Psychofieber - Robert Brack - E-Book

Psychofieber E-Book

Robert Brack

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Beschreibung

Bei Tolonen läuft es wie immer miserabel. Zu dem politischen Verdruss über die zunehmend rechts­orientierten Wahlergebnisse nähert sich auch die geschäftliche Katastrophe. Seine Geldreserven gehen zur Neige, niemand interessiert sich für seine Arbeit und auch sein Kollege Kreissberg fällt ihm in den Rücken. Ausgerechnet an Interpub­lic / Globalnews verkauft dieser seine Storys. Nur eine Frage der Zeit bis auch Tolonen wieder bei seiner alten Agentur anheuern muss. Um das zu verhindern, recherchiert er über den Mord an einer jungen Frau, die tot auf der Elbinsel gefunden wird. Ihr Freund, der Sohn des Innensenators, gerät unter Verdacht, als er plötzlich untertaucht. Tolonen vermutet eine Verschwörung und wird tief hineingezogen in eine Welt aus elektronischer Musik und illegaler Drogen, aus der er plötzlich nicht mehr herauskommt.

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Robert Brack • Psychofieber

A Faint Cold Fear Thrills Through My Veins

William Shakespeare

Robert Brack

Psychofieber

PENDRAGON

Robert Brack, Jahrgang 1959, lebt als freier Autor, Übersetzer und Journalist in Hamburg. Dieser Roman ist der dritte Teil der Trilogie um den Reporter Tolonen, der mit seinem Freund Kreissberg bei dem Versuch, mit seriösem Journalismus sein Geld zu verdienen, immer wieder in brisante Kriminalfälle verwickelt wird. Die Tolonen-Trilogie besteht aus folgenden Bänden: „Rechnung mit einer Unbekannten“, „Schwere Kaliber“ und „Psychofieber“.

Pendragon Verlag

gegründet 1981

www.pendragon.de

Originalausgabe

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Bielefeld 2016

© by Pendragon Verlag Bielefeld 2016

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Anja Schwarz, Lena Richters

Umschlag und Herstellung: Uta Zeißler, Bielefeld

Umschlagfoto: mauritius images / Westend61 /

Stefan Kunert

Satz: Pendragon Verlag auf Macintosh

Gesetzt aus der Adobe Garamond

ISBN 978-3-86532-538-9

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Die Hauptpersonen

Harte Zeiten brechen an für den Journalisten Tolonen, obwohl sein hartgesottener Kompagnon Kreissberg allem Anschein nach zum Softie mutierte. Nur der Kripo-Beamte Menzel ist ganz der alte geblieben und gibt einen Tipp: Die Leiche der jungen Carmen Wüpperfürth liegt auf einer Elbinsel, als Überbleibsel einer Party, die Kai Uwe Katzur, Sohn des Innensenators Bruno Katzur, gegeben hat, bevor er verschwand. Ein imitierter Graf namens Guido Perosino, ein polnischer Dealer namens Robak und ein Detektiv namens Herbert A. P. Sapia kommen dem recherchierenden Journalisten in die Quere, während er das soziale Elend der Hansestadt in den Personen von Aloa, ihrem Freund Narc und dem aufmüpfigen Penner Klaus kennenlernt und von einem schwarzen Racheengel bedroht wird.

1

Wir haben hier alles, was wir brauchen. Zwei Betten zum Schlafen, zwei Stühle zum Sitzen, einen Tisch zum Schreiben, ein Radio zum Hören, ein Fenster zum Hinaussehen. Leider nur sehr wenig Luft zum Atmen für zwei erwachsene Männer. Und keinen Kühlschrank, um das Bier aufzubewahren. Da wir hier nur selten Bier bekommen, spielt das keine große Rolle. Mir ist es ohnehin egal, nur mein Kompagnon kann nicht oft genug das Fehlen eines eisgekühlten Holsten beklagen. Was mir viel mehr zu schaffen macht, ist der Ausblick aus dem Fenster: graue Mauern, grauer Asphalt, grauer Himmel. Viel mehr bekommen auch Sie nicht zu sehen, werden Sie jetzt sagen. Sicher. Aber die Mauern, die ich sehe, wenn ich mich auf die Zehenspitzen oder auf den Stuhl stelle, sind Gefängnismauern. Der Hof, den ich sehe, das ist der, in dem wir eine Stunde täglich herumlaufen dürfen. Und der Himmel? Der ist unsichtbar geworden. Wenn alles grau geschmirgelt ist, wird es schwierig, herauszufinden, wo die eine Fläche beginnt und die andere aufhört. Meiner Welt fehlt die dritte Dimension, sie existiert nur noch als Fläche. Es gibt keinen Raum mehr. Nur noch eine Zelle.

