Mit Haut und Haar - Kathy Reichs - E-Book

Mit Haut und Haar E-Book

Kathy Reichs

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Beschreibung

Die Arbeit einer echten Anthropologin umgesetzt in hochspannende Fiktion

Der Sommer ist brütend heiß in Charlotte, North Carolina. Gerade will Tempe Brennan vor der Hitze in den wohlverdienten Urlaub fliehen, als auf einer verlassenen Farm Überreste von brutal abgeschlachteten Schwarzbären gefunden werden. Doch das ist noch nicht alles. Zwischen den skelettierten Pranken stößt Tempe auf menschliche Knochen und damit auf die Spur von Schmugglern, die mit dem Töten von Wildtieren blutiges Geld verdienen. Wer ihnen zu nahe kommt, muss um sein Leben fürchten. Tempe ermittelt.

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Seitenzahl: 419

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Buch

Die Koffer sind schon gepackt, und ihr erster Urlaub seit Jahren steht endlich in Aussicht. Tempe Brennan kann es kaum erwarten, der drückenden Hitze in Charlotte, North Carolina, und ihrer Arbeit als forensische Anthropologin für ein paar Tage zu entfliehen. Doch daraus soll nichts werden. Im Garten eines abgelegenen Farmhauses spürt ihr Hund Boyd einen Plastikbeutel auf, dessen Inhalt als Bärenknochen identifiziert werden. Doch wer könnte Interesse am Abschlachten dieser Tiere haben? Wer auch immer die Täter sind, sie haben offenbar auch ein Menschenleben auf dem Gewissen, denn auf dem verlassenen Grundstück wird eine Leiche gefunden, der Kopf und Hände abgetrennt wurden.Tempe ist besorgt. Der neue Freund von ihrer Tochter Katy ist Park-Ranger und verhält sich höchst verdächtig. Hat sich Katy in einen Verbrecher verliebt? Dann überschlagen sich die Ereignisse. Der Absturz einer kleinen Cessna, deren tote Insassen mit einer geheimnisvollen Substanz bedeckt sind, gibt neue Rätsel auf. Nach und nach trägt die Wissenschaftlerin die schrecklichen Teile eines mörderischen Puzzles zusammen – und vergisst dabei fast, ihre eigene Haut zu retten…

Autorin

Kathy Reichs wurde in Chicago geboren und lebt abwechselnd in Charlotte, N. C., und Québec, Kanada. Sie ist als Professorin für Soziologie und Anthropologie an der Universität von North Carolina und u. a. als forensische Anthropologin für den Staat North Carolina tätig. Inzwischen sind nicht nur ihre Bücher Bestseller, auch die auf ihren Romanen basierende Fernsehserie »Bones – Die Knochenjägerin« ist ein voller Erfolg.

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorin123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536DanksagungCopyright

All jenen gewidmet, die für die Erhaltung unserer kostbaren Natur kämpfen, vor allem dem United States Fish and Wildlife Service, der World Wildlife Foundation, der Animals Asia Foundation.

1

Als ich die Überreste des toten Babys einpackte, raste der Mann, den ich töten sollte, nordwärts nach Charlotte.

Zu der Zeit wusste ich das noch nicht. Den Namen des Mannes hatte ich noch nie gehört, ich wusste nichts von dem grausigen Spiel, in dem er mitspielte.

In diesem Augenblick beschäftigte mich nur, was ich Gideon Banks sagen würde. Wie sollte ich ihm beibringen, dass sein Enkel tot und seine jüngste Tochter auf der Flucht war?

Meine Gehirnzellen stritten sich schon den ganzen Vormittag. Du bist forensische Anthropologin, sagten die Logik-Jungs. Ein Besuch bei den Angehörigen gehört nicht zu deinen Pflichten. Der Medical Examiner wird deine Befunde referieren. Die Detectives der Mordkommission werden die Nachricht überbringen. Ein Telefonanruf.

Das stimmt ja alles, entgegneten die Gewissen-Jungs. Aber dieser Fall ist anders. Du kennst Gideon Banks persönlich.

Ich empfand eine tiefe Traurigkeit, als ich das winzige Knochenbündel in seinen Behälter packte, den Deckel schloss und eine Fallnummer auf das Plastik schrieb. So wenig zu untersuchen. So ein kurzes Leben.

Während ich die Röhre in einen Beweismittelschrank einschloss, schickten mir die Gedächtniszellen ein Bild von Gideon Banks. Runzliges braunes Gesicht, krause graue Haare, ein Stimme, als würde Isolierband zerreißen.

Bild vergrößern.

Ein kleiner Mann in einem karierten Flanellhemd, der einen Mopp über einen Fliesenboden schiebt.

Die Gedächtniszellen präsentierten mir schon den ganzen Vormittag dasselbe Bild. Ich versuchte, andere heraufzubeschwören, sah jedoch immer nur das eine.

Gideon Banks und ich hatten bis zu seiner Pensionierung vor drei Jahren fast zwei Jahrzehnte lang in der University of North Carolina zusammengearbeitet. Hin und wieder hatte ich ihm dafür gedankt, dass er mein Büro und mein Labor sauber hielt, hatte ihm Geburtstagskarten geschickt und ihm jedes Weihnachten ein kleines Geschenk gemacht. Ich wusste, dass er sehr gewissenhaft und tiefreligiös war und seine Kinder abgöttisch liebte.

Und er hielt die Korridore makellos sauber.

Das war alles. Außerhalb des Büros kreuzten sich unsere Wege nicht.

Bis Tamela Banks ihr Neugeborenes in einen Holzofen legte und verschwand.

