Die Titanic-Verschwörung - Clive Cussler - E-Book
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Die Titanic-Verschwörung E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Die packende Vorgeschichte zu Clive Cusslers erstem Superbestseller »Hebt die Titanic!«.

Als jungem Marineingenieur gelang Dirk Pitt, dem heutigen Direktor der NUMA, sein vielleicht größter Triumph: die Bergung der Titanic. Doch gleichzeitig war es eine Niederlage, denn das seltene Element Byzanium, das sich hätte an Bord befinden sollen, war nicht dort.
1911: Der Tod von neun Menschen führt den Detektiv Isaac Bell auf die Spur einer weltumfassenden Verschwörung. Byzanium, ein neues Element mit einzigartigen Eigenschaften, wurde entdeckt, und skrupellose Kriminelle schrecken vor nichts zurück, um es zu kontrollieren. Bell sieht nur eine Möglichkeit, um sie aufzuhalten und das Morden zu beenden: Er muss das Byzanium selbst in seinen Besitz bringen und für immer vor den Verschwörern verbergen. Er fasst einen gewagten Plan – und dafür kommt ihm die Jungfernfahrt des ebenso gigantischen wie luxuriösen Passagierschiffs RMS Titanic gerade recht.

Die besten historischen Actionromane! Verpassen Sie keinen Fall des brillanten Ermittlers Isaac Bell. Jeder Roman ist einzeln lesbar.

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Buch

Als jungem Marineingenieur gelang Dirk Pitt, dem heutigen Direktor der NUMA, sein vielleicht größter Triumph: die Bergung der Titanic. Doch gleichzeitig war es eine Niederlage, denn das seltene Element Byzanium, das sich hätte an Bord befinden sollen, war nicht dort.

1911: Der Tod von neun Menschen führt den Detektiv Isaac Bell auf die Spur einer weltumfassenden Verschwörung. Byzanium, ein neues Element mit einzigartigen Eigenschaften, wurde entdeckt, und skrupellose Kriminelle schrecken vor nichts zurück, um es zu kontrollieren. Bell sieht nur eine Möglichkeit, um sie aufzuhalten und das Morden zu beenden: Er muss das Byzanium selbst in seinen Besitz bringen und für immer vor den Verschwörern verbergen. Er fasst einen gewagten Plan – und dafür kommt ihm die Jungfernfahrt des ebenso gigantischen wie luxuriösen Passagierschiffs RMS Titanic gerade recht.

Autoren

Seit Clive Cussler 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist er auch auf der deutschen Spiegel-Bestsellerliste ein Dauergast. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Jack DuBrul studierte an der George-Washington-Universität, Washington D.C. Kaum hatte er seinen Abschluss in der Tasche, veröffentlichte er seinen ersten Roman. Er lebt mit seiner Frau Debbie in Burlington, Vermont.

Liste der lieferbaren Isaac-Bell-Romane:

Höllenjagd

Sabotage

Blutnetz

Todesrennen

Meeresdonner

Die Gnadenlosen

Unbestechlich

Der Attentäter

Teufelsjagd

Die Rückkehr der Bestie

Die Titanic-Verschwörung

Clive Cussler & Jack DuBrul

DIE TITANIC-VERSCHWÖRUNG

Ein Isaac-Bell-Roman

Deutsch von Michael Kubiak

Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »The Titanic Secret (Isaac Bell 11)« bei G. P. Putnam’s Sons, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2019 by Sandecker, RLLLP

By arrangement with

Peter Lampack Agency, Inc.

350 Fifth Avenue, Suite 5300

New York, NY 10118 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -abbildung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (lightmax84; Rodolfo Arpia; NORRIE3699; Jake Hukee; Tursunbaev Ruslan; Andreea Dragomir; Gyvafoto; Andrii Rudyk; LightField Studios; BERNATSKAIA OKSANA; foxaon1987)

Redaktion: Jörn Rauser

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-25062-1V002www.blanvalet.de

HANDELNDE PERSONEN

NEW YORK

Dirk Pitt – Direktor der National Underwater and Marine Agency (NUMA).

Thomas Gwynn – Anwalt und Nachlassverwalter Isaac Bells.

Vin Blankenship– Secret-Service-Agent.

COLORADO

Isaac Bell – Detektiv der Van Dorn Agency.

Jim Porter – Vorsteher eines Postamts in Denver.

Billy McCallister – Polizei Denver.

Jack Gaylord – Polizei Denver.

Bob Northrop – Ermittler des United States Postal Inspection Service, einer dem United States Postal Service (USPS) unterstellten und mit Polizeibefugnissen ausgestatteten Behörde.

Rudolfo Latang – Magier.

Hans Bloeser – Bankier und Eigentümer der Little Angel Mine.

Tony Wickersham – Ingenieur und Bloesers Angestellter.

William Gibbs – Zeitungsreporter.

Colin Rhodes – Van-Dorn-Agent.

GreggoryPatmore – Militärischer Geheimdienst der U. S. Army.

PARIS

Joshua Hayes Brewster – Bergmann und Anführer der »Leute aus Colorado«.

Vernon Hall – Bergmann aus Colorado.

Warner O’Deming – Bergmann aus Colorado.

Alvin Coulter – Bergmann aus Colorado.

Thomas Price – Bergmann aus Colorado.

Charles Widney – Bergmann aus Colorado.

Walter Schmidt – Bergmann aus Colorado.

Jake Hobart – Bergmann aus Colorado.

Foster Gly – Chef des Sicherheitsdienstes der Société des Mines de Lorraine.

Yves Massard – Foster Glys Assistent.

Theresa Massard – Yves Massards Schwägerin.

Henri Favreau – Isaac Bells Kontaktmann in Paris.

ARKTIS

Ragnar Fyrie – Kapitän der Hvalur Batur.

Ivar Ivarsson – Chefingenieur der Hvalur Batur.

Lars Olufsen – Zweiter Ingenieur der Hvalur Batur.

Magnus – Mannschaftsmitglied.

Petr – Mannschaftsmitglied.

Der andere Petr – Mannschaftsmitglied.

Gunnar – Mannschaftsmitglied.

ENGLAND

Joel Wallace – Van-Dorn-Agent.

Davida Bryer – Assistentin von Joel Wallace.

George Devlin – Gangster.

PROLOG

NEW YORK CITY April

Der Himmel über Manhattan hatte die Farbe von altem Zinn. Die Wolkendecke hing so tief, dass die Spitzen einiger der höchsten Gebäude vom Dunst verschluckt wurden. Die schneidende Kälte der Luft, verstärkt durch den Hudson Hawk, jenen berühmt-berüchtigten Wind, der den Fluss, dem er seinen Namen verdankte, seit Menschengedenken auf seinem Lauf begleitete, blies mit voller Kraft und vertrieb bei den Stadtbewohnern jede Erinnerung an das frühlingshafte Wetter nur eine Woche zuvor. Es war, als sei der Winter zurückgekehrt.

Ein gepanzerter Chevy Suburban mit Regierungsnummernschildern rollte am Bordstein vor einem Häuserblock im Stadtzentrum aus und hielt schließlich an. Ein Mann Ende zwanzig, bekleidet mit einem Trenchcoat und mit einem zusammengerollten Regenschirm über dem Arm, stieß sich von einem Blumenkasten ab, an dem er gelehnt hatte, und näherte sich dem großen SUV, dessen vorderes Fenster auf der Beifahrerseite nach unten schnurrte.

Der Fahrer, ein erfahrener Regierungsangestellter, der seit dreißig Jahren als Chauffeur und Leibwächter für hochrangige Amtsträger tätig war, sagte kein Wort.

»Hallo. Seien Sie gegrüßt«, stotterte der Fußgänger, warf einen Blick auf den Rücksitz und kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als er sah, dass er nicht besetzt war. »Ich bin Thomas Gwynn und war hier mit dem Direktor der NUMA – der National Underwater and Marine Agency – verabredet. Also mit Dirk Pitt, um genau zu sein.«

Einige Jahre zuvor, zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn im Sicherheitsdienst der Regierung, hätte der Fahrer, Vin Blankenship, seinen Fahrgast gebeten, sich auszuweisen, aber er hatte, ehe er sich zum verabredeten Treffpunkt begab, die Website der Anwaltskanzlei besucht, bei der Gwynn beschäftigt war, und erkannte den jüngeren Mann von seinem online abrufbaren Profil sofort wieder. »Mr. Pitt hat mir eine Textnachricht geschickt, dass sein Meeting bei den Vereinten Nationen ein wenig länger dauere. Er bat mich, zuerst Sie aufzugabeln, ehe ich ihn abhole und mit Ihnen beiden dann nach Queens fahre.«

»Schon klar, ich verstehe. Kein Problem.« Gwynn stieg in den großen Wagen ein und machte es sich auf dem Rücksitz bequem. Er öffnete den Gürtel seines Mantels. »Sie haben es hier drin angenehm warm.«

Trotz des zusätzlichen Gewichts der Panzerung und der kugelsicheren Fenster verließ der Suburban seinen Platz am Bordstein bemerkenswert zügig und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Sein kehlig blubbernder V8-Motor war mindestens genauso aufwendig modifiziert worden wie die Karosserie.

Es dauerte nicht lange, bis Blankenship den schweren Wagen auf den Franklin D. Roosevelt East River Drive, kurz FDR Drive, lenkte und diesem in nördlicher Richtung folgte. Er hätte jederzeit Sirene und Blaulicht einschalten können, doch er nahm an, dass sie genügend Zeit hatten und auf ein solches Spektakel verzichten konnten.

»Haben Sie Mr. Pitt von Washington bis hierherkutschiert?«, fragte Gwynn, nur um irgendetwas zu sagen.

