Die Stahlratte fährt zur Hölle - Harry Harrison - E-Book

Die Stahlratte fährt zur Hölle E-Book

Harry Harrison

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Beschreibung

Kopfüber in die Hölle

Die Hölle ist los im Hause di Griz: Angelina, die furchtlose Ehefrau der Stahlratte, ist spurlos verschwunden. Ihr letzter Auftrag lautete, die Machenschaften einer Sekte auszukundschaften, die ihren Anhängern einen Platz im Paradies verspricht - und ihre Gegner eigenhändig zur Hölle schickt. Mit seinen Söhnen Bolivar und James und der Superspionin Sybil macht sich die Stahlratte auf die Suche ...

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Seitenzahl: 393

Veröffentlichungsjahr: 2014

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HARRY HARRISON

DIE STAHLRATTE FÄHRT ZUR HÖLLE

Roman

1. KAPITEL

Ich kippte ordentlich Whisky auf die Eiswürfel und maß sie mit einem finsteren Blick – dann goss ich noch etwas drauf. Als ich das Glas jedoch anhob und mit gluckerndem Vergnügen trank, fiel mein Blick auf die in die Wand oberhalb der Bar eingebaute Uhr.

Es war erst zehn Uhr morgens.

Auweia, Jim, du schüttest dich jeden Tag etwas früher zu. Ich knurrte vor mich hin. Na und? Gehörte die Leber nun mir oder nicht? Ich sabberte das Glas gerade leer, als der Hauscomputer mich mit einer volltönenden, gebildeten – etwa auch höhnischen? – Stimme ansprach.

»Jemand nähert sich dem Hauseingang, Herr.«

»Toll. Ist sicher der Laufjunge vom Schnapsladen, was?« Meine Stimme troff vor Sarkasmus, aber Computer können so was natürlich nicht aufnehmen.

»Keinesfalls, Herr. Franzis Fusel- und Feinkostladen liefert nämlich per Rohrpost. Ich identifiziere das sich nähernde Lebewesen als Rowena Vinicultura. Sie hat ihren Flitzer auf dem Rasen vor dem Haus abgestellt und entsteigt ihm gerade.«

Meine Laune verschlechterte sich schon, als der Name durch meine Trommelfelle kroch. Von allen wunderschönen Langweilern auf Lussuoso war Rowena wahrscheinlich die schönste – und ganz sicher die langweiligste. Ich wollte fliehen oder Selbstmord begehen, bevor sie hereinkam. Ich war gerade in den hinteren Teil des Hauses unterwegs, um mich eventuell im Schwimmbecken zu ersäufen, als die Stimme des Hausboters mich auf der Stelle verharren ließ.

»Miss Vinicultura ist wohl auf die Kunststoffmatte vor der Tür gefallen, auf der in sechs Sprachen WILLKOMMEN steht.«

»Was soll das heißen, gefallen?«

»Ich glaube, die Beschreibung ist zutreffend. Sie schloss die Augen, und ihr Leib erschlaffte. Dann bewegte sie sich langsam dem Boden entgegen. Nun liegt sie reglos da, und ihre Augen sind noch immer geschlossen. Ihr Puls hat sich, wie die Mattendruckplatte registriert, deutlich verlangsamt und schlägt unregelmäßig. Ihr Gesicht weist Schnittwunden und Schrammen auf …«

Die Stimme des Dings folgte mir, als ich durchs Haus zurücklief.

»Tür aufmachen!«, schrie ich. Sie schwang weit auf, und ich stürzte hinaus.

Rowenas Kameengesicht war bleich, ihr schwarzes Haar kunstvoll zerzaust, ihr stattlicher Busen hob und senkte sich langsam. Auf ihren Wangen war Blut, und sie hatte eine sich bläulich verfärbende Schramme auf der Stirn. Ihre Lippen bewegten sich. Ich ging näher heran.

»Weg …«, sagte sie kaum hörbar. »Angelina … weg …«

Mir war, als sei meine Körpertemperatur um dreißig Grad gesunken. Doch dies verlangsamte mich nicht im geringsten. Während ich nach Rowena griff, gelang es mir, die Nummer 666 in meinen Armbandrechner einzugeben.

