Die siebte Hölle - Robert Brack - E-Book

Die siebte Hölle E-Book

Robert Brack

4,9

Beschreibung

Europa im Jahr des Umbruchs 1989: Um ihre chronischen Geldprobleme in den Griff zu bekommen, nehmen die beiden Exil-Polen Jerzy und Marek den Auftrag an, zwei tschechoslowakische Oldtimer von Hamburg nach Lissabon zu transportieren - gegen eine erstaunlich hohe Bezahlung. Auch den betagten Tadeusz Estreicher führt es in die portugiesische Hauptstadt, wo er als Anarchist an einem Kongress der "Internationalen Arbeiter­-Assoziation" teilnehmen will. Zeitgleich verbringt Teodor Kronstad, Major der Warschauer Kriminalpolizei, seinen Urlaub in Lissabon, wo er sehr bald Zeuge von Geschehnissen wird, die seine detektivische Neugier anstacheln. Im dritten Band seiner Polnischen Trilogie führen entfesselte Leidenschaften, schräge Zufälle und eine geschickt eingefädelte, betrügerische Intrige dazu, dass alle in einen Strudel krimineller Ereignisse geraten.

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Robert Brack · Die siebte Hölle

A Faint Cold Fear Thrills Through My Veins

William Shakespeare

Jerzy Pakula ist immer noch auf der Verliererstraße. Seine schäbige Buchhandlung im Hamburger Stadtteil St. Georg wirft nicht genug Profit ab. Als Marek, ein Freund aus der polnischen Heimat, ihm ein Geschäft vorschlägt, ist er mehr als skeptisch. Denn Marek unterhält nicht nur Beziehungen zu zwielichtigen Gestalten der Hamburger Unterwelt und der polnischen Exilantenszene, sondern er zockt und trinkt. Doch 5 000 schnell verdiente Mark sind nicht zu verachten. Der Auftrag lautet, zwei tschechoslowakische Oldtimer aus den 30er Jahren von Hamburg nach Lissabon zu überführen.

Zur gleichen Zeit befindet sich Major Kronstad von der Warschauer Kriminalpolizei in Lissabon. Seine Frau, eine renommierte Psychologin, hat ihn in der portugiesischen Metropole zurückgelassen, um an einem Kongress in Paris teilzunehmen. Kronstad absolviert pflichtbewusst sein touristisches Besichtigungsprogramm und beginnt sich zu langweilen. Eine unvorhergesehene Damenbekanntschaft bringt nicht nur sein Gefühlsleben durcheinander, sondern weckt auch seine kriminalistische Neugier.

Währenddessen macht sich Tadeusz Estreicher ebenfalls von Hamburg aus auf den Weg nach Lissabon. Der ewige Exilant, Kosmopolit und Anarchosyndikalist ist als letztes lebendes Mitglied der „Föderation der Gruppen der Anarchisten-Kommunisten von Polen und Litauen“ zu einem Vortrag auf dem Kongress der Internationalen Arbeiter-Assoziation eingeladen. Die Arbeit mit dem versprengten Häufchen aufrechter Genossen wirkt geradezu verjüngend auf den alten Revoluzzer.

Im letzten Teil seiner Trilogie um Polen und polnische Exilanten führt Robert Brack noch einmal die Schicksale seiner Protagonisten zusammen, die, ob unfreiwillig oder absichtlich, Teil einer internationalen Verschwörung profitgieriger Betrüger werden.

Robert Brack

Die siebte Hölle

PENDRAGON

Pendragon Verlag

gegründet 1981

www.pendragon.de

Originalausgabe

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Bielefeld 2013

© by Pendragon Verlag Bielefeld 1988

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Anja Schwarz

Umschlag und Herstellung: Uta Zeißler, Bielefeld

Umschlagfoto: mauritius images / Urs Flüeler

ISBN 978-3-86532-521-1

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Die Hauptpersonen

Marek

möchte um jeden Preis glücklich sein, aber seine Geliebte

Anna

nutzt ihn schamlos aus, da helfen nicht einmal die guten Ratschläge seines Freundes