»Nein. Ich bin hier in New York stationiert. Ich wurde ihm für die Dauer der UN-Konferenz zugeteilt. Vor zwei Tagen habe ich ihn an der Penn Station abgeholt und werde ihn nach der Rundfahrt heute auch wieder dort absetzen – oder nach was auch immer er noch unternehmen will.«

»FBI?«

»Secret Service.«

»Hat er einen solchen Schutz nötig?«

»Ich bitte Sie, wir sind in New York. Hier braucht doch jeder Schutz.« Blankenship lachte über seinen eigenen Witz.

Eine Viertelstunde später lenkte er den Suburban auf den Platz vor dem einhundertsiebzig Meter hohen Glasmonolithen, der die Büros und Konferenzsäle der Vereinten Nationen beherbergte. Er musste Wächtern in schwarzen Kampfanzügen einige amtliche Dokumente präsentieren und einen Slalom zwischen Betonbarrieren absolvieren, um näher an das Gebäude heranzukommen. Dann hielt er an und fuhr das Seitenfenster herunter, um leichter erkannt zu werden. Sein Regierungs-Suburban war nicht der einzige, der eine offizielle Mission zu erfüllen hatte.

Dutzende Menschen bevölkerten den Platz, standen in kleinen Gruppen von drei oder vier Personen zusammen, alle mit Namensschildern an der Kleidung. Fast alle lächelten und schüttelten einander selbstgefällig die Hände. Die meisten trugen Businessanzüge, aber es waren auch Araber in weißen Dishdashas zu sehen sowie einige Afrikanerinnen in Kleidern, die so farbenfroh wie die Gefieder tropischer Vögel anmuteten. Eine einzelne Gestalt, die keinen so erfreuten Eindruck machte, entdeckte den mit laufendem Motor wartenden SUV und seinen Fahrer. Der Mann setzte sich in Bewegung und überquerte mit der Unbeirrbarkeit eines Diamantschleifers, der sich anschickte, einen besonders wertvollen Edelstein mit einem schwierigen Schnitt zu teilen, den Platz.

Dirk Pitt war hochgewachsen und eher schlaksig als muskulös und hatte welliges dunkles Haar und hellgrüne Augen. Seine Mundpartie schien stets zu signalisieren, dass das Leben für ihn vorwiegend amüsante Seiten hatte. Allerdings nicht in diesem Moment. Seine Augen wirkten so dunkel wie die Wolkenberge einer aufziehenden Sturmfront, und sein Mund war so verkniffen, dass sein Unterkiefer wie ein kantiger Felsen vorragte.

»Sie sind heute offenbar noch schlechter gelaunt als nach den Konferenzen gestern«, stellte Blankenship fest, als Pitt sich dem Suburban bis auf Sichtweite genähert hatte.

Pitt öffnete die Beifahrertür und schwang sich auf den hohen Sitz neben dem des Fahrers. Damit verstieß er zwar gegen die Sicherheitsvorschriften, die verlangten, dass er bei Stadtfahrten im kugelsicheren hinteren Fahrgastabteil Platz nehmen musste, aber der NUMA-Direktor hatte dem Secret-Service-Veteranen zu verstehen gegeben, dass er die gesamte Schuld auf sich nähme, sollte er auf dem Beifahrersitz zu Schaden kommen.

Pitt nickte. »Mag sein, dass ich nicht weiß, wie man die ständig wachsende Flut von Plastikabfällen eindämmen kann, die sich tagtäglich in die Ozeane ergießt, aber ich weiß immerhin, dass es kein einziges der brennenden Probleme dieser Welt lösen wird, wenn man ganze Tage damit verbringt, mit einer Blase verfressener Wichtigtuer in Hörsälen herumzusitzen, die über nichts anderes diskutieren als über die Tagesordnung ihrer nächsten Zusammenkunft.« Er schüttelte sich, und plötzlich schien die düstere Wolke, die ihn umgab, wie weggeblasen. Mit einem freundlichen Grinsen blickte er über die Schulter und streckte die Hand über die Rückenlehne seines Sitzes nach hinten aus. »Thomas Gwynn, nehme ich an. Ich bin Dirk Pitt. Vielen Dank, dass Sie bereit waren, sich auf diese unorthodoxe Art mit mir zu treffen. Ich habe einen ziemlich engen Terminplan, und meine Frau besteht darauf, dass ich anlässlich der Geburtstagsparty für ihren Stabschef heute noch nach Washington zurückkehre.«

»Das ist überhaupt kein Problem«, erwiderte Gwynn, während ihm bewusst wurde, wie weich sich seine Hand in Pitts festem und schwieligem Griff anfühlen musste. Der Mann leitete eine umfangreiche und wichtige Regierungsorganisation, aber er war weder überfressen noch ein Wichtigtuer. »Ihre Frau ist doch Congresswoman Loren Smith, nicht wahr?«

»Ja, in dieser Hinsicht bin ich wirklich vom Glück begünstigt worden«, sagte Pitt voller Liebe. »Ich muss zugeben, dass Sie mein Interesse geweckt haben, als Sie mein Büro anriefen. Es war reines Glück, dass ich schon am nächsten Tag nach New York kam. Die meisten Leute haben irgendwann mal von der Bergung der Titanic gehört, und einige erinnern sich vielleicht sogar daran, dass ich die Leitung der Operation, sie zu heben, seinerzeit innehatte, aber soweit ich weiß, unterliegt die Tatsache, dass wir damals gehofft haben, das Byzanium-Erz aus ihren Frachträumen herauszuholen, nach wie vor strengster Geheimhaltung. Wie kommt es, dass Sie darüber Bescheid wissen?« Ehe Gwynn antworten konnte, bremste ihn Pitt, indem er einen Finger hob, um sich kurz an ihren Fahrer zu wenden. »Sie wissen doch, wohin wir wollen, oder?«

»Ich bin nur zehn Minuten von dieser Stelle entfernt aufgewachsen«, erwiderte Blankenship. »Früher habe ich flussaufwärts regelmäßig im East River geangelt.«

Pitt grinste. »Dann kann ich nur hoffen, dass Sie nichts von dem verzehrt haben, was Sie fingen.«

Der Secret-Service-Mann lachte glucksend. »Wir konnten nicht mal die Hälfte dessen, was wir aus dem Fluss holten, überhaupt identifizieren.«

Indem er seine Aufmerksamkeit wieder auf Thomas Gwynn richtete, kam Pitt auf seine Frage zurück. »Also, können Sie mir verraten, wie Sie von dem Byzanium erfahren haben?«

»In meiner Kanzlei werden Papiere des Mannes aufbewahrt, der es seinerzeit herbeischaffte.«

Pitt nickte und sagte: »Joshua Hayes Brewster. Ein sogenannter Hartgestein-Bergmann aus Colorado, der das Erz zuerst auf der Insel Nowaja Semlja in der russischen Arktis entdeckt hatte und dann im Jahr 1911 mit einer Gruppe anderer Männer dorthin zurückkehrte, um es aus der Erde zu holen.«

Er kannte die Geschichte des Mannes so gut wie seine eigene.

»Nein, Mr. Pitt. Ich spreche von Isaac Bell.«

Pitt blinzelte verwirrt. Zwar hatte er die Namen der anderen Bergleute gerade nicht präsent, aber er konnte sich erinnern, dass keiner von ihnen Bell geheißen hatte. »Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«

»Das wundert mich nicht. Haben Sie schon mal etwas von der Van Dorn Detective Agency gehört?«

»Ja. Ich weiß, dass dieser Verein früher genauso groß und berühmt war wie Pinkerton.«

»In einer Ära, als die Hotels noch ihre hauseigenen Detektive beschäftigten und Eisenbahnlinien Armeen von Wächtern anheuerten, baute Joseph Van Dorn unter dem Motto ›Wir geben nicht auf. Niemals!‹ eine schlagkräftige Organisation auf. Ihre Agenten zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich kompromisslos für die Interessen ihrer Klienten einsetzten und sich durch nichts und niemanden einschüchtern ließen. Und Isaac Bell war damals der leitende Ermittler – wahrscheinlich sogar der beste Privatdetektiv seiner – wenn nicht sogar jeder – Generation.«

»Okay«, sagte Pitt vorsichtig, »das möchte ich gar nicht bezweifeln, aber Sie müssen mir glauben, dass er nichts mit der Gewinnung des Byzaniums zu tun hatte oder in irgendeiner Weise daran beteiligt war, es an Bord der Titanic zu schmuggeln. Ich bin fast ein Jahr lang mit diesem Projekt befasst gewesen, ja, ich habe sozusagen damit gelebt. Daher weiß ich mit absoluter Sicherheit, dass zu keinem Zeitpunkt Privatermittler involviert waren.«

»Mr. Bell sorgte damals dafür, dass seine Beteiligung in sämtlichen Berichten keinerlei Erwähnung fand. Er bearbeitete sogar Brewsters Aufzeichnungen entsprechend, damit sein Name nirgendwo in ihnen auftaucht.«

Pitts Miene signalisierte, dass ihn diese Erklärung keinen Deut schlauer machte.

»Lassen Sie es mich wie folgt erklären, Mr. Pitt.«

»Dirk«, erwiderte der NUMA-Direktor automatisch. »Ich bitte darum.«

»Sicher … Dirk. Okay. Also, Isaac Bell kamen im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit zahlreiche Geheimnisse zur Kenntnis. Vorgänge, die, wenn sie an die Öffentlichkeit gedrungen wären, ganze Familiendynastien hätten ruinieren und die Glaubwürdigkeit von Firmen und sogar Nationen vernichten können. Er erfuhr von versteckten Motiven für historisch bedeutsame Entscheidungen und kannte die Identität von bis auf den heutigen Tag unbekannten und im Verborgenen tätigen Akteuren, die hinter den wichtigsten Ereignissen während der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts steckten. Er verfügte zwar über all diese Informationen, aber im Gegensatz zu J. Edgar Hoover, dem ersten Direktor des FBI, hatte Bell kein Interesse daran, dieses Wissen einzusetzen, um seiner Position durch Erpressung oder Einschüchterung mehr Gewicht zu verleihen. Er war lediglich jemand, der zahlreiche Geheimnisse kannte und nicht darüber sprach.