»Wo ist das medizinische Hausbehandlungszentrum?«, schrie ich, während ich die Arme unter ihre warmen Schenkel und ihren weichen Rücken schob und sie so vorsichtig wie möglich hochhob.

»Am Bibliothekssofa, Herr.«

Ich rannte los und ignorierte den kalten Knoten der Verzweiflung, den ihre Worte in mir hatten wachsen lassen. Da Angelina und ich unermesslich reich waren, hatten wir den medizinischen Hausdienst noch nie in Anspruch genommen. Ich hatte beim Unterschreiben des Mietvertrags nur einen kurzen Blick auf das Kleingedruckte geworfen; bei der Miete, die wir zahlten, mussten die medizinischen Einrichtungen mindestens so gut sein wie die eines Provinzkrankenhauses. Als ich Rowena in die Bibliothek getragen hatte, war das Sofa in der Wand verschwunden. An seiner Stelle kam ein Untersuchungsbett aus dem Boden. Als ich sie auf das Lager legte, schlängelten sich auch schon die Detektoren des Medboters aus der Decke. Ein Analysator saugte sich an meinem Nacken fest, und ich scheuerte ihm eine.

»Nicht mich! Sie! Auf dem Bett da, du dösiger Blechkopf!«

Ich ging außer Reichweite, als sich die Maschine mit mechanischem Enthusiasmus an die Arbeit machte. Auf dem Bildschirm tauchten die ersten Messungen auf. Sie zeigten alles – von der Temperatur und Pulstätigkeit bis zum endokrinen Gleichgewicht, die Leberfunktionen, das Haarfollikelwachstum und alles, was man messen und bewerten konnte. Alles war da zu lesen.

»Sprich! Rede!«, kommandierte ich. Ein Rascheln elektronischer Aktivität ertönte, als die verschiedenen Fachprogramme sich zusammentaten, den Input sortierten, verglichen, sich untereinander verständigten und in einer schnellen Mikrosekunde einigten.

»Patient hat Gehirnerschütterung und Prellungen.« Die computererzeugte Stimme war tief, männlichen Geschlechts und klang beruhigend. »Die Schrammen sind nicht schlimm. Sie wurden gereinigt und verschlossen.« Wie geschäftig die blitzenden Gerätschaften waren. »Die nötigen Antibiotika wurden injiziert.«

»Bring sie zu sich!«, raunzte ich.

»Falls Sie damit meinen, Sir, dass es Ihr Wunsch ist, den Patienten ins Bewusstsein zurückzuholen, so wird dies gerade getan.« Falls Computer überhaupt eingeschnappt klingen können – dieser hier klang so.

»Wasch’n’lohsch?«, murmelte Rowena mit leicht verschleierten, doch wunderbar purpurnen Augen.

»Es reicht noch nicht«, sagte ich. »Gib ihr irgendein Stimulans oder so was. Ich muss mich mit ihr unterhalten.«

»Der Patient ist traumatisiert …«

»Aber nicht besonders schlimm. Hast du selbst gesagt. Bring sie nun zum Reden, du überteuerte Ansammlung von Speicherchips, sonst schließe ich deinen ROM, deinen PROM und deinen EPROM kurz!«

Das reichte wohl. Rowenas Augen blinzelten und schauten mich an.

»Jim …«

»Höchstpersönlich, meine allerliebste Rowena. Gleich geht’s dir wieder gut. Und jetzt erzähl mir von Angelina.«

»Weg …«, sagte sie. Und klimperte mit ihren luxuriösen Wimpern. Ich spürte, dass ich mit den Zähnen knirschte und rang mir ein Lächeln ab.

»Das sagtest du schon. Wohin ist sie weg? Warum ist sie weg? Wann ist sie …« Ich hielt die Klappe, denn ich geriet allmählich in Rage.

»Im Tempel der Ewigen Wahrheit …« Das war alles, was sie sagte, bevor sie die Augen wieder schloss. Und es genügte mir.

