Die sieben Säulen der Weisheit. Lawrence von Arabien - Thomas Edward Lawrence - E-Book
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Die sieben Säulen der Weisheit. Lawrence von Arabien E-Book

Thomas Edward Lawrence

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Beschreibung

Noch immer umgibt ihn der Glanz des Heldenhaften: Lawrence von Arabien. Als die arabischen Völker sich 1916 gegen die Herrschaft des Osmanischen Reiches erheben, kämpft der Engländer Thomas Edward Lawrence an vorderster Front in ihren Reihen. Als britischer Agent soll er den Interessen seines Landes dienen und den Aufständischen zum Sieg verhelfen. Doch seine Loyalität gehört ebenso sehr den Völkern der Wüste, denen er in Freundschaft und Bewunderung verbunden ist. Lawrence’ grandioser Bericht über den arabischen Freiheitskampf ist ein Glanzstück der europäischen Literatur und diente auch Frank Herbert als Inspirationsquelle für sein Sci-Fi-Epos »Dune – Der Wüstenplanet«.

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LAWRENCE VON ARABIEN

Die sieben Säulender Weisheit

Aus dem Englischen von

Dagobert von Mikusch

Anaconda

Titel der englischen Originalausgabe:Thomas Edward Lawrence, Seven Pillows of Wisdom. A Triumph.London: Jonathan Cape Ltd. 1926.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind in Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-641-28389-6V002

© 2021 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen derPenguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenAlle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Alinari Archives, Florence / Bridgeman Images

Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad Honnef

www.anacondaverlag.de

INHALT

EINLEITUNG

Beginn des Aufstandes

ERSTES BUCH

Die Entdeckung Faisals

ZWEITES BUCH

Die Eröffnung der arabischen Offensive

DRITTES BUCH

Ablenkungsmanöver

VIERTES BUCH

Ausdehnung bis Akaba

FÜNFTES BUCH

Halbzeit

SECHSTES BUCH

Der Überfall auf die Brücken

SIEBENTES BUCH

Der Feldzug am Toten Meer

ACHTES BUCH

Hohe Hoffnungen werden zerstört

NEUNTES BUCH

Vorbereitungen für den letzten Ansturm

ZEHNTES BUCH

Das Haus ist errichtet

ANHANG

Materialien zur Textgeschichte

Ortsregister

Namensregister

EINLEITUNG

Beginn des Aufstandes

ERSTES KAPITEL

Mancherlei Abstoßendes in dem, was ich zu erzählen habe, mag durch die Verhältnisse bedingt gewesen sein. Jahre hindurch lebten wir, aufeinander angewiesen, in der nackten Wüste unter einem mitleidlosen Himmel. Tagsüber brachte die brennende Sonne unser Blut in Gärung und der peitschende Wind verwirrte unsere Sinne. Des Nachts durchnäßte uns der Tau, und das Schweigen unzähliger Sterne ließ uns erschauernd unsere Winzigkeit fühlen. Wir waren eine ganz auf uns selbst gestellte Truppe, ohne Geschlossenheit oder Schulung, der Freiheit zugeschworen, dem zweiten der Glaubenssätze des Mannes – ein so verzehrendes Ziel, daß es alle unsere Kräfte verschlang, eine so erhabene Hoffnung, daß vor ihrem Glanz all unser früheres Trachten verblaßte.

Mit der Zelt wurde unser Drang, für das Ideal zu kämpfen, zu einer blinden Besessenheit, die mit verhängtem Zügel über unsere Zweifel hinwegstürmte. Er wurde zu einem Glauben, ob wir wollten oder nicht. Wir hatten uns in seine Sklaverei verkauft, hatten uns zu einem Kettentrupp aneinandergeschmiedet, hatten uns mit all unserem Guten und Bösen seinem heiligen Dienst geweiht. Der Geisteszustand gewöhnlicher Sklaven ist schrecklich genug – sie haben die Welt verloren –, wir aber hatten nicht den Leib allein, auch die Seele der alles beherrschenden Gier nach Sieg überantwortet. Durch eigenen Willensakt hatten wir Moral, Selbstbestimmung, Verantwortung von uns getan, daß wir waren wie dürre Blätter im Wind.

Das unausgesetzte Kämpfen entäußerte uns der Sorge um unser eigenes Leben und das anderer. Um unseren Hals lag der Strick, und auf unsere Köpfe waren Preise gesetzt, die bewiesen, daß uns der Feind scheußliche Marter zugedacht hatte, wenn er uns fing. Täglich ging einer von uns dahin, und die Überlebenden sahen sich nur wie eben noch fühlende Puppen auf Gottes Bühne; in der Tat, unser Meister war erbarmungslos, erbarmungslos, solange sich unsere blutenden Füße noch weiterschleppen konnten. Der Ermattende beneidete die, die erschöpft genug waren, um zu sterben; denn der Erfolg schien so weit entfernt und Mißlingen eine nahe und gewisse, wenn auch bittere Erlösung von der Qual. Wir lebten stets in höchster Spannung oder tiefster Erschlaffung unserer Nerven, auf dem Wellenkamm oder im Wellental des Gefühls. Diese Machtlosigkeit war qualvoll für uns und ließ uns nur für das Nächstliegende leben, unbekümmert darum, was wir Böses taten oder erlitten, da körperliches Empfinden sich als ein armselig Vergängliches erwies. Grausamkeiten, Verirrungen, Lüste glitten über die Oberfläche dahin, ohne uns tiefer zu beunruhigen; denn die Sittengesetze, die gegen solcherlei unberechenbare Ausbrüche aufgerichtet schienen, mußten doch nur schwächliche Worte sein. Wir hatten erfahren, daß es Erschütterungen gab, die allzu übermächtig, Leid, das allzu tief, Ekstasen, die allzu hoch waren für unser sterbliches Ich, um überhaupt verzeichnet werden zu können. Wenn das Gefühl diesen Gipfel erreicht hatte, setzte das Gedächtnis aus, und der Verstand lief leer, bis wieder die Alltäglichkeit Platz gegriffen hatte.

Solches Hingerissensein durch die Idee gab dem Geist freien Spielraum und entführte ihn in unbekannte Gefilde; aber er verlor dabei die gewohnte Herrschaft über den Körper. Unser Körper war zu grob, um das Übermaß der Leiden und Freuden zu empfinden. Darum entäußerten wir uns seiner als Plunder, ließen ihn, indes wir vorwärtsstürmten, beiseite liegen, ein atmendes Phantom nur noch, hilflos sich selbst überlassen und Einflüssen ausgesetzt, vor denen unser Instinkt in normalen Zeiten zurückgeschreckt wäre. Die Männer waren jung und kraftvoll; ihr heißes Blut verlangte unbewußt sein Recht und peinigte den Leib mit unbestimmtem Verlangen. Entbehrungen und Gefahren, dazu ein Klima, das denkbar marternd war, entfachten die männliche Glut nur noch mehr. Wir hatten nirgends einen Platz für uns allein, kein dickes Kleid, das unser Menschliches verbarg. In jeder Hinsicht lebten wir ohne Geheimnis voreinander.

Der Araber ist von Natur enthaltsam; und der allgemeine Brauch, früh zu heiraten, hatte in den Stämmen ungeregelte Gewohnheiten fast ganz ausgeschaltet. Die öffentlichen Mädchen in den wenigen Siedlungen, die wir in den langen Monaten unseres Umherschweifens antrafen, bedeuteten unseren Leuten nichts, selbst wenn ihr übertünchtes Fleisch schmackhaft gewesen wäre für einen Mann mit gesunden Sinnen. In Abscheu vor solcher schmuddeligen Angelegenheit begannen die Jungen unter uns unbekümmert ihr weniges Verlangen einander an den eigenen sauberen Körpern zu löschen – mehr ein nüchternes Sichabfinden, das, vergleichsweise, unleiblich und selbst rein erschien. Später suchten einige dieses leere Beginnen zu rechtfertigen und beteuerten, daß Freunde, gebettet im schmiegsamen Sand in erhabener Umschlingung der glühenden Körper gemeinsam erbebend, dort im Dunkel verborgen einen sinnlichen Widerhall fänden für die geistige Leidenschaft, die unsere Seelen zu großem Tun entflammte. Andere wieder, danach dürstend, Begierden zu züchtigen, deren sie nicht ganz Herr zu werden vermochten, fanden einen grausamen Stolz darin, ihren Körper zu erniedrigen, und boten sich mit grimmiger Freude zu allem dar, was physischen Schmerz oder Ekel mit sich brachte.

Zu diesen Arabern wurde ich als ein Fremdling gesandt, unfähig, ihre Gedanken zu denken oder ihre Anschauungen zu teilen, aber mit der Pflicht betraut, sie vorwärtszuführen und jegliche Bewegung unter ihnen, die England in seinem Krieg nützen konnte, zur höchsten Höhe zu entfalten. Wenn ich auch ihr Wesen nicht anzunehmen vermochte, konnte ich doch mein eigenes unterdrücken und bewegte mich unter ihnen ohne offenkundige Reibungen, vermied Streit oder Kritik und gewann unmerklich Einfluß. Da ich ihr Kamerad war, will ich nicht ihr Lobredner oder Verteidiger sein. Heute, wieder in meinen gewohnten Kleidern, könnte ich den Zuschauer spielen, unterworfen den Empfindsamkeiten unseres Theaters… aber es ist ehrlicher, zu gestehen, daß damals unsere Gedanken und Taten nichts Außergewöhnliches an sich hatten. Was jetzt wie Unmaß und Grausamkeit aussieht, erschien im Felde unvermeidlich oder gerade nur als eine unwichtige Formalität.

