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Der quirlige Bobtail Limey führt sein Herrchen beim Gassigehen zu einem makabren Schauspiel am Itzehoer Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus: Die dort zur Schau deponierte Leiche einer unbekannten und seltsam bekleideten alten Frau gibt Kriminalhauptkommissar Madsen und seinem Mitarbeiterteam der MoKo II allerhand zu lösende Rätsel auf. Und im Gutshaus der Verblichenen finden die Ermittler dann noch einen Toten. Erst allmählich gelingt es den findigen Beamten, die berühmte Nadel im Heuhaufen inmitten der dunklen Vergangenheit Nazi-Deutschlands zu finden, mit der überraschenderweise eine sensationelle Entdeckung von Kunst- und Wertsachenraub einhergeht. »Das Mahnmal kann seiner Aufgabe nur nachkommen, wenn es von vielen Menschen wahrgenommen wird. Darum freue ich mich sehr über seinen Einzug in die Unterhaltungsliteratur. Großartig!« (Michael Legband, Journalist und Autor)
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Seitenzahl: 276
Veröffentlichungsjahr: 2025
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ManfredEisner
Die Tote am Mahnmal
Mordkommission Itzehoe:
Sören Madsens zweiter Fall
Roman
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2025
Das Foto auf der Titelseite verdankt der Autor seinem Freund und Ideengeber für diesen Roman, dem Journalisten und Autor Michael Legband, Kiel, der es sich nicht nehmen ließ, es gemeinsam mit seiner lieben Ehefrau Teresa Arnold-Legband selbst an ›seinem‹ Mahnmal zu gestalten. Für die freundliche fototechnische Bearbeitung ist dem Kameramann und Fotografen Jens Hinrichsen aus Kiel zu danken.
Die Fotocollage »Master of Crime« auf der Rückseite ist ein Geschenk des bekannten Brunsbütteler Künstlers Jens Rusch.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Angaben nach GPSR:
www.engelsdorfer-verlag.de
Engelsdorfer Verlag Inh. Tino Hemmann
Schongauerstraße 25, 04328 Leipzig
E-Mail: [email protected]
Copyright (2025) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt
»Wenn ihr eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, dann werdet ihr sie zum Weinen brauchen.«
[Jean Paul Sartre (1905–1980), französischer Philosoph und Publizist]
»Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf …«
[Erich Kästner (1899–1974), deutscher Schriftsteller und Publizist]
»Erinnerung kennt keinen Schlussstrich und Verantwortung deshalb auch nicht.«
[Frank Walter Steinmeier (* 1956), Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland]
(Quelle: https://zitatsuchmaschine.informatik.hu-berlin.de/topic/NSVerbrechen?order=relevance – Zugriff: 27.04.2025)
Zum Geleit: Das Mahnmal im Spiegel der Medien
Vorwort: »Und sie bewegt sich doch!«
Anmerkungen des Verfassers
Personenregister und deren Rollen
1. Finstere Retrospektive
Gudendorf, Dithmarschen, Juni 1936
Neulandhalle, ›Adolf-Hitler-Koog‹, Dithmarschen, August 1938
Rendsburg, »Reichskristallnacht«, 9. November 1938
Waffen-SS-Rekrutierungsstelle, Rendsburg, 15. Oktober 1939
Ruprecht Preuß in den Kriegsjahren 1940–1943
Massaker von Distomo – Mittelgriechenland, 10. Juni 1944
An der Ostfront, April 1945
2. Auftakt
Stadtmitte, Itzehoe
Trautes Heim in Bönningstedt, Kreis Pinneberg
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Malzmüllerwiesen, Itzehoe
3. Ermittlungstag 1
Lagebesprechung, Bezirkskriminalinspektion, Große Paaschburg, Itzehoe
UKSH-Rechtsmedizin, Haus U35, Arnold-Heller-Straße, Kiel
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Sören Madsens Heim, Bönningstedt
4. Ermittlungstag 2
Breitenburger Straße, Malzmüllerwiesen, Itzehoe
Herrengut Odderade, Dithmarschen
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Am Riesenwohld, Dithmarschen
5. Ermittlungstag 3, am Vormittag
Herrengut Odderade, Dithmarschen
6. Ermittlungstag 3, am Nachmittag
Pflegedienst WMT, Meldorf
Haus der Familie Kern, Marschweg 7, Lieth
Das ›Reichsbürger‹-Haus, Schulstraße in Heide
7. Ermittlungstag 4
Lagebesprechung, Bezirkskriminalinspektion, Itzehoe
Abteilung für Einsatz- und Ermittlungsunterstützung LKA-2, Polizeipräsidium Bruno-Georges-Platz 1, Hamburg
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
8. Ermittlungstag 5
Amt Albersdorf, Gebäude- und Liegenschaftsverwaltung
Hamburger Rathaus, Senatskanzlei
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Herrengut Odderade, Dithmarschen
9. Ermittlungstag 6
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Pressekonferenz, Bezirkskriminalinspektion, Itzehoe
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Herrengut Odderade, Dithmarschen
Im Dithmarscher Riesenwohld
Haus Schulstraße 47, Heide
10. Ermittlungstag 7
Westküstenklinikum, Brunsbüttel
Nord-Ostsee-Kanal, Schleusenhafen Brunsbüttel
MiniMarket Jäschke, Meldorf
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Kriminaltechnisches Institut, Landeskriminalamt Kiel
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
Hafenkneipe ›Ullas Pinte‹, Brunsbüttel
Autohaus Korsakow, Wedel
11. Ermittlungstag 8
Auf der B 5
Westküstenklinikum, Brunsbüttel
Nord-Ostsee-Kanal, Schleusenhafen Brunsbüttel
Bezirkskriminalinspektion Große Paaschburg, Itzehoe
12. Ermittlungstag 9
Außenstelle MoKo II, Holzkamp, Itzehoe
MiniMarket Jäschke, Meldorf
13. Dritter Advent
Sören Madsens Heim, Bönningstedt
Kulinarisches
Danksagung
Der Autor
Noten
… lautet ein Kapitel in meinem Buch »Das Mahnmal – 75 Jahre gegen das Vergessen«. In der Tat hat dieses von einem verfolgten und arg drangsalierten ungarischen Juden initiierte Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus eine bewegte wie bewegende Geschichte hinter sich. Dazu gehört auch unbedingt die Rolle der Medien.
