Architektur von Synagogen im 19. Jahrhundert
Das Kalifat von Córdoba (929 bis 1031)
Übersicht
Córdoba, eine Weltstadt
Wissenschaft
Straßen, Beleuchtung, Hygiene
Moschee und Palaststadt
Lebensstil in Córdoba
Woher kam der Reichtum?
Die Juden in Córdoba
Wechselseitige Beeinflussung der drei Religionen
Zerfall des Kalifats, Taifa-Königreiche
Übersicht
Keine Glaubenskriege
Juden unter Almoraviden
Juden unter Almohaden
Taifa-Königreiche werden erobert
Zusammenleben, Spannungen und Verfolgungen
Das Massaker von 1066
Das christliche Toledo, Stadt der drei Religionen
Zusammenleben
Alfons VI. (1037 bis 1109)
Alfons X. von Kastilien*, genannt El Sabio, der Weise
Übersetzerschule
Alfonsinische Tabellen (Libros del saber de astronomia)
Lieder- und Spielesammlung
Stellung der Juden im christlichen Toledo
Synagogen
Toledo, Synagoge Santa María la Blanca
Toledo, Synagoge el Tránsito
Córdoba, Synagoge
Mudéjar-Stil
Der lange Weg zur Ausweisung 1492
Die rechtliche Stellung der Juden unter Christen
Druck auf Juden zur Konversion
Die Verfolgungen von 1391
Druck zur Konversion als Folge von Disputationen
1263: Disputation von Barcelona
1413 bis 1414: Disputation von Tortosa
Einsetzen der Spanischen Inquisition
Opfer der Spanischen Inquisition
Wie das Bild von der Inquisition entstand
Die Realität der Spanischen Inquisition
Widerstand gegen die Inquisition
Die Reinheit des Blutes, Limpieza de sangre
Limpieza de sangre als Vorläufer der Nürnberger Gesetze?
Das Ende von al-Andalus
Granada und das Ende von Al-Andalus
Das Alhambra-Edikt von 1492 und seine Folgen
Wohin flüchteten die Juden?
Die Aufhebung des Edikts
Schlussbetrachtungen
Der Mythos von der Reconquista
Der Mythos von al-Andalus und die Verklärung des Orientalischen
Convivencia – Koexistenz
Multikulti in Spanien. Ein Vorbild?
Vierundzwanzig Kurzbiografien als Spiegel der Lebensbedingungen
Statt eines Schlusswortes: Besprechung einer Ausstellung
Ergänzende Informationen
Weshalb konnten Juden so hohe Funktionen einnehmen?
Die Grundlage für die Erfolge von Juden war Bildung
Juden als Fachleute auf mehreren Gebieten
Juden waren als Ärzte gefragt
Juden im Finanzsektor
Das Beispiel eines Inquisitionsverfahrens
Erklärung von Begriffen
Tafeln und Grafiken
Tafel: Sephardische Juden weltweit
Tafel: Geschichte Spaniens
Grafik: Reconquista
Grafik: Wohin flohen die Sepharden?
Literaturhinweise
Übersichten
Fachbücher
„Fast acht Jahrhunderte lang stellte Spanien unter seinen mohammedanischen Herrschern in ganz Europa ein leuchtendes Beispiel für einen zivilisierten und aufgeklärten Staat dar ... Was auch immer ein Königreich groß und wohlhabend macht, was auch immer zur Verfeinerung und Zivilisation neigt, wurde im muslimischen Spanien gefunden. Im Jahr 1492 gab das letzte Bollwerk der Mauren dem Kreuzzug von Ferdinand und Isabella nach, und mit Granada fiel die ganze Größe Spaniens zusammen … Es folgten die Gräuel der Verwüstung, die Herrschaft der Inquisition und die Schwärze der Finsternis, in die Spanien seitdem gestürzt ist …“
(Stanley Lane-Poole 1897 in „Die Mauren von Spanien“. Zitiert nach Fletcher in „Moorish Spain“)
Seit dieser Darstellung sind mehr als 100 Jahre intensiver Forschung vergangen, die zu einem differenzierteren Bild der Geschichte Spaniens mit seinen christlichen, jüdischen und muslimischen (maurischen) Bewohnern geführt hat. Auf dieser Grundlage richtet sich der Text dieses Büchleins an alle, die sich für das Leben der Juden unter muslimischer und christlicher Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel bis zu ihrer Vertreibung 1492 interessieren. Es ersetzt keine Reiseführer, die Sehenswürdigkeiten und andere Attraktionen beschreiben. Aber er ergänzt sie und versucht, ein möglichst differenziertes Bild der Geschichte des widersprüchlichen Zusammenlebens von Juden unter muslimischer und christlicher Herrschaft zu zeichnen. Dazu gibt es eine kaum überschaubare Zahl umfangreicher Publikationen – aber nur wenige komprimierte Darstellungen für Leser mit geringen Vorkenntnissen. Diese Lücke soll hier geschlossen werden.
