Aufstand in der Wüste - Thomas Edward Lawrence - E-Book

Aufstand in der Wüste E-Book

Thomas Edward Lawrence

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Beschreibung

Thomas Edward Lawrence befand sich bereits einige Zeit als Forscher in Arabien, als sich zwischen 1916 und 1918 der arabische Aufstand gegen die türkische Vorherrschaft formierte. Die Briten unterstützten den Aufstand nach Leibeskräften. Lawrence, der gute Kontakte zum britischen Geheimdienst unterhielt, gewann das Vertrauen der arabischen Befehlshaber und wurde zu einem zentralen strategischen Berater. Sein Buch über den »Aufstand in der Wüste« bezieht seine Faszination aus der Unmittelbarkeit und Authentizität der Schilderungen. Hier berichtet der einstige Rebellenführer, der als »Lawrence von Arabien« Kultstatus erlangen sollte, von eigenen Erfahrungen. Tatsächlich war Lawrence entscheidend am Erfolg des Aufstands beteiligt: Er entwarf die Guerilla-Strategie, mit der die Kräfte des Gegners in leicht angreifbare kleine Einheiten aufgespalten wurden. Lawrence engagierte sich sehr stark für den Erfolg des Aufstands. Phasenweise verlor er das Ziel der Briten aus den Augen, anstelle der Türken selbst die Vorherrschaft in der Region zu übernehmen.

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Aufstand in der Wüste

TitelseiteBernard Shaw urteilt über LawrenceEinleitung: Leben und Taten des Oberst Lawrence1. Storrs landet in Djidda2. Ritt zu Faisal3. Faisals Aufgebot4. Rückschläge bei Janbo5. Faisal rückt nach Norden vor6. Taktik und Politik7. Aufbruch nach Syrien8. Die eigentliche Wüste9. Feste bei den Stämmen10. Nomaden und Nomadenleben11. In weiteren Kämpfen bis zur Küste12. Akaba, Suez, Allenby13. Umgruppierung14. Der Feind wird aufgestachelt15. Minenlegung16. Sieg und Plünderung17. Neue Pläne18. Wieder über die Bahnlinie19. Anwerbungen20. Vorstoß zur Brücke21. Ein Zug wird abgefangen22. Rückkehr zur Welt23. Kampf um Tafileh24. Der Winter schließt uns ein25. Vorstoß gegen Maan26. Oberst Dawnays Operationen27. Vorbereitungen28. Buxton und das K.K.K.29. Im Vortrab30. Unterbrechung der Hauptbahnen31. Scharmützel und Rückzug32. Die Königliche Luftflotte greift ein33. Die türkischen Armeen zerbröckeln34. Vereinigung mit den Engländern35. Einzug in Damaskus36. Stürmische RegierungsbildungMein NekrologImpressum

Thomas Edward Lawrence

Aufstand in der Wüste

Die Geschichte des „Lawrence von Arabien“

Bernard Shaw urteilt über Lawrence

Unter den erstaunlichen Erscheinungen dieser Welt ist die erstaunlichste ein Individuum, das bis zur letzten menschlichen Grenze literarischer Genialität vorgedrungen ist, oder ein junger Mann, der in die Frühzeit seines Lebens ein Abenteuer von epischer Breite und Wucht gelegt hat. Die Wahrscheinlichkeit, daß einer von diesen beiden Fällen eintritt, scheint geringer zu sein als eins zu einer Million. Aber mit welcher Zahl ließe sich der Seltenheitskoeffizient von jemandem ausdrücken, der diese beiden Fälle in sich vereint! Tatsächlich ist diese glückhafte Verkettung von unserem erstaunlichen Zeitalter hervorgebracht worden, in dem wir alle mit verhaltenem Atem sitzen und Katastrophen erwarten. Es erscheint »Oberst Lawrence« (er pflegt sich selbst in Anführungszeichen zu setzen) und er ist schon als Überbringer von Nachrichten aus dem Türkisch-Arabischen Krieg sagenhafter als jener Priester Johann, der bekanntlich oder nicht bekanntlich im Mittelalter christlicher König von Abessinien war. Bei näherem Hinsehen entpuppt er sich unwiderstehlich als der Verfasser eines der wenigen großen Heldenbücher der Weltgeschichte, – dabei hat er die Taten, von denen er erzählt, in einem Alter vollbracht, in dem junge Kompanieoffiziere kaum den Mund an der Kasinotafel aufmachen dürfen.

Das Schicksal eines Mannes, der seinen Pfeil verschossen hat, ehe er 30 wurde, und für den es keine Welten mehr zu erobern gibt, läßt sich bewegend mit dem Los eines Genies vergleichen, das unbeweint stirbt, ohne Ehren und Ruhm, und das nach einem Jahrhundert ausgegraben wird und zur Unsterblichkeit kommt. Niemand ist in der Lage, zu entscheiden, welches Los beneidenswerter ist. Aber es wird gemildert, wenn der Held als zweite Sehne am Bogen literarische Fähigkeiten besitzt; und Lawrence ist damit auf das reichste gesegnet. Er kann jeden Schauplatz, jede Persönlichkeit, jeden Vorgang durch seine einfache Art der Beschreibung mit solcher Lebendigkeit vor uns erstehen lassen, daß wir mehr davon erfüllt sind, als wenn wir mit eigenen Augen und Ohren dabeigewesen wären. Von 1000 Beobachtern würden 999 die Einzelheiten nicht bemerkt haben, von denen sein Bericht strotzt. Wenn er zum Beispiel den Aufbruch von Faisals bunten Scharen so plastisch geschildert hat, wie er ihn selbst erlebte, haben wir gleichzeitig auf das deutlichste erfahren und empfunden, wie ein Araber auf ein Kamel steigt, wie er seine seltsame Gewandung für den Ritt sich zurechtfaltet, und wie er es außerdem fertigbringt, seinen Sklaven (falls er einen besitzt) mit sich zu führen, wie ein Europäer seinen Mantelsack mit sich führt. Was die Schilderung des Landschaftlichen anlangt, so hat kein zeilenfüllender Romanschreiber mit seinem chronischen Stoffmangel jemals auch nur annähernd Lawrences seltene Fähigkeiten auf diesem Gebiet erreicht. Und solche Beschreibungen wirken nicht – wie sonst immer –, als wären sie in den Text hineingeflickt: sondern sie sind so sehr in das Wesen seines Buches verwoben, daß wir nicht für einen Augenblick das Gefühl für den Wüstenpfad, auf dem wir dahinziehn, verlieren, für die Berge um uns und über uns, für die bösen Launen des Klimas, für Nacht und Morgen, für Sonnenuntergang und Mittagsglut.

Ganz spontan empfindet man auch das Wesen der Leute, mit denen uns der Autor bekannt macht: man hört den Klang ihrer Stimme, man sieht den wechselnden Ausdruck ihrer Gesichter, und all das ohne die Plackerei, mit der ein Leser in anderen Fällen sich solche Eindrücke erarbeiten muß. Lawrence ist von magischer Klarheit: was er schildert, ist überzeugend wie die Wirklichkeit und geheimnisvoll wie eine schöne Opernvorstellung. Alles, was er beschreibt, ist so vielstimmig wie eine Orchesterpartitur. Die leuchtenden Höhen von Abenteuerromantik heben sich deutlich von einem Inferno gequälter Leiber und beschwerter Seelen ab, und man ist froh, unter ihnen gelegentlich einmal einen hundsgemeinen Schurken zu treffen, nur damit man über ihn lachen kann. Lawrence besitzt eine Miltonsche Düsterkeit und Größe; gelegentlich weichen die Zweifel seines Gemüts und die Unrast seines Herzens einem fast teuflischen Humor und einer provozierenden Tollkühnheit.

Aus dem »Spectator«.    

Einleitung: Leben und Taten des Oberst Lawrence

Als das britische Weltreich geschaffen oder besser aus zufälligen, der Gunst des geschichtlichen Augenblicks zu dankenden Eroberungen entstanden war, fehlte zuletzt noch ein wichtiges Verbindungsglied, das die in sämtlichen Erdteilen verstreuten Stücke zusammenschloß. Zwar besaß oder beherrschte man den durch Suezkanal und Rotes Meer führenden Seeweg nach Indien und den fernasiatischen Besitzungen, doch war es eben nur die eine, durch einzelne Stützpunkte gesicherte Wasserstraße, und zweitens blieb sie gerade an ihrer empfindlichsten Stelle ständig bedroht, solange die Gebiete nördlich des schmalen, von Kanal und Rotem Meer gebildeten Durchlasses in fremden Händen waren. Diese fast ganz von Arabern bewohnten Länder: Palästina, Syrien, Mesopotamien und die arabische Halbinsel, gehörten seit vielen Jahrhunderten zum Osmanischen Reich, einem überalterten und in der bestehenden Form kaum mehr lebensfähigen Gebilde. Die britische Regierung hat von jeher die in der Politik so wichtige Kunst des Abwartens verstanden. Sie sah dem langsamen Absterben des »kranken Mannes am Bosporus« ruhig zu und sorgte nur dafür, daß ihr selbst keine Zukunftsmöglichkeiten abgedrosselt würden. So ließ England die unter deutscher Leitung in Bau begriffene Bagdadbahn, die vom Bosporus zum Persischen Golf führen sollte, gewissermaßen in einer Sackgasse endigen und nahm das letzte und wichtigste Stück von Bagdad bis Basra unter eigene Kontrolle. Denn der sichere Besitz des Persischen Golfs mit dem Ausgang zum Indischen Ozean war eine der Voraussetzungen für die weit ausgreifenden Pläne Großbritanniens.

Mit der jungtürkischen Revolution und ihren Folgen – weitere bedeutende Gebietsverluste und die Balkankriege von 1912 und 1913 – trat eine akute Krise ein. Die überstürzten Versuche, sich durch Reformen in zwölfter Stunde den Daseinsbedingungen der Zeit anzupassen, führten nur zu einer weiteren Lockerung der an sich schon längst brüchigen, das weite Reich kaum mehr zusammenhaltenden Klammern. Sobald die Jungtürken die von Europa übernommene Nationalidee für das eigene Volk in Anspruch nahmen und als Kampfruf auf ihre Fahne schrieben, wurde der gleiche Gedanke auch von den nichttürkischen Völkerschaften des Reichs aufgegriffen und auch von ihnen zur Forderung erhoben. Das galt besonders von den Arabern, die als ein altes Kulturvolk mit großer Vergangenheit die wenn auch nur lässige Oberherrschaft der aus Asien eingewanderten Türken stets unwillig ertragen hatten. Die neuen, von Konstantinopel ausgehenden Türkisierungsbestrebungen weckten nun aber erst recht das Rassenbewußtsein der Araber. In den arabischen Ländern – fast die Hälfte des Osmanischen Reichs – begann es zu gären. Vielerorts, namentlich unter der städtischen Bevölkerung, bildeten sich Geheimbünde mit dem Ziel der Wiedergewinnung der arabischen Unabhängigkeit.

