Die Stützen der Gesellschaft (Deutsche Neuübersetzung) - Henrik Ibsen - E-Book

Die Stützen der Gesellschaft (Deutsche Neuübersetzung) E-Book

Henrik Ibsen

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Beschreibung

"Die Stützen der Gesellschaft" gehört zu den bekanntesten Werken des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen. Die Handlung spinnt sich um Karsten Bernick, der alles bestimmende und wohl gelittene Geschäftsmann einer kleinen norwegischen Küstenstadt, der durch Schifffahrt und den Schiffbau im alteingesessenen Familienunternehmen reich wurde. Jetzt plant er sein bisher ehrgeizigstes Projekt: Er will eine Eisenbahnlinie bauen, die die Stadt mit der Hauptstrecke verbinden und ein fruchtbares Tal erschließen soll, das er heimlich aufgekauft hat. Aber plötzlich bricht seine Vergangenheit über ihn herein und die Dinge ändern sich schneller und fataler, als er es fassen kann.

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Seitenzahl: 150

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Stützen der Gesellschaft

 

Deutsche Neuübersetzung

 

HENRIK IBSEN

 

 

 

 

 

 

Die Stützen der Gesellschaft, Henrik Ibsen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783988682314

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

Inhalt:

Dramatis Personae. 1

1. Aufzug. 2

2. Aufzug. 25

3. Aufzug. 53

4. Aufzug. 73

 

Dramatis Personae

 

Karsten Bernick, ein Schiffsbauer.

Frau Bernick, seine Frau.

Olaf, ihr Sohn, dreizehn Jahre alt.

Martha Bernick, Karsten Bernicks Schwester.

Johan Tönnesen, Frau Bernicks jüngerer Bruder.

Lona Hessel, Frau Bernicks ältere Halbschwester.

Hilmar Tönnesen, Frau Bernicks Cousin.

Dina Dorf, ein junges Mädchen, das bei den Bernicks lebt.

Rörlund, ein Schulmeister.

Rummel, ein Kaufmann.

Vigeland und Sandstad, Kaufleute

Krap, Bernicks Angestellter und Vertrauter.

Aune, Vorarbeiter von Bernicks Schiffswerft.

Frau Rummel.

Hilda Rummel, ihre Tochter.

Frau Holt.

Netta Holt, ihre Tochter.

Frau Lynge.

Stadtbewohner und Besucher, Seeleute, Dampfschiffpassagiere, usw. usw.

 

(Die Handlung findet im Haus der Bernicks in einer der kleineren Küstenstädte Norwegens statt)

 

 

1. Aufzug

 

Die Szene: Ein geräumiges Gartenzimmer im Haus der BERNICKS. Im Vordergrund auf der linken Seite befindet sich eine Tür, die zu BERNICKs Büro führt; weiter hinten in derselben Wand eine ähnliche Tür. In der Mitte der gegenüberliegenden Wand befindet sich eine große Eingangstür, die auf die Straße führt. Die Wand im Hintergrund besteht fast vollständig aus Glas; eine Tür darin öffnet sich zu einer breiten Treppe, die hinunter in den Garten führt; über die Treppe ist ein Sonnensegel gespannt. Unterhalb der Treppe ist ein Teil des Gartens zu sehen, der von einem Zaun mit einem kleinen Tor begrenzt wird. Auf der anderen Seite des Zauns verläuft eine Straße, auf deren gegenüberliegender Seite sich kleine, in bunten Farben gestrichene Holzhäuser befinden. Es ist Sommer, und die Sonne scheint warm. Ab und zu sieht man Menschen, die die Straße entlanggehen und stehen bleiben, um miteinander zu reden; andere gehen in einen Laden an der Ecke hinein und wieder heraus usw.

 

Im Zimmer sitzt eine Gruppe von Damen um einen Tisch herum. FRAU BERNICK führt den Vorsitz; zu ihrer linken Seite sitzen FRAU HOLT und ihre Tochter NETTA, daneben FRAU RUMMEL und HILDA RUMMEL. An FRAU BERNICKS rechter Seite sitzen FRAU LYNGE, MARTHA BERNICK und DINA DORF. Alle Damen sind mit ihrer Arbeit beschäftigt. Auf dem Tisch liegen große Stapel von Leinenkleidern und anderen Kleidungsstücken, einige halb fertig, andere nur ausgeschnitten. Weiter hinten, an einem kleinen Tisch, auf dem zwei Blumentöpfe und ein Glas mit Zuckerwasser stehen, sitzt RÖRLUND und liest laut aus einem Buch mit Goldschnitt –– aber nur so laut, dass die Zuschauer ab und zu ein Wort verstehen können. Draußen im Garten rennt OLAF BERNICK herum und schießt mit einer Spielzeug-Armbrust auf eine Zielscheibe.