Ich ging in mein Büro, fuhr meinen Laptop hoch und breitete meine Notizen auf dem Schreibtisch aus. Ich hatte meinen Bericht noch kaum begonnen, als eine Gestalt in der Tür erschien.

»Ein Hausbesuch kommt nun wirklich nicht in Frage.«

Ich drückte »Speichern« und hob den Kopf.

Der Medical Examiner des Mecklenburg County trug grüne Chirurgenkluft. Ein Fleck auf seiner rechten Schulter ahmte in dunklem Rot die Form von Massachusetts nach.

»Macht mir nichts aus.« So wie mir eiternde Pickel auf meinem Hintern nichts ausmachten.

»Ich übernehme das gerne.«

Tim Larabee hätte recht attraktiv sein können, wäre er nicht endorphinsüchtig. Das tägliche Marathontraining hatte seinen Körper ausgezehrt, sein Haar schütter werden lassen und seine Gesichtshaut gegerbt. Die immer gleiche Bräune schien sich in den Höhlungen seiner Wangen zu sammeln und sich um seine viel zu tief liegenden Augen zu verdichten. Augen, die jetzt verkniffen waren vor Besorgnis.

»Neben Gott und der Baptistenkirche war die Familie die Grundfeste von Gideon Banks’ Leben«, sagte ich. »Das wird ihn erschüttern.«

»Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie es aussieht.«

Ich warf Larabee den Blick zu. Wir hatten dieselbe Unterhaltung schon vor einer Stunde geführt.

»Okay.« Er hob eine sehnige Hand. »Es scheint wirklich ziemlich schlimm zu sein. Ich bin mir sicher, dass Mr. Banks Ihr persönliches Engagement zu schätzen weiß. Wer fährt Sie?«

»Skinny Slidell.«

»Ihr Glückstag.«

»Ich wollte allein fahren, aber Slidell akzeptierte ein Nein nicht.«

»Skinny? Wirklich?« Gespielte Überraschung.

»Ich glaube, Skinny ist scharf auf eine Auszeichnung für sein Lebenswerk.«

»Ich glaube, Skinny ist scharf auf Sie.«

Ich warf mit einem Bleistift nach ihm. Er wehrte ihn mit der Hand ab.

»Passen Sie auf sich auf.«

Larabee ging wieder. Ich hörte, wie die Tür zum Autopsiesaal geöffnet und dann wieder zugezogen wurde.

Ich sah auf die Uhr. Viertel vor vier. Slidell würde in zwanzig Minuten hier sein. Meine Gehirnzellen schraken kollektiv zurück. Was Skinny anging, herrschte zerebrale Übereinstimmung.

Ich fuhr den Computer herunter und lehnte mich zurück.

Was sollte ich Gideon Banks sagen?

Pech, Mr. Banks. Wie’s aussieht, hat Ihre Jüngste entbunden, den Balg in eine Decke gewickelt und als Feuerholz benutzt.

Klasse, Brennan.

Wamm! Die Optik-Zellen schickten ein neues Bild. Banks, der ein Foto aus einer rissigen Brieftasche zieht. Sechs braune Gesichter. Bürstenschnitte bei den Jungs, Zöpfe bei den Mädchen. Alle mit Zähnen, die zu groß sind für das Lächeln.

Kamera zurückfahren.

Der alte Mann strahlt das Foto an und behauptet hartnäckig, dass alle seine Kinder aufs College gehen würden.

Taten sie das?

Keine Ahnung.

Ich zog meinen Labormantel aus und hängte ihn auf den Haken an meiner Tür.

Falls die Banks-Kinder tatsächlich die UNC-Charlotte besucht hatten, als ich noch an der Fakultät war, dann hatten sie wenig Interesse an Anthropologie gezeigt. Ich hatte nur eins gesehen. Reggie, ein Sohn aus der Mitte der Nachwuchschronologie, hatte meinen Kurs über die Evolution des Menschen belegt.

Die Gedächtniszellen präsentierten mir einen schlaksigen Jungen mit Baseballkappe, das Schild nach hinten, das Verbindungsband knapp über den rasiermesserscharfen Augenbrauen. Letzte Reihe im Hörsaal. Intellekt Eins, Mitarbeit Drei minus.

Wie lange war das her? Fünfzehn Jahre? Achtzehn?

Ich hatte zu der Zeit mit sehr vielen Studenten gearbeitet. Damals konzentrierte sich meine Forschung auf den Tod in der Vorzeit, und ich hatte mehrere Seminare abgehalten. Bioarchäologie. Osteologie. Primatenökologie.

Eines Morgens war eine meiner ehemaligen Anthropologiestudentinnen in meinem Labor aufgetaucht. Als Detective des Morddezernats der Polizei von Charlotte-Mecklenburg brachte sie mir Knochen, die aus einem flachen Grab geborgen worden waren. Könne ihre frühere Professorin feststellen, ob diese Überreste die eines vermissten Kindes seien?

Ich konnte es. Sie waren es.

Dieser Fall war mein erster Kontakt mit gerichtsmedizinischer Arbeit. Heute halte ich nur noch ein Seminar ab, und zwar in forensischer Anthropologie, und ich wechsle zwischen Charlotte und Montreal hin und her, wo ich für die jeweiligen Polizeibehörden als forensische Anthropologin tätig bin.

Die Geografie war ein Problem gewesen, als ich noch in Vollzeit unterrichtete, und erforderte eine komplexe Choreografie innerhalb des akademischen Kalenders. Heute reise ich, bis auf die Dauer dieses einen Seminars, hin und her, wie die Fälle es erfordern. Ein paar Wochen im Norden, ein paar im Süden, länger, wenn die Arbeit am Fall oder Aussagen vor Gericht es erfordern.

