Die Sprache der Knochen - Kathy Reichs - E-Book

Die Sprache der Knochen E-Book

Kathy Reichs

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Beschreibung

Nur wer ihre Sprache versteht, kann die Geheimnisse der Knochen lüften.

In "Die Sprache der Knochen" sieht sich die forensische Anthropologin Tempe Brennan vor einige Rätsel gestellt - darunter auch, was sie auf den Heiratsantrag von Detective Andrew Ryan antworten soll. Doch die Fragen zu ihrem Familienstand treten in den Hintergrund, als eine Hobbydetektivin behauptet, menschliche Überreste in Brennans Labor einer vermissten jugnen Frau zuordnen zu können. Tempe beschließt, die Hinweise ernst zu nehmen und die Spur weiter zu verfolgen, die auf einen Mord hinzudeuten scheint. Doch kaum in die Ermittlungen eingestiegen, zieht es Brennan in die düstere Welt einer fanatischen religösen Gemeinschaft. Deren streng gehütete Geheimnisse muss Brennan schnellstens aufdecken, will sie weitere Todesfälle verhindern.

Mit dem neuesten Fall für Tempe Brennan knüpft Kathy Reichs nahtlos an ihren letzten Erfolg, den SPIEGEL-Bestseller "Knochen lügen nie", an und hilft ihrer weltweit millionenstarken Fangemeinde, die "Sprache der Knochen" noch besser zu verstehen.

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Seitenzahl: 420

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Zum Buch

Eine junge Frau ist verschwunden. Ihre Familie behauptet, es gehe Cora gut. Doch die verstörte Stimme, die Forensikerin Tempe Brennan auf einer Aufnahme hört, spricht eine andere Sprache. Und wirft Fragen auf. Woher stammt die Tonaufzeichnung? Ist Cora aus freien Stücken abgetaucht? Oder vermisst, weil sie Opfer eines Verbrechens wurde? Die Knochen einer Leiche, die Tempe noch nicht identifiziert hat, scheinen eine Geschichte von Coras Verschwinden zu erzählen, die noch viel grausamer ist, als Tempe befürchtet hat …

Zur Autorin

Kathy Reichs, geboren in Chicago, lebt in Charlotte und Montreal. Sie ist Professorin für Soziologie und Anthropologie und unter anderem als forensische Anthropologin für gerichtsmedizinische Institute in Quebec und North Carolina tätig. Ihre Romane erreichen regelmäßig Spitzenplätze auf internationalen und deutschen Bestsellerlisten und wurden in 30 Sprachen übersetzt. Tempe Brennan ermittelt auch in der von Reichs mitkreierten und -produzierten Fernsehserie »Bones – Die Knochenjägerin«.

www.kathyreichs.com

www.facebook.com/kathyreichsbooks

www.twitter.com/KathyReichs

Lieferbare Titel

978-3-89667-452-4 - Totengeld

978-3-89667-453-1 - Knochen lügen nie

Von Kathy Reichs erschienen:

Aus der Temperance-Brennan-ReiheKnochen lügen nieTotengeldKnochenjagdFahr zur HölleBlut vergisst nichtDas Grab ist erst der AnfangDer Tod kommt wie gerufenKnochen zu AscheHals über KopfTotgeglaubte leben längerTotenmontagMit Haut und HaarKnochenleseDurch Mark und BeinLasst Knochen sprechenKnochenarbeitTote lügen nicht

Aus der Virals-Reihe mit Brendan Reichs

Jeder Tote hütet ein GeheimnisNur die Tote kennt die WahrheitTote können nicht mehr reden

Kathy Reichs

Die Sprache der Knochen

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Klaus Berr

Blessing

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Originaltitel: Speaking in BonesOriginalverlag: Bantam Books, Penguin Random House LLC, New York

1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2015 by Temperance Brennan, L.P.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung und Motiv:

Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-16590-1V001

www.blessing-verlag.de

FürCooper Eldridge Mixon,geboren am 14. Juli 2014

1

»Ich bin jetzt nicht mehr gefesselt. Meine Hand- und Fußgelenke brennen von den Riemen. Meine Rippen sind geprellt, und hinter meinem Ohr pocht eine Beule. Ich kann mich nicht erinnern, mir den Kopf angeschlagen zu haben. Ich liege sehr still da, weil mein ganzer Körper schmerzt. Wie die ganze Woche schon. Wie damals, als ich den Unfall mit dem Fahrrad hatte. Warum rettet meine Familie mich nicht? Vermisst mich denn niemand? Ich habe doch nur meine Familie. Keine Freunde. Es ging einfach nicht. Ich bin ganz allein. So allein. Wie lange bin ich schon hier? Wo ist hier? Die ganze Welt entgleitet mir. Alles. Jeder. Bin ich wach oder schlafe ich? Träume ich, oder ist das real? Ist es Tag oder Nacht?

Wenn sie zurückkommen, tun sie mir wieder weh. Warum? Warum passiert das mit mir? Ich höre kein einziges Geräusch. Nein. Das stimmt nicht. Ich höre mein Herz schlagen. Blut, das in meinen Ohren rauscht. Ich schmecke etwa Bitteres. Wahrscheinlich Erbrochenes, das mir zwischen den Zähnen klebt. Ich rieche Beton. Meinen eigenen Schweiß. Meine dreckigen Haare. Ich hasse es, wenn meine Haare nicht gewaschen sind. Ich werde jetzt die Augen öffnen. Eins habe ich geschafft. Das andere ist verklebt. Kann nicht viel sehen. Alles ist verschwommen, als würde ich unter Wasser schauen.