Schlagwörter wie „maurische Prachtbauten“, „Goldenes Zeitalter der Juden“, „Convivencia“ (Koexistenz, Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen), aber auch „Spanische Inquisition“ locken Reiselustige auf die Iberische Halbinsel.
Der hier betrachtete Zeitraum, von den ersten gesicherten Belegen für die Anwesenheit von Juden auf der Iberischen Halbinsel bis zu ihrer Vertreibung umfasst weit über tausend Jahre. Lange Zeit lebten Juden, Muslime und Christen friedlich neben- und miteinander. In anderen Perioden kam es zu Verfolgungen – bis zur endgültigen Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 und der Muslime aus Portugal um 1600.
In diesem Text versuche ich, die verschiedenen Epochen und die Verbindungen zwischen ihnen transparent zu machen.
Von Juden mit sephardischem Hintergrund, wie Isaak ben Juda Abravanel* (spanischer Finanzier, 1460 bis 1521), Baruch de Spinoza (Philosoph aus Amsterdam, 1632 bis 1677) oder Benjamin d’Israeli (Premierminister Englands, 1804 bis 1881), hatte ich schon früh gehört. Meine Abhandlung erzählt die Geschichte ihrer ursprünglichen Heimat und über die Bedingungen, unter denen sie lebten.
Für Unterstützung danke ich Timotheus Arndt, Edith Meinhardt, Karin Hanig, Hazel Rosenstrauch, Leni Lopez, Alexander Atanassow, Gerd Schwerhoff und vor allem meiner Frau für ihre ständige Bereitschaft, den Fortgang der Arbeit kritisch zu begleiten.
Seit dem zweiten Jahrhundert bezeichneten die Juden die Iberische Halbinsel, die von den Römern Hispanien genannt wurde, als Sepharad. Ihre Nachfahren nennen sich Sepharden (hebräisch Sephardim).
Sepharden bilden heute einen Teil der jüdischen Bevölkerung Israels, es gibt sephardische Gemeinden in den USA, in Lateinamerika, einige wenige noch in Nordafrika und in anderen Gebieten – kaum in den Niederlanden und in Deutschland. Sie alle haben jüdische Vorfahren, die einst auf der Iberischen Halbinsel lebten. Britannica schätzt die Zahl der Sepharden zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit auf 1,5 Millionen. Andere Schätzungen nennen weit höhere Zahlen.
Das kollektive jüdische Gedächtnis bewahrt mit der Erinnerung an Sepharad das jüdische Goldene Zeitalter und als herausragende Figur Moses ben Maimonides* (1135 bis 1204). Aber auch die Tragödie der gewaltsamen Vertreibung der Juden 1492 durch die Katholischen Könige* Isabella I. von Kastilien (1451 bis 1504) und Ferdinand II. von Aragón (1452 bis 1516).
Durch ihre Beiträge in den Bereichen Wissenschaft, Handel, Medizin und Verwaltung spielten Juden eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung Spaniens. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung war jedoch verschwindend klein: 1050 lebten etwa sieben bis neun Millionen Menschen auf der Iberischen Halbinsel, darunter 50.000 bis 55.000 Juden, somit unter einem Prozent. Da die meisten Juden im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung in Städten lebten, dürfte dort ihr Anteil wesentlich höher gewesen sein. So lebten beispielsweise im 15. Jahrhundert über 500 Juden in der Stadt Avila. Das entsprach etwa 8 % der dortigen Bevölkerung.
Die heutigen sephardischen Juden und deren Nachfahren kommen aus Spanien, Portugal, Nordafrika und dem mittleren Osten. Dagegen werden Juden aus Frankreich, Deutschland, Süd- und Osteuropa als Aschkenasen bezeichnet. Aschkenas ist der mittelalterliche jüdische Ausdruck für Deutschland. Vor dem Holocaust lebten die meisten osteuropäischen Juden in Polen, Russland und der Ukraine. Sie waren Aschkenasen (hebräisch Aschkenasim). Viele von ihnen sprachen bis ins 20. Jahrhundert Jiddisch. Aus diesem Sprachraum stammt auch die Klezmer-Musik. Viele dieser Aschkenasen pflegten alte religiöse (orthodoxe) jüdische Traditionen. Noch heute sind männliche orthodoxe Aschkenasen (sie stellen in unseren Tagen aber eine Minderheit dar) häufig an ihrem Hut, dem Bart und dem schwarzen Anzug zu erkennen. Die aus dem deutschen Sprachraum stammenden Juden wie Albert Einstein, Sigmund Freud oder Marcel Reich-Ranicki waren ebenfalls Aschkenasen, jedoch mit Deutsch als Muttersprache und meist nicht religiös.
Auf mittelalterlichen Illustrationen jüdischer Künstler sehen wir sephardische Juden meistens mit einer eng anliegenden Kappe aus Stoff. Dagegen tragen aschkenasische Juden symbolhaft einen Judenhut mit hoher Spitze.