England besitzt ein sehr fein entwickeltes Gehör für unterirdische Vorgänge, und so nahm es auch sehr bald das leise Grollen unter den arabischen Volksteilen des Türkischen Reichs wahr. Anzeichen deuteten darauf hin, daß in absehbarer Zeit vielleicht die Stunde nahen könnte, um lang gehegte Wünsche zu verwirklichen. In Voraussicht dessen wurde im Jahre 1913 auf Veranlassung Lord Kitcheners, des damaligen Oberbefehlshabers in Ägypten, eine Expedition nach der Sinaihalbinsel und dem südlichen Palästina entsandt, die offiziell archäologische Forschungen vornehmen sollte und unter dieser wissenschaftlichen Tarnung auch die Genehmigung der türkischen Behörden erhielt. In Wahrheit aber hatte sie den geheimen Auftrag, ein vielleicht zukünftiges Aufmarschgebiet auf seine Möglichkeiten für Truppenbewegungen zu erkunden und die unzulänglichen Karten danach zu verbessern und zu vervollständigen. Zu dieser Expedition gehörte auch ein junger, eben fünfundzwanzigjähriger Gelehrter, Archäologe seines Zeichens, der dank seiner Kenntnis der arabischen Sprache und seiner Erfahrung im Umgang mit der Bevölkerung wertvolle Dienste leistete. Sein Name war Thomas Edward Lawrence.

Nun ist es eine Eigentümlichkeit des britischen Weltreichs, daß es, zum mindesten in seinen wichtigsten Teilen, von Außenseitern, Abenteurern könnte man sagen, von Privatmenschen auf eigene Verantwortung und oft auch eigene Kosten zusammengebracht worden ist. Es begann mit den elisabethanischen Freibeutern, setzte sich fort über einen Drake, Raleigh, Clive bis zu Cecil Rhodes, dem Begründer Südafrikas, und schließlich T. E. Lawrence, dessen Name untrennbar mit dem Einbau des Schlußstücks jenes riesigen Gebäudes verknüpft ist.

Wie die meisten dieser Wegbereiter des Empire fiel auch Lawrence nach Art und Wesen aus dem gewohnten Rahmen heraus, war ein Einzelgänger, stand außerhalb aller Norm und Regel, zeigte Absonderlichkeiten und Exzentrizitäten, wofür übrigens seine durchschnittlich sehr korrekten Landsleute immer viel Verständnis haben. So zum Beispiel legte er auf seine äußere Erscheinung gar keinen Wert, wie das auch von Cecil Rhodes berichtet wird, und erschien oft in geradezu »vagabundenhaftem« Aufzug. Mit Cecil Rhodes hatte er auch das gemeinsam, daß in beider Leben das weibliche Element nie auch nur die geringste Rolle gespielt hat.

Schon Lawrences Aussehen war ungewöhnlich. Er hatte eine kleine zierliche Gestalt – »wie eine kirkassische Tänzerin«, hat ihn einer charakterisiert. Auch sein Gesicht hatte, wenigstens in der Mittelpartie, mit den graublauen, meist etwas verschleierten Augen etwas Mädchenhaftes. Darüber aber erhob sich eine hochgewölbte, sehr männliche Stirn, und ihr Gegenpart bildete die langgezogene, stark ausgeprägte, eckige und harte Kinnpartie. Dieses Äußere spiegelte die beiden Hauptseiten seines Wesens. Denn er war ein kühler Tatmensch von nie erlahmender Zähigkeit und Willenskraft und zugleich ein phantasievoller Träumer oder besser Visionär – eine Polarität, wie man sie gemeinhin bei den als nüchtern und praktisch geltenden Engländern nicht so selten findet, und die oft gerade ihren schöpferischen Staatsmännern eigen war. Überblickt man das Werden des britischen Weltreichs, so könnte man fast sagen, das Phantastische wurde Ereignis.

Was Lawrence geworden ist, hat er nur sich selbst zu verdanken. Er entstammte einer verarmten Familie, die nach langem Aufenthalt in Irland nicht mehr recht im englischen Heimatboden Wurzel fassen konnte. Die Eltern zogen unstet von Ort zu Ort, bald diesseits, bald jenseits des Kanals, bis dann nach dem Tode des nie recht eine Beschäftigung findenden Vaters die Mutter sich in Oxford niederließ, wo sie ihre fünf Söhne schlecht und recht durchbrachte. Die Mittel zum Schulbesuch und erst recht zum Universitätsstudium erhielt der junge Lawrence durch Stipendien, die zu erwerben seiner großen Begabung nicht übermäßig schwer fiel. Im übrigen suchte er sein eigener Herr zu bleiben, hielt sich abseits des an englischen Schulen so stark ausgeprägten Gemeinschaftslebens und überließ sich, ein Verächter jeder Regel und Ordnung, unbekümmert den beiden starken Antrieben seiner Natur. Sie standen in innerem Zusammenhang. Es war ein Schweifen in die Ferne, körperlich wie geistig. Tagsüber war er meist unterwegs, allein immer auf weiten Fahrten zu Rade durch das Land, erweitert in den Ferien zu einsamen Wanderungen durch fremde Länder. Später trat das Motorrad an die Stelle, was seiner Lust an Bewegung noch mehr entgegenkam, und was ihm schließlich auch zum Verhängnis wurde.

Nachts durchstreifte er ebenso ruhelos das weite Reich des Geistes. Er las und las, auf einer Decke oder Matratze liegend, um gleich an Ort und Stelle zwischendurch schlafen zu können. Meist hatte er gleichzeitig sechs Bände aus der Oxforder Bibliothek entliehen, die er nach wenigen Tagen umtauschte. Bücher und Motorrad waren die einzigen Besitztümer, auf die er Wert legte. Für Geld und Geldeswert hatte er kaum Sinn, daran fehlte es ihm auch immer.

Bei aller Willkür und Absonderlichkeit seiner Lebensführung, über die seine englischen Biographen nicht genug erzählen können, darf man indessen nicht übersehen, daß die Formung seines Wesens doch der gültigen Norm entsprach. Vor allem eignete er sich eine gründliche humanistisch-klassische Bildung an, die jenseits des Kanals noch heute als unerläßlich angesehen wird für den Begriff des wahren »gentleman« oder, vielleicht etwas enger, aber genauer ausgedrückt, für den, der der führenden Schicht des Volkes angehören oder zu ihr aufsteigen will. Diese Führerschule ist vor allem Oxford; und seiner sehr ausgesprochenen Prägung konnte und wollte sich auch Lawrence nicht entziehen, der seine gesamten Lehr- und Bildungsjahre dort verbrachte. Im Grunde war und blieb er durch und durch Engländer. (Für den Außenstehenden ist das leichter erkennbar.) Er beherrschte zum Beispiel die griechische Sprache so sicher, daß er noch in späteren Jahren, wo andere ihre Schulkenntnisse längst vergessen haben, in Mußestunden eine Homerübersetzung anfertigte und herausgab.

Sehr merkwürdig nun, wie der junge Wissenschaftler auf eine ihm unbewußte, gleichsam magische Weise von der seltsamen, einzig noch bestehenden Lücke im Bau des britischen Weltreiches angezogen wurde, wo noch Aufgaben winkten, die seiner ungewöhnlichen Natur entsprachen. Wesen und Werk fanden, wie vom Schicksal bestimmt, zueinander. Seine Neigung war von Jugend an die Archäologie. Wie ein Wiesel war er überall hinter Scherben von römischen und mittelalterlichen Tongefäßen her, sammelte unermüdlich Abbildungen von alten Kirchen und Grabplatten und wurde zu einem Meister im Dachklettern, um von irgendeinem Turm oder Giebel aus neue architektonische Sehwinkel für photographische Aufnahmen zu gewinnen.

Allmählich spezialisierte er sich auf mittelalterliche Burgen und Befestigungswerke. Er erforschte sie auf einer Ferienwanderschaft durch Frankreich. Die Burgen führten ihn zur Beschäftigung mit der Kriegsbaukunst; diese wiederum erforderten zu ihrem Verständnis die Erforschung der damit verknüpften Belagerungsoperationen, fernerhin das Studium der Feldzüge und der Strategie überhaupt. Der angehende Gelehrte erwarb also auf diesem Umwege Kenntnisse, die ihn auf eine spätere, ganz außerhalb seines Faches liegende, vorwiegend militärische Aufgabe vorbereiteten.

Aber weiter. Da er sich mit dem Mittelalter befaßte, wurde er ganz von selbst auf die Kreuzzüge geführt. Damit war eigentlich schon das Stichwort gefallen, der Endpunkt der merkwürdigen Spirale erreicht. Denn die großen Kämpfe zwischen Abend- und Morgenland hatten sich zumeist gerade in jenen arabischen Gebieten abgespielt, die dem britischen Reich des zwanzigsten Jahrhunderts zu seinem sicheren Zusammenschluß noch fehlten.

Lawrence wählte für seine Dissertation das Thema: »Der Einfluß der Kreuzzüge auf die mittelalterliche Kriegsbaukunst Europas«. Vor der Ausarbeitung beschloß er, auch noch die Schlösser der Kreuzfahrer in Syrien aufzusuchen, und betrat so auf einer Ferienreise zum ersten Male das Land, das ihn sobald nicht wieder loslassen sollte.

Nach seiner Art durchstreifte er ganz allein und zu Fuß mit wenig Geld und noch weniger Gepäck vier Monate lang in der heißesten Jahreszeit kreuz und quer die Länder zwischen Jordan und Euphrat. Der Oxforder Student entsagte allen gewohnten Vorzügen europäischer Zivilisation. Er wanderte von Dorf zu Dorf, aß mit den Bewohnern aus der gemeinsamen Schüssel, wobei die Finger Messer und Gabel ersetzen mußten, und übernachtete in ihren ärmlichen Behausungen. Was das heißt, kann nur der ermessen, der je in den von Schmutz und Ungeziefer starrenden Lehmhütten der Beduinen vergebens Schlaf zu finden suchte. Aber bei dieser Art des Reisens erlernte er rasch die Sprache der Araber, drang in ihre Denk- und Lebensweise ein und erwarb sich Übung in dem oft recht schwierigen Umgang mit ihnen – wiederum die beste Vorbereitung auf die Aufgabe, die, ihm noch unbekannt, seiner wartete.

Nachdem er auf der Universität seinen Grad erworben hatte, kehrte er sehr bald wieder nach dem Orient zurück. Zusammen mit andern leitete er die von einer britischen wissenschaftlichen Gesellschaft unternommenen Ausgrabungen einer alten Hettiterstadt in Djerablus am oberen Euphrat, und zwar – seltsames Spiel des Zufalls – just an einer Stelle, in deren unmittelbarer Nachbarschaft deutsche Ingenieure die große Brücke über den Euphrat bauten im Zug der England so mißliebigen und auch nie vollendeten Bagdadbahn.

