Die Sex-Besessenheit der AfD - Daniela Rüther - E-Book

Die Sex-Besessenheit der AfD E-Book

Daniela Rüther

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Beschreibung

Warum befasst sich eine rechtsautoritäre Partei unablässig mit "Volks"-Vermehrung und Geburtenzahlen, Homo- und Transsexualität, Sexualaufklärung, Geschlechterforschung und geschlechtergerechter Sprache? Und was hat das alles mit Gender zu tun, einem Lieblingskampfbegriff der AfD? Daniela Rüther nimmt den "Genderwahn" der Rechten ins Visier, und zwar da, wo er sich mit politischer Macht verquickt – in den Parlamenten. Gestützt auf gründliche Recherchen zeigt sie: Bei ihrer völkisch-nationalistischen Familien- und Bevölkerungspolitik macht die AfD Anleihen beim Nationalsozialismus. Und bei ihren parlamentarischen Taktiken nimmt sie sich die NPD zum Vorbild, die den Anti-Genderismus in die deutschen Parlamente eingeführt hat.

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Seitenzahl: 147

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Daniela Rüther

DIE SEX-BESESSENHEIT DER AFD

Rechte im »Genderwahn«

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet

diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8012-0694-9 [Printausgabe]

ISBN 978-3-8012-7064-3 [E-Book]

Copyright © 2025 by

Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH

Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn

Tel. 0228/18 48 77-0 | [email protected]

Umschlag/Reihengestaltung: Petra Bähner, Köln

Satz: Rohtext, Bonn

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2025

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Intro

Dilettantismus auf parlamentarischem Parkett und als Familienpolitik getarnte Bevölkerungspolitik

Hintergründe: Von Rechten in Europa und aus der Geschichte gelernt

Parlamente als Propagandabühne für Sexbesessene

Schüren »undemokratischer Emotionen« in den Medien

Kampfbegriff Gender – rechte Erfolgsformel in den Parlamenten

Das Target der AfD: Geschlechterforschung

Verschiebung des Diskurses nach rechts: »Gendersprache«

Ausblick

Anmerkungen

Quellen

Literaturverzeichnis

Über die Autorin

Intro

Die AfD scheint sexbesessen zu sein. Regelmäßig bespielt die rechtsautoritäre Partei in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten alle möglichen und unmöglichen Themen rund um Sexualität und Geschlechtlichkeit. Es geht um »Volks«-Vermehrung und Geburtenzahlen, Homosexualität, Transsexualität, Sexualaufklärung und so fort.

Die AfD ist mit ihrer Besessenheit von Geschlechterfragen nicht allein, auch in anderen Ländern fixiert sich die autoritäre Rechte auf diese Themen. Neu ist das nicht. Schon immer kreisten völkische Ideen rund um Mutterschaft, hierarchische Zweigeschlechtlichkeit und patriarchale Familienvorstellungen. Das einzig Innovative an der heutigen Besessenheit der AfD von Geschlechterthemen sind die Etiketten, die Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht zur Verfügung standen: Komposita rund um das Wort Gender – »Genderwahn«, »Gendergaga«, »Genderideologie«, »Gendersprache«. Mittlerweile vermögen die Kunstwörter quer durch alle gesellschaftlichen Schichten emotional zu zünden und Menschen auf die Palme zu bringen. Dass es im Kern um die Gleichstellung der Geschlechter geht, ist offensichtlich kaum noch jemandem klar, der oder die sich über Themen rund um Gender erregt. Noch weniger gelangt in die Öffentlichkeit, dass die AfD in den Parlamenten fortwährend die Thematik befeuert, sodass die Parlamentarier*innen der anderen Parteien längst den Eindruck erhalten haben, dass die AfD selbst vom »Genderwahn« befallen ist. Den Spieß umzudrehen und den von der AfD in diffamierender Weise benutzten rechten Kampfbegriff »Genderwahn« auf sie selbst anzuwenden, erscheint mehr als berechtigt.

Vom »Genderwahn« der AfD in den Parlamenten dringt wenig ins allgemeine Bewusstsein, weil in den Medien viel über Provokationen der AfD, aber wenig über die Gegenwehr der demokratischen Parteien berichtet wird. Ist nicht ohnehin die Migration das Kernthema der rechtsautoritären Partei? Wie hängt der »Genderwahn« der AfD damit zusammen?