North Carolina und Quebec? Eine lange Geschichte.

Meine akademischen Kollegen nennen das, was ich tue, »angewandte Anthropologie«. Mithilfe meines Wissens über Knochen entlocke ich Kadavern oder Skeletten oder Teilen davon, die in einem zu schlechten Zustand für eine Autopsie sind, relevante Details. Ich gebe den Skelettierten, den Verwesten, den Verbrannten und den Verstümmelten, die ansonsten in anonyme Gräber kommen würden, ihre Namen zurück. Bei einigen stelle ich Art und Zeitpunkt ihres Todes fest.

Von Tamelas Baby war nur ein Becher verkohlter Fragmente geblieben. Ein Holzofen macht keinen Unterschied zwischen einem Scheit und einem Neugeborenen.

Mr. Banks, es tut mir sehr Leid, aber …

Mein Handy klingelte.

»He, Doc, ich parke vor der Tür.« Skinny Slidell. Von allen vierundzwanzig Detectives des Kapitalverbrechen- und Morddezernats der Polizei von Charlotte-Mecklenburg derjenige, den ich am wenigsten mochte.

»Bin gleich unten.«

Ich hatte mehrere Wochen in Charlotte verbracht, als der Tipp eines Informanten zu der schockierenden Entdeckung in dem Holzofen führte. Die Knochen kamen zu mir. Slidell und sein Partner ermittelten wegen Mordes. Sie hatten den Tatort durchsucht, Zeugen aufgespürt, Aussagen aufgenommen. Alles führte zu Tamela Banks.

Ich hängte mir Handtasche und Laptop über die Schulter und ging nach draußen. Unterwegs steckte ich den Kopf in den Autopsiesaal. Larabee schaute von seinem Schussopfer hoch und wedelte warnend mit latexverhülltem Zeigefinger.

Ich antwortete mit übertriebenem Augenverdrehen.

Das Institut des Mecklenburg County Medical Examiner, kurz MCME, befindet sich an einem Ende eines nichts sagenden, verklinkerten Schuhkartons, der ursprünglich ein Sears-Garten-Center war. Das andere Ende beherbergt ausgelagerte Büros der Polizei von Charlotte-Mecklenburg. Ohne jeden architektonischen Charme bis auf die leicht abgerundeten Ecken, ist das Gebäude von genug Asphalt umgeben, um ganz Rhode Island zu versiegeln.

Als ich durch die gläserne Doppeltür trat, sog meine Nase einen Geruchscocktail aus Auspuffgasen, Smog und heißem Asphalt ein. Die Mauern des Gebäudes und die Klinkertreppe, die es mit einem schmalen Ausleger des Parkplatzes verband, strahlten Hitze ab.

Hot town. Summer in the City.

Auf der Grünfläche auf der anderen Seite der College Street saß eine schwarze Frau an eine Platane gelehnt, die elefantösen Beine weit von sich gestreckt. Sie fächelte sich mit einer Zeitung Luft zu und diskutierte angeregt mit einem unsichtbaren Gegenüber.

Ein Mann in einem Trikot der Hornets schob einen Einkaufswagen in Richtung des Bezirksverwaltungsgebäudes den Bürgersteig entlang. Kurz hinter der Frau blieb er stehen, wischte sich mit der Ellbeuge über die Stirn und kontrollierte seine Fracht aus Plastiktüten.

Als der Mann mit dem Karren meinen Blick bemerkte, winkte er. Ich winkte zurück.

Slidells Ford Taurus schnurrte im Leerlauf am Ende der Treppe, die getönten Scheiben waren geschlossen, die Klimaanlage voll aufgedreht. Ich stieg die Stufen hinunter, öffnete die Fondtür, schob Aktenordner, ein paar Golfschuhe, in denen Musikkassetten steckten, zwei Tüten von Burger King und eine Tube mit Sonnencreme beiseite und legte meinen Computer auf den so geschaffenen Freiraum.

Erskine »Skinny« Slidell betrachtete sich zweifellos als »alte Schule«, obwohl Gott allein wusste, welcher Institution genau er sich zugehörig fühlte. Mit seinen nachgemachten Ray Bans, dem Camel-Atem und seiner vulgären Ausdrucksweise machte sich Slidell unfreiwillig zur Karikatur eines Hollywood-Bullen. Die Leute sagten, er würde sehr gute Arbeit leisten. Mir fiel es schwer, das zu glauben.

Dirty Harry hatte gerade, die Lippen verzogen wie ein verängstigter Affe, seine unteren Schneidezähne im Rückspiegel betrachtet. Er zuckte zusammen, als ich die Fondtür öffnete, und seine Hand schnellte zum Rückspiegel. Als ich mich auf den Beifahrersitz setzte, justierte er ihn mit der Sorgfalt eines Astronauten, der die Ausrichtung des Hubble-Teleskops korrigiert.

»Doc.« Slidells falsche Ray Bans blieben auf den Rückspiegel gerichtet.

»Detective.« Ich nickte, stellte meine Handtasche vor meine Füße und schloss die Tür.

Als Slidell schließlich mit der Ausrichtung des Spiegels zufrieden war, ließ er die Hände sinken, legte den Gang ein, überquerte den Parkplatz und schoss über die College Street auf die Phifer.

Wir fuhren schweigend. Obwohl die Temperatur im Auto zwanzig Grad niedriger war als draußen, hing ein sehr spezieller Geruch schwer in der Luft. Alte Whoppers und Pommes. Schweiß. Sonnenöl. Die Bambusmatte, auf der Slidell sein üppiges Hinterteil platziert hatte.