Als er sich zur Ruhe setzte, beschloss er, diese Geheimnisse und die Geschichten, die sich darum rankten, schriftlich festzuhalten. Und ich muss feststellen, dass – wäre er als Detektiv nicht so gut gewesen – er auch als Thrillerautor hätte Karriere machen können. Die Berichte über seine Erlebnisse lesen sich wie Abenteuerromane. Während er ganz klar wusste, dass einiges von dem, was er niederschrieb, nie ans Tageslicht kommen durfte – und dieser Teil seiner Tagebücher wurde höchstwahrscheinlich kurz nach seinem Tod verbrannt –, fand er, dass andere Geschichten zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die an den darin geschilderten Geschehnissen beteiligten Personen lange tot und ›unter dem Staub der Geschichte‹ – so seine Worte – begraben waren, publik gemacht werden sollten.

Diese Aufzeichnungen gab er in die Obhut seines Anwalts, und zwar mit präzisen Anweisungen, wann und wem sie zugänglich gemacht werden sollten. Viele dieser Anweisungen waren ganz unmissverständlich, so wie: ›Lassen Sie dreißig Jahre nach dem Tod dieser oder jener Person diesen Umschlag seinen oder ihren Kindern zukommen. Sollten diese nicht mehr am Leben sein, dann übergeben Sie die Aufzeichnungen seinen Enkelkindern.‹ Eindeutiger geht es nicht, oder?«

»Klingt absolut vernünftig.«

»Es gab andere Aufzeichnungen, bei denen er es seinem Anwalt überließ, mit wem er sie teilte. Allerdings nannte Bell in diesen Fällen jeweils ein genaues Datum, wann die Übergabe stattfinden solle – gewöhnlich war das dann ein Zeitpunkt, der in Bezug auf die jeweiligen Schilderungen bedeutsam war. Allerdings gibt es auch einige Umschläge, die lediglich mit einem Datum ohne jeden zusätzlichen Kommentar beschriftet wurden.

Nun, mittlerweile sind seit Bells Tod einige Jahrzehnte verstrichen, und sein Anwalt vergrößerte seine Praxis zu Gitterman, Shankle and Capps, die zurzeit auch meine Arbeitgeber und eine der größten Anwaltsfirmen der Stadt sind. Und bis zum heutigen Tag gilt unsere damals schon eingegangene Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die restlichen schriftlichen Aufzeichnungen, die jetzt noch in unserer Obhut sind, ein angemessenes Zuhause finden.«

»Und Sie meinen, dass ich der richtige Adressat dafür bin?« Pitt konnte noch immer keine entsprechende Verbindung erkennen.

»Na ja, so könnte man es ausdrücken. Als das Übergabedatum dieses speziellen Aktenkonvoluts heranrückte, hatte einer der Seniorpartner die Ehre, es vorher zu lesen. Anschließend war er sich nicht ganz sicher, wie er weiter damit verfahren sollte, aber seine Sekretärin wusste, dass ich mich besonders für das Schicksal der Titanic interessiere. Mein Onkel gleichen Namens war an der Bergungsaktion beteiligt. Von ihm wusste ich aus zahlreichen Gesprächen über die Schiffskatastrophe, dass Sie derjenige gewesen sind, der die Titanic damals gehoben hat. Er hat eine Winde auf einem der Hilfsschiffe bedient – der Modoc.«

»Ich fasse es nicht«, sagte Pitt. »Ich dachte mir gleich, dass mir Ihr Name bekannt vorkommt. Tommy Gwynn. Sie sind ihm aber nicht besonders ähnlich, muss ich sagen.«

»Ich weiß. Er war groß, eine ausgesprochen imposante Erscheinung.«

Pitt fiel die Zeitform auf, die der Anwalt benutzte. »War? Was ist geschehen?«

»Er verließ die NUMA kurz nach der Titanic-Operation und arbeitete als Kranführer hier in New York. Auf einer Baustelle ereignete sich ein Unfall, bei dem Onkel Tommy und zwei andere Männer ums Leben kamen. Das liegt jetzt aber schon acht oder neun Jahre zurück.« Der Anwalt hielt für einen Moment inne. Sein Blick verdüsterte sich, und er schluckte, dann verdrängte er die traurige Erinnerung. »Zurück zum Thema. Auf der Suche nach dem geeigneten Empfänger dieser Aufzeichnungen hatten sich die Seniorpartner auch an mich gewandt, und ich dachte sofort an Sie, als ich die Notizen gelesen hatte und mich eingehender mit dem Leben Brewsters und der restlichen Bergleute beschäftigte …«

»Sie nannten sich die Leute aus Colorado«, warf Pitt ein.

Gwynn nickte eifrig. »Das hatte Bell in seinen Notizen erwähnt. Von ihnen gibt es keine Hinterbliebenen, da keiner von ihnen jemals geheiratet hatte außer …«

»Jake Hobart.« Nun, da er wieder an diese weit zurückliegende Mission dachte, nahmen mehr und mehr Details in Dirk Pitts Erinnerung Gestalt an.

»Das ist richtig. Hobart war verheiratet, aber seine Frau ist schon lange tot, und sie hatten keine Kinder. Da aus der Zeit, in der das Mineral aus der Erde geholt und an Bord der Titanic gebracht wurde, also niemand mehr existiert, dachte ich mir: Weshalb sollte man die Aufzeichnungen nicht demjenigen übergeben, der sie am Ende gefunden hat? Bells Tagebuch ändert zwar nichts an den grundlegenden Tatsachen, aber ich dachte mir, Sie könnten vielleicht daran interessiert sein, die Hintergründe dessen zu erfahren, was sich vor mehr als einhundert Jahren zugetragen hat.«

Aus einer tiefen Tasche seines Trenchcoats holte der junge Anwalt ein Bündel vergilbter Dokumente hervor, die in einer transparenten versiegelten Plastikhülle steckten, und übergab sie Pitt. Auf der ersten Seite waren – als Titel – nur wenige Worte zu lesen. Die Leute aus Colorado. Pitt machte Anstalten, die Hülle zu öffnen, als Blankenship sich zu Wort meldete.

»Ich wollte Sie daran erinnern, dass wir nur noch fünf Minuten entfernt sind.«

»Okay«, sagte Pitt, dessen Aufmerksamkeit von dem, was Gwynn ihm zu erzählen hatte, derart in Anspruch genommen worden war, dass ihm überhaupt nicht aufgefallen war, wie schnell sie den East River überquert hatten.

Thomas Gwynn sagte: »Ich meinte zwar, dass es mir nichts ausmacht, mich mit Ihnen auf diese improvisierte Weise zu treffen, aber was ist eigentlich so wichtig an Schildkröten auf einer Baustelle im Flussufer in Queens?«

»Es geht nicht um lebende Schildkröten«, klärte Pitt seinen Gesprächspartner auf. »Sondern um dieTurtle. Im Gepäckabteil hinter Ihnen liegen ein Kofferrucksack und ein wasserdichter Tauchgerätesack. Könnten Sie so nett sein und mir Letzteren nach vorne reichen?«

Gwynn beugte sich über die Rückenlehne der Sitzbank, um den Sack zu ergreifen, und gab ihn an Pitt weiter. Pitt hatte bereits seine Lederschuhe ausgezogen. Er hielt einen der Schuhe so hoch, dass Fahrer und Beifahrer ihn betrachten konnten. »Meine Frau hat sich offenbar einen kostspieligen Scherz erlaubt, als sie mir dieses Paar kaufte. Sie nahm wohl an, dass ich niemals italienische Schuhe tragen würde, aber ich muss zugeben, sie sind wirklich viel bequemer als Sneaker.«

Aus dem Tauchgerätesack zog er ein Paar kniehohe Gummistiefel und einen gefütterten Windbreaker in auffälliger Warnschutzfarbe. Dann schob er die Füße in die Galoschen und wand sich, bedingt durch die Enge des Suburbans, wie ein Schlangenmensch in die Jacke.

»Und jetzt habe ich eine Geschichte für Sie«, sagte Pitt und ließ seinen Sicherheitsgurt wieder einrasten. »Nach den Schlachten von Lexington und Concord während des Unabhängigkeitskriegs gegen die Engländer hat ein Erfinder namens David Bushnell, der in der Nähe von New Haven lebte, den Bau eines unter Wasser operierenden Bootes vorgeschlagen, mit dessen Hilfe man Minen an den Unterseiten der englischen Schiffe, die den Hafen von New York blockierten, anbringen könne. Niemand anders als George Washington war von dieser Idee angetan, und er erklärte sich bereit, ihre Umsetzung zu finanzieren.