Der Blick in den Bundestag und die Landtage vermag den engen Zusammenhang zu erhellen. Er legt gleichzeitig offen, wie die AfD praktisch politisch agiert – und wie die anderen Parteien darauf reagieren. Die negativ emotionalisierenden Propagandatechniken, die die AfD in den Sozialen Medien nutzt, sind in Plenarsälen und Ausschüssen nicht gefragt. Neue Strategien und Taktiken musste die rechtsautoritäre Partei für die Parlamente jedoch kaum entwickeln, wie das Beispiel des Themas »Genderwahn« illustriert. Zeitlich vor der AfD hatte eine Partei aus dem äußersten rechten politischen Spektrum den Anti-Genderismus in bundesdeutsche Landtage getragen und das Instrumentarium für die propagandistische Nutzung der Parlamente gleich mitgeliefert und erprobt: die NPD. Sie orientierte sich offen am historischen Vorbild des Nationalsozialismus. Doch auch ohne den Umweg über die NPD sind im Vorgehen der AfD in den Parlamenten Anleihen beim Nationalsozialismus festzustellen, gleichfalls aber auch bei der protofaschistischen Bewegung der Antifeministen des Kaiserreichs. Wer keine eigenen Ideen hat, bedient sich aus der Geschichte.

Das zeitigt durchaus Erfolge. Wird näher in die Parlamente hineingezoomt, zeigt sich, dass sich der Diskurs über Themen der Geschlechtergerechtigkeit im Laufe der Zeit politisch deutlich nach rechts verschiebt.

Dilettantismus auf parlamentarischem Parkett und als Familienpolitik getarnte Bevölkerungspolitik

Berlin, 23. April 2021. Die dritte Welle der Corona-Pandemie führt wieder zu erhöhten Erkrankungszahlen in Deutschland. Vor wenigen Tagen fand eine Gedenkfeier für die Opfer der Pandemie statt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach in seiner Rede im Konzerthaus in Berlin von einer »schweren Zeit«.1 Im Plenarsaal des Deutschen Bundestages steht an diesem Freitag, dem Ende der Plenarwoche, der familienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion am Rednerpult. Martin Reichardt ist Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der AfD, der 2023 vom Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextrem« eingestuft wurde.2 Er ist der erste Redner in einer Debatte um zwei Anträge seiner Partei, die Familien entlasten sollen – durch Einführung eines Familiensplittings und eines zinsfreien Kinderkredits. Ein positives Programm in einer für alle, besonders auch für Familien belastenden Zeit. So scheint es.

Was die AfD mit ihren Anträgen für Familien leisten will, steht jedoch erstaunlicherweise für den Redner gar nicht im Vordergrund. Reichardt konzentriert sich darauf, ein dunkles Szenario an die Wand zu malen, das so gar nicht geeignet erscheinen will, in der »schweren Zeit« Hoffnung zu verbreiten. Dramatisch mahnt er: »Die Folgen der demographischen Katastrophe werden immer offensichtlicher. Seit einem halben Jahrhundert leistet sich Deutschland eine der weltweit niedrigsten Geburtenraten. Anstatt eine aktivierende Familienpolitik zu betreiben, setzt die Regierung auf Masseneinwanderung […].«3 Seine Fraktionskollegin Mariana Iris Harder-Kühnel steigert die apokalyptische Vision wenig später noch: »Die Deutschen werden zur Minderheit im eigenen Land.[…] Die Bevölkerung wird immer älter. Die Sozialsysteme kollabieren«.4 Anspruch von Politik müsse es sein, die Interessen »des eigenen Volkes im Allgemeinen und der Familien im Besonderen« zu vertreten; Deutschland dürfe sich nicht abschaffen.5 – Es geht der AfD also gar nicht so sehr um Familienpolitik als um Bevölkerungspolitik. Eine Überraschung war das nicht, denn das Ganze war eine Wiederholung.

