Die taumelnde Welt - Bill McKibben - E-Book

Die taumelnde Welt E-Book

Bill McKibben

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Beschreibung

Im Jahr 1989 warnte Bill McKibben mit seinem Buch »Das Ende der Natur« als einer der ersten vor dem Klimawandel. Sein neuer Aufruf ist umso dringender und weitreichender – die Menschheit ist dabei, nicht weniger als ihr Fortbestehen aufs Spiel zu setzen. Der Klimawandel ist heute, so McKibben, ein Hebel, der unsere Welt von Grund auf verändert. Die konzentrierte wirtschaftliche Macht in den Händen einiger weniger Spieler ist ein weiterer. Genauso die radikalen Konsequenzen der modernen Genetik sowie das Streben der Tech-Mogule nach künstlicher Intelligenz, das nach dem Sinn menschlichen Daseins gar nicht mehr fragt.

In »Die taumelnde Welt« tritt Bill McKibben einen großen Schritt zurück, um dieses gesamte »Spiel der Menschheit« zu betrachten: Welchen Lauf nimmt es, wer macht die Regeln, und wie wollen wir es in Zukunft spielen?

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Seitenzahl: 469

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Zum Buch

Im Jahr 1989 warnte Bill McKibben mit seinem Buch »Das Ende der Natur« als einer der ersten vor dem Klimawandel. Sein neuer Aufruf ist umso dringender und weitreichender – die Menschheit ist dabei, nicht weniger als ihr Fortbestehen aufs Spiel zu setzen. Der Klimawandel ist heute, so McKibben, ein Hebel, der unsere Welt von Grund auf verändert. Die konzentrierte wirtschaftliche Macht in den Händen einiger weniger Spieler ist ein weiterer. Genauso die radikalen Konsequenzen der modernen Genetik sowie das Streben der Tech-Mogule nach künstlicher Intelligenz, das nach dem Sinn menschlichen Daseins gar nicht mehr fragt.

In »Die taumelnde Welt« tritt Bill McKibben einen großen Schritt zurück, um dieses gesamte »Spiel der Menschheit« zu betrachten: Welchen Lauf nimmt es, wer macht die Regeln, und wie wollen wir es in Zukunft spielen?

Zum Autor

Bill McKibben, geboren 1960 in Palo Alto, Kalifornien, ist einer der profiliertesten Umweltaktivisten der Vereinigten Staaten und Autor zahlreicher Bücher, einige davon Bestseller. Er ist Gründer der Initiative 350.org, die für die Reduktion von CO2-Emmissionen kämpft. Im Sommer 2006 führte er die größte Demonstration in der US-amerikanischen Geschichte gegen die globale Erwärmung an. 2014 wurde er mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. McKibben lebt mit seiner Familie in Vermont.

Bill McKibben

Die taumelnde Welt

Wofür wir

im 21. Jahrhundert

kämpfen müssen

Aus dem Amerikanischen

von Sigrid Schmid

Blessing

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel

FALTER – HASTHEHUMANGAMEBEGUNTOPLAYITSELFOUT?

bei Henry Holt and Company, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2019 by Bill McKibben

Copyright © 2019 by Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,

unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock/musicman

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-25427-8V001

www.blessing-verlag.de

Für Koreti Tiumalu (1975–2017)

und für Tausende weitere geschätzte Kolleginnen und Kollegen,

die für die Zukunft des Planeten kämpfen

Inhalt

Prolog:  Hoffnung

ERSTER TEIL  Das Spielfeld

ZWEITER TEIL  Wirkmacht

DRITTER TEIL  Was auf dem Spiel steht

VIERTER TEIL  Der Hauch einer Chance

Epilog:  Geerdet

Danksagung

Anmerkungen

Prolog:  Hoffnung

Vor dreißig Jahren, im Jahr 1989, schrieb ich das erste Buch über den Klimawandel – den wir damals noch Treibhauseffekt nannten – für ein breites Publikum. Wie der Titel, Das Ende der Natur, bereits andeutete, war es kein fröhliches Buch, und seine düstere Stimmung hat sich leider als berechtigt erwiesen. Ich schrieb darin, die Menschen hätten den Planeten so sehr verändert, dass jeder kleinste Winkel durch unser Handeln beeinflusst würde. Ein Jahrzehnt später bestätigten Wissenschaftler diese Einschätzung und gaben unserer Ära den Namen »Anthropozän«.

Auch im vorliegenden Buch geht es düster zu – in gewisser Hinsicht sogar noch düsterer, weil inzwischen einige Jahre vergangen sind und wir den Karren noch tiefer in den Dreck gefahren haben. Die taumelnde Welt bietet einen Überblick über den Verlauf der Klimakrise sowie die aktuellen technologischen Entwicklungen wie die künstliche Intelligenz, in denen ich ebenfalls Gefahren für eine menschliche Zukunft sehe. Das Experiment Mensch wird derzeit durch ökologische Zerstörung und technologische Hybris infrage gestellt. Es steht viel auf dem Spiel, die Chancen stehen schlecht, und die Vorhersagen sind entmutigend. Zweifellos gibt es unterhaltsamere Bücher.

Mit seiner düsteren Grundstimmung stellt sich dieses Buch gegen den aktuellen Trend. In den letzten Jahren wurden Dutzendeviel beachtete Bücher geschrieben und an die hundert TED-Vorträge gehalten, die davon künden, dass die Welt immer besser wird. Sie zeigen anhand zahlloser Schaubilder, dass die Säuglingssterblichkeitsrate gesunken und das Einkommen gestiegen ist, und vermitteln kopfschüttelndes Unverständnis darüber, wie ein vernünftiger Mensch überhaupt auf die Idee kommen kann, dass wir in düsteren Zeiten leben. Steven Pinker erklärt in Aufklärung jetzt beispielsweise, wir alle seien nicht so glücklich, wie wir es angesichts der fantastischen Entwicklungen, die unsere Welt erlebt hat, sein sollten: »Stattdessen meckern, klagen, stöhnen, maulen und jammern die Leute so ausgiebig wie eh und je.«1

Ich bin froh, dass es solche Bücher gibt, weil sie uns daran erinnern, wie viel wir zu verlieren haben, wennunsere Zivilisation tatsächlich zusammenbrechen sollte. Aber die Verbesserungen der Lebensbedingungen in den letzten Jahrhunderten beweisen nicht, dass uns eine rosige Zukunft bevorsteht. Denn auf uns könnten völlig neuartige Bedrohungen warten – manche bestehen jetzt schon. Ein Mensch kann jahrelang wachsen, gedeihen, Reichtümer und Bildung anhäufen und dann plötzlich von einer höheren Gewalt (Krebserkrankung, Busunfall) niedergestreckt werden – und dasselbe gilt für ganze Zivilisationen. So wie Macht und Besitz auf der Welt derzeit verteilt sind, sind wir denkbar schlecht darauf vorbereitet, mit diesen neuen Herausforderungen fertigzuwerden. Bisher werden wir nicht mit ihnen fertig.

In einem Punkt jedoch bin ich weniger pessimistisch als früher. Die taumelnde Welt endet mit der Überzeugung, dass es zumindest möglich ist, sich vor diesen Bedrohungen zu schützen. Und diese Überzeugung verdankt sich zu einem großen Teil dem menschlichenEinfallsreichtum – es gibt mir täglich Mut, wenn ich sehe, wie sich weltverändernde Technologien, wie zum Beispiel Solarzellen, rasant verbreiten. Zu einem weiteren großen Teil ist diese Überzeugung auf Ereignisse in meinem eigenen Leben zurückzuführen. Ich habe mich in zahlreichen Bewegungen engagiert, die sich für einen Wandel einsetzen, und war Mitgründer der Gruppe 350.org, aus der die erste weltweite Klimabewegung entstand. Wir haben die fossile Energiewirtschaft zwar nicht besiegt, aber Demonstrationen in jedem Land der Erde organisiert (außer in Nordkorea) und mithilfe unserer vielen Kollegen auf der ganzen Welt einige Schlachten gewonnen. Derzeit unterstützen wir all jene, die sich intensiv für einen »Green New Deal« in den Vereinigten Staaten und ähnliche Maßnahmen auf der ganzen Welt einsetzen. (Dieses Buch ist meiner geschätzten Kollegin in diesem Kampf Koreti Tiumalu gewidmet, die im Jahr 2017 viel zu jung starb.) Ich habe einige Gefängnisse von innen gesehen und an unzähligen Protestkundgebungen teilgenommen, und dieser Weg hat mich gelehrt, dass wir imstande sind, Machtmonopolen entgegenzutreten.

Ob diese festgefahrenen Machtverhältnisse rechtzeitig überwunden werden können, muss sich erst noch erweisen. Ein Autor schuldet dem Leser keine Hoffnung, nur Ehrlichkeit. Doch ich möchte darauf hinweisen, dass der Verfasser dieses Buches nicht hoffnungslos ist. Sondern engagiert. Ansonsten hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, diesen Text zu schreiben.

ERSTER TEIL

Das Spielfeld

1

Wenn Sie sich die Erde von ganz weit oben betrachten würden (und in diesem Buch soll, so gut es geht, ein distanzierter Blick herrschen), wären Dächer wohl der augenfälligste Hinweis auf eine menschliche Zivilisation. Es gibt sie in vielen verschiedenen Formen, die oft vom Klima vor Ort abhängen. Von A-förmigen Dächern rutscht der Schnee gut ab. Da gibt es Mansarddächer, Walmdächer und Satteldächer. Pagoden und andere asiatische Tempel haben oft ein konisches Dach. Russische Kirchen sind von zwiebelförmigen Kuppeln gekrönt; westliche Kirchen kauern sich unter Türme.