Dort in Djerablus blieb er vier Jahre, bis er 1913 zu der getarnten Erkundungsexpedition nach dem Sinai, wie oben erwähnt, abberufen wurde und so zum erstenmal in geheimem Auftrag in den Dienst seines Vaterlandes trat.

Inzwischen spitzten sich die nationalen Gegensätze zwischen Türken und Arabern immer mehr zu. Bereits im Februar 1913 erschien Emir Abdullah, einer der Söhne Husseins, Großscherifs von Mekka und Vasalls des Sultans, bei Lord Kitchener in Kairo und teilte ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit, daß sein Vater den kühnen Wunsch hege, die türkische Oberherrschaft abzuschütteln und für den Hedschas mit den Heiligen Städten Mekka und Medina die Unabhängigkeit zu erkämpfen. Der Abgesandte fand, wie sich denken läßt, einen sehr verständnisvollen Zuhörer.

Während des Weltkrieges wurden die vor seinem Ausbruch angeknüpften Fäden weitergesponnen. Nach langem Hin und Her und schwierigen Verhandlungen gelang es England Anfang des Jahres 1916, den mißtrauischen Hussein aus seiner vorsichtigen Reserve herauszulocken. Gegen das Versprechen, Herrscher eines unabhängigen arabischen Reichs zu werden, sollte Großscherif Hussein die Fahne des Aufstands gegen den türkischen Oberherrn entrollen. Die britische Zusage enthielt nichts über Größe und Grenzen des zukünftigen Araberstaates, auch waren einige unbestimmte Vorbehalte eingeflochten.

Es ist nicht anzunehmen, daß der verschlagene und in allen Winkelzügen der Diplomatie erfahrene Hussein sich über die Doppelsinnigkeit und Verzwicktheit der Paktabmachungen getäuscht haben sollte, da er verschiedene Einwendungen erhob. Aber ein längeres Zögern hätte die ganze Erhebung überhaupt in Frage stellen können. Dem Türken war das geheime Spiel zwischen Mekka und Kairo natürlich nicht verborgen geblieben. Dschemal Pascha, der allmächtige Oberbefehlshaber von Syrien und Palästina, schlug mit starker Hand zu. Er ließ eine ganze Anzahl Verdächtiger aus den ersten arabischen Familien ohne viel Federlesens aufhängen, viele andere wurden in entfernte Reichsteile verbannt. Faisal, einer der Söhne Husseins, von dem in diesem Buch viel die Rede ist, weilte damals als widerwilliger Gast im Hauptquartier Dschemals. Er wurde genötigt, der Hinrichtung seiner arabischen Gesinnungsgenossen zuzusehen. Diese Abschreckungsmaßnahmen unterdrückten die geplante Erhebung in Syrien und verhinderten später auch die tätige Mitwirkung der dortigen Bevölkerung bei dem arabischen Vormarsch.

Gleichzeitig wurde von der türkischen Heeresleitung eine starke Truppenmacht entsandt, um Mekka und Medina zu besetzen. Damit sah Großscherif Hussein nicht nur seine eigene Herrschaft, sondern auch seine schönen Zukunftsträume gefährdet. Es blieb ihm nichts übrig, als rasch zu handeln, ohne mit England ganz ins klare gekommen zu sein.

So brach denn der Aufstand vorzeitig und schlecht vorbereitet im Juni 1916 aus. Nach einigen ersten Überraschungserfolgen kam der Rückschlag. Die aus Beduinenstämmen hastig zusammengeraffte Armee Husseins glich mehr »einer Horde wild gewordener Derwische«, wie sich ein Engländer nicht unzutreffend ausdrückte; gegen die geschulten türkischen Truppen vermochten sie wenig auszurichten. Der Sturm der ersten Begeisterung flaute merklich ab. Der ganze Aufstand drohte zusammenzubrechen, wenn ihm nicht von außen frisches Leben zugeführt wurde. Darüber waren sich London und Kairo nicht einig. Die britische Regierung, die überhaupt den Vorgängen im fernen Arabien nur geringe und jedenfalls keine entscheidende Bedeutung beimaß, war geneigt, das anscheinend wenig aussichtsreiche und zudem sehr kostspielige Unternehmen ganz fallen zu lassen. Das Hauptquartier in Kairo sah dagegen in der arabischen Erhebung sein ureigenstes Werk und wollte das Begonnene, wenn irgend möglich, auch zu Ende führen.

Lawrence, der Leutnantsrang erhalten hatte, war bis dahin beim Nachrichtendienst in Kairo beschäftigt, wo seine arabischen Kenntnisse und Erfahrungen am besten verwendet werden konnten. Im Frühjahr 1916 spielte er, wie einer seiner Biographen berichtet,aus weiter Ferne eine geheimnisvolle Rolle bei der »Eroberung« von Erserum durch die russische Kaukasusarmee – nach einer auffallend schwachen Verteidigung durch die Türken. Ermutigt durch diesen Erfolg, wurde Lawrence kurz darauf in geheimer Mission nach Mesopotamien entsandt, wo der britische General Townsend mit seiner Truppe bei Kut el Amara rettungslos eingeschlossen war. Lawrence hatte den Auftrag, den türkischen Oberbefehlshaber Halil Pascha zu bestimmen, gegen die großzügige Abfindung von einer Million Pfund Sterling den englischen Truppen freien Abzug aus Kut el Amara zu gewähren. Aber diesmal mißglückte der Versuch mit den silbernen Kugeln.

Lawrence gehörte zu den wenigen begeisterten Anhängern des arabischen Aufstands. Als nun die Lage kritisch wurde, entsandte man Sir R. Storrs, Sekretär der Britischen Residentschaft in Kairo, nach dem Hedschas, um festzustellen, welche Aussichten noch für die Erhebung beständen und wie man ihr den Rücken stärken könnte. Lawrence benutzte einen Urlaub, um sich ihm anzuschließen. Mitte Oktober 1916 landeten sie in Dschidda, der Hafenstadt Mekkas. An dieser Stelle setzt die Erzählung ein, der wir hier nicht vorgreifen wollen. Sie schließt mit dem siegreichen Einzug in Damaskus zwei Jahre später.

Es bleibt noch übrig, einen kurzen Blick auf die ferneren Ereignisse zu werfen.

Lawrence, mit dreißig Jahren Oberst geworden, blieb nur wenige Tage in Damaskus. Nach dem feierlichen Einzug Faisals nahm er Urlaub und reiste nach London. Nun an Stelle des Waffengangs die Politik getreten war, fühlte er sich als Christ und Fremdling fehl am Platze. Mehr noch schmerzte ihn die Scham, seinen Freunden unerfüllbare Versprechungen gemacht oder – wie er selbst sagt – »die höchsten Ideale und die Freiheitsliebe der Araber als bloße Werkzeuge im Dienste Englands ausgebeutet zu haben«. Nach seiner Rückkehr in die Heimat sandte er die ihm für seine Verdienste um den arabischen Aufstand gewordenen Auszeichnungen an seinen König und dessen Verbündete zurück.

Die Auseinandersetzungen unter den verbündeten Mächten über die Siegesbeute im Orient zogen sich über Jahre dahin. In das wirre Gestrüpp der Verhandlungen, der kreuz und quer laufenden Interessen und Ansprüche, der fortwährend wechselnden Ereignisse, der geheimen wie offenen Kämpfe einzudringen, erscheint an dieser Stelle nicht notwendig. Die Darlegung würde ein Buch für sich erfordern. Es genügt, aufzuzeigen, was schließlich aus den arabischen Ländern geworden ist.

Faisal wurde zuerst König von Syrien. Als aber auf der Konferenz von San Remo 1920 Frankreich das Mandat über ganz Syrien zugesprochen wurde, mußte Faisal das Land verlassen. Doch erhielt er von Großbritannien ein anderes Königreich in Gestalt des neugeschaffenen Irak, im Gebiet von Mesopotamien. Ein anderer Sohn des Großscherifs Hussein, Emir Abdullah, erhielt die Herrschaft über das ebenfalls neu errichtete Transjordanien, das sich im Westen an Irak anschloß. Das mit der Sinaihalbinsel unmittelbar an Ägypten angrenzende Palästina nahm England als ihm zuerteiltes Mandat unter eigene Verwaltung. So hatte sich Großbritannien die gewünschte Landbrücke von Ägypten nach dem Persischen Golf geschaffen. Dabei konnte es den Teilkönigreichen in der unter seinem Einfluß stehenden Zone ein sehr weites Maß von Selbständigkeit zubilligen.

Auch der alte Hussein sah seinen Traum, wenn auch längst nicht in dem erhofften Umfang, verwirklicht. Er erhielt den Hedschas als selbständiges Königreich. Doch wurde sein ruheloser Ehrgeiz – hatte er sich doch sogar die freigewordene Kalifenwürde zugelegt – England bald unbequem. Als dann Ibn Saud, der sich zum Herrscher von ganz Mittelarabien gemacht hatte, noch weiter vordrang und seine Wahhabitenkrieger den Hedschas überrannten, ließ England König Hussein fallen und erkannte die Eroberung Ibn Sauds an, nachdem es vorher noch den strategisch wichtigen Hafen Akaba mit seinem Hinterland vom Hedschas abgetrennt und Transjordanien zugewiesen hatte. König Hussein starb wenige Jahre danach im Exil.

Lawrence nahm an der Regelung der arabischen Angelegenheiten tätigen Anteil. Zuerst während der Pariser Friedenskonferenz mit wenig Glück als Fürsprecher König Faisals, später dann mit mehr Erfolg in amtlicher Eigenschaft als Berater des damaligen britischen Kolonialministers Winston Churchill. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß die endgültige Gestaltung Arabiens zum guten Teil seinem Einfluß zuzuschreiben ist. Jedenfalls fühlte er seine Ehre wiederhergestellt und sah die Versprechungen, mit denen er die Araber in den Aufstand getrieben hatte, im Rahmen des Erfüllbaren eingelöst. Mehr war nicht zu erreichen gewesen. Er hatte den Arabern die Möglichkeit verschafft, sich selbst unter eigener Verantwortung zu regieren und damit den Weg des Aufstiegs zu betreten.

Von da ab verliert sich sein Leben in ein mystisches Halbdunkel. Es hat den Anschein, als wäre er ständig auf der Flucht vor der Öffentlichkeit, während gerade durch seine Absonderlichkeiten die Welt immer wieder auf ihn aufmerksam wird. Seltsame Gerüchte laufen um, und wo in irgendeiner Ecke der Erde ein Brand entsteht, glaubt man die Hand des »geheimnisvollen Obersten« im Spiel. Was daran richtig, was falsch ist, kann vorläufig nicht ermittelt werden; das ruht in den Geheimakten britischer Archive.