Was die AfD-Abgeordneten zur Begründung ihrer Anträge vorbrachten, hatten sie beide in ähnlicher Form wenige Monate zuvor an selber Stelle bereits ausgeführt. Im November 2020 hatte Reichardt im Bundestag unter anderem gesagt: »Seit 1972 gibt es in Deutschland ein Geburtendefizit. […] Deutschland überaltert, und das hat weitreichende Folgen für unsere Sozialsysteme, für unsere Rentenkasse und damit für den sozialen Frieden in Deutschland«.6 Und Harder-Kühnel hatte wieder eine Überspitzung parat: »Meine Damen und Herren, Deutschland ist nicht von einer klimatischen, sondern von einer demografischen Katastrophe akut bedroht.«7

Im November 2020 hatte die AfD ein ganzes Bündel an Anträgen zur Familienpolitik in den Bundestag eingebracht, darunter auch ein »Baby-Willkommensdarlehen« in Höhe von 10.000 € für Elternpaare,8 das dem im April 2021 präsentierten »Kinderkredit« ähnelte. Ein Antrag mit exakt der gleichen Forderung nach einem »Baby-Willkommensdarlehen« war Jahre zuvor schon auf Landesebene parlamentarisch eingereicht worden, so im Sommer 2016 in Brandenburg.9 Die Partei kopierte sich also selbst.

Darüber hinaus hatte sie im November 2020 im Programm: die Senkung der Mehrwertsteuer für Babywindeln auf sieben Prozent, die Forderung einer Öffentlichkeitsoffensive, um die Drei-Kind-Familie zu fördern, die stärkere Kontrolle der Träger der Schwangerschaftskonfliktberatung und die Einflussnahme auf Schulen und den öffentlichrechtlichen Rundfunk, wo stärker die Bedeutung von Geburten und des Schutzes des ungeborenen Lebens betont werden sollten.10 Auch hier hatte die AfD Inhalte aus vorhergehenden Anträgen, die sie bereits erfolglos in den Bundestag eingebracht hatte, recycelt.

Die CDU/CSU-Abgeordnete Bettina Margarethe Wiesmann wies darauf entnervt und mit spöttischen Unterton hin: »Wir haben hier heute Vormittag ein vertrocknetes Sträußchen an Wünschen der AfD an die Familienpolitik zu besprechen, das Sie erkennbar unter großen Mühen zusammengepflückt haben.«11 – Das Protokoll verzeichnete an dieser Stelle Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, SPD, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen. – Es seien, fuhr sie fort, »zumeist schlappe Wiederholungen des immer Gleichen«. Dabei zeigte sie auf, dass der Wunsch nach Umsatzsteuerabsenkung für Babywindeln schon Teil des Antrags der AfD vom März 2019 gewesen sei, den der Bundestag abgelehnt habe. Auch der Wunsch der AfD nach Zensur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei nicht neu. Das sei bereits ein Jahr zuvor Thema in einer Aktuellen Stunde im Bundestag gewesen.

Einhellig lehnten alle Parteien alle Anträge der AfD im Bundestag mit deutlichen Worten ab, sowohl im November 2020 als auch im April 2021. Die Bandbreite reichte von »rassistischer Humbug« (Nicole Bauer, FDP) und »offensichtlicher Unsinn« (Norbert Müller, Die Linke), über die Formulierung »vermieftes und veraltetes Modell« (Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen)12 bis hin zu »unterkomplex« (Markus Herbrand, FDP), »Quatsch« (Michael Schrodi, SPD), »Schrott« (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen) und »Schwachsinn« (Dr. Wiebke Esdar, SPD).13 Eine drastische Wortwahl. Offensichtlich waren die Abgeordneten vollkommen entnervt, sich mit den Anträgen der AfD befassen zu müssen. Unisono durchschauten Politiker*innen aller Fraktionen die politische Zielrichtung der AfD, »unter dem Deckmäntelchen Familienpolitik ihre eigentlich völkische, nationale Bevölkerungspolitik« zu verkaufen, wie beispielsweise die SPD-Abgeordnete Leni Breymaier formulierte.14 Niemand fand sich, der oder die Einschnitte in die freie Presse, ein beim ersten Kind automatisch ausgezahltes staatliches Zwangsdarlehen und die Einschränkung des Rechts auf Abtreibung gutgeheißen hätte. In unterschiedlichen Worten wiesen die Abgeordneten der demokratischen Parteien die Forderungen der AfD als »ins letzte Jahrhundert« gehörend zurück, so die Formulierung von Beate Walter-Rosenheimer vom Bündnis 90/Die Grünen.15 Leni Breymaier (SPD) brachte es auf den Punkt: »In keinem einzigen Antrag geht es darum, das Leben der Menschen einfacher zu machen, sondern in den Anträgen geht es darum, gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zurückzudrehen und sich im Mief der 50er Jahre zu suhlen«.16