Die ersten menschlichen Behausungen waren wahrscheinlich mit Palmwedeln bedeckt, doch mit dem Aufkommen des Getreideanbaus im Neolithikum wurde das Abfallprodukt Stroh zur verlässlichen Dachdeckung. Manche Strohdächer in Südengland sind 500 Jahre alt. Im Lauf der Jahrhunderte wurden immer weitere Schichten hinzugefügt, und einzelne Strohdächer sind inzwischen mehr als zwei Meter dick. Heute erfreuen sich Strohdächer vor 1allem bei reichen Europäern, die eine ökologische Dachdeckung wollen, zunehmender Beliebtheit, obwohl es immer schwieriger wird, gutes Material zu finden – die kurzhalmigen Weizensorten eignen sich nicht so gut, und Stickstoffdünger schwächen die Strohhalme. In Deutschland können Dachdecker die Spezialausbildung zum Strohdachdecker machen. Doch mindestens seit dem dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bevorzugen die meisten Menschen harte Dächer. (Vielleicht waren die altgriechischen Tempel die ersten Gebäude, die man für wertvoll genug hielt, um sie so vor Feuer zu schützen.) Im Mittelmeerraum und in Kleinasien fanden Terrakottaziegel schnell Verbreitung. Schieferdächer werden ihrer einfachen Wartung wegen geschätzt, in waldreichen Regionen bieten sich Holzschindeln und Rindenstücke an. Bedenkt man, dass heutzutage über eine Milliarde Menschen in städtischen Slums schlafen, ist es vorstellbar, dass Wellblech das verbreitetste Dach über unseren Köpfen darstellt.

Sie finden das etwas langweilig? Gut. Ich möchte mit Ihnen über das »Spiel der Menschheit« sprechen, und dazu gehören Kultur und Wirtschaft und Politik; Religion, Sport und gesellschaftliches Leben; Tanz und Musik; Essen, Kunst, Krebs, Sex und Instagram; Liebe und Verlust; alles, was die Lebenserfahrung unserer Spezies ausmacht. Leider liegt es außerhalb meiner Möglichkeiten, mich mit allem zu befassen. Daher habe ich nach dem denkbar alltäglichsten Aspekt unserer Zivilisation gesucht. Kaum jemand verschwendet einen Gedanken an das Dach über dem Kopf, solange es dichthält. Aber selbst am Beispiel des gewöhnlichen und glanzlosen Dachs lässt sich zeigen, wie komplex, stabil und weitreichend das Spiel der Menschheit ist.

Man nehme nur die Bitumenschindel, die die allermeisten Häuser im Westen bedeckt und zweifellos als ödeste Art der Bedachung gelten darf. Erstmals hergestellt wurden sie im Jahr 1901 von der H. M. Reynolds Company in Grand Rapids im US-Bundesstaat Michigan. Beworben wurde das Produkt damals mit dem Slogan »The Roof That Stays Is the Roof That Pays« (»Ein Dach, das lange hält, macht sich bezahlt«). Natürliche Vorkommen von Bitumen gibt es nur wenige auf der Erde – der Ölsand im kanadischen Alberta zum Beispiel besteht vor allem aus Bitumen. Aber das Bitumen, aus dem Schindeln gemacht werden, entsteht bei der Raffination von Erdöl. Es ist der Teil des Öls, der bei 370 Grad Celsius noch nicht verdampft ist. Durch Destillation wird Bitumen von anderen wertvollen Produkten wie Benzin, Diesel und Naphtha getrennt und dann unter hohen Temperaturen gelagert und transportiert, bis es weiterverwendet wird, vor allem im Straßenbau. Ein Teil des Bitumens landet allerdings in Schindelfabriken, in denen Mineralstoffe (Schiefer, Flugasche, Glimmer) zugeschlagen werden, um die Haltbarkeit zu erhöhen. Die CertainTeed Corporation ist der größte Schindelhersteller der Welt und betreibt 61 Fabriken überall in den USA. In der Produktionsstätte in Oxford, North Carolina, drehte das Unternehmen einmal ein Video über diesen »unterschätzten Prozess«: ein Maschinenballett, in dem eingegossen, ausgekippt und auf Förderbändern transportiert wird. Güterzüge liefern Kalk an, der zermahlen und mit heißem Bitumen vermengt wird. Die Mischung wird dann auf endlose Matten aus Glasfasern aufgetragen und mit Wasser besprüht, um sie abzukühlen. Danach werden die Bahnen zu Schindeln geschnitten und auf Paletten in riesigen Lagerhallen zur Auslieferung bereitgestellt.2

Tausende von Einzelschritten müssen aufeinander abgestimmt werden, damit das alles funktioniert: Das Öl muss gefördert werden (womöglich aus der Tiefsee oder in der Wüste); Pipelines und Bahnstrecken müssen verlegt, Ölraffinerien gebaut werden. Und für all das muss ausreichend Geld zur Verfügung stehen. Auch Kalk und Sand müssen abgebaut, die endlosen Glasfaserbahnen hergestellt werden. All diese Rohstoffe werden von der Fabrik in North Carolina eingesaugt und als fertige Schindeln über Bahnlinien und Lkws in ein Netz aus Baumärkten wieder ausgespuckt. Von dort transportieren Baufirmen sie zu Baustellen im Vertrauen darauf, dass die Schindeln auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Wind, Feuer und Verfärbung getestet wurden. Man bedenke weiterhin, welch enormen Organisationsaufwand die Standardisierungsorganisation American Society for Testing and Materials betreiben musste, um den Standard D3462-87 (»Bitumenschindeln aus Glasfasern mit einer Mineralschicht«) zu erstellen und durchzusetzen.

Solche Überlegungen könnte man natürlich für alles und jedes anstellen, das wir um uns herum sehen, hören und riechen – auch für die tausendmal interessanteren Aktivitäten, die unter all diesen Dächern ablaufen. Im Moment höre ich zum Beispiel auf Spotify die Band Orchestra Baobab, in den 1970er-Jahren Hausband eines Nachtclubs in Dakar und von den kubanischen Rhythmen beeinflusst, die Seeleute in den 1940er-Jahren aus Westafrika mitbrachten. Ihr bestes Album nahm die Band in einem Pariser Studio auf, bevor es irgendwie auf einem Computerserver landete, sodass es heute von 196 847 Menschen rund um den Erdball Monat für Monat abgerufen werden kann. Man stelle sich das Zusammenspiel von Geschichte, Technologie, Handel, Spiritualität und Swing vor, das genau jenen Sound ausmacht, der gerade aus meinen Kopfhörern strömt – die diversen Schichten von Kolonialismus und die Fragen nach Hautfarbe, Identität, Pop und der reinen Lehre. Oder auch nur, was ich heute zu Abend esse, oder was Sie gerade anhaben – wirklich alles ist an Bedingungen geknüpft, und diese Verknüpfungen lassen sich in jeden Winkel unserer Vergangenheit und Gegenwart zurückverfolgen.

Was ich als Spiel der Menschheit bezeichne, ist unvorstellbar tiefgreifend, komplex und wunderschön. Aber es ist auch in Gefahr. Und es gerät derzeit ernsthaft aus der Balance.

In diesem Buch werde ich erklären, worin diese Gefahr besteht, und einige Möglichkeiten aufzeigen, wie sie sich vielleicht noch abwenden lässt. Aber erst möchte ich darauf hinweisen, wie stabil das Spiel der Menschheit ist, bevor ich zu seiner Zerbrechlichkeit komme. Wir Menschen haben gemeinsam etwas Bemerkenswertes aufgebaut, dessen wir uns nur selten wirklich bewusst sind. Die Gesamtsumme all unserer Projekte, aller Institutionen und Unternehmen, unserer Wünsche und Träume und Mühen, die Gesamtheit unserer rastlosen Aktivitäten … ist ein Wunder. Ich nenne es ein Spiel, weil es kein offensichtliches Ende gibt. Wie bei jedem Spiel zählt nicht wirklich, wie es ausgeht, zumindest nicht aus Sicht des Universums, aber wie jedes Spiel beansprucht es die volle Aufmerksamkeit der Mitspieler. Es gibt zwar kein Endziel, aber es gibt Regeln oder zumindest eine Ästhetik: Nach meiner Definition läuft das Spiel gut, wenn es die Würde der Mitspieler erhöht, und schlecht, wenn es diese Würde mindert.