Als das erste Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordeuropa am 8. September 1946 in Itzehoe eingeweiht wurde und viele tausend Menschen an der Feier teilnahmen, startete dieses ganz besondere Bauwerk seine mediale Karriere. Die Wochenschau »Welt im Film« berichtete. Viele zigtausend Zuschauer erfuhren so von der Existenz dieser kleinen Gedenkanlage in weiten Teilen Deutschlands. Es gab in den damaligen westlichen Besatzungszonen rund 2.000 Kinos, die stets eine Woche lang die jeweilige Wochenschau zeigten. Das vom später legendären Film- und Fernsehproduzenten Gyula Trebitsch (u. a. Des Teufels General, Die Bertinis, Geschwister Oppermann, Diese Drombuschs, Begründer Studio Hamburg) realisierte Bauwerk geriet nach einigen Jahren in Vergessenheit und wurde sogar von einem Verkehrsknotenpunkt entfernt und an den Stadtrand in einem Stadtpark versteckt. In den 1950er Jahren wollte die Mehrheit der Deutschen nichts mehr von der Nazizeit wissen. Keiner hatte damals etwas mitbekommen, keiner hatte mitgemacht. Als wenn alle jubelnden Hitlerfans und Millionen von Parteimitgliedern noch rasch vor dem 8. Mai 1945 an der Ostfront gefallen wären. Nun störte das Mahnmal und weckte die falschen Erinnerungen. Also ab ins Abseits.
Da half es auch nicht, dass ein ehemaliger Parteigänger der NSDAP diese kleine, lesbare und symbolhafte Anlage entworfen hatte. Baumeister Johann Friedrich ›Fritz‹ Höger war ein Architekt von Weltruf (u. a. das Weltkulturerbe Chilehaus, Hamburg), der sich von Hitler & Co. viel versprach und bitter enttäuscht wurde, weil der ›Führer‹ ihn weder zu seinem Bauminister machte noch bereit war, seine Architektur zu fördern. Hitler setzte auf Albert Speer, Marmor und den Neoklassizismus und nicht auf Högers Monumentalbauten aus Backstein im Stil der Gotik. Es kam also zu Brüchen und zur eindeutigen Opposition zu Hitlers Baupolitik. Höger blieb der NSDAP jedoch treu und es gibt eindeutige antisemitische Aussagen von ihm.
Trebitsch und andere überlebende Juden trafen sich mit Höger und entwickelten die Pläne für das Denkmal. Bei diesen Gesprächen berichteten die einen von den schrecklichen Erfahrungen in den Lagern und Höger selbst von den vielen Menschen, die 1933 voller Hoffnung in das Regime gewesen seien, jedoch später tief enttäuscht wurden. Trebitsch war der Überzeugung, dass Höger seine ehemalige Gesinnung geändert hatte. So sollte zum Beispiel die zum Mahnmal gehörende Rundbank von Leuten wie ihm (Höger) genutzt werden. Die sollten hier still und leise sitzen und über sich nachdenken, sich fragen, warum sie nicht die Kraft gefunden hatten, aufzustehen. »Für ihn war das Wiedergutmachung ganz persönlicher Art […] für Menschen, die unter seiner früheren Gesinnung gelitten hatten.« So bewertet Gyula Trebitsch das bauliche Engagement Högers in Sachen Mahnmal, dem er sich nach Meinung von namhaften Kunsthistorikern mit viel Feingefühl widmete.
Also ein verfolgter Jude, der mit Müh und Not dem KZ-Terror entkommen war, und ein in den Nationalsozialismus verstrickter Baumeister verwirklichen ein Mahnmal für die NS-Opfer. – Ein frühes Werk von Versöhnung, könnte man sagen.
Allein diese beiden Pole bieten Stoff für eine gute Geschichte. Das Verdrängen des Mahnmals samt dessen Chronik tut ein Übriges. Ein weiteres Kapitel ist der zähe Prozess, das Bauwerk wieder an den angestammten Platz, jenen Verkehrsknotenpunkt, zu versetzen. Es dauerte, bis Itzehoe seine Geschichte reparierte.
