Mörderische Hassliebe im Oktober - Manfred Eisner - E-Book

Mörderische Hassliebe im Oktober E-Book

Manfred Eisner

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Beschreibung

Nach der gelungenen Festnahme einer Bande von Pseudopolizei-Trickbetrügern fahnden die Kieler LKA-Sonderermittler um Nili Masal vereint mit Sören Madsens Itzehoer Mordkommission nach dem Mörder einer umstrittenen Fernsehmoderatorin in Oldenmoor. Hierzu scheinen zwei ähnlich geartete, ungelöste Cold Cases aus Hamburg und im Nordseewatt zu passen, wegen denen Kriminalhauptkommissar Motti Wunderlich vom LKA Hamburg hinzugezogen wird. Ein vierter Leichenfund auf einem Autobahnrastplatz bietet Nili und ihrem Team endlich entscheidende Hinweise auf die wahren Zusammenhänge, die sie schließlich zum Täter führen. Erneut vereint der Autor zwei üble Zeiterscheinungen in unserer Gesellschaft: hemmungslose Gewalt gegen Frauen sowie die infam-rücksichtslose Telefonabzocke von arglosen älteren Mitmenschen.- »Eine Themenwahl Eisners, die wieder einmal voller Brisanz steht …« (Ilke Rosenburg, Norddeutsche Rundschau, Wilstersche Zeitung, Glückstädter Fortuna)

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Manfred Eisner

MÖRDERISCHE HASSLIEBE IM OKTOBER

Roman

Nili Masal ermittelt (11)

Engelsdorfer Verlag Leipzig 2022

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Die Abbildung auf dem Titelumschlag ist ein Gemälde der Künstlerin Frau Jacqueline Ditt und wird mit freundlicher Genehmigung der Universal Arts Galerie Studio GmbH, München, www.universal-arts.de, wiedergegeben. Die einfallsreiche Collage auf dem Rückumschlag verdankt der Autor seinem verehrten Freund, dem Allroundkünstler Jens Rusch, Brunsbüttel. www.atelier-rusch.de

Copyright (2022) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de

»Ich war schon auf der Hut. Aber in so einer Situation, wenn man seine angebliche Enkelin schreien hört, da wird man verrückt. Ich habe an Händen und Füßen gezittert.«

(Hildegard Bachmann, Mainzer Karneval-Büttenrednerin.)

»›Me Too‹ waren nur zwei Worte. Zwei Worte, die die Welt wachgerüttelt haben.«

(Tarana Burke – gefunden auf:https://www.myzitate.de/me-too)