Blut war immer an unseren Händen, dazu waren wir ja ermächtigt. Verwunden und Töten erschien als ein nebensächliches Geschäft, so hart und schonungslos ging das Leben mit uns um. Da die Sorge um Erhaltung des Lebens so groß war, mußte der Wille zur Bestrafung mitleidlos sein. Wir lebten für den Tag und starben für ihn. Hatten wir Anlaß oder Wunsch zu strafen, so schrieben wir unverzüglich unseren Spruch mit Kugel oder Peitsche in die Haut des Verurteilten ein, und damit war der Fall in letzter Instanz erledigt. Die Wüste gestattete nicht das ausgeklügelt bedächtige Verfahren von Gericht und Kerker.

Gewiß, unsere Erquickungen und Freuden kamen mit der gleichen Heftigkeit über uns wie unsere Leiden; aber für mich im besonderen waren sie von geringerem Gewicht. Beduinenart ist schwer zu ertragen, selbst für den, der unter ihnen aufgewachsen ist, für den Fremden aber furchtbar: sie ist wie Tod schon im Leben. Wenn der Marsch oder das Tagewerk beendet war, besaß ich nicht mehr die Kraft, Eindrücke festzuhalten, oder auch die Neigung, das Liebenswerte zu sehen, das wir bisweilen an unserem Wege fanden. In meinen Aufzeichnungen hat eher das Grausige als das Schöne Platz gefunden. Sicher genossen wir die seltenen Augenblicke des Friedens und des Vergessens stärker; aber ich erinnere mich mehr der Qualen, der Schrecknisse und Verirrungen. In dem, was ich geschrieben habe, ist nicht unser ganzes Leben enthalten (denn es gibt Dinge, die kühlen Bluts zu wiederholen die Scham verbietet); aber was ich geschrieben habe, ist ein Teil unseres Lebens, wie es wirklich war. Gebe Gott, daß niemand, der meine Geschichte liest, verführt von dem Zauber der Fremde, hinauszieht, um sich und seine Gaben im Dienst einer fremden Rasse zu erniedrigen.

Wer sich und sein Selbst Fremden zum Eigentum gibt, führt das Leben eines Yahoo*, hat seine Seele an einen Sklavenwärter verschachert. Er gehört nicht zu ihnen. Er kann sich gegen sie stellen, sich seine Sendung einreden, die anderen zurechthämmern und -biegen zu etwas, was sie aus sich selbst heraus niemals geworden wären. Dann beutet er seine frühere Umwelt aus, um sie aus der ihrigen herauszudrängen. Oder er kann, wie ich es tat, sie nachahmen, und zwar so gut, daß sie ihn in unechter Weise wiederum nachahmen. Dann gibt er seine eigene Umwelt auf und maßt sich die ihrige an; aber Anmaßungen sind hohl und wertlos. In keinem Fall tut er etwas aus seinem Selbst heraus, noch etwas so Echtes, das ihm voll entspräche (von dem Gedanken an Bekehrung abgesehen), und überläßt es den anderen, aus dem stummen Beispiel zu entnehmen, was ihnen beliebt.

In meinem Fall brachte mich die Mühe dieser Jahre, die Kleidung der Araber zu tragen und ihre Geistesart nachzuahmen, um mein englisches Ich und ließ mich den Westen und seine Welt mit neuen Augen betrachten: sie zerstörten sie mir gänzlich. Andererseits konnte ich ehrlicherweise nicht in die arabische Haut hinein – ich tat nur so. Leicht kann ein Mensch zum Ungläubigen gemacht werden, aber schwer ist es, ihn zu einem anderen Glauben zu bekehren. Ich hatte eine Form abgestreift, ohne eine andere anzunehmen; und das Ergebnis war ein Gefühl tiefster Vereinsamung im Leben und der Verachtung, nicht der Menschen, aber alles dessen, was sie taten. Solches Losgelöstsein kam in einer Zeit über den Mann, als er von überlanger körperlicher Anstrengung und Absonderung erschöpft war. Sein Körper schleppte sich mechanisch weiter, während sein vernünftiges Denken ihn verließ und von außen kritisch auf ihn herabblickte, sich fragend, was dieser wertlose Ballast eigentlich tat und warum. Manchmal unterhielten sich die beiden Ichs im Leeren; und dann war der Irrsinn nahe, wie er wohl einem Menschen nahe sein kann, der die Dinge gleichzeitig durch die Schleier von zweierlei Sitten, zweierlei Bildung, zweierlei Umwelt zu betrachten vermochte.

ZWEITES KAPITEL

Die erste Schwierigkeit der arabischen Bewegung lag in der Feststellung, wer eigentlich »Araber« war. Da sie ein zusammengewürfeltes Volk sind, hat ihr Name im Lauf der Jahre seinen Inhalt geändert. Einst bedeutete er »ein Arabischer«. Es gibt ein Land, das Arabien heißt; doch damit ist nichts gewonnen. Es gibt eine Sprache, das Arabische, und das führt uns zum Ziel. Sie ist die gemeinsame Umgangssprache in Syrien und Palästina, in Mesopotamien und auf der großen Halbinsel, die auf der Karte mit Arabien bezeichnet ist. Vor dem Sieg des Islams waren diese Gegenden von verschiedenen Völkern bewohnt, die Sprachen der arabischen Sprachgruppe gebrauchten. Wir nennen sie das Semitische, was (wie die meisten wissenschaftlichen Bezeichnungen) ungenau ist. Indessen waren das Arabische, Assyrische, Babylonische, Phönizische, Hebräische, Aramäische und Syrische doch verwandte Sprachen; und die Merkmale gemeinsamer Einflüsse in der Vorzeit oder sogar eines gemeinsamen Ursprungs wurden durch die Erkenntnis bestätigt, daß Sitten und Gebräuche der heute arabischsprechenden Völker Asiens zwar bunt wie ein Mohnfeld sind, doch im wesentlichen übereinstimmen. Man kann sie mit vollem Recht Verwandte nennen – wunderliche Verwandte, die voreinander auf der Hut sind.

Das arabischsprechende Gebiet Asiens stellt ein unregelmäßiges Parallelogramm dar. Seine Nordseite läuft von Alexandrette am Mittelmeer quer durch Mesopotamien ostwärts zum Tigris. Die Südseite bildet die Küste des Indischen Ozeans von Aden bis Maskat. Im Westen ist es begrenzt vom Mittelmeer, vom Suezkanal und dem Roten Meer bis Aden. Im Osten vom Tigris und dem Persischen Golf bis Maskat. Dieses Viereck, so groß wie Indien, bildet das Heimatland der Semiten, in dem keine fremde Rasse dauernd Fuß fassen konnte, obwohl Ägypter, Hettiter, Philister, Perser, Griechen, Römer, Türken und Franken es verschiedentlich versucht haben. Alle sind schließlich unterlegen; und ihre verstreuten Reste gingen bald in der semitischen Rasse mit ihren stark ausgeprägten Merkmalen auf. Einige Male sind die Semiten über dieses Gebiet hinausgedrungen und selber in der Außenwelt untergegangen. Ägypten, Algier, Marokko, Malta, Sizilien, Spanien, Kilikien und Frankreich haben semitische Kolonien aufgesogen und vernichtet. Nur in Tripolis, in Afrika und in der erstaunlichen Erscheinung des Weltjudentums haben Teile der Semiten ihre Eigenart und Stärke behauptet.

Der Ursprung dieser Völker ist eine wissenschaftliche Streitfrage. Aber für das Verständnis ihres Aufstandes sind ihre gegenwärtigen sozialen und politischen Unterschiede von Bedeutung, die nur bei Berücksichtigung ihrer geographischen Lage verstanden werden können. Ihr Gebiet zerfällt in mehrere große Abschnitte, deren außerordentliche landschaftliche Verschiedenheit die voneinander abweichenden Sitten ihrer Bewohner bedingt.

Im Westen, zwischen Alexandrette und Aden, wird das Parallelogramm von einem Gebirgsgürtel umrahmt, der im Norden Syrien heißt, dann weiter nach Süden zu Palästina, ferner Midian, Hedschas und zuletzt Jemen. Seine Durchschnittshöhe beträgt ungefähr dreitausend Fuß*, mit einzelnen Gipfeln von zehn- bis zwölftausend Fuß. Dieser Berggürtel ist nach Westen zu offen, ist gut bewässert durch Regen und feuchte Seewinde und im allgemeinen dicht bevölkert.

Eine andere Reihe bewohnter Höhenzüge bildet nach dem Indischen Ozean zu die Südseite des Parallelogramms. Den Ostrand bildet zuerst eine Alluvialebene, Mesopotamien genannt, dann im Süden von Basra an ein Flachufer mit den Landschaften Koweit, Hasa und Katr. Ein großer Teil dieser Ebene ist bevölkert.

Diese bewohnten Berggürtel und Ebenen umschließen ein dürres Wüstengebiet, in dessen Mitte ein Archipel wasser- und volkreicher Oasen liegt: Kasim und E’Riad. Diese Oasengruppen sind das eigentliche Herz Arabiens, das Gehege seines völkischen Geistes und einer selbstbewußten Eigenart. Die Wüste umschließt sie rings und hält sie von der Berührung mit der Außenwelt fern.

Die Wüste um die Oasen, die ihnen diesen großen Dienst leistete und so den Charakter der Araber formte, ist landschaftlich nicht einheitlich. Südlich der Oasen erscheint sie als ein unwegsames Sandmeer, das sich fast bis zu den Abdachungen an der Küste des Indischen Ozeans erstreckt und diese Gebiete von der Geschichte Arabiens und dem Einfluß arabischer Sitte und Politik ausschließt. Hadramaut, wie man diese Südküste nennt, gehört mit in die Geschichte Niederländisch-Indiens, und seine geistigen Fäden spinnen sich eher nach Java als nach Arabien. Im Westen der Oasen, bis zu den Höhen von Hedschas hin, liegt die Nedschdwüste, meist aus Kies und Lava bestehend, mit kleinen Sandeinschüssen. Im Osten der Oasen, nach Koweit zu, erstreckt sich ebenfalls steiniger Boden, aber unterbrochen von großen Strecken losen Sandes, der einen Durchmarsch erschwert. Im Norden der Oasen liegt ein Sandgürtel; daran schließt sich eine ungeheure Ebene aus Kies und Lava an, die den ganzen Raum zwischen dem Ostrand Syriens und den Ufern des Euphrats bis zur Grenze Mesopotamiens ausfüllt. Der Umstand, daß dieser nördliche Teil der Wüste für Fußgänger und Automobile zugänglich ist, ermöglichte den vollen Erfolg des arabischen Aufstandes.