Im engeren Sinne unterscheidet man heute zwischen den aus Spanien und Portugal stammenden Nachfahren der Sepharden und denen aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Letztere werden als Mizrachim (hebräisch für „die Östlichen“) bezeichnet.
Sepharden und Aschkenasen haben viele Gemeinsamkeiten. Abweichungen gibt es zum Beispiel beim Gottesdienst in den Melodien, bei einigen Gebetstexten und in der Aussprache der hebräischen Texte. Heute verwenden jedoch auch viele aschkenasische Synagogen die sephardische Aussprache, da diese in Israel vorherrschend ist.
Ähnlich wie das Jiddische der osteuropäischen Aschkenasen auf einem mittelalterlichen Deutsch basiert, beruht Ladino – die ursprüngliche und auch heute noch gepflegte Sprache der Sepharden – auf dem Kastilischen. Ladino, auch als Judenspanisch bezeichnet, enthält Elemente aus dem Hebräischen und Aramäischen, aber auch aus dem Arabischen. Später kamen Anleihen aus dem Türkischen, dem Italienischen, dem Griechischen und Slawischen hinzu – je nach dem Gebiet, in dem die Sepharden nach ihrer Vertreibung aus Spanien siedelten.
Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, werden hier die Begriffe Spanien, Sepharad und Hispanien gleichbedeutend für das Gebiet der römischen Provinz Hispanien auf der Iberischen Halbinsel verwendet – also für das heutige Spanien und Portugal. Damit folge ich den meisten Publikationen über die Sepharden.
Die Muslime, auch Mauren genannt, (wahrscheinlich vom Griechischen mauros, dunkel), bezeichneten ursprünglich die gesamte Iberische Halbinsel als al-Andalus. Für die Herkunft der Bezeichnung al-Andalus gibt es verschiedene Annahmen: Möglicherweise abgeleitet von „Land der Vandalen“. Nach Georg Bossong war der Name schon in vorrömischer Zeit bekannt. Ab dem 11. Jahrhundert, mit dem Beginn der Rückereroberung durch die Christen, beschränkte man den Begriff al-Andalus (spanisch Andalucía) auf die von den Muslimen besetzten Gebiete.
Nach der Ausweisung von 1492 konnten nur getaufte, also zum Christentum konvertierte Juden, in Spanien bleiben. Für sie und ihre Nachfahren war über Jahrhunderte das Vorgehen der Spanischen Inquisition prägend. Die Inquisition untersuchte, ob die neuen Christen ihre jüdischen Traditionen tatsächlich, und nicht nur vorgeblich, aufgegeben hatten. Deshalb wird hier die Spanische Inquisition ausführlich behandelt – auch wenn sie erst vierzehn Jahre vor der Ausweisung der Juden eingesetzt wurde.
Der folgende Text beschreibt das Leben der Juden in Spanien von den weitgehend im Dunkeln liegenden Anfängen bis zu ihrer Ausweisung 1492. Die Ausgewiesenen und deren Nachfahren lebten unter fremden Wirtsvölkern. Auch wenn sie weiterhin viele Elemente ihrer Sprache (Ladino), des Brauchtums und religiöser Traditionen pflegten, so änderten sich doch die äußeren Lebensbedingungen, je nach dem Gastland, grundlegend. Diese Veränderungen sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.
Mit Christen werden, wenn nicht weiter differenziert, die damals vorherrschenden Katholiken bezeichnet.
Im Hebräischen lauten die Pluralbezeichnungen Sephardim und Aschkenasim. Hier werden die im Deutschen gebräuchlichen Bezeichnungen Sepharden und Aschkenasen verwendet.
Für zum Christentum konvertierte Juden ist die Bezeichnung Marranen verbreitet. Sie leitet sich vermutlich vom spanischen Wort für Schwein ab. Laut Encyclopedia Judaica sollte der Begriff negative Gefühle hervorrufen. Ich bevorzuge deshalb den Begriff Konvertiten.
Die meisten Publikationen über die Juden in Spanien sind in Englisch erschienen. Das widerspiegelt auch das Literaturverzeichnis.
Kurzbiografien von Personen, die mit einem „*“ gekennzeichnet sind, finden sich im Abschnitt „Ausgewählte Biografien“.
Für Orte und Namen wurde die deutsche Bezeichnung gewählt – meist so, wie von Wikipedia angegeben. Falls der Ausdruck nur im Englischen vorhanden ist, diente Encyclopedia Judaica als Vorlage.
Um den Anfang jüdischen Lebens auf der Iberischen Halbinsel ranken sich verschiedene Mythen. Damit versuchten die Juden aus unterschiedlichen Gründen nachzuweisen, dass sie schon sehr lange in Spanien beheimatet gewesen sind. Besonders auch, um sich gegen die Ausweisung von 1492 zu wehren.