Jerzy Pakula

dessen Glück leider auch nicht von Dauer ist, obwohl

Tina

den Beruf gewechselt hat; dagegen streitet

Tadeusz Estreicher

für das Glück der ganzen Menschheit, das leider nicht zu dem Plan von

Jonas Hagström

gehört, denn er denkt genauso wie

Marianne Fichte

nur an den persönlichen Vorteil, der den aufrechten

Major Kronstad

nie interessiert hat, während der verwahrloste

João

wie alle anderen zum Opfer des unfassbaren

Stalski

wird, – unberührt von allem giert eine überaus menschliche

Ratte

nicht nur nach dem Besitz zweier legendärer

Tatra-Limousinen.

Prolog

Eine grell strahlende dicke Glühbirne unter einem verbeulten Metallschirm hing an einem schwarzen Kabel von der hohen Scheunendecke fast bis zur Erde herunter, wurde von einem Luftzug erfasst und begann, leicht hin und her zu pendeln. Ihr breiter Lichtkreis bewegte sich zitternd in der Mitte des großen Raums über den strohbedeckten Boden. Eine fette Ratte huschte unter einen Strohballen in eine dunkle Ecke.

Der Mann, der den verrotteten Lichtschalter betätigt hatte, knipste seine Taschenlampe aus und zog an dem schmutzigen Seil, das von der Scheunendecke herabhing. Die grell strahlende Lampe glitt langsam und ruckartig nach oben und tauchte das Scheuneninnere in ein hässliches weißes Licht. Zur rechten Seite des Mannes waren einige Boxen abgeteilt, in denen irgendwann einmal Kühe gestanden haben mussten. Zu seiner Linken stapelten sich uralte Strohballen. Einige waren heruntergefallen, andere auseinandergeplatzt.

Der Mann band das Seil an einen rostigen Nagel, den er vor vielen Jahren einmal in einen Balken geschlagen hatte und schlurfte dann träge durch das Stroh. Er setzte sich auf einen Ballen und schob seinen verbeulten Filzhut in den Nacken. Der Mann trug eine uralte Arbeitshose, die einmal dunkelblau gewesen sein musste, inzwischen aber von unzähligen schwarzen und grauen Ölflecken übersät war. Über seinen schmächtigen Oberkörper hatte er einen dicken braun gelb gemusterten Wollpullover gezogen, seine Füße steckten in ausgelatschten Armeestiefeln.

Er schnaufte laut und kurzatmig. Er war nicht mehr der Jüngste, das merkte er jeden Tag. In ein paar Monaten würde er 70 werden – falls er es bis dahin schaffen sollte. Eigentlich glaubte er nicht daran. Es war ihm ohnehin nicht wichtig. Seit seine Frau gestorben war und die Kinder in den Westen gegangen sind, spürte er täglich die Einsamkeit um sich herum wachsen. Als alter Mann, der auf einem allein gelegenen Bauernhof lebte und sich noch nicht einmal vom Pfarrer überreden ließ, in die Stadt zu ziehen, war er an diesem Schicksal natürlich selbst schuld. Aber was konnte er schon dafür, dass er immer älter wurde? Er starrte auf seine Arme, die auf seinen Oberschenkeln lagen. Trotz des Schmutzes konnte man das Zickzack-Muster erkennen, in dem der Pullover gestrickt war. Damals, als seine Frau ihm ihr Werk überreicht hatte, weigerte er sich, ihn anzuziehen. Er fand das Muster wirklich lächerlich. Das hatte sie zum Weinen gebracht, aber er war bei seiner Meinung geblieben. Nachdem sie gestorben war, fiel ihm der Pullover eines Tages wieder in die Hände, als er in seinem Kleiderschrank herumwühlte. Er zog ihn an und seitdem trug er ihn jeden Tag – außer sonntags, wenn er in die Kirche ging.

Die Ratte raschelte nervös in ihrer Ecke. Der Blick des alten Mannes glitt über den Boden in die Mitte des Raums. Dort spannten sich zwei große schwarze Plastikplanen über zwei hintereinanderstehende, langgestreckte, stromlinienförmige Körper. Schwerfällig stand er auf und schlurfte hinüber. Dann begann er die Planen abzudecken.