Die Berggürtel im Westen und die Ebenen im Osten gehörten stets zu den volkreichsten und lebendigsten Gebieten Ara biens. Besonders Syrien und Palästina, Hedschas und Jemen griffen von Zeit zu Zeit in die Geschichte des europäischen Lebens ein. Ihrer kulturellen Eigenart nach gehören diese fruchtbaren und gesunden Bergländer mehr zu Europa als zu Asien. Wie überhaupt die Araber ihre Blicke stets auf das Mittelmeer und nicht auf den Indischen Ozean gerichtet hielten, sowohl für ihre kulturellen Bedürfnisse und wirtschaftlichen Unternehmungen wie auch besonders für ihre Ausbreitung. Denn die Frage der Volksverschiebung bildet eine der stärksten und verwickeltsten Grundkräfte Arabiens; das gilt für das ganze Land, wie verschieden sie sich auch in den einzelnen Teilen gestalten mag.

Im Norden (Syrien) hatten die Städte infolge schlechter sanitärer Zustände und der ungesunden Lebensweise niedrige Geburtenziffern und hohe Sterblichkeitsraten. Infolgedessen fand die überschüssige Landbevölkerung Aufnahme in den Städten und wurde von ihnen aufgesogen. Im Libanon, wo die sanitären Bedingungen besser waren, nahm die Auswanderung der Jugend nach Amerika von Jahr zu Jahr zu und droht (zum erstenmal seit den Tagen der Griechen) die Zukunft eines ganzen Landstrichs entscheidend zu beeinflussen.

Im Jemen war die Lösung anders. Dort gab es keinen auswärtigen Handel und keine Industriezentren, welche die Bevölkerung an ungesunden Orten aufhäuften. Die Städte waren nichts als Marktflecken, primitiv und ländlich wie die Dörfer. Infolgedessen nahm die Bevölkerung langsam zu; die Lebenshaltung sank auf einen sehr niedrigen Stand, und allgemein machte sich eine Übervölkerung fühlbar. Eine Auswanderung über das Meer war unmöglich; denn der Sudan war sogar noch unwohnlicher als Arabien. Die wenigen Stämme, die das Wagnis unternahmen, sahen sich, wenn sie sich behaupten wollten, genötigt, ihre Lebensweise und ihre semitische Kultur von Grund auf zu ändern. Eine Ausdehnung nach Norden längs der Berge war ebensowenig möglich; denn der Weg war durch die Heilige Stadt Mekka und ihren Hafen Dschidda versperrt. Diese Schranke wurde immer wieder durch Einwanderer aus Indien und Java, Buchara und Afrika verstärkt, die sich kräftig behaupteten und dem semitischen Wesen feindlich gegenüberstanden; und sie wurde trotz aller wirtschaftlichen, landschaftlichen und klimatischen Gleichklänge durch das künstliche Mittel einer Weltreligion aufrechterhalten. Die Übervölkerung im Jemen, nachgerade zu einem Notstand geworden, fand daher nur im Osten einen Ausweg, wobei die dünner gesäten Grenzbewohner immer weiter und weiter die Hänge der Berge hinabgedrängt wurden, die Wadis entlang, das halbwüste Gebiet der großen wasserreichen Täler von Bischa, Dawasir, Ranja und Taraba, die weiter nordwärts in die Nedschdwüste führen. Die schwächeren Stämme mußten ständig wasserreiche Quellen und fruchtbare Landstücke gegen immer ärmere und weniger ertragreiche eintauschen, bis sie schließlich eine Gegend erreichten, wo ein Ackerbau allein unmöglich wurde. Dort fingen sie an, ihren kärglichen Lebensunterhalt durch Schaf- und Kamelzucht zu ergänzen; und mit der Zeit wurde ihr Dasein immer mehr und mehr von diesen Herden abhängig.

Schließlich wurden die Grenzvölker, schon fast alle Hirten geworden, unter einem letzten Vorstoß der notleidenden Bevölkerung in ihrem Rücken auch aus der fernsten kleinen Oase hinaus in die unwegsame Wildnis getrieben und sie wurden nun Nomaden. Dieser Vorgang, den man heute bei einzelnen Sippen und Stämmen verfolgen kann, deren Wanderungen sich nach Ort und Zeit genau bestimmen lassen, muß schon am Anfang der vollen Besiedlung des Jemen begonnen haben. Die Wadis unterhalb von Mekka und Taif sind voll von Erinnerungen und Ortsnamen einiger fünfzig Stämme, die von dort ausgezogen sind und heute vielleicht im Nedschd, im Dschebel Schammar, im Hamad oder sogar an den Grenzen von Syrien und Mesopotamien zu finden sind. Dort begann die Wanderung, entstand das Nomadentum, entsprang der Golfstrom der Wüstenwanderer.

Die Wüstenvölker waren ebenso unstet wie die Bewohner der Bergländer. Die wirtschaftliche Grundlage ihres Lebens war ihr Bestand an Kamelen; für die Zucht am geeignetsten waren die kräftigen Hochlandweiden mit ihrem starken, nahrhaften Dorngestrüpp. Von dieser Beschäftigung lebten die Beduinen; und sie wiederum formte ihr Dasein, bestimmte das Gebiet der einzelnen Stämme und hielt sie auf steter Wanderung von den Frühjahrs- zu den Sommer- und Winterweiden, je nachdem, wo die Herden ihre karge Nahrung fanden. Die Kamelmärkte in Syrien, Mesopotamien und Ägypten entschieden, wieviel Menschen die Wüste ernähren konnte, und regelten genau die Höhe ihrer Lebenshaltung. Gelegentlich kam es auch in der Wüste zu einer Übervölkerung im Vergleich zu den Ernährungsmöglichkeiten. Dann begannen die zahllosen Stämme einander zu schieben und zu stoßen, in dem natürlichen Drang, einen Platz an der Sonne zu finden. Südwärts zu unwirtlichem Sand oder Meer mochten sie nicht wandern. Westwärts konnten sie sich nicht wenden, denn die steilen Höhen von Hedschas waren von den Bergvölkern dicht besiedelt, die den Vorteil einer natürlichen Verteidigungsstellung genossen. Manchmal stießen sie nach den zentralen Oasen von E’Riad und Kasim vor; und wenn die Stämme, die neue Wohnsitze suchten, stark und kräftig waren, mochte es ihnen gelingen, sie teilweise zu beset zen. Wenn aber die Wüste ihre Kraft nicht gestählt hatte, wurden sie Schritt für Schritt nach Norden getrieben, in die Gegend zwischen Medina im Hedschas und Kasim im Nedschd, bis sie sich an der Gabelung zweier Wege befanden. Sie konnten sich nach Osten wenden, über Wadi Rumm oder Dschebel Schammar, und schließlich dem Batin bis Schamiye folgen, wo sie dann am unteren Euphrat Flußaraber wurden. Oder sie konnten langsam Sprosse für Sprosse die Leiter der westlichen Oasen erklettern – Henakijeh, Kheiber, Teima, Dschof und den Sirhan – bis sie sich glücklich dem Dschebel Drus in Syrien näherten oder ihre Herden in der nördlichen Wüste um Tedmur herum tränkten, auf dem Weg nach Aleppo oder Assyrien.

Aber auch dann wich der Druck nicht von ihnen: der unerbittliche Zug nach Norden dauerte an. Die Stämme wurden bis an den Rand der bebauten Gegenden Syriens oder Mesopotamiens gedrängt. Günstige Gelegenheit und die Magenfrage überzeugten sie von den Vorteilen, sich Ziegen und dann auch Schafe zu halten; und schließlich begannen sie Getreide zu bauen, wenn auch nur ein wenig Gerste für das Vieh. Sie waren nun nicht mehr Beduinen und litten ebenso wie die Dörfler unter den Raubzügen der nachdrängenden Nomaden. Ganz von selbst machten sie gemeinsame Sache mit der bereits ansässigen Landbevölkerung und fanden, daß auch sie nun Bauern waren.

So sehen wir also, wie Stämme, aus dem Hochland von Jemen gebürtig, von stärkeren Stämmen in die Wüste hineingetrieben und dort wider ihren Willen Nomaden werden, um sich am Leben zu erhalten. Wir sehen, wie sie Jahr für Jahr ein wenig weiter nördlich oder östlich wandern, wie sie gerade durch den einen oder anderen der Brunnenwege durch die Wüste geführt werden, bis endlich der Druck sie wieder aus der Wüste herausdrängt und sie sich ansiedeln, ebenso gegen ihren Willen, wie sie vordem zum Nomadenleben gezwungen worden waren. Dieser Kreislauf erhielt den Semiten ihre Kraft. Es gibt wenige, im Norden vielleicht überhaupt keine, deren Ahnen nicht einmal in dunkler Vorzeit durch die Wüste gewandert wären. Jeder von ihnen trägt mehr oder weniger das Merkmal des Nomadentums an sich, der schärfsten und einschneidendsten Zucht.

DRITTES KAPITEL

Stammesangehörige und Städter in den arabischsprechenden Teilen Asiens sind nicht verschiedene Rassen, sondern Menschen auf verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stufen. Man kann also eine geistige Familienähnlichkeit bei ihnen voraussetzen, und es ist nur folgerichtig, daß sich gemeinsame Grundzüge in den Äußerungen aller dieser Völker feststellen lassen.