Inhalt

Vorwort

1. Menetekel

2. Am Tatort

3. Margrits Cold Case

4. Sonntag

5. Zeugenbefragung

6. Aus Nilis Tagebuch

7. Mottis Vita

8. Grausige Entdeckung

9. Kontraste

10. Jörg Groth

11. Fallanalysen

12. Durchbruch

13. Ende, Abspann!

Kulinarisches

Danksagung

Der Autor

Vorwort

Zeitzeichen – Enkeltricksler, Schockbetrüger und Me Too

Infame Enkeltricks, gefakte Schockmeldungen und hinterlistige Versuche, um ahnungslose Senioren gnadenlos abzuzocken, sind eine beliebte Masche von weltweit organisierten und operierenden Betrügerbanden und häufen sich tagtäglich in immer neu erdachten Varianten und alarmierender Anzahl. Gewissenlose Elemente trachten danach, sich auf diese abscheuliche (Un-) Art und Weise zu bereichern – vor allem auf Kosten älterer, alleinstehender Menschen. Aber es trifft nicht nur den arglosen deutschen Michel oder dessen naive Ehefrau, sondern macht auch nicht Halt vor prominenten Personen. Kein perverser Kniff und keine vorgetäuschte Lüge sind den ruchlosen Tätern zu schade (polizeiliche Sicherstellung wegen eines angeblich bevorstehenden Raubüberfalls, Unfall mit Todesfolge und Verhaftung sowie Krankenhausaufenthalt im Ausland oder sogar Entführung mit Geiselnahme eines engen Verwandten), um ihre anvisierten Opfer seelisch zu erschüttern und diese in dem dadurch geschaffenen psychischen Dämmerzustand zur Herausgabe von Geld und Wertsachen zu locken. Eigentümlicherweise lesen wir fast jeden Tag in der Presse von derartigen Fällen, obwohl sämtliche Medien davon berichten und sie ständig davor warnen. Man muss sich schon fragen, wie es trotz dieser weitverbreiteten Aufklärungsbemühungen immer wieder zu den bedauerlichen Erfolgsmeldungen für diese miesen Kreaturen kommen kann. Könnte es sein, dass das ehemalige ›gesunde Volksempfinden‹ durch den übermäßigen Konsum an Social Media (deren teils haarsträubende Latrinenparolen inzwischen derart viele unserer Mitbürger ›liken‹ und denen sie unüberlegt Glauben schenken) die Ratio der früher normal denkenden Menschen bereits derart vernebelt hat, dass wohlgemeinte Ratschläge von Polizei und Presse nicht mehr durchdringen beziehungsweise als unglaubwürdig empfunden werden? Traurige Tatsache ist, dass ein beträchtlicher Prozentsatz unserer Bevölkerung diesen trüben Informationsquellen mehr Glauben zu schenken scheint als der vermeintlichen und verunglimpften ›Lügenpresse‹! Was ›Impfgegner‹ und ›Querdenker‹ während der Covid-19-Pandemie alles in die Welt setzten, spricht Bände! Dennoch sei die Bemerkung erlaubt, dass sich bedauerlicherweise ein Teil der Boulevardpresse nicht darauf beschränkt, Nachrichten strikt als solche und unkommentiert zu melden, sondern diese nach Belieben mit der zum Teil tendenziösen Meinung des Verfassers und/oder des Redaktionsleiters färbt. Als junger Anfänger bei einer englischsprachigen Zeitung in Montevideo prägte mir damals mein Chefredakteur Mister Alan Gloyne die Maxime ein, dass im anständigen Journalismus die Äußerung von Meinungen des Verfassers schlicht in Leitartikel und Kommentare gehöre; Nachrichten hingegen sollten lediglich reell von Tatsachen berichten und davon verschont bleiben! Wer sich nicht daran hält und keinen gesunden Menschenverstand walten lässt, verfällt leicht ebensolchen Tendenzen.

Hand aufs Herz: Hätten damals in meiner Jugendzeit die heute bestehenden Tabus in Bezug auf Correctness im Umgang mit weiblichen Wesen bereits gegolten, hätte ich diese wohl eher vor dem Kadi als im Gymnasium oder später auf der Suche nach einem passenden Beruf verbringen müssen. Ja, ich gebe zu, als heranwachsende Jungs fanden wir es in meiner damaligen Heimat in Südamerika selbstverständlich und ganz natürlich, dass wir es in dem Bestreben, ein weibliches Wesen zu erobern, nicht an pfiffigen und blumigen Wortschöpfungen (man nennt sie dort Piropos, laut Wikipedia: »›Kompliment, Schmeichelei‹ – von altgriechisch ›Feuer und Blick‹ – im spanischsprachigen Raum ein anzügliches bis poetisches Kompliment an eine Frau.«) und gelegentlich auch an heute wohl arg verpönter Gestik mangeln ließen, um an unser begehrtes Ziel zu gelangen. Etwaige Gewaltanwendung wurde allerdings grundsätzlich verschmäht, denn so etwas gehörte sich nicht für einen gesitteten ›Caballero‹ – sprich Gentleman!