Empört waren die Abgeordneten darüber, dass die parlamentarischen Eingaben der AfD inhaltlich und handwerklich schlecht gemacht waren. Dabei ging es nicht nur darum, dass die Anträge der AfD inhaltlich vollkommen von den in der Legislaturperiode eingebrachten gesetzlichen Regelungen zur Familienpolitik abstrahierten. Antje Tillmann, Abgeordnete der CDU/CSU, sagte in der Bundestagssitzung im April 2021 sichtlich enerviert in Richtung des AfD-Abgeordneten Reichardt, es zeige sich leider, dass er zu einem Thema gesprochen habe, vom dem er offensichtlich überhaupt keine Ahnung habe und belehrte ihn, indem sie die familienpolitischen Maßnahmen der Regierung zur Entlastung der Familien im Einzelnen aufzählte.17

Bereits die Annahme, Deutschland habe zu wenige Kinder und würde entvölkert, die der »staatlich verordneten Bevölkerungspolitik« der AfD (Sönke Rix, SPD)18 zugrunde lag, entbehrte, wie der Abgeordnete der Partei Die Linke, Norbert Müller, in der Sitzung im November 2020 und dann wieder in der Sitzung im April 2021 erneut richtigstellte, jeder Grundlage, denn die Geburtenzahlen waren zu diesem Zeitpunkt so hoch wie seit Mitte der achtziger Jahre nicht mehr.19 Derselbe Abgeordnete, selbst Vater mehrerer Kinder, rechnete im Bundestag vor, dass die von der AfD geforderte Mehrwertsteuersenkung auf Babywindeln pro Kind und Jahr eine lächerlich geringe Ersparnis von rund 25 Euro ergäbe, also zur Bekämpfung von Kinderarmut nutzlos sei.20

Auch das geforderte Familiensplitting, bereits einige Male Thema im Bundestag, also keine originäre Idee der AfD, auch wenn sie Bestandteil des Parteiprogramms der AfD ist,21 hätte fehlgeleitete Verteilungseffekte zur Folge, erklärte die CDU/CSU-Abgeordnete Antje Tillmann. Das Verfahren, bei dem die Besteuerung nach Anzahl der Familienmitglieder, also auch der Kinder, erfolgte, würde, so Tillmann, vor allem den Gutverdienenden zugutekommen, nicht aber den Familien, die die finanzielle Entlastung am meisten bräuchten.22 Um den Kinderwunsch in der Breite der Bevölkerung finanziell leichter zu machen, war dieses steuerpolitische Mittel also denkbar ungeeignet. Darüber hinaus schüfe das Familiensplitting genauso wie das Ehegattensplitting, das die AfD zusätzlich beibehalten wollte, Anreize für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, ergänzte Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen).23