Tatsache bleibt, daß der ehemalige Oberst im Jahre 1923 unter dem angenommenen Namen »Ross« als einfacher Soldat in das englische Heer eintritt, unter Verpflichtung zu elfjährigem Dienst. Was ihn dazu veranlaßt hat, weiß im Grunde niemand, soviel Deutungen auch gegeben wurden. Anfangs ist er bei einer Fliegertruppe. Aber ein früherer Kamerad erkennt ihn und verkauft die Sensationsnachricht gegen ein ansehnliches Honorar an die Tagespresse. Dadurch wird gewaltiger Staub aufgewirbelt, und das Luftfahrtministerium sieht sich veranlaßt, Lawrence, alias Ross, aus der königlichen Luftflotte auszuschließen. Jede Erwähnung seines Namens wird verboten. Sehr merkwürdig, muß man sagen.

Unter dem neuen Namen »Shaw« taucht er nun bei einem Tankkorps unter. Nach zwei Jahren wird er in die Fliegertruppe zurückversetzt, dann nach Indien und hält sich dort an der äußersten Nordwestgrenze just in dem Augenblick auf, als im benachbarten Afghanistan die Revolution ausbricht. Wiederum wird durch eine Indiskretion bekannt, daß der Flieger Shaw kein anderer als der berühmte Oberst Lawrence ist, und wieder sieht sich die britische Regierung genötigt, einzugreifen und ihn offiziell nach England zurückzuschicken. Die englische Presse meldete, daß T. E. Lawrence nach seiner Rückkehr bei einem Flugzeugunglück am 7. Februar 1931 tödlich verunglückt und in Cattwater mit militärischen Ehren begraben worden wäre.

Er soll wieder aus der Armee entfernt werden, aber darf bleiben, wenn er sich bestimmten Bedingungen unterwirft. Diese lauten: Strikte Beschränkung auf die Alltagspflichten eines gewöhnlichen Flugzeugwärters; keinerlei Flüge; keine Auslandsreisen, auch nicht nach Irland; weder Besuche bei irgendwelchen politischen Persönlichkeiten, noch Gespräche mit solchen.

Während des Restes seiner Dienstzeit beschäftigt er sich mit Konstruktion von Motorboottypen, die Wasserflugzeugen in der Nähe der Küste rasch Hilfe bringen sollen, und mit einer Prosaübersetzung der Odyssee, die in dieser Zeit erscheint.

Im Frühjahr 1934 ist er wieder Privatmann und zieht in ein kleines Landhaus in Wessex mit seinen Büchern und seinem Motorrad. Ein Jahr darauf, im Mai 1935, verunglückt er bei einer Motorradfahrt, als er einem Radfahrer ausweichen will, und zieht sich einen schweren Schädelbruch zu.

Während seines Krankenlagers werden täglich Bulletins über seinen Zustand ausgegeben. Der König schickt seinen Leibarzt. Das Lazarett, in dem er liegt, wie auch sein Landhaus werden von besonders ausgewählten Militärposten bewacht: niemandem wird der Zutritt gestattet.

Nach acht Tagen ist Lawrence seinen Verletzungen im Alter von 46 Jahren erlegen. Ganz England ehrte den Toten. Minister Churchill sagte über ihn: »Ich hatte die Ehre, sein Freund zu sein; ich kannte ihn gut und hoffte es noch zu erleben, daß er eine führende Rolle in den Gefahren übernehmen werde, die England jetzt bedrohen. Seit vielen Jahren hat das Britische Reich kein so schwerer Schlag getroffen wie sein vorzeitiger Tod. Er war ein Mann, wie man ihn unter fünfzig Millionen nicht wieder findet.«

Im Juli 1935

Dagobert von Mikusch

1. Storrs landet in Djidda

Als wir endlich im Außenhafen von Djidda vor Anker gingen, angesichts der weißen Stadt, die schwebend hing zwischen dem flammenden Himmel und seiner Spiegelung, die leuchtend über die weite Lagune hin wallte, da kam Arabiens Glut gleich einem gezückten Schwert über uns und machte uns stumm. Es war ein Oktobermittag des Jahres 1916, und die steile Sonne hatte, wie Mondlicht, alle Farben ausgelöscht. Man sah nur Licht und Schatten, weiße Häuser und schwarze Straßenschlünde; davor der fahl schimmernde Dunst über dem Innenhafen; dahinter breitete sich in blendendem Glanz ein meilenweites Meer von Sand und verlor sich gegen den Saum einer niedrigen Hügelkette, die nur eben wie hingehaucht lag in dem fernen Geflimmer der Hitze.

Hart nördlich von Djidda lag eine zweite Gruppe schwarzweißer Gebäude, die in der Spiegelung wie Kolben auf und ab tanzten, während das Schiff vor Anker rollte und einzelne Windstöße Glutwellen durch die Luft trugen.

Oberst Wilson, der britische Geschäftsträger beim jungen arabischen Staat, hatte uns seine Barkasse entgegengeschickt; und erst als wir den Fuß an Land setzten, überzeugten wir uns von der Wirklichkeit dieser schwebenden Fata Morgana. Unser Weg zum Konsulat führte uns an dem weißen Mauerwerk der noch unfertigen Hafenmole vorbei und durch die enge, stickige Gasse der Lebensmittelhändler. Allerorten, vom Dattelverkäufer bis zu den Fleischbänken, schwirrten Scharen von Fliegen gleich Stäubchen in den schmalen Sonnenstreifen, die durch die Ritzen und Löcher der hölzernen und sackleinenen Schutzdächer bis in die dunkelsten Winkel der Buden stachen. Die Luft war wie ein heißes Bad.

Wir erreichten das Konsulat; und daselbst, in einem schattigen Raum, ein offenes Gitterfenster im Rücken, saß Wilson, in hoffnungsvoller Erwartung der frischen Brise von der See, die in den letzten Tagen ausgeblieben war. Er erzählte uns, daß Scherif Abdulla, der zweite Sohn Husseins, Großscherifs von Mekka, soeben in der Stadt eingezogen sei. Ronald Storrs und ich waren von Kairo aus das Rote Meer heruntergefahren, um uns mit Abdulla zu unterreden. Dieses gleichzeitige Eintreffen war also eine glückverheißende Fügung; denn Mekka, die Hauptstadt des Scherifats, ist für Christen unzugänglich, und Geschäfte, wie die Storrs', konnten füglich nicht durchs Telephon erledigt werden. Meine Anwesenheit segelte unter der Flagge einer Vergnügungsreise; Storrs aber, Orientalist und Sekretär bei der Residentschaft in Kairo, war der Vertrauensmann Sir Henry Mc Mahons bei all den heiklen Verhandlungen mit dem Scherif von Mekka. Die glückliche Vereinigung seiner Landeskenntnis mit der Erfahrung und dem Scharfsinn Sir Henrys und dem gewinnenden Wesen Claytons hatten einen so starken Eindruck auf den Scherif gemacht, daß diese ungemein schwierige Persönlichkeit in den bedingten Abmachungen eine ausreichende Sicherung sah, um den Aufstand gegen die Türkei zu beginnen, und daß er auch späterhin England die Treue hielt während eines an Wechselfällen und gefährlichen Krisen überreichen Krieges.

Abdulla erschien bei uns in feierlichem Aufzug, auf einer Schimmelstute reitend, mit einem Gefolge reichbewaffneter Sklaven zu Fuß und begleitet vom ehrfürchtig schweigsamen Gruß der Bevölkerung. Er war noch ganz erfüllt von seinem jüngsten Erfolg bei Taif und in glücklichster Stimmung. Ich selbst sah ihn zum erstenmal, Storrs hingegen war ein alter Freund von ihm und stand mit ihm auf bestem Fuß. Mein erster Eindruck von ihm, während sie miteinander sprachen, war der einer beständigen Vergnügtheit. Der Schalk saß ihm in den Augenwinkeln, und trotz seiner fünfunddreißig Jahre hatte er auch schon Fett angesetzt, vermutlich von allzu vielem Lachen. Er scherzte mit allen Anwesenden auf die liebenswürdigste Art. Als sich dann die Unterhaltung ernsten Gegenständen zuwandte, schien allerdings die Maske des Frohsinns zu verschwinden, wie er denn auch seine Worte mit Sorgfalt wählte und seine Gründe scharfsinnig darzulegen wußte. Freilich hatte er es auch mit einem Mann wie Storrs zu tun, der in der Diskussion hohe Anforderungen an seinen Gegenpart stellte.

Ich hielt mich beobachtend im Hintergrund und suchte mir ein Urteil über ihn zu bilden. Der Aufstand des Scherifs hatte in den letzten Monaten nur geringe Fortschritte gemacht (war sogar zum Stillstand gekommen: der Anfang vom Ende bei jedem Kleinkrieg) und meiner Meinung nach lag das an einem Mangel an Führung; denn nicht Verstand, Urteil, politische Einsicht, sondern nur die Flamme der Begeisterung vermochten die Wüste in Brand zu setzen. Mein Besuch galt hauptsächlich dem Zweck, den überragenden Führergeist für die Sache ausfindig zu machen und seine Eignung daraufhin zu prüfen, ob er den Aufstand bis zu dem mir vorschwebenden Ziel vorwärts zu tragen imstande wäre. Im Laufe des Gesprächs kam ich mehr und mehr zu der Überzeugung, daß der ausgeglichene, kühle und nüchterne Abdulla nicht der Prophet war, den ich suchte: vor allem nicht der Prophet mit dem Schwert, der allein – wenn die Geschichte wahr spricht – Erhebungen zu Erfolg zu führen vermag. Sein Wert mochte vielleicht später nach glücklichem Vollbringen zur Geltung kommen.

Storrs zog mich in die Verhandlung, indem er Abdulla nach seiner Ansicht über den gegenwärtigen Stand des Feldzugs fragte. Dieser wurde sofort ernst und sagte, er wünschte die Engländer von der dringenden Notwendigkeit ihrer sofortigen und persönlichen Mitwirkung bei der Sache zu überzeugen, was er folgendermaßen begründete:

Durch unser Versäumnis, die Hedjasbahn zu unterbrechen, seien die Türken in der Lage, fortgesetzt Truppen und Material zur Verstärkung nach Medina zu senden.

Faisal sei von der Stadt vertrieben worden; und der Feind sei bereits dabei, eine fliegende Kolonne aller Waffengattungen aufzustellen, um mit ihr gegen Rabegh vorzurücken.

Die Araber in den Bergen längs des Weges nach Rabegh seien infolge unserer Säumnis zu schwach an Artillerie, Maschinengewehren und sonstigem Material, um den Vormarsch ernstlich aufhalten zu können.

Hussein Mabeirig, der Scheikh der Rabegh-Harb, habe sich auf seiten der Türken gestellt. Sobald die Kolonne von Medina vorrücke, würden sich die Harb anschließen.

Danach also bliebe seinem Vater nichts anderes übrig, als sich an die Spitze seines Volkes von Mekka zu stellen und angesichts der Heiligen Stadt im Kampf zu sterben.