Allerdings – und auch dies muss ich aus heutiger Sicht verschämt gestehen – machte man da schon einen Unterschied zwischen der ›normalen‹ und der höhersituierten Gesellschaft: ›Anständige‹ junge Damen, also zum Beispiel jene, mit denen wir tagtäglich nebeneinander auf der Schulbank saßen, waren tabu und besonders zu respektieren, mussten sie doch unbedingt unberührt in die Ehe gehen – oder zumindest ›körperlich intakt‹ zur ›Primae Noctis‹ im Ehebett erscheinen. Ich erinnere mich an unsere Klassenbeste auf dem Gymnasium. Raquel, eine für ihre damaligen fünfzehn Jahre besonders ausgeprägte weibliche Erscheinung, hatte sich unsterblich für einen ›älteren‹ (er war gerade mal 22, was für uns bereits alt war!) Mann entflammt, der sie wohl im Rausch der Verliebtheit ihrer Jungfräulichkeit beraubt hatte. Die Schande und der Aufruhr waren dermaßen groß, dass die hochbegabte und allseits beliebte Schulfreundin noch vor dem Abitur unser Gymnasium verlassen musste, um eiligst zu heiraten. Erst viel später erfuhr ich von ihrem tragischen Schicksal. Wie es hieß, hatte ihr Gatte sie des Öfteren malträtiert und verließ sie schließlich nach einigen Jahren unglücklicher Ehe, woraufhin sie sich das Leben nahm.

Kein Zweifel: Es muss für jeden Menschen, egal welchen Geschlechts er, sie oder wo ›divers‹ auch immer zugehören mag, unmissverständlich klar sein, dass ein deutlich ausgesprochenes Nein in der Tat bedeutet, dass sein Gegenüber das nicht will! Dennoch – man gestatte mir bitte diese Bemerkung – wird heute diese sogenannte Correctness analog zu manch anderen neumodischen Seltsamkeiten von einigen selbst ernannten und aufgeblasenen Gesellschaftswauwaus bis in die Absurdität übertrieben und schlägt unglaubliche Blüten. Abgesehen von Promis und weniger bekannten Individuen, die von ihren Opfern angezeigt werden und zu Recht für solche Verfehlungen vor den Kadi kommen, berichten die Medien zunehmend von an den Haaren herbeigezogenen, sogenannten ›Me Too‹-Fällen, die eigentlich wenig oder keinerlei Signifikanz im eigentlichen Sinne von sexueller Belästigung aufweisen, jedoch nicht weniger sensationslustig aufgebläht werden (na ja, wenn schon ein dankendes oder sympathiebekundendes Tappen auf die Schulter einer Arbeitskollegin bereits als sexueller Übergriff gewertet wird …).

Jenen Subjekten, die ihre Bekanntschaften wahrscheinlich vorwiegend auf sterile Art im Internet oder in den Social Media akquirieren, sollte vielleicht klargemacht werden, dass es durchaus zwischenmenschliche Usancen gibt, die uns angeboren sind und die wir – die eher Andersfühlenden – uns nicht einfach wegreden lassen, zumal wir auch nicht in roboterähnliche Verhaltensmuster abgleiten möchten. Siegmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, fasste diese Wallung der Gefühle unter dem Sammelbegriff ›Libido‹. Für Uneingeweihte zitiere ich zur Erklärung erneut aus Wikipedia: »… den Selbsterhaltungstrieb … sexuelle Triebenergie, die sich im Phänomen des ›Drängens‹ beziehungsweise Begehrens sowie des Wunsches und der Lust äußern.« Ohne dass dies bitte irgendwie als Diskriminierung von homo- oder anderweitig sexuell orientierten Gruppen missverstanden wird, muss ich allerdings verdeutlichen, dass sich der hier zitierte Selbsterhaltungstrieb naturgemäß ausschließlich auf heterosexuelle Beziehungen erstreckt. Es wurde uns als selbstverständlich anerzogen – oder sollte es zumindest –, dass wir diese Triebe beherrschen und ihnen nicht unter allen Umständen freien Lauf lassen dürfen, sondern nur dann, wenn auch der dazu auserwählte Partner es ebenso empfindet und sein Einverständnis – in welcher Form auch immer – deutlich manifestiert. Der anno dazumal verbreitete Irrgedanke, »… dann muss ich dich eben zu deinem Glück zwingen«, ist unter keinen Umständen noch zulässig, führt dennoch auch gegenwärtig zu unerlaubten Übergriffen und in schroffen Situationen sogar zu überschäumenden Hassgefühlen, die das abgeblitzte Individuum zu Gewalttätigkeiten oder ultimativ zur Tötung des Subjekts seiner Begierde oder einer eher missverstandenen Liebe verleitet. Statistisch belegt ist, dass mindestens ein Viertel aller deutschen Frauen (die genaue Zahl der betroffenen männlichen oder diversen Bundespersonen ist leider zahlenmäßig nicht erfasst) irgendwann oder leider auch öfter Opfer sexueller Gewalt werden. Angeblich sind diese unentschuldbaren Entgleisungen zurzeit ebenso pandemiegeschuldet. Nicht zuletzt wird hierbei jedoch der Frust des Täters wegen des angeblichen Machtverlusts über das Opfer als drastisches Motiv für den ultimativ kriminellen Akt herangezogen.