Der Mann, mit dem ich diese wenigen Quadratmeter teile, hat die Angewohnheit, vor dem Einschlafen ein Lied zu singen: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen …“ Das singt er jeden Abend. Nicht richtig laut. Mal summt er es, mal murmelt er es im Sprechgesang, gelegentlich hebt er die Stimme etwas an, manchmal lallt er ein bisschen. Text und Melodie beherrscht er nur bruchstückhaft. Also muss er improvisieren. Ich achte auf jede Nuance, jede Abweichung, jede Neuentwicklung. Auf diese Weise singt er sich in den Schlaf. Ich habe es bis heute nicht geschafft, herauszufinden, wann der Schlaf bei ihm beginnt. Jedenfalls nicht erst dann, wenn sein Gesang verstummt. Er murmelt sowieso sehr viel im Schlaf. Leider kann ich davon kaum etwas verstehen, sosehr ich mich auch bemühe. Dabei würde ich gerne mehr über diesen Mann erfahren, mit dem ich nun seit einigen Wochen zusammenlebe. Nicht aus wirklichem Interesse natürlich, sondern aus Langeweile.

Mein Gott, wie ich mich langweile! Man kann tatsächlich ein Stadium der geistigen Öde erreichen, indem man zu nichts anderem mehr fähig ist, als sich zu langweilen. Eine Psychose. So weit wollen sie einen natürlich kriegen. Das nennen sie Strafvollzug. Sie machen einen dumpf, apathisch, blöd. Man wird zum rückgratlosen Weichtier hier. Um das zu verhindern, muss ich mich jetzt an den Schreibtisch zwingen. Ich frage mich, wie mein Kumpel wohl darauf reagieren wird. Ich glaube nicht, dass er in seinem Leben jemals mehr als seinen Namen niedergeschrieben hat. Als ich neulich versuchte, ein Buch zu lesen, hat er gefragt, was ich da in den Händen halte. „Ein Buch“, hab ich geantwortet. Ich hätte auch sagen können: einen „Holzklotz“. Die Reaktion wäre gleichermaßen indifferent ausgefallen: „Aha.“ Verständnisloses Kopfnicken. Offenbar hat er noch nie ein Buch in den Händen gehalten. „Na und, was sind schon Bücher?“, mag man einwenden. Überlebensmittel, wie ich jetzt feststellen muss. Überlebensmittel für Schwächlinge vielleicht. Mein Zellengenosse benötigt dieses Mittel jedenfalls nicht.

Er ist größer und breiter als ich, ein echter Muskelprotz. Ich frage mich immer wieder, woher diese Kraft kommt. Bodybuilding betreibt er nicht, und einer regelmäßigen Beschäftigung ist er offenbar sein ganzes Leben lang nicht nachgegangen. Seine Muskeln sind sein ganzer Stolz, er stellt sie zur Schau mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der eine Sexbombe ihre Reize darbietet. Selbst an den kältesten Tagen trägt er nur ein Unterhemd. So kann jeder die Tätowierungen bewundern, die seine Arme und Schultern zieren: Frauen, Schlangen, Runen (SS), Hakenkreuze, Herze, Dolche, Schwerter, Rosen. Wenn er das Hemd auszieht, starrt man gebannt auf den feuerspeienden Drachen auf seinem massigen Rücken. Wenn er sich umdreht und dann vor einem steht, wird man unbarmherzig von dem pornographischen Frauenakt auf seinem muskulösen Bauch angezogen. Als ich einmal eine ironische Bemerkung über diese in die Haut geritzten Bilder anbringen wollte, hat er mich für einen kurzen Moment angesehen, al s wolle er mich erschlagen. Seitdem lasse ich das. Auch wenn ich geneigt bin, diese Malereien als „entartete Kunst“ einzustufen, für ihn sind es echte Kunstwerke, mit deren Hilfe er sein Verhältnis zur Welt beschreibt.