Schon gleich zu Anfang, bei der ersten Begegnung mit ihnen, fiel die Klarheit und Härte ihres Glaubens auf, der fast mathematisch genau in seiner Abgrenzung ist und durch seine Gefühlskälte abstößt. Die Semiten kennen keine Halbtöne in den Registern ihrer transzendentalen Schau. Sie sind ein Volk der Grundfarben, oder vielmehr des Schwarz und Weiß, und sehen die Welt stets nur in Umrissen. Sie sind dogmengläubig und verabscheuen den Zweifel, die Dornenkrone unserer Zeit. Sie haben kein Verständnis für unsere metaphysischen Bedenken oder unsere grüblerischen Fragestellungen. Sie kennen nur Wahrheit und Unwahrheit, Glauben und Unglauben, ohne unsere zögernden Vorbehalte der feinen Abschattierungen.

Nicht nur im Religiösen, auch ihrer ganzen Anlage nach bis in die feinsten Verästelungen ihres Wesens sind sie ein Volk des Schwarz und Weiß. Ihr Denken fühlt sich nur wohl im Extremen. Sie bewegen sich am liebsten in Superlativen. Manchmal schien Unvereinbares ihren Geist erfaßt zu haben, das sie dann in verknüpfter Folge vorbrachten; aber sie suchten nie einen Ausgleich, führten die Logik mehrerer einander widersprechender Behauptungen bis zum unstimmigen Ende durch, ohne der Ungereimtheit gewahr zu werden. Mit kühlem Kopf und gelassenem Urteil, unerschütterlich ahnungslos ihrer Gedankengaloppaden, fielen sie aus einer Asymptote in die andere.

Sie waren ein geistig engbegrenztes Volk, dessen unentwikkelte Verstandeskräfte in sorglosem Gleichmut brachlagen. Ihre Phantasie war lebhaft, doch nicht schöpferisch. Es gibt so wenig arabische Kunst in Asien, daß man fast sagen könnte, sie besaßen überhaupt keine, obwohl die Höherstehenden freigebige Gönner waren und stets alle Talente gefördert haben, die ihre Nachbarn oder Hörigen in der Architektur, in der Keramik oder in anderen Handwerkskünsten entfalteten. Sie schufen auch keine großen Industrien, dazu fehlte es ihnen an Organisationstalent. Sie erfanden keine philosophischen Systeme, keine gestaltreichen Mythologien. Zwischen Stammesidolen und Höhlengottheiten steuerte ihr Dasein dahin. Als ein Volk, das unter allen am wenigsten angekränkelt war, nahmen sie das Leben als eine unproblematische Gabe, die keiner Rechenschaft bedurfte. Es war für sie etwas Unabweisbares, dem Menschen zur unumschränkten Nutznießung zugeteilt. Selbstmord war unmöglich, der Tod nicht beklagenswert.

Sie waren ein Volk der Verkrampfungen, der plötzlichen Ausbrüche, der Ideen, eine Rasse des individuellen Genies. Ihre Entladungen wurden um so auffälliger durch den Gegensatz zur Gelassenheit ihres Alltags, ihre großen Männer erschienen größer durch den Gegensatz zum Allzumenschlichen der Masse. Der Instinkt bestimmte ihre Überzeugungen, die Intuition ihr Handeln. Ihre Haupttätigkeit bestand in der Herstellung von Glaubensbekenntnissen; sie besaßen geradezu ein Monopol auf Offenbarungsreligionen. Drei davon haben sich unter ihnen erhalten, von denen zwei auch (in abgeänderten Formen) zu nichtsemitischen Völkern gelangten. Das Christentum hat, nach seiner Übertragung in den Geist des Griechischen, Lateinischen und Germanischen, Europa und Amerika erobert. Der Islam hat in verschiedenen Abwandlungen Afrika und Teile von Asien unterworfen. Das waren die Erfolge der Semiten. Ihre Mißerfolge behielten sie für sich. Der Saum ihrer Wüsten war mit Trümmern von Glaubenslehren übersät.

Es ist bezeichnend, daß diese Reste gescheiterter Religionen gerade an den Grenzen zwischen Wüste und bebautem Land zu finden sind. Das weist auf die Entstehung all dieser Glaubenslehren hin. Sie stützten sich auf Behauptungen, nicht auf Beweisgründe, bedurften daher eines Propheten zur Verbreitung. Die Araber behaupten, daß es vierzigtausend Propheten gegeben hat; wir wissen von mindestens einigen Hundert. Keiner von ihnen kam aus der Wüste; doch ihr aller Leben verlief nach dem gleichen Muster. Ihrer Geburt nach gehörten sie in volkreiche Ortschaften. Ein unverständlich leidenschaftliches Sehnen trieb sie in die Wüste hinaus. Dort lebten sie längere oder kürzere Zeit in Betrachtung und Einsamkeit; und von dort kehrten sie mit einer Botschaft zurück, die, wie sie meinten, ihnen zuteil geworden war, um sie früheren, nun zweifelnden Gefährten zu predigen. Die Gründer der drei großen Glaubenslehren haben alle diesen Kreis durchlaufen. Diese vielleicht zufällige Übereinstimmung erhält gesetzmäßigen Charakter durch die gleichlaufenden Lebensgeschichten der tausend anderen, die scheiterten, deren Berufung gewiß nicht weniger echt war, aber denen Zeit und Entnüchterung keine ausgedörrten Seelen aufgehäuft hatten, bereit, in Flammen gesetzt zu werden. Für die Grübler in den Städten ist der Drang in die Öde stets unwiderstehlich gewesen, wohl nicht, weil sie Gott dort fanden, sondern weil sie in der Einsamkeit mit größerer Klarheit die lebendige Stimme hörten, die sie in sich trugen.

Der gemeinsame Grundgedanke aller semitischen Religionen, der erfolgreichen und der erfolglosen, war die immer gegenwärtige Idee der Nichtigkeit alles Irdischen. Aus tiefer Abneigung gegen die Materie predigten sie Entbehrung, Entsagung und Armut, und in der Luft einer solchen Lehre verflüchtigten sich rettungslos die Seelen der Wüste. Eine erste Erfahrung von ihrem Sinn für die Reinheit dieser Verflüchtigung machte ich in früheren Jahren, als wir weithin über die leicht gewellten Ebenen Nordsyriens geritten waren bis zu einer Ruine aus der Römerzeit, die nach Meinung der Araber einst ein Wüstenschloß gewesen war, das ein Fürst der Grenzvölker für seine Königin errichtet hatte. Um den Bau noch schöner zu machen, war, wie sie erzählten, der Lehm nicht mit Wasser, sondern mit kostbaren Blumenessenzen geknetet worden. Meine Führer witterten gleich Hunden in der Luft, führten mich von einem zerfallenen Raum in den anderen und erklärten: »Das hier ist Jasmin, das Veilchen, das Rose.«

Aber zuletzt zog mich Dahoum mit sich: »Komm und rieche den schönsten Duft von allen!« Wir gingen in den Hauptraum, traten an die gähnenden Fensterhöhlen der östlichen Seite und tranken dort mit offenem Mund den leichten, reinen, unbeschwerten Wüstenwind, der uns umfächelte. Dieser sanfte Hauch war irgendwo jenseits des Euphrat entstanden, war viele Tage und Nächte lang über dürres Gras dahingestrichen bis zu diesem ersten Hindernis, den von Menschenhand errichteten Mauern des verfallenen Palastes. Es schien, als verweilte er zwischen ihnen, umschmeichelte sie, raunte ihnen etwas zu nach Kinderart. »Das ist der beste,« sagten sie zu mir, »er hat keinerlei Geschmack.« Meine Araber hatten allen Wohlgerüchen und Üppigkeiten den Rücken gekehrt und sich Dingen zugewandt, an denen Menschenhand keinen Anteil hatte.

Der Beduine der Wüste, der in ihr geboren und aufgewachsen ist, hat sich mit ganzer Seele dieser für Außenstehende allzu harten Kargheit hingegeben, aus dem zwar gefühlten, aber nicht bewußt gewordenen Grund, weil er sich in ihr wahrhaft frei findet. Er hat alle materiellen Bindungen, Annehmlichkeiten, Verfeinerungen, Luxus und sonstigen Ballast des Lebens hinter sich gelassen, um dafür eine persönliche Freiheit zu gewinnen, die von Elend und Tod bedroht ist. In der Armut sieht er keine Tugend an sich; er liebt die kleinen Freuden und Genüsse – Kaffee, frisches Wasser, Frauen –, die er sich noch leisten kann. Sein Leben bietet ihm Luft und Wind, Sonne und Licht, freien Raum und eine große Leere. Diese Natur blieb unberührt von Menschenwerk und Gabenfülle: nur den Himmel droben und drunten die jungfräuliche Erde. So kam er unbewußt Gott näher. Gott hatte für ihn nichts Menschliches, nichts Faßbares, nichts Moralisches oder Ethisches, nichts, was auf die Welt oder ihn Bezug hatte, auch nicht die Natur, sondern das άχρώματος, άσχημάτιστο, άναης (das Farblose, Gestaltlose, Körperlose). Er war also nicht durch Devestitur, sondern Investitur qualifiziert, der Inbegriff alles Tuns, Natur und Materie nur Spiegelungen von Ihm.

Der Beduine vermochte nicht Gott in sich zu suchen; er war zu gewiß, daß er in Gott war. Er konnte nicht fassen, daß Gott irgend etwas war oder nicht war. Nur Er allein war groß; dennoch war etwas Heimisches, etwas Alltägliches um diesen Gott der Natur Arabiens. Er war in ihrer Nahrung, ihren Kämpfen, ihren Begierden, war der allerhäufigste ihrer Gedanken, ihr vertrauter Helfer und Gefährte, in gewisser Weise unvorstellbar für jene, denen Gott so kunstvoll verschleiert ist aus Verzweiflung über ihre fleischliche Unwürdigkeit oder durch die Äußerlichkeiten der formalen Verehrung. Die Araber sahen keine Widersinnigkeit darin, Gott mit ihren Schwächen und Gelüsten niedrigster Art in Verbindung zu bringen. Er war das gebräuchlichste ihrer Wörter; und wir haben in der Tat viel an Beredsamkeit eingebüßt, daß wir Ihn mit dem kürzesten und unschönsten unserer Einsilber benannten.