Indikatoren für Würde gibt es im Zusammenhang mit dem Spiel der Menschheit zahlreiche: Gibt es genug zu essen (in Kalorien gemessen)? Muss ein Mensch Angst leiden? Hat er/sie etwas anzuziehen und kann einer nützlichen Arbeit nachgehen? Bei einigen dieser Punkte haben wir große Fortschritte gemacht. Extreme Armut (also wenn man von zwei US-Dollar oder weniger am Tag leben muss) ist heute weitaus seltener als früher. Auch viele Krankheiten, deren Verbreitung durch Armut gefördert wurde, sind zurückgegangen, wie etwa Wurmbefall. Im Vergleich zum 20. Jahrhundert ist die Wahrscheinlichkeit, dass man durch eine Gewalttat ums Leben kommt, heute deutlich geringer – von den 56 Millionen Menschen, die im Jahr 2012 starben, wurden nur 120 000 gewaltsam umgebracht.3 Der Anteil der Menschen, die lesen können, hat sich in den letzten zwei Generationen signifikant gesteigert und liegt jetzt bei 85 Prozent.4 Frauen haben heute besseren Zugang zu Bildung und sind zumindest minimal gleichberechtigt. Hatte eine Frau im Jahr 1970 noch durchschnittlich fünf Kinder, so sind es heute weniger als zweieinhalb; das entspricht dem wahrscheinlich schnellsten und bemerkenswertesten demografischen Wandel, den die Erde je erlebt hat. Um das Jahr 1500 erwirtschaftete die Menschheit Güter und Dienstleistungen im Wert von etwa 250 Milliarden US-Dollar. Fünfhundert Jahre später ist diese Zahl 240-mal so groß und liegt bei 60 Billionen US-Dollar.5 Optimistische Botschaften gibt es zuhauf, von Steven Pinkers Aussage, wir befänden uns in einem Zeitalter der beispiellosen Aufklärung, bis zu Donald Trumps Twitter-Nachricht: »Das Land wird von unglaublichem Optimismus erfasst – wir bringen die ARBEITSPLÄTZE zurück!«

Wir sind so sehr an die Vorstellung von Fortschritt gewöhnt, dass viele sich gar nichts anderes vorstellen können. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Kaushik Basu, prognostizierte kürzlich, in fünfzig Jahren werde das globale BIP um 20 Prozent pro Jahr zunehmen. Damit würden sich Einkommen und Konsum etwa alle vier Jahre verdoppeln.6 Jeden Tag werden neue Ideen geboren, neue Lieder gesungen, neue Bilder aufgenommen, mehr Tore geschossen, mehr Schulbücher gelesen und mehr Geld investiert.

Und dennoch. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank ist nicht die einzige Autorität auf der Welt. Papst Franziskus schrieb in seiner wegweisenden Umwelt-Enzyklika Laudato si’: »Die Erde, unser Haus, scheint sich immer mehr in eine unermessliche Mülldeponie zu verwandeln.« Wem ein Papst als Autorität nicht reicht, den könnte Folgendes interessieren: Im November 2017 veröffentlichten 15 000 Wissenschaftler aus 184 Ländern eine dringende »Warnung an die Menschheit«. Auch in diesem Text gab es Schaubilder, wie bei Pinker, aber sie zeigten den Rückgang der Süßwasserressourcen pro Kopf und die Ausbreitung von »Todeszonen« in den Weltmeeren. Laut Prognose der Wissenschaftler droht der Welt »weit verbreitetes Elend und [ein katastrophaler] Verlust der Biodiversität«; sie warnten, »bald wird es zu spät sein, um den Kurs Richtung Abgrund zu korrigieren«. (Sechs Monate nach der Veröffentlichung hatte diese Warnung bereits den sechsten Platz der meistdiskutierten akademischen Artikel aller Zeiten erreicht.)7 Inzwischen sind die Bedenken so groß, dass eine von der NASA finanzierte Gruppe kürzlich das Human-and-Nature-DYnamics-Programm (HANDY) ins Leben gerufen hat, um den Niedergang des römischen Weltreichs, der Han-Dynastie sowie des Maurya- und des Gupta-Reichs nachzubilden. Die Prognose, die das Programm ausspuckte, war beunruhigend: »Die globale industrielle Zivilisation könnte in den nächsten Jahrzehnten zusammenbrechen, weil ihr Ressourcenverbrauch nicht aufrechtzuerhalten und der Wohlstand zunehmend ungleich verteilt ist.« (Die Tatsache, dass ich vom Maurya-Reich noch nie gehört hatte, ließ mich erschaudern.) Eine der größten Gefahren laut diesem Modell stellten übrigens Eliten dar, die sich mit der Begründung gegen einen Strukturwandel wehrten, »so weit« habe doch alles gut funktioniert.8

Das Problem ist eben immer dieses »so weit« – wie der Mann, der vom Wolkenkratzer fällt, feststellen muss. Es lassen sich jede Menge Hinweise darauf finden, dass auch wir uns dem Aufprall beunruhigend schnell nähern. Ein Drittel der Ackerböden weltweit ist heute ernsthaft degradiert, was laut einem Bericht vom September 2017 »einen dauerhaften Rückgang der Produktivität« zur Folge hat.9 Wir haben fast alle anderen Tierarten verdrängt: Menschen machen heute 30 Prozent der Gesamtmasse aller Landwirbeltiere der Erde aus, unser landwirtschaftliches Nutzvieh bringt weitere 67 Prozent auf die Waage. Das bedeutet, dass alle anderen Wildtiere (alle Hirsche und Geparde und Wombats zusammen) nur 3 Prozent der Gesamtmasse ausmachen.10 Tatsächlich gibt es heute nur noch halb so viele Wildtiere auf dem Planeten wie im Jahr 1970 – und die Natur verstummte fast unbemerkt. Im Jahr 2018 berichteten Wissenschaftler über ein rasantes Sterben der ältesten und größten Bäume der Erde, »weil der Klimawandel neue Schädlinge und Krankheiten in die Wälder lockt«. Ein Baobab-Baum – der afrikanische Affenbrotbaum, in dessen Schatten schon die ersten Menschen jagten und sich versammelten – kann bis zu 2 500 Jahre alt werden, aber in den letzten zehn Jahren sind fünf der sechs ältesten Exemplare auf dem Planeten abgestorben.11Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte der Klimawandel auch den Libanonzedern – die schon Gilgamesch geplündert hatte und die in der Bibel erwähnt werden – den Garaus machen, wenn der Schnee ausbleibt und die Sägewespen in der Wärme früher schlüpfen.12

Sogar unsere Archen drohen zu sinken. In weiser Voraussicht legten Agrarwissenschaftler in einem Berg im arktischen Spitzbergen einen Saatgut-Tresor an, um dort eine Million Saatgutvarianten der wichtigsten Nahrungspflanzen der Erde sicher zu lagern. Doch der Tresor war gerade acht Jahre in Betrieb, als im heißesten Jahr, das je auf der Erde gemessen wurde, Schmelzwasser und Regen den Stolleneingang überfluteten und dann dort gefroren. Das Saatgut wurde nicht beschädigt, aber die Erbauer waren sich nun nicht mehr sicher, dass ihr Bau die Jahrhunderte überdauern würde. Ein Sprecher der norwegischen Regierung sagte: »Wir hatten nicht bedacht, dass der Permafrost tauen könnte, und auch derart extreme Wetterlagen nicht eingeplant.«13

Dennoch lassen wir uns durch nichts bremsen – ganz im Gegenteil. In den letzten fünfunddreißig Jahren haben wir mehr Energie und Ressourcen verbraucht als in der ganzen bisherigen Menschheitsgeschichte.14 Jede Wirtschaftsprognose unserer Regierungen setzt voraus, dass sich die Wirtschaft während der Lebenszeit der Jüngsten auf dem Planeten mehrmals verdoppelt. Die bisherige Leistung lässt sich also nur schwerlich als Indikator für die Zukunft heranziehen – es sieht aus wie das gleiche Spiel, aber es findet auf einem neuen Spielfeld statt.

Wir sind die erste Spezies, die sich ihrer selbst bewusst ist, und wir sind so sehr von unserer eigenen Geschichte gefangen genommen, dass wir nur selten innehalten und uns klarmachen, wie kurz diese Geschichte eigentlich ist. Das mag Teil des Problems sein. Wenn man die Milliarden Jahre, in denen sich das Leben auf der Erde entwickelt hat, auf 24 Stunden umrechnen würde, dann hätte unsere Zivilisation erst vor einer Fünftelsekunde begonnen, das vergessen wir im Alltag oft.15 In dieser kurzen Zeitspanne zähmten wir das Feuer, entwickelten Sprache und Landwirtschaft. Verglichen mit der menschlichen Lebensdauer brauchten diese Veränderungen unendlich viel Zeit, aber in geologischen Maßstäben dauerten sie nur einen Wimpernschlag. Heute haben wir es mit Veränderungen (die Entwicklung von Nuklearwaffen, der Siegeszug des Internets) zu tun, die viele unserer Überzeugungen in Echtzeit verändern. Der Umstand, dass in dieser kurzen Zeitspanne eine Zivilisation nach der anderen aufstieg und fiel, sollte uns zu denken geben. Manchmal geschieht das auch – Jared Diamonds Buch Kollaps etwa fasziniert uns mit seinen Geschichten vom Scheitern vergangener Zivilisationen, von Grönland bis zu den Osterinseln.

Aber diese Warnungen beruhigen uns gleichzeitig, weil es ja immer irgendwie weiterging. Nachdem Rom gefallen war, stieg etwas anderes auf. Der fruchtbare Halbmond verdorrte zur Wüste, aber die Menschen fanden anderswo Orte, wo sie ihre Nahrung anbauen konnten. Geschichten, die uns davor warnen sollen, unsere Grenzen zu überschreiten (der Apfel im Garten Eden, der Turm zu Babel, Ikarus), kommen uns albern vor, weil wir eine Grenze nach der anderen überschritten haben und immer noch da sind.