In diesem Augenblick läutete das Telephon: Der Großscherif wünschte Abdulla zu sprechen. Er wurde vom Stand unserer Unterredung unterrichtet und bestätigte sogleich, daß er äußerstenfalls so handeln würde. Die Türken würden nur über seine Leiche in Mekka eindringen. Das Telephon klingelte ab; Abdulla wandte sich ein wenig lächelnd zu uns und fragte, ob zur Verhütung solchen Unheils eine englische Brigade, wenn möglich aus mohammedanischen Truppen bestehend, in Suez transportbereit gehalten werden könne, um, wenn die Türken von Medina vorrückten, nach Rabegh geworfen zu werden. Was wir über diesen Vorschlag dächten?

Ich antwortete, daß ich seine Meinung der ägyptischen Regierung unterbreiten würde, daß aber England nur sehr ungern Truppen der entscheidenden Verteidigung Ägyptens entziehen würde (obgleich er nicht glauben dürfe, daß der Kanal irgendwie ernstlich durch die Türken bedroht sei), und daß England noch weniger geneigt wäre, etwa Christen zur Verteidigung der Heiligen Stadt zu Hilfe zu schicken, da gewisse mohammedanische Kreise in Indien, die an dem unverjährbaren Recht des Türkischen Reiches auf die Haramein festhielten, unsere Beweggründe und unser Handeln falsch auslegen würden. Ich glaubte aber, daß ich seine Vorschläge vielleicht wirksamer unterstützen könnte, wenn ich über die Rabegh-Frage auf Grund persönlicher Einsicht in die dortigen Verhältnisse und Stimmungen zu berichten in der Lage wäre. Auch würde ich Faisal gern sehen, um mich mit ihm über alles Notwendige zu besprechen, namentlich über die Möglichkeit einer längeren Verteidigung durch die Stämme seines Berglandes, wenn wir sie mit Material unterstützten. Mein Wunsch sei, von Rabegh die Sultanistraße gegen Medina hinaufzureiten bis zum Lager Faisals.

Storrs legte sich ins Mittel und unterstützte mich nach Kräften, indem er darauf hinwies, wie außerordentlich wichtig es für das Britische Oberkommando in Ägypten sei, durch einen geübten Beobachter eingehend und rechtzeitig über die Lage unterrichtet zu werden. Abdulla ging ans Telephon und versuchte die Einwilligung seines Vaters für meine Bereisung des Landes zu erhalten. Der Scherif nahm den Vorschlag mit entschiedenem Mißtrauen auf. Abdulla setzte die Gründe auseinander, wies auf die Vorteile hin und übergab dann Storrs das Hörrohr, der seine ganze diplomatische Kunst bei dem Alten spielen ließ. Storrs in vollem Schwung zuzuhören, war ein Genuß, allein schon der arabischen Sprache wegen, aber auch eine wirksame Lektion für jeden Engländer, wie man mit argwöhnischen und widerspenstigen Orientalen umzugehen hat. Es war schlechthin unmöglich, ihm länger als einige Minuten zu widerstehen, und auch in diesem Falle erreichte er seinen Zweck. Der Scherif verlangte wieder nach Abdulla und ermächtigte ihn, an Ali zu schreiben und ihm anheimzustellen, mir die Erlaubnis zum Besuch Faisals zu geben, falls er es für angemessen hielte und nichts Besonderes dagegen vorläge. Abdulla veränderte unter Storrs' Einfluß diesen bedingten Bescheid in eine klare schriftliche Anweisung an Ali, mich so schnell wie möglich mit guten Reittieren zu versehen und unter voller Sicherheit zum Lager Faisals zu bringen. Da das alles war, was ich, und ein gut Teil von dem, was Storrs begehrte, begaben wir uns zu Tisch.

Die Stadt Djidda hatte uns schon auf dem Weg zum Konsulat gut gefallen. Nach dem Mittagessen, als es ein wenig kühler war oder wenigstens die Sonne nicht mehr so hoch stand, machten wir uns daher auf den Weg, um geführt von Young, dem Sekretär Wilsons, einem Mann, der sich in den Dingen von einst besser auskannte als in den Dingen von heute, die Sehenswürdigkeiten zu besichtigen.

Djidda war in der Tat eine merkwürdige Stadt. Die Straßen waren schmale Gassen, im Basarviertel holzüberdeckt, und da, wo sie offen waren, blickte der Himmel nur durch einen schmalen Spalt zwischen den hohen Firsten der weißgetünchten Häuser. Diese, aus Korallenkalkstein gebaut, waren vier bis fünf Stockwerk hoch, durch viereckige Balken versteift und mit weiten Bogenfenstern versehen, die durch graue, vom Boden bis zum Dach laufende Holztäfelungen verbunden waren. Die Fenster in Djidda hatten keine Scheiben, dafür aber eine Fülle schönen Gitterwerks, und einige der Umrahmungen zeigten sehr feine Flachornamentik. Die schweren, zweiflügeligen Türen aus Teakholz waren reich geschnitzt, oft mit viereckigen Gucklöchern versehen und mit Angeln und Ringklopfern von kunstvoller Schmiedearbeit. Man sah auch viel Stuckplastik, und an älteren Häusern reichgeschnittene Steinknäufe und Pfosten an den zum Innenhof gehenden Fenstern.

Die ganze Bauweise erinnerte an den zierlichen Fachwerkstil aus dem Elisabethanischen Zeitalter, namentlich in der überladenen Manier von Cheshire, jedoch auf eine kapriziös spielerische Art bis zur äußersten Spitze getrieben. Die Fronten der Häuser waren filigranartig durchbrochen und getüncht, so daß sie aussahen wie aus Pappe geschnitten für irgendeine romantische Bühnendekoration. Jedes Stockwerk überragte das andere, kein Fenster saß gerade, und oftmals standen selbst die Wände schief. Djidda war fast wie eine tote Stadt, so lautlos und still. Die winkligen Gassen waren mit feuchtem, mit der Zeit festgetretenem Sand bedeckt, so daß man geräuschlos wie über einen Teppich schritt. Alle die Gitter und Nischen fingen jedes laute Wort ab. Es gab weder Wagen – dazu waren die Straßen zu schmal – noch Hufgeklapper, noch lärmendes Treiben. Alles war gedämpft, gedrückt und fast wie verstohlen. Die Haustüren schlossen sich lautlos, wenn wir vorübergingen. Man hörte kein Kindergeschrei, kein Hundegebell; und nur in dem noch halb schlafenden Basar sahen wir einige Fußgänger. Die wenigen, die wir trafen, magere Gestalten mit haarlosen, narbigen, wie von Krankheit verwüsteten Gesichtern und zusammengekniffenen Augen, glitten rasch und scheu an uns vorbei, ohne uns anzublicken. In ihren dürftigen weißen Kleidern, mit den Käppchen auf den geschorenen Schädeln, roten baumwollenen Überwürfen und bloßen Füßen sahen sie einer wie der andere aus, fast wie uniformiert.

Die Luft war tödlich beklemmend, wie leblos: nicht glühend heiß, sondern voll eines gewissen Moderduftes, eines Hauchs von Alter und Erschöpfung, wie wir ihn noch in keiner anderen Stadt gespürt hatten: keine Orgie von Gerüchen wie in Smyrna, Neapel oder Marseille, sondern ein Muff von Verbrauchtsein, von Ausdünstung vieler Menschen, von ständigem, heißem Badedunst und Schweiß. Man hätte meinen können, Djidda wäre seit Jahren von keinem frischen Windzug durchlüftet worden, und die Straßen bewahrten jahraus jahrein, seit die Häuser standen und solange sie stehen würden, immer die gleiche Luft. Im Basar gab es auch nichts Gescheites zu kaufen.

Am Abend läutete das Telephon; der Scherif wünschte Storrs zu sprechen und fragte ihn, ob wir Lust hätten, seine Musikkapelle zu hören. Storrs fragte erstaunt, was das für eine Kapelle wäre, und beglückwünschte Seine Heiligkeit zu dieser entschieden kulturfördernden Erwerbung. Der Scherif erzählte, daß beim Hauptquartier des türkischen Hedjas-Kommandos ein Trompeterkorps gewesen war, das jeden Abend vor dem Generalgouverneur gespielt hatte; und als der Generalgouverneur durch Abdulla bei Taif gefangengenommen wurde, geriet mit ihm auch seine Kapelle in Gefangenschaft. Die Kriegsgefangenen wurden zur Internierung nach Ägypten geschickt, mit Ausnahme der Kapelle, die in Mekka zurückbehalten wurde, um die Sieger mit ihren Weisen zu erfreuen. Scherif Hussein legte das Hörrohr auf den Tisch in seiner Empfangshalle, und wir, einer nach dem andern feierlich zum Apparat gerufen, hörten die Musik in dem fünfundvierzig Meilen entfernten Palast von Mekka. Storrs gab unser aller hoher Befriedigung Ausdruck, und der Scherif, seine Huld überbietend, erklärte, daß die Kapelle in Eilmärschen nach Djidda gesandt werden sollte, um bei uns im Hof zu spielen. »Und«, fügte er hinzu, »ihr macht mir dann das Vergnügen, mich von dort aus anzuläuten, damit ich euren Genuß teilen kann.«

Am nächsten Tag besuchte Storrs Abdulla in seinem Zelt außerhalb der Stadt beim Grab der Eva. Sie besichtigten zusammen das Lazarett, die Baracken, die städtischen Behörden und erfreuten sich an der Gastfreundschaft des Bürgermeisters und des Gouverneurs. Zwischendurch sprach man von Geld, vom Titel des Scherifs, seinen Beziehungen zu den übrigen Fürsten Arabiens und von der allgemeinen Kriegslage: unverbindliche Gemeinplätze, wie sie zwischen Gesandten zweier Regierungen üblich sind. Mich langweilte das, und ich hielt mich meist fern; denn es stand bei mir fest, daß Abdulla nicht der Führer war, den wir brauchten.

Als interessanter erwies sich die Gesellschaft von Scherif Schakir, Abdullas Vetter und bestem Freund. Schakir, ein Grande von Taif, war von Kindheit an Spielkamerad der Söhne des Großscherifs gewesen; und noch jetzt betrieb er alles – im Privat- wie im Staatsleben – gleichsam als Spiel im Großen, mit allen Mitteln seines Reichtums, seines Mutes und Selbstvertrauens. Nie zuvor war ich einem Menschen von so jäher Gemütsart begegnet: in einem Augenblick umspringend von frostiger Würde zu einem Wirbelwind von Ausgelassenheit – stürmisch, leidenschaftlich, kraftvoll, herrlich. Sein Gesicht, von Blatternarben bis auf die letzten Haarwurzeln zerfressen, spiegelte wie die Fensterscheibe eines fahrenden Wagens alles zugleich, was drinnen und draußen vorging. Bei der Belagerung von Taif hatte Abdulla den Oberbefehl gehabt; Schakir aber machte mit den Truppen einen ungestümen Vorstoß, der durch das Übermaß an Tollkühnheit fehlschlug. Die Araber wagten nicht, dem schon in eine Bresche Eingedrungenen zu folgen; und Schakir mußte umkehren, allein und unverwundet, seine Leute verfluchend und verlachend und wilden Hohn hinüberrufend zu dem verdutzten Feind, der sich dadurch rächte, daß er Schakirs schönes Haus in Taif mit Petroleum übergoß und es samt seiner kostbaren Sammlung arabischer Handschriften niederbrannte.