Übrigens ist er kein Nazi, auch wenn ihn seine Freunde liebevoll „SS-Heinz“ nennen. Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, hat er mir erzählt, warum er eingelocht wurde.

Der Wärter (ein Mensch, der den perversesten Beruf der Welt ausübt) schloss die Zellentür auf und sagte: „Machen Sie sich nichts draus, Tolonen. Sie bekommen bald eine Einzelzelle. Aber keine Angst, der da ist ein gutartiges Raubtier.“

Das fand er witzig, wir nicht.

SS-Heinz lag auf seinem Bett an der linken Seite der Zelle und sah mich apathisch an.

„Hallo“, sagte ich und schmiss meine wenigen Utensilien auf das andere Bett.

„Tach“, sagte er.

„Sei nett zu ihm, Heinz“, meinte der Wärter überflüssigerweise, „das ist ein Intellektueller.“

„Mir egal.“

Die Tür knallte zu, und ich stand mitten in meiner neuen Behausung und fühlte mich ungeheuer elend. Wie lange werde ich diese Mauern ertragen müssen?, fragte ich mich. Und wie lange mit diesem tätowierten Fleischbrocken zusammen sein, der nach Schweiß und anderen Ausdünstungen riecht?

„He, Alter! Mach dir mal nicht gleich ins Hemd“, sagte er. „Ich heiße auch Heinz“, sagte ich hilflos.

Und da fing er an zu lachen. Ich fand das überhaupt nicht komisch. Ich bin vielleicht kein Intellektueller, aber immerhin genug vergeistigt und verkorkst, dass es mir schwerfällt, mit solchen Typen aus dem Proletariat zu kommunizieren. Ich hab Angst vor diesen Kerlen.

„Das ist klasse!“, brüllte er und wälzte sich begeistert auf dem unordentlichen Bett herum.

Ich setzte mich hin. Mein Magen krampfte sich zusammen. Der Prozess hatte mir ein halbes Magengeschwür beschert.

„Heinz und Heinz“, kicherte er und sah mich fröhlich an. „Wir können eine Ketchup-Firma aufmachen.“

„Was ist denn so witzig?“

„Mensch, Heinz! Du bist wohl schwer von Begriff? Funktioniert nicht alles so richtig da oben, he?“ Er deutete auf meinen Kopf.

„Wahrscheinlich nicht.“

„Einen Schluck?“

„Bitte?“

„Einen Whisky.“ Er zog eine Literflasche Jim Beam unter dem Kopfkissen hervor.

„Wo hast du die denn her?“

„Du kannst genau einen Schluck haben. Als Einstand. Dann musst du dir selbst eine besorgen.“

„Danke.“

Ich nahm einen großen Schluck, um ihm zu beweisen, dass ich ein harter Bursche war. Meine Innereien zogen sich zusammen. Ich krümmte mich und ächzte. Wenn ich jetzt sterbe, dachte ich, dann wenigstens wie ein Held.

„Die haben dich ganz schön in der Mangel gehabt, was?“

SS-Heinz nahm die Flasche wieder an sich: „Ich hatte mal einen Kumpel, dem kam auch immer die Galle hoch im Knast. Jetzt hat’s ihn zerrissen. War ein Arschloch, aber ein klasse Typ. Ich mein, der konnte einem echt auf den Geist gehen mit seinem Gelaber, aber wenn’s drauf ankam, war er voll dabei. Ingo. Ich trink jeden Tag einen Schluck auf sein Wohl.“

Er nahm einen sehr großen Schluck und grunzte. „Wir haben ihn verbrannt.“

„Was?“

„Jetzt sitzt er in einer Urne.“

„Ach so.“

„Scheiße.“

Er nahm noch einen Schluck und verstaute die Flasche wieder unter dem Kopfkissen.

„Und ich sitz hier und dreh Däumchen. Na, vielleicht besser als in einer Urne.“

„Däumchendrehen in der Urne?“

„Ha! Du bist ein Scherzkeks, hä?“

„Manchmal.“

„Teil dir deine Witze gut ein, du wirst sie noch brauchen.“

„Mach ich.“

„Ich hab nämlich keine mehr über. Ich denk immer an diese scheiß Urne, die wir gekauft haben. Wir haben die teuerste genommen. Sah ganz schön bescheuert aus, das Ding. Scheiße. Nachdem der Topf unter der Erde war, haben wir uns die Birne zugeknüppelt, die Jungs und ich. Und dann haben wir diese Arschgeigen getroffen. Na ja.“ Er machte eine abschätzige Handbewegung.