Der Glaube der Wüste scheint unaussprechbar in Worten und ist auch nicht mit Gedanken zu erfassen. Man unterlag leicht seinem Einfluß; und wer lange genug in der Wüste lebte, um ihrer endlosen Weite und Leere nicht mehr bewußt zu werden, der wurde unweigerlich auf Gott zurückgeworfen als einzige Zuflucht und Rhythmus des Seins. Der Beduine mochte nominell ein Sunnit, ein Wahhabi oder sonst irgend etwas in der semitischen Sphäre sein; aber das hatte für ihn kein Gewicht. Jeder einzelne Nomade hatte seine offenbarte Religion, nicht erfahren oder überliefert oder kundgetan, aber instinktiv in sich selbst; und so betonten alle semitischen Glaubenslehren, die zu uns kamen, die Leere der Welt und die Fülle Gottes; und ihre äußere Gestalt erfolgte auch entsprechend den Anlagen und Lebensumständen des Gläubigen.

Der Wüstenbewohner konnte mit seinem Glauben nicht nach außen wirken. Er ist niemals Evangelist oder Proselytenmacher gewesen. Er gelangte zu dieser intensiven Konzentrierung seines Ichs in Gott dadurch, daß er die Augen verschloß vor der Welt und vor den vielfältigen in ihm schlummernden Möglichkeiten, die nur durch Berührung mit Reichtum und Lockungen zur Auslösung kommen konnten. Er erlangte einen sicheren Glauben, einen starken Glauben, aber auf wie eng begrenztem Bezirk! Seine Erlebnisarmut beraubte ihn des Mitleids und ließ seine menschliche Güte entarten zu dem Bild der Wüstenei, in der er sich verbarg. So kam es, daß er sich kasteite, nicht nur, um frei zu sein, sondern, um sich zu gefallen. Damit folgte ein Schwelgen in Schmerz, eine Grausamkeit, die ihm mehr bedeutete als alle irdischen Güter. Der Wüstenaraber kannte keine Freuden, nur die des freiwilligen Entsagens. Er fand Wollust in der Selbstverleugnung, dem Verzicht, der Entäußerung. Er machte die Entblößung der Seele zu einer ebenso sinnlichen Angelegenheit wie die Entblößung des Körpers. Dadurch mag er vielleicht, ohne Gefahr zu laufen, seine Seele gerettet haben, aber in einer kalten Selbstsucht. Seine Wüste wurde zu einem Eiskeller gemacht, in dem für alle Zeiten eine Vision von der Alleinheit Gottes unversehrt, aber unerprobt aufbewahrt wurde. Dorthin konnten sich die Suchenden aus der Außenwelt für eine Weile zurückziehen und von diesem Losgelöstsein aus sich über die Wesensart der Generation klarwerden, die sie bekehren wollten.

Der Glaube der Wüste war für die Städter unmöglich. Er war zu fremdartig, zu einfach, zu wenig faßbar für die Übertragung und den allgemeinen Gebrauch. Die Idee, der Glaubenskern aller semitischen Religionen, war darin enthalten, aber sie mußte verdünnt werden, um für uns faßbar zu werden. Das Pfeifen der Geißel klang zu schrill für manche Ohren; der Geist der Wüste entwich durch unser gröberes Gewebe. Die Propheten kehrten mit ihrem Blick auf Gott aus der Wüste zurück, und durch ihr getrübtes Medium (wie durch ein dunkles Glas) ließen sie etwas sehen von der Majestät und Herrlichkeit, deren volle Schau uns blind, stumm, taub und zu dem gemacht hatte, was der Beduine geworden war, ein Abseitiger, ein Mensch für sich.

Die Schüler bemühten sich, nach der Lehre des Meisters sich und die Gläubigen von allem Irdischen loszulösen, aber strauchelten dabei über die menschliche Schwäche und scheiterten. Der Bauer und Städter aber mußte, um leben zu können, sich Tag für Tag den Freuden des Verdienens und Schätzesammelns hingeben, und durch den Zwang der Umstände wurde er zum grobsinnigsten und materiellsten der Menschen. Der leuchtende Glanz der Lebensverachtung, der andere zur härtesten Askese führte, stürzte ihn in Verzweiflung. Kopflos vergeudete er sich, wie ein Verschwender, verpraßte die Erbschaft seines Fleisches mit einer sehnsüchtigen Hast nach dem Ende. Der Jude in der Metropole von Brighton, der Geizhals, der Anbeter des Adonis, der Lüstling in den Freudenhäusern von Damaskus, jeder war in gleicher Weise typisch für die Genußfreude der Semiten und nur andere Auswirkungen derselben Triebkraft, an deren anderem Pol die Selbstverleugnung der Essäer oder der Urchristen oder der ersten Kalifen stand, denen der Weg zum Himmel am leichtesten für die Armen im Geist erschien. Der Semit schwankte ständig zwischen irdischer Lust und Askese.

Die Araber konnten von einer Idee wie von einem Strick mit fortgerissen werden; die fraglose Hingabefähigkeit ihrer Gemüter machte sie zu willfährigen Sklaven. Keiner von ihnen würde sich der Bindung entzogen haben, bis der Erfolg da war und mit ihm Verantwortung, Pflichten, Bürden. Dann war die Idee dahin und das Werk endete – in Trümmern. Ohne einen Glauben konnte man sie bis ans Ende der Welt (nur nicht in den Himmel) führen, wenn man ihnen die Reichtümer dieser Erde und ihre Freuden zeigte. Wenn sie aber auf dem Weg, geleitet in dieser Weise, dem Propheten einer Idee begegneten, der keinen Ort hatte, wo er sein Haupt betten konnte, und leben mußte wie die Blumen auf dem Feld oder die Vögel unter dem Himmel, dann waren sie bereit, um seiner Offenbarung willen alle Reichtümer im Stich zu lassen. Sie waren unverbesserliche Kinder der Idee, haltlos und farbenblind, deren Körper und Seele für immer in unvereinbarem Gegensatz standen. Ihr Geist war dunkel und seltsam, voller Höhen und Tiefen, der strengen Zucht entbehrend, aber glühender und fruchtbarer im Glauben als irgendein anderer auf der Welt. Sie waren ein Volk des ewigen Aufbruchs, für die das Abstrakte die stärkste Triebfeder war, der Anstoß zu unbegrenzter Kühnheit und Mannigfaltigkeit, und denen das Ende nichts bedeutete. Sie waren beweglich wie Wasser, und wie das Wasser werden sie schließlich vielleicht obsiegen. Seit dem Anfang der Tage sind sie in immer neuen Wellen gegen die Küsten des Irdischen angebrandet. Jede Welle brach sich, aber gleich dem Meer hatte jede ein winziges Stückchen von dem Fels, an dem sie zerschellte, abgetragen; und eines Tages, in vielen Menschenaltern, wird sie vielleicht ungehemmt über die Stelle hinwegrollen, wo einst die materielle Welt gewesen ist, und Gott der Herr wird über den Wassern schweben. Eine dieser Wogen (und nicht die letzte) wurde von mir unter dem Wehen einer Idee aufgerührt und ins Rollen gebracht, bis sie ihren Höhepunkt erreichte, sich überschlug und über Damaskus dahinbrandete. Die Auswaschungen dieser Welle, die zurückprallte vor dem Widerstand juristischer Festsetzungen, werden der nächsten Welle den Weg weisen, wenn in der Fülle der Zeiten die See von neuem aufgerührt werden wird.

VIERTES KAPITEL

Der erste große Vorstoß in das Gebiet um das Mittelmeer bewies der Welt die Wucht des Arabers, der in der Entflammung für kurzen Zeitraum eine ganz ungewöhnliche Kraft entfalten kann. Sobald aber die Spannung nachließ, offenbarte sich der Mangel an Ausdauer und Gründlichkeit im Charakter der Semiten. Die Provinzen, die sie erobert hatten, ließen sie rein aus Abneigung vor systematischer Arbeit verkommen und waren bei der Verwaltung ihres schlechtgefügten und unzusammenhängenden Reichs auf die Hilfe ihrer neuen Untertanen oder tatkräftigerer Fremden angewiesen. So konnten schon im frühen Mittelalter die Türken in den arabischen Staaten festen Fuß fassen, zuerst als Diener, dann als Gehilfen und schließlich als übermächtig gewordene Parasiten, die das Leben des alten Reichskörpers erstickten. Zuletzt kam eine Phase des Einreißens, als ein Hulagu oder Timur ihren Blutdurst stillten und alles niederbrannten und zerstörten, was durch einen Anspruch auf Überlegenheit ihren Zorn reizte.

Die arabische Zivilisation war abstrakter Art, mehr moralisch und intellektuell als physisch, und ihr Mangel an Gemeinsinn machte ihre ausgezeichneten individuellen Eigenschaften wertlos. Aber in ihrer Epoche waren sie vom Glück begünstigt: Europa war der Barbarei verfallen, die Erinnerung an griechische und lateinische Bildung schwand aus dem Gedächtnis der Menschen. Aus diesem Gegensatz heraus erschien das Nachahmungstalent der Araber schöpferisch und ihr Staat blühend. Aber sie erwarben auch wirkliches Verdienst dadurch, daß sie klassische Vergangenheit für die Zukunft des abendländischen Mittelalters bewahrten.