Manchmal werden wir für eine kurze Zeit aufgeschreckt, aber das vergeht regelmäßig wieder. So entstand die Umweltbewegung, als der Konsum nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit sprunghaft anstieg, und warf die Frage auf, ob diese Entwicklung nachhaltig war. Ihren ersten Höhepunkt erreichte die Bewegung im Jahr 1972 mit der Veröffentlichung des schmalen Büchleins Die Grenzen des Wachstums. Die Autoren sagten mit Computermodellen voraus, dass das ungebremste Wirtschaftswachstum »irgendwann in den nächsten hundert Jahren« an natürliche Grenzen stoßen würde, und dass dies, wenn keine einschneidenden Veränderungen vorgenommen werden, »höchstwahrscheinlich zu einem abrupten und unkontrollierten Rückgang bei Bevölkerungszahlen und wirtschaftlicher Kapazität« führen werde. Genaue Angaben zum Wie und Wo machten sie allerdings nicht. Alternativ könnten die Länder der Welt »einen ökologischen und ökonomischen Zustand herstellen, der auf lange Zeit hin nachhaltig ist«. Diese Aufgabe werde umso leichter, je früher man sie angehe.16 Offensichtlich haben wir das nicht getan. Wir haben zwar den Umweltschutzgedanken halbwegs ernst genommen und Gesetze erlassen, die für saubere Luft und sauberes Wasser sorgten, aber wirtschaftliches Wachstum war uns immer sehr viel wichtiger. Auf dem Weg zum UN-Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro erklärte US-Präsident Bush senior: »Der American Way of Life steht nicht zur Debatte.«17 Wie sich herausstellte, hatte er nicht nur recht, er sprach auch für den Großteil der restlichen Welt. Bisher sind wir damit durchgekommen: Das Spiel geht weiter, obwohl wir immer mehr aufs Gas treten.

Warum sollte dann meine Angst, dass die Menschen ausgespielt haben, berechtigt sein? Die Ursache für meine Bedenken lässt sich mit einem Wort zusammenfassen, das in diesem Buch in der einen oder anderen Form regelmäßig auftauchen wird: Wirkmacht. Wir sind ganz einfach so groß und agieren so schnell, dass jede Entscheidung enorme Risiken birgt.

Auch der Fall Roms war eine ziemlich große Sache, aber eben nicht überall auf der Welt, denn in weiten Teilen der Erde hatte man vom römischen Imperium noch nie gehört. Die Mayas brachen nicht in Schweiß aus, als Rom fiel, ebenso wenig die Chinesen oder die Inuit. In einer eng vernetzten Welt ist das anders. Sie bietet eine gewisse Stabilität – jeder kann, zum Beispiel, in jedem Land die Warnung der Wissenschaft vor einem bevorstehenden Klimawandel hören –, aber der Schutz, den die Entfernung bietet, entfällt. Allein das schiere Ausmaß unseres Konsums beschert uns Wirkmacht in einer völlig neuen Größenordnung: Kein römischer Kaiser hätte den pH-Wert der Ozeane verändern können – wir haben das in kurzer Zeit geschafft. Und die so nie dagewesene Reichweite unserer Technik verstärkt unsere Macht auf außergewöhnliche Weise; in diesem Buch werden wir die immer höheren Rechenleistungen, die uns in vielerlei Bereichen gottähnliche Macht verleihen, in den Blick nehmen, von der Gentechnik bis zur künstlichen Intelligenz.

Für die Menschheit könnte also alles perfekt laufen oder genauso gut auch schrecklich schiefgehen. Die Menschen haben sich zu einer zerstörerischen geologischen Kraft entwickelt – die rapide Zersetzung natürlicher Kreisläufe auf der Erde, die noch reine Theorie war, als ich Das Ende der Natur schrieb, ist heute nicht nur in vollem Gang, sondern schon sehr viel weiter fortgeschritten, als den meisten Leuten klar ist. Auf der Klimakonferenz 2015 in Paris setzten sich die Regierungen der Welt das Ziel, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen oder zumindest unter 2 Grad Celsius zu halten. Der Weltklimarat IPCCberichtete im Herbst 2018 allerdings, dass wir die 1,5-Grad-Marke womöglich schon im Jahr 2030 überschreiten werden. Wir haben also eine Grenzlinie in den Sand gezogen und sehen jetzt zu, wie die Flut sie innerhalb von nur eineinhalb Jahrzehnten wegschwemmt.

Gleichzeitig haben Menschen enorme schöpferische Kräfte entwickelt, die die Menschheit zwar nicht zu zerstören, aber zu ersetzen drohen. Die Robotik ist mehr als nur eine weitere Technik, und die künstliche Intelligenz ist mehr als nur eine weitere Verbesserung wie etwa Bitumenschindeln. Beides sind Ersetzungstechnologien, die uns womöglich irgendwann überflüssig machen. Welchen Sinn hat das Spiel der Menschheit, wenn wir keine Menschen mehr sind?

Während unserer kurzen Karriere als Spezies hat die Geschichte der Menschheit Höhen und Tiefen erlebt, hat sich festgefahren und ist vorangestürmt, stagnierte und florierte. Doch erst jetzt haben wir genug Wirkmacht erreicht, um ihr ein Ende setzen zu können, sowohl durch Sorglosigkeit als auch Absicht. Ein Wissenschaftlerteam wies kürzlich in der Zeitschrift Nature darauf hin, dass sich die physischen Veränderungen durch die von uns verursachte Klimaerwärmung »weit länger auswirken werden, als die Geschichte der menschlichen Zivilisation bisher andauert«.18 Der israelische Historiker und Futurist Yuval Harari schrieb: »Sobald wir die technischen Möglichkeiten haben, das menschliche Gehirn umzubauen, wird Homo sapiens verschwinden, die menschliche Geschichte wird zu Ende gehen und ein völlig neuer Prozess beginnen, den keiner von uns heute auch nur begreifen könnte.«19 Unser Spiel wird also weder mit einem Knall noch mit einem Wimmern enden, sondern mit dem Gurgeln eines steigenden Meeresspiegels und dem leisen Geburtspiepen einer digitalen Zukunft.

Zum ersten Mal laufen wir Gefahr, uns selbst alle Möglichkeiten für einen Rückzug im Notfall zu verbauen. Als Rom fiel, gab es schon etwas anderes. Mit Begriffen aus dem Flipperspiel, dem wahrscheinlich schönsten und gleichzeitig sinnlosesten Spiel überhaupt, könnte man sagen, dass wir immer eine neue Flipperkugel bekamen, eine weitere Chance. Aber wir verursachen derzeit so große Veränderungen, dass langsam der ganze Flipperautomat kippt – bis er völlig verstummt. Wir haben zugelassen, dass in unserer Gesellschaft eine immer größere Ungleichheit entstand, und so kam es, dass die wichtigsten Entscheidungen auf diesem Weg von nur einer Handvoll Menschen an einer Handvoll Orten getroffen wurden, etwa von Ölkonzernmanagern in Houston oder IT-Moguln im Silicon Valley und in Shanghai. Ein paar Menschen an wenigen Orten in einzelnen Momenten, die einer bestimmten Philosophie folgen – das ist Wirkmacht im Quadrat. Der Einfluss, den das Geld dieser Menschen auf unsere Politik hat, multipliziert die Wirkmacht noch weiter. Mir macht das Angst.

Es macht mir Angst, obwohl ich weiß, dass das Spiel der Menschheit nicht perfekt ist – niemand überlebt es, und alle müssen Trauer und Verlust durchleben. Für sehr viele Menschen ist es tragischer, als es sein müsste – und oft liegt das daran, dass das Spiel zum Vorteil mancher und zum Nachteil anderer manipuliert ist. Ich hatte Glück dabei, und daher ist das Spiel für mich womöglich attraktiver als für andere. Vielleicht wird sein Verlust für diejenigen, die heute geboren werden, gar nicht mehr so schmerzhaft sein. Sie werden kaum den Verlust von etwas betrauern, das sie gar nicht kennen. Schließlich beweinen wir ja auch nicht das Aussterben der Dinosaurier. Mit ausreichend Abstand kann man über alles philosophische Betrachtungen anstellen – irgendwann wird die Sonne schließlich explodieren. Aber ich kann mit so viel Philosophie nicht umgehen; für mich, wie für viele andere, ist das Ende dieses Spiels die größte vorstellbare Tragödie. Wenn man sie sich überhaupt vorstellen kann.

Daher werden wir kämpfen; manche tun es bereits. Und ich glaube daran, dass wir ein paar Auswege finden werden, auch wenn ihre Erfolgschancen gering sind. Damit wir Erfolg haben, müssen Konservative und Fortschrittsgläubige gleichermaßen umdenken. (Merkwürdigerweise kümmern sich Konservative nur selten darum, etwas zu konservieren oder zu bewahren; Fortschrittsgläubige halten jeden Fortschritt für positiv.) Und wenn dieses Umdenken schnell genug stattfindet, könnte das Spiel weitergehen – Wissenschaftler schätzen, dass sich die Sonne erst in etwa fünf Milliarden Jahren zum roten Riesen aufblähen und über die Erdumlaufbahn hinaus ausdehnen wird. Ich bin weder Optimist noch Pessimist, nur Realist genug, um zu erkennen, dass wir uns engagieren müssen, wenn wir noch eine Chance haben wollen.