Deswegen habe ich den ambiguen Begriff der ›Hassliebe‹ für den Titel des elften Kriminalromans aus meiner Nili-Masal-Serie und als dessen bitteres Leitmotiv gewählt. Dennoch sind – wie stets in den vorangegangenen zehn Ermittlungsfolgen – auch die hierin vorkommenden Geschehnisse sowie sämtliche Namen der Akteure und ihre Positionen rein fiktiv und meiner Fantasie geschuldet. Eine etwaige Übereinstimmung mit real existierenden Personen, deren Berufen, Dienstgraden sowie mit den geschilderten Begebenheiten wäre rein zufällig.

Manfred Eisner, im Herbst 2022

1. Menetekel

Die erste Oktoberwoche präsentiert sich typisch norddeutsch: wechselhaft und häufig kühl. Starke westliche Winde lassen die mittäglichen neun Grad Celsius um einiges kühler erscheinen und treiben fast pausenlos graue Wolkentürme vor sich her, aus denen es gelegentlich hier und da kurz, aber heftig herabschauert.

»Manolo, für dich!« Im Arbeitszimmer der Cold-Case-Sonderermittlungsabteilung des LKA im Kieler Polizeizentrum Eichhof übergibt Oberkommissarin Margrit Förster den Hörer an Inspector Manuel Iturri. Der Kollege stammt aus dem spanischen Baskenland und ist seit einem Monat Europol-Austauschmitglied des Teams.

»Hola, wer ist denn da, mit wem spreche ich?«, fragt der in legerer Kleidung daherkommende schlanke und hochgewachsene, braun gebrannte Enddreißiger. Sein Deutsch ist leicht mit dem Hauch eines Akzents gefärbt. »Moin, moin, lieber Vetter, hier spricht Teske. Du, ich ruf dich an, weil ich gerade Unterricht habe und hier nicht wegkann. Mutti rief soeben an, sie bekam den Anruf eines angeblichen Polizisten, der bald vorbeikommen will, angeblich um ihre Wertsachen sicherzustellen. Das ist wohl einer der bösen Halunken, die in letzter Zeit …«

»Ich weiß, Cousinchen, mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich sofort darum! Tschau fürs Erste, melde mich wieder!« Manolo legt auf. Dann lässt er seinen Blick schweifen und ruft in den Büroraum: »Kollegen, meine Tante Mariechen in Itzehoe braucht dringend unsere Hilfe!« Er berichtet ihnen, was er soeben erfahren hat.