Und da sind wir wieder beim Medienstar Mahnmal. Nach dem großen ersten Aufschlag 1946 folgte nach der erst 1989 bekannt gewordenen Verdrängung weitere mediale Aufmerksamkeit in der regionalen wie überregionalen Presse. Neben der Norddeutschen Rundschau berichtete beispielsweise mehrfach die Tageszeitung DIE WELT. Die Frankfurter Rundschau sowie die Kieler Nachrichten widmeten sich dem Thema ebenso wie die Fernsehsender NDR, SAT1 und RTL, hinzu kamen die Hörfunker von RSH und NDR. Nach meinem ersten Buch zum Thema »Das Mahnmal – erbaut, verdrängt wiederentdeckt« folgte der gleichnamige Dokumentarfilm von Peter K. Herling und mir mit der entsprechenden Bewerbung in nahezu allen Fernsehzeitschriften. Die Feuilletons lobten unsere filmische Aufarbeitung des Themas. Der 45-Minüter lief zweimal im NDR und wurde in den USA ausgezeichnet. Die mediale Resonanz erreichte in den 1990er Jahren ihren absoluten Höhepunkt. Inzwischen ist das Internet mit seinen sogenannten Sozialen Medien hinzugekommen. Und bei Jubiläen und Auftritten von prominenten Zeitgenossinnen und -genossen wie Ministerin Karin Prien und Ministerpräsident Daniel Günther erhöht sich die Schlagzahl bei Presse, Funk und Fernsehen dann wieder und die Welt staunt erneut über diese Itzehoer Gedenkanlage, die ja ein frühes Zeichen jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945 ist.
»Mein Mahnmal muss wahrgenommen werden, sonst kann es nicht mahnen«, sagte mir Gyula Trebitsch bei unserem letzten Treffen, das zufällig in einer Autobahnraststätte zustande gekommen war. Ich bin mir sicher, dass das Titelbild des jüngsten Buches aus der Feder von Manfred Eisner dem großen, alten Mann des deutschen Films gefallen hätte. Mit dem Einzug in die Unterhaltungsliteratur können sich jene Menschen mit dem Nationalsozialismus und dem Umgang mit ihm nach 1945 befassen, die dies vielleicht bisher nicht ganz oben auf ihrer Agenda stehen hatten.
Als jemand, der sich seit Jahrzehnten mit dieser Gedenkanlage beschäftigt und der stolz ist, die Fackel von Gyula Trebitsch weitertragen zu dürfen, danke ich Manfred Eisner, der wundersam dem Holocaust entkommen ist, für dieses so ungemein berührende Buch. Meiner Frau und mir war es eine Ehre, daran bescheiden mitwirken zu können. Mit »Die Tote am Mahnmal« wurde eine neue Seite im medialen Leben des Mahnmals aufgeschlagen. Der Fiktion sei Dank! Wer weiß, vielleicht findet sich ein Produzent, der den Roman verfilmt.
Wie gesagt, es muss wahrgenommen werden …
Michael Legband (Journalist + Autor)
Es war an einem sonnigen Sommermittag, als meine Ehefrau und ich gemeinsam mit dem Anfang 2024 kennengelernten Kieler Autor und Journalist Michael Legband an einem Tisch im Brokdorfer Restaurant Elbblick saßen und uns sehr angeregt unterhielten. Er hatte am Jahresanfang sein hochinteressantes und umfassendes Werk über das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Itzehoe – das erste in Nordeuropa – in einer Lesung in Wilster vorgestellt. Gegenseitig konnten wir uns nun über unsere Schriftstellererzeugnisse – er als der echte Profi und ich als Hobbyautor – ergiebig austauschen.
Ich war nicht zuletzt vom Verfasser des umfangreichen und ausführlichen ›Denkmal für das Mahnmal‹ stark beeindruckt, sondern ebenso wegen seiner ausgesprochen empathischen Ausstrahlung, seines profunden Wissens sowie seiner journalistischen Erfahrung sehr angetan. Besonders aber berührte mich sein offenes Auftreten gegen das Vergessen unserer NS-Vergangenheit (und auch der leidigen rechtsextremistischen Gegenwart!) sowie sein ungebrochenes und mutiges Engagement für die Aufrechterhaltung unserer demokratischen Grundordnung.
Autor und Journalist Michael Legband beim Signieren seines Werks »Das Mahnmal – 75 Jahre gegen das Vergessen« mit dem Autor. Spiegelsaal des Rathauses in Wilster, am 18.01.2024. [Foto: Gabriele Knoop]Ich stand damals kurz vor der Veröffentlichung meiner Familienchronik sowie der Vollendung des Dezember-Ermittlungsbandes mit meiner Kieler LKA-Ersten Kriminalkommissarin Nili Masal und erwähnte ihm gegenüber damit die zwangsläufig letzte Episode dieser Serie. Auf meine an mich selbst gerichtete Frage, über was ich denn danach weiterhin schreiben solle, kam seine Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Wie wäre es mit einem Krimi über mein Itzehoer Mahnmal? Ich denke, dies ist gerade für Sie ein geeignetes Thema!«
Ich willigte spontan ein, hielt diesen doch sofort für einen genialen Einfall. Kurz danach wanderten meine kleinen grauen Zellen (ein beliebtes Zitat von Agatha Christies berühmtem Detektiv Hercule Poirot) auf der Suche nach dem geeigneten Leitmotiv, um ein zum Mahnmal passendes, spannendes Geschehen zu gestalten. Da lag – wie konnte es denn anders sein – die mit dem Monument einhergehende verbrecherische NS-Vergangenheit unmittelbar in greifbarer Nähe. Sie ist ebenso ein wesentlicher und unzertrennbarer Bestandteil meiner eigenen Vita. Als zuständige Ermittler durfte ich erneut auf das bewährte Team um den Itzehoer Kriminalhauptkommissar Sören Madsen zurückgreifen, das Sie vielleicht bereits in dem gemeinsam mit Jens Rusch verfassten Freimaurerkrimi »Das große Notzeichen« sowie meinen letzten drei Nili-Masal-Romanen kennenlernen konnten. Mit diesem Quartett effizienter Mordaufklärer möchte ich auch weiterhin meine zukünftigen Kriminalgeschichten gestalten.