Ich hasse das Warten. Dann übernehmen die Bilder mein Hirn. Bin mir nicht sicher, ob es Erinnerungen sind oder Halluzinationen. Ich sehe ihn. Immer in Schwarz, das Gesicht verrückt rot und voller Schweiß. Ich meide seinen Blick. Schaue immer nur auf seine Schuhe. Glänzende Schuhe. Die Kerzenflamme tanzt wie ein kleiner gelber Wurm auf dem Leder. Er steht über mir, riesig und gemein. Bringt sein grässliches, stinkendes Gesicht dicht an meins. Ich spüre seinen ekligen Atem auf meiner Haut. Er wird wütend und reißt mich an den Haaren. Seine Adern treten vor, er schreit, und seine Wörter klingen, als würden sie von einem anderen Planeten kommen. Oder als hätte ich meinen Körper verlassen und würde sie von weit her hören. Ich sehe seine Hand auf mich zukommen, sie hält das Ding so fest umklammert, dass es bebt. Ich weiß, dass ich zittere, aber in mir ist alles taub. Oder bin ich tot?

Nicht! Nicht jetzt. Lass es nicht jetzt passieren!

Meine Hände werden ganz kalt und kribbeln. Ich sollte nicht über ihn reden. Ich hätte nicht sagen sollen, dass er grässlich ist.

Ja. Sie kommen.

Warum passiert das mir? Was habe ich getan? Ich habe doch immer versucht, gut zu sein. Versucht zu tun, was Mama mir sagte. Er darf mich nicht töten! Bitte, Mama, er darf mich nicht töten!

Mein Hirn wird ganz benebelt. Ich kann jetzt nicht mehr reden.«

Stille, dann das Klicken einer Tür, die sich öffnet. Und wieder schließt.

Schritte, ohne Eile, fest auf dem Boden.

»Tu deine Pflicht.«

»Nein!«

»Widersetz dich nicht.«

»Lass mich in Frieden.«

Der Rhythmus hektischen Atems.

Das Klatschen eines Schlags.

»Bitte, töte mich nicht.«

»Tu, was ich sage.«

Schluchzen.

Ein Geräusch, als würde jemand geschleift.

Stöhnen. Rhythmisch.

»Bist du in meiner Hand?«

»Dreckige Schlampe!« Lauter, tiefer.

Ein leises Scharren.

Das Klicken von Metall.

»Du wirst sterben, du Schlampe.«

»Wirst du mir jetzt antworten?«

»Hure!«

Erregtes Fingertrommeln. Kratzen.

»Gib mir, was ich brauche!«

Pfft. Heftiges, zischendes Spucken.

»Du antwortest mir nicht?«

Stöhnen.

»Das ist doch erst der Anfang.«

Klicken-Quietschen. Eine Tür, die wütend zugeschlagen wird.

Absolute Stille. Leises Schluchzen.

»Bitte, töte mich nicht.

Bitte, töte mich nicht.

Bitte.

Töte mich.«

2

Die Knöchel der Frau wölbten sich bleich unter rissiger, spröder Haut. Mit knotigem Finger drückte sie einen Knopf auf dem Gerät in dem Ziploc-Beutel.

Es wurde still im Zimmer.

Ich saß reglos da, die Nackenhaare aufgestellt.

Die Augen der Frau starrten in meine. Sie waren grün mit gelben Einsprengseln, was mich an eine Katze denken ließ. Eine Katze, die den richtigen Augenblick abwarten und dann mit tödlicher Genauigkeit zuschlagen konnte.

Ich ließ das Schweigen gewähren. Nicht zuletzt, um meine Nerven zu beruhigen. Vor allem aber, um die Frau zu ermutigen, den Grund ihres Besuchs zu erläutern. In ein paar Stunden musste ich in einem Flugzeug sitzen. Und ich hatte noch so viel zu tun, bevor ich mich zum Flughafen aufmachte. Nach Montreal und zu Ryan. Ich brauchte das hier nicht. Aber ich wollte unbedingt wissen, was die entsetzlichen Geräusche bedeuteten, die ich eben gehört hatte.

Die Frau saß vornübergebeugt auf ihrem Stuhl. Angespannt. Voller Erwartung. Sie war groß, mindestens einsachtzig, und trug Stiefel, Jeans und ein Jeanshemd, das bis zu den Ellbogen aufgekrempelt war. Ihre Haare waren gefärbt und so rot wie der Aschebelag in Roland Garros. Sie hatte sie zu einem Dutt oben auf dem Kopf zusammengefasst.

Mein Blick löste sich von den Katzenaugen und wanderte zu der Wand hinter der Frau. Zu einer gerahmten Urkunde, die Temperance Brennan vom American Board of Forensic Anthropology auszeichnete. Die Prüfung war eine harte Nuss gewesen.

Ich war mit meiner Besucherin allein in den knapp elf Quadratmetern, die man der beratenden forensischen Anthropologin des Mecklenburg County Medical Examiner zugestand. Ich hatte die Tür offen gelassen. Wusste nicht so recht, warum. Normalerweise mache ich sie zu. Irgendetwas an der Frau bereitete mir Unbehagen.