Nach einem Moment kommt AUNE leise durch die rechte Tür herein. Die Lesung wird kurz unterbrochen. FRAU BERNICK nickt ihm zu und zeigt auf die Tür links. AUNE geht leise hinüber, klopft verhalten an die Tür von BERNICKs Zimmer und klopft nach einem Moment des Innehaltens erneut. KRAP kommt aus dem Zimmer, seinen Hut in der Hand und mit einigen Papieren unter dem Arm.

 

Krap: Oh, haben Sie gerade geklopft?

Aune: Herr Bernick hat nach mir geschickt.

Krap: Das stimmt, aber er hat gerade keine Zeit. Er hat mich bevollmächtigt, Ihnen zu sagen––

Aune: Bevollmächtigt? Ach, egal, ich würde lieber––

Krap: … bevollmächtigt, Ihnen zu sagen, was er Ihnen mitteilen wollte. Sie müssen Ihre samstäglichen Ansprachen an die Männer aufgeben.

Aune: Ach ja? Ich dachte, ich könnte meine Freizeit nutzen, wie es mir beliebt.

Krap: Sie dürfen Ihre Freizeit nicht dazu nutzen, den Männern ihre Arbeit abspenstig zu machen. Letzten Samstag haben Sie über das Unheil gesprochen, das unsere neuen Maschinen und die neuen Arbeitsmethoden auf der Werft den Arbeitern zufügen würden. Wie kommen Sie auf so etwas?

Aune: Ich tue es zum Wohle der Gesellschaft.

Krap: Das ist merkwürdig, denn Herr Bernick sagt, es würde die Gesellschaft destabilisieren.

Aune: Meine Gesellschaft ist nicht unbedingt dieselbe wie die von Herrn Bernick, Herr Krap! Als Präsident des Industrieverbandes muss ich––

Krap: Sie sind in erster Linie Vorarbeiter von Herrn Bernicks Werft, und als solcher müssen Sie vor allem anderen Ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft erfüllen, die Ihnen als Bernick & Co. bekannt ist –– so wie jeder von uns. Nun, jetzt wissen Sie, was Herr Bernick Ihnen zu sagen hatte.

Aune: Herr Bernick hätte sich niemals so ausgedrückt, Herr Krap! Aber ich weiß sehr wohl, wem ich das zu verdanken habe. Es ist dieses verdammte amerikanische Schiff. Die erwarten, dass hier so gearbeitet wird, wie sie es von drüben gewohnt sind, und das––

Krap: Ja, ja, aber ich kann nicht auf all diese Details eingehen. Sie wissen jetzt, was Herr Bernick meint, und das reicht aus. Seien Sie so gut und gehen Sie zurück in die Werft; wahrscheinlich werden Sie dort gebraucht. Ich werde selbst bald nachkommen. –– Entschuldigen Sie mich, meine Damen! (Verbeugt sich vor den Damen und geht durch den Garten auf die Straße hinaus. Aune geht schweigend nach rechts ab. Rörlund, der während des vorangegangenen Gesprächs, das in leisen Tönen geführt wurde, weitergelesen hat, ist nun am Ende seines Buches angelangt und klappt es mit einem Knall zu.)

Rörlund: So, meine lieben Damen, das war das Ende.

Frau Rummel: Was für eine lehrreiche Geschichte!

Frau Holt: Und so eine tolle Moral!

Frau Bernick: Ein Buch wie dieses gibt einem wirklich zu denken.

Rörlund: Ganz recht; es stellt einen heilsamen Kontrast zu dem dar, was uns leider jeden Tag in den Zeitungen und Zeitschriften begegnet. Schauen Sie sich das vergoldete und verbrämte Äußere einer großen Gemeinschaft an, und denken Sie nur, was sich wirklich dahinter verbirgt: Verkommenheit und Fäulnis, wenn ich so sagen darf; keinerlei Moral. Mit einem Wort, diese großen Gemeinschaften von heute sind weiß getünchte Grabstätten.