Wie nun diese Geschichte abläuft, mögen Sie, meine verehrten Leserinnen und Leser, gern auf den folgenden Seiten dieses Buches erfahren. Sie leitet von unserer üblen NS-Vergangenheit in die gegenwärtige, leider erneut bedenkliche ideologische Lage der Politik im Lande. Allerdings, inmitten der Verfassung dieses Vorworts, platzte gestern überraschenderweise endlich jene Nachricht in die Öffentlichkeit, auf die wir alle aufrechten Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland so lange gehofft hatten:
»Der Verfassungsschutz stuft AfD als ›gesichert rechtsextremistisch‹ ein.«2
Unter dieser Überschrift werden in der Presse einige Kommentare von leitenden Angehörigen der Parteien Schleswig-Holsteins wiedergegeben. Besonders bedeutend hierunter scheint mir die Erklärung der schleswigholsteinischen SPD-Landesvorsitzenden Serpil Midyatli zu sein, die ich nachstehend zitiere:
»Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben unsere Demokratie genau deshalb wehrhaft gemacht. Damit Rattenfänger wie die alten Nazis damals und die neuen heute unser Land nicht noch einmal in den Abgrund stürzen.«
Ich bin über diese Wendung wieder hoffnungsvoller geworden, dass es endlich jenen die Augen öffnet, die nur aus Verdrossenheit oder aufgrund des ihnen vorgegaukelten Irrglaubens ihre wertvolle Stimme den rechten Verführern gaben und sie letztlich in der Realität aufwachen. Hieraus könnte in unserer Republik ein wahrhaftiger ›Politischer Frühling‹ entstehen, wenn denn auch unsere neu gewählte Bundesregierung und die demokratische Mitte im Bundestag angebrachte Konsequenzen daraus ziehen. Schon verzweifelten wir, die überzeugten Demokraten, an den düsteren Umfragewerten der letzten Wochen und der apparenten öffentlichen Nullreaktion der Verfassungsorgane. Nun haben sie aber erfreulicherweise agiert und bewiesen: Und sie bewegen sich doch!
In diesem Sinne schließe ich mich gern den Abspannworten eines Tagesthemen-Moderators an: »Bleiben Sie zuversichtlich!«3
Manfred Eisner, im Sommer 2025
Wie stets in allen vorangegangenen Kriminalromanen des Autors sind die hierin geschilderten Geschehnisse sowie sämtliche Namen von genannten Unternehmen, Akteuren und deren Positionen rein fiktiv und seiner Fantasie geschuldet. Eine etwaige Übereinstimmung mit real existierenden Firmen, Ämtern, Personen, deren Berufen, Dienstgraden sowie mit den aufgeführten Begebenheiten wäre rein zufällig. Darüber hinaus versichert der Autor, in seinen Werken keinen Gebrauch von irgendwelchen KI-generierten Texten gemacht zu haben. Zitate aus dem Web, der Presse oder der Literatur werden stets als solche mit deren Quellenhinweis und Zugriffsdatum gekennzeichnet.
Zur Schreibweise: Mit Verweis auf die gültigen Rechtschreibregeln der deutschen Sprache nutzt der Autor in seinem Text keine Gendersprache. Die gelegentliche Maskulin-Feminin-Doppelnennung bedeutet allerdings in seinem Verständnis keinesfalls eine Diskriminierung der LGBTQIA*-Community.
Von tiefem Stolz erfüllt kehrt der vierzehnjährige Ruprecht in seiner brandneuen HJ-Uniform an diesem milden Junisonntag vom feierlichen Appell auf den väterlichen Hof zurück. Gemeinsam mit der Schar bisheriger ›Pimpfe‹ seiner Altersgruppe war er bei einer feierlichen Zeremonie auf dem Marktplatz an der Hauptstraße der Ortschaft vom Deutschen Jungvolk in die Hitlerjugend übernommen worden. Nun sollten sie von dem bisher eher spielerischen Miteinander und den ideologisch nationalsozialistisch sowie rassisch gefärbten Kinderbüchern – aus denen sie bereits gelernt hatten, dass der Feind böse und ebenso wie die grimmig und hinterhältig aussehenden Juden eine Gefahr für die guten Deutschen ist – ein Teil des heldenhaft kämpfenden Volkes werden, oder wie es so plakativ hieß, ›Hart wie Kruppstahl, flink wie Windhunde und zäh wie Leder‹, sich mit Leib und Seele für Führer, Volk und Vaterland verdingen.
Der eher karge Hof von Bauer Klaus Preuß, den dieser mit seiner 75-jährigen Mutter, der Altbäuerin Rosa, seiner Ehefrau Gesine, Ruprechts älterem Bruder und Anerbe Dirk, Schwester Marthe sowie dem bereits in die Jahre gekommenen Ehepaar Hansen – Knecht und Magd – bewohnt und bewirtschaftet, wirft auf dem beschränkten 35 Hektar zählenden Ackerareal mit überwiegend Kohlanbau, einer Grünfläche zum Grasen und Heuen für das Futter seiner Tiere und etwas Getreide kaum Gewinn ab. Im kleineren Gemüsegarten hinter dem Haus werden Kartoffeln, Möhren, Erbsen, Bohnen und Rüben für den Eigenbedarf sowie den Marktverkauf in Marne gepflanzt.
