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„Mein Lebensstil unterscheidet sich so sehr von dem der meisten Mitglieder unserer Gesellschaft, dass ich bezweifle, ihn überhaupt einigermaßen erklären zu können.“
Nachdem Jim di Griz auf dem Sklavenplaneten Spiovente und der Armee von Nevenkleba schmerzhafte, aber wertvolle Erfahrungen gemacht hat, ist er jetzt ein vielbeachteter Profi – vor allem die Polizei schenkt ihm ihre volle Aufmerksamkeit. Doch die Stahlratte ist schwer zu fassen, keine Bank ist vor ihr sicher. Als er schließlich trotz seines Einfallsreichtums gefasst wird, tut Jim wie immer das Unvorhergesehene: Die Stahlratte wird Polizist …
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Seitenzahl: 241
Veröffentlichungsjahr: 2014
HARRY HARRISON
STAHLRATTE ZEIGT DIE ZÄHNE
Roman
Als die Bürotür sich plötzlich öffnete, wusste ich, dass das Spiel wieder einmal aus war. Während der Polizist auf mich zuging, lehnte ich mich grinsend in meinen Sessel zurück. Der Eindringling hatte den mürrischen Gesichtsausdruck und die Plattfüße, die sie alle haben – und den gleichen Mangel an Humor. Ich wusste bereits, was er sagen würde, bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hatte.
»James Bolivar diGriz, ich verhafte Sie wegen …«
Diesen Augenblick hatte ich abgewartet, um auf den Knopf unter dem Schreibtisch zu drücken. Die Sprengladung zündete, der Dachbalken gab nach und der drei Tonnen schwere Tresor krachte durch die Decke auf den Kopf des Polizisten. Als der Staub sich etwas gelegt hatte, war von ihm nur noch eine Hand zu sehen. Der Zeigefinger wies anklagend auf mich. Seine Stimme klang etwas undeutlich und sogar ein wenig verärgert. Er wiederholte sich reichlich stumpfsinnig.
»… wegen Hausfriedensbruchs, Diebstahls, Urkundenfälschung …«
Auf diese Weise sprach er noch einige Zeit weiter. Die Aufzählung war imponierend, aber ich hatte sie schon oft genug gehört. Deshalb ließ ich mich nicht weiter aufhalten und packte das Geld aus den Schreibtischschubladen in meinen Koffer. Die Liste schloss mit einem neuen Anklagepunkt, den der Kerl doch tatsächlich mit beleidigter Stimme vorbrachte.
»Außerdem haben Sie sich eines tätlichen Angriffs auf einen Polizeiroboter schuldig gemacht. Das war unsinnig, weil mein Gehirn gepanzert ist, während die …«
»Das weiß ich auch, George, aber dein Funkgerät ist unter deinem komischen Helm eingebaut – und ich wollte verhindern, dass du dich sofort mit deinen Freunden in Verbindung setzt.«
Ein kräftiger Fußtritt beseitigte die dünne Holzverkleidung vor der Treppe, die von meinem Büro aus in den Keller des Gebäudes führte. Als ich vorsichtig über die Trümmer kletterte, griff der Roboter nach meinem Bein. Ich hatte allerdings darauf gewartet, so dass seine stählernen Finger mich nicht ganz erwischten. In den vergangenen Jahren war ich oft genug von Polizeirobotern gejagt worden, um genau zu wissen, wie unzerstörbar sie sind. Man kann sie in die Luft sprengen oder auf andere Weise außer Gefecht zu setzen versuchen, aber sie bleiben einem trotzdem auf den Fersen. Sie schleppen sich mühsam weiter und murmeln dabei schöne Sprüche vor sich hin – wie dieser hier. Ich sollte meine Verbrecherlaufbahn aufgeben und meine Schuld der Gesellschaft gegenüber begleichen. Seine Stimme verfolgte mich bis in den Keller.