Frau Holt: Wie wahr! Wie wahr!

Frau Rummel: Und als Beispiel dafür brauchen wir nicht weiter zu schauen als auf die Besatzung des amerikanischen Schiffes, das gerade hier vor Anker liegt.

Rörlund: Oh, über solch menschlichen Abschaum möchte ich lieber gar nicht erst sprechen. Aber selbst in höheren Kreisen –– wie sieht es denn dort aus? Zweifler und ruhelose Geister überall; die Gemüter kommen nie zur Ruhe, und Unbeständigkeit zieht sich durch ihr ganzes Verhalten. Seht doch, wie das Familienleben dort drüben untergraben wird! Seht nur, wie unverschämt sie es lieben, selbst die gravierendsten Wahrheiten in Zweifel zu ziehen!

Dina (ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen): Aber werden dort nicht auch viele große Taten vollbracht?

Rörlund: Große Taten vollbracht ––? Ich verstehe nicht––

Frau Holt (erstaunt): Du meine Güte, Dina––!

Frau Rummel (im gleichen Atemzug): Dina, wie kannst du nur––?

Rörlund: Ich glaube nicht, dass es gut für uns wäre, wenn solche "großen Taten" hier zur Regel würden. Nein, wir sollten tatsächlich überaus dankbar sein, dass die Dinge in diesem Land so sind, wie sie sind. Es stimmt zwar, dass sich auch bei uns immer wieder Unkraut unter den Weizen mischt, aber wir tun unser Bestes, um es so gut wie möglich auszurotten. Das Wichtigste ist, die Gesellschaft reinzuhalten, meine Damen –– um all diese gefährlichen Experimente abzuwehren, die ein ruheloses Zeitalter uns aufzwingen will.

Frau Holt: Und davon liegen leider mehr als genug in der Luft.

Frau Rummel: Sie wissen ja, letztes Jahr konnten wir nur um Haaresbreite den Bau einer Eisenbahn hier verhindern.

Frau Bernick: Ach, das hat mein Mann unterbunden.

Rörlund: Vorsehung, Frau Bernick. Sie können sicher sein, dass Ihr Mann das Werkzeug einer höheren Macht war, als er sich weigerte, diesen Plan zu akzeptieren.

Frau Bernick: Und trotzdem haben die Zeitungen so furchtbare Dinge über ihn geschrieben! Aber wir haben ganz vergessen, Ihnen zu danken, Herr Rörlund! Es ist wirklich sehr zuvorkommend von Ihnen, so viel von Ihrer Zeit für uns zu opfern.

Rörlund: Ganz und gar nicht. Es ist Urlaubszeit und––

Frau Bernick: Schon, aber dennoch ist es ein Opfer, Herr Rörlund.

Rörlund (zieht seinen Stuhl näher heran): Sprechen wir nicht davon, verehrte Frau Bernick. Bringt nicht auch jede von Ihnen Opfer für eine gute Sache –– und das bereitwillig und gerne? Diese armen, gefallenen Geschöpfe, für deren Rettung wir arbeiten, kann man mit Soldaten vergleichen, die auf dem Schlachtfeld verwundet wurden; Sie, meine Damen, sind die gütigen Schwestern der Barmherzigkeit, die für diese Gepeinigten das Mull vorbereiten, die Verbände sanft auf ihre Wunden legen, und sie heilen.

Frau Bernick: Es muss eine wunderbare Gabe sein, alles in einem so schönen Licht sehen zu können.

Rörlund: Vieles davon ist einem angeboren –– aber man kann es auch zu einem großen Teil erlernen. Alles, was man braucht, ist, die Dinge im Licht einer erfüllenden Lebensaufgabe zu sehen. (Zu Martha:) Was sagen Sie dazu, Fräulein Bernick? Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie auf festerem Boden stehen, seit Sie sich der Schularbeit widmen?

Martha: Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Manchmal wünsche ich mir, wenn ich da unten im Schulzimmer bin, weit weg auf dem stürmischen Meer zu sein.