Einige Apfel-, Quitten-, Birnen- und Pflaumenbäume sorgen für das begehrte Obst. Das bescheidene Hofgebäude ähnelt mit seinen reetgedeckten Rotsteinwänden und den hölzernen, in verblichener grüner und weißer Farbe gestrichenen Giebeln einem Barghus.4 Neben den vier Ochsen für das Ziehen von Erntekarren, Pflug und Egge stehen acht Milchkühe und drei Kälber in der Deel5 des Gebäudes. Hier legen auch zwei Dutzend Hühner ihre Eier und es tummelt sich eine kleine Gänseschar, die für die Weihnachtsbraten der wohlhabenderen Dorfbewohner gemästet werden. Im etwas entfernten Stall säugt eine Muttersau ihren Wurf von acht Frischlingen. Auf der Koppel grasen zwei Gäule, die vor den Pferdewagen gespannt werden, mit dem die Bäuerin zweimal wöchentlich ihre Erzeugnisse zum Markt bringt.
Flink springt Ruprecht von der Ladefläche des Opel Blitz der SA, der die frischgebackenen Hitlerjungen in ihre Häuser zurückbringt. Er winkt seinen Kameraden noch einmal zu und läuft dann in Richtung des Hofgebäudes. Er geht durch die Küchentür in das Haus und schlüpft erleichtert in die Holzpantinen, nachdem er sich seiner eigens für diesen Anlass von den Eltern geschenkten neuen Schuhen entledigt hat, denn deren hartes Leder hat bereits Blasen an seinen Fersen hinterlassen. Es ist ein Uhr nachmittags, niemand befindet sich in der geräumigen Wohnküche. Der große Suppentopf steht noch inmitten des großen Tisches, der Teller mit zwei dicken Scheiben Schwarzbrot an seinem angestammten Platz auf der Eckbank. Ruprecht taucht die Kelle in den lauen, zumeist flüssigen Suppenrest, in dem nur noch einzelne Kartoffel- und Gemüseteile nebst einsamen Schwartenstreifen schwimmen. Dabei erinnert er sich an den ›Gorch-Fock-Trick‹ beim Essenfassen, den ihm sein älterer Gebietsführer während eines Zeltlagers beigebracht hat. Mit einem Lächeln im Gesicht setzt er den Topfinhalt mit raschem Rühren in Bewegung: »Or’nlichen Schwung und dann die Kelle in den Gegenstrom halten, mien Jung!« So holt er tatsächlich die restlichen festen Bestandteile aus dem Sud heraus, die er danach mit einer weiteren Kelle der Flüssigkeit auf den Teller gibt. Die beiden Brotscheiben zerkleinert er in mundgerechte Happen und streut diese über die Suppe. Nach dem Essen wäscht er Teller und Löffel unter dem einzigen Wasserhahn im Hause ab und deponiert sie danach in dem Abtropfgestell neben der Spüle. Dann eilt er in die kleine Alkovenkammer neben der Döns der Eltern, die er mit dem älteren Bruder teilt, und zieht seine Uniform aus, die er daraufhin sorgfältig in die Kleidertruhe legt. In der Nebenkammer schlafen Oma Rosa und seine Schwester Marthe. In seiner rudimentären Arbeitskleidung und in Gummistiefeln geht er schließlich hinaus aufs Feld, um seinen Eltern und ihren Gehilfen bei deren Arbeit zur Hand zu gehen.
Kreisbauernführer Hans Brauer hält einen Vortrag über ›Die friedliche Erweiterung des deutschen Lebensraums‹ zum zweiten Gedenktag der Eindeichung des Koogs und preist die zweiundneunzig von ihm auserwählten (darunter auch sich selbst) nationalsozialistisch gesinnten Siedler auf deren Hofstellen, die somit eine frische ›Volksgemeinschaft im Kleinen‹ auf der neuen Erde im Deutschen Reich etabliert haben. Aus der auf der Bühne Spalier stehenden SA-Ehrengarde ragt der großgewachsene Standartenträger Ruprecht Preuß mit hellblonden Haaren und eiskalt blickenden blauen Augen – die Züge eines Ebenbildes des Ariers – besonders hervor. Zackig marschiert der das Horst-Wessel-Lied grölende Trupp hinter ihm nach dem Vortragsende von der Bühne herab, vorbei an den mit erhobenem Hitlergruß salutierenden Besucherreihen im Saal. Ruprecht Preuß zählt inzwischen zu den aktivsten Nationalsozialisten in der Region. Mit zwei seiner Kameraden fahren sie anschließend in Brauers gerade neu erworbenem geländegängigem Stoewer R180 Spezial zur Gaststätte ›Deutsches Haus‹ im benachbarten Kronprinzenkoog. Unter den vertrauten Gästen fallen ihnen drei unbekannte Gesichter auf, die sich an einem Ecktisch im hinteren Teil der Stube mit nach vorn gesenkten Köpfen leise unterhalten. Der Kleidung nach vermutlich Handwerker, die hier in der Gegend irgendeine Auftragsarbeit erledigen sollen. Man ist aber in dieser Region lieber unter sich und zumeist argwöhnisch gegenüber Fremden, von denen man ja nie genau weiß, woher sie kommen und was sie hier im Schilde führen. Stumm beobachtet das Fremdentrio die gerade Angekommenen, während diese von den übrigen Gästen erkannt und mit erhobener Rechter laut begrüßt werden, dann stecken sie wieder leise murmelnd die Köpfe zusammen. Die vier Männer setzen sich an ihren angestammten runden Tisch, in dessen Mitte eine kleine SA-Flagge steht. Nachdem der Wirt ihnen unaufgefordert vier Bierkrüge und je ein Glas mit Köm serviert hat, weist Scharführer Ruprecht mit einem Kopfnicken seinem Untergebenen an: »Werner, geh hin. Frag mal, wer die sind und was sie hier treiben!« Dann, an den Bauernführer gerichtet: »Ich rieche hier etwas Fischiges, ihr nicht auch? Prost, Kameraden, auf den schönen Tag!«, sagt er im Anschluss und trinkt einen großen Schluck.