»Kein Problem, Manolo, ich informiere umgehend die Kollegen der Itzehoer Bezirkskriminalinspektion in der Großen Paaschburg. Schreiben Sie mir bitte Namen, Adresse und Telefonnummer Ihrer Tante auf, damit ich die Daten weitergeben kann.« Die Teamleiterin, Erste Kriminalhauptkommissarin Nili Masal, greift nun ihrerseits zum Hörer. »Hallo Dörte, hier ist Nili. Gut, dass ich dich erreiche!« Sie erklärt der befreundeten Beamtin die Sachlage und gibt anschließend die Daten weiter, die Manolo ihr inzwischen zugesteckt hat. »Okay, vielen Dank auch und liebe Grüße an Hauke. Wir hören dann von euch! Tschüss!«

An Manolo gerichtet fährt sie fort: »Am besten, Sie rufen sofort Ihre Tante Mariechen an. Sie soll auf keinen Fall etwas unternehmen! So bald wie möglich melden sich bei ihr die beiden Kriminaloberkommissare Dörte Westermann und Hauke Steffens, die sich ihr mit ihren Vornamen vorstellen. Ihnen darf sie vertrauen. Die Kollegen werden sie dann entsprechend instruieren, wie es weitergeht!«

Manolo nickt. »Muchas gracias, Señora Comisaria!« Er greift sogleich zu seinem Handy.

*

»What’s next, Nili?«, möchte Kriminaloberkommissar Robert Zander gern von seiner Vorgesetzten erfahren. Wenn gerade keine anderen Aufgaben auf die Sonderermittler entfallen, beschäftigen sich diese mit der Durchforstung von Cold Cases, also jenen ungelösten Fallakten, die mangels verwertbarer Spuren im Aktenkeller des LKA schlummern. Sie sollen diese erneut prüfen und feststellen, ob neue Indizien oder forensischer Fortschritt eine Neuaufnahme rechtfertigen.

Roberts gleichrangige Kollegin Margrit Förster meldet sich zu Wort: »Ich hätte da einen Vorschlag. Gestern Abend kam in den Lokalnachrichten eine Meldung über einen drastischen Fall von sexueller Belästigung an einer bekannten TV-Moderatorin, die von ihrem Redaktionschef mehrfach zunächst nur mit anzüglichen Worten, aber zuletzt gegen ihren Willen körperlich berührt wurde. Sie hat sich nun endlich einen Ruck gegeben und Anzeige erstattet.«

»Ja, wirklich ein krasser Me-Too-Fall!«, stimmt der Jüngste im Team, KK Timo Bohn, der Kollegin zu. »Meine Freundin Betina und ich haben zufällig Petra Fuhrmanns Nordspiegel-Abendbericht bei SH-TV gesehen. Da ging es um Irina Kuhlmann, die ihre Sendung ›Hassliebe‹ im Privatsender Femina TV moderiert. Im Interview hat sie ganz schön rabiat gegen ihren Boss, aber auch allgemein gegen Machos ausgeteilt. Ich habe euch schon mal die Website dieses Frauensenders aufgerufen, da könnt ihr alles sehen!«

Der inzwischen als beschlagener IT-Operator antrainierte Ermittler dreht den Bildschirm seines Rechners derart herum, dass die Kollegen einen Blick darauf werfen können. Über den zahlreichen Bildern von zwei Moderatorinnen, einigen Redakteurinnen, Bild- und Audiotechnikern sowie freien Mitarbeiterinnen, die mit ihren Beiträgen das Sendeprogramm bestreiten, sind an hervorgehobener Stelle das Foto und der Name eines Mannes zu sehen: Markus Dreyer, Geschäftsführender Redaktionsleiter, ein aus blauen Augen etwas arrogant blickender Twen mit üppigem lockigem Haar. Besagte Irina Kuhlmann erscheint als eine junge, schlanke und betont weiblich wirkende Frau mit makellosem Makeup.

»Dieser Typ hat in der Tat eine Visage wie ein Lackaffe! Aber was mich am meisten wundert«, sinniert Margrit, »ist, dass dieser Sender, der doch vorwiegend auf weibliche Themen ausgerichtet ist, von einem Mann als Redaktionschef geleitet wird. Man könnte doch annehmen, dass in dem Fall eher eine Frau zum Zug kommen müsste, nicht wahr?«

»Wer weiß, Margrit, vielleicht ist der Kerl eine männliche Alice Schwarzer!«, ulkt Robert und erntet einen eher lustig anmutenden, jedoch strafend gemeinten Blick seiner beiden Kolleginnen. »Na ja, tut mir leid, war nicht ernst gemeint!«, rechtfertigt er sich.