Von jetzt ab war jede Sekunde kostbar. Ich hatte etwa drei Minuten Zeit, bevor die Polizei meine Spur aufnehmen würde. Ich brauchte genau eine Minute acht Sekunden, um das Gebäude zu verlassen. Der Vorsprung war nicht allzu groß, reichte aber knapp aus. Ich stieß die Schwingtür zu dem Arbeitsraum auf, in dem die Dosenetiketten durch neue ersetzt wurden. Keiner der Roboter sah von der Arbeit auf, als ich an ihnen vorbeiging – das hätte mich allerdings auch gewundert. Sie waren alle Roboter vom Typ M-2, besaßen nur ein primitives Gehirn und taugten deshalb bestenfalls für einfache Arbeiten, die sich ständig wiederholten. Aus diesem Grund hatte ich sie auch gemietet. Sie wunderten sich nicht darüber, dass sie die Etiketten von Konservendosen durch neue ersetzen mussten, und interessierten sich nicht dafür, was am anderen Ende des Förderbandes lag, das die Dosen durch ein Loch in der Wand brachte. Sie sahen nicht einmal auf, als ich die Tür aufschloss, die durch die Wand führte. Ich schloss sie nicht mehr hinter mir ab, weil ich jetzt keine Geheimnisse mehr zu verbergen hatte.
Ich blieb dicht neben dem rumpelnden Förderband, während ich durch das klaffende Loch stieg, das ich in die Rückwand des staatlichen Vorratslagers gestemmt hatte. Auch das Förderband hatte ich eigenhändig installiert, wobei ich mich eines weiteren Vergehens schuldig gemacht hatte. Ich schloss eine schwere Eisentür auf und stand in der Lagerhalle. Ein automatischer Gabelstapler lud Dosen auf das Förderband und holte immer wieder neue Ladungen von den Stapeln, die bis zur Decke reichten. Die Maschine besaß kaum genug Gehirn, um als Roboter bezeichnet zu werden, sondern führte einfach die auf Lochstreifen aufgezeichneten Anweisungen aus. Ich machte einen Bogen um den Gabelstapler und rannte den Gang entlang. Hinter mir verklang der Lärm der mit Hochdruck arbeitenden Maschinen. Ich freute mich, dass alles noch immer reibungslos funktionierte.
Das war einer der nettesten Tricks gewesen, die mir bisher eingefallen waren. Ich hatte für eine lächerlich geringe Summe ein Lagerhaus gemietet, das unmittelbar neben dem staatlichen Vorratslager stand. Dann brauchte ich nur noch ein Loch in die Verbindungsmauer zu stemmen und hatte freien Zugang zu den Vorräten, die in einem Lagerhaus dieser Größe monatelang unberührt blieben. Allerdings nur bis zu dem Tag, an dem ich auf der Bildfläche erschien.
Nachdem das Förderband installiert war, verlief alles wie geplant. Ich mietete einige Roboter, die die alten Etiketten der Konservendosen durch neue ersetzten, die ich hatte drucken lassen. Dann brachte ich meine Ware auf völlig legale Weise in den Handel. Ich konnte die Preise der Konkurrenz unterbieten und trotzdem noch einen schönen Gewinn einstreichen. Die ortsansässigen Großhändler hatten die Gelegenheit begeistert ausgenützt, so dass ich auf Monate hinaus ausverkauft war. Das Geschäft war gut gewesen – und hätte auch noch einige Zeit in der gleichen Weise weitergehen können.
Ich befasste mich nicht allzu lange mit diesem Gedanken, denn in meinem Beruf kommt es vor allem darauf an, dass man weiß, wann man aufhören muss. Die Versuchung, nur noch einen Tag länger zu bleiben oder nur noch einen einzigen Scheck einzulösen, kann fast überwältigend sein. Das weiß ich aus eigener Erfahrung – aber ich weiß auch, dass man auf diese Weise Gelegenheit bekommt, mit der Polizei Bekanntschaft zu machen. Rechtzeitig aufhören, damit man woanders weiterverdienen kann! Nach diesem Motto habe ich bisher immer gearbeitet. Ich habe mich stets daran gehalten, sonst wäre ich nicht so erfolgreich gewesen.
Und Wunschträume allein helfen wenig, wenn die Polizei einem auf den Fersen ist.
Als ich das Ende des Korridors erreichte, konzentrierte ich mich wieder ganz auf meine augenblickliche Lage. Die Polizei musste unterdessen das Gebäude umstellt haben, so dass ich rasch handeln und Fehler unter allen Umständen vermeiden musste. Ein kurzer Blick nach links und rechts. Niemand in Sicht. Zwei Schritte nach vorn, dann auf den Rufknopf des Fahrstuhls drücken. Ich hatte einen Zähler an dem Aufzug angebracht, der mir zeigte, dass das Ding durchschnittlich einmal im Monat benützt wurde.