Das Spiel der Menschheit folgt keinen Regeln und hat kein Ziel, aber es setzt zwei Dinge zwingend voraus: Es muss weitergehen. Und es muss menschlich bleiben.

2

Ein noch so kurzer Spaziergang auf den Straßen des riesigen Ölsand-Komplexes von Alberta fühlt sich an wie ein Besuch in der Hölle. Es ist der vielleicht größte Industriekomplex der Erde – der größte Damm des Planeten grenzt eines der vielen Absetzbecken ein, in denen sich Abraum aus den Minen mit Wasser und giftigen Chemikalien zu einer schwarzen Brühe vermischt. Jeder Vogel, der auf der dreckigen Flüssigkeit landet, stirbt, daher feuern Tag und Nacht Kanonen, um die Tiere abzuschrecken. Dies ist ein Kriegsgebiet, das wird einem klar, wenn man diese Kanonenschüsse hört und mit den ursprünglichen Einwohnern der Gegend redet, deren Wälder den Minen zum Opfer gefallen sind. Die Armeen in diesem Krieg stellen Koch Industries (die größten Pächter auf den Ölsandfeldern), ConocoPhillips, PetroChina und andere, ihr Feind ist alles Wilde und Heilige. Und sie gewinnen.

Man kann sich einen derartigen Raubbau an der Natur und den Menschen kaum vorstellen. Ich versuche seit Jahren, das zu beenden, und im Vergleich mit dem endlosen Kampf der Menschen, die dort leben, waren meine Anstrengungen gering. Doch so groß dieser Schandfleck auch sein mag, stellt er doch keine ernsthafte Gefahr für das Spiel der Menschheit dar. Die Erde ist nicht unendlich, aber riesig, und mit genügend Abstand verschwindet auch diese Wunde (der hässlichste Anblick, den ich auf meinen jahrelangen Reisen gesehen habe) in den Weiten der kanadischen Wälder, die wiederum in den Weiten Nordamerikas verschwinden, das in den Weiten der nördlichen Hemisphäre verschwindet.

Auch im indischen Delhi hat man morgens beim Aufwachen das Gefühl, in einer grauen, düsteren Unterwelt gelandet zu sein. In dieser dicht bevölkerten Stadt sind Lärm und Gestank normal, aber an manchen Tagen wird der Smog so dick, dass man nicht einmal mehr bis zur nächsten Straßenkreuzung sieht. Als Fußgänger hat man auf den Straßen fast das Gefühl, man wäre völlig allein und die Geräusche der Stadt würden von unsichtbaren Geistern erzeugt. An den schlimmsten Tagen, wenn auf den Bauernhöfen in der Region die Stoppeln abgebrannt werden und sich der Rauch mit den Abgasen der Autos und Busse und den Kochfeuern in den Slums vermischt, ist die Luft kaum zu ertragen. Es kam sogar schon vor, dass internationale Fluglinien an solchen Tagen Delhi nicht mehr anflogen, weil die Landebahn nicht mehr zu erkennen war. Auf den Autobahnen kam es wegen der schlechten Sicht zu Unfällen, und sogar die Bahn musste denBetrieb einstellen. Wie dick muss die Luft wohl sein, damit ein Zug, der dem Schienenverlauf folgt, nicht mehr fahren kann? Beieinem Cricketspiel, bei dem die Luftverschmutzung die Grenzwerte um das Fünfzehnfache überstieg, mussten sich Spieler »mehrfach übergeben«. Nach einer Spielpause von zwanzig Minuten erklärte der Schiedsrichter: »Luftverschmutzung ist in den Regeln nicht vorgesehen.«20

Delhi hat derzeit wahrscheinlich die schlechteste Luft der Welt, noch schlechter sogar als die rauchverhangenen chinesischen Großstädte, in denen die städtischen Behörden riesige LED-Wändeaufgestellt haben, damit die Bewohner den Sonnenaufgang wenigstens per Video zu sehen bekommen. Vielleicht verdient auch das pakistanische Lahore den Titel als Stadt mit der schmutzigsten Luft; dort wurde schon das Dreißigfache der erlaubten Grenzwerte gemessen. Ein Journalist verglich den bräunlichen Dunst dort mit einer »riesigen Raucherlounge in einem Flughafen«.21 In Asien bleiben Schulen regelmäßig wegen schlechter Luft geschlossen, was aber nur wenig bringt, weil die wenigsten Privatwohnungen über Luftfilter verfügen. Eine umfangreiche Studie hat gezeigt, dass wegen der Luftverschmutzung bereits jedes zweite Kind in Delhi irreversible Lungenschäden hat.22 Weltweit sterben pro Jahr neun Millionen Menschen durch Luftverschmutzung, also weit mehr als durch Aids, Malaria, Tuberkulose und Kriege zusammen.23 In den schlimmsten Jahren kann ein Drittel der Todesursachen in China mit Smog in Verbindung gebracht werden, und im Jahr 2030 könnten es bereits 100 Millionen Opfer weltweit sein.24

Es ist krank, traurig und unnötig – die größte Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung auf dem Planeten. Und trotzdem ist es keine existenzielle Bedrohung für das Spiel der Menschheit. So wie die Zerstörungen auf den Ölfeldern räumlich begrenzt sind, so werden die Gefahren durch Luftverschmutzung zeitlich begrenzt sein. Sie können und werden beseitigt werden, aber viel zu langsam und mit viel zu viel menschlichem Leid. Das zeigen die Erfahrungen aus London, Los Angeles und inzwischen auch aus Beijing, wo man zögernd begonnen hat, die Luft zu reinigen.

Die Liste gravierender Umweltprobleme wird immer länger: Todeszonen in den Weltmeeren, wo Dünger und unersetzlicher Mutterboden landen, die von den Feldern gespült werden; große Strudel aus Plastikmüll, die durch die Meere treiben; Vororte, die sich auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ausbreiten, und Felder und Viehweiden, die sich in tropische Regenwälder fressen; sinkende Grundwasserspiegel, weil zu viel Wasser abgezogen wird. Diese Probleme verlangen zu Recht unsere Aufmerksamkeit, weil sie unmittelbare Bedrohungen darstellen. Dennoch werden wir sie als Spezies überleben, wenn auch in vielerlei Hinsicht ärmer als heute. Unsere grundlegende Existenz bedrohen sie nicht. Menschen und andere Lebewesen werden ihrer Würde beraubt werden – die typischen Anzeichen eines schlecht gespielten Spiels –, aber das Spiel selbst geht weiter.

Das gilt jedoch nicht für alle Bedrohungen. Ein paar wenige lebensgefährliche (drei an der Zahl) haben so weitreichende Auswirkungen, dass wir uns nicht sicher sein können, ob unsere Zivilisation sie einigermaßen intakt überstehen wird.

Eine davon ist ein Atomkrieg im großen Maßstab. Robert Oppenheimer zitierte beim Anblick des ersten Atomtests einen heiligen Text der Hindus: »Jetzt bin ich zum Tod geworden, der Zerstörer der Welten.« Bisher haben die notdürftig zusammengeschusterten internationalen Bemühungen, einen Atomkrieg zu verhindern, funktioniert. Tatsächlich schienen diese Sicherheitsvorkehrungen, formelle wie informelle, in den letzten fünfzig Jahren immer mehr gefestigt zu werden. Dass wir heute wieder von einem nuklearen Albtraum bedroht werden, ist vor allem dem kindischen Verhalten von US-Präsident Trump und seines Kumpels in Nordkorea zu verdanken. Sie gehören offenbar zu den wenigen, die nicht verstehen, »warum wir sie nicht einsetzen sollten«, wie Trump sich schon laut fragte.

Die zweite Bedrohung ist eine kleine Gruppe Chemikalien, die, wie Wissenschaftler gerade noch rechtzeitig entdeckten, die Ozonschicht abbauen, eine Schutzschicht, von deren Existenz 99 Prozent der Menschen vorher nicht einmal etwas gewusst hatten. Hätten diese Wissenschaftler nicht Alarm geschlagen, wären wir blindlings über den Klippenrand gestolpert – in manchen Fällen sogar wortwörtlich blindlings, denn Linsentrübung ist ein typisches Symptom von zu viel ultravioletter Strahlung, vor der die Ozonschicht uns schützt. Innerhalb eines Jahrzehnts gaben die Chemieunternehmen ihren Widerstand auf, und dank des Montreal-Protokolls verschwanden Fluorchlorkohlenwasserstoffe langsam aus der Atmosphäre. Inzwischen wird das Ozonloch über der Antarktis mit jedem Jahrzehnt etwas kleiner – und womöglich schon im Jahr 2060 wieder vollständig geschlossen sein.

Die dritte und vielleicht größte Bedrohung ist natürlich der Klimawandel. Auf jeden Fall ist er die Gefahr, gegen die wir bisher am wenigsten unternommen haben. Womöglich wird er die Menschheit nicht vollständig auslöschen, aber zumindest wird er das Spielfeld grundlegend verändern. Die bewohnbaren Zonen unseres Planeten sind kleiner geworden, und diese Entwicklung wird unser Jahrhundert prägen.