Mit dem Auftreten der Türken wurde diese Blütezeit zu einem entschwundenen Traum. Nacheinander gerieten alle Semiten Asiens unter ihr Joch und starben darunter langsam dahin. Ihrer Besitztümer wurden sie beraubt; ihr Geist schrumpfte ein unter dem erstarrenden Hauch eines Militärregiments. Türkische Herrschaft hieß Polizeigewalt; die politischen Theorien der Türken waren so roh wie ihre Praxis. Sie brachten den Arabern bei, daß die Interessen einer Sekte höher ständen als die des Vaterlands und daß die Nebensächlichkeiten der Provinz wichtiger wären als die Nation. Sie säten Uneinigkeit unter sie und brachten sie dahin, einander zu mißtrauen. Sogar die arabische Sprache wurde aus Gerichten und Ämtern, aus Verwaltung und höheren Schulen verbannt. Araber konnten nur dem Staate dienen, wenn sie ihre rassische Eigenart aufopferten. Diese Maßnahmen wurden nicht ruhig hingenommen. Die Beharrlichkeit der Semiten zeigte sich in den zahlreichen Aufständen in Syrien, Mesopotamien und Ägypten gegen die groben Formen türkischer Durchdringung; und ebenso erhob sich Widerstand gegen ihre hinterhältigeren Versuche der Aufsaugung. Die Araber dachten nicht daran, ihre reiche und schmiegsame Sprache gegen das rohe Türkisch einzutauschen; statt dessen durchsetzten sie das Türkische mit arabischen Worten und hielten sich an die Schätze ihrer eigenen Literatur.

Sie verloren den Sinn für ihr Land, für ihre völkischen, politischen und historischen Erinnerungen. Aber um so fester hingen sie an ihrer Sprache und machten sie geradezu zu ihrem eigentlichen Vaterland. Die oberste Pflicht jedes Moslem war, den Koran zu studieren, das heilige Buch des Islams, nebenbei auch das größte arabische Literaturdenkmal. Das Wissen darum, daß diese Religion die seinige und nur er allein imstande war, sie vollkommen zu verstehen und auszuüben, gab jedem Araber einen erhöhten Standort, von dem aus er auf die kläglichen Leistungen der Türken herabblickte.

Dann kam die türkische Revolution, der Fall Abdul Hamids und der Sieg der Jungtürken. Sofort lichtete sich der Horizont für die Araber. Die jungtürkische Bewegung war eine Auflehnung gegen den hierarchischen Aufbau des Islams und gegen die panislamischen Theorien des alten Sultans, der den Anspruch erhoben hatte, als geistlicher Leiter aller Moslemin zugleich ihr alleiniger und absoluter weltlicher Herrscher zu sein. Unter dem Antrieb konstitutioneller Theorien vom souveränen Staat erhoben sich die jungen Politiker und warfen den Sultan ins Gefängnis. Zu einer Zeit also, da Westeuropa gerade anfing, die Nationalität um der Internationale willen aufzugeben und an Kriege dachte, die nichts mehr mit Rassenproblemen zu tun hatten, fing Westasien an, die Katholizität gegen eine nationalistische Politik einzutauschen und von Kriegen zu träumen, die nicht mehr für Glauben und Dogma, sondern für die nationale Selbständigkeit geführt wurden. Diese Bestrebungen hatten zuerst und am stärksten im nahen Osten eingesetzt, in den kleinen Balkanstaaten, und hatten sie durch fast beispielloses Märtyrertum zu ihrem Ziel geführt: der Loslösung von der Türkei. Später hatte es nationalistische Bewegungen in Ägypten, Indien, Persien und schließlich in Konstantinopel gegeben, wo sie von den neuen amerikanischen Erziehungsideen noch unterstützt und verschärft worden waren, Ideen, die, auf den alten Orient losgelassen, als gefährlicher Explosivstoff wirkten. Die amerikanischen Schulen, die nach den Grundsätzen freier Forschung unterrichteten, traten für Unabhängigkeit der Wissenschaft und unbeschränkte Meinungsäußerung ein. Ohne es zu wollen, lehrten sie die Revolution, denn es war für den Einzelnen in der Türkei unmöglich, zugleich ein moderner Mensch und ein treuer Untertan zu sein, wenn er einem der unterworfenen Völker angehörte – den Griechen, Arabern, Kurden, Armeniern oder Albanern –, über welche die Türken so lange zu herrschen vermocht hatten.

Im Vertrauen auf ihren ersten Erfolg ließen sich die Jungtürken von der Logik der von ihnen vertretenen Prinzipien weitertreiben und predigten als Protest gegen die panislamischen Bestrebungen die allgemeine Verbrüderung der Osmanen. Die unterworfenen Völker – weit zahlreicher als die Türken selbst – glaubten nur allzugern, daß man sie zur Mitarbeit am Bau des neuen Ostens aufgerufen habe. Erfüllt von den Lehren Herbert Spencers und Alexander Hamiltons, stellten sie eiligst ein Programm sehr weitgreifender Reformen auf und begrüßten die Türken als ihre Gesinnungsgenossen. Erschrocken über die Kräfte, die sie entfesselt hatten, erstickten die Türken das Feuer so schnell, wie sie es geschürt hatten. Die Türkei den Türken – Yeni-Turan – wurde ihre Parole. Späterhin richtete sich diese ihre Politik naturgemäß auf die Befreiung ihrer Irredenta – die von Rußland unterworfenen Turkvölker in Zentralasien. Aber zuvor mußten sie ihr eigenes Reich von den störenden fremden Volkselementen säubern, die sich der Türkisierung widersetzten. Die Araber, als der stärkste fremde Volksteil in der Türkei, mußten zuerst an die Reihe kommen. So wurden die arabischen Abgeordneten fortgejagt, die arabischen Bünde verboten, die arabischen Notabeln geächtet. Arabische Kundgebungen und die arabische Sprache wurden von Enver-Pascha noch rücksichtsloser unterdrückt als früher von Abdul Hamid.

Doch die Araber hatten einen Vorgeschmack der Freiheit bekommen. Sie konnten ihre Anschauungen nicht so rasch wechseln wie Kleider; und die stärksten Geister unter ihnen waren nicht so leicht niedergeworfen. Wenn sie türkische Zeitungen lasen, ersetzten sie in den nationalen Auslassungen das Wort »Türkisch« durch »Arabisch«. Unterdrückung trieb sie zur Gegenwehr. Da ihnen gesetzmäßige Auswege versperrt waren, wurden sie Revolutionäre. Die arabischen Gesellschaften bestanden unterirdisch weiter; aus liberalen Vereinen wurden Verschwörungsherde. Die »Akhua«, die arabische Muttergesellschaft, wurde offiziell aufgelöst. Sie wurde in Mesopotamien durch die gefährliche »Ahad« ersetzt, eine streng geheime Bruderschaft, die fast nur aus arabischen Offizieren der türkischen Armee bestand. Die Mitglieder schworen, sich die militärischen Kenntnisse ihrer Herren anzueignen und sie gegen diese im Dienste des arabischen Volkes zu gebrauchen, wenn der Augenblick des Aufstandes gekommen war.

Es war eine weit verbreitete Gesellschaft; sie besaß eine sichere Basis in den schwer zugänglichen Gegenden des südlichen Irak, wo Sayid Taleb, der junge John Wilkes* der arabischen Bewegung, die Macht in seinen gewalttätigen Händen hielt. Siebzig vom Hundert aller aus Mesopotamien stammenden Offiziere gehörten ihr an; ihre Zusammenkünfte wurden so geheim gehalten, daß die Mitglieder bis zuletzt die höchsten Stellen im türkischen Heer bekleideten. Als der letzte Zusammenstoß kam, Allenby zuschlug und die Türkei zusammenbrach, befehligte ein Vizepräsident der Gesellschaft die Trümmer der Palästinaarmeen auf dem Rückzug, und ein anderer führte die türkischen Streitkräfte über den Jordan in die Gegend von Amman. Selbst später, nach dem Waffenstillstand, waren hohe Stellungen der türkischen Verwaltung mit Männern besetzt, die bereit waren, sich auf ein Wort ihrer arabischen Führer hin gegen ihre Herren zu wenden. Den meisten von ihnen wurde ein solcher Befehl niemals erteilt; denn diese Gesellschaften waren nur proarabisch und gewillt, für nichts anderes als die arabische Unabhängigkeit zu kämpfen. Sie sahen keinen Vorteil darin, die Alliierten an Stelle der Türken zu unterstützen, und schenkten unseren Versicherungen keinen Glauben, daß wir sie frei machen wollten. Viele von ihnen gaben auch einem durch die Türkei geeinten, wenn auch in elender Unterwerfung gehaltenen Arabien den Vorzug vor einem unter mehreren europäischen Mächten in Einflußsphären aufgeteilten und unter einer leichteren Herrschaft träge dahinlebenden Arabien.

Umfangreicher als die »Ahad« war die »Fetah«, der syrische Freiheitsbund. Die großen Grundbesitzer, Gelehrten, Schriftsteller vereinigten sich in dieser Gesellschaft mit gemeinsamem Eid, mit Losungsworten, Abzeichen, einer Presse und einem Bundesschatz zum Sturz des Türkischen Reichs. Die geräuschvolle Gewandtheit der Syrier – eines affenähnlichen Volkes, das viel von der japanischen Lebhaftigkeit hat, aber schwach ist – schuf in kurzer Zeit eine gewaltige Organisation. Sie sahen sich nach auswärtiger Hilfe um und wollten die Freiheit nicht durch Opfer, sondern Verhandlungen erringen. Sie knüpften Verbindungen an mit Ägypten, mit der Ahad (deren Mitglieder mit echt mesopotamischer Unbeugsamkeit jene ziemlich verachteten), mit dem Scherif von Mekka und mit Großbritannien, überall Bundesgenossen für ihre Sache suchend. Auch die Fetah wahrte streng das Geheimnis; und wenn auch die Regierung eine Ahnung von ihrem Bestehen hatte, gelangte sie doch nicht in den Besitz sicherer Beweisstücke über die Führer oder Mitglieder des Bundes. Sie mußte mit dem Zugriff warten, bis sie ausreichende Beweise gegenüber den englischen und französischen Diplomaten in der Hand hatte, die in der Türkei gewissermaßen die Funktion der öffentlichen Meinung ausübten. Der Kriegsausbruch 1914 rief die fremden Geschäftsträger ab und gab der türkischen Regierung Freiheit, zuzuschlagen.