Den ganzen Sommer und Herbst hindurch arbeiteten Bushnell und mehrere Zimmerleute, Schmiede und Techniker, die ihr Handwerk besonders gut beherrschten und ihr Wissen zum großen Teil autodidaktisch erworben hatten und für revolutionäre Techniken besonders empfänglich waren, an der Fertigstellung des Unterseebootes. Etwa zweieinhalb Meter lang, ähnelte es einem Fass – oder, denn so wurde es auch beschrieben, es sah wie zwei zusammengefügte Schildkrötenschalen aus. Dabei bestand es aus mit Eisenbändern zusammengehaltenen gebogenen Holzlatten, ähnlich den Dauben eines Fasses, und wurde von zwei mit Handkurbeln versehenen Schiffsschrauben sowohl in horizontaler wie auch in vertikaler Richtung angetrieben. Außerdem besaß es eine Vorrichtung zum Anbohren von Schiffsrümpfen, um an ihnen Sprengladungen zu befestigen. Außerdem verfügte es über eine mit einem Fußpedal betriebene Bilgenpumpe und Fenster in einer Art stählernem … na ja, der Begriff Kommandoturm beschreibt es wohl am besten. Alles in allem war es unansehnlich, plump und absolut genial …

… und darüber hinaus ein totaler Reinfall«, fügte Pitt nach einer kurzen Pause hinzu. »Im Sommer 1776, nach einer Reihe von Tauchversuchen und Testfahrten, wurde ein gewisser Sergeant Ezra Lee als Pilot der Turtle ausgesucht. Schließlich, im September dieses Jahres, startete Lee mit der Turtle zu ihrer ersten Feindfahrt und nahm Kurs auf das englische Flaggschiff HMSEagle, das unterhalb von Governors Island in der Einfahrt des New Yorker Hafens vor Anker lag. Lee brauchte zwei Stunden, um das Unterseeboot in Position zu bringen, aber ganz gleich, wie oft er es versuchte, er schaffte es nicht, mit dem nach oben gerichteten Bohrer tief genug in den Rumpf der Eagle einzudringen und die Sprengladung zu fixieren. Rückblickend ist leicht zu erkennen, dass es der Turtle angesichts der Gezeiten und der Strömungsverhältnisse an dieser Stelle vollkommen unmöglich gewesen sein muss, ihre Position beizubehalten, um an der vorausberechneten Stelle des Rumpfs die nötige Bohrung durchzuführen.«

»Davon ganz zu schweigen, dass der arme Kerl vollkommen erschöpft gewesen sein dürfte«, warf Blankenship vom Fahrersitz aus ein.

Pitt nickte. »Die Luftmenge innerhalb der Turtle sollte für eine halbe Stunde ausreichen. Er konnte den Vorrat auffüllen, indem er die Bucht in Überwasserfahrt überquerte, aber nach seinen vergeblichen Versuchen, die Eagle anzubohren, dürfte er von zu viel Kohlendioxid total benebelt gewesen sein.

Einen Monat später griffen sie ein zweites Schiff an – mit dem gleichen Ergebnis. Nicht lange danach versenkten die Engländer das Versorgungsschiff der Turtle auf der Jersey-Seite des Hafens. Bushnell behauptete, das kleine U-Boot geborgen zu haben, aber über sein weiteres Schicksal wurde nichts weiter bekannt.«

»Bis heute?«, fragte Thomas Gwynn.

»Genau. Interessanterweise sollte es fast einhundert Jahre dauern, bis ein Unterseeboot den erfolgreichen Versuch unternahm, ein feindliches Kriegsschiff zu versenken. Und dies war das Konföderierten-U-Boot Hunley, das während des Bürgerkriegs einen Torpedo auf die USSHousatonic abfeuerte und traf.«

Sie näherten sich einer weitläufigen Baustelle in einem Gewerbegebiet der Stadt. Der Straßenbelag bestand vorwiegend aus geborstenem Asphalt. Die nächsten Gebäude waren Bauten aus Klinker oder Stahlkonstruktionen und fensterlos. Mehrere stillgelegte alte Schornsteine ragten vor der Skyline Manhattans trotzig in den grauen Himmel. Müllcontainer und Haufen von verrostetem Schrott und allem möglichen Gerümpel füllten die Gassen zwischen den Gebäuden, deren Außenwände stellenweise mit mehreren Schichten Graffiti beschmiert waren, von denen – selbst mit dem größten Wohlwollen – kein einziges als Kunst betrachtet werden konnte. Der feine Dunst, der schon den ganzen Tag in der Luft gehangen hatte, wurde dichter. Das war noch kein Regen, sondern eigentlich nur von ungewöhnlicher Nässe triefende Luft. Dieser nebelähnliche Dunst war ein perfektes tristes Leichentuch für den ganzen vernachlässigten und wie aus der Zeit gefallenen Distrikt.

Vor ihnen, in geringer Entfernung, versperrte ein langer Wellblechzaun die Zufahrt zum Stadtviertel. Ein kleines Wachhaus war neben einem offenen Einfahrtstor aufgestellt worden. Die Neonröhren der Deckenbeleuchtung in der Blechhütte erschienen in der zunehmenden Dunkelheit besonders hell. Hinter dem Zaun versteckte sich ein Kran, dessen Ausleger erst in dem Augenblick zu sehen war, als er seinen Neigungswinkel vergrößerte und in den Himmel hochstieg.

Blankenship bremste am Tor. Der Wachmann verließ mit offensichtlichem Widerwillen das angenehm warme Innere seiner kleinen Wellblechbehausung und kam zu dem SUV herüber, der mit laufendem Motor wartete.

Der Secret-Service-Agent deutete mit dem Daumen auf seinen Beifahrer. »Das ist Dirk Pitt, der Chef der NUMA. Er wird erwartet.«

»Eine Sekunde«, sagte der Wachmann, kehrte zum Wachhaus zurück und zog ein Klemmbrett zurate, das er sicherlich nach draußen hätte mitnehmen sollen und wahrscheinlich aus Trägheit in seiner Hütte liegen gelassen hatte. Er schaute hoch, fing Blankenships fragenden Blick auf und nickte.

Das Baugelände war nahezu unüberschaubar und hatte eine Ausdehnung von mindestens vier Hektar. Vieles von dem, was hier früher einmal gestanden hatte, war zerlegt und entfernt worden, und eine riesige Menge verseuchten Erdaushubs hatte man zwecks Dekontaminierung abtransportiert. Ein massiver Hafendamm hielt die Fluten des East River zurück, die über den Harlem River mit dem Schmelzwasser aus dem Hudson – vom oberen Ende Manhattans aus – sowie mit den Ausläufern einer Springflut gespeist wurden, die aus dem Long Island Sound hereindrückten.

Blankenship blickte sich um. »Als ich noch ein Kind war, standen hier dicht an dicht Lagerhäuser und Fabriken. Der Gestank war grässlich, und das sogar an schönen Tagen.«

»Ein Archäologe, der bei der Stadtverwaltung beschäftigt ist, erzählte mir«, sagte Pitt, »dass seit der Zeit des Bürgerkriegs bis etwa 1913 hier eine Fabrik gestanden hat, in der Kohle in Gas umgewandelt wurde. Der Untergrund wurde mit Schadstoffen gesättigt, die niemals entfernt wurden. Die nächste Industriegeneration deckte den Dreck einfach zu und errichtete ihre neuen Fabriken darauf.«

Gwynns nächste Frage ergab sich eigentlich von selbst. »Und hier wurde die Turtle gefunden?«

»Soweit ich es verstanden habe, entfernte ein Bagger Abraummaterial, um Platz zu schaffen, als die Schaufel auf solides Gestein traf. Was gar nicht ungewöhnlich war, da man die alten Fundamente an Ort und Stelle belassen hatte, als neue Gebäude errichtet wurden. Der Baggerführer räumte einen Bereich um die Granitblöcke herum frei. Es stellte sich heraus, dass sich unter dem Fundament eines Gebäudes eine Senkgrube befand, die dort seit dem Unabhängigkeitskrieg existierte. Der Hohlraum war mit einer Steinplatte als Deckel verschlossen, die der Bagger beiseiteschob. Das Innere war mit Flugasche und Öl angefüllt, das noch halbwegs flüssig war, und aus dieser Suppe ragte eine Bronzekuppel heraus. Dem Baggerführer gelang es, diese Kuppel zu öffnen und einen Blick hineinzuwerfen. Er hatte keine Ahnung, auf was er gestoßen war, aber er sagte einem Baustellenleiter Bescheid, der schließlich jemanden fand, der die Turtle anhand einer Replik identifizierte, die er in einem Museum in Connecticut gesehen hatte. Daraufhin wurden staatliche und städtische Archäologen hierherbeordert.«

»Und auch die NUMA?«, wollte Thomas Gwynn wissen.

»Eigentlich nicht. Natürlich hörten wir von dem Fund. Aber ich bin nur hierhergekommen, weil ich mich für Archäologie interessiere. Meine NUMA-Legitimation benutze ich lediglich, um mich auf dieser Ausgrabungsstätte, die für die Öffentlichkeit gesperrt ist, frei bewegen zu können.«

»Wird dort heute irgendetwas Besonderes geschehen?«

»Das kann man wohl sagen. Heute wollen sie versuchen, die Turtle aus dem Erdloch herauszuziehen, in dem sie fast zweihundertfünfzig Jahre unentdeckt überdauert hat.«

Sie parkten den Suburban neben mehreren anderen Fahrzeugen, vorwiegend Limousinen und Pickups. Die Kleinlaster gehörten den Arbeitern und die Pkw zweifellos den Archäologen und Technikern, die die Bergung des ersten Unterseeboots der Nation überwachten.

Das Gelände, auf dem die Ausgrabungen stattfanden, war gut zwei Footballfelder lang und dreißig Meter breit. Einiges von dem Füllmaterial war an Ort und Stelle belassen worden, um den alten Hafendamm gegen den grauen Fluss auf der anderen Seite abzustützen. Auf dem Grund der sechs Meter tiefen Baugrube standen große Bagger, Kipplaster, Transportbehälter für weitere Maschinen und Werkzeuge sowie einige Dutzend tragbarer Pumpen, deren Schläuche sich zu einem separaten Becken schlängelten, das angelegt worden war, um darin das verseuchte Abwasser zwecks späterer Reinigung zu sammeln.

Es sah nicht so aus, als arbeitete hier irgendjemand. Die Baustelle erschien völlig verlassen – bis auf den hohen Kran, an dessen Haken eine große Stahlplatte hing, die in Richtung Hafendamm durch die Luft geschwenkt wurde. Zwei mit Schutzhelmen bewehrte Arbeiter standen auf dem Hafendamm bereit, um die Stahlplatte in die vorgesehene Position zu dirigieren. Am Rand dieses Baustellenbereichs befand sich eine erhöhte Plattform. Wo genau die Turtle lag, war nicht zu erkennen, da blaue Kunststoffplanen über der Grabungsstätte aufgespannt worden waren, um das gefundene Boot vor Regen zu schützen. Die Planen flatterten im eisigen Wind.