Vertraute Arbeitsgeräusche drangen vom Gang herein. Das Klingeln eines Telefons. Die Kühlraumtür, die zischend auf- und mit einem Klicken wieder zuging. Eine Rolltrage mit Gummirädern, die zu einem Autopsiesaal geschoben wurde.

»Es tut mir leid.« Ich war erleichtert, dass meine Stimme so ruhig klang. »Die Empfangsdame hat mir Ihren Namen genannt, aber ich habe meine Notiz verlegt.«

»Strike. Hazel Strike.«

Das ließ in meinem Hirn ein Glöckchen klingen. Was?

»Man nennt mich auch Lucky.«

Ich sagte nichts.

»Aber ich verlasse mich nicht auf mein Glück. Ich arbeite hart.« Obwohl ich Strike auf Anfang bis Mitte sechzig schätzte, war ihre Stimme noch kräftig wie die einer Mittzwanzigerin. Der Akzent ließ darauf schließen, dass sie aus der Gegend kam.

»Und was tun Sie genau, Ms. Strike?«

»Mrs. Mein Mann verstarb vor sechs Jahren.«

»Mein Beileid.«

»Er musste ja unbedingt rauchen.« Sie hob leicht eine Schulter. »Und dann bezahlt man eben den Preis.«

»Was tun Sie genau?«, wiederholte ich, weil ich wollte, dass Strike zum Punkt kam.

»Die Toten nach Hause schicken.«

»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«

»Ich ordne Leichen vermissten Personen zu.«

»Das ist die Aufgabe der Ermittlungsbehörden in Zusammenarbeit mit Coroners und Medical Examiners«, sagte ich.

»Und ihr Profis schafft es jedes Mal.«

Ich verkniff mir eine schnippische Erwiderung. Strike hatte nicht ganz unrecht. Statistiken, die ich gelesen hatte, gaben die Anzahl der Vermissten in den Vereinigten Staaten mit etwa 90 000 an, und die Anzahl der nicht identifizierten Überreste der letzten fünfzig Jahre mit über 40 000. Die letzte Zählung, die ich las, nannte 115 nicht identifizierte Tote in North Carolina.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Mrs. Strike?«

»Lucky.«

»Lucky.«

Strike legte den Ziploc-Beutel neben eine leuchtend gelbe Fallakte auf meiner Schreibunterlage. Darin steckte ein graues Plastikrechteck, ungefähr fünf Zentimeter breit, zehn Zentimeter lang und einen guten Zentimeter dick. Ein Metallring an einem Ende deutete auf eine Doppelfunktion als Rekorder und Schlüsselanhänger hin. Ein Band aus verblasstem Jeansstoff ließ vermuten, dass das Ding am Bund einer Jeans gehangen hatte.

»Beeindruckendes kleines Spielzeug«, sagte Strike. »Mit Stimmaktivierung. Zwei Gigabyte interner Flash-Speicher. Kriegt man für weniger als hundert Dollar.«

Der gelbe Aktendeckel rief mich. Vorwurfsvoll. Vor zwei Monaten war ein Mann in seinem Fernsehsessel gestorben, die Fernbedienung noch in der Hand. Am vergangenen Wochenende war seine mumifizierte Leiche von einem sehr unglücklichen Hausbesitzer gefunden worden. Ich musste dieses Gespräch hier abschließen und mich wieder an meine Untersuchung machen. Dann nach Hause, um zu packen und meine Katze bei meinem Nachbarn abzugeben.

Aber diese Stimmen. Mein Puls war immer noch höher als normal. Ich wartete.

»Die Aufnahme dauert fast zwanzig Minuten. Aber die fünf, die Sie gehört haben, reichen völlig, damit Sie verstehen, worum es geht.« Strike schüttelte kurz den Kopf. Was den Dutt auf ihrem Kopf leicht seitlich verschob. »Jagt einem eine Heidenangst ein, was?«

»Die Aufnahme ist verstörend, zugegeben.« Das war reichlich untertrieben.

»Finden Sie?«

»Vielleicht sollten Sie sie der Polizei vorspielen.«

»Ich spiele sie Ihnen vor, Doc.«

»Ich glaube, ich habe drei Stimmen gehört.« Meine Neugier rang jetzt meine Zurückhaltung nieder. Zusammen mit einer unguten Vorahnung.

»Das denke ich auch. Zwei Männer und das Mädchen.«

»Was passiert da?«

»Keine Ahnung.«

»Wer hat gesprochen?«

»Eine Theorie habe ich nur zu einer Person.«

»Und die lautet?«

»Darf ich ein bisschen ausholen?«

Ich warf einen schnellen Blick auf meine Armbanduhr. Nicht so verstohlen, wie ich geglaubt hatte.

»Oder ist es gar nicht Ihre ›Aufgabe‹, Leichen Namen zu geben.« Strikes Finger versahen den Begriff, den ich Augenblicke zuvor verwendet hatte, mit sarkastischen Anführungszeichen.

Ich lehnte mich zurück und setzte mein Zuhörergesicht auf.

»Wissen Sie, was ein Websleuth ist?«

Darum ging es also. Ich schwor mir, meine Stimme sachlich, aber meine Antwort kurz zu halten.