Skinny Slidell selbst. Der Mann roch und sah aus wie das Nachher-Foto auf einem Plakat gegen Zigarettenkonsum. In den eineinhalb Jahrzehnten, die ich nun schon für den Medical Examiner des Mecklenburg County tätig war, hatte ich mehrfach das Vergnügen gehabt, mit Slidell zu arbeiten. Seine Gesellschaft war immer wie ein Spaziergang durch die Allee der Ärgernisse gewesen. Dieser Fall versprach Ähnliches.

Das Haus der Banks stand in Cherry, knapp südöstlich der I-277, Charlottes Version einer inneren Ringstraße. Cherry hatte, im Gegensatz zu vielen innerstädtischen quartiers, keine solche Renaissance genossen wie Dilworth und Elizabeth, seine westlichen und nördlichen Nachbarn, sie erlebt hatten. Während sich diese Viertel integriert und mehr und mehr Yuppies angelockt hatten, war es mit Cherry bergab gegangen. Doch die Gemeinde blieb ihren ethnischen Wurzeln treu. Sie war immer schon schwarz gewesen und war es auch heute noch.

Innerhalb weniger Minuten fuhr Slidell an einer Auto-Bell-Waschanlage vorbei, bog von der Independence nach links in eine schmale Straße und dann nach rechts in die nächste ein. Dreißig, vierzig, ja hundert Jahre alte Eichen und Magnolien warfen Schatten auf bescheidene Holz- oder Ziegelhäuser. Rasensprenger tickten und surrten oder lagen stumm am Ende von Gartenschläuchen. Fahr- und Dreiräder waren über Gärten und Fußwege verstreut.

Etwa auf halber Höhe des Blocks fuhr Slidell an den Bordstein und deutete mit dem Daumen auf einen kleinen Bungalow mit Gaubenfenstern auf dem Dach. Die Seitenwände waren braun, die Zierkanten weiß.

»Schon was anderes als das Rattennest, in dem das Baby gegrillt wurde. Dachte schon, ich hole mir die Krätze, als ich diesen Sauhaufen durchsuchen musste.«

»Krätze wird von Milben verursacht.« Meine Stimme war kälter als die Luft im Auto.

»Genau. Sie können sich nicht vorstellen, wie dieses Drecksloch ausgesehen hat.«

»Sie hätten Handschuhe tragen sollen.«

»Da haben Sie Recht. Und eine Atemmaske. Diese Leute …«

»Was für Leute sind denn das, Detective?«

»Manche Leute leben wie die Schweine.«

»Gideon Banks ist ein hart arbeitender, anständiger Mann, der sechs Kinder fast allein aufgezogen hat.«

»Ist ihm die Alte durchgebrannt?«

»Melba Banks starb vor zehn Jahren an Brustkrebs.« Na also. Ich wusste doch etwas über meinen Kollegen.

»Scheiße.«

Aus dem Funkgerät kam eine knisternde Nachricht, die ich nicht verstand.

»Ist aber immer noch keine Entschuldigung dafür, dass die Kleinen ihre Beine breit machen, ohne an die Folgen zu denken. Braten in der Röhre? Kein Problem. Lass ihn abtreiben.«

Slidell stellte den Motor ab und drehte die Ray Bans mir zu.

»Oder was noch Schlimmeres.«

»Vielleicht gibt es eine Erklärung für Tamela Banks’ Verhalten.«

Das glaubte ich nicht wirklich, hatte ich doch Tim Larabee gegenüber den ganzen Vormittag lang die Gegenposition vertreten. Aber Slidell brachte mich so auf die Palme, dass ich einfach den Advocatus Diaboli spielen musste.

»Schön. Und die Handelskammer wird sie wahrscheinlich zur Mutter des Jahres ernennen.«

»Kennen Sie Tamela?«, fragte ich und zwang mich zu einem neutralen Ton.

»Nein. Und Sie?«

Nein. Ich ignorierte Slidells Frage.

»Kennen Sie irgendjemand aus der Familie Banks?«

»Nein, aber ich habe Aussagen von Leuten aufgenommen, die sich im Nachbarzimmer Koks in die Nase zogen, während Tamela ihr Baby verbrannte.« Slidell steckte die Schlüssel in die Tasche. »Excusez-moi, dass ich bei der Dame und ihrer Verwandtschaft nicht zum Tee vorbeigeschaut habe.«

»Sie haben nie etwas mit irgendeinem der Banks-Kinder zu tun gehabt, weil sie nach guten, soliden Werten erzogen wurden. Gideon Banks ist so sittenstreng wie …«

»Was man von dem Penner, der Tamela vögelte, nicht sagen kann.«

»Dem Vater des Kindes?«

»Es sei denn, Miss Hot Pants hatte Herrenbesuch, während Daddy dealte.«

Ganz ruhig! Der Mann ist eine Kellerassel.

»Wer ist er?«

»Sein Name ist Darryl Tyree. Tamela war in Tyrees Schmuckkästchen an der südlichen Tryon untergekrochen.«

»Tyree verkauft Drogen?«

»Und wir reden hier nicht von Hustensaft.« Slidell zog am Griff und stieg aus.

Ich verkniff mir eine Antwort. Eine Stunde. Dann ist es vorbei.

Das schlechte Gewissen zwickte mich. Für mich ist es vorbei, aber was ist mit Gideon Banks? Was ist mit Tamela und ihrem toten Baby?

Ich stellte mich zu Slidell auf den Bürgersteig.

