Die sezierte Seele - Walter R. Kaiser - E-Book

Die sezierte Seele E-Book

Walter R. Kaiser

4,3

Beschreibung

"Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?". So steht es bei Matthäus im Neuen Testament. Es ist jedoch selbst in der Bibel nicht klar, was die Seele eigentlich ist. Daher haben sich weder Theologen noch Philosophen auf eine einheitliche Definition einigen können. Heuzutage meiden Psychologen den Begriff Seele in ihren wissenschaftlichen Publikationen wie der Teufel das Weihwasser. Doch auch wenn es keine Seele als eigenständiges Etwas gibt, beeinflusst der Glaube an ihre Existenz das Leben vieler Menschen. Ebenso wie der Glaube an einen Gott dies tut. Das Buch ist eine Suche nach möglichen Ursprüngen des Seelenbegriffes. Es wird gezeigt, wie sich in verschiedenen Kulturen und in verschiedenen Zeiten die Bedeutung geändert hat. Es beginnt beim Schamanismus und endet bei Erkenntnissen der Gehirnforschung. Wer weiterhin an eine Seele glauben möchte, darf das tun. Doch es gilt wohl, wie es der Soziologe Niklas Luhmann formulierte: "Man muss schon glauben wollen, um glauben zu können."

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Seitenzahl: 77

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhaltsübersicht

Vorwort

I Einleitung

Die Seelenbäcker aus Schwaben

Begriffsverwirrungen

Der Seelenwieger aus New York

II Woher die Seele kommen könnte

Nachdenken über den Tod

Tote, Geister und Schamanen

Religion als kulturelle Pflanze

Kurze Zusammenfassung

III Seelische Wandlungen

Seelenvielfalt und Religionsvielfalt

Das Seelenblut der Maya

Der Seelenvogel der Ägypter

Keine Seelen in Walhalla

Es menschelt im Olymp

Kurze Zusammenfassung

IV Griechen, Christen und Andere

Die griechische Philosophenseele

Die Seelenverwirrungen der Bibel

Irritationen im Glaubensbekenntnis

Der Leib mit und ohne Seele

Leib-Seele als Pseudo-Problem

Kurze Zusammenfassung

V Seelenloser Mensch-Roboter

Verhalten im Experimentierlabor

Ich und Seele als hilfreiche Illusion

Die sensible Gummihand

Der Preis des Denkens

Wenn nur der Avatar stirbt

Ein schwebendes Nichts

Mögliche Folgerungen

VI Die Seele auf dem Operationstisch

Kurzer Rückblick

Seelenlose Moral

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Vorwort

Geld schlägt Seele! So könnte man das Ergebnis der Internet-Suchmaschine GOOGLE interpretieren. Während bei „Geld“ sagenhafte 210 Millionen mögliche Dokumente genannt werden, sind es bei „Seele“ nur 40 Millionen1. Geld scheint also rund fünfmal wichtiger zu sein, als Seele. Doch in der Bibel steht (Matthäus 16,26): „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Es wird also hier vorausgesetzt, dass es eine Seele gibt. Doch wer nach einer eindeutigen und widerspruchsfreien Definition von „Seele“ sucht, ist schnell enttäuscht. Es gibt sie nicht. Ganz zu schweigen von eindeutigen Beweisen, dass neben dem Körper auch noch so etwas wie eine Seele vorhanden sein muss. Man könnte ein ganzes Buch füllen nur mit den unterschiedlichsten Definition und den fruchtlosen „Seelenbeweisen“.

Der folgende Text verzichtet darauf, akribisch die verschiedenen Definitionen auf ihre Sinnhaftigkeit abzuklopfen. Es wird auch darauf verzichtet der x-ten Interpretation der Seelenbegriffe der griechischen Philosophen eine weitere hinzuzufügen. Stattdessen wird versucht, den Begriff „Seele“ von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Die Textreise umspannt einen sehr weiten Zeitraum: Vom Neandertaler der Altsteinzeit bis zum heutigen Neurobiologen. Man erfährt, wie sich die Ansichten über die Seele verändert haben, über die Zeit und in verschiedenen Kulturen.