Die Mobilmachung legte alle Macht in die Hände von Enver, Talaat und Dschemal – drei der rücksichtslosesten, konsequentesten und ehrgeizigsten Jungtürken. Sie zögerten nicht, alle nichttürkischen Strömungen im Staate auszumerzen, namentlich den arabischen und armenischen Nationalismus. Für den ersten Schritt wurde ihnen eine willkommene und brauchbare Waffe in den Geheimpapieren eines französischen Konsuls in Syrien geliefert, der in seinem Konsulat die Abschriften eines Briefwechsels (über die arabische Freiheitsbewegung) mit einem arabischen Bund zurückgelassen hatte. Dieser Bund, der nicht mit der Fetah in Verbindung stand, war von den Kreisen der schwatzhaften und wenig ernst zu nehmenden Intelligenz der syrischen Küstengebiete gegründet worden. Die Türken waren natürlich sehr froh darüber; denn gerade die Franzosen waren durch ihre koloniale Ausbreitung in Nordafrika bei den arabischsprachigen Teilen der Islamwelt sehr schlecht angeschrieben. Dschemal benutzte den Fund, um seinen Religionsgenossen zu beweisen, daß die arabischen Nationalisten ungläubig genug waren, das christliche Frankreich der mohammedanischen Türkei vorzuziehen.

Für Syrien brachten diese Enthüllungen natürlich wenig Neues; aber die Mitglieder des Bundes waren bekannte und geachtete, wenn auch etwas weltfremde Männer. Ihre Verhaftung und Verurteilung und die danach folgenden Verschickungen, Verbannungen und Hinrichtungen wühlten das Land im tiefsten auf und zeigten den Arabern des Fetah Bundes, daß sie daraus eine Lehre ziehen müßten, wenn ihnen nicht das gleiche Schicksal wie den Armeniern bevorstehen sollte. Die Armenier waren gut bewaffnet und organisiert gewesen, aber ihre Führer hatten sie im Stich gelassen. Sie waren einzeln entwaffnet und aufgerieben worden; die Männer hatte man hingerichtet, die Frauen und Kinder mitten im Winter nackt und hungrig in die Wüste hinausgetrieben, jedem Vorüberkommenden zur Beute, bis der Tod sie erlöste. Die Jungtürken hatten die Armenier vernichtet, nicht weil sie Christen, sondern weil sie Armenier waren; aus eben dem Grunde sperrten sie arabische Moslemin und arabische Christen gemeinsam in das gleiche Gefängnis und knüpften sie nebeneinander an dem gleichen Galgen auf. So war es Dschemal Pascha, der alle Klassen und Bekenntnisse Syriens unter dem Druck gemeinsamen Unglücks und gemeinsamer Gefahr einigte und damit die Vorbereitung des Aufstands ermöglichte.

Die Türken mißtrauten den arabischen Offizieren und Soldaten in ihrem Heer und hofften, sie nach den gleichen Methoden unschädlich machen zu können, die sie gegen die Armenier angewandt hatten. Anfangs standen dem Transportschwierigkeiten im Weg, und Anfang 1915 kam es in Nordsyrien zu einer bedenklichen Ansammlung arabischer Divisionen (fast ein Drittel der ursprünglichen türkischen Armee bestand aus Arabischsprechenden). Man verteilte sie, sobald es die Umstände gestatteten, schickte sie nach Europa, an die Dardanellen, nach dem Kaukasus, an den Kanal – überall hin, wo sie rasch in die Feuerlinie kamen und dem Gesichtskreis oder der Unterstützung ihrer Landsleute entzogen waren. Der »Heilige Krieg« wurde verkündet, der dem Banner »Einigkeit und Fortschritt« in den Augen der klerikalen Konservativen etwas von dem ehrwürdigen Heiligenschimmer der einstigen Kalifenheere verleihen sollte. Und der Scherif von Mekka wurde aufgefordert – oder es wurde ihm vielmehr befohlen –, dem Ruf Widerhall zu geben.

FÜNFTES KAPITEL

Die Stellung des Scherifs von Mekka war lange Zeit eine Anomalie gewesen. Der Titel Scherif bedeutete Abstammung vom Propheten Muhammed über seine Tochter Fatima und ihren älteren Sohn Hassan. Die Namen der echten Scherifs waren in den Familienstammbaum eingetragen, eine unendlich lange Liste, die in Mekka aufbewahrt wurde unter der Obhut des Emirs von Mekka, des erwählten Scherifs der Scherifs, der als der oberste und vornehmste von allen galt. Die Familie des Propheten hatte die letzten neunhundert Jahre die weltliche Herrschaft in Mekka innegehabt und zählte über zweitausend Mitglieder.

Die alte türkische Regierung betrachtete diese Sippe mantikratischer Fürsten mit gemischten Gefühlen, halb mit Ehrfurcht, halb mit Mißtrauen. Da sie zu mächtig waren, um beseitigt werden zu können, wahrte der Sultan dadurch seine Würde, daß er ihren Emir feierlich in seiner Stellung bestätigte. Dieser formelle Akt gewann mit der Zeit tatsächlichen Inhalt, bis zuletzt der neue Träger des Titels gewahr wurde, daß erst dadurch seiner Wahl das endgültige Siegel aufgedrückt wurde. Schließlich fanden die Türken, daß sie zur wirksameren Kostümierung ihrer neuen panislamischen Idee den Hedschas unter ihren unbestrittenen Einfluß bringen mußten. Die Eröffnung des Suezkanals gab ihnen Anlaß, eine Garnison in die Heiligen Städte zu legen. Sie begannen den Bau der Hedschasbahn und stärkten ihren Einfluß unter den arabischen Stämmen durch Geld, Intrigen und militärische Streifzüge.

Nachdem so der Sultan seine Macht in jenen Gegenden gefestigt hatte, ging er daran, sich mehr und mehr neben dem Scherif und auch in Mekka zur Geltung zu bringen. Er unternahm es sogar, gelegentlich einen Scherif abzusetzen, der ihm zu groß geworden schien, und einen Nachfolger aus einem rivalisierenden Zweig der Sippe einzusetzen in der Hoffnung, durch Förderung der Uneinigkeit die üblichen Vorteile zu gewinnen. Schließlich holte Abdul Hamid einige Mitglieder der Sippe nach Konstantinopel und hielt sie dort in ehrenvoller Gefangenschaft. Unter ihnen war Hussein ibn Ali, der zukünftige Herrscher, der fast achtzehn Jahre in Konstantinopel festgehalten wurde. Hussein benutzte die Gelegenheit, um seinen Söhnen – Ali, Abdulla, Faisal und Seid – eine neuzeitliche Erziehung und Ausbildung zuteil werden zu lassen, was sie später befähigte, die arabischen Truppen zum Erfolg zu führen.

Nach dem Sturz Abdul Hamids wurde dessen Politik von den weniger klugen Jungtürken umgestoßen und der Scherif Hussein als Emir nach Mekka zurückgesandt. Er machte sich sogleich ans Werk, die Macht des Emirats unauffällig wiederherzustellen, unterhielt aber zugleich enge und freundschaftliche Beziehungen zu Konstantinopel durch seine Söhne Abdulla, den Vizepräsidenten des türkischen Parlaments, und Faisal, den Abgeordneten für Dschidda. Sie hielten ihn über die politischen Strömungen in der Hauptstadt auf dem laufenden, bis sie mit Beginn des Krieges eilig nach Mekka zurückkehrten.

Der Ausbruch des Krieges stürzte den Hedschas in Schwierigkeiten. Die Pilgerfahrten hörten auf, und damit kamen auch das Geschäftsleben und die Einkünfte der Heiligen Städte ins Stocken. Man fürchtete mit Recht, daß die aus Indien mit Lebensmitteln kommenden Schiffe ausbleiben würden (denn der Scherif war formell ein feindlicher Staatsangehöriger); und da die Provinz ja fast gar nichts für den eigenen Bedarf erzeugen konnte, bestand die Gefahr, daß sie in eine sehr mißliche Abhängigkeit von dem Wohlwollen der Türken geraten würde, die sie durch Einstellung des Verkehrs auf der Hedschasbahn aushungern konnten. Hussein war bisher niemals von der Gnade der Türken ganz und gar abhängig gewesen; und gerade in diesem ungünstigen Augenblick bedurften sie ganz besonders seiner Unterstützung für den »Dschehad«, für den Heiligen Krieg aller Moslemin gegen die Christenheit.

Um in der mohammedanischen Welt allgemein wirksam zu werden, mußte der Dschehad von Mekka sanktioniert werden; und in diesem Fall konnte allerdings der ganze Osten in Blut getaucht werden. Hussein war ehrenhaft, verschlagen, eigensinnig und überaus fromm. Er sah ein, daß der Heilige Krieg seinem Sinne nach mit einem Angriffskrieg unvereinbar war und zum Widersinn wurde mit einem christlichen Verbündeten: Deutschland. Daher lehnte er das Ansinnen der Türken ab und wandte sich zugleich mit der Bitte an die Verbündeten, seine Provinz nicht auszuhungern, da sein Volk an den Ereignissen keine Schuld trage. Daraufhin führten die Türken sofort eine Teilblockade der Hedschasbahn durch, eine strenge Überwachung des Verkehrs. Die Engländer gaben die Küsten des Hedschas für eine bestimmte Anzahl von Lebensmitteln frei.