Darunter kamen zwei blitzende, mächtige Metallkörper zum Vorschein. Es waren zwei langgestreckte alte Limousinen. Mit ihren seltsamen Heckflossen sahen sie aus wie riesige Fische aus grauer Urzeit. Der eine Wagen war schwarz, der andere bis auf die breiten, altmodischen Reifen vollkommen weiß. Sie standen mit den Frontscheinwerfern zueinander in der Mitte der Scheune. Aus einer Holzkiste, die neben den Autos stand, holte der Mann einen Lappen hervor, schüttelte ihn aus und begann dann damit, die schwarze Karosserie zu putzen, obwohl sie das nicht nötig hatte. Das Metall glänzte ohnehin. Aber es machte dem alten Mann Spaß, mit dem weichen Tuch über die geschwungenen Formen des Automobils zu streichen. Er putzte die drei vorderen Scheinwerfer, wischte langsam über den breiten, sanft geschwungenen Kotflügel, über das langgestreckte, nach hinten leicht abfallende Dach und ließ seine Hand vorsichtig über den Kühlerrost im Heck gleiten. Ehrfürchtig wischte er über die Heckflosse und stellte sich vor, wie schön es wäre, wieder einmal den Klang des Achtzylindermotors hören zu können, das gleichmäßig tiefe Brummen einer vollkommenen Maschine.

Leider hatte er keinen Tropfen Benzin mehr. Das war schon grotesk. Hier in seiner Scheune, mitten auf dem Land, standen zwei wertvolle Oldtimer, zwei Tatra-Limousinen, die in den 30er-Jahren in der Tschechoslowakei gebaut worden waren – zwei Legenden der Automobilgeschichte –, und er besaß keine Benzingutscheine mehr, um die Tanks zu füllen. Aber selbst wenn er sich welche besorgt hätte – die Tankstellen in Piotrków Trybunalski, der nahegelegenen kleinen Wojewodschaftshauptstadt, hatten nie genug Benzin. Man musste jedes Mal aufs neue Schlange stehen. Und wenn er eines vermeiden wollte, dann das Abenteuer, mit einem dieser langgestreckten Luxusschlitten in der Schlange vor der Tankstelle zu stehen, zwischen all den winzigen Fiat Polski. Die Zeiten, wo er Spaß daran gehabt hatte, mit einem der Tatras durch die Gegend zu brausen und aufzufallen, waren lange vorbei. Alt wie er war, würde er heute nur lächerlich wirken. Also beließ er es dabei, seine mächtigen Lieblinge zu pflegen und zu streicheln.

Draußen pfiff der Herbstwind um die Scheune. Der alte Mann ging nun zu dem weißen Wagen und putzte auch hier wieder den imaginären Staub von der Karosserie. Seine Frau hatte den Weißen am liebsten gemocht. Weil seine Karosserie abgerundeter gebaut war und er dadurch organischer wirkte. Sie nannte ihn „den großen Walfisch“, obwohl beide Wagen annähernd gleich groß gebaut waren. Mit ihm hatten sie früher Spritztouren durch die Volksrepublik unternommen und sich überall bewundern lassen. Einmal waren sie sogar bis nach Bulgarien ans Schwarze Meer gefahren.

Aber das war sehr lange her.

Der alte Mann öffnete die Fahrertür. Sie ging nicht, wie bei heutigen Autos üblich, nach vorne auf, sondern nach hinten – während die hinteren Türen nach vorne aufgingen. Er setzte sich auf die breite Vorderbank, auf der drei Erwachsene bequem nebeneinander sitzen konnten und umfasste mit beiden Händen das große Lenkrad. Dann starrte er regungslos durch die Windschutzscheibe und dachte an die Zeit, als er noch jung gewesen war.

Langsam sank sein Kopf auf das Lenkrad, und er döste ein.

Den Wind, der durch die Ritzen im Dach pfiff, hörte er nicht. Auch nicht die Regentropfen, die draußen immer dichter fielen und das Geräusch eines Motors, das sich langsam näherte.