Für viele gläubige Menschen ist es sicherlich tröstlich, dass nach ihrem Tod es vielleicht doch noch irgendwie weitergeht. Wäre das nicht auch ein Funken Hoffnung für alte Menschen, „an denen niemanden mehr liegt und die nur noch als einnässende, kotende, verfaulende Körper und als Abrechnungsposten für Altenheime und Pflegedienste auf andere wirken?“2

Auf knapp hundert Seiten mit vielen Abbildungen erfahren Sie, was es mit der Seele auf sich hat. Niemandem wird ausgeredet, dass er nicht mehr an die Existenz einer Seele glauben soll. Aber Zweifel am Konzept der Seele könnten schon entstehen. Denn es gilt wohl, wie es der Soziologe Niklas Luhmann ausdrückt (Luhmann 2002:272)3: „Man muss schon glauben wollen, um glauben zu können“.

Heimsheim, Juni 2016

Walter R. Kaiser

1www.google.de: Zugriff: 13.6.2016

2 Pawlik, Michael.: Was heißt es lebendig zu sein?, F.A.Z. 31.3.2011, S.34

3 Erläuterung: Die Angaben in der Klammer verweisen auf das Literaturverzeichnis. Die Zahl nach dem ":" ist die Seitenzahl im Buch

I Einleitung

In Stuttgart kann man eine Seele kaufen und aufessen. In New York hat ein Arzt versucht, eine Seele mit einer Waage zu wiegen. Theologen und Philosophen streiten sich seit Jahrhunderten, was Seele eigentlich ist.

Die Seelenbäcker aus Schwaben

Schwaben waren schon immer praktische Leute. Wenn sie eine Seele möchten, dann gehen sie in die Bäckerei und kaufen sich eine. Sie schmeckt eigentlich ganz gut. Die Schwäbische Seele ist ein Baguette artiges Weißbrotgebäck von zwanzig bis dreißig Zentimeter Länge, bestreut mit Kümmel4. Natürlich ist das nicht die Seele im religiösen oder philosophischen Sinne. Denn dort ist die Seele substanzlos, jedoch insgesamt intellektuell weniger gut verdaulich. Der Autor Ulrich Bahnsen meint dazu in einem Artikel in ZEIT ONLINE: „Zwar haben Philosophen das Problem in den vergangenen 3.000 Jahren vielfach durchdacht, kluge Fragen formuliert und versucht, ein Begriffssystem der Seelenerkenntnis zu erarbeiten. Doch ihre Bemühungen erschöpften sich im immer neuen Nachdenken über die innere Natur des Menschen. Eine Lösung für das Rätsel der Seele fanden die Denker nicht.“5

Haben Sie jemals Liebe, Freude, Trauer, Hass oder einen freien Willen gesehen? Ich behaupte, Sie haben all das noch nie gesehen. Sie haben es bei sich selbst vielleicht erlebt, gefühlt, erlitten – aber gesehen haben Sie diese Phänomene nicht. Und bei anderen Menschen konnten Sie nur aufgrund deren Verhalten und Äußerungen schließen, dass sie ähnliche Empfindungen haben müssen, wie Sie das bei sich selbst erlebt haben. Dabei sind Sie davon ausgegangen, dass der oder die Andere ein Mensch ist, ähnlich „konstruiert“ wie Sie und daher ähnlich empfindungsfähig. Letztlich kann man jedoch nie sicher sein, dass es so ist. Sonst gäbe es keine Heiratsschwindler, die Liebe gefühlvoll vorgaukeln. Es gäbe keine Betrüger, die Vertrauenswürdigkeit nur überzeugend vortäuschen. Inzwischen gibt es sogar Computerprogramme, die so glaubhaft auf Äußerungen reagieren können, dass man eigentlich dahinter einen richtigen Menschen vermutet. Es sind „Chatbots“, Gesprächsroboter.

Auch eine Seele hat bisher noch niemand gesehen. Dennoch sind viele Menschen – vielleicht auch Sie – davon überzeugt, dass es so etwas gibt und jeder Mensch eine hat. Und Seele ist doch etwas anderes als der Körper – oder nicht? Es sind doch zwei verschiedene Begriffe und schon deshalb muss es eine Unterscheidung geben. Aber das könnte auch ein Trugschluss ein.