»O Mann. Es ist so heiß, dass sich ein Eisbär den Arsch verbrennen würde.«

»Es ist August.«

»Ich sollte am Strand liegen.«

Ja, dachte ich. Unter zwei Tonnen Sand.

Ich folgte Slidell einen schmalen, von frisch gemähtem Gras übersäten Gartenpfad entlang zu einer kleinen Betontreppe. Er drückte mit dem Daumen auf einen rostigen Knopf neben der Haustür, zog ein Taschentuch aus der Hose und wischte sich das Gesicht.

Keine Antwort.

Slidell klopfte an den Holzrahmen des Fliegengitters.

Nichts.

Slidell klopfte noch einmal. Seine Stirn glänzte, und seine Frisur zerfiel in feuchte Strähnen.

»Mr. Banks, Polizei.«

Slidell hämmerte mit dem Handballen. Das Fliegengitter schepperte im Rahmen.

»Gideon Banks!«

Kondenswasser tropfte von einer Fenster-Klimaanlage links der Tür. In der Ferne heulte ein Rasenmäher. Von irgendwo wehte Hip-Hop zu uns herüber.

Slidell hämmerte noch einmal. In seiner Achselhöhle schimmerte ein dunkler Halbmond auf dem grauen Polyesterhemd.

»Jemand zu Hause?«

Der Kompressor der Klimaanlage sprang an. Ein Hund bellte.

Slidell riss das Fliegengitter auf.

Raaatsch!

Hämmerte gegen die Holztür. Bam! Bam! Bam!

Ließ das Fliegengitter wieder los. Bellte seine Frage.

»Polizei! Jemand zu Hause?«

Auf der anderen Straßenseite teilte sich ein Vorhang und fiel wieder zurück.

Oder hatte ich mir das nur eingebildet?

Ein Schweißtropfen lief mir den Rücken hinunter und gesellte sich zu den anderen, die meinen BH und meinen Hosenbund befeuchteten.

In diesem Augenblick klingelte mein Handy.

Ich ging dran.

Der Anruf warf mich in einen Strudel von Ereignissen, der letztendlich dazu führen sollte, dass ich jemandem das Leben nahm.

2

»Tempe Brennan.«

»Spanferkel!« Meine Tochter gab eine Reihe gutturaler Laute von sich. »Grillfest!«

»Kann jetzt nicht reden, Katy.«

Ich wandte mich von Slidell ab und presste das Handy fest ans Ohr, um Katy über das statische Rauschen verstehen zu können.

Slidell klopfte noch einmal, diesmal mit Gestapo-Gewalt. »Mr. Banks!«

»Ich hol dich morgen gegen Mittag ab«, sagte Katy.

»Ich habe doch keine Ahnung von Zigarren«, sagte ich so leise ich konnte. Katy wollte, dass ich sie zu einem Picknick begleitete, das der Besitzer eines Zigarren- und Pfeifengeschäfts veranstaltete.

»Aber du isst Grillfleisch.«

Bam! Bam! Bam! Das Fliegengitter schepperte.

»Schon, ab … «

»Du magst Bluegrass.« Katy konnte hartnäckig sein.

In diesem Augenblick ging die innere Tür auf, und eine Frau starrte finster durch den Rahmen. Obwohl Slidell etwas größer war als sie, brachte sie einiges mehr auf die Waage.

»Ist Gideon Banks zu Hause?«, kläffte Slidell.

»Wer will das wissen?«

»Katy, ich muss aufhören.«

»Boyd freut sich schon drauf. Er hat was mit dir zu besprechen.« Boyd ist der Hund meines Exmannes. Unterhaltungen mit oder über Boyd führen normalerweise zu Problemen.

Slidell hielt seine Marke an das Fliegengitter.

»Ich hol dich mittags ab?« Meine Tochter konnte so unnachgiebig sein wie Skinny Slidell.

»Okay«, zischte ich und drückte die Unterbrechungstaste.

Die Arme in die Seiten gestemmt wie eine Gefängniswärterin, musterte die Frau die Marke.

»Daddy schläft.«

»Ich glaube, es ist das Beste, wenn Sie ihn wecken«, warf ich ein, um Slidells Ton etwas die Schärfe zu nehmen.

»Geht’s um Tamela?«

»Ja.«

»Ich bin Tamelas Schwester. Geneva. Wie die Stadt in der Schweiz.« Ihr Ton verriet, dass sie das nicht zum ersten Mal sagte.

Geneva drückte das Fliegengitter mit dem Handrücken auf. Diesmal klang die Feder wie der Anschlag einer Klaviertaste.

Slidell nahm die Sonnenbrille ab und schob sich an ihr vorbei. Ich folgte ihm in ein kleines, düsteres Wohnzimmer. Ein Durchgang führte in eine Diele direkt gegenüber. Rechts konnte ich eine Küche mit einer geschlossenen Tür an der hinteren Wand sehen, links zwei geschlossene Türen und am Ende ein Bad.

Sechs Kinder. Ich konnte mir den Streit um Dusche und Waschbecken nur vorstellen.

Unsere Gastgeberin ließ das Fliegengitter wieder zuratschen, schloss die Innentür und drehte sich zu uns um. Ihre Haut war von einem tiefen Schokoladenbraun, die Lederhaut des Auges blassgelb wie Pinienkerne. Ich schätzte sie auf Mitte zwanzig.

»Geneva ist ein wunderschöner Name«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. »Waren Sie schon mal in der Schweiz?«

Geneva sah mich lange mit völlig ausdruckslosem Gesicht an. Schweißtropfen standen ihr auf Stirn und Schläfen, von denen das Haar straff nach hinten gezogen war. Das einzelne Fensteraggregat kühlte offenbar ein anderes Zimmer.