Am Abend kam Abdulla zum Diner zu Oberst Wilson. Wir empfingen ihn im Vorhof an der Treppe des Hauses. Hinter ihm kam sein glänzendes Gefolge von Bedienten und Sklaven, und hinter diesen eine bleiche Schar abgemagerter Gestalten mit bärtigen, kummervollen Gesichtern, in zerlumpte Uniformen gekleidet und verrostete Blechinstrumente tragend. Abdulla wies mit der Hand nach ihnen hin und krähte entzückt: »Meine Kapelle!« Wir brachten sie im Vorhof auf Bänken unter, und Wilson schickte ihnen Zigaretten, während wir zum Speisesaal hinaufstiegen, dessen Balkonläden in Hoffnung auf eine frische Seebrise weit und begierig geöffnet waren. Als wir uns gesetzt hatten, begann die Kapelle, unter den Flinten und Säbeln von Abdullas Gefolge, eine Reihe herzbrechender türkischer Weisen zu spielen, wobei jedes Instrument seine eigenen Wege ging. Uns taten von dem Lärm die Ohren weh; aber Abdulla strahlte.

Wir hatten genug von türkischer Musik und verlangten nach etwas Deutschem. Ein Adjutant trat auf den Balkon und rief der Kapelle auf türkisch zu, etwas Ausländisches zu spielen. Darauf stimmten sie, etwas wackelig zwar, »Deutschland über alles« an, just in dem Augenblick, als der Großscherif in Mekka an sein Telephon kam, um unserer Festmusik zu lauschen. Wir wollten noch mehr deutsche Musik hören, und sie spielten: »Ein feste Burg«. Mitten drin aber versackten sie in ersterbenden Dissonanzen der Trommeln. Die Felle waren durch die feuchte Luft Djiddas aufgeweicht. Sie riefen nach Feuer, worauf Wilsons Diener und Abdullas Leibwache ganze Haufen von Stroh und Kisten heranschleppten. Über der entfachten Glut wurden die Trommeln unter Hin- und Herdrehen erwärmt, und dann legten sie los mit etwas, wovon sie behaupteten, es sei der »Haßgesang«; aber wir konnten darin nichts irgendwie Europäisches entdecken. Einer der Gäste wandte sich an Abdulla und sagte: »Es ist ein Trauermarsch.« Abdulla bekam große Augen; doch Storrs legte sich rasch rettend ins Mittel und brachte durch ein geschicktes Wort alle zum Lachen. Zum Beschluß des Festes sandten wir den kummervollen Musikern eine Belohnung, aber sie schwangen sich zu keiner rechten Freude an unserer Anerkennung auf und baten nur, nach Hause geschickt zu werden.

2. Ritt zu Faisal

Am nächsten Morgen verließ ich Djidda und gelangte zu Schiff nach Rabegh, dem Hauptquartier des Scherifs Ali, Abdullas älterem Bruder. Als Ali den »Befehl« seines Vaters erhielt, mich unverzüglich zu Faisal zu senden, wurde er stutzig, mußte sich aber fügen. Er stellte mir sein eigenes prächtiges Reitkamel zur Verfügung, gesattelt mit seinem eigenen Sattel und behangen mit üppigen Schabracken und Polstern in jener aus vielfarbigen Lederstücken zusammengesetzten Nedjdarbeit, mit geflochtenen Fransen und silberdurchwirktem Netzwerk. Als zuverlässigen Führer zum Lager Faisals erwählte er Tafas, vom Stamm der Hawazim-Harb, nebst seinem Sohn.

Ali ließ mich nicht vor Sonnenuntergang abreiten, denn keiner von seinen Leuten sollte mein Verlassen des Lagers bemerken. Selbst vor seinen Sklaven hielt er die Reise geheim und versah mich mit arabischem Mantel und Kopftuch, die meine Uniform verhüllen und mir im Dunkeln auf meinem Kamel eine unauffällige Silhouette geben sollten. Da ich keine Vorräte bei mir hatte, gab er Tafas Weisung, in dem sechzig Meilen entfernten Bir el Scheikh, der ersten Tagesrast, Lebensmittel anzukaufen, und befahl ihm aufs strengste, unterwegs jederlei neugierige Fragen oder Erkundigungen von mir fernzuhalten und alle Lager oder sonstige Begegnungen zu vermeiden.

Wir ritten durch die Palmenhaine, die die zerstreuten Häuser des Dorfes Rabegh wie ein Gürtel umschlossen, und dann unter die Sterne hinaus, längs der Tihamma hin, jenem sandigen und flachen Wüstenstreifen, der sich an der Westküste Arabiens zwischen Meeresstrand und Randgebirge auf Hunderte von Meilen einförmig dahinzieht. Tagsüber herrscht in dieser Ebene eine unerträgliche Hitze, und ihre Wasserarmut macht ihre Durchquerung höchst beschwerlich. Doch war dieser Weg nicht zu vermeiden, da die wasserreichen Randgebirge von Norden wie von Süden her zu schroff waren für einen Übergang mit beladenen Tieren.

Die Kühle der Nacht war wohltuend nach dem mit Widrigkeiten und Verhandlungen hingeschleppten Tag in Rabegh. Tafas führte schweigend, und die Kamele schritten lautlos über den weichen, ebenen Sand. Während wir so dahinzogen, dachte ich daran, daß wir hier auf der alten Pilgerstraße ritten, auf der seit unzähligen Generationen das Volk aus dem Norden herabgezogen kam, um die Heiligen Städte zu besuchen und Gaben des Glaubens am Heiligen Grab niederzulegen. Und mir kam der Gedanke, daß die Erhebung Arabiens gewissermaßen eine Pilgerfahrt in umgekehrter Richtung werden könnte, eine Pilgerfahrt, die dem Norden – Syrien – ein anderes Ideal bringen würde: den Glauben an die Freiheit an Stelle ihres früheren Glaubens an eine Offenbarung.

Mehrere Stunden lang ritten wir gleichförmig dahin, nur daß die Kamele bisweilen strauchelten und sich wieder hochrafften und die Sättel krachten: Anzeichen dafür, daß die glatte Ebene in Triebsandgelände überging, das mit niedrigem Strauchwerk bestanden und infolgedessen uneben war, indem sich um die Pflanzen kleine Dämme stauten und die Wirbel der Seewinde die Zwischenräume aushöhlten. Die Kamele schienen im Dunkeln nicht gangsicher zu sein, und da der sternbeleuchtete Sand kaum Schatten warf, waren Unebenheiten und Löcher schwer zu erkennen. Kurz vor Mitternacht hielten wir an; ich wickelte mich fester in meinen Mantel und suchte mir eine meiner Größe passende Kuhle, in der ich gut bis fast zur Morgendämmerung schlief.

Sobald Tafas den frostigen Lufthauch des nahenden Tages spürte, war er auf den Beinen, und zwei Minuten später schaukelten wir von neuem dahin. Eine Stunde danach, als es eben hell wurde, klommen wir einen niedrigen Lavarücken hinan, der fast bis zur Höhe mit Flugsand bedeckt war. Ein schmaler Ausläufer nahe dem Ufer verband ihn mit dem großen Lavafeld von Hedjas, dessen Westrand rechts von uns aufstieg und die Lage der Küstenstraße bestimmte. Der Rücken war steinig, aber nicht lang, die bläuliche Lava hatte beiderseits niedrige Grate angestaut, von denen aus man – wie Tafas sagte – die Schiffe draußen auf dem Meer sehen konnte. Zu Seiten des Weges hatten hier die Pilger Steinmale errichtet. Bisweilen waren es einzelne kleine Pfeiler, aus je drei übereinandergeschichteten Steinen bestehend, bisweilen regellose Haufen, denen jeder Vorübergehende nach Belieben einen Stein hinzufügte – ohne eigentlich zu wissen warum, nur weil es andere auch taten, und die wußten vielleicht den Grund.

Jenseits der Höhe stieg der Pfad in eine weite, offene Ebene hinab, die Masturah, durch die der WadiFura zum Meere floß. Die ganze Oberfläche war bedeckt mit ineinanderlaufenden, wenige Zoll tiefen Rinnen aus lockerem Steingeröll: den Betten des Hochwassers, wenn es nach einem der seltenen Regenfälle im Tareif sich mit stromartiger Gewalt zum Meer ergoß. Das Delta der Flußmündung war ungefähr sechs Meilen breit, und in seinem unteren Teil traten zuweilen für ein bis zwei Stunden oder selbst ein bis zwei Tage kleine Wasserläufe hervor. Der Untergrund war voller Feuchtigkeit und durch die darüberliegende Sandschicht vor dem Austrocknen geschützt, so daß Dornbäume und lockeres Buschwerk darauf wuchsen.

Manche Stämme waren einen Fuß im Durchmesser stark und etwa zwanzig Fuß hoch. Die Bäume und Büsche standen in einzelnen Gruppen verstreut, und ihre unteren Zweige waren von Kamelen abgefressen, so daß sie wie künstlich gestutzt aussahen, was in dieser Wildnis einen seltsamen Eindruck machte, zumal die Tihamma sich bisher nur als eine kahle Öde gezeigt hatte.

Die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, und wir ließen die Kamele über das gleichmäßige Kiesgeröll zwischen den Bäumen in ständigem Trab gehen, um den Brunnen von Masturah zu erreichen, der ersten Station auf der Pilgerstraße von Rabegh, wo wir tränken und etwas rasten wollten. Ich war ganz entzückt von meinem Kamel, denn ich hatte nie vorher auf einem so trefflichen Tier gesessen. In Ägypten gibt es keine guten Kamele, und die aus der Sinaiwüste, obgleich kräftig und abgehärtet, sind nicht dressiert auf diesen sanften, gleichmäßigen und raschen Gang, wie die prächtigen Tiere der arabischen Fürsten.

Doch blieben die Fertigkeiten meines Kamels an diesem Tage durchaus ungenützt, denn sie konnten nur Reitern zugute kommen, die sich darauf verstanden und den Kniff weg hatten, nicht aber mir, der ich lediglich getragen zu werden erwartete und von dieser Reitkunst wenig Ahnung hatte. Es ist nicht schwer, auf dem Buckel eines Kamels zu sitzen, ohne herunterzufallen; aber mit Verständnis das Beste aus ihm herauszuholen, ohne bei langer Reise Reiter und Tier zu überanstrengen, dazu gehört allerlei. Tafas gab mir unterwegs einige Winke in dieser Beziehung; und das war in der Tat so ziemlich das einzige, worüber er mit mir sprach. Der Befehl, mich von jeder Berührung mit Menschen fernzuhalten, schien auch seine eigenen Lippen verschlossen zu haben. Schade, denn sein Dialekt interessierte mich.