Ein Beispiel: Nehmen wir den Begriff Hund. Niemand hat jemals einen Hund gesehen. Denn „Hund“ gibt es nicht. Es ist eine Abstraktion. Es gibt nur individuelle Tiere, die wir in die Kategorie Hund einordnen. Und einen konkreten Hund könnte man auch „Hanno“, „Köter“, „Haufen Flöhe“, „Gehwegscheißer“, „Promenadenmischung“ oder „Menschenfreund“ nennen. Die verschiedenen Bezeichnungen sind Namen für das gleiche Phänomen, sie betonen lediglich einen besonderen Aspekt. Sie meinen aber das gleiche konkrete individuelle Lebewesen, das wir in die abstrakte Kategorie Hund eingeordnet haben.

Begriffsverwirrungen

Könnte es sein, dass das sogenannte Leib-Seele-Problem vielleicht gar keines ist? Könnte es sein, dass wir mit verschiedenen Begriffen eigentlich das gleiche meinen? Könnte es sein, dass es Seele als eine eigenständige Existenz gar nicht gibt? Könnte es sein, dass Körper und Seele wir irrtümlich verschiedenen Kategorien zuordnen, einen sogenannten Kategorienfehler begehen? Könnte es jedoch auch sein, dass wir irrtümlich Methoden der Naturwissenschaften auf Phänomene anwenden wie Gott, Seele, Ewigkeit, auf die diese Methoden nicht passen?

Viele „könnte es sein“, mit denen kluge und weniger kluge Köpfe ganze Bibliotheken gefüllt haben. Für die Naturwissenschaft, auch die Medizin oder Psychologie ist die Seele tot. Der Begriff wird dort gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Er ist mit religiösen Konnotationen, also Bedeutungsinhalten und Interpretationen, zu sehr aufgeblasen. Selbst in der Bibel wird er mehrdeutig verwendet. So kommt er in der Lutherbibel nur 189 mal vor, in der Elberfelder Bibel jedoch 382 mal6.

Bei dem Begriff Seele trifft eine Vielzahl philosophischer, religiöser, mystischer Vorstellungen aufeinander, die sich teilweise ergänzen aber auch widersprechen. Dennoch gibt es Naturwissenschaftler, also konkrete Individuen, die an die Existenz einer Seele glauben, obwohl man deren Existenz mit wissenschaftlichen Methoden nicht beweisen kann, ebenso wenig, wie das mit Gott nicht möglich ist. Der Psychiater und Buchautor Hartmann Hinterhuber (*1942) meint: „Seele ist heute ein belasteter und verwundbarer Begriff der aber nach wie vor eine große faszinierende Ausstrahlung besitzt.“ (Hinterhuber 2001:3)

Die folgenden Texte sind eine Spurensuche. Es wird versucht, dem Phänomen Seele zu folgen, von den möglichen Anfängen bis in die heutige Zeit. Der Glaube an eine Seele aber auch die Überzeugung, dass es keine gibt, kann menschliches Verhalten beeinflussen. Und damit ist „Seele“ zumindest eine individuell psychologische und auch eine soziale Realität – unabhängig davon, ob es sie gibt oder nicht. Ebenso wie der Glaube an einen Gott oder Götter das Leben von Menschen und Gesellschaften beeinflussen kann, ob es Gott oder Götter wirklich gibt oder nicht. Denn mit Bezug auf einen Gott, den Glauben oder die Religion werden sowohl samariterhafte Wohltaten als auch menschenverachtende Terrorakte begründet.

Der Seelenwieger aus New York

Am 11. März 1907 erschien in der Zeitschrift New York Times ein Artikel7 mit der Überschrift „Soul Has Weight“. Darin wurde von einem Experiment8 des Arztes Duncan MacDougall (1866 – 1920) berichtet. MacDougall hatte sechs sterbende Patienten gewogen und zwar unmittelbar vor deren Sterben und unmittelbar nachdem sie tot waren. Dabei stellte er fest, dass sie zwischen acht und fünfunddreißig Gramm an Gewicht verloren hatten, durchschnittlich einundzwanzig Gramm. Er folgerte daraus, dass a) eine Seele vorhanden sein muss und b) die aus dem Körper entflohene Seele etwas wiegt, nämlich durchschnittlich eben diese einundzwanzig Gramm.

Abb. 1: Ein Arzt will die Seelen wiegen

Der Arzt MacDougall wollte durch Gewichtsvergleich beim lebenden und toten Menschen das Gewicht einer Seele feststellen. Er kam auf durchschnittlich ca. 21 Gramm. Seine Untersuchung gehört zu den etwas obskuren medizinischen Experimenten.