Rottenführer Werner Eckes geht forsch auf die Fremden zu. »Heil Hitler, Volksgenossen! Was führt euch in unser schönes Koogenland?«
Erstaunt blicken die Männer den SA-Mann an, der ihnen da so plötzlich wie aus dem Nichts erscheint. Der Älteste der Gruppe, ein ergrauter Sechziger mit dicken Brillengläsern auf der Nase, in marinemäßiger Caban-Jacke und mit Elbsegler auf dem Kopf, mustert ihn mit betont ruhigem, neugierigem Blick. Dann antwortet er trocken auf Plattdüütsch: »Wen du dat akkerat weten wüllt, mien Jung, wir sünd vun de HAMPU Fabrik ut Hamborg un shalln uns um de Plaegedeenst vun joon Sielpump kümmern«6.
Werner ist verunsichert, versteht er als in Gera Geborener und Sohn des erst vor einigen Jahren aus Thüringen hinzugezogenen ärztlichen Ehepaars kaum ein Wort. Um sich nicht die Blöße zu geben, nickt er und zwingt sich ein verlegenes Lächeln auf: »Dann wünsche ich Ihnen gute Verrichtung!« Im selben Moment verschwindet das Lächeln aus seinem Gesicht. »Und nächstes Mal haben Sie mir den Deutschen Gruß ordnungsgemäß zu erwidern, verstanden? Heil Hitler!«
»Na denn, Kollegen, dann woll’n ma mal!«, lautet die lapidare Antwort des Älteren.
Lässig heben die Männer den rechten Arm, als wollten sie jemandem zuwinken, und nicken stumm.
Mit vor Wut errötetem Gesicht macht Werner auf den Hacken kehrt und geht zu seinen Kameraden zurück. »So viel ich aus deren Kauderwelsch ausmachen konnte, kommen sie von so einer Pumpenfabrik in Hamburg und müssen hier etwas reparieren«, berichtet er kurz und greift hastig zum Bierglas, um seine Verlegenheit zu überspielen.
»Das hat seine Richtigkeit, Ruprecht« bestätigt der Kreisbauernführer. »Die haben uns ein Aggregat zum Abpumpen von überschüssigem Wasser in den Sielen geliefert, das beim Arbeiten undicht geworden ist. Das sollen sie wohl nun in Ordnung bringen.«
»Mag sein, Hans«, sinniert Preuß, »aber so, wie ich die einschätze, sind das verkappte Hamburger Sozis, und diese Sippe ist mir nicht geheuer. Wir werden sie wohl im Auge behalten!« Er hebt sein Glas mit dem Kümmelschnaps, steht auf und verkündet mit lauter Stimme, sodass der ganze Saal auf ihn aufmerksam wird: »Auf die Gesundheit unseres verehrten Führers Adolf Hitler! Heil!«
Alle im Saal – mit Ausnahme der drei Hamburger in der Ecke, die so tun, als hätten sie es nicht gehört – erheben sich und rufen laut und inbrünstig: »Auf den Führer!«
»Na siehste!«, bemerkt Ruprecht mit einem Ellenbogenstoß in Werners Rippen. »Hab ich doch gesagt! Aber denen werden wir es heimzahlen!«
Am 28. August meldet die Heider Zeitung, dass ein Werkstattlaster Marke Büssing-NAG der Hamburger Pumpenfabrik HAMPU wegen Bremsversagens in einer nahegelegenen Kurve der Reichsstraße 5 von der Fahrbahn abgekommen sei und sich dann mehrfach überschlagen habe. Alle Insassen – drei Monteure auf der Rückfahrt von einer Dienstreise – seien dabei tot aufgefunden worden.
Nachdem die SA-Horde bereits in den frühen Abendstunden das Schaufenster des Juwelier- und Uhrmachergeschäfts Stefan Blausteins ›An der Schiffbrücke‹ mit gezielten Steinwürfen zerstört und die Auslagen ausgeraubt hat, bricht sie mit Gewalt die massive Ladentür auf, um sich Eingang zu verschaffen. SA-Sturmführer Ruprecht Preuß bildet die Spitze der Plünderer, die sich nun mit alldem die Taschen füllen, was sie mit ihren raffgierigen Händen ergattern können. Als dann alle anderen den Laden wieder fluchtartig verlassen haben, verweilt er im angrenzenden Raum, in dem sich die Werkstatt befindet. Hier sieht er sich behutsam um und klopft sorgfältig die hölzerne Wandtäfelung ab. Sein SA-Kamerad Willi Frohm, der bereits kurz nach der Machtübernahme Hitlers bei Blaustein seine Lehrlingsstelle gekündigt hat, »weil ich doch nicht länger für diesen Blutsauger tätig sein wollte«, hat ihm vor Jahren bei einer gemeinsamen Zechtour hier in Rendsburg im Suff anvertraut, dass »diese Judensau ein Geheimfach in der Wand seiner Werkstatt versteckt hat, in dem er besonders wertvolle Juwelen und Uhren aufbewahrt.« Danach hat Frohm seine Lehre als Kfz-Mechaniker angetreten.