Der Begriff Klimawandel ist uns inzwischen so vertraut, dass man ihn fast überliest; er gehört zu unserem mentalen Mobiliar wie Zersiedelung oder Waffenkriminalität. Dabei vergessen wir oft, wozu wir fähig sind. Der Begriff sollte uns mit Ehrfurcht erfüllen, denn nie zuvor haben Menschen Größeres vollbracht. Wir, die wir zur Klasse der Konsumenten fossiler Brennstoffe gehören, haben in den letzten zweihundert Jahren ungeheure Mengen an Kohle, Gas und Öl aus dem Boden geholt und verbrannt: in Automotoren, Gebäudeheizungen, Kraftwerken und Hochöfen. Bei der Verbrennung verbinden sich Kohlenstoff- mit Sauerstoffatomen aus der Luft zu Kohlendioxid. Die Molekülstruktur von Kohlendioxid hält Wärme zurück, die sonst wieder an den Weltraum abgegeben würde. Wir haben also in den Wärmehaushalt und damit in die Energiebilanz unseres Planeten eingegriffen. Diejenigen unter uns, die große Mengen an fossilen Brennstoffen verbrauchen, haben die Funktionsweise unserer Welt grundlegend verändert.

Problematisch ist das Ausmaß dieser Veränderung. Wenn wir nur ein wenig fossilen Brennstoff verbrauchen würden, wäre das egal. Aber wir haben so viel verbrannt, dass sich die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre im Laufe von zweihundert Jahren von 275 ppm (parts per million – Teile pro Million) auf 400 ppm erhöht hat. Wenn wir so weitermachen, erreichen wir irgendwann 700 ppm. Da sich die wenigsten unter »ein Teil pro Million« etwas vorstellen können, möchte ich das illustrieren: Die zusätzliche Hitze, die wir durch das von uns erzeugte Kohlendioxid in Erdnähe festhalten, entspricht der Energie von 400 000 Hiroshima-Bomben pro Tag oder vier Bomben pro Sekunde.25 Diese riesige Wärmemenge führt zu enormen Veränderungen, aber hier geht es mir erst einmal nur um die Größenordnung: Der bisher freigesetzte zusätzliche Kohlenstoff würde, zusammengenommen, eine massive Graphitsäule von 25 Metern Durchmesser bilden, die von hier bis zum Mond reichen würde.26 In den 4,5 Milliarden Jahren seit der Entstehung der Erde gab es wahrscheinlich nur vier weitere Phasen, in denen Kohlendioxid in noch größeren Mengen in die Atmosphäre gelangt ist, aber noch nie geschah dies schneller als heute – derzeit pumpen wir jährlich über 36 Milliarden Tonnen des Gases in die Atmosphäre. Sogar in der dramatischen Endphase des Perm-Zeitalters, als fast alles Leben auf der Erde ausstarb, nahm der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre vielleicht mit einem Zehntel des heutigen Tempos zu.27

Das hat bereits dramatische Folgen. Ich beschäftige mich seit dreißig Jahren mit der Klimakrise, und in diesen Zeitraum fielen sämtliche der zwanzig wärmsten Jahre seit Beginn der Klimaaufzeichnungen. Bisher haben wir die Erde um etwa 1,1 Grad Celsius erwärmt. Die New York Times bezeichnete das in einem Glanzstück der Untertreibung als »ziemlich viel für die Oberfläche eines ganzen Planeten«.28 Dies ist die größte Leistung der Menschheit, und auch die größte, die je eine Spezies auf unserem Planeten vollbracht hat, zumindest seit die Cyanobakterien (Blaualgen) vor zweiMilliarden Jahren die Atmosphäre mit Sauerstoff geflutet und einen Großteil des damaligen Lebens auf dem Planeten vernichtet haben. »Schneller als erwartet« ist inzwischen ein Schlagwort, das Klimaforscher häufig verwenden – die Schäden an Eiskappen und Ozeanen, die Wissenschaftler (von Natur aus eher konservativ) für das Ende des Jahrhunderts vorausgesagt hatten, traten mehrere Jahrzehnte früher auf als prognostiziert. »Auf keiner Klimakonferenz habe ich bisher jemanden sagen hören: ›Hey, das hat länger gedauert, als ich gedacht hätte‹«, sagte ein Polarforscher im Frühjahr 2018.29 Ungefähr zur selben Zeit berichtete ein Team von Wirtschaftswissenschaftlern, die Wahrscheinlichkeit, dass das bisherige »Worst-Case-Szenario« der Vereinten Nationen für die globale Erwärmung zu optimistisch sei, liege bei 35 Prozent.30 Im Januar 2019 stellten Wissenschaftler fest, dass sich die Ozeane der Erde um 40 Prozent schneller erwärmten, als bisher angenommen worden war.

»Wir haben jetzt tatsächlich unbekanntes Terrain betreten«, sagte der Direktor der Weltorganisation für Meteorologie im Frühjahr 2017, nachdem Daten endgültig bewiesen hatten, dass das Vorjahr alle Hitzerekorde gebrochen hatte.31 Die Werte hatten die Skalen gesprengt. In jenem Sommer hatte sich ein atlantischer Hurrikan so weit östlich entwickelt wie noch nie zuvor. Anstatt Mexiko, Louisiana oder Florida zu verwüsten, tobte er sich über Irland und Schottland aus. Die Sturmprognose sah auf den digitalen Karten der US-Wetterbehörde National Oceanic and Atmospheric Administration eigenartig aus: Die Windhose hielt abrupt auf einer geraden Linie bei 60 Grad nördlicher Breite an – die Programmierer der Vorhersagemodelle hatten es nicht für möglich gehalten, dass ein Hurrikan diese Linie erreichen würde. »Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Ort für einen tropischen Wirbelsturm«, sagte einer von ihnen. »Vielleicht sollten wir diese Grenze noch einmal überprüfen.«32 Ja, vielleicht sollten sie das.

Wenn man einem kräftigen Mann einen kräftigen Schubs gibt, passiert in aller Regel nicht viel (außer, dass er dann wahrscheinlich ein bisschen sauer ist). Zu Beginn der globalen Erwärmung wussten wir nicht, wie widerstandsfähig der Planet ist. Vielleicht konnte man ihn ziemlich fest schubsen, ohne dass viel geschah. Die Erde macht ja durchaus einen robusten Eindruck: Ihre Eisschilde sind mehrere Kilometer dick, ihre Ozeane mehrere Kilometer tief. Aber eines haben die letzten dreißig Jahre eindeutig gezeigt: Der Planet war tatsächlich fein ausbalanciert, und der Schubs, den wir ihm gegeben haben, hat ihn ins Taumeln versetzt. Dabei erleben wir gerade erst die Anfänge der globalen Erwärmung, und die Lage wird sich in Zukunft unvermeidlich immer weiter verschärfen.

Das lässt sich relativ einfach an der Hydrologie des Planeten zeigen, dem Wasserkreislauf der Erde. Wasser verdunstet an den Erd- und Meeresoberflächen und fällt dann als Regen oder Schnee wieder herunter. So wird die lebenswichtige Flüssigkeit der Erde in ständiger Bewegung gehalten. Aber wenn man die Wärmemenge (die Energie) im System erhöht, dreht man den Regler an dieser Wasserpumpe auf: Sie pumpt stärker. Wenn die Temperatur steigt, verdunstet mehr Wasser, sodass trockene Gebiete noch trockener werden. Wir nennen das Ganze dann Dürre, und inzwischen ist dieses Phänomen überall auf der Welt zu beobachten. Kapstadt, eine der schönsten Städte der Welt, stand 2018 kurz davor, völlig auszutrocknen. Die Stadt rationierte das Wasser für ihre vier Millionen Einwohner auf nur 23 Liter pro Person und Tag. Das reicht gerade so, um jeden Tag eine Dusche zu nehmen, wenn man nichts trinken oder die Toilette spülen will. Auslöser war eine dreijährige Dürre, mit der Wissenschaftler, ausgehend von historischen Daten, nur etwa einmal alle tausend Jahre rechneten.33 Aber Prognosen auf der Basis historischer Daten sind nicht mehr verlässlich, denn diese Historie ereignete sich auf einem anderen Planeten mit einer anderen Atmosphärenchemie.

So kommt es, dass sich die Geschichte von Kapstadt auch auf anderen Kontinenten vollzieht. Vor ein paar Jahren drehte São Paulo in Brasilien seinen 20 Millionen Einwohnern den Wasserhahn zu. Bangalore ist wahrscheinlich die Stadt in einem Entwicklungsland mit der größten Hightech-Branche, in der fast zwei Millionen Menschen arbeiten, aber auch dort trat seit 2012 jedes Jahr eine Dürre auf.34 Im italienischen Po-Tal, in dem fast 35 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte des Landes erzeugt werden, ist es heute durchschnittlich rund 2 Grad Celsius wärmer als 1960 bei einem Fünftel weniger Niederschlägen. Im Sommer 2017 waren Bürgermeister und Regionalverwaltungen wegen der schweren Dürre gezwungen, das Wasser zu rationieren. »Die Po-Ebene war früher besonders wasserreich, und so waren wir daran gewöhnt, dass Wasser immer verfügbar war«, sagte ein Beamter aus der Region.35 Ein großer Teil Italiens war davon betroffen; Rom schaltete alle öffentlichen Trinkbrunnen aus, und der Vatikan stellte das Wasser in den barocken Brunnen auf dem Petersplatz ab. Doch die Maßnahmen reichten nicht aus – im September war die Quelle des Po am Monviso, in den Cottischen Alpen, ausgetrocknet.36 Petrarca hatte über die Quelle des Po geschrieben, ebenso wie Chaucer und Dante. Aber sie lebten auf einem Planeten mit 40 Prozent weniger Kohlendioxid.