Nahe am Nordrand der Masturah trafen wir auf den Brunnen. Neben ihm standen verfallene Steinmauern, wahrscheinlich einst eine Hütte, und gegenüber einige Schutzdächer aus Zweigen und Palmblättern, unter denen ein paar Beduinen hockten. Wir grüßten sie nicht, sondern Tafas bog hinter die Mauerruinen, und wir stiegen ab. Dort blieb ich im Schatten sitzen, während Tafas und sein Sohn Abdulla die Kamele tränkten und für sich wie für mich einen Trunk Wasser schöpften. Der Brunnen war alt und geräumig, mit einer gut erhaltenen steinernen Einfassung und einer starken Mauerkappe über der Öffnung. Er war ungefähr zwanzig Fuß tief, und zur Bequemlichkeit für Reisende, die, wie wir, keine Seile bei sich hatten, war in dem Mauerwerk ein Schacht ausgespart mit Stützen für Hand und Fuß, so daß jedermann hinabsteigen und seinen Ziegenschlauch füllen konnte.

Unnütze Hände hatten Steine in den Brunnen geworfen, so daß der Grund zum Teil verstopft war und wenig Wasser gab. Abdulla band seine flatternden Ärmel über der Schulter zusammen, schürzte das lange Gewand unter dem Patronengürtel, und, hurtig ab- und aufkletternd, brachte er jedesmal vier bis fünf Gallonen herauf, die er für die Kamele in einen Steintrog neben dem Brunnen goß. Jedes von ihnen soff etwa fünf Gallonen, denn sie waren zuletzt am Tage vorher in Rabegh getränkt worden. Dann ließen wir sie etwas umherschweifen, während wir friedlich beieinandersaßen und die leichte Brise von See atmeten. Abdulla rauchte eine Zigarette zur Belohnung für seine Mühen.

Einige Harb kamen heran mit einer großen Herde Kamelfohlen und begannen sie zu tränken. Ein Mann stieg in den Brunnen hinab, um den schweren Ledereimer zu füllen, den dann die anderen Hand vor Hand mit lautem Stakkato-Gesang heraufzogen.

Während wir ihnen zusahen, näherten sich von Norden her zwei Reiter auf rasch und leicht trabenden Vollblutkamelen. Beide waren junge Männer. Der eine trug kostbare Kaschmir-Gewänder und ein reich mit Seide gesticktes Kopftuch; der andere war in einfachen weißen Baumwollstoff gekleidet, mit einem Kopftuch aus rotem Kattun. Sie machten neben dem Brunnen halt; der Reichgekleidete glitt anmutig zur Erde, ohne sein Kamel niedergehen zu lassen, warf seinem Begleiter den Halfter zu und sagte nachlässig: »Tränke sie, ich gehe derweil mich ausruhen.« Dann schlenderte er zu uns herüber und ließ sich im Schatten der Mauer nieder, nachdem er einen Blick gemachter Gleichgültigkeit auf uns geworfen hatte. Er bot mir eine frisch gedrehte und geklebte Zigarette an und sagte: »Ihr kommt aus Syrien herunter?« Ich wich höflich aus, indem ich der Vermutung Ausdruck gab, er komme von Mekka, worauf er ebensowenig direkte Antwort gab. Wir sprachen dann noch einiges über den Krieg und die Magerkeit der Kamelfohlen der Harb.

Der andere Reiter stand mittlerweile bei dem Brunnen, müßig die Halfter haltend, und schien zu warten, bis die Harb ihre Herde getränkt hätten und an ihn die Reihe käme. Sein junger Herr rief ihm zu: »Was soll das, Mustafa? Gib sofort den Tieren zu trinken!« Der Diener kam zu uns und sagte betrübt: »Sie wollen mich nicht heranlassen.« »Zum Teufel!« rief sein Herr wütend, sprang auf und schlug dem unglücklichen Mustafa mit dem Reitstock drei- oder viermal über Kopf und Schultern. »Geh und frage sie!« Mustafa machte eine beleidigte, verdutzte und zornige Miene, fast als wollte er zurückschlagen, besann sich aber eines besseren und eilte zum Brunnen.

Die betroffenen Harb machten ihm mitleidig Platz und ließen seine zwei Kamele aus ihrem Wassertrog saufen. Sie flüsterten: »Wer ist er?« und Mustafa sagte: »Der Vetter unseres Herrn von Mekka.« Sofort liefen sie hin, knüpften ein Bündel von einem ihrer Sättel los und streuten daraus den beiden Reitkamelen Futter von grünen Blättern und Dornstrauchknospen. Diese sammeln sie, indem sie mit schweren Stöcken auf die niedrigen Büsche schlagen, bis die abgebrochenen Zweigspitzen auf das darunter ausgebreitete Tuch herniederregnen.

Der junge Scherif sah ihnen befriedigt zu. Als sein Kamel gefressen hatte, kletterte er leicht und ohne jede Anstrengung über den Hals in den Sattel, setzte sich lässig zurecht und nahm salbungsvoll Abschied von uns, indem er des Himmels reiche Gnade auf die Araber herabrief. Sie wünschten ihm gute Reise, und er ritt nach Süden zu davon, während wir, nachdem Abdulla unsere Kamele herbeigebracht hatte, uns nach Norden wandten. Zehn Minuten später hörte ich den alten Tafas kichern und sah vergnügte Fältchen zwischen seinem grauen Schnurr- und Vollbart.

»Was hast du, Tafas?« fragte ich.

»Herr, du sahst jene beiden Reiter am Brunnen?«

»Den Scherif und seinen Diener?«

»Ja; aber es war der Scherif Ali ibn el Hussein von Modhig und sein Vetter, Scherif Mohsin, die Oberherren der Harith, die Todfeinde der Masruh. Sie fürchteten, angehalten oder vom Wasser vertrieben zu werden, wenn die Araber sie erkannten. So gaben sie sich als Herr und Diener aus, von Mekka kommend. Habt ihr den Zorn Mohsins gesehen, als Ali ihn schlug? Ali ist ein Teufel. Mit elf Jahren floh er aus seines Vaters Haus zu seinem Onkel, dessen Gewerbe das Berauben von Pilgern war, und lebte bei ihm viele Monate, bis sein Vater ihn wieder einfing. Vom ersten Tage der Schlacht bei Medina war er bei unserm Herrn Faisal und führte die Ateiba an in den Ebenen rund um Aar und Bir Derwisch. Hier waren die Kamelgefechte, und Ali wollte keinen Mann bei sich haben, der es ihm nicht gleich tun konnte: neben dem Kamel herlaufen und sich mit einer Hand in den Sattel schwingen, während die andere die schußbereite Büchse hielt. Die Kinder der Harith sind Kinder der Schlacht.« Zum erstenmal floß der Mund des alten Mannes über von Worten.

Während er sprach, durcheilten wir die blendende, fast baumlose Ebene, deren Boden nach und nach weicher wurde. Anfangs war es graues Geröll gewesen, dicht gelagert wie Kies. Allmählich nahm der Sand mehr und mehr zu und die Steine wurden seltener, so daß man sie schließlich einzeln nach Farbe und Art unterscheiden konnte: Porphyr, Basalt, grüner Schiefer. Zuletzt war es nahezu reiner weißer Sand, mit einer härteren Gesteinsschicht darunter, über den man wie über weichen Teppich ritt. Die einzelnen Sandkörnchen waren blank geschliffen und fingen wie kleine Diamanten die Sonnenstrahlen in so blendenden Reflexen auf, daß ich's nach einer Weile nicht mehr aushalten konnte. Ich kniff die Augen zusammen und zog mir das Kopftuch wie ein Visier bis tief über die Nase, um mich so vor der Hitze zu schützen, die mir in glasigen Wellen vom Boden herauf ins Gesicht schlug. Etwa achtzig Meilen vor uns tauchte hinter Janbo der massige Gipfel des Rudhwa auf und schwand wieder in dem flimmernden Dunst, der seinen Fuß verhüllte. Ganz nahe in der Ebene schienen kleine formlose Hügel den Weg zu sperren. Zu unserer Rechten zog sich der steile Rücken des Beni Ayub dahin, scharf und kantig wie eine Säge, nordwärts sich abdachend zu einer blauen, sanften Hügelkette. Hinter dieser aber stiegen mächtige Gebirgszüge, jetzt von der Abendsonne rot beleuchtet, gleich einer hochgestuften Treppe mählich hinan zum ragenden Hauptmassiv des Djebel Subh mit seinen phantastischen Granitkegeln. Ein wenig später bogen wir von der Pilgerstraße rechts ab und ritten von nun ab quer über einen sanft ansteigenden Basaltrücken, so von Sand überdeckt, daß nur die obersten Grate daraus hervorragten.

Gegen Sonnenuntergang sichteten wir den Weiler Bir el Scheikh. Bei Dunkelwerden, als eben die Feuer der Abendmahlzeit angezündet wurden, ritten wir durch seine breite Straße ein und machten halt. Tafas trat in eine der zwanzig elenden Hütten, und unter Geflüster, unterbrochen von langen Pausen des Schweigens, erhandelte er Mehl, woraus er mit Wasser einen Teigkuchen knetete, zwei Zoll dick und acht Zoll im Durchmesser. Diesen vergrub er in die Asche eines Reisigfeuers, das ihm eine Frau der Subh, die ihn zu kennen schien, angefacht hatte. Als der Kuchen durchwärmt war, zog er ihn vom Feuer fort und klopfte die Asche ab, worauf wir ihn untereinander teilten. Abdulla ging dann sich Tabak kaufen.

Man sagte mir, der Ort habe zwei steingemauerte Brunnen am Fuß des südlichen Abhanges; aber ich spürte keine Lust, sie zu besichtigen, denn ich war müde von dem langen ungewohnten Ritt des Tages, und die Hitze in der Ebene hatte mir stark zugesetzt. Meine Haut war voller Blasen, und meine Augen schmerzten von dem scharfen Lichtreflex des silbrigen Sandes und der glänzenden Kiesel. Die letzten zwei Jahre hatte ich in Kairo verbracht, Tag für Tag am Schreibtisch hockend, in einem kleinen überfüllten Büro, mit hunderterlei eiligen Sachen beschäftigt, die inmitten ablenkenden Getriebes durchdacht und besprochen werden mußten, aber ohne jede körperliche Betätigung, außer dem täglichen Gang zwischen Büro und Hotel. Daher wurde mir dieser plötzliche Wechsel einigermaßen schwer, denn ich hatte keine Zeit gehabt, mich erst nach und nach an die pestilenzialische Glut der arabischen Sonne und die Eintönigkeit langer Kamelritte zu gewöhnen. Wir mußten heute nacht noch eine zweite Station erreichen, und für morgen stand bis zum Lager Faisals noch eine lange Tagereise bevor.