»Websleuths sind Internetdetektive, Amateure, die online versuchen, alte Fälle zu lösen.« Möchtegernforensiker und -polizisten. Übereifrige Fans von NCIS, Cold Case, CSI und Bones. Das behielt ich für mich.

Strikes Brauen wanderten über der Nase zusammen. Sie waren dunkel und passten nicht so recht zu der blassen Haut und den rot gefärbten Haaren. Sie musterte mich lang, bevor sie etwas erwiderte.

»Wenn Leute sterben, bekommen sie meistens ein Begräbnis, eine Totenwache, einen Gedenkgottesdienst. Eine Trauerrede, einen Nachruf in der Zeitung. Manche kriegen Sterbebilder mit ihrem Foto und einer Abbildung von Engeln oder Heiligen oder sonst was drauf. Wenn man eine große Nummer war, wird eine Schule oder eine Brücke nach einem benannt. So sollte es eigentlich sein. So sollten wir mit dem Tod umgehen. Indem man die Lebensleistung eines Menschen anerkennt.

Aber was passiert, wenn jemand einfach verschwindet? Puff.« Strike brachte die Finger zusammen und ließ sie wieder auseinanderschnellen. »Ein Mann geht zur Arbeit und verschwindet? Eine Frau steigt in einen Bus ein und nirgends wieder aus?«

Ich wollte etwas sagen, aber Strike redete weiter.

»Und was passiert, wenn eine nicht identifizierte Leiche auftaucht? An einem Straßenrand, in einem Teich, in einen Teppich gewickelt und in einem Schuppen versteckt?«

»Wie schon gesagt, das ist die Aufgabe von Polizei und Medical Examiner. Hier in dieser Einrichtung tun wir alles uns Mögliche, um dafür zu sorgen, dass alle menschlichen Überreste identifiziert werden, unabhängig von den Umständen und ihrem Zustand.«

»Das mag vielleicht hier so sein. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass es woanders reine Glückssache ist. Eine Leiche hat vielleicht Glück, sie wird nach Narben, Piercings, Tattoos, alten Verletzungen untersucht, man nimmt ihr die Fingerabdrücke ab und sammelt eine Gewebeprobe für eine DNS-Untersuchung. Eine verweste Leiche oder ein Skelett landet vielleicht bei einem Experten wie Ihnen, dann wird der Zahnstatus dokumentiert, Geschlecht, Alter, Abstammung und Größe werden in eine Datenbank eingegeben. In einem anderen Zuständigkeitsbereich werden ähnliche Überreste vielleicht einmal flüchtig untersucht, dann landen sie in einem Kühlraum, einem Hinterzimmer, einem Keller. Eine namenlose Leiche wird vielleicht ein paar Wochen oder ein paar Tage aufbewahrt, dann wird sie verbrannt und anonym bestattet.«

»Mrs. Strike –«

»Verloren. Ermordet. Weggeworfen. Von niemandem beansprucht. Dieses Land quillt über von vergessenen Toten. Und irgendwo fragt irgendwer nach jeder einzelnen dieser Seelen.«

»Und Websleuthing ist eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen.«

»Verdammt richtig.« Strike schob sich energisch die Ärmel weiter hoch, als wären sie ihr plötzlich am Ellbogen zu eng geworden.

»Verstehe.«

»Wirklich? Haben Sie je eine Websleuthing-Seite besucht?«

»Nein.«

»Wissen Sie, was in diesen Foren abgeht?«

Da ich die Frage als rhetorische verstand, antwortete ich nicht.

»Nicht identifizierte Leichen werden mit neckischen, kleinen Spitznamen versehen. Princess Doe. Die Lady of the Dunes. Das Tent Girl. Little Miss Panasoffkee. Baby Hope.«

Aus dem Glöckchen wurde eine komplette Synapse.

»Sie haben Old Bernie identifiziert«, sagte ich.

Old Bernie war ein unvollständiges Skelett, das 1974 von Wanderern hinter einer Schutzhütte am Neusiok Trail im Croatan National Forest gefunden wurde. Die Überreste wurden an das Büro des Chief Medical Examiner geschickt, das sich damals noch in Chapel Hill befand, und dort klassifiziert als die eines älteren schwarzen Mannes. Ein Detective in New Bern, der diesen Fall bearbeitete, hatte kein Glück bei der Identifikation.

Jahrelang lag das Skelett in einem Karton in einem Lagerraum des OCME. Irgendwann erhielt es den Spitznamen Old Bernie, in Anlehnung an New Bern, der Stadt, die dem Fundort des alten Mannes am nächsten lag.

Zu der Zeit von Old Bernies Entdeckung berichteten viele Zeitungen davon – in Raleigh, Charleston, New Bern und Orten in der Umgebung. Am 24. März 2004, dem dreißigsten Jahrestag der Entdeckung des Herrn, erschien im Sun Journal in New Bern wieder ein Artikel, zusammen mit einer Gesichtsrekonstruktion. Niemand meldete sich, der Anspruch auf die Knochen erhob.

2007 berichtete ein Techniker des OCME mir von dem Fall. Ich erklärte mich bereit, mir die Sache einmal anzusehen.