Rörlund: Das ist nur die Versuchung, liebes Fräulein Bernick. Sie sollten die Türen Ihres Geistes vor solchen störenden Gästen verschließen. Mit dem "stürmischen Meer" –– denn Sie wollen sicher nicht, dass ich Ihre Worte wörtlich nehme –– meinen Sie die ruhelose Flut der großen weiten Welt, in der es so viele Schiffbrüchige gibt. Legen Sie wirklich so viel Wert auf das Leben, das Sie draußen vorbeihasten hören? Schauen Sie nur auf die Straße hinaus. Dort laufen die Menschen in der Sonnenhitze umher, schwitzen und kümmern sich um ihre kleinen Angelegenheiten. Nein, wir, die wir hier in der Kühle sitzen und dem Viertel, aus dem die Unruhe entspringt, getrost den Rücken zuwenden können, kommen zweifellos sehr gut dabei weg.

Martha: Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass Sie vollkommen recht haben.

Rörlund: Und in einem Haus wie diesem, in einem guten und lauteren Heim, wo das Familienleben in den schönsten Farben erstrahlt –– wo Frieden und Harmonie herrschen –– (zu Frau Bernick:) Was hören Sie, Frau Bernick?

Frau Bernick (die sich zur Tür von Bernicks Zimmer gewandt hat): Die reden sehr laut da drinnen.

Rörlund: Ist da irgendetwas Besonderes los?

Frau Bernick: Ich weiß es nicht. Ich kann hören, dass jemand bei meinem Mann ist.

(Hilmar Tönnesen erscheint Zigarre rauchend in der Tür auf der rechten Seite, hält aber beim Anblick der Damenrunde inne).

Hilmar: Oh, entschuldigen Sie–– (Dreht sich um, um zu gehen.)

Frau Bernick: Nein, Hilmar, komm nur herein; du störst nicht. Gibt es etwas Besondereres?

Hilmar: Nein, ich wollte nur mal kurz reinschauen–– Guten Morgen, meine Damen. (Zu Frau Bernick:) Nun, wie lautet das Ergebnis?

Frau Bernick: Wovon?

Hilmar: Karsten hat ein Treffen einberufen, weißt du.

Frau Bernick: Hat er? Weshalb?

Hilmar: Ach, es geht schon wieder um diesen Eisenbahnunsinn.

Frau Rummel: Ist das die Möglichkeit?

Frau Bernick: Der arme Karsten, hört denn dieser Ärger nie auf?

Rörlund: Wie erklären Sie sich das, Herr Tönnesen? Sie wissen doch, dass Herr Bernick letztes Jahr ganz klar gesagt hat, dass er hier keine Eisenbahn haben will.

Hilmar: Tja, das habe ich auch gedacht. Aber ich habe Krap, seinen Vertrauten, getroffen, und der hat mir gesagt, dass das Eisenbahnprojekt wieder aufgegriffen wurde, und dass Herr Bernick sich mit drei unserer örtlichen Kapitalgeber beraten hat.

Frau Rummel: Ah, hatte ich doch recht, als ich glaubte, die Stimme meines Mannes zu hören.

Hilmar: Natürlich ist Herr Rummel bei ihm, und auch Sandstad und Michael Vigeland –– der "Heilige Michael", wie man ihn nennt.

Rörlund: Ähem.

Hilmar: Wie bitte, Herr Rörlund?

Frau Bernick: Gerade, als alles so schön und friedlich war.

Hilmar: Nun, was mich betrifft, so habe ich nicht das geringste Problem damit, wenn sie wieder anfangen zu streiten. Jedenfalls wäre es eine kleine Abwechslung.

Rörlund: Ich glaube, auf diese Art von Abwechslung können wir gut verzichten.

Hilmar: Es kommt darauf an, was man mag und was nicht. Es gibt Charaktere, die ab und zu die Lust an einem kleinen Gemetzel verspüren. Aber leider bietet das Leben in einer Stadt auf dem Lande nicht viel in dieser Hinsicht, und es ist nicht jedem gegeben ––  (blättert in dem Buch, das Rörlund gelesen hat). "Die Frau als Dienstmagd der Gesellschaft". Was ist das für ein Gefasel?

Frau Bernick: Mein lieber Hilmar, sag doch so etwas nicht. Du hast das Buch sicher nicht gelesen.

Hilmar: Nein, und ich habe auch nicht die Absicht dazu.

Frau Bernick: Du fühlst dich doch sicher nicht ganz wohl heute.

Hilmar: Nein, nicht wirklich.

Frau Bernick: Hast du vielleicht letzte Nacht nicht gut geschlafen?