So war mir das Abkochen und Einkaufen sehr willkommen, womit eine Stunde verging; wir kamen überein, noch eine weitere Stunde zu rasten, und als diese zu Ende war, stieg ich ungern wieder in den Sattel. Wir ritten in pechschwarzer Finsternis immer talauf und talab, abwechselnd durch heiße oder kühlere Luftschichten, je nachdem wir offenes Feld oder geschützte Senkungen passierten. Nach der Lautlosigkeit unseres Rittes zu urteilen, die dem gespannt lauschenden Ohr förmlich wehtat, muß der Boden sandig gewesen sein und weich wie ein Teppich, denn ich schlief ständig im Sattel ein, um alle paar Sekunden aus dem Halbschlaf wieder aufzuschrecken, wenn ich, durch einen unregelmäßigen Schritt des Tieres aus dem Gleichgewicht gekommen, instinktiv nach dem Sattelknopf griff. Bei der Dunkelheit und der Einförmigkeit des Geländes war es mir unmöglich, die schweren Lider über den stierenden Augen offenzuhalten. Lange nach Mitternacht machten wir endlich Rast; und ich war, in den Mantel gehüllt, in einer höchst komfortablen kleinen Sandkuhle eingeschlafen, ehe noch Abdulla mein Kamel niedergehalftert hatte.

Drei Stunden später waren wir wieder im Sattel, und jetzt beleuchtete der späte Mond unseren Weg. Wir ritten den Wadi Mared hinab – sein ausgetrocknetes Bett tot, heiß, schweigend; rechts und links scharfzackige Höhen, schwarzweiß ragend in der ermatteten Luft. Viele Bäume. Endlich graute der Tag, als wir just aus der Enge herauskamen in eine weite Ebene, über deren Fläche ein unruhiger Wind launische Staubwirbel drehte. Es wurde immer heller, und nun zeigte sich, hart rechts von uns, Bir Ibn Hassani. Die saubere Ansiedlung von rührend unwahrscheinlichen Häuserchen, braun und weiß, wie schutzsuchend aneinander gedrängt, nahm sich puppenhaft aus und erschien noch verlassener als die Wüste selbst unter dem riesigen Schatten der finster dahinter aufragenden Wand des Subh. Während wir hinschauten, in der Hoffnung, Leben vor den Türen zu entdecken, brach die Sonne herauf; und die zackige Klippenwand, Tausende von Fuß über unseren Köpfen, setzte sich plötzlich in hart zurückgeworfenem Glanze weißen Lichts gegen den in schwindender Dämmerung noch matten Himmel ab.

Indes wir durch die Talebene weiterritten, kam ein alter geschwätziger Kamelreiter von den Häusern her zu uns herübergetrabt, in der Absicht, sich uns anzuschließen. Er nannte sich Khallaf und schien von übergroßer Freundlichkeit. Seine Vorstellung erfolgte inmitten eines Stromes abgedroschener Redensarten, und als sie erwidert war, suchte er uns in ein Gespräch zu verwickeln. Doch Tafas zeigte sich abgeneigt gegen seine Gesellschaft und gab nur lakonische Antworten. Khallaf ließ sich nicht abschrecken, und um sich beliebt zu machen, beugte er sich zu guter Letzt herunter und kramte in seiner Satteltasche, bis er einen kleinen verschlossenen Emailletopf hervorzog, der eine ansehnliche Portion des im Hedjas üblichen Reiseproviants enthielt. Es war der gleiche ungesäuerte Teig von gestern, nur, bevor er ausgekühlt war, in den Fingern zerkrümelt und mit flüssiger Butter durchfeuchtet, so daß das Ganze breiig zusammenpappte. Zum Essen süßte man ihn mit gemahlenem Zucker, griff dann mit den Fingern hinein und formte, wie aus feuchtem Sägemehl, kleine Kugeln.

Ich aß nur wenig bei diesem meinem ersten Versuch; Tafas und Abdulla aber langten kräftig zu, so daß Khallaf zum Dank für seine Freigebigkeit halb hungrig blieb: wohlverdientermaßen, denn es gilt bei den Arabern für weibisch, auf einer kleinen Reise von hundert Meilen Proviant mitzuführen. Wir waren nun Kameraden, und der Schwatz begann von neuem. Khallaf erzählte uns von den letzten Kämpfen und von einer Schlappe, die Faisal am Tage vorher erlitten hatte. Er schien aus seiner Stellung bei den Quellen des Wadi Safra zurückgeworfen zu sein und jetzt bei Hamra zu stehen, das nur eine kurze Wegstrecke von uns entfernt war; oder Khallaf glaubte wenigstens, daß er dort stände: wir würden das sicher im nächsten Dorf auf unserem Wege erfahren. Der Kampf schien nicht schwer gewesen zu sein; doch hatten die wenigen Verluste gerade den Stamm von Tafas und Khallaf betroffen, und die Namen wie Verwundung eines jeden wurden der Reihe nach aufgezählt.

Nach einem Ritt von sieben Meilen gelangten wir auf eine niedrige Wasserscheide, gekrönt von einer Mauer aus behauenen Granitsteinen, jetzt nur noch lose Trümmerhaufen, aber einst ohne Zweifel ein Grenzwall. Sie lief von Fels zu Fels und stieg selbst ein beträchtliches Stück die Bergwände hinan, da wo die Hänge nicht allzu steil waren. In der Mitte, wo die Straße durchlief, hatten zwei Einfriedigungen gelegen, vielleicht frühere Viehhegen. Ich fragte Khallaf nach der Bedeutung der Mauer. Er antwortete, er wäre in Damaskus, Konstantinopel und Kairo gewesen und hätte viele Freunde unter den Großen Ägyptens. Ob mir dort einer der Engländer bekannt wäre? Khallaf schien sich sehr für meine Persönlichkeit und meinen Reisezweck zu interessieren. Er versuchte mich zu fangen, indem er anfing, ägyptisch zu reden. Als ich ihm im Dialekt von Aleppo antwortete, sprach er von seinen Bekanntschaften unter den Vornehmen Syriens. Ich kannte sie ebenfalls; worauf er auf die Landespolitik übersprang und vorsichtig verschleierte Fragen stellte über den Scherif und seine Söhne, und was ich wohl glaubte, was Faisal jetzt tun werde. Ich wußte das noch weniger als er und wich ihm durch zusammenhanglose Antworten aus. Schließlich kam mir Tafas zu Hilfe und wechselte das Gesprächsthema. Nachher erfuhren wir, daß Khallaf im Sold der Türken stand und ihnen ständig Bericht schickte über alles, was über Bir ibn Hassani zur arabischen Front wollte.

Wir wandten uns nach rechts, überquerten einen zweiten Sattel und stiegen einige Meilen bergab bis zu einem hohen Felsvorsprung. Als wir um ihn herumbogen, befanden wir uns plötzlich im Tal Wadi Safra, dem Ziel unserer Reise, und mitten in Wasta, seinem größten Dorf. Wasta bestand aus lauter einzelnen kleinen Weilern, die teils auf Sandbänken an den Steilhängen zu beiden Seiten des Flußbettes lagen, teils auf Geröllinseln zwischen den zahlreichen, tiefausgewaschenen Kanälen, die in ihrer Gesamtheit die Talsohle bildeten.

Wir wandten uns, an zwei oder drei dieser angestauten Inseln vorbei, dem oberen Teil des Tales zu. Unser Weg führte uns an dem Hauptbett der Winterfluten hin, das mit weißem Geröll und Blöcken erfüllt und ganz flach war. In seiner Mitte, zwischen zwei Palmenhainen am oberen und unteren Ende, floß eine Strecke klaren Wassers, etwa zweihundert Yard und zwölf Fuß breit, mit sandigem Grund und auf beiden Seiten gesäumt mit einem zehn Fuß breiten Streifen von fettem Gras und Blumen. Hier hielten wir einen Augenblick an, um unsere Kamele von dem frischen Wasser saufen zu lassen. Der Anblick des Rasens nach dem tagelangen harten Kieselglanz war eine so plötzliche Entspannung für unsere Augen, daß ich unwillkürlich aufblickte, um zu sehen, ob nicht eine Wolke die Sonne verdunkelt hätte.

Wir folgten diesem Wasserlauf aufwärts bis zu dem Palmenhain, von dem er, in einer steingefaßten Rinne sprudelnd, seinen Ausgang nahm, und ritten im Schatten der Palmen an der verwitterten Gartenmauer hin bis wieder zu einem der abgesonderten Weiler. Tafas lenkte in die schmale Straße ein (die Häuser waren so niedrig, daß man vom Sattel aus auf ihre Lehmdächer herabsehen konnte), hielt vor einem der größeren Häuser an und klopfte an das Hoftor. Ein Diener öffnete uns, und wir stiegen im Innern ab. Tafas halfterte die Kamele nieder, lockerte die Sattelgurte und warf ihnen von einem Haufen, der neben dem Tor lag, würzig duftendes Grünfutter vor. Dann führte er mich in das Gastzimmer des Hauses, einen dämmerigen, sauberen kleinen Raum aus Lehmziegeln, gedeckt mit halbgeteilten Palmstämmen und festgestampfter Erde darüber. Wir ließen uns auf den Palmblattmatten nieder, die den erhöhten Sitz rings um den Raum bedeckten. Der Tag in dem stickigen Tal war glühend heiß gewesen: einer nach dem anderen sanken wir, Seite an Seite, zurück; und das Summen der Bienen in den Gärten draußen und der Fliegen drinnen, die unsere verhüllten Gesichter umkreisten, lullte uns in Schlaf.

Als wir aufwachten, stand ein Mahl aus Brot und Datteln für uns bereit. Die Datteln waren so frisch, so saftig und süß, wie ich sie nie vorher gegessen hatte. Darauf stiegen wir wieder in den Sattel und ritten das klare, gemächliche Rinnsal aufwärts, bis es sich zwischen dem Palmenhain mit seinen niedrigen Grenzmauern aus sonnengetrocknetem Lehm verlor. Kreuz und quer zwischen den Baumwurzeln waren kleine Gräben gezogen, ein bis zwei Fuß tief und so angelegt, daß der Strom aus der steinernen Rinne in sie hineingeleitet und jeder Baum einzeln bewässert werden konnte. Der Oberlauf des Wassers, der diese Bewässerungsanlage speiste, war Eigentum der Gemeinde, und nach einem alten Brauch wurde das Wasser jedem Landeigentümer täglich oder wöchentlich auf eine bestimmte Anzahl Minuten oder Stunden zugeteilt. Das Wasser war leicht salzig, wie es bessere Palmen brauchen; doch gab es in den Hainen auch zahlreiche süße Brunnen in Privatbesitz, die aus dem drei bis vier Fuß unter dem Boden liegenden Grundwasser gespeist wurden.