Der Niederschlag, bislang nur ein Nieseln, hatte sich zu einem leichten Regen verstärkt. Der Untergrund an der Kante der überdachten Ausgrabungsstätte war vom Regen zu einem lehmigen Morast aufgeweicht worden. Blankenship verzichtete darauf, Pitt bei seinem Querfeldeinmarsch bis zu der erhöhten Plattform zu begleiten, auf der sich ein halbes Dutzend Leute aufhielt, aber der junge Gwynn schloss sich ihm an.

Als sie sich der Versammlung näherten, konnte Pitt hören, wie die Stimmen lauter wurden und sich eine zunehmende Spannung breitmachte.

»Es interessiert mich nicht, wer Ihnen die Genehmigung erteilt hat. Ehe meine Behörde sich nicht davon überzeugen konnte, dass auf dieser Baustelle sämtliche vorgeschriebenen Sicherheitsstandards eingehalten werden, steigt niemand dort hinunter. Ihr Spielzeugboot muss einfach noch eine Weile warten.« Der Sprecher war ein Mann, der einen Schutzhelm auf dem Kopf hatte und eine orangefarbene Sicherheitsweste über einer Carhartt-Jacke trug. Pitt stellte fest, dass er zur OSHA gehörte, einer Bundesbehörde, die für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zuständig war, und vermutete, dass ihn die Stadtverwaltung als Wachhund für Arbeitsplatzsicherheit auf die Baustelle beordert hatte.

Offenbar mit ihm im Clinch befanden sich ein Mann und eine Frau in Straßenkleidung, allerdings mit soliden Arbeitsstiefeln an den Füßen. Pitt vermutete korrekterweise, dass die beiden Archäologen waren, denen es vordringlich darum ging, das Tauchboot so schnell wie möglich zu bergen und fachgerecht zu konservieren.

Es war die Frau, die für beide das Wort führte. »Es dauert nur ein paar Stunden. Wir haben die Asche und den Teer aus der Grube herausgeholt. Das Einzige, was noch gemacht werden muss, ist, den Rumpf abzustützen und den Kran in Position zu bringen.«

»Lady, das interessiert mich nicht«, schoss der OSHA-Inspektor zurück. Pitt hörte aus seinem Tonfall heraus, dass er es offenbar liebte, sich wichtigzumachen.

»Entschuldigen Sie«, versuchte er, sich Gehör zu verschaffen und die Situation ein wenig zu entkrampfen. Für ihn gab es kaum etwas Unangenehmeres als selbstherrliche Paragrafenreiter. »Hi. Ich bin Dirk Pitt. Sind Sie Dr. Lawrence?«

Die Akademikerin wandte sich zu ihm um. »Susan Lawrence. Ja. Pardon, aber wer sind Sie?«

»Dirk Pitt. Ich hatte mit jemandem in Ihrem Büro vereinbart, heute hierherzukommen und mir die Turtle anzusehen. Ich bin der Direktor der National Underwater and Marine Agency.«

Sie nickte kurz. »Ja, ich erinnere mich. Tut mir leid, aber so, wie es aussieht, haben Sie die weite Reise von Washington hierher umsonst gemacht, weil unsere Ausgrabungsstätte soeben von der OSHA stillgelegt und gesperrt wurde.«

Pitt erwähnte nicht, dass er an einer mehrtägigen UN-Konferenz teilnahm und den letzten Tag der Versammlung schwänzte, um sich über den Stand der Ausgrabung zu informieren. Er richtete sein Augenmerk auf den OSHA-Kontrolleur. Der Sicherheitsinspektor nickte einem seiner Begleiter zu, der daraufhin zwei Schutzhelme von einem Klapptisch nahm und sie Pitt und Gwynn reichte. »Was ist das Problem?«

»Das Problem ist, dass die Vertragsfirma eine sechs Meter hohe Erdschicht direkt hinter dem Hafendamm belassen hat und dass die Aufschüttung auf der anderen Seite nicht steiler als sechzig Grad bis zum Grund des Schachts sein sollte. Und wie Sie sehen können – wie Sie alle sehen können«, sagte der Sicherheitsexperte mit besonderem Nachdruck, »ist die Erdschicht, die an Ort und Stelle belassen wurde, kaum drei Meter dick, und die Rückseite ist nahezu senkrecht. Diese Menge an Füllmaterial reicht nicht aus, um den Hafendamm zu stützen, der deshalb in Gefahr ist, jeden Moment nachzugeben und zu brechen. Anscheinend versucht man, dem Ganzen mit Stahlplatten Halt zu geben, aber solange ich mir nicht mit eigenen Augen einen Eindruck verschafft und einen Blick auf die Baupläne geworfen habe, bewerte ich diese Baustelle als zu gefährlich.«

»Trotz Ihrer Bedenken müssen Sie einen wichtigen Aspekt berücksichtigen«, ergriff der Kollege der Archäologin das Wort, »der gesamte Rumpf der Turtle befand sich zweihundertfünfzig Jahre lang in einem perfekt konservierten Zustand und ist zurzeit der städtischen Luft mit all ihren schädlichen Bestandteilen ausgesetzt, und jeder Moment, den wir länger abwarten, könnte irreparable Schäden zur Folge haben.« Dann fiel ihm noch etwas anderes ein, und sein Gesicht wurde aschfahl. »Mein Gott, wir haben die Luke offen gelassen. Sie müssen uns wenigstens gestatten, sie zu schließen.«

Der OSHA-Inspektor zuckte die Achseln. »Sehen Sie, ich bin doch kein Idiot. Ich weiß ja, wie die Dinge laufen. Ich war auf zahlreichen Baustellen überall in der Stadt, zu denen Ihre Leute gerufen wurden, aber ich kann und darf Sie nicht dort hinunterklettern lassen, ehe ich mich nicht zweifelsfrei davon überzeugen konnte, dass man sich dort unten sicher bewegen kann.«

Ein anderes Mitglied der Gruppe auf der Plattform schaltete sich ein. Der Mann war genauso gekleidet wie die Bauarbeiter, allerdings erschien sein Outfit sauberer und adretter, als wäre er noch nicht mit dem Schmutz und dem Schlamm dieser Baustelle in Berührung gekommen. Seinem Äußeren nach gehörte er zum Personal des Baubüros. »Nun kommen Sie schon, John. Unsere Ingenieure haben die Änderungen der Baupläne vor drei Wochen bei der Stadtverwaltung eingereicht. Irgendjemand hat uns daraufhin eine vorläufige Genehmigung erteilt.«

»Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, vor einer abschließenden Kontrolle irgendetwas zu verändern. Überdies haben Sie das restliche Füllmaterial entfernt, ehe Sie die stählernen Stützwände für den Hafendamm einfügten.«

»Also gut, okay, da haben wir Mist gebaut«, gab der Mann zu. »Die betreffende Firma arbeitete mit ihren Baggern schneller als wir …«

Pitt blendete die Unterhaltung aus. Er wusste, wie das Ganze ausgehen würde. Die Baustelle würde auf absehbare Zeit gesperrt werden. Weitgehend ungeschützt der Witterung ausgesetzt zu sein, würde zweifellos nicht ganz spurlos an der Turtle vorübergehen, aber letztlich glaubte er nicht, dass dieses historisch bedeutsame erste Exemplar eines Angriffsunterseeboots ernsthaft beschädigt würde. Und warum auch? Je nach Terminplan der UN-Konferenz ergäbe sich vielleicht auch später noch eine Möglichkeit für ihn, sich wegzuschleichen und mitzuerleben, wie das Boot aus seinem zweihundertfünfzig Jahre alten Kokon herausgehievt wurde.

Er beobachtete die Männer, die auf der Hafenmole bereits im Begriff waren, die Stahlschutzwand zu errichten. Eigentlich hätte er erwartet, dass der OSHA-Inspektor sie aufforderte, ihre Arbeit abzubrechen, aber der Sicherheitsexperte musste erkannt haben, dass das Einsetzen der Stahlplatten viel schneller vonstattengehen würde, als den ausgebaggerten Schacht den ursprünglich gültigen Vorgaben entsprechend erneut aufzufüllen.

Die stählernen Bauelemente hatten eine Länge von etwa fünfzehn Metern und waren wie ein L geformt. Die beiden Schenkel waren mindestens zweieinhalb Zentimeter dick. Der kurze Schenkel lag auf dem Hafendamm auf und wurde direkt im Beton verankert. Der lange Schenkel deckte die senkrechte Wand der Mole ab und wurde im Schlamm des Flussufers versenkt. Pitt sagte sich – und der OSHA-Inspektor würde ihm in diesem Punkt gewiss beipflichten –, dass diese Konstruktion sicherlich empfehlenswerter war, als die doppelte Menge kontaminierten Erdreichs an Ort und Stelle zu belassen, um die alte Hafenmauer abzustützen.

Pitt verfolgte, wie der Kran einen der mächtigen Stahlwinkel über die Baustelle und die Hafenmauer hinwegschwang. Zwei Männer mit Schutzhelmen standen auf der Mauer bereit, um das Stahlelement mithilfe von zwei Seilen, die von den Enden herabhingen, in Position zu bringen. Für Stahlbauarbeiter war diese Prozedur eine Routineaufgabe, die auch diese beiden wahrscheinlich schon einige Tausend Mal auf Hochhäusern und Brücken überall in der Stadt ausgeführt haben dürften.

Ein Arbeiter wartete geduldig, dass das dreißig Meter lange Seil langsam heruntergelassen wurde, damit es in seine Reichweite gelangte. Sein Partner hätte wahrscheinlich das Gleiche getan, wenn nicht eine plötzlich aufkommende Windbö den Stahlwinkel erfasst und das Seil am anderen Ende weit über den East River hinausgeweht hätte.

Pitt konnte sich nicht erklären, weshalb der Arbeiter seinen sicheren Stand riskierte und sich nach dem Seil streckte. Der Wind hätte nachgelassen, und das Seil wäre zu ihm zurückgependelt. Erst später erfuhr er, dass die Arbeiter zur Eile angetrieben worden waren, diese Arbeiten schnellstens auszuführen, ehe ihrer Baufirma weitere Auflagen erteilt und möglicherweise sogar Vertragsstrafen auferlegt würden.