»Ich hole Daddy.«

Sie nickte zu einer abgewetzten Couch an der rechten Wand des Wohnzimmers. Die Vorhänge, die das Fenster umrahmten, hingen vor Hitze und Feuchtigkeit schlaff herunter.

»Wollense sich setzen.« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.

»Vielen Dank«, sagte ich.

Geneva watschelte zum Durchgang, und die Shorts knitterten zwischen ihren Schenkeln. Ein kleiner, steifer Pferdeschwanz stand von ihrem Hinterkopf ab.

Als Slidell und ich an den entgegengesetzten Enden der Couch Platz nahmen, hörte ich, wie eine Tür geöffnet wurde, und dann das blecherne Geräusch eines Gospel-Senders. Sekunden später verstummte die Musik wieder.

Ich schaute mich um.

Die Ausstattung war Nouveau Wal-Mart. Linoleum. Kunstledersessel. Couch- und Beistelltische aus Eichenlaminat. Plastikpalmen.

Aber offensichtlich von liebevoller Hand gepflegt.

Die Rüschenvorhänge hinter uns rochen nach Waschmittel und Weichspüler. Ein Riss auf meiner Armlehne war sorgfältig gestopft worden. Jede Oberfläche glänzte.

Auf Bücherregalen und Tischen drängten sich gerahmte Fotos und plumpe objets d’art. Ein grell bemalter Tonvogel. Eine Keramikplatte mit dem Abdruck einer winzigen Hand und darunter in einem Bogen die Inschrift »Reggie«. Ein Kästchen aus Eisstielen. Dutzende billiger Trophäen. Schulterpolster und Helme, für die Ewigkeit mit goldgetöntem Plastik überzogen. Ein Foto von einem Sprungwurf beim Basketball. Eins von einem Schlag beim Baseball.

Ich betrachtete die Schnappschüsse in meiner Nähe. Weihnachtsmorgen. Geburtstagspartys. Sportmannschaften. Jede Erinnerung wurde in einem billigen Rahmen aufbewahrt.

Slidell nahm ein Kissen in die Hand, hob die Augenbrauen und stellte es zwischen uns. »Gott ist Liebe«, mit blauem und grünem Faden gestickt. Melbas Handarbeit?

Die Traurigkeit, die ich schon den ganzen Vormittag spürte, verstärkte sich noch bei dem Gedanken an sechs Kinder, die ihre Mutter vermissten. Und bei dem Gedanken an Tamelas verlorenes Baby.

Das Kissen. Die Fotos. Die Erinnerungsstücke an Schule und Sportmannschaft. Von dem Porträt des schwarzen Jesus über dem Durchgang abgesehen, hätte ich auch im Wohnzimmer meiner Kindheit in Beverly im südlichen Chicago sitzen können. Beverly stand für schattige Bäume und Kuchenbasare des Elternbeirats und Morgenzeitungen auf der Veranda. Unser winziger Ziegelbungalow war mein Green Gables, meine Ponderosa, mein Raumschiff Enterprise, bis ich sieben Jahre alt war. Bis die Verzweiflung über den Tod ihres jüngsten Sohnes meine Mutter zurücktrieb in ihr geliebtes Carolina und Gatte und Töchter ihrem Trauerzug folgten.

Ich liebte dieses Haus, fühlte mich darin beschützt und geliebt. Ich spürte, dass diesem Ort ähnliche Gefühle anhafteten.

Slidell zog sein Taschentuch heraus und wischte sich das Gesicht.

»Hoffentlich hat der alte Mann das klimatisierte Schlafzimmer.« Aus dem Mundwinkel heraus gesprochen. »Bei sechs Kindern kann er wahrscheinlich von Glück reden, wenn er überhaupt ein eigenes Schlafzimmer hat.«

Ich ignorierte ihn.

Die Hitze verstärkte die Gerüche in dem winzigen Haus. Zwiebeln. Bratöl. Möbelpolitur. Und was immer zum Wischen des Linoleums benutzt wurde.

Wer es wohl wischte, fragte ich mich. Tamela? Geneva? Banks selbst?

Ich betrachtete den schwarzen Jesus. Dieselbe Kutte, dieselbe Dornenkrone, dieselben geöffneten Handflächen. Nur die Afrofrisur und die Hautfarbe unterschieden ihn von dem Jesus, der über dem Bett meiner Mutter gehangen hatte.

Slidell seufzte hörbar, schob sich einen Finger in den Kragen und zog ihn vom Hals weg.

Ich musterte das Linoleum. Ein Kieselmuster, grau und weiß.

Wie die Knochen und die Asche aus dem Holzofen.

Was sollte ich sagen?

In diesem Augenblick ging die Tür auf. Ein Gospel-Chor sang »Going on in the Name of the Lord«. Das Schlurfen weicher Sohlen auf Linoleum.

Gideon Banks sah kleiner aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, nichts als Knochen und Sehnen. Das war irgendwie falsch. Verkehrt. In seinen eigenen vier Wänden hätte er größer wirken müssen. König seines Reiches. Familienoberhaupt. Täuschte mich mein Gedächtnis? Hatte das Alter ihn schrumpfen lassen? Oder die Sorgen?

Banks blieb zögerlich im Durchgang stehen und blinzelte durch dicke Brillengläser. Dann richtete er sich auf, ging zu einem Sessel und sank hinein. Seine knorrigen Hände umklammerten die Armlehnen.

Slidell beugte sich vor. Ich schnitt ihm das Wort ab.

»Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen, Mr. Banks.«

Banks nickte. Er trug Hush Puppy Slippers, eine graue Arbeitshose und ein orangenes Bowling-Hemd. Seine Arme ragten wie dürre Zweige aus den Ärmeln.

»Sie haben ein wunderbares Heim.«

»Vielen Dank.«

»Leben Sie schon lange hier?«

»Im November siebenundvierzig Jahre.«

»Ich musste mir einfach Ihre Fotos ansehen.« Ich deutete auf die kleine Sammlung. »Sie haben eine wunderschöne Familie.«

»Jetz sin nur noch Geneva und ich hier. Geneva is die Zweitälteste. Sie hilft mir. Tamela is die Jüngste. Is vor ein paar Monaten weg.«

Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, dass Geneva sich in den Durchgang stellte.

»Ich denke, Sie wissen, warum wir hier sind, Mr. Banks.« Ich wusste nicht so recht, wie ich anfangen sollte.

»Ja, ich weiß. Sie suchen nach Tamela.«

Slidell räusperte sich ungeduldig.

»Es tut mir sehr Leid, Ihnen das sagen zu müssen, Mr. Banks, aber in dem Material, das im Ofen von Tamelas Wohnzimmer sichergestellt wurde …«

»War nich Tamelas Wohnung«, warf Banks dazwischen.

»Der Mieter war ein gewisser Darryl Tyree«, sagte Slidell. »Nach Zeugenaussagen lebte Ihre Tochter seit etwa drei Monaten bei Mr. Tyree.«

Banks nahm den Blick nicht von meinem Gesicht. Ein Blick voller Schmerz.

»War nich Tamelas Wohnung«, wiederholte Banks. Sein Tonfall war nicht zornig oder streitlustig, eher der eines Mannes, der auf korrekten Angaben bestand.

Mein Hemd klebte am Rücken, der billige Stoffbezug der Armlehne scheuerte an meinen Unterarmen. Ich atmete durch und setzte noch einmal an.

»In dem Material, das im Ofen dieses Hauses gefunden wurde, befanden sich auch Knochenreste eines Neugeborenen.«

Meine Worte schienen ihn unvorbereitet zu treffen. Ich hörte, wie er scharf einatmete, und sah, dass er das Kinn ein wenig reckte.

»Tamela ist erst siebzehn. Sie ist ein braves Mädchen.«

»Ja, Sir.«

»Sie war nich schwanger.«

»Doch, Sir, das war sie.«

»Wer sagt’n das?«

»Wir haben diese Information aus mehr als einer Quelle.« Slidell.

Banks überlegte einen Augenblick. Dann:

»Warum schau’n Sie in den Ofen von Leuten?«

»Ein Informant gab an, dass bei dieser Adresse ein Säugling verbrannt worden sei. Wir gehen solchen Meldungen nach.«

Slidell erwähnte nicht, dass der Tipp von Harrison »Sonny« Pounder kam, einem Kleindealer, der nach seiner Verhaftung etwas für sich herausschlagen wollte.

»Wer sagt’n so was?«

»Das ist nicht wichtig.« Slidell klang gereizt. »Wir müssen herausfinden, wo Tamela sich aufhält.«

Banks stand auf und schlurfte zum nächsten Bücherregal. Dann setzte er sich wieder in den Lehnsessel und gab mir ein Foto.

Ich sah mir das Mädchen auf dem Bild an und spürte dabei deutlich Banks’ Blick. Und den seiner Zweitältesten, die im Durchgang stand.

Tamela trug einen kurzen Rock und einen goldfarbenen Pullover mit einem schwarzen W auf der Vorderseite. Sie kauerte, das eine Knie gebeugt, das andere Bein nach hinten durchgestreckt, die Hände an den Hüften, umgeben von einem Kreis aus goldenen und weißen Pom-Poms. Ihr Lächeln war riesig, die Augen funkelten vor Glück. Zwei Spangen glitzerten in ihren kurzen, lockigen Haaren.

»Ihre Tochter war Cheerleader«, sagte ich.

»Ja, Ma’am.«

»Meine Tochter wollte das ausprobieren, als sie sieben war«, sagte ich. »Pop Warner Football, für die ganz Kleinen. Aber dann beschloss sie, lieber selbst zu spielen, statt anzufeuern.«

»Haben eben alle ihren eigenen Kopf, was?«

»Ja, Sir, den haben sie.«

Banks gab mir ein zweites Foto, ein Polaroid.

»Dasis Mr. Darryl Tyree«, sagte Banks.

Tamela stand neben einem großen, dünnen Mann mit Goldketten um den Hals und einem schwarzen, hinten gebundenen Kopftuch. Ein spindeldürrer Arm lag auf Tamelas Schultern. Das Mädchen lächelte zwar, doch das Leuchten war aus ihren Augen verschwunden. Ihr Gesicht sah abgespannt aus, der ganze Körper verkrampft.

Ich gab ihm die Fotos zurück.

»Wissen Sie, wo Tamela ist, Mr. Banks?«, fragte ich leise.

»Tamela is jetzt ein erwachsenes Mädchen. Sagt, ich darfse nich fragen.«

Schweigen.

»Wenn wir nur mit ihr reden könnten, vielleicht gibt es ja eine Erklärung für das alles.«

Wieder Schweigen, länger als zuvor.

»Kennen Sie Mr. Tyree?«, fragte Slidell.

»Tamela wollte die High School zu Ende machen, wie Reggie un Harley un Joah un Sammy. Hatte nie Probleme mit Drogen oder Jungs.«

Wir ließen das so stehen. Als Banks nicht weitersprach, hakte Slidell nach.