Hilmar: Nein, ich habe sogar sehr schlecht geschlafen. Ich bin gestern Abend meiner Gesundheit zuliebe spazieren gegangen und habe im Club ein Buch über eine Polarexpedition gelesen. Es hat etwas Inspirierendes, die Abenteuer von Männern zu verfolgen, die mit den Elementen kämpfen.

Frau Rummel: Dennoch scheint es Ihnen nicht bekommen zu haben, Herr Tönnesen.

Hilmar: Nein, das hat es ganz sicher nicht. Ich lag die ganze Nacht nur im Halbschlaf herum und träumte, dass ich von einem grässlichen Walross gejagt wurde.

Olaf (der inzwischen die Treppe vom Garten heraufgekommen ist): Du bist von einem Walross gejagt worden, Onkel?

Hilmar: Ich habe es doch nur geträumt, du Trottel! Sag bloß, du spielst immer noch mit dieser lächerlichen Armbrust herum? Wann nimmst du endlich ein richtiges Gewehr in die Hand?

Olaf: Das würde ich gerne, aber––

Hilmar: So ein Ding macht wirklich Sinn; außerdem ist es jedes Mal aufregend, wenn man damit schießt.

Olaf: Dann könnte ich endlich Bären schießen, Onkel. Aber Papa lässt mich nicht.

Frau Bernick: Du solltest ihm wirklich keine Flausen in den Kopf setzen, Hilmar.

Hilmar: Hm! Ist das nicht ein toller Typ Mensch, den wir heutzutage großziehen? Wir diskutieren ständig über männliches Verhalten, meine Güte –– dabei reden wir um das eigentliche Thema nur herum, spielen nur mit der Frage; niemand neigt wirklich zu der anregenden Disziplin, die darin besteht, jeder Gefahr mannhaft zu begegnen. Und richte deine Armbrust nicht auf mich, Dummkopf –– sie könnte losgehen!

Olaf: Aber Onkel, da ist doch gar kein Pfeil drin.

Hilmar: Du weißt doch gar nicht, dass da keiner ist –– vielleicht ist doch einer da. Nimm sie runter, sage ich! . . . Warum in aller Welt bist du nie mit einem der Schiffe deines Vaters nach Amerika gefahren? Da hättest du an einer Büffeljagd teilnehmen oder einen Kampf zwischen Indianern sehen können.

Frau Bernick: Oh, Hilmar––!

Olaf: Das würde mir sehr gefallen, Onkel; dann könnte ich vielleicht auch endlich Onkel Johan und Tante Lona kennenlernen.

Hilmar: Hm! –– Unsinn.

Frau Bernick: Du kannst jetzt wieder runter in den Garten gehen, Olaf.

Olaf: Mutter, darf ich auch auf die Straße?

Frau Bernick: Ja, aber nicht zu weit –– pass auf.

(Olaf rennt hinunter in den Garten und durch das Tor im Zaun hinaus.)

Rörlund: Sie sollten dem Kind wirklich nicht solche Flausen in den Kopf setzen, Herr Tönnesen.

Hilmar: Nein, natürlich ist auch er dazu bestimmt, ein armseliger Stubenhocker zu werden, wie so viele andere auch.

Rörlund: Und warum machen Sie nicht selbst eine Reise dorthin?

Hilmar: Ich? Mit meiner erbärmlichen Gesundheit? Damit werde ich natürlich nicht berücksichtigt. Aber selbst, wenn man das ausklammert, hat man immer noch gewisse Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft, deren Teil man ist. Es muss immer jemand da sein, der die Ideale hochhält . . . Ah, da schreit er schon wieder!

Die Damen: Wer schreit da?

Hilmar: Ich habe keine Ahnung. Die schreien da drinnen so laut, dass es mir auf die Nerven geht.

Frau Bernick: Ich nehme an, es ist mein Mann, Hilmar. Du solltest bedenken, dass er für gewöhnlich vor einem großen Publikum spricht.

Rörlund: Naja, ich würde die anderen auch nicht gerade als leise bezeichnen.

Hilmar: Großer Gott, nein! - Nicht, wenn es um ihre Geldbörsen geht. Alles hier dreht sich bloß noch um diese nichtigen materiellen Belange. Igitt!

Frau Bernick: Jedenfalls besser als früher, als alles in reiner Frivolität endete.

Frau Lynge: War es hier früher wirklich so schlimm?