Aber das türkische Ansinnen war nicht das einzige, das damals an den Scherif herantrat. Im Januar 1915 sandten ihm Jisin, Führer der mesopotamischen Offiziere, Ali Risa, Führer der Offiziere in Damaskus, und Abd el Ghani el Areisi für die syrische Zivilbevölkerung sehr bestimmte Vorschläge für einen militärischen Aufstand in Syrien gegen die Türkei. Das unterdrückte Volk von Mesopotamien und Syrien, die Komitees der »Ahad« und »Fetah« riefen ihn, den Vater der Araber, den Moslim der Moslemin, den größten Fürsten und würdigsten Nachkommen des Propheten, auf, sie vor den finsteren Plänen Talaats und Dschemals zu schützen.

Hussein war als Politiker, als Herrscher, als Moslim, als Fortschrittler und als Nationalist gezwungen, diesem Ruf Folge zu leisten. Er sandte Faisal, seinen dritten Sohn, nach Damaskus, der als sein Vertreter sich über das Vorhaben der Aufständischen genauer unterrichten und ihm Bericht erstatten sollte. Ali, seinen ältesten Sohn, sandte er nach Medina mit der Weisung, in aller Stille und unter allen ihm gut erscheinenden Vorwänden unter den Bauern und Stammesangehörigen des Hedschas Truppen auszuheben und sie zum Losschlagen bereitzuhalten, wenn Faisal das Zeichen gab. Abdulla, sein zweiter, politisch befähigter Sohn, sollte auf schriftlichem Weg herauszubekommen suchen, welche Haltung die Engländer im Fall eines arabischen Aufstandes gegen die Türkei einnehmen würden.

Faisal berichtete im Januar 1915, daß die örtlichen Vorbedingungen für einen Aufstand vorteilhaft wären, daß aber die Entwicklung des Krieges sich nicht günstig anließe für ihre Hoffnungen. In Damaskus ständen drei Divisionen arabischer Truppen, die zum Aufstand bereit wären. Zwei weitere Divisionen in Aleppo, die mit arabischen Nationalisten durchsetzt wären, würden sich bestimmt anschließen, wenn die anderen losschlügen. Diesseits des Taurus stände nur eine türkische Division, so daß man mit Sicherheit annehmen könnte, Syrien schon im ersten Ansturm in Besitz zu bekommen. Andererseits zeige aber die Bevölkerung wenig Neigung, bis zum Äußersten zu gehen, und in militärischen Kreisen wäre man überzeugt, daß Deutschland den Krieg gewinnen würde, und zwar bald. Wenn aber die Alliierten ihr australisches Expeditionskorps (das in Ägypten zusammengestellt wurde) in Alexandrette landeten und so Syrien in der Flanke deckten, dann würde die Türkei, selbst auf die Gefahr eines deutschen Endsieges, vorher leicht zu einem Separatfrieden gezwungen werden können.

Ein Aufschub trat ein, da die Alliierten nicht in Alexandrette, sondern an den Dardanellen landeten. Faisal ging selbst nach Gallipoli, um sich an Ort und Stelle genau über die Lage zu unterrichten, da ein Zusammenbruch der Türkei das Signal für den arabischen Aufstand geben würde. Dann folgte die Stokkung während der Monate der Dardanellenkämpfe. In diesem blutigen Ringen wurde ein guter Teil der besten osmanischen Truppen aufgerieben. Die Schwächung der Türkei durch die ungeheuren Verluste war so groß, daß Faisal nach Syrien zurückging, da er den Augenblick zum Losschlagen für gekommen hielt, er fand aber, daß die Lage in Syrien inzwischen ungünstig geworden war.

Seine syrischen Anhänger waren verhaftet oder hielten sich versteckt, und ihre Freunde waren auf Grund politischer Anklagen gehängt worden. Die zum Aufstand bereiten arabischen Divisionen waren entweder an entfernte Fronten abgeschoben oder aufgelöst und in türkische Einheiten eingereiht worden. Die arabische Landbevölkerung war zum türkischen Militärdienst eingezogen, und ganz Syrien war dem erbarmungslosen Dschemal-Pascha ausgeliefert. Alle Haupttrümpfe Faisals waren also dahin.

Faisal schrieb seinem Vater und riet zu weiterem Aufschub, bis England völlig bereit und die Türkei der Erschöpfung nahe sein würde. Unglücklicherweise aber war Englands Lage denkbar schlecht. Die Dardanellen wurden von den schwergeschlagenen Landungstruppen geräumt. Der langsame Todeskampf von Kut-el-Amara war im letzten Stadium; und der Aufstand der Senussi, der mit dem Kriegseintritt Bulgariens zusammenfiel, bedrohte nun Englands eigene Flanken.

Faisals Lage war äußerst gefährlich. Sein Schicksal hing von den Mitgliedern der Geheimgesellschaft ab, deren Präsident er vor dem Krieg gewesen war. Er mußte als Gast Dschemal-Paschas in Damaskus bleiben, um seine militärischen Kenntnisse aufzufrischen; denn sein Bruder Ali stellte im Hedschas Truppen auf, unter dem Vorwand, daß er und Faisal sie später zur Unterstützung der Türken an den Suezkanal führen würden. So mußte Faisal als treuer Untertan und Offizier im türkischen Hauptquartier bleiben und ruhig mit anhören, wenn der brutale Dschemal in der Trunkenheit das arabische Volk beleidigte und beschimpfte.

Dschemal schickte stets zu Faisal und nahm ihn zu den Hinrichtungen seiner syrischen Freunde mit. Diese Opfer von Dschemals Justiz durften nicht zeigen, daß sie um Faisals wahre Hoffnungen wußten, noch weniger als er durch ein Wort seine Gesinnung verraten durfte, denn eine Entdeckung hätte seine Familie und vielleicht sein ganzes Volk zum gleichen Schicksal verdammt. Nur einmal fuhr es ihm heraus, daß Dschemal mit diesen Hinrichtungen gerade das bewerkstelligen würde, was er zu hintertreiben suchte; und es bedurfte der Vermittlung seiner Konstantinopler Freunde, führender Männer der Türkei, um ihn vor den Folgen dieser unbedachten Worte zu retten.

Faisals Briefwechsel mit seinem Vater war schon eine Kühnheit sondergleichen. Durch Vermittlung alter Anhänger ihrer Familie, die ganz unverdächtig waren, standen sie miteinander in Verbindung. Diese fuhren auf der Hedschasbahn hin und her mit Mitteilungen, verborgen in Säbelgriffen, in Backwaren, eingenäht zwischen die Sohlen der Sandalen oder in unsichtbarer Schrift auf den Umhüllungen harmloser Pakete. Faisal berichtete stets, daß die Lage ungünstig wäre, und bat seinen Vater, den Aufstand auf eine günstigere Zeit zu verschieben.

Aber Hussein ließ sich durch die Abmahnungen seines Sohnes keineswegs entmutigen. In seinen Augen waren die Jungtürken nichts als Verruchte, die sich an ihrem Glauben und ihrem Menschenrecht versündigten – Verräter am Geist der Zeit und den höheren Interessen des Islams. Obwohl schon ein alter Mann von fünfundsechzig Jahren, entschloß er sich mit jugendlichem Draufgängertum dazu, gegen sie Krieg zu führen, sich dabei auf die Gerechtigkeit seiner Sache verlassend. Hussein vertraute so sehr auf Gott, daß er seinen militärischen Sinn brachliegen ließ und glaubte, der Hedschas könnte die Türkei im offenen Feld besiegen. So sandte er Abd el Kadir el Abdo mit einem Schreiben an Faisal und teilte ihm offiziell mit, daß nun die Truppen in Medina, die zur Front abgehen sollten, zur Besichtigung durch ihn bereitstünden. Faisal machte Dschemal davon Mitteilung und bat um Urlaub, aber zu seiner großen Enttäuschung erwiderte Dschemal, daß Enver-Pascha, der Generalissimus, auf dem Weg nach Syrien wäre, und daß sie zusammen nach Medina gehen und die Truppen besichtigen würden. Faisal hatte geplant, seines Vaters scharlachrotes Banner sofort nach seiner Ankunft in Medina zu entfalten und so die Türken zu überrumpeln; und nun waren ihm zwei unerbetene Gäste aufgehalst, denen er nach dem Gesetz der arabischen Gastfreundschaft kein Leid antun durfte, und wodurch der Aufstand so lange verzögert werden würde, daß das ganze Geheimnis in Gefahr geriet.

Schließlich aber lief alles gut ab, wenn auch die Truppenbesichtigung zu einer grausigen Ironie wurde. Enver, Dschemal und Faisal beobachteten gemeinsam, wie die Truppen auf der staubigen Ebene vor den Toren Medinas ihre Bewegungen und Schwenkungen vollführten, wie sie auf ihren Kamelen in einem Scheinkampf aufeinander losstürmten und zurückwichen oder nach uraltem arabischen Brauch ihre Pferde zum spielerischen Speerkampf spornten. »Und all das sind Freiwillige für den Heiligen Krieg?« fragte Enver zuletzt, sich an Faisal wendend. »Ja«, sagte Faisal. – »Bereit, bis zum Tod gegen alle Feinde der Gläubigen zu kämpfen?« – »Ja«, wiederholte Faisal. Und dann kamen die arabischen Führer herbei, um vorgestellt zu werden; und der Scherif Ali ibn el Hussein von den Modighs zog Faisal beiseite und flüsterte ihm zu: »Sollen wir sie jetzt töten, Herr?«, und Faisal sagte: »Nein, es sind meine Gäste.«

Aber die Scheiks bestanden darauf, denn sie meinten, daß sie so mit zwei Hieben den ganzen Krieg beenden könnten. Sie waren entschlossen, Faisal einfach dazu zu zwingen, und er mußte unter sie treten, gerade außer Hörweite, aber allen sichtbar, und für das Leben der türkischen Gewalthaber bitten, die seine besten Freunde auf dem Schafott hingemordet hatten. Zuletzt mußte er sich noch entschuldigen, mit ihnen schleunigst nach Mekka zurückkehren, den Bankettsaal mit seinen eigenen Sklaven besetzen lassen und Enver und Dschemal nach Damas