Ich pflichtete meinen Kollegen bei, dass die Überreste die eines zahnlosen Afroamerikaners waren, gestorben im Alter zwischen fünfundsechzig und achtzig. Aber im Gegensatz zu den Befunden meiner Vorgänger regte ich an, dass man den Spitznamen des Opfers von Old Bernie zu Old Bernice änderte. Die Beckencharakteristika waren eindeutig die einer Frau.

Ich entnahm Proben für eine mögliche DNS-Untersuchung, dann kam Old Bernie wieder in seinen Karton in Chapel Hill. Im Jahr darauf ging das National Missing and Unidentified Persons System, NamUs, online. NamUs, eine Datenbank für nicht identifizierte Überreste und vermisste Personen, ist kostenlos und für jedermann zugänglich. Ich gab die Fallcharakteristika in den Bereich für nicht identifizierte Überreste ein. Sehr schnell stürzten sich Websleuths darauf wie Fliegen.

»Ja«, sagte Strike. »Das war ich.«

»Wie haben Sie das geschafft?«

»Reine Beharrlichkeit.«

»Das ist sehr vage.«

»Hab mir eine Milliarde Fotos auf NamUs und anderen Seiten angeschaut, die Vermisste auflisten. Hab viel telefoniert, nach alten Damen ohne Zähne gefragt. Und an beiden Enden Nieten gezogen. Dann hab ich’s offline versucht, mir Artikel aus Lokalzeitungen besorgt, mit Polizisten in New Bern und im Craven County geredet, mit den Park-Rangern im Croatan, solche Sachen. Wieder nichts.

Aus einem Bauchgefühl heraus hab ich dann Altenheime angerufen. Und herausgefunden, dass es in einer Einrichtung in Havelock eine Bewohnerin gegeben hat, die 1972 verschwunden ist. Charity Dillard. Der Verwalter hat Dillard zwar als vermisst gemeldet, aber niemand hat sich groß darum gekümmert. Das Heim liegt in der Nähe einer Bootsanlegestelle, man ist also davon ausgegangen, dass Dillard in den See gefallen und ertrunken ist. Als dann zwei Jahre später Old Bernie aufgetaucht ist, hat das niemand mit Dillard in Verbindung gebracht, weil das Skelett ja angeblich das eines Mannes war. Ende der Geschichte.«

»Bis Sie schließlich die Verbindung herstellten.« Ich hatte durch den Flurfunk des ME von der Identifikation gehört.

»Dillard hat einen Enkel, drüben in Los Angeles. Der hat eine Gewebeprobe geschickt. Ihre Knochenproben haben die DNS geliefert. Fall abgeschlossen.«

»Wo ist Dillard jetzt?«

»Der Enkel hat einen Grabstein spendiert. Ist sogar fürs Begräbnis rübergeflogen.«

»Gute Arbeit.«

»Es kann doch einfach nicht sein, dass diese Frau in einer Schachtel Staub ansetzt.« Wieder dieses Schulterheben.

Jetzt wusste ich, warum Strike in meinem Büro saß.

»Sie sind wegen nicht identifizierter Überreste hier«, sagte ich.

»Ja, Ma’am.«

Ich hielt ihr beide Handflächen in einer »Erzählen Sie«-Geste hin.

»Cora Teague. Achtzehnjährige weiße Frau. Ist vor dreieinhalb Jahren in Avery County verschwunden.«

»Wurde Teague als vermisst gemeldet?«

»Nicht offiziell.«

»Was soll das heißen?«

»Niemand hat bei der Polizei zu Protokoll gegeben, dass sie verschwunden ist. Ich hab sie auf einer Websleuthing-Seite gefunden. Die Familie glaubt, sie hat sich aus freien Stücken aus dem Staub gemacht.«

»Sie haben mit der Familie gesprochen?«

»Habe ich.«

»Gehört das im Allgemeinen zum Websleuthing?«

»Diesem Mädchen ist etwas passiert, und kein Mensch tut irgendwas.«

»Haben Sie die örtlichen Behörden kontaktiert?«

»Mit achtzehn spielt sie in der Erwachsenenliga. Sie kann tun und lassen, was sie will. Blablabla.«

»Das stimmt allerdings.«

Strike deutete mit dem Daumen auf den Ziploc-Beutel. »Klingt das nach jemandem, der tut, was er will?«

»Glauben Sie, Cora Teague ist das Mädchen in dieser Aufnahme?«

Strike nickte langsam.

»Und warum haben Sie sie mir gebracht?«

»Ich glaube, Sie haben Teile von Teague hier.«

3

»Ich sollte einen Detective zu unserem Gespräch dazu bitten.«

»Nein.« Da Strike merkte, wie scharf sie geklungen hatte, fügte sie hinzu: »Noch nicht.«

»Okay.« Noch. »Erzählen Sie mir von Teague.«

Strike machte wieder diese Schulterbewegung. Kein Achselzucken, eher ein Heben in Zeitlupe. Oder ein unbewusster Versuch, das Rückgrat zu strecken.

»Cora wurde dreiundneunzig als viertes von fünf Kindern geboren. John Teague, der Vater, hat ein Geschäft, eine Kombination aus Gemischtwarenladen, Tankstelle, Eisenwaren- und Angelköderladen. Die Mutter, Fatima, ist Hausfrau, hilft nur ab und zu an der Kasse im Laden aus.