Der Fiat parkte mitten in einer großen Pfütze vor dem Scheunentor. Seine Scheinwerfer strahlten das Tor an. Die drei Männer, die ausstiegen, bekamen nasse Füße und fluchten. Zwei von ihnen trugen Taschenlampen, der dritte, der größer und dünner war als die beiden anderen untersetzten Gestalten, hatte eine Brechstange in der Hand.

„Was willst du denn mit der Eisenstange, Sławek?“, fragte der eine Untersetzte, der eine Mütze auf dem Kopf trug.

„Die Tür aufmachen“, antwortete der, den sie Sławek nannten, mürrisch.

Der mit der Mütze lachte. „Einmal pusten genügt, und die Bruchbude fällt zusammen.“

„Halt den Mund!“, sagte Sławek.

„Moment mal“, zischte plötzlich der Dritte und blieb vor dem Tor stehen. Er deutete auf die schmalen Lichtstreifen, die durch ein paar Ritzen in der Wand fielen. „Da drinnen ist Licht!“

Die Männer blieben schlagartig stehen. Sie standen da wie drei Wachsfiguren.

„Licht?“, fragte der mit der Mütze. „Wieso ist da Licht?“

„Hörst du was? Ich höre nichts“, sagte der andere.

„Haltet den Mund, ihr Idioten!“, flüsterte Sławek.

Er machte ein paar Schritte durch den Schlamm nach vorne und versuchte durch einen Spalt in der Scheunenwand zu spähen.

„Was ist da los? Sag mal, was ist da los?“, flüsterte der mit der Mütze hastig.

Sławek sah nichts außer ein paar übereinandergestapelte Strohballen.

„Ich seh nichts.“

„Vielleicht sollten wir lieber wieder gehen?“, sagte der Dritte. „Ich bin schon ganz nass.“

„Halt den Mund, Tomek!“, sagte Sławek.

„Ich will wieder ins Auto“, murmelte Tomek.

Der mit der Mütze tippte Sławek auf die Schulter. „Vielleicht versuchen wir’s morgen noch mal?“

„Blödsinn!“, sagte Sławek. Er drehte sich um und richtete seine Taschenlampe auf Tomek. „Du machst die Tür auf!“

„Hör mal“, sagte Tomek zögernd, „ich … Du blendest mich.“

„Ich leuchte jetzt auf die Tür“, sagte Sławek, „und du machst sie auf.“

Der Lichtkegel der Taschenlampe richtete sich auf die kleine Tür, die in das große Scheunentor eingelassen war. An der Tür befand sich ein eiserner Riegel.

„Der Riegel ist zurückgeschoben“, flüsterte Tomek. „Da ist jemand drin.“

„Mach die Tür auf und sag guten Abend, wenn du jemanden siehst. Also los!“

Tomeks Hand zitterte im Schein der Taschenlampe, als er den nassen glitschigen Riegel anfasste und die Tür nach außen aufzog. Dann spähte er vorsichtig hinein. Sławek gab ihm einen Stoß und er taumelte in die Scheune.

„Guten Abend“, sagte er.

Aber es war keine Menschenseele zu sehen.

„Blödmann!“, zischte Sławek, der ihm rasch gefolgt war.

„Niemand da“, stellte Tomek fast enttäuscht fest.

Hinter ihm trat endlich auch sein Kumpel mit der Mütze ein. Sein Blick fiel auf die beiden Limousinen und er sagte: „Oh!“

Sławek ließ seinen Blick durch die Scheune schweife n und suchte jede Ecke nach etwas Verdächtigem ab. Irgendwo raschelte eine Ratte. Sonst war es ruhig.

„Oh!“, wiederholte der mit der Mütze. „Seht mal.“

„Die sind aber verdammt groß!“, sagte Tomek.

„Wunderschön“, sagte der mit der Mütze, „die sind ja wunderschön.“

„Ja, ja“, murmelte Sławek mürrisch, „könnt ihr nicht mal den Mund halten?“

„Wie zwei Fische auf Rädern“, flüsterte Tomek und trat ein paar Schritte auf die beiden Autos zu, die mit dem Heck zu ihnen standen.