Trockenes Land brennt leicht. Immer mehr Wald wurde von Menschen in Ackerland umgewandelt, was insgesamt zu einer niedrigeren Anzahl an Bränden geführt hat,37 aber wo es etwas zu verbrennen gibt, ist das Feuer zu einer völlig neuen Bedrohung geworden. Jerry Williams, der ehemalige Feuerwehrchef des U.S. Forest Service, erzählte kürzlich bei einer Konferenz: »Den ersten wirklich unvorstellbaren Brand erlebte ich Ende August 1987 in Nordkalifornien.« Damals brachen tausend Feuer gleichzeitig aus. »Ich war mir damals sicher, dass ich nie wieder so etwas sehen würde. Im folgenden Jahr gab es dann den Großbrand im Yellowstone-Park.« Inzwischen, so sagte er, »haben wir jedes Jahr noch schrecklichere Brände. Es scheint keine Grenzen zu geben.«38Michael Kodas berichtet in seinem kürzlich erschienenen Buch Megafire, die Waldbrandsaison sei im gesamten amerikanischen Westen heute durchschnittlich 78 Tage länger als 1970, und in einigen Landesteilen dauere sie praktisch das ganze Jahr; seit dem Jahr 2000 haben mehr als ein Dutzend US-Bundesstaaten die größten Waldbrände seit Beginn der Aufzeichnungen gemeldet.39 Wir erfahren von diesen Bränden, weil in diesen Regionen Reporter leben und die städtische Bevölkerung den Rauch riecht. Aber auch in Sibirien gibt es inzwischen praktisch jeden Frühling und Sommer zahlreiche ausgedehnte Brände, die wir nur über Satellitenaufnahmen verfolgen können. Diesen globalen Gefahren liegt ein offensichtliches Muster zugrunde: Auf eine anhaltende Dürre folgt eine Rekordhitzewelle – und dann ein Funke. Der Höchstwert des australischen McArthur-Waldbrandindex (Forest Fire Danger Index FFDI) lag früher bei 100, aber im Jahr 2009, nach einem Monat Rekordhitze und der geringsten Menge an Niederschlägen, die dort je gemessen wurde, erreichte der Index einen Wert von 165. Bei einem Feuer, das verschiedene Vorstädte verwüstete, starben 173 Menschen.40 Im Jahr 2016 musste Fort McMurray, die Stadt im Herzen des Ölsandkomplexes von Alberta, vollständig evakuiert werden, weil auf einen schneearmen Winter eine Rekordhitzewelle im Frühjahr folgte. Im Mai brannten 600 000 Hektar Land, und das Feuer vertrieb 88 000 Menschen aus ihren Häusern.41 Im Jahr 2018 starben im griechischen Attika achtzig Menschen bei Rekordhitze in einem Feuersturm; die Überlebenden retteten sich durch einen Sprung in die Ägäis, während ihnen »Flammen den Rücken versengten«. Zwanzig Menschen, die es nicht bis zum Strand schafften, drängten sich im Kreis zusammen und umarmten sich, als das Feuer sie verschlang.42

Manchmal verursachen Menschen die Feuer – Funken von Golfschlägern, die gegen Steine geschlagen wurden, haben in Südkalifornien mehrere Brände ausgelöst, und während der Dürre von 2012 entzündeten Sportschützen in Utah zwanzig Brände.43 Aber in gewisser Hinsicht sind Menschen für all diese Feuer mitverantwortlich: Mit jedem Grad Celsius, um das wir den Planeten erwärmen, erhöht sich die Anzahl der Blitzeinschläge um 7 Prozent,44 und wenn ein Feuer in unserer heißen, trockenen neuen Welt einmal ausbricht, ist es kaum noch zu bekämpfen. Diese Großbrände »bilden eine neue Kategorie von Bränden«, schreibt Kodas. »Sie zeigen Verhaltensweisen, die Forst- und Feuerwehrleuten nicht vertraut sind. Manche Feuer können in mehreren Kilometern Entfernung vom Hauptbrandherd bisher nicht betroffene Wald- und Wohngebiete in Brand setzen. Die Flammen schaffen ihre eigenen Wettersysteme, sie erzeugen Feuertornados, füllen den Himmel mit Pyrokumuluswolken, aus denen Blitze den Boden bombardieren und neue Feuer entfachen, und sie drängen mit Winden Feuerwehrflugzeuge zurück.« Ein australischer Forscher bestätigte, es gebe »derzeit nirgendwo auf der Welt Mittel oder Methoden, mit denen diese Feuer unter Kontrolle gebracht werden könnten«.45

Bilder von den Verwüstungen, die diese Feuer hinterlassen, den ausgebrannten Häusern, sieht man regelmäßig im Facebook-Feed. Aber sie haben noch andere Folgen. Im Frühjahr 2017, nach der obligatorischen Dürre und der Rekordhitze, erlebte der US-Bundesstaat Kansas das größte Lauffeuer seiner Geschichte. Häuser standen dem Feuer nur wenige im Weg, aber es gab zahllose Stacheldrahtzäune, deren Holzpfosten alle zu Stümpfen verbrannten. Ein neuer Zaun kostet 10 000 US-Dollar pro Meile, und auf vielen Ranches bedeutete das allein zwei Millionen US-Dollar an unversicherten Verlusten. Schlimmer noch war allerdings der Verlust der Rinder: Auf einer Ranch bei der Kleinstadt Ashland lagen »Dutzende von Angus-Rindern tot auf dem rußgeschwärzten Boden, ihre Hufe ragten in die Luft. Andere Tiere torkelten umher wie kaputtes Spielzeug, blind und nach Luft schnappend, Fell und Augen schwarz verbrannt, die Ohrmarken in die Haut geschmolzen«, berichtete die New York Times. Ein 69-jähriger Viehzüchter ging mit einem Gewehr über die verbrannten Weiden. »Es sind sanftmütige Tiere«, erzählte er. »Sie kennen uns. Wir kennen sie. Sie tun einem leid. Und immer, wenn man denkt, man hat es hinter sich, muss man am nächsten Tag noch einmal los und noch mehr Tiere erschießen.«46

Diese globale Pumpe, die ich beschrieben habe, saugt nicht nur Wasser auf, sie spuckt es auch wieder aus. Eine einfache Faustregel besagt, dass auf jede Dürre eine Flut folgt. Gelegentlich kommt beides in derselben Gegend vor, mit wenigen Monaten Abstand. Und leider gibt es da noch eine Faustregel: Trockene Gebiete werden noch trockener und feuchte Gebiete noch feuchter.

Die Wassertemperatur im Meer vor der texanischen Küste ist in den letzten Jahren um etwa ein halbes Grad Celsius gestiegen, was etwa 3 bis 5 Prozent mehr Wasser in der Atmosphäre bedeutet.47 Und als der Hurrikan Harvey im August 2017 über den Golf wanderte, überquerte er eine besonders warme und tiefe Meeresregion und verstärkte sich dort »in Rekordzeit« zu einem Sturm der Kategorie 4. Aber nicht allein der Wind sorgte für wirtschaftliche Schäden, wie sie in den Vereinigten Staaten zuvor nur bei Katrina aufgetreten waren, sondern auch der Regen, der sturzflutartig vom Himmel fiel. Insgesamt waren es 127 Billionen Liter, genug, um 26 000-mal den Superdome von New Orleans zu füllen. Das Wasser, das damals vom Himmel stürzte, wog über 100 Milliarden Tonnen und war so schwer, dass Houston tatsächlich um mehrere Zentimeter sank. Mancherorts gingen mehr als 135 Zentimeter Regen nieder, so viel wie noch nie bei einem Sturm in den Vereinigten Staaten. Eine Studie kam zu dem Schluss: »Die Harvey-Niederschläge in Houston waren insofern ›biblisch‹, als seit der Aufzeichnung des Alten Testaments nie zuvor Ähnliches beobachtet worden sein dürfte.«48 Durch die Erwärmung der Atmosphäre ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sturm so viel Regen auf Texas niedergehen lassen könnte, in den letzten 25 Jahren um das Sechsfache gestiegen.49 Drei Monate nach dem Sturm stellte eine andere Studie fest, dass die Niederschläge bis zu 40 Prozent höher waren, als sie bei einem ähnlichen Sturm gewesen wären, bevor wir die Kohlendioxidwerte in der Atmosphäre erhöht haben.50 Als der Hurrikan Florence im September 2018 die US-Bundesstaaten North und South Carolina traf, stellte er einen neuen Rekord für Regenfälle an der Ostküste auf – mit dem Wasser hätte man die gesamte Chesapeake Bay füllen können.51

Houston ist kein Einzelfall. In Kalkutta, wo 14 Millionen Menschen leben, ein Drittel von ihnen in hochwassergefährdeten Slums, und kein einziger Ölbaron, hat sich die Zahl der »Wolkenbruch-Tage« in den letzten fünfzig Jahren verdreifacht. Eine Mutter von vier Kindern erklärte dazu: »Wenn ein Sturm kommt, dann beten wir zu Gott, er möge uns und unsere Kinder sofort töten, damit keiner zurückbleibt und leiden muss.«52 Im Nordosten der Vereinigten Staaten, wo ich im Hinterland von Vermont lebe, haben wir festgestellt, dass extreme Niederschläge (5 Zentimeter Regen oder mehr in 24 Stunden) seit 1996 um 53 Prozent häufiger vorkamen.53 (Noch mal: seit 1996, als das erste Klapphandy verkauft wurde.) Dieses ganze Wasser überflutet alles, was wir in den letzten Jahrhunderten gebaut haben – eine Umfrage der New York Times im Jahr 2018 ergab, dass 2 500 der giftigsten Chemie-Standorte der Vereinigten Staaten in hochwassergefährdeten Gebieten liegen.54 Hurrikan Harvey überflutete eine Fabrik, aus der riesige Mengen an Lauge austraten. Wir haben den Planeten gleichsam auf ein Laufband gestellt und erhöhen ständig dessen Geschwindigkeit. Wir sind es gewohnt, dass sich die geologische Geschichte über endlose Zeitalter hinweg im Zeitlupentempo entfaltet. Nur gilt das nicht mehr, wenn man die Regeln ändert.