Als ich zur Tür hinausrannte, schrie ich dem Hausboter zu: »Mach sie gesund! Bewach sie! Ruf einen Krankenwagen!«

Die Polizei erwähnte ich nicht, denn ich wollte nicht, dass diese Plattfüße sich in meine Ermittlungen einmischten.

»Einschalten!«, schrie ich dem Atomkrad zu, als ich in die Garage kam. »Tor auf!«

Ich landete im Sattel, trat voll drauf und riss, als ich ins Freie schoss, die untere Hälfte des Garagentors ab, da sie sich nicht schnell genug öffnete. Es gelang mir, ein auf dem Pflaster herumschlenderndes Pärchen zu verfehlen, fegte zwischen zwei Fahrzeugen hindurch und jagte auf die Straße. Dabei brüllte ich in das Kradphon, da ich es für vorteilhaft hielt, wenn das Fahrzeug wusste, wohin ich wollte.

»Straßenkarte, Notzugriff. Der Tempel der Ewigen Wahrheit – Koordinaten.«

Auf der nun gesprungenen Windschutzscheibe wurde ein Stadtplan sichtbar, und ich fegte mit kreischenden Reifen um die nächste Ecke. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, dass das Kom-Licht blinkte. Es konnte nur eine Antwort auf meinen Notruf sein, denn nur Angelina, James und Bolivar hatten Zugang zu dieser Nummer, wenn ein Ruf hinausging.

»Angelina, bist du’s?«, schrie ich.

»Hier ist Bolivar. Was ist los, Papa?«

Ich erklärte es ihm kurz und bündig, und als James sich zuschaltete, wiederholte ich alles noch mal. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo die beiden sich gerade aufhielten – ich würde es schon noch erfahren –, aber es reichte mir schon, dass ich wusste, sie waren informiert und unterwegs. Wir hatten die Nummer 666 zum ersten Mal verwendet. Notfall Erster Klasse. Lasst alles fallen und kommt her. Ich hatte ihn erfunden, als sie aus dem Haus und ihrer eigenen Wege gegangen waren. Um ihnen in Zukunft helfen zu können, hatte ich mir dabei gedacht. Doch nun war ich derjenige, der um Hilfe schrie. Sie schalteten ab. Sie vergeudeten weder meine Zeit noch meine Aufmerksamkeit mit unnötigen Kommentaren. Sie hatten mir zugehört und würden kommen.

Ich jagte um die letzte Ecke und trat auf die Bremse.

Öliger Rauch schraubte sich in die Höhe – und erstarb schon unter dem weißen Sprühnebel eines Feuerwehrkopters, der über einem ruinierten Gebäude kreiste. Die kalte Umklammerung in meinem Brustkorb wurde nun körperlich. Ich brauchte einen Moment, um die Beherrschung zurückzugewinnen und atmete konzentriert. Dann rannte ich auf die Ruinen zu. Zwei Männer in blauen Uniformen standen mir im Weg und lagen augenblicklich rücklings im Dreck. Dann tauchte ein größerer vor mir auf, mit allerhand Lametta an den Schulterklappen; hinter ihm wimmelte es von seinen Untergebenen. Ich erlangte die Kontrolle über meine adrenalingeschüttelten Reflexe und schaltete das Gehirn ein.

»Mein Name ist DiGriz. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sich meine Frau da drin aufhält …«

»Wenn Sie bitte zurücktreten, und …«

»Nein.« Ich spuckte das Wort förmlich aus, und er wich automatisch zurück. »Ich zahle Steuern. Eine Menge Steuern. Für Ihr Gehalt. Ich habe mehr Erfahrung mit Polizeiarbeit als Sie.« Ich vernachlässigte, auf welcher Seite des Gesetzes ich meine Erfahrungen gesammelt hatte. »Was wissen Sie über die Sache?«

»Nichts. Feuerwehr und Polizei sind gerade erst eingetroffen. Aufgrund eines automatischen Alarmrufs.«

»Dann sage ich Ihnen, was ich weiß. Dies ist – oder war – der Tempel der Ewigen Wahrheit. Eine Überlebende ist gerade in mein Haus gekommen. Rowena Vinicultura. Sie hat gesagt, meine Gattin sei hier.«