„Warum zum Teufel ist das Licht an?“, fragte Sławek.

Tomeks Hand glitt langsam und ehrfürchtig über die Heckflosse des weißen Tatra, dann über das sanft geschwungene blitzsaubere Dach nach vorn. Er beugte sich zur Beifahrertür hinunter und blickte ins Wageninnere. Dann schrie er leise auf.

„Was ist denn los?“, rief Sławek ärgerlich.

„Da sitzt einer drin, hinterm Steuer!“

Sławek umschloss mit beiden Händen fest die Eisenstange und hastete zur Fahrertür des weißen Tatra. Der andere mit der Mütze folgte ihm. Beide blickten zugleich durch die Fahrertür auf den alten Mann, der über das Lenkrad gebeugt eingenickt war.

„Das ist der Besitzer“, sagte Sławek, „er schläft.“

„Was jetzt?“, fragte der mit der Mütze.

Sławek sah ihn ratlos an.

Auf der anderen Seite kicherte Tomek albern.

„Die Tür ist falschrum eingebaut“, sagte er.

Der mit der Mütze blickte finster zu ihm hinüber: „Der Idiot ist immer noch betrunken.“

Immer noch kichernd öffnete Tomek die Beifahrertür. Dann beugte er sich nach unten und stützte sich auf die Sitzbank.

„He!“, rief Sławek.

Aber es war schon zu spät. Tomek kroch so weit in den Wagen hinein, bis sein Gesicht direkt vor dem des schlafenden alten Mannes war. Der Alte war so zusammengesackt, dass sein Gesicht Richtung Beifahrertür gerichtet war. Tomek holte tief Luft, hätte beinahe laut losgelacht und schrie dann so laut er konnte: „Buuuh!“ Dabei zog er eine fürchterliche Grimasse.

Der alte Mann riss die Augen auf und zuckte wie von einem Stromschlag durchpeitscht nach oben. Seine Gesichtszüge verzerrten sich vor Entsetzen.

„Buuh!“, schrie Tomek noch lauter.

Schlagartig entwich alles Blut aus dem Gesicht des alten Mannes. Er blinzelte kurz, schloss die Augen und fiel kraftlos auf das Lenkrad.

Tomek gluckste vor Freude und rutschte rückwärts aus dem Auto heraus. Dann richtete er sich auf und rief: „Ich habe ihn bewusstlos gemacht. Er …“

Weiter kam er nicht. Die Faust von Sławek, der um den Wagen herumgehastet war, traf ihn an der Schläfe, und er taumelte zu Boden.

Auf der anderen Wagenseite riss der mit der Mütze die Fahrertür auf.

„Er ist ohnmächtig“, stellte er fest.

Sławek kam wieder um den Wagen herum.

„Zieh ihn raus“, sagte er, „ich nehm dann seine Beine.“

Der mit der Mütze zog den alten Mann an den Armen aus dem Wagen. Sein schmächtiger Körper war nicht besonders schwer. Sławek fasste ihn an den Beinen.

„Halt, warte!“, sagte er dann.

Mit geübter Hand durchsuchte er die Hosentaschen des Alten und zog einen Schlüsselbund hervor.

„Da rüber!“, kommandierte er dann und machte eine entsprechende Kopfbewegung.

Sie trugen ihn zu den Strohballen, nahmen einmal Schwung und warfen den kraftlosen Körper in hohem Bogen über die Ballen hinweg in das dahinterliegende Heu.

„He!“, rief Tomek ihnen zu, als er wieder aufgestanden war.

„Halt den Mund, du Schwachkopf“, fuhr Sławek ihn harsch an.

Tomek blickte ihn ratlos an.

„Was nun?“, fragte der mit der Mütze.

„Mach das Tor auf“, sagte Sławek. „Holt die Kanister mit dem Benzin. Na los, macht schon!“

Die beiden untersetzten Männer gingen nach draußen.

Sławek setzte sich in die weiße Limousine und probierte die Schlüssel aus. Einer passte. Dann stieg er in den schwarzen Tatra ein. Auch hier passte ein Zündschlüssel.