»Und dann?«

»Dann kam dieser Darryl Tyree daher.« Er spuckte den Namen förmlich, das erste Anzeichen von Wut, das ich an ihm sah. »Dauert nich lange, und sie vergisst ihre Bücher, träumt nur noch von diesem Tyree und wartet, dass er aufkreuzt.«

Banks schaute von Slidell zu mir.

»Sie glaubt, ich weiß nix, aber ich hab von diesem Darryl Tyree gehört. Sag ihr, dass er kein Umgang für sie is, sag ihr, dass er nich mehr herkommen darf.«

»Und daraufhin zog sie aus?«, fragte ich.

Banks nickte.

»Wann war das?«

»So gegen Ostern. Vor vier Monaten ungefähr.«

Banks’ Augen wurden feucht.

»Ich wusste, dass ihr was im Kopf rumging. Ich dachte, es wär nur Tyree. Gütiger Gott, ich wusste doch nich, dass sie schwanger war.«

»Wussten Sie, dass sie bei Mr. Tyree wohnte?«

»Hab sie nicht gefragt, Gott möge mir verzeihen. Aber ich hab mir schon gedacht, dass sie zu ihm geht.«

»Können Sie sich vorstellen, warum Ihre Tochter ihrem Baby etwas antun wollte?«

»Nein, Ma’am. Tamela is’n gutes Mädchen.«

»Kann es sein, dass Mr. Tyree Tamela unter Druck setzte, weil er das Kind nicht wollte?«

»So war das nich.«

Wir alle drehten uns beim Klang von Genevas Stimme um.

In ihrer formlosen Bluse und den schrecklichen Shorts stand sie da und starrte uns mit stumpfen Augen an.

»Was soll das heißen?«

»Tamela erzählt mir Sachen, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Sie vertraut sich Ihnen an?«, fragte ich.

»Ja. Vertraut sich mir an. Sagt mir Sachen, die sie Daddy nich sagen kann.«

»Was kann sie mir nich sagen?« Banks’ Stimme klang schrill.

»Viele Sachen, Daddy. Über Darryl konnte sie mit dir nich reden. Du schreist sie nur an, sagst ihr die ganze Zeit, sie soll beten.«

»Ich muss doch an ihre Seele …«

»Hat Tamela mit Ihnen über ihre Beziehung zu Darryl Tyree gesprochen?« Slidell schnitt Banks das Wort ab.

»Ein bisschen.«

»Hat Sie Ihnen gesagt, dass sie schwanger ist?«

»Ja.«

»Wann?«

Geneva zuckte die Achseln. »Letzten Winter.«

Banks sackte sichtbar in sich zusammen.

»Wissen Sie, wo Ihre Schwester ist?«

Geneva ignorierte Slidells Frage.

»Was haben Sie in Darryls Holzofen gefunden?«

»Verkohlte Knochenfragmente«, erwiderte ich.

»Sind Sie sicher, dass sie von einem Baby sind?«

»Ja.«

»Vielleicht war es eine Totgeburt.«

»Diese Möglichkeit besteht immer.« Ich bezweifelte es, noch während ich es aussprach, aber ich konnte den traurigen Blick in Genevas Augen nicht ertragen. »Deshalb müssen wir Tamela ja finden, um aufzuklären, was wirklich passiert ist. Für den Tod des Babys könnte auch etwas anderes als Mord die Erklärung sein. Ich hoffe sehr, dass sich das so erweist.«

»Vielleicht kam das Baby zu früh.«

»Ich bin Expertin für Knochen, Geneva. Ich erkenne Veränderungen, die im Skelett eines sich entwickelnden Fötus stattfinden.«

Denk an das KUSS-Prinzip, schalt ich mich. Kein Unnötiger Schnickschnack.

»Tamelas Baby war voll ausgereift.«

»Was heißt das?«

»Die Schwangerschaft dauerte volle achtunddreißig Wochen oder zumindest fast. So lange, dass das Baby lebensfähig gewesen wäre.«

»Vielleicht hat es Probleme gegeben.«

»Vielleicht.«

»Woher wissen Sie, dass es Tamelas Baby war?«

Slidell meldete sich zu Wort und zählte die Argumente an seinen Wurstfingern ab.

»Erstens, mehrere Zeugen haben angegeben, dass Ihre Schwester schwanger war. Zweitens, die Knochen wurden in einem Ofen in ihrer Wohnung gefunden. Und drittens, sie und Tyree sind verschwunden.«

»Hätte auch das Baby von jemand anderem sein können.«

»Und ich könnte Mutter Teresa sein, bin es aber nicht.«

Geneva wandte sich wieder an mich.

»Was is mit diesem DNS-Zeug?«

»Die Fragmente waren zu wenig und zu stark verbrannt für einen DNS-Test.«

Geneva zeigte keine Reaktion.

»Wissen Sie, wohin Ihre Schwester verschwunden ist, Miss Banks?« Slidells Ton wurde schärfer.

»Nein.«

»Gibt es sonst noch irgendetwas, das Sie uns sagen können?«, fragte ich.

»Nur noch eins.«

Geneva schaute von mir zu ihrem Vater und zu Slidell. Weiße Frau. Weißer Polizist. Keine tollen Alternativen.

Anscheinend fühlte sie sich bei einer Frau sicherer, denn sie warf die Granate in meine Richtung.

3

Während Slidell mich zu meinem Auto zurückfuhr, versuchte ich, meine Gefühle in Schach zu halten, und schärfte mir ein, mich wie ein Profi zu verhalten.

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