Der Aufzug kam etwa drei Sekunden später herunter. Ich sprang hinein, zog die Tür hinter mir zu und drückte gleichzeitig auf den obersten Knopf. Die Fahrt schien ewig zu dauern, aber dieses Gefühl war nur subjektiv. In Wirklichkeit nahm sie nur vierzehn Sekunden in Anspruch. Das war der gefährlichste Teil meiner Flucht. Ich wartete gespannt, als der Aufzug langsamer wurde. Die Pistole, die ich in der Hand hielt, reichte für einen Polizisten aus – aber nicht für zwei oder mehr.
Ich stieß die Tür auf und seufzte erleichtert. Nichts. Die Polizei hatte offenbar die gesamte Umgebung abgeriegelt, so dass es überflüssig wäre, auch noch die Dächer der Gebäude zu besetzen.
Da ich jetzt im Freien stand, hörte ich die Sirenen zum ersten Mal ganz deutlich. Ein herrlicher Ton. Dem Geräusch nach zu urteilen war mindestens die Hälfte der gesamten Polizeistreitmacht unterwegs, um nach mir zu suchen. Ich kam mir wie ein Artist vor, der den frenetischen Beifall der Menge dankend entgegennimmt.
Das Brett stand hinter dem Fahrstuhlschacht, wo ich es versteckt hatte. Ein wenig verwittert, aber noch immer brauchbar. Ich brauchte nur wenige Sekunden, um es bis an den Rand des Daches zu tragen und über den Abgrund zu legen, der mich von dem benachbarten Gebäude trennte.
Langsam, denn jetzt kam der gefährlichste Teil, bei dem es nicht auf Schnelligkeit ankam. Ich hielt den Koffer an die Brust gepresst, damit mein Schwerpunkt über dem Brett blieb. Ein Schritt nach dem anderen. Bis zum Boden waren es fast dreihundert Meter. Wenn man nicht hinuntersieht, kann man nicht fallen …
Geschafft. Jetzt kam es wieder auf jede Sekunde an. Das Brett unter einen Dachvorsprung – wenn die Polizei es nicht gleich fand, hatte ich wieder etwas Zeit gewonnen. Zehn schnelle Schritte, dann stand ich vor der Tür zum Treppenhaus. Sie ließ sich ohne Mühe öffnen – das war mein Glück –, denn schließlich hatte ich die Angeln gut genug geölt. Als ich die Tür von innen verriegelt hatte, holte ich tief Luft. Die Gefahr war noch nicht vorüber, aber der schwierigste Teil der Flucht lag hinter mir. Noch zwei ungestörte Minuten hier, dann würde die Polizei James Bolivar – alias Slippery Jim – diGriz nie wieder finden.
Der oberste Absatz des Treppenhauses war schlecht beleuchtet, sehr staubig und kaum jemals benutzt. Als ich den Raum vor einer Woche auf Abhöranlagen und Bildübertrager untersucht hatte, war nichts zu finden gewesen. Die dicke Staubschicht auf dem Fußboden war nur an den Stellen unterbrochen, an denen ich gestanden hatte. Ich musste mich darauf verlassen, dass in der Zwischenzeit keine Abhöranlage eingebaut worden war. Das gehörte zu den kalkulierten Risiken, die man in meinem Beruf auf sich nehmen muss.
Adieu James diGriz, Gewicht achtundneunzig Kilogramm, Alter etwa fünfundvierzig, mit Spitzbauch und Hängebacken, ein typischer Geschäftsmann, dessen Bild die Fahndungsbücher auf Hunderten von Planeten ziert – seine Fingerabdrücke ebenfalls. Sie mussten zuerst verschwinden. Wenn man sie trägt, fühlen sie sich wie eine zweite Haut an, aber sowie sie mit dem Lösungsmittel in Berührung kommen, kann man sie wie einen durchsichtigen Handschuh abziehen.