Nili greift ein: »Ist schon gut, Robert. Aber jetzt im Ernst: Auch mir scheint, dass es an der Zeit ist, solchen übergriffigen Typen ordentlich auf die Finger zu klopfen! Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es seit einiger Zeit sogar eine saftige Strafe für diese Art von …« Robert unterbricht und liest vor: »Paragraf 184i Strafgesetzbuch besagt, dass je nach Schwere der Tat demjenigen zwischen drei Monaten und fünf Jahren blühen, der eine andere Person in sexuell bestimmter Weise berührt und dadurch belästigt. Allerdings muss von der betroffenen Person selbst Anzeige erstattet werden, sonst könnte die Polizei nicht aktiv eingreifen. Das ist auch meines Wissens die Hauptursache, dass die meisten dieser Unholde ungeschoren davonkommen!«

Margrit bedauert: »Die meisten Frauen schämen sich oder befürchten Nachteile im Beruf, wenn die Tat von einem ihrer Vorgesetzten verübt wurde. Diese Kerle missbrauchen ihre Machtposition, um sich ihre Untergebenen gefügig zu machen!«

»Okay, Leute, Butter bei die Fische!«, bemerkt Nili. »Hat jemand in seinem Stapel Cold Cases etwa Fallakten, die in diese Richtung führen?«

Margrit hebt einen Ordner hoch. »Ich habe da etwas Krasses gefunden! Diese Sendung gestern ließ mir keine Ruhe und ich habe mich gleich heute Morgen auf die Suche gemacht. Der Fall ist zwar nicht unmittelbar als sexuelle Belästigung einzuordnen, beim weiteren Lesen habe ich jedoch den Eindruck gewonnen, dass es sich hier um eine sadistische Frauenmisshandlung gehandelt haben muss.«

Nili schaut auf die Uhr. Es ist kurz vor vier an diesem Freitagnachmittag. »Vorschlag, Kollegen: Wir machen für heute Feierabend. Timo scannt und überträgt noch schnell die von Margrit vorgeschlagene Akte auf unsere Notebooks, sodass wir sie uns übers Wochenende vornehmen können. Manolo, ich denke, Sie kommen zusammen mit Robert mit zu uns nach Oldenmoor. Auf dem Weg dorthin fahren wir sowieso über Itzehoe und Sie möchten doch sicherlich Ihrer Tante Mariechen ein wenig beistehen. Da wie üblich unsere Habiba beim Nachbarn in Roberts Zimmer nächtigt, können Sie gern wieder einmal im Onkel Suhls Haus schlafen. Unser Boss ist heute und morgen in Berlin bei der Innen ministerkonferenz und kommt erst spät am Sonnabend mit der Bahn nach. Wir nehmen seinen Variant, da haben wir drei es bequemer als in meinem Cross Polo. Ich rufe jetzt gleich meine Oma an, um sie vorzuwarnen. Also treffen wir uns, sagen wir, in einer Viertelstunde unten am Parkplatz, okay?« Nachdem Manolo und Robert ihre Zustimmung geäußert haben, wünscht Nili Margrit und Timo ein schönes Wochenende und fährt ihren Rechner herunter.«

*

Es ist kurz vor achtzehn Uhr, als Robert Zander den Motor des Variant in einer Parklücke in der Nähe des Einfamilienhauses von Manolos Tante im Meifortweg abstellt. Bevor sie aussteigen, ruft Manolo vorsichtshalber mit seinem iPhone an, um sich anzukündigen. Tante Mariechen berichtet, dass bereits zwei Beamte im Hause sind und sie auf das Erscheinen des Trickgauners warten.

Dann meldet sich Kriminaloberkommissar Hauke Steffens: »Hallo Kollegen! Wir haben hier alles im Griff! Dörte und ich denken allerdings, es wäre besser, wenn ihr nicht hereinkommt und auch nicht unbedingt vor dem Haus auf der Straße wartet, denn das könnte den Hochstapler misstrauisch machen, sofern er überhaupt kommt.«

»Nein, er hat nicht wieder angerufen«, bemerkt KOK Westermann auf Nilis Nachfrage hin.