Der ältere Bruder, Owen Lee, und die beiden älteren Schwestern, Marie und Veronica, sind verheiratet. Er war Immobilienmakler mit eher mäßigem Erfolg, bis die Blase platzte, und hat dann als Hundetrainer angefangen. Die Schwestern leben beide außerhalb des Staates. Bei Eli bin ich mir nicht so sicher. Er ist der Jüngste. Schätze, er ist ungefähr neunzehn. Owen Lee und die Eltern wohnen nur ein paar Meilen voneinander entfernt in Avery County.«

Die Blue Ridge Mountains. Unwillkürlich blitzte ein Bild von Mama auf und verschwand wieder.

Ich nickte, um anzudeuten, dass ich noch zuhörte.

»Laut einigen Postings auf CLUES ist Cora vor etwa dreieinhalb Jahren auf mysteriöse Weise verschwunden.«

»CLUES?«

»Citizens Looking Under Every Stone.« Bürger, die jeden Stein umdrehen. »Die Seite erlaubt jedem, zu einer vermissten Person zu posten. Wie NamUs, nur privat organisiert.«

»Sie haben auf CLUES einen Eintrag zu Cora Teague gefunden.« Ich wollte sichergehen, dass ich das richtig verstanden hatte.

»Ja.«

»Wer hat ihn gepostet?«

»Hier wird’s kniffelig.« Strike stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und ließ die Hände zwischen den Beinen baumeln. »CLUES gestattet den Nutzern völlige Anonymität.«

»Ist das bei Websleuthing-Seiten üblich?«

»Nein. Aber der Typ, der CLUES organisiert, glaubt, dass die Leute sich eher mit Informationen melden, wenn sie sich nicht identifizieren müssen.«

»Ein Nutzer muss also keinen Namen nennen, wenn er einen Vermissten melden oder in einem Forum mitdiskutieren will?«

»Richtig. Und die als vermisst Verzeichneten müssen nicht durch die offiziellen Kanäle gegangen sein.«

»Das heißt, dass kein Polizeibericht erforderlich ist.« Das klang ziemlich obskur.

»Genau. Also hat nicht jede vermisste Person eine Ermittlungsbehörde, die sich mit ihr beschäftigt. Wenn das der Fall ist, fungiert der Seitenbetreiber als Dokumentationsstelle für Tipps.«

»Also kann jeder Spinner auf dem Planeten jeden Unsinn eingeben, den er will.«

»Ganz so locker ist das auch wieder nicht«, verteidigte sich Strike.

»Aber Sie haben keine Ahnung, wer Teague eingetragen hat, nehme ich an.«

»Wollen Sie das jetzt hören oder nicht?«

»Reden Sie weiter.«

»Da Cora Teague nicht offiziell als vermisst gemeldet war, haben die Medien sich nicht für sie interessiert. Und auf der Seite auch niemand. Ich hab mir gedacht, wenn sie irgendwo tot aufgetaucht und in eine Datenbank für nicht identifizierte Überreste eingegeben worden wäre, dächte niemand daran, die Überreste mit ihr in Verbindung zu bringen. Sie war ganz allein mein Fall.«

»Ihre Herausforderung.«

»Ja.«

»Und Sie mögen Herausforderungen.« Allmählich bekam ich ein sehr ungutes Gefühl.

»Und was ist falsch daran?«

»Was ist passiert?«

»Laut dem CLUES-Eintrag ist Teague im Hochsommer 2011 verschwunden!«

»Wo wurde sie zum letzten Mal lebend gesehen?«

»In Avery County. Mehr weiß man nicht.«

»Hatte Teague einen Internetauftritt?«

»Ich konnte keinen finden. Kein MySpace, Facebook. Twitter. Keine E-Mail-Adresse. Keine Nutzung von Blogster, Foursquare, LinkedIn. Kein iTunes –«

»Handy?«

»Nein.«

Ein achtzehnjähriges Mädchen ohne Handy? Das klang merkwürdig. »Sie haben mit der Familie gesprochen. Was hat die gesagt?«

»Sie glaubt, dass sie mit ihrem Freund durchgebrannt ist.«

»Das kommt oft vor.«

»Ich habe mit ein paar Leuten über dieses Thema gesprochen. Das Bild, das mir vermittelt wurde, passt nicht zu dieser Theorie.«

»Wieso nicht?«

»Teague war eine Einzelgängerin. Nicht der Typ für Dates. Und ich konnte keinen einzigen Menschen finden, der je etwas von einem Freund gehört oder gesehen hätte. Keine beste Freundin. Kein Nachbar. Kein Busfahrer. Kein Trainer.«

»Nur die Familie.«

»Nur die.«

»Wer ist er?«

»Das weiß die Familie nicht. Oder sagt es nicht.«

»Dann hat sie die Beziehung also geheim gehalten. Jugendliche machen das öfter.«

»Da draußen auf dem Land ist das ziemlich schwierig. Und Teague hat sich in einem sehr kleinen Kreis bewegt. Familie. Zuhause. Kirche.«

»Vielleicht hat sie den Jungen in der Schule kennengelernt.«

Strike schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall, sagen die, mit denen ich gesprochen habe.«

»War Teague eine gute Schülerin?«

»Nicht direkt. In der Unter- und Mittelstufe hat sie eine katholische Schule besucht. Hat knapp den Abschluss an der Avery County High geschafft. Kein Mensch wusste viel über sie. Sie war in keiner Sportmannschaft, hat an keinen außerschulischen Aktivitäten teilgenommen. Die Frau, mit der ich gesprochen habe, eine Schulpsychologin, glaube ich, hat gesagt, sie wurde jeden Tag von einem Geschwister oder einem Elternteil hingebracht und wieder abgeholt.«

»Moment mal. Sie haben in der Schule angerufen?«

»Hab behauptet, ich würde der Familie helfen.«

Mein Gott. Die Frau war vielleicht eine Marke.