Ich hörte das Summen des Polizeicomputers in seinem Ohrstöpsel. »Admiral Sir James DiGriz. Wir werden alles unternehmen, was in unserer Macht steht, um Ihre Gattin … Angelina zu finden. Ich bin Captain Collin und stelle fest, dass Ihr Status Ihnen erlaubt, auf eigene Gefahr und Verantwortung an den Ermittlungen teilzunehmen.«

Als wir nach Lussuoso gekommen waren, hatte ich rein reflex- und rechtmäßig meinen gefälschten Rang als Admiral der Flotte angegeben. Voraussicht zahlt sich doch immer aus.

Wir folgten einem großen und gut isolierten Feuerwehrboter in die Ruinen hinein. Er pflügte einen sauberen Weg für uns frei, besprühte dann und wann ein rauchendes Überbleibsel, zeichnete für spätere Untersuchungen jede seiner Bewegungen auf und räumte alle Hindernisse aus dem Weg. Eine hängende Tür kreischte auf und fiel zu Boden, und wir betraten das qualmende Innere dessen, was einst ein sehr großer Gemeindesaal gewesen war. An sausenden Rotoren hängende Robotlampen schwebten über uns dahin und erleuchteten das rauchgefüllte Innere.

Zerstörung, wohin man blickte. Aber nirgendwo waren Leichen zu sehen. Der kalte Knoten war noch immer in meinem Zwerchfell. Der Raum war üppig mit geschnitztem Holz und – nun qualmenden – Vorhängen verziert gewesen. Reihen von Kirchenbänken standen der zerstörten Seite gegenüber, wo der Rauch am dicksten war. Kondensatoren reinigten bereits die Luft, und die Schwebelampen bestrahlten ruinierte und verdrehte Maschinerie.

»Hier bleiben wir erst mal«, sagte Captain Collin. »Jetzt übernimmt das Katastrophenteam.«

Das Katastrophenteam wurde von einem einzelnen metallgrauen Roboter verkörpert. Er war zweifellos mit von Brandspezialisten und Gerichtsmedizinern zusammengestellten Expertenprogrammen vollgepackt und verfügte über Detektoren und Sonden von mikroskopischer Effizienz. Zwar sagte mir die reine Logik, dass er viel bessere Arbeit leisten konnte als wir im Dunkeln herumtastenden Menschen, doch am liebsten hätte ich ihm in den Arsch getreten und wäre an ihm vorbeigelaufen.

»Siehst du irgendwelche … Leichen?«, schrie ich.

»Keine lebenden Wesen. Keine Registrierung menschlicher Leichen oder animalischer Kadaver. Nein, ja. Korrektur. Rote Flüssigkeit am Boden. Ermittlungen laufen. Es ist menschliches Blut.«

Meine Kehle war fast zu. Meine Stimme knarrte, und ich hatte Schwierigkeiten beim Sprechen. »Primärtest. Blutgruppe?«

»Test läuft. Null positiv, Rhesusfaktor negativ.«

Den Rest hörte ich nicht mehr. Er spielte keine Rolle. Angelina hatte Blutgruppe B, Rhesusfaktor negativ. Ich entspannte mich, aber nur ein wenig.

In wenigen Minuten waren zwei wichtige Fakten geklärt worden. Abgesehen von dem Blutstropfen gab es keine sichtbaren menschlichen Überreste oder Spuren von Lebenden und Toten. Es gab einen vernichteten Saal, und daneben den verbrannten und zerschmetterten Raum, der große Mengen elektronischer Gerätschaften enthielt. Und eben diese waren dem Anschein nach bewusst zerstört worden, damit es keine Möglichkeit mehr gab, ihren Zweck zu erkennen.

Aber wo war Angelina?

Ich wartete, bis die Gebäuderuine untersucht und nachuntersucht worden war. Man entdeckte nichts Neues, so dass ich an der Brandstelle nur meine Zeit vergeudete. Die Polizei hatte jeden Raumer gefilzt, der den Planeten seit der Explosion verlassen hatte und wollte es auch weiterhin tun. Weder Angelina noch jemand, der ihr nur entfernt glich, war an Bord irgendeines Schiffes gewesen. Hier konnte ich nichts mehr tun.