Die Liste der Kritik an den Anträgen der AfD aufgrund inhaltlicher Gründe, das heißt mangelnder Sachkenntnis der familienpolitischen Fragestellung, ließe sich verlängern. Die Abgeordneten aller Fraktionen zerpflückten die Anträge der AfD vollständig. Die von der AfD vorgeschlagenen Maßnahmen wären gar nicht geeignet gewesen, das gesetzte Ziel zu erreichen, junge Paare zum Kinderkriegen zu ermuntern, ganz abgesehen davon, dass keine demokratische Partei sich bereitfand, die rassistische Ausrichtung der Fördermaßnahmen, die allein deutschen Paaren zugutekommen sollten, zu unterstützen. Was die Politiker*innen jedoch vor allem im April 2021 regelrecht auf die Palme brachte, war die Missachtung der üblichen parlamentarischen Verfahren durch die AfD. Die Partei ignorierte schlicht die Regularien der Abläufe im Bundestag. Dass sie dies mangels Wissens getan hätte, weil sie noch frisch im Bundestag gewesen wäre, kann nach einer über drei-, fast vierjährigen Zugehörigkeit zum Parlament kaum der Fall gewesen sein. So hatte die AfD im April 2021 zu ihrem Antrag auf Einführung eines Familiensplittings keinen Finanzierungsvorschlag gestellt, sondern sich darauf zurückgezogen, dass »der gesamte Bundeshaushalt auf steuerverschwendende Ausgaben geprüft werden« müsse, wobei »sämtliche Ministerien eine Prioritätenliste ihrer Ausgaben« erstellen sollten, »anhand derer der Deutsche Bundestag entscheiden kann, welche Ausgaben zu reduzieren oder zu beenden sind«.24 Eine Forderung, die nicht im Entferntesten die üblichen politisch-administrativen Abläufe berücksichtigte. Markus Herbrand, der im Bundestag für die FDP zu den AfD-Anträgen Stellung nahm, rief, nachdem er diesen Passus laut zitiert hatte, empört ins Mikrofon: »Also, liebe Kollegen der AfD, das nennen wir hier im Hause Haushaltsausschuss, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) und der ist keine neue Institution. Neu wäre allerdings, dass Sie innerhalb dieses Ausschusses schon mal zu Einsparvorschlägen irgendwie Stellung genommen hätten.«25

Noch deutlicher formulierte es der Kollege der CDU/ CSU-Fraktion Johannes Steiniger: »Die AfD hat keinen Bock auf Politik. Wenn man die Anträge, die Sie hier vorgelegt haben, durchliest, dann muss man diesen Eindruck erhalten. […] Sie haben keinerlei Lust, hier in diesem Parlament mitzuarbeiten. […] Wenn man sich dann mal anschaut, was Sie vorlegen, dann stellt man fest: Das ist schon ziemlich dünn, zwei Anträge, jeweils eine DIN-A4-Seite, irgendwie vier, fünf Stichpunkte draufgeschrieben. Wenn Sie mit dem großen Impetus hier antreten, Sie machen etwas für die Familien in Deutschland, […] dann würde ich schon erwarten, dass Sie sich ein bisschen Mühe geben, sich ein bisschen mehr Arbeit machen und mehr Zeit als eine halbe Stunde aufbringen, um die Punkte aufzuschreiben.«26 Ähnliche Statements folgten von den Parteikollegen Sebastian Brehm und Maik Beermann.27Letzterer wies darauf hin, dass die Anträge der AfD von vielen Kolleginnen und Kollegen mit Fakten und Zahlen auseinandergenommen worden seien, dass aber nicht eine Zwischenfrage der AfD dazu gekommen sei. Das scheine, so Beermann optimistisch, ein Beleg für den deutlichen Lernprozess der Kolleginnen und Kollegen der AfD zu sein, »dass die Anträge, über die wir heute diskutieren, das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurden«.28

Bisweilen riefen und rufen die parlamentarischen Propaganda-Initiativen der AfD und die Performance ihrer Abgeordneten in den Parlamenten nicht Kopfschütteln und Ärger hervor, sondern Gelächter. Seit den ersten Jahren der Präsenz der AfD in den Parlamenten kursieren Zusammenstellungen widersinniger Anträge der AfD in Landtagen und im Bundestag im Netz, die das teilweise stümperhafte Agieren der Partei der Lächerlichkeit preisgeben.29 Im künstlerischen Umfeld wurde ebenfalls früh das humoristische Potenzial der Reden von Politiker*innen der AfD entdeckt. Im Herbst 2016 präsentierten Schauspieler*innen auf der Bühne des Berliner Gorki-Theaters 75 Minuten lang »Rechte Reden«.30 Ohne Dramaturgie und ohne Handlung wurden Originalreden von AfD-Politiker*innen in der Performance vorgetragen, wobei es den Schauspieler*innen gelang, Mimik, Gestik und Rhetorik originalgetreu nachzuahmen, urteilt der Politikwissenschaftler Johannes Hillje. Als eine Schauspielerin sich in der für Beatrix von Storch typischen hohen Stimmlage über »Gender-Mainstreaming« in Rage geredet habe, sei seine Sitznachbarin vor Lachen zu Boden gegangen, berichtet er. Überhaupt sei an dem Abend viel gelacht worden.31