Der Stahlbauarbeiter schaffte es, das Seil zu ergreifen, bevor es für ihn nicht mehr zu erreichen war, aber seine einhundert Kilo Körpergewicht hatten den dreißig Tonnen am Kranhaken hängenden Stahl nicht den Hauch eines Widerstands entgegenzusetzen, und er wurde sofort von den Füßen gerissen. Der von einem speziellen Gurtsystem am schmiedeeisernen Kranhaken ausbalancierte Stahlträger wäre durch diesen winzigen Ruck sicher nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, wenn der Kranführer nicht überreagiert hätte. Aus Furcht um die Sicherheit des Mannes, der in den reißenden Strom wenige Meter unter ihm zu stürzen drohte, betätigte der Kranführer reflexartig einen der zahlreichen Steuerhebel, um die Bewegung des Auslegers zu stoppen und umzukehren. Die abrupte Richtungsänderung versetzte den Stahlwinkel in eine Schaukelbewegung, durch die sein Schwerpunkt verschoben und sein Gleichgewicht gestört wurde. Innerhalb weniger Sekunden war ein alltägliches Routinemanöver außer Kontrolle geraten.

Die Platte drehte sich und schwankte in der Luft wie ein Raubvogel, der mit einem Fuß in eine Falle geraten war. Ratlos, wie er darauf reagieren sollte, verließ der zweite Arbeiter fluchtartig seine Position. Der Mann, der sich an das Seil klammerte, wurde wie eine Marionette hin und her geschüttelt und drohte, entweder in den Fluss geschleudert zu werden, wo er aufgrund seiner schweren Kleidung und seiner Stiefel ganz bestimmt ertrinken würde, oder in den ausgehobenen Schacht hinabzustürzen und sich alle Knochen zu brechen.

Von einem Adrenalinstoß überflutet, hantierte der Kranführer mit zitternden Händen hektisch an den Steuerhebeln herum. Er passte seine Aktionen zeitlich dergestalt ab, dass der Arbeiter, der an dem Seil hing, auf die Mauer hinabspringen konnte. So befand er sich in sicherer Entfernung, als der Stahlwinkel wie ein Schmiedehammer auf die betagte Betonmauer krachte.

Das brüchige Mauerwerk zerkrümelte regelrecht, als wäre es von einem Sprenggeschoss getroffen worden. Das glockengleiche Dröhnen, als Stahl und Beton aufeinandertrafen, hallte über die Baustelle, als habe Vulcanus, der römische Gott des Feuers und des Schmiedehandwerks, die Erde als Amboss für seinen mächtigen Vorschlaghammer benutzt.

Pitt wurde bereits aktiv, ehe das volle Ausmaß des Unglücks auch nur zu erahnen war. Er wandte sich zu Gwynn um und sagte: »Rufen Sie die 911 an. Und sagen Sie ihnen, sie sollen Taucher schicken.«

Er stieg über das Eisengeländer, das als Barriere die Plattform sicherte, von der aus die Baustelle zu überblicken war. Die Entfernung zum Dach eines Containers unten in der Baugrube betrug etwa dreieinhalb Meter, aber Pitts Blickwinkel, da er von großer Statur war, fügte dieser Distanz mindestens weitere anderthalb Meter hinzu. Er zögerte keine Sekunde. Der Wind pfiff an seinen Ohren vorbei und wehte ihm den Schutzhelm vom Kopf. Pitt landete sicher, während seine Beinmuskeln den harten Aufprall größtenteils perfekt abfederten, ehe er sich mit einer Schulter voraus nach unten beugte, damit sein Körper den Rest der Aufprallenergie absorbierte. Der Schwung ließ ihn abrollen und in einer fließenden Bewegung sofort wieder auf die Füße kommen, und er erreichte mit ein paar Schritten den Rand des Containers. Dort hielt er inne und blickte über den Bauplatz hinweg zu dem Stahlriegel, der auf den Hafendamm gestürzt war.

Unter dem Aufschlagpunkt waren Risse entstanden, die von der Molenkrone bis hinab in das Erdreich verliefen, das noch in dem Ausgrabungsschacht verblieben war. Wasser drang bereits durch diese Risse, schäumend und unter hohem Druck die Spalten erweiternd, als wollte es demonstrieren, wie sehr es hasste, hinter einer solchen künstlichen Barriere eingesperrt zu sein. Nach wenigen Sekunden schlängelte sich dieses Wasser über den Erdwall und strömte an seiner Außenwand hinunter. Während es in den Schacht stürzte, war es anfangs für einen kurzen Moment klar, ehe es seine aushöhlende Kraft entwickelte, sich durch das Erdreich arbeitete und sich dabei lehmbraun färbte. Dies alles spielte sich gut einhundert Meter von der quadratischen gemauerten Senkgrube ab, die der Turtle zweieinhalb Jahrhunderte lang als sicheres Zuhause gedient hatte.

Sein gesamtes Berufsleben hatte Dirk Pitt über und unter der Oberfläche der Gewässer dieser Welt verbracht, und nur wenige kannten dessen unbestreitbare Kraft so gut wie er. Er wusste, was geschehen würde. Was er jedoch nicht wusste und wogegen er bereit war, sein Leben zu verwetten, war, ob ihm noch genügend Zeit zur Verfügung stand, zu Ende zu führen, was er sich vorgenommen hatte. Er hatte im Laufe der Jahre viele überstürzte Dinge getan und sein Leben öfter, als er zählen konnte, aufs Spiel gesetzt, und während er niemals eine solche Entscheidung infrage gestellt hatte, fragte er sich diesmal jedoch für einen winzigen Moment, ob es sich wirklich lohnen würde, im schlimmsten Fall für das zu sterben, was zu versuchen er gerade im Begriff war. Als ihm gleichzeitig klar wurde, welches bedeutende historische Gut verloren zu gehen drohte, riss er den Blick von dem unausweichlichen – unmittelbar bevorstehenden – Zerstörungsszenarium los und konzentrierte sich stattdessen auf den Grund unter dem Container.

Ein dunkler Punkt erschien auf der zerfurchten Böschung der Erdaufschüttung. Er breitete sich aus und vergrößerte sich wie ein unzüchtiger Fleck. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb er schwarz, ehe er sich lehmbraun färbte und das Erdreich aufweichte und sich wölbte.

Mehr brauchte Pitt nicht zu sehen. Er startete zu einem Sprint quer über die Ausgrabungsstätte, wobei seine Gummistiefel spritzend durch das sich sammelnde Regenwasser pflügten. Tropfen der Lehmbrühe drangen in seine Augen, bremsten ihn jedoch kein bisschen. Zielsicher setzte er seine Schritte, seine Arme schwangen rhythmisch vor und zurück, und sein Atem ging ruhig und gleichmäßig, während einige zig Meter entfernt die Erdwölbung explosionsartig platzte und eine Schlammflut freisetzte. Einen Lidschlag später gab die Böschung des Erdwalls über dem Loch nach und rutschte in die Tiefe. Hunderte Tonnen Lehm, grobes Gestein und Industriemüll verschwanden in einem brodelnden Kessel voll von Morast und eisigem Wasser.

Zwar wandte er nicht den Kopf, um nach der Welle zu sehen, die sich in diesem Moment durch die Baugrube wälzte, aber er spürte den eisigen Wind des Luftpolsters, das sie vor sich her schob. Vielleicht mochte er nicht mehr ganz derjenige sein, der seinerzeit die Bergung der Titanic angeregt und organisiert hatte, aber er hatte sich in den Jahren seitdem in Form gehalten. Fast hatte er den blauen Zeltpavillon erreicht, den die Archäologen um die Fundstelle des U-Boots errichtet hatten, als die ersten Ausläufer der Welle ihn überholten und ihm mit ihrer Wucht beinahe die Füße unter dem Körper wegzogen.

Das Wasser behinderte seine Schritte, aber er kämpfte sich weiter, rannte so schnell er konnte und schaffte es schließlich, einen Vorsprung vor den ansteigenden Fluten herauszuholen, sodass er nur die eine oder andere wenige Zentimeter tiefe Pfütze überwinden musste. In einer der blauen Zeltwände entdeckte er einen Spalt und schlüpfte hindurch. In dem Raum, den die Archäologen geschaffen hatten, herrschte dunkles Dämmerlicht. Hohe Ständer mit Baustellenlampen waren um die Fundstätte aufgestellt worden, aber keine der Lampen war eingeschaltet, und Pitt hatte keine Zeit, um diesen Zustand zu ändern.

***

Die Turtle bestand tatsächlich, ähnlich einem Fass, aus Holzdauben, die mit massiven geschmiedeten Eisenringen zusammengehalten wurden. Sie hatte einen runden Kommandoturm, der auf dem gedrungenen Rumpf saß und über ringförmig angeordnete gläserne Bullaugen verfügte. Von diesem Kommandoturm ragten zwei gekrümmte Rohre in die Höhe. Diese dienten als Schnorchel, wenn die Turtle dicht unter der Wasseroberfläche operierte. Sobald sie vollkommen abgetaucht war, stand dem Piloten nur so viel Atemluft zur Verfügung, wie der Innenraum des schwerfälligen Wasserfahrzeugs enthielt. Unterhalb des Kommandoturms befand sich der mit einer Handkurbel betriebene vertikale Propeller. Dessen Flügel, wie auch alle anderen Teile des Bootes, waren mit Pech geschwärzt, aber Pitt vermutete, dass sie aus Bronze geschmiedet waren. Tiefer in dem mit grobem Gestein gesäumten Schacht konnte er den größeren horizontalen Hauptpropeller der Turtle erkennen sowie ein quadratisches Steuerruder, das mit einer Hebelmechanik bewegt wurde.