Frau Rummel: Ja, das war es, Frau Lynge. Sie können sich glücklich schätzen, dass Sie damals nicht hier gewohnt haben.

Frau Holt: Ja, die Zeiten haben sich geändert, und wenn ich daran zurückdenke, wie es hier zuging, als ich noch ein Mädchen war, ist das kein Fehler.

Frau Rummel: Oh, da müssen Sie keine vierzehn oder fünfzehn Jahre zurückblicken. Gott vergebe uns, was haben wir für ein Leben geführt! Es gab einen Tanzverein und einen Musikverein––

Frau Bernick: Und den Theaterverein. Daran erinnere ich mich sehr gut.

Frau Rummel: Ja, da wurde doch auch Ihr Stück aufgeführt, Herr Tönnesen.

Hilmar (Aus dem hinteren Teil des Raumes): Was … was?

Rörlund: Ein Stück von Herrn Tönnesen?

Frau Rummel: Ja, das war lange bevor Sie hierherkamen, Herr Rörlund. Und es wurde nur einmal aufgeführt.

Frau Lynge: War das nicht das Stück, in dem Sie die Rolle der Geliebten eines jungen Mannes gespielt haben, Frau Rummel? Haben Sie nicht einmal so etwas erzählt?

Frau Rummel (Blickt zu Rörlund): Ich? Daran kann ich mich wirklich nicht erinnern, Frau Lynge. Dafür umso mehr an all die Ausgelassenheit und Fröhlichkeit, die damals herrschte.

Frau Holt: Ja, ich kenne noch Häuser, in denen in einer Woche gleich zwei große Dinnerpartys stattfanden.

Frau Lynge: Das stimmt, und ich habe auch gehört, dass einmal eine Wandertheatertruppe hierherkam?

Frau Rummel: Ja, das war wirklich übel.

Frau Holt (Unruhig): Ahem!

Frau Rummel: Sagten Sie, eine Theatergruppe? Nein, daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern.

Frau Lynge: Mir hat man erzählt, die hätten allerlei verrückte Streiche gespielt. Was ist an diesen Geschichten wirklich dran?

Frau Rummel: Da ist so gut wie nichts Wahres dran, Frau Lynge.

Frau Holt: Dina, meine Liebe, gibst du mir bitte die Wäsche?

Frau Bernick (Gleichzeitig): Dina, Liebes, gehst du und bittest Katrine, uns den Kaffee zu bringen?

Martha: Ich werde mit dir gehen, Dina. (Dina und Martha gehen durch die hintere Tür auf der linken Seite ab.)

Frau Bernick (Erhebt sich): Würden Sie mich für ein paar Minuten entschuldigen? Ich denke, wir werden unseren Kaffee draußen trinken. (Sie geht auf die Veranda hinaus und macht sich daran, einen Tisch zu decken. Rörlund steht in der Tür und spricht mit ihr. Hilmar sitzt draußen und raucht.)

Frau Rummel (Mit leiser Stimme): Meine Güte, Frau Lynge, was haben Sie mich erschreckt!

Frau Lynge: Ich?

Frau Holt: Ja –– aber Sie wissen doch, dass Sie damit angefangen haben, Frau Rummel.

Frau Rummel: Ich? Wie können Sie so etwas sagen, Frau Holt? Keine einzige Silbe kam über meine Lippen!

Frau Lynge: Aber was hat das alles zu bedeuten?

Frau Rummel: Wie kommen Sie dazu, davon zu sprechen? Man glaubt es kaum … haben Sie nicht bemerkt, dass Dina im Zimmer war?

Frau Lynge: Dina? Meine Güte, was ist denn nicht in Ordnung mit ––?

Frau Holt: Und dann auch noch in diesem Haus! Wussten Sie nicht, dass es Frau Bernicks Bruder war?

Frau Lynge: Was war er? Ich habe überhaupt keine Ahnung, ich lebe ja noch nicht lange hier, wie Sie wissen.

Frau Rummel: Haben Sie nicht gehört, dass ––? Hm! (Zu ihrer Tochter) Hilda, Liebes, kannst du einen kleinen Spaziergang im Garten machen?

Frau Holt: Du auch, Netta. Und sei ganz lieb zu der armen Dina, wenn sie zurückkommt. (Hilda und Netta gehen hinaus in den Garten.)

Frau Lynge: Nun, was war denn nun mit Frau Bernicks Bruder?