Nachdem Ruprechts SA-Trupp bereits einige jüdische Geschäfte demoliert und deren Inhaber zu Opfern der Randale gemacht hatte, hat er seine Leute geschickt an dieses Ziel gelotst, von dem er sich besondere Beute erhofft. Nach längerem Tappen im Dunkeln entdeckt Preuß tatsächlich das in einer Holzwand gut getarnte Ladenfach und ist beim Anblick der glitzernden Diamanten, Edelsteine sowie einiger kleinerer Goldbarren mit Amtssiegel der Deutschen Reichsbank besonders erregt. Er legt alles wieder in die vielen kleinen Ledertäschchen zurück und stopft sich diese in seine Manteltaschen, bevor er sich mit den Trophäen seines Raubzuges davonmacht. Stefan Blaustein wird in den frühen Stunden des 10. November von zwei Gestapomännern in düsteren Ledermänteln zu Hause abgeholt und in das KZ Buchenwald deportiert. Im September 1942 verlegt man ihn ins KZ Sachsenhausen, wo er schließlich im Mai 1943 ermordet wird.
Während eines Kameradschaftsabends einige Zeit nach der sogenannten Kristallnacht trifft Preuß erneut auf Willi Frohm, der ihn mit seltsamem Ton ausfragt, ob er vielleicht bei der ›Aufräumung‹ von Blausteins Juwelierladen etwas gefunden habe. Natürlich verneint Preuß dies kategorisch und verbittet sich eine solche Unterstellung. Frohm, der inzwischen in einer Werkstatt in Meldorf tätig ist und dort vorwiegend Motorräder repariert, verunglückt kurz darauf tödlich während einer Probefahrt auf der Reichsstraße 5. Sinnigerweise platzt sein Vorderreifen in genau der Straßenkurve, in der vormals die drei Hamburger Monteure ihr Leben lassen mussten.
Markig präsentiert sich der inzwischen neunzehn Jahre alte und gerade zum SA-Obersturmführer avancierte Ruprecht Preuß zur Musterung und meldet sich als Freiwilliger zur Aufnahme in die Waffen-SS. Den erforderlichen ›großen Ariernachweis‹ legt er dem streng prüfenden Standartenführer vor. Hierfür hat seine Großmutter Rosa Preuß in mühsamer Kleinarbeit die Namen seiner Vorfahren zwecks Ausfüllen des amtlichen Vordrucks aus Familien- und Kirchenbüchern der Umgebung zusammengesucht, um anschließend die Ahnentafel vom Reichsbund der Standesbeamten Deutschlands e. V. mit den Namen und Geburts- bzw. Sterbedaten seiner zwölf Ururgroßeltern durch den Dorflehrer anfertigen zu lassen. Nicht auffällig sind die beiden darin aufgeführten Ahnen, deren im Dunkeln verbliebene Herkunft eher ›unarisch‹ gewesen sein muss, aber wer kann dies nach so langer Zeit überhaupt noch nachprüfen? Jedenfalls makellos verläuft für ihn die darauffolgende ›ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Tauglichkeit für den Dienst in der Waffen-SS‹ durch den Rendsburger Amtsarzt, SS-Rottenführer Dr. Wilfried Ostertag; sie fällt durchweg positiv für ihn aus. Er darf also seine Blutgruppe A mit sieben Millimeter großen deutschen Schriftzeichen auf der Innenseite des linken Oberarms eintätowieren lassen. Während einer kurzen Verweilzeit bei der provisorischen SS-Verfügungstruppe durchläuft er fast pannenlos die rigorose Ausbildung als Junker (Offiziersanwärter). Dank seiner bisher erworbenen Ertüchtigung und paramilitärischen Fähigkeiten gelingt es ihm, nach kurzer Zeit als SS-Unterscharführer eingestuft zu werden und wird nun zur SS-Polizei-Division überstellt.