All diese Details registrierte er mit einem schnellen Blick, weil das Wasser den Rand der Senkgrube erreicht hatte und sie innerhalb weniger Sekunden füllen würde. Er überwand die knapp zwei Meter Distanz zwischen dem Schachtrand und dem mit Metall verkleideten Oberdeck der Turtle mit einem Sprung und tauchte mit den Füßen zuerst in die Lukenöffnung. Seine Gummistiefel landeten auf einem gepolsterten Sitz. Seine Hüften befanden sich in Höhe des Lukenrahmens, und er tastete blind mit den Füßen herum – auf der Suche nach einer Möglichkeit, vollends in das Einmann-Unterseeboot zu gelangen. Das Wasser schäumte, während es an den Innenwänden des Schachts hochstieg. Nur noch wenige Sekunden, und Pitts irrwitziger Versuch, das historische Relikt zu retten, wäre gescheitert.

Es gelang ihm schließlich, sich in den feuchten Rumpf des U-Boots hinabzuschlängeln. Als das ansteigende Wasser das Oberdeck überspülte und erste Tropfen in die Lukenöffnung sickerten, schloss Pitt die Luke. Mithilfe eines Flügelradmechanismus ließ sich die Luke wasserdicht in ihrem Rahmen fixieren. Wasser drang an einer Stelle ein, wo eine Korkdichtung verrottet war und sich aufgelöst hatte. Er ertastete die undichte Stelle und drehte so lange an der Flügelschraube, bis sich der innere Ring weit genug ausgedehnt hatte und den Lukenrand nahtlos umschloss.

Ihm wurde bewusst, dass seine Lunge nach seinem Rekordsprint, um die Turtle zu retten, in seiner Brust heftig arbeitete, und begriff schlagartig, dass Luft plötzlich zu einem außerordentlich wertvollen Gut geworden war. Er holte sein Mobiltelefon aus der Tasche und schaltete dessen Taschenlampe ein.

Im Innern des Tauchboots herrschte die Atmosphäre von H. G. Wells’ berühmter Zeitmaschine, wie sie auch in dem gleichnamigen Kinofilm erzeugt wird. Beherrscht wurde die enge Zelle von kunstvoll verzierten Mechanismen, Bedienungshebeln und Drehknöpfen, die aus Messing und Bronze gefertigt waren, sowie aus Zahnstangenmechaniken, so präzise ineinandergefügt wie die Elemente einer Schweizer Uhr. Sein Sitz war mit Leder bezogen, das jedoch unter der Last seines Körpergewichts gerissen und zerfallen war. Neben seinem linken Knie befand sich ein Hebel, mit dem sich die Pumpe zum Leeren der Bilge unter den Bodenbrettern betreiben ließ. In ihr schwappte Wasser, wie er deutlich hören konnte. Offensichtlich hatte Bushnell seinerzeit diese Vorrichtung für den Fall nachgerüstet, dass die Pedalmechanik versagte. Außerdem entdeckte er an der Innenwand neben sich eine Art Drahtkorb, in dem ein in Öltuch eingewickelter kantiger Gegenstand steckte, wahrscheinlich so etwas wie ein Logbuch, vermutete Pitt. Es sah aus, als befände es sich in einem besseren Zustand als der Ledersitz, aber Pitt hütete sich, es von seiner schützenden Hülle zu befreien.

Das wenige Licht, das durch die Lukenfenster hereindrang, wurde vollständig verschluckt, als sich die Senkgrube füllte und eine Schlammlawine die Baugrube überflutete.

Pitt versuchte, sich auszurechnen, wie lange es dauern würde, ihn zu retten. Der Wassermenge nach zu urteilen, die er über die Hafenmole hatte schäumen sehen, vermutete er, dass die mehrere Querstraßen lange Baustelle innerhalb von dreißig Minuten vollständig überflutet wäre. Bis dahin wären Polizei und Feuerwehr längst zur Stelle, desgleichen die Taucher, die Thomas Gwynn auf seine Anweisung hin angefordert hatte. Auf der Baustelle selbst stand ein Kran mit ausreichender Hubleistung zur Verfügung, und die Taucher hätten kein Problem, an der Turtle ein geeignetes Hubgeschirr anzubringen. Er kalkulierte allerhöchstens fünfundvierzig Minuten ein, nach denen er die Einstiegsluke wieder öffnen könnte. Im Gegensatz zu Ezra Lee, dem ursprünglichen Piloten, brauchte Pitt die Propellerkurbeln nicht zu bedienen, um die Turtle anzutreiben. Er könnte es sich in aller Ruhe in seinem dunklen kleinen Kokon gemütlich machen und darauf warten, ans Tageslicht gehievt zu werden.

Für Pitt in seiner momentanen Lage unsichtbar, vergrößerte sich die von dem Stahlelement geschaffene Lücke im Hafendamm stoßweise, da die schäumenden Wassermassen am Beton nagten und die Erdreichaufschüttung kontinuierlich auflösten. Im Grunde geschah nichts anderes, als dass die Baugrube sich füllte, allerdings mit zunehmendem Tempo. Gerade als Pitt sich entspannt zurücklehnte, um auf seine Retter zu warten, setzte innerhalb der Baugrube der Rückfluss der Wassermassen ein, brandete gegen die Innenseite der Vertiefung und riss breite Abschnitte Erdreich und Gestein mit sich, die in die Baugrube stürzten wie die Eisschollen eines kalbenden Gletschers. Allein das Gewicht des Erdwalls stützte die alte Hafenmole, die verhinderte, dass sich der Fluss ungebremst in die Baugrube ergoss, aber dann – als diese Barriere von der Wasserflut ausreichend aufgeweicht war, sodass sie auf ganzer Breite kapitulierte und ein fünfzehn Meter langes Teilstück der Betonmauer mitsamt der innen liegenden Aufschüttung gleichzeitig nachgab – wurde ein kritischer Punkt erreicht. Eine Springflut von Meerwasser drang in die Baugrube ein, fegte ihre Seitenwände weg, schleuderte Gischtwolken hoch in die Luft und drückte eine Wasserwalze drei Straßen weit mit genügend Wucht landeinwärts, um an den Bordsteinen geparkte Pkws vor sich herzuschieben und Fußgänger zu Fall zu bringen, die das Pech hatten, ihr im Weg zu sein.

Für Dirk Pitt war es, als befände er sich in einer Industriewaschmaschine, deren Schleudergang schlagartig gestartet war. Die enorme Brandung erzeugte innerhalb der Baugrube ständig neue Quer- und Gegenströmungen, und das kleine U-Boot wurde wie ein welkes Laubblatt im Rinnstein aus seinem jahrhundertealten Bett gesogen und mit allem anderen Treibgut mitgespült, das im Hafen von New York anzutreffen war.

***

Eisig kaltes Wasser aus der Bilge durchnässte Pitt bis auf die Haut, während er sich mit Armen und Beinen in dem engen Cockpit verkeilte, um zu vermeiden, gegen die scharfkantigen Bedienungshebel und sonstigen Apparaturen geschleudert zu werden, mit denen das kleine Unterseeboot angetrieben und gesteuert wurde. Sobald die anfänglichen Turbulenzen nachließen, richteten das Gewicht des Bilgenwassers und der als Ballast wirksame Kiel das Tauchboot auf. Pitt wusste, dass er aus der Senkgrube herausgerissen worden war, und spürte jetzt, wie die Rumpfunterseite der Turtle langsam über den steinigen Boden der Baugrube schrammte. Jede Chance auf eine schnelle Rettung hatte sich verflüchtigt. Der zusätzliche Druck des steigenden Wasserstands erhöhte die Menge des durch die brüchige Lukendichtung eindringenden Wassers über Pitts Kopf. Waren es zuerst nur vereinzelte Tropfen gewesen, die den Weg ins Innere der Turtle fanden, fiel nun ein regelrechter Platzregen.

Das Boot würde schnell volllaufen, aber Pitt war noch nicht bereit, das Handtuch zu werfen.

Er legte die Hand um den Messinghebel der Bilgenpumpe und drückte probeweise dagegen. Der Hebel ließ sich ohne nennenswerten Widerstand bewegen. Was sich jedoch gar nicht bewegte, war der Blasebalg aus gummiertem Leinen, der den Unterdruck und damit die Saugwirkung erzeugte. Ebenso wie das Leder des Pilotensitzes hatte das uralte Material während des vergangenen Vierteljahrtausends seine Flexibilität eingebüßt und zerfiel nun beim leisesten Druck zu Staub.

In seiner knapp bemessenen Freizeit restaurierte Dirk Pitt klassische Automobile. Er war handwerklich begabt und kannte sich mit Maschinen und Motoren bestens aus, und als er die Pumpe im Licht seines Mobiltelefons inspizierte, erkannte er auf Anhieb, dass sie, um wieder ordnungsgemäß zu funktionieren, auf irgendeine Weise zuverlässig Luftdruck aufbauen und ablassen können müsste. Das Gewebe seiner Regenjacke war zu porös, um dem Wasserdruck außerhalb des Bootskörpers der Turtle standzuhalten, doch dann kam ihm die zündende Idee, was er in diesem Fall tun müsste.

Pitt klemmte das Telefon in den Drahtkorb an der Bootsinnenwand, sodass seine Lampe den Pumpmechanismus beleuchtete, und machte sich an die Arbeit.