Ich fuhr langsam nach Hause und hielt mich an sämtliche Verkehrsregeln. Hielt wegen der Fußgänger an und winkte sie über die Straße. Rollte durch die Überreste des Garagentors und stellte das Krad ab. Dann ging ich gleich an die Bar, kippte den abgestandenen Drink aus und bereitete mir einen kleinen, aber steifen Ersatz vor, um mich dann an die E-Mail-Ausdrucke zu begeben. Die Zwillinge waren unterwegs. Beide hielten sich nicht auf dem Planeten auf, so dass es einige Tage dauern würde, bis sie ankamen. Obwohl sie nicht in die Einzelheiten gingen, wusste ich, dass sie in diesem Moment im Begriff waren, das schnellste Transportmittel des bekannten Universums zu kaufen, jemandem abzuschwatzen, jemanden zu bestechen oder es gar zu stehlen. Sie würden kommen. Auch wenn unsere kleine Sippe die Außenwelten und ihre Werte möglicherweise ablehnte, es machte unseren familiären Zusammenhalt nur stärker.

Doch nun mussten wir auf eine vor sich hintrottende Technik warten, die die Ruinen des Tempels der Ewigen Wahrheit unter die Lupe nahm und untersuchte und bewertete, bevor sie uns ein kohärentes Bild dessen vorlegen konnte, was dort geschehen war. Ich konnte nichts tun, bevor diese Meldung kam. Ich wollte Rowena im Krankenhaus kontaktieren, aber man wimmelte mich ab. Ich durfte ihr erst Fragen stellen, wenn sie sich etwas erholt hatte. Lussuoso war reich, technisch beschlagen und konnte die Suche und Analyse so gut wie jeder andere Planet betreiben, den wir je gesehen hatten, wenn nicht gar besser. Ich konnte diese Welt zwar nicht ausstehen, aber technische Kompetenz musste ich ihr zugestehen. Mein Geist versuchte fortwährend, alle schrecklichen Möglichkeiten aufzulisten, die Angelinas Verschwinden betrafen …

Häng dich nicht dran auf, Jim, sagte ich mir. Du hast dich für eine Lebensweise entschieden, die andere Menschen möglicherweise nicht nur für eigenartig, sondern sogar für kriminell halten. Ich wünschte mir allmählich, ich wäre bei meinen Gaunereien geblieben und hätte die Sondereinheit nie gesehen. Auf der richtigen Seite des Gesetzes verspürt man immer Unbehagen. Deswegen bedauerte ich es noch mehr, nach Lussuoso gekommen zu sein. Aber damals hatte ich es für eine gute Idee gehalten.

Lussuoso war eine Paradieswelt und unglaublich teuer. Um hierherzuziehen, hatte ich Bankkonten anzapfen müssen, an denen ich seit vielen Jahren nicht gewesen war. Ich hatte sogar einige längst überfällige Schulden eintreiben müssen, was auch nicht gerade leicht gewesen war. Ich meine in dem Sinne nicht leicht, dass der Einsatz schwerer Waffen vonnöten gewesen war und am Ende einige Leute im Krankenhaus gelandet waren. Ein Verbrecherleben zahlt sich nicht immer aus – besonders dann nicht, wenn einem die Sondereinheit mit unwillkommenen Aufträgen am Hals hängt. Natürlich ist es ganz schön aufregend, hin und wieder das Universum zu retten, aber in barer Pinke bringt es nichts ein. Das gleiche war geschehen, als ich mich um die Präsidentschaft von Paraiso Aqui beworben hatte. Es hatte zwar Spaß gemacht, aber keinen müden Peso eingespielt. Deswegen mussten Angelina und ich zwischen unseren legalen Jobs ein paar andere erledigen, die unsere Koffer gefüllt und die der anderen geleert hatten. Wir hatten genug für die Regenzeit auf die Seite gebracht. Aber hier schien ja nur die Sonne. Es war die Sache trotzdem wert gewesen, denn Angelina war hier glücklicher als je zuvor. Wenn sie lächelte und mich küsste, vergaß ich sogar, wie sehr ich diesen Planeten hasste. Dabei hatte alles so einfach angefangen.