»Niederbücken! Da kommen sie – sie sind zu zweit!«, warnt Manolo und wirft sich auf den Rücksitz.

Nili schmiegt sich an Roberts Brust und legt ihren Kopf an seine Schulter, woraufhin sie den seinen zu sich heranzieht, als wolle sie ihn liebkosen. Aus dieser Position beobachtet sie das verdächtige Duo. »Die haben wirklich Mut, diese Ganoven!«, murmelt sie. »Sie stehen just vor Tante Mariechens Tür und knöpfen ihre Windjacken auf, sodass der Aufdruck ›POLIZEI‹ auf ihren Pullovern zum Vorschein kommt.«

»Die kannst du dutzendweise als billige Restposten im Internet kaufen«, bemerkt Robert trocken. »Sie haben gerade geklingelt! Was machen wir jetzt?«

»Am besten erst mal abwarten!«, rät Nili. »Wenn sie dann im Haus sind, postieren Sie beide sich sicherheitshalber seitlich von der Haustür, aber so, dass man Sie von drinnen nicht sehen kann.«

Gerade in diesem Augenblick öffnet die alte Dame den Besuchern die Tür. Beide Figuren zeigen ihr so etwas wie einen Dienstausweis. Tante Mariechen nickt und tritt beiseite, um sie hereinzulassen. Nachdem sich die Haustür hinter den Betrügern geschlossen hat, steigen Robert und Manolo aus dem Wagen. Vorsichtig überqueren sie die Straße, schleichen sich an das Haus heran und nehmen ihre Stellung ein, während Nili auf den Fahrersitz des Variant hinüberklettert.

Nach etwa zehn Minuten vernehmen sie im Haus lautes Gepolter und Schreie. Dann fällt ein Schuss! Die Tür wird aufgerissen, der erste Gauner stürmt mit einer Pistole in der einen und einem prall gefüllten Beutel in der anderen Hand auf die Straße. Manolo greift geschickt nach dessen Hand und entwendet ihm die Waffe, dann verpasst er ihm einen harten Kantenschlag ins Genick, sodass der Mann auf der Stelle zusammenbricht. Als ihm der zweite Missetäter folgen will, wird dieser hinterrücks von Hauke überwältigt, der ihn durch einen Tritt in die Kniekehle zu Fall bringt, ihm anschließend die Arme auf den Rücken biegt und Handschellen anlegt. Während sich Manolo und Hauke um die Festgenommenen kümmern, eilen Robert und Nili ins Haus und finden Tante Mariechen vor, die sich stoisch um die angeschossene und, wie es aussieht, nur leicht verletzte Dörte kümmert und ihr mit einem Tischtuch einen improvisierten Druckverband am Oberarm anlegt.

»Ist nichts Schlimmes!«, versucht Dörte sie mit verzerrter Miene zu beschwichtigen. »Gott sei Dank nur ein Streifschuss, macht euch keine Sorgen!«

Mit lautem Martinshorngetöse nähern sich kurz darauf ein Streifenwagen und ein RTW, die Nili bereits alarmiert hatte. Während ein Sanitäter Dörtes Wunde desinfiziert und verbindet, werden die beiden Betrüger auf Haukes Anweisung hin von der Funkstreifenbesatzung zum Verhör in die Bezirkskriminalinspektion abgeführt. Nachdem Robert das Einschussloch mit einem Handyfoto dokumentiert hat, entfernen er und Manolo mit einem Küchenmesser und einer Pinzette vorsichtig das vom Täter abgeschossene Projektil aus der Wand.

»Kaliber 7,65, da hat Dörte aber wirklich Glück gehabt!«, bemerkt Robert und deponiert die Kugel in einem Asservatenbeutel, den er anschließend Hauke übergibt. Neben der Tatwaffe haben sie auch ein Handy sichergestellt.