Gewöhnlich hatte er stets ein Taschen-Multitool bei sich. Es gehörte nicht zu den Dingen, die von den Fluglinien in seinem Besitz geduldet wurden, wenn er eine ihrer Maschinen nutzen wollte, weshalb er Amtrak bevorzugte, sofern er nach New York oder Boston reisen musste und es nicht besonders eilig hatte. Er fischte die Messer-Zangen-Kombination aus der Hosentasche und streifte einen seiner Stiefel ab. Die Zange erlaubte ihm, den Spannring zu lockern, der die Reste des alten Blasebalgs an der Pumpe festhielt. Als Nächstes schnitt er den Schaft vom Fußteil seines Stiefels ab und streifte das, was übrig blieb – es war nicht mehr als ein offener Slipper –, wieder über den Fuß, und hatte nun eine Gummiröhre, die groß genug war, um über den Ansaugstutzen der kleinen Pumpe gezogen zu werden. Er verkürzte die Röhre mit dem Messer des Taschenwerkzeugs um einige Zentimeter, schob den unteren Rand über den Stutzen und zog mit der Zange den Spannring darüber. Dann drückte er den steifen Gummischaft unter den Metallzylinder der Pumpe. Auch diesen Spannring bugsierte er mithilfe der Zange an Ort und Stelle und hatte wieder eine luftdichte Verbindung.

Er bewegte den Pumpenhebel hin und her. Jedes Mal wurde der Stiefelschaft durch den Unterdruck zusammengezogen und gleich wieder aufgebläht. Nach wenigen Sekunden hatte Pitt genügend Druck in dem System erzeugt, sodass Wasser aus der Bilge aufgesogen und durch ein Rohr mit Einwegventil aus dem Boot hinausgeleitet wurde.

Da er sich nicht sicher war, ob die Leistung der Pumpe ausreichte, um eine größere Wassermenge aus dem Tauchboot hinauszubefördern, als durch das Leck über seinem Kopf eindrang, nahm sich Pitt die Zeit, um einen Teil seiner Windjacke in Streifen zu schneiden und diese dann mit dem Messer seines Werkzeugs in den Spalt zwischen Luke und Innenring zu stopfen. Der Stoff sog sich augenblicklich voll, und Wasser tropfte weiterhin herab, allerdings höchstens ein Zehntel dessen, was zuvor in die Turtle eingedrungen war. Pitt konzentrierte sich wieder auf die Bedienung der Bilgenpumpe, als das Geräusch, mit dem die Turtle über den Grund der Baugrube rutschte, abrupt verstummte und das Tauchboot heftig durchgeschüttelt wurde. Pitt machte sich auf alles gefasst. Er wusste sofort, dass die Strömung das antike Vehikel aus der Baugrube hinaus und in den Hauptkanal des East River geschwemmt hatte. Er hatte keine Ahnung, wie tief der Fluss war oder bis zu welcher Tiefe das antike Boot dem Wasserdruck standhalten mochte, und er hatte auch nicht die Absicht, sich im Zuge eines Praxistests über beides Klarheit zu verschaffen.

Er betätigte die Pumpe wie besessen, wobei er sich bemühte, nicht darüber nachzudenken, ob die Turtle mit der dicken Teerschicht, die ihren Rumpf bedeckte, überhaupt noch genügend Auftrieb hatte, um uneingeschränkt schwimmfähig zu sein. Immerhin konnte er deutlich spüren, wie das U-Boot von der Flussströmung ergriffen und mitgenommen wurde.

Vor und zurück schwenkte er den Pumpenhebel, und jede Bewegung verringerte die Wassermenge, die den Boden der Turtle bedeckte, um einen kleinen Schluck. Zehn ganze Minuten lang, wobei er mehrmals die Hand wechselte, sobald sein Arm steif wurde, saugte er die Bilge nahezu vollständig leer und wurde mit einem schwachen Lichtschein belohnt, der durch die saubersten der Bullaugen im Kommandoturm hereindrang. Pitt konnte nicht erkennen, ob das U-Boot die Wasseroberfläche durchbrochen hatte oder nicht. Selbst wenn er die Lampe seines Mobiltelefons löschte, konnte er sich kein genaueres Bild von seiner Lage machen. Die Bullaugenscheibe vor ihm war noch immer schmutzig, und die Sonne blieb hinter Regenwolken versteckt, aber der Erfolg seiner bisherigen Bemühungen machte ihn fast euphorisch.

Er knipste die Taschenlampe wieder an.

»Okay, mal sehen, wie der Stand der Dinge ist«, murmelte Pitt und streckte die Hand nach einer der Schraubsicherungen an einem der beiden identischen Schnorchelrohre aus. Nur mit dem Einsatz seiner Finger erreichte er nicht viel, daher attackierte er die Flügelschraube mit der Zange. Aber obwohl er die Schraubsperre überwunden hatte, blieb der Messingstopfen unverrückbar in seiner Öffnung. Pitt befand sich in einer ungünstigen Position, um seine ganze Kraft einsetzen zu können, und das Metall wehrte sich bei jeder Drehung. Auch wenn Pitt noch keine akute Erstickungsgefahr drohte, nahm der Sauerstoffgehalt der Luft doch merklich ab.

Wasser spritzte aus dem Rohr. Pitt wartete einen Moment und musste feststellen, dass es nicht nur ein Wasserrest war, sondern dass sich die Schnorchelöffnung noch immer unterhalb der Wasseroberfläche befand. Er drückte den Messingstopfen mit einer Umdrehung der Flügelschraube wieder in seine Öffnung. Kein Zweifel, er befand sich nach wie vor unter Wasser. Aber der Helligkeit über seinem Kopf nach zu urteilen war die Wasseroberfläche verlockend nah.

Er warf einen Blick auf das orangefarbene Zifferblatt der Doxa-Taucheruhr, die seit Jahrzehnten ihren festen Platz an seinem linken Handgelenk hatte. Nur zwanzig Minuten waren verstrichen, seit er durchgestartet war, um die Turtle vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Rettungsteams waren mittlerweile sicherlich längst am Unglücksort eingetroffen, wobei er allerdings bezweifelte, dass Polizeitaucher genügend Zeit gehabt hatten, um zur Baustelle zu gelangen, geschweige denn ihre Taucheranzüge und Atemgeräte anzulegen. Pitt schätzte, dass er im U-Boot noch immer ausreichend Atemluft hatte, um durchzuhalten, bis die Taucher die alte Senkgrube erreichten. Sein Problem ergab sich aus der Tatsache, dass er nicht mehr dort war, wo sie erwarteten, ihn anzutreffen, und er bezweifelte, dass überhaupt jemand gesehen hatte, wie das Unterseeboot aus der Baustelle und in den Fluss geschwemmt worden war. Indem er sich das Tempo der Strömung vor dem Unfall ins Gedächtnis rief, vermutete Pitt, dass er sich eine Meile südlich von dem Punkt befand, wo sie ihn zu finden erwarteten. Wenn er es sich recht überlegte, war es durchaus möglich, dass er bereits bis in die Höhe von Roosevelt Island abgetrieben war.

Die Logik sagte ihm, dass er auf sein Spielerglück vertraut und verloren hatte – und dass er lieber zulassen sollte, dass die Turtle sich mit Wasser füllte und er sie schnellstens verlassen sollte, sodass sie mit ein wenig Glück aus dem Fluss geborgen werden könnte. Wenn er nämlich zu lange wartete, würde das kleine Boot weitertreiben, bis es Governors Island hinter sich ließ und für alle Zeiten im unteren Teil des Hafens – dort, wo er sich erheblich verbreiterte – verloren ginge.

Pitt gehörte jedoch nicht zu denen, die sich bereitwillig jeder Logik beugten. Jedenfalls so lange nicht, wie er noch zwischen verschiedenen Optionen wählen konnte. Der vertikale Propeller hatte sich seit zweihundertfünfzig Jahren nicht mehr gedreht, und seine Flügel waren mit verhärtetem Teer verkrustet, der ihre Hydrodynamik sicherlich nachhaltig beeinträchtigte, aber Pitt war mutig genug, sich ihm anzuvertrauen. Zuerst schaffte er es nicht, den Propeller überhaupt zu bewegen, und erst als er beide Hände um die geriffelte Holzkurbel legte und sich mit den Füßen gegen den Bootsrumpf stemmte, um genügend Halt zu haben, gelang ihm eine einzige mühsame Umdrehung. Er machte weiter, schaffte eine zweite Umdrehung, diese schon ein wenig leichter, und danach eine dritte und vierte, bis er den Propeller mit einer Hand antreiben und aus dem Verhalten der Mechanik entnehmen konnte, dass die schmalen Flügel das Boot tatsächlich durchs eisige Wasser zogen.

Er warf einen hoffnungsvollen Blick auf das eine Bullauge, das ein wenig Licht hereinließ, konnte jedoch nicht erkennen, ob seine Bemühungen die Turtle näher an die Wasseroberfläche herangeführt hatten. Die Glasscheibe war einfach zu stark verschmutzt. Was er jedoch mit Sicherheit wusste, war, dass er seinen Luftvorrat weiter verringert hatte. Nun musste er schon viel tiefere Atemzüge machen, um zu spüren, dass sein Körper ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde. Er löste eine komplizierte Kopfrechenaufgabe, um sicherzugehen, dass er nicht unter einer beginnenden Kohlendioxidvergiftung litt, die den Verlust seiner Wahrnehmungsfähigkeit zur Folge hätte. Ein schneller Blick auf seine Uhr informierte ihn, dass nunmehr dreißig Minuten vergangen waren, seit er sich in dem Tauchboot eingeschlossen hatte, und die zulässige Tauchzeit rapide zu Ende ging.

Ein letztes Mal war ihm jedoch das Spielerglück hold, als er abermals das Schnorchelrohr öffnete. Feuchte, eisige Luft drang durch die zweieinhalb Zentimeter große Öffnung ein, und Pitt sog sie tief in seine Lunge. Er hatte es tatsächlich geschafft, mit der Turtle aufzutauchen. Aber kaum hatte er ein halbes Dutzend tiefer Atemzüge ausgeführt, als erneut Wasser aus dem Rohr strömte und ihn zwang, es mit dem Messingstopfen eilig wieder zu verschließen. Offenbar entwickelte sich trotz leerer Bilge nicht genügend Auftrieb, und so brauchte die Turtle den Antrieb des vertikalen Propellers, um sich an der Wasseroberfläche zu halten. Sobald es diese durchbrochen hatte, begann das Boot gleich wieder zu sinken.