Hastig füllten sie das Benzin in die beiden Tanks, während der Wind durch das geöffnete Scheunentor hereinpfiff und die dicke Glühbirne, die von der Decke hing, hin und her pendeln ließ.

Schließlich war es so weit. Die Motoren, die jahrelang nicht mehr in Betrieb gewesen waren, starteten reibungslos. Sie brummten tief und melodiös vor sich hin.

Zuerst fuhr Sławek im Rückwärtsgang vorsichtig den weißen Tatra nach draußen. Dann folgte sein Kumpel mit der Mütze im schwarzen Wagen. Im Vorwärtsgang hatte er es leichter, das Fahrzeug hinauszumanövrieren. Der Regen platschte auf die beiden Autos, die nun im Schein der Scheunenlampe nass glänzten wie zwei vorsintflutliche Reptilien.

Die drei Männer wuchteten das Scheunentor zu und setzten sich auf die Fahrersitze.

Der besoffene Tomek musste den Fiat steuern. Er tuckerte unsicher hinter den Limousinen her, die in Sekundenschnelle von der schwarzen Nacht verschluckt wurden.

In einer Ecke der Scheune raschelte es. Die Ratte wagte sich wieder aus ihrem Versteck hervor. Neugierig trippelte sie durch die leere Scheune und hüpfte über die Strohballen ins Heu. Dort entdeckte sie den Körper des alten Mannes. Er bewegte sich nicht. Die Ratte huschte näher heran, bis sie mit ihrer spitzen Schnauze ganz nah an seinem Gesicht angelangt war. Die Ratte hatte keine Angst mehr vor ihm. Der alte Mann atmete nicht mehr. Der alte Mann war tot.

1

Der Mann mit dem Lech-Wałęsa-Bärtchen starrte wie gebannt auf die flinken Finger der Blondine auf der anderen Seite des Tisches. In einem Halbkreis legte sie die Karten vor die Männer, die sich um den schmalen grünen Tisch in der zweiten Etage des Kasinos an der Reeperbahn drängten. Die Blondine ließ ihren Blick gelegentlich hochnäsig über die Gesichter der Männer gleiten. Obwohl sie eine schiefe Nase und schlaffe Pausbäckchen hatte, konnte sie sich das erlauben. Sie war die Königin des Black-Jack-Tisches. Die Karten, die durch ihre Finger glitten, entschieden über 100 Mark mehr oder weniger in den Brieftaschen der Spieler. Manchmal gewann einer der Männer, aber keiner schien über sein Glück wirklich erfreut zu sein. Es war harte Arbeit. Und meistens gewann sie.

Der Mann, der eine entfernte Ähnlichkeit mit dem polnischen Arbeiterführer hatte, war bereits dazu übergegangen, mit 50-Mark-Chips zu setzen, aber auch die gingen zur Neige. Als er den letzten verloren hatte, gab er es auf. Mit kleineren Chips wollte er sich nicht abgeben. Das war nicht professionell. Noch weniger professionell war es allerdings, an einem Abend in kürzester Zeit 1350 Mark zu verspielen. Der Mann, der kleiner war als die meisten Anwesenden – wenn man einmal von einigen Asiaten absah –, zuckte mutlos mit den Schultern, drehte sich um und ging zur Bar. Auch an der Bar war es eng. Überhaupt war es in diesem ganzen sehr eng, obwohl es mehrere Stockwerke besaß. Das lag an den vielen Spielautomaten, die überall herumstanden. Wenn man zu viel getrunken hatte, konnte es vorkommen, dass man zwischen all den gleich aussehenden Maschinen nicht mehr den Weg nach draußen fand. Einmal war ihm das schon passiert. Seitdem trank er weniger – jedenfalls hier im . In diesem Stockwerk gab es die verrückten Automaten zum Glück nicht. Stattdessen musste man sich zwischen Menschenleibern hindurchzwängen. Er schaffte es, zwischen einem muskulösen Afrikaner und einem schmächtigen Asiaten einen Platz an der Bar zu ergattern.

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