»Hast du schon mal was von Lussuoso gehört?«, hatte sie gefragt.

»Ein neues Getränk? Oder irgend etwas, das man sich in die Haut schmiert?«

»Spiel nicht immer den Deppen, Jim DiGriz. Wer nicht taub ist, muss doch wissen, dass der Planet in aller Munde ist …«

»Ersatznervenkitzel und purer Neid. Es gibt nicht einen unter Trillionen, der es sich leisten könnte, einen Tag dort zu verbringen.«

»Wir schon. Ich gehe jede Wette ein.«

»Natürlich …«

Natürlich. Berühmte letzte Worte. Sie sprangen mir über die Lippen, weil ich gerade bestens entspannt war und einen Sprung in der Schüssel hatte. Im Nachhinein wurde mir sonnenklar, dass meine Liebste jedes Wort dieser simplen Konversation geplant und orchestriert hatte. Sie ist eine Frau, die alles kriegt, wenn sie erst einmal weiß, was sie haben will.

Lussuoso. Ein berühmter Mythos, eine Legende, die in allen galaktischen Seifenopern vorkam. Eine Paradieswelt. Bewohnt nur von Stinkreichen und noch reicheren. Anfangs hatte mich das Phänomen fasziniert, also hatte ich einige Nachforschungen angestrengt. Mein Einkommen war exotisch genug, um schnell zu erfahren, warum der Planet so anziehend war.

Er war das galaktische Zentrum für Verjüngungskuren. Und diese waren so schrecklich teuer, dass man Millionär sein musste, um auch nur die Preisliste zu sehen. Die Behandlung war zwar schmerzlos, dauerte aber lange. Je nachdem, wie die Hinfälligkeit des Kunden vorangeschritten war, konnte sie Jahre dauern. Da Kliniken langweilig waren und das Projekt nicht unter irgendwelchen finanziellen Beschränkungen leiden musste, hatte man den ganzen Planeten zu einer Urlaubswelt terradeformt. Die Luxusvillen stachen sich gegenseitig in jugendlichem Überschwang aus. Opern, Bühnen und Unterhaltung aller Art waren in Hülle und Fülle vorhanden. Man konnte jeden Sport betreiben, vom Tiefseetauchen und Fischen bis zum Bergsteigen und der Jagd. Doch die Kliniken und Praxen, in denen die Reichen jünger und – falls möglich – ärmer wurden, versteckten sich vor diesem allesfressenden Kapitalismus. Sie waren ein Tabuthema und wurden nie erwähnt – doch waren sie der einzige Grund für die Existenz des Planeten.

All dies hatte ich herausgefunden und auf der Stelle vergessen. Angelina hingegen nicht. Als sie eines Tages, bevor wir zum Essen gehen wollten, vor dem Korridorspiegel stehenblieb, wusste ich, mein Schicksal war besiegelt. Sie hatte mich am Wickel. Der Ofen war aus. Sie patschte auf ihr makellos frisiertes Haar, wie es die Frauen alle naselang tun und trat dann näher an ihn heran. Sie berührte mit ihrer feinen Fingerspitze einen Augenwinkel.

»Jim – ist das da etwa ein Krähenfuß?«

»Natürlich nicht. Das meinst du nur, weil das Licht so fällt.«

Im gleichen Moment, in dem ich diese freundlichen, wahren und einfachen Worte sprach, wirbelten die Gedanken in meinem Kopf schon in Richtung Zukunft. Jahre einer glücklichen Ehe hatten mich eine wichtige Tatsache gelehrt – wenn nicht gar mehrere: Frauen haben eine merkwürdige Art, sich auszudrücken. Eine einfache Frage wie Hast du Hunger? kann bei ihnen Ich habe Hunger bedeuten. Oder Hast du vergessen, dass wir heute zum Essen ausgehen wollen? Oder Ich habe zwar keinen Hunger, aber ich weiß genau, dass du mich gleich zum Essen einladen wirst. Etc. pp. Deswegen kann ein mögliches Krähenfüßchen, das man kurz nach einer einfachen Frage über den Planeten Lussuoso stellt, im Verein mit einer vergoldeten Broschüre, die rein zufällig auf dem Nachttischchen liegt, nur eins bedeuten. Ich lächelte.