Auch im Bundestag animieren die Substanzlosigkeit und häufig mangelnde Professionalität der parlamentarischen Eingaben der AfD gelegentlich einzelne Abgeordnete zu launigen Invektiven. So kleidete der SPD-Abgeordnete Helge Lindh sein Statement zu Anträgen der AfD zur Einrichtung eines »Nationalen Aktionsplans Kulturelle Identität« sowie einer »Deutschen Akademie für Sprache und Kultur« in ein fiktives Gespräch zwischen Faust und Mephisto. Dieses sollte illustrieren, wie die AfD zur Idee ihrer vorliegenden Anträge gekommen sei. Ein Ausschnitt: »Faust: Habe nun, ach, Deutsch, Geschichte und Kultur und Politik gar durchaus studiert mit heißem Bemühn. Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Mephisto – zu ihm –: Gedenke, du bist AfDler; Klugheit und Vernunft sind nicht deine Kernkompetenz«.32 Das Protokoll verzeichnet Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der Linken und Beifall bei Abgeordneten der FDP. Sogar der AfD-Abgeordnete Dr. Marc Jongen musste an einer Stelle lachen, wie das Protokoll des Bundestages vermerkt – als Mephisto Faust seinen Vorschlag unterbreitet: »Ihr fordert einfach einen Nationalen Aktionsplan Kulturelle Identität und eine Deutsche Akademie für Sprache und Kultur, fertig. Nichts Konkretes, nichts Praktisches, keine Arbeit; darauf versteht ihr euch sowieso nicht gut.«33 Der SPD-Abgeordnete hatte mit dieser Aussage wohl eine Wahrheit berührt.

Die AfD investiert offenkundig wenig Zeit und Aufwand in ihre parlamentarischen Eingaben und ignoriert das übliche Prozedere im Bundestag und den Landesparlamenten, wie insbesondere das Beispiel ihrer familienpolitischen Anträge illustriert, die de facto bevölkerungspolitische Anliegen beinhalteten. Wenn die parlamentarische Performance der AfD so schlecht ist, stellt sich die Frage, woher die Ideen zu den schlecht gemachten Anträgen stammen.

Hintergründe: Von Rechten in Europa und aus der Geschichte gelernt

Die AfD plagiiert nicht nur sich selbst in den Parlamenten, indem sie die gleichen, zum Teil dieselben Anträge immer wieder neu einbringt. Sie hat auch von Rechten in Europa und aus der Geschichte gelernt. Die vermeintlich familienpolitischen de facto bevölkerungspolitischen Forderungen, die die AfD im November 2020 und wenige Monate später im April 2021 erneut in etwas anderer Ausrichtung im Bundestag stellte – und Jahre zuvor bereits in mindestens einem Landesparlament –, entsprachen inhaltlich ganz der üblichen Verquickung von pronatalistischen Forderungen mit der Einschränkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes der Frauen sowie dem Versuch der politischen Einflussnahme auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie sie gleichermaßen in anderen Ländern mit rechtsautoritären Kräften zu beobachten sind.34 Hinzu kamen bei der AfD vermeintliche Steuer- und Kreditgeschenke für Eltern, die bei näherer Betrachtung keine oder kaum eine finanzielle Entlastung für nicht gutverdienende Familien ergeben hätten und ungeeignet waren, junge Eltern zur Realisierung ihrer Kinderwünsche zu animieren. Die Forderungen waren also letztlich pronatalistisch gefärbte propagandistische Nebelkerzen.

Auf Parallelen der Forderungen der AfD zur damaligen rechtsgerichteten Politik in Polen sowie in Ungarn wiesen einige Abgeordnete in den Debatten im Bundestag hin, so vor allem auf die Erschwerung von Abtreibungen, die mit der verschärften Aufsicht über Träger der Schwangerschaftskonfliktberatung ganz offensichtlich intendiert war.35