Als nächstes mein Anzug – und dann das umgekehrte Korsett, das zwanzig Kilogramm Blei und eine Thermitmischung enthält. Haare und Augenbrauen erhielten ihre natürliche Farbe zurück. Die Polster in den Backen schmerzten beim Herausnehmen, aber das dauerte nicht lange. Dann die blauen Kontaktlinsen. Ich fühlte mich wie neugeboren, was in gewisser Beziehung zutraf, denn ich war tatsächlich ein neuer Mensch geworden – zwanzig Kilogramm leichter, zehn Jahre jünger und auch sonst äußerlich völlig verändert. Der große Koffer enthielt einen neuen Anzug und eine Hornbrille, die jetzt die Kontaktlinsen ersetzte. Die Banknoten passten in eine Aktentasche.
Als ich mich wieder aufrichtete, hatte ich das Gefühl, wirklich zehn Jahre jünger geworden zu sein. Ich hatte mich so an das zusätzliche Gewicht gewöhnt, dass ich gar nichts mehr davon merkte – bis ich es abgenommen hatte. Jetzt fühlte ich mich buchstäblich erleichtert.
Die Thermitmischung diente zur Beseitigung der Beweisstücke. Ich schob alles zu einem Haufen zusammen und zog den Zünder ab. Flaschen, Anzug, Koffer, Schuhe, Gewichte und so weiter gingen in hellen Flammen auf. Die Polizei würde bestenfalls einige versengte Bruchstücke finden, mit denen sie herzlich wenig anfangen konnte. Der Lichtschein des Feuers warf meinen Schatten an die Wände, als ich die drei Treppen zum einhundertzwölften Stock hinunterstieg.
Dort hatte ich wieder Glück, denn niemand sah mich, als ich die Tür öffnete. Eine Minute später trat ich gemeinsam mit einigen anderen Geschäftsleuten in der Eingangshalle aus dem Express-Fahrstuhl.
Neben dem einzigen geöffneten Ausgang zur Straße stand eine tragbare Fernsehkamera. Wer das Gebäude verlassen wollte, wurde nicht auffällig kontrolliert, so dass die Fernsehkamera und die in ihrer Nähe stehenden Polizisten kaum Aufsehen erregten. Ich ging langsam darauf zu. Gute Nerven sind in meinem Beruf unbedingt erforderlich.
Einen Augenblick lang befand ich mich im Blickpunkt des Objektivs, dann war ich daran vorüber. Da nichts geschehen war, wusste ich sicher, dass ich nicht erkannt worden war. Die Kamera stand in direkter Verbindung mit dem Computer im Polizeipräsidium. Wäre meine Personenbeschreibung der in den Akten vorhandenen ähnlich genug gewesen, wären die Roboter alarmiert worden, die mich verhaftet hätten, bevor ich die Straße erreicht hätte. Kein Mensch ist schneller als eine Kombination aus einem Elektronenrechner und Robotern, denn die Maschinen reagieren innerhalb weniger Mikrosekunden – aber man kann sie überlisten, wenn man intelligent genug ist. Ich hatte es wieder einmal geschafft.
Ein Taxi beförderte mich ein Dutzend Straßen weiter. Ich wartete, bis es außer Sicht war, und rief dann ein anderes heran. Erst in dem dritten Taxi fühlte ich mich sicher genug, um zu dem Raumhafen zu fahren. Das Sirenengeheul wurde schwächer; nur ab und zu raste ein Streifenwagen mit Blaulicht in die entgegengesetzte Richtung.
Ich hatte eine ziemlich lange Fahrt vor mir, denn der Raumhafen lag weit außerhalb der Stadt. Deshalb lehnte ich mich behaglich in die Polster zurück, betrachtete die Landschaft und überlegte in aller Ruhe. Kein Wunder, dass ich dabei sogar ins Philosophieren kam. Außerdem konnte ich endlich wieder einmal eine gute Zigarre rauchen; in meiner anderen Persönlichkeit hatte ich nur Zigaretten geraucht und diesen Grundsatz nicht einmal dann verletzt, wenn ich mich völlig unbeobachtet fühlen konnte. Die Zigarren in dem luftdicht abgeschlossenen Etui waren noch immer frisch, obwohl ich sie vor einem halben Jahr gekauft hatte. Ich genoss das köstliche Aroma und blies kunstvolle Rauchringe vor mich hin. Endlich wieder ein freier Mensch! Andererseits hatte ich auch Freude an der Arbeit und konnte nie sagen, was mir wirklich lieber war. Vermutlich hatte beides etwas für sich aber alles zu seiner Zeit.
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