»Ich habe allmählich das Gefühl, dass diese Welt einem kaum noch etwas Neues bietet und mich langsam aber sicher langweilt. Hast du schon mal daran gedacht, nach einem, na ja, glanzvolleren und aufregenderen Planeten Ausschau zu halten?«

Sie fuhr herum und küsste mich begeistert. »Jim – du kannst ja Gedanken lesen! Was hältst du von …?«

War doch Wurscht, was ich davon hielt. Ich dachte in erster Linie an längst vergessene Bankkonten.

Aber es war die Sache wert gewesen. Für eine Weile. Angelina war von Zeit zu Zeit abwesend, aber wir sprachen nie über Verjüngungskuren. Ich muss jedoch gestehen, dass ich nach der ersten Sichtung gewisser Grautönen in meinem Haar und der leichten Neigung zur Kurzatmigkeit nach ernsthafter Betätigung eigentlich nichts gegen die eine oder andere medizinische Sitzung einzuwenden hatte. Schließlich zahlte ich dafür. Und Lussuoso war wirklich so fröhlich und unterhaltsam, wie die Broschüren behaupteten. Unser Haus war wunderschön, und unsere Freunde noch schöner. Ich weiß gar nicht, wie schön all diese Leute gewesen waren, bevor sie wunderschön geworden waren – aber nun waren sie wirklich ansehnlich. Kein Alter soll dich welken, noch die Zeit dich beeinträchtigen lassen. Früher hatte man immer gesagt, man könne sich mit Geld nicht alles kaufen, aber dieses Klischee nimmt niemand mehr in den Mund. Auf Lussuoso waren alle Menschen jung, wunderbar anzuschauen und reich. Oder hauptsächlich reich – und deswegen auch jung und schön.

Ich hatte nicht lange gebraucht, um herauszukriegen, dass sie außerdem stinklangweilig waren.

Wer haufenweise Geld verdient, setzt offenbar nur Leute in die Welt, die nur ans Geldverdienen denken.

Nun bin ich ja kein Snob – nicht im geringsten. Im Kreis meiner Freunde und Bekannten gibt es wunderbare Typen aus allen Bereichen des Lebens: Bluffer und Kenner, Fälscher und Förster, Polizisten und Politiker, Wissenschaftler und Prediger. Sie sind alle unterhaltsam und auf eine Menge seltsamer und interessanter Arten gute Gesellschaft.

Doch nach einem Monat war ich zu allem bereit, was nichts mit Lussuoso zu tun hatte. Vielleicht Selbstmord, ein Wiedereintritt ins Militär, vielleicht eine Schwimmpartie in einem Schwefelsäuresee. All dies erschien mir erstrebenswerter.

Aber ich hatte ausgeharrt und aus zwei Gründen mehr getrunken: Erstens hatte ich einen satellitengroßen Haufen für medizinische Behandlungen bezahlt und wollte auch etwas davon haben. Zweitens, und das war noch wichtiger, vergnügte sich Angelina ungeheuer. Unsere Lebensweise hatte sie zuvor daran gehindert, weibliche Bekannte oder enge Freundinnen zu haben. Ihre mörderische frühe Existenz, bevor die psychiatrische Behandlung sie zu einem zivilisierteren, wenn auch weiterhin kriminellen Menschen gemacht hatte, lag weit zurück und war hoffentlich vergessen. Wenn wir zusammen waren, sprachen wir nie über die frühen Jahre, in denen ich – wer kann es heute noch fassen? – auf der anderen Seite des Gesetzes aktiv und sie eine flüchtige Kriminelle gewesen war. Sie war sogar eine ziemlich üble Kriminelle gewesen, und ich hatte nicht verstanden, dass jemand, der so schön war, so hinterhältig und grausam sein konnte. Bis sie mir vertraut, mich lieben gelernt und das Medaillon mit dem Geheimnis ihrer Vergangenheit geöffnet hatte. Ihre Schönheit war das Ergebnis eines Chirurgenskalpells. Es hatte sie von dem, was sie früher gewesen war, zu dem gemacht, was sie heute war. Nur ihre kriminelle Existenz hatte sie befähigt, die Operationen zu bezahlen. Und deswegen und wegen unseres übermäßigen Lebensstandards hatten wir ein auf vielerlei Weise einsames Leben geführt. Wir waren zwar nicht allein gewesen, aber unser Leben war sicher anders verlaufen als das von 99,99 Prozent aller anderen normalen Menschen.