»Eine Sache ist merkwürdig.« Strike fuhr fort, als würde sie meine Missbilligung nicht bemerken. »Von Teague ist kein Foto im Jahrbuch.«

»Dafür könnte es eine Reihe von Gründen geben. Sie hatte an diesem Tag eine beschissene Frisur oder mochte die Aufnahme nicht. Oder sie war krank, als die Fotos aufgenommen wurden.«

»Vielleicht. Die Schulpsychologin hat gesagt, Teagues Unterlagen deuten auf chronische Absenz hin.«

»Irgendwelche Probleme mit Alkohol oder Drogen?«

»Nein.«

»Irgendwelche jugendlichen Vorstrafen?«

»Das weiß ich nicht. Nach dem Schulabschluss hat sie einen Job als Kindermädchen angenommen. Hatte ihn nur ein paar Monate, wurde dann gefeuert.«

»Warum?«

»Gesundheitliche Probleme.«

»Was für welche?«

»Das wollte mir niemand sagen.«

»Wohin ging Teague danach?«

»Nach Hause.«

Ich wartete, dass Strike weiterredete. Sie tat es nicht.

»Nur damit ich das richtig verstehe. Teague wurde seit über dreieinhalb Jahren nicht mehr gesehen?«

»Das stimmt.«

»Aber bei der Polizei wurde sie nie als vermisst gemeldet.«

»Korrekt.«

»Die Familie glaubt, sie ist aus freien Stücken weggegangen.«

»Ja, das tut sie.«

»Aber Sie halten das für unwahrscheinlich.«

»Ich und der, der Cora auf CLUES gepostet hat.«

Ich nickte, weil ich zugeben musste, dass sie damit recht hatte.

»Sie befürchten, dass Cora Teague die Mädchenstimme in dieser Aufnahme ist.« Ich deutete auf den Ziploc-Beutel.

»Ja.«

»Sie glauben, dass sie umgebracht und entsorgt wurde. Und dass Teile ihres Körpers geborgen und in dieses Institut geschickt wurden.«

»Ich würde vorschlagen, dass Sie diese Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen.«

»Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass Teague in dieser Einrichtung ist?«

»Vor ungefähr eineinhalb Jahren haben Sie einen Eintrag auf NamUs mit den Details eines unvollständigen Torsos geschrieben, der in Burke County gefunden worden war. Burke liegt direkt neben Avery. Der Zeitrahmen passt. Die Geografie passt. Die Charakteristika passen.« Strike richtete sich auf und breitete die Arme aus. »Halten Sie mich für verrückt, aber ich denke, das wäre einen Blick wert.«

Ein Rollkarren mit Proben ratterte im Gang vorbei. Eine Tür ging auf, heraus drang das Jaulen einer Autopsiesäge, die Knochen durchtrennte. Beim Zufallen der Tür wurde das Geräusch abrupt abgeschnitten.

In meinem Kopf hörte ich die klägliche kleine Stimme auf dem Band.

Bitte töte mich nicht.

Bitte.

Töte mich.

Wie zuvor lief es mir kalt über den Rücken.

»Wie ist der in Ihren Besitz gelangt?« Ich deutete auf den Schlüsselanhänger mit Rekorder.

»Wie gesagt, ich hab regelmäßig Seiten besucht, die nicht identifizierte Tote auflisten, weil ich auf Überreste gehofft hab, die zu Cora Teague passen könnten. Hab aber nie irgendwas gefunden. Dann bin ich von persönlichen Dingen abgelenkt worden. Musste es für eine Weile ruhen lassen.«

Strike hielt inne, dachte vielleicht über die ungenannten Angelegenheiten nach, die ihre Suche unterbrochen hatten.

»Letzte Woche hab ich mich dann wieder drangesetzt. Als ich Ihren Eintrag entdeckt hab, war das, als würden Harfen ein Lied anstimmen. Sie wissen schon. Wie im Fernsehen.«

Ich wusste es nicht. Aber ich nickte trotzdem.

»Ihr Eintrag hat Informationen zur Fundstelle des Torsos enthalten, also dachte ich mir: Was soll’s? Ist gleich um die Ecke. Warum nicht da hochfahren und ein bisschen herumstochern?«

»Sie waren in Burke County? Im Ernst?«

»War ich. Am Fundort schien es dann offensichtlich, dass die einzige Stelle, wo jemand schnell eine Leiche abladen könnte, dieser Aussichtspunkt war. Ich bin von dort nach unten geklettert und habe systematisch die Umgebung abgesucht. Stundenlang rein gar nichts außer Mücken. Ich wollte schon aufgeben, als ich diesen Schlüsselanhänger entdeckt hab, der sich in den Wurzeln eines großen, alten Baums verfangen hatte. Dachte mir, das Ding ist wahrscheinlich zufällig dort gelandet. Aber um sicherzugehen, habe ich es mitgenommen.«

Strike verzog den Mund und verstummte dann.