Was früher im Zeitlupentempo ablief, geschieht jetzt sehr viel schneller. Sogar Gletscher tauen inzwischen überraschend schnell. Ein Großteil des Treibeises, das auf den ersten Bildaufnahmen aus dem Weltall noch die Arktis bedeckte, ist heute verschwunden. Aus der Entfernung betrachtet bietet die Erde inzwischen ein deutlich verändertes Bild. Alles Gefrorene schmilzt weg. Vor ein paar Jahren machte sich der Bergsteiger und Filmemacher David Breashears mit seiner Kamera in den Himalaja auf, um die Ansichten, die nach der ersten Mallory-Expedition im Jahr 1924 vom Dach der Welt veröffentlicht worden waren, neu aufzunehmen. Tagelang kletterte er auf den Bergen herum und fotografierte dieselben Gletscher aus demselben Winkel wie damals. Nur waren die Gletscher jetzt erheblich niedriger – um die Höhe der Freiheitsstatue niedriger. Wenn Eis einmal zu tauen beginnt, lässt sich das weitere Abtauen kaum noch verlangsamen. Eine Studie aus dem Jahr 2018 stellte fest, dass in den nächsten Jahrzehnten mehr als ein Drittel der Gletscher auf dem Planeten wegschmelzen wird, selbst wenn wir ab sofort keinerlei Treibhausgase mehr ausstoßen würden.55

Wir befinden uns derzeit noch in der Anfangsphase dieser massiven Transformation, doch schon jetzt kostet der Klimawandel die US-Wirtschaft etwa 240 Milliarden US-Dollar pro Jahr,56 weltweit sind es 1,2 Billionen US-Dollar. Jedes Jahr werden so 1,6 Prozent vom BIP des Planeten ausgelöscht.57 Das ist noch nicht viel – wir sind als Planet so reich, dass sich dadurch am Spiel insgesamt nichts grundlegend ändert. Wenn man einzelne Orte betrachtet, sieht das allerdings anders aus: Puerto Rico wurde im Frühjahr vom Hurrikan Maria mit Windstärke 5 völlig verwüstet. Es war die schlimmste Naturkatastrophe auf dem amerikanischen Kontinent seit einhundert Jahren. Laut Schätzungen einer Harvard-Studie kamen bei dem Sturm 5 000 Menschen ums Leben, doppelt so viele wie bei Katrina.58 Und die wirtschaftlichen Folgen werden die Menschen dort noch jahrelang spüren: Die Gesamtkosten beliefen sich auf über 90 Milliarden US-Dollar – auf einer Insel, deren BIP vor dem Sturm bei 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr lag. Laut Wirtschaftsexperten wird es sechsundzwanzig Jahre dauern, bis die Wirtschaft der Insel wieder den Stand erreicht, den sie am Tag vor dem Sturm hatte59 – vorausgesetzt, dass in der Zwischenzeit kein weiterer Hurrikan zuschlägt.

Für Menschen, die an der Armutsgrenze leben, können schon kleine Veränderungen große Folgen haben. Wie bereits erwähnt, haben wir einen stetigen Rückgang bei extremer Armut und Hunger erlebt. »Unser Problem sind nicht zu wenig Kalorien, sondern zu viele«, schreibt Steven Pinker süffisant.60 Aber Ende 2017 gab dieUNO bekannt, dass nach einem Jahrzehnt des Rückgangs die Zahl der chronisch unterernährten Menschen wieder um 38 Millionen auf insgesamt 815 Millionen Menschen gestiegen sei, »vor allem aufgrund der Zunahme gewalttätiger Konflikte und klimabedingter Ereignisse«.61 Im Juni 2018 wurde Entsprechendes zur Kinderarbeit gemeldet: Nach Jahren des Rückgangs nahm auch sie wieder zu. Insgesamt mussten 152 Millionen Kinder arbeiten. Ursache war »eine Zunahme an Konflikten und klimabedingten Katastrophen«.62

Auch diese »Konflikte« stehen immer enger in Zusammenhang mit den Klimaschäden, die wir angerichtet haben. Inzwischen ist allgemein bekannt, dass eine Rekorddürre dazu beitrug, Syrien zu destabilisieren. Die Folge war der Konflikt, der eine Million Flüchtlinge über ganz Europa verteilte und die Politik des Westens vergiftete. (Eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2018 prognostizierte, dass weitere Klimaveränderungen bis 2050 bis zu 143 Millionen Menschen aus Afrika, Südasien und Lateinamerika vertreiben würden. Die Autoren forderten die Städte drollig dazu auf, »ihre Infrastruktur, Sozialdienste und Beschäftigungsmöglichkeiten rechtzeitig auf den Zustrom vorzubereiten«.)63 Aber es gibt noch hundert kleinere Beispiele. Auf dem Mount Kenia sind zwei Drittel der Eisdecke verschwunden; zehn der achtzehn Gletscher, die einst die Region mit Wasser versorgten, sind völlig verschwunden. Hirten, deren Weiden zu Staub werden, treiben ihre Rinder immer häufiger auf die Äcker im Umland des Berges. »Unsere Kühe finden kein Futter mehr«, erklärte ein Mann. »Würden Sie Ihre Kuh sterben lassen, wenn es in der Nähe Gras gibt?« Die Bauern, die diese Äcker bewirtschaften (und traditionell aus einer anderen ethnischen Gruppe stammen), wehren sich erbittert, und es sind bereits Menschen ums Leben gekommen. »Ich habe seit zwei Tagen nicht mehr geschlafen«, klagte ein Landwirt. »Wenn ich es tue, dann lassen sie ihre Kühe auf unserem Land weiden. Sie warten nur darauf, dass wir einschlafen, und dann lassen sie ihre Kühe und Ziegen unsere Kohlköpfe und unseren Mais fressen.«64 Anhand von Studien wird versucht, diese Veränderungen zu quantifizieren – eine Standardabweichung der Temperatur nach oben erhöht angeblich die Anzahl der Konflikte zwischen Gruppen um 14 Prozent65 –, aber eigentlich sind solche Rechnungen unnötig. Der gesunde Menschenverstand reicht. Der Planet ist überfüllt. Je mehr wir das Klima beeinflussen, umso enger werden die Menschen zusammengetrieben. Was dann passiert, ist bekannt.

Vor dreißig Jahren gab es noch die Hoffnung, dass sich die globale Erwärmung irgendwie selbst beschränken könnte, dass höhere Temperaturen zu anderen Veränderungen führen könnten, die den Planeten kühlen würden. Wolken vielleicht: Wenn die Atmosphäre mit zunehmender Verdunstung feuchter wird, können sich zusätzliche Wolken bilden, die einen Teil des einfallenden Sonnenlichts blockieren. Dem war leider nicht so. Die Wolken, die wir auf einem heißeren Planeten produzieren, fangen eher noch mehr Hitze ein, sodass es noch heißer wird.66

Wie sich herausstellte, verstecken sich in allen möglichen Systemen der Erde solche Rückkopplungen, und bisher verschärfen sie das Problem nur. Wenn das weiße Eis in der Arktis schmilzt, dann kann es die Sonnenstrahlen nicht mehr ins All reflektieren. Ein glänzender Spiegel wird durch mattblaues Meerwasser ersetzt, das die Wärme der Sonne absorbiert. Die Temperatur der Meeresoberfläche ist in den letzten Jahren in Teilen der Arktis um mehr als 3 Grad Celsius gestiegen.67 Verstecktes Eis, das unter den Böden der Arktis eingeschlossen war, beginnt nun ebenfalls zu schmelzen, und wenn dieser Permafrost auftaut, wandeln Mikroben einen Teil des gefrorenen organischen Materials in Methan und Kohlendioxid um, was zu noch mehr Erwärmung führt. Womöglich, so vermuten Wissenschaftler, könnte es allein dadurch am Ende fast ein Grad Celsius wärmer werden.68

Neue Studien zeigen außerdem, dass durch Waldbrände, Dürren und selektiven Holzeinschlag tropische Wälder nicht nur zerstört, sondern von Senken für Kohlenstoff zu Quellen für mehr Kohlendioxid umgewandelt werden. Diese Veränderung ist bedeutend. Die Ökonomen, die über Bücher wie Die Grenzen des Wachstums