„Was, na ja?“

„Ich hatte geladen wie noch nie, Mann. Es war ein beschissener, trauriger Tag, verstehst du? Und dann kommen diese Figuren an, fünf Mann hoch, und angegeben haben sie wie zehn nackte Neger. Grünschnäbel.“ Er wälzte sich auf die Seite: „Glatzen. Kennst du die Typen?“

Ich sah ihn fragend an.

„Skinheads. Die kamen angelatscht im Kampfanzug und so weiter, Knüppel, Schlagring. Wir waren sowieso schon schlecht drauf, Mann. Und dann werden wir von diesen Arschgeigen angemacht. Die wollten Blut sehen, verstehst du? Ich hab denen meine Buchstaben gezeigt. Hier.“

Er hielt mir seine linke Faust entgegen. Auf die Finger hatte er sich die Buchstaben H-A-S-S tätowieren lassen.

„Dann hab ich so gemacht.“ Er streckte Zeigefinger und Mittelfinger vor, drehte die Hand um und hielt sie hoch: „SS. Das sind meine Buchstaben. Da waren sie wohl sauer, weil sie nichts dagegenhalten konnten. Jedenfalls meinte der eine, wir Penner dürften die Buchstaben nicht benutzen. Sie wollten mir die Finger abhacken. Das fanden sie lustig. Die haben gelacht. Und dann hatte der Oberschwätzer von denen die Buchstaben in der Fresse hängen. Dann ging der Rambozambo los. Mann, wir waren so sauer, wegen Ingo und überhaupt, dass wir gedroschen haben wie Schwarzenegger. Ungelogen, Alter. Wir haben sie fertiggemacht. In Nullkommanix lagen die platt wie die Fliegen auf dem Boden. Siehst du die Faust hier?“

„Ja, klar.“

„Mit der hab ich ihn zermatscht. Ich hab ihm den Schädel zu Brei gehauen, konnte gar nicht aufhören damit. Scheiße.“ Er schüttelte betrübt den Kopf: „Und jetzt sitz ich hier, verdammt. Nur wegen so ein paar Arschgeigen. Das war vielleicht ein beschissener Tag!“

Er holte tief Luft und schwieg. Einige Minuten sagte keiner von uns einen Ton. Dann kramte er mit der rechten Hand die Flasche wieder hervor.

„Willst du noch?“

„Danke.“

Er hielt mir die Flasche hin. Auch auf den Fingern der rechten Hand waren Buchstaben.

„Was steht denn da?“, fragte ich und nahm die Flasche entgegen.

Er machte eine Faust. Wenn er den Daumen richtig hielt, konnte man fünf Buchstaben erkennen.

„L-I-E-B-E“, sagte SS-Heinz und schloss die Augen.

2

Es war Sommer und seit Tagen viel zu heiß. Die Rechten hatten die Wahlen gewonnen. Ich saß mit einer Flasche eisgekühltem Bier vor meinem Fernseher und machte in Kulturpessimismus. Vielleicht war es an der Zeit auszuwandern. Ich hatte sowieso seit einiger Zeit das Gefühl, in dieser Stadt überflüssig zu sein. Aber nur wegen dieser 15,5 Prozent rechtsradikaler Wählerstimmen ins Exil gehen? Wohin denn? Kleinbürgerliche Nationalisten gibt es überall. Wenn man sich mit ihnen herumplagen muss, dann besser zu Hause, wo man wenigstens ihre Sprache versteht. Ich lächelte bitter in Richtung Mattscheibe. Der Fernsehapparat strahlte ein eisiges Blau in mein Zimmer, draußen wurde es allmählich dunkler. Ich stand kurz auf, holte mir eine neue Flasche Bier und öffnete nach kurzem Zögern eine Dose Erdnüsse. Die Übertragung von Wahlergebnissen hat was von einer Sportübertragung, warum soll man es also nicht genießen?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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