»Sie haben die Aufnahmefunktion entdeckt und die Datei abgespielt.«

»Ja«, erwiderte Strike knapp.

»Und dann?«

»Habe ich Sie angerufen.«

Ein langes Schweigen hing zwischen uns. Ich beendete es mit sorgfältig gewählten Worten.

»Mrs. Strike, ich bin beeindruckt von Ihrem Enthusiasmus. Und von Ihrem Engagement in dem Bemühen, namenlose Opfer ihren Familien zurückzugeben. Aber –«

»Über die Details eines Falls dürfen Sie nicht sprechen.«

»Das ist richtig.«

»Und so ziemlich genau das, was ich erwartet habe.« Strike atmete einmal durch und reckte dann das Kinn. Um zu diskutieren? Oder eine Abweisung zu akzeptieren?

»Aber ich verspreche Ihnen«, sagte ich. »Ich werde mir die Sache anschauen.«

»Ja.« Strike lachte humorlos auf. »Passen Sie auf, dass Ihnen beim Rausgehen nicht die Tür auf den Arsch knallt.«

Strike schnappte sich den Ziploc-Beutel und stand auf.

Ich ebenfalls. »Wenn Sie mir den Schlüsselanhänger dalassen, werde ich die Spurensicherung bitten, ihn zu untersuchen.«

Strike widerholte das Auflachen. Das hatte sie wirklich perfekt drauf. »Wohl kaum«, sagte sie schließlich, während sie den Beutel in ihren Rucksack warf.

Ich streckte die Hand aus. »Ich rufe Sie an. So oder so.«

Strike nickte und schüttelte mir die Hand. »Das würde ich sehr begrüßen. Wie auch Ihre Diskretion.«

Anscheinend machte ich ein verwirrtes Gesicht.

»Solange keine Identifikation vorliegt, bringt es nichts, die Medien auf Gedanken zu bringen.«

»Ich gebe nie Interviews.« Außer wenn ich von den oberen Etagen dazu verdonnert werde.

»Ich entschuldige mich. Das versteht sich von selbst. Es ist nur so, dass mir einfach am Herzen liegt, was für die Familie das Beste ist.«

»Natürlich.«

Ich begleitete Strike den Gang entlang, und während ich sie die Lobby durchqueren sah, überlegte ich mir, ob und wie ich meinem Chef, dem Chief Medical Examiner des Mecklenburg County, von ihrer Geschichte berichten sollte. Ich kannte den Blick, den Larabee mir zuwerfen würde. Und die Fragen, die er stellen würde.

Als ich dann wieder an meinem Schreibtisch saß, ging ich Strikes Besuch noch einmal durch. Dachte über die Möglichkeiten nach.

Strike war eine Spinnerin. Eine Hochstaplerin. Eine schlaue Detektivin, die nur keine Marke hatte.

Ich fing mit Tür Nummer drei an. Strike war wohlmeinend, aber etwas übereifrig. Sie hatte den Rekorder genau so gefunden, wie sie behauptet hatte. Probleme: Warum hatte die Polizei ihn nicht entdeckt, als die Leiche geborgen wurde? Wie hatte er, Wind und Wetter ausgesetzt, so lange intakt bleiben können?

Angenommen, das Mädchen in der Aufnahme war tatsächlich Cora Teague. Angenommen, Strike hatte recht, Teague war tatsächlich tot und ich hatte ihre Überreste im Lager. Hatte der Schlüsselanhänger ihr gehört? Hatte Teague ihre Gedanken aufgenommen, während sie in irgendeiner brutalen Gefangenschaft gehalten wurde? War sie ermordet worden?

Ich wandte mich einer alternativen Erklärung zu. Strike hatte sich die ganze Geschichte nur ausgedacht. Hatte die Aufnahme gefälscht. Der Betrug würde sehr schnell aufgedeckt und Strike als Schwindlerin entlarvt werden. Warum tat sie es dann? Weil sie verrückt ist? Weil sie nach medialer Aufmerksamkeit giert? Türen eins und zwei.

Vielleicht war aber auch Teague die Betrügerin und Strike ihr gutgläubiges Opfer. Vielleicht hatte Teague zusammen mit zwei männlichen Komplizen den Wortwechsel der Aufnahme nur inszeniert und Strike irgendwie zu dem Schlüsselanhänger gelockt. Teague war seit dreieinhalb Jahren verschwunden. Vielleicht wollte sie es bleiben. Problem: Die Aufnahme klang auf unheimliche Weise real. Die Angst in dieser Stimme würde auf jeden Zuhörer die gegenteilige Wirkung haben.

Vielleicht war Teague aber auch mit Strike im Bunde. Dieselbe Frage. Warum? Was hofften sie zu erreichen?

Meine Arbeit konfrontiert mich mit einer Bandbreite menschlicher Motive, so groß wie das Südchinesische Meer. Ich bin ziemlich gut darin, Täuschungen aufzudecken. Und Charaktere einzuschätzen. Im Rückblick auf diese Begegnung muss ich eins zugeben: Ich hatte keine Ahnung, was ich von Hazel »Lucky« Strike halten sollte.

4

Ich starrte den leuchtend gelben Ordner auf meiner Schreibunterlage an. Larabee wartete ungeduldig auf meine Beurteilung der mumifizierten Leiche.

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