Als wir die Zwillinge bekommen hatten, war es für uns beide eine neue Erfahrung gewesen, und zwar eine, nach der ich mich nicht unbedingt gesehnt hatte. Aber ich hatte mich, wie Angelina stets zu sagen pflegte, zum Besseren hin verändert, und sie musste es wissen. Als die Jungs aufwuchsen, hatten wir dafür gesorgt, dass sie die bestmögliche Erziehung bekamen. Wir hatten oft darüber gesprochen und schließlich übereingestimmt, dass sie das Leben führen sollten, das den größten Reiz auf sie ausübte. Als sie alt genug gewesen waren, hatten wir sie in aller Fairness in einige interessantere Aspekte unseres Daseins eingeführt. Und ich freue mich, sagen zu können, dass sie sie auf der Stelle annahmen. All dies hatte uns sehr beschäftigt, und da Angelina nie enge Freundinnen gehabt hatte, hatte sie die Bekanntschaft des schöneren Geschlechts offenbar nie vermisst. Doch nun hatte sie sie im Überfluss.

Sie gingen zusammen aus und unternahmen etwas. Was, habe ich nie genau erfahren. Aber sie hatten ihr Vergnügen. Sie hatte den Tempel der Ewigen Wahrheit sogar mal erwähnt, und nun wünschte ich mir, ihr genauer zugehört zu haben. Sie hatte freilich nicht sonderlich interessiert geklungen und war nur aufgrund der Beharrlichkeit einer Freundin dort hingegangen.

Und nun das! Ich nippte eifrig an meinem Drink und widerstand dem Nachschenken.

»DiGriz«, rief ich, kaum dass der Kommunikator angeschlagen hatte.

»Hier ist Captain Collin, Admiral. Wir haben einige neue und sehr verwirrende Neuigkeiten über den Tempel der Ewigen Wahrheit. Könnten Sie vielleicht mal in mein Büro kommen?«

Noch während er sprach, war ich aus der Tür.

2. KAPITEL

»Was haben Sie gefunden?«, fragte ich schroff, als ich in Captain Collins Büro stürzte. Er telefonierte gerade und hob die Hand, um mir zu signalisieren, dass ich warten sollte.

»Ja. Danke. Ich verstehe.« Er legte auf. »Es war das Krankenhaus. Scheint, dass Mrs. Vinicultura an posttraumatischer Amnesie leidet …«

»Sie hat alles vergessen, was passiert ist?«

»Genau. Zwar gibt es Verfahren, die einen Zugriff auf ihre Erinnerungen erlauben, aber Sie müssen warten, bis sie sich von dem Schock erholt hat.«

»Haben Sie mich etwa deswegen herbestellt?«

»Nein.« Er schob einen Finger hinter seinen Kragen und wirkte peinlich berührt vorausgesetzt, es ist einem übermuskulösen Polizeicaptain überhaupt möglich, so zu wirken.

»Wir sind auf Lussuoso ziemlich stolz auf unsere Sicherheit und die Gründlichkeit unserer Akten …«

»Wollen Sie damit sagen«, unterbrach ich ihn, »dass man die Sicherheit Lussuosos aufs Kreuz gelegt hat und Ihre Akten zweifelhaft sind?«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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