Ein kurzer Einsatz seiner SS-Polizei-Abteilung nach der Kapitulation Frankreichs beschert ihm einen Aufenthalt in Paris, wo diese anfänglich die Gestapo bei der Entlarvung und Vernichtung von versteckten Widerstandskämpfern aktiv unterstützt. Seine Verdienste im Einsatz und sein eifrig-martialischer Auftritt beschleunigen Ruprechts steilen Dienstgradaufstieg. An sämtlichen Einsatzorten des Regiments zeichnet er sich durch Kühnheit, aber auch durch unnachgiebige Brutalität bei den Kämpfen seiner Gruppe im Osten aus. Kaum einer der von ihm genommenen Gefangenen entkommt dem gezielten Todesschuss. Während der berüchtigten Aktionen seiner SS-Polizeieinheit in Polen, Rumänien und Italien – nach dem Sturz Mussolinis und deren Überlaufen zu den Alliierten – macht Ruprecht Preuß es sich in der Folge seiner erstmaligen so einträglichen ›Kristallnachterfahrung‹ weiterhin zur Routine, gleichartig vielversprechende Objekte auszukundschaften und sich an ihnen zu bereichern. Sehr geschickt kaschiert er danach die Rückführung der geraubten Güter in die Heimat, die er zunächst in einem sicheren Versteck in der großen Deel des väterlichen Hofes aufbewahrt. Im Laufe der Kriegsjahre werden ihm das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern, der Ehrendegen des Reichsführers SS sowie der Totenkopfring der SS verliehen. Im Oktober 1943 werden die Reste seines Regiments im Rahmen der Umgliederung Teil der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division. Der inzwischen zum SS-Obersturmbannführer beförderte Preuß wird dem Regiment 7 der Division zugeteilt. Er wird somit Adjutant und militärischer Berater des Regimentskommandeurs. Im Mai 1944 erhalten sie den Befehl, eine Gebirgsjägerdivision im Golf von Korinth abzulösen.
Das SS-Panzer-Grenadier-Regiment 7 ist in der Region seit Mai 1944 zur Bekämpfung von Partisanen abkommandiert worden. Die Einheit war bei der Rückkehr von einer erfolglosen Verfolgung von Partisanen in einen Hinterhalt geraten und mit Maschinenpistolen und Gewehren beschossen worden; dabei wurden drei deutsche SS-Männer getötet, fünf weitere teils schwer verletzt. Einige Partisanen können fliehen und verstecken sich in den Dörfern der Region. Darauf befiehlt der Kommandeur als ›Sühneaktion‹ die Feuereröffnung auf das nahegelegene Distomo und den Angriff mit allen zur Verfügung stehenden Waffen. Ungefähr 1600 Einwohnern gelingt die Flucht, bevor die Dorfschaft erobert wird.
Unter der Führung von SS-Obersturmbannführer Preuß wird das Dorf eingenommen, von den verbliebenen Bewohnern mittels teilweise sadistischer Exzesse ›gesäubert‹ und anschließend niedergebrannt. Zeugen werden später vor einem Bonner Gericht berichten: »Es wurden zunächst zwölf gefangene Partisanen und anschließend die gesamte im Ort verbliebene Bevölkerung ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht umgebracht: Männer wie Kinder wurden wahllos erschossen […] oder mit Bajonetten aufgeschlitzt, Frauen vergewaltigt und niedergemetzelt. Die Häuser wurden systematisch durchsucht und anschließend niedergebrannt.« Insgesamt wurden 218 Menschen ermordet.«7
»Ogon’ raz, dva, tri, chetyre!«8
Kapitänleutnant Waldimir Konowalov verfolgt für einen Augenblick in hoffnungsvoller Erwartung die Surfwellen, die vier seiner soeben abgeschossenen Torpedos beim Verlassen der Schussrohre seines sowjetischen U-Bootes L-3 in den dunklen Ostseewogen hinterlassen. Dann klappt er die beiden Handgriffe des Periskops hoch, fährt es ein und befiehlt, auf Tauchstation zu gehen: »Tridtsat’ pyat’ metrov!« Er blickt kurz auf seine Armbanduhr: Es ist drei Minuten vor Mitternacht an diesem 16. April 1945. Kurz bevor die L-3 die angepeilten 35 Meter Tiefe erreicht, erschüttern die heftigen Wasserrollen von zwei gewaltigen Explosionen das U-Boot: Der erste Treffer verursacht einen Bruch des Kiels im Bereich des Vorschiffs der ›Goya‹, der zweite trifft sie mittschiffs. Die Mannschaft des U-Bootes bricht in jubelndes Gebrüll aus. Der Frachter sinkt innerhalb von nur sieben Minuten in der drei Grad Celsius kalten Ostsee. Die Besatzungen der Begleitschiffe suchen fieberhaft nach Überlebenden: 183 Schiffbrüchige können nach und nach aus dem eiskalten Wasser lebend geborgen werden, einige davon sterben nachträglich an Bord wegen Unterkühlung. Unbekannt bleibt hingegen die genaue Zahl der Opfer, die es nicht schaffen. Das mit geschätzten 7000 Passagieren (Flüchtlinge, verwundete Soldaten sowie 200 Angehörige des aus Westpreußen evakuierten Waffen-SS-Panzerregiments) beladene Frachtschiff einer norwegischen Reederei in Bergen war bereits im April 1940 von der deutschen Kriegsmarine beschlagnahmt worden und diente zunächst als Truppentransporter, bis es in den letzten Kriegsmonaten für die Evakuierung der deutschen Ostprovinzen eingesetzt wurde. Nachdem sie bei vier vorangegangenen Fahrten erfolgreich fast 20.000 Personen in den Westen gefahren hatte, wurde die ›Goya‹ in einer der größten Katastrophen der Seefahrt versenkt.9
Waffen-SS-Obersturmbannführer Ruprecht Preuß konnte sich am Vortag unter dem gewaltigen Bomben- und Granatenhagel mit den verbliebenen Kameraden seines Panzerregiments auf der Ostseeinsel Hela am Ausgang der Danziger Bucht gerade noch an Bord der ›Goya‹ retten. Im Zuge der Verteidigung von Hela war seine Kampfgruppe erheblich dezimiert worden. Zu seinem Glück wurden er und sein Adjutant mitsamt einigen schwerverwundeten Soldaten seines Regiments vor Swinemünde