Tante Mariechens aufgeregte Töchter Imke und Teske sind inzwischen eingetroffen und erfahren nun, was gerade geschehen ist. »Der Mann, der auf Dörte geschossen hat, ist laut dem bei ihm gefundenen Perso deutscher Staatsbürger: Peter Kowalski (29), wohnhaft in Duisburg. Der andere hatte keine gültigen Papiere bei sich, ist schätzungsweise Araber und sagt kein Wort«, berichtet Hauke, nachdem Ruhe eingekehrt ist und sie alle gemeinsam bei einem Tässchen Kaffee und selbst gebackenen Keksen in der geräumigen Wohnküche sitzen.

»Die werden schon reden«, meint Nili. »Ihr solltet sie wenigstens bis morgen in der Zelle schmoren lassen, ehe sie verhört werden. Und dann nehmt die beiden ordentlich in die Zange! Vielleicht ist das eine günstige Gelegenheit, um etwas über deren Hintermänner in Erfahrung zu bringen.«

Robert ergänzt: »Solltet ihr für das Verhör mit dem Araber eine Übersetzerin benötigen, kann ich euch meine Verlobte Habiba1 wärmstens empfehlen.«

Dörte sieht ihn mit großen Augen an. »Glückwunsch, Robert! Wir wussten gar nicht, dass ihr euch verlobt habt.«

»Auch von mir alles Gute!«, fügt Hauke hinzu. »Ja, wir wissen schon, dass Habiba eine gute Dolmetscherin ist, haben sie ja bereits einige Male in Anspruch genommen!«

Kurz darauf verabschieden sich die Beamten von der Tante und ihren Töchtern, nachdem sie nochmals ihre große Anerkennung für deren prompte und richtige Reaktion ausgesprochen haben. Tante Mariechen solle bitte in den nächsten Tagen in der Großen Paaschburg erscheinen, damit ihre Aussage ordentlich protokolliert werde.

»Ist ja trotz der Schießerei Gott sei Dank alles gut gegangen!«, meint Teske, die sie zur Tür begleitet.

*

Eine halbe Stunde später erreicht das Kieler Trio die Theodor-Heuss-Straße in Oldenmoor und Nili parkt den Variant vor dem Onkel Suhls Haus, dem Wohnort ihrer Großmutter ›Abuelita‹, ihrer Mutter ›Ima Lissy‹ und Roberts Verlobter Habiba. Auch Nili hat hier noch immer ihr eigenes Zimmer, in dem sie so oft wie möglich an den Wochenenden gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und Vorgesetzten, Kriminalrat Walter Mohr – von Freunden und Familie ›Waldi‹ genannt – logiert. Weil ihr Arbeitsplatz in Kiel ist, wohnt sie dort im Hause der Eltern ihrer Gymnasialfreundin Melanie Westphal zur Miete.

»Hola Abuelita, que bueno verte de nuevo!«2, ruft sie, während sie ihrer Omi, die gerade aus der Küche kommt, freudig entgegenläuft und sie liebevoll umarmt.

Auch Abuelita begrüßt sie auf Spanisch: »Bienvenida, mi querida Nili, yo tambien me alegro tanto, hijita!«3 Und auch ihr, liebe Freunde, wie immer herzlich willkommen in unserer Hütte!« Sie schenkt Robert und Manolo ein einladendes Lächeln.

In diesem Moment kommt Habiba die Treppe heruntergelaufen und fällt ihrem Robert in die Arme. Nach dem Begrüßungskuss drückt sie Manolo mit einem Lächeln die Hand und deutet hinauf zum Obergeschoss: »Ihr Zimmer steht für Sie bereit, Señor Inspector!« Inzwischen ist auch Ima Lissy herbeigeeilt, um ihre Lieben zu begrüßen. »Wo ist Waldi?«, fragt sie, als sie dessen Abwesenheit bemerkt.

»Der musste leider heute zusammen mit der Frau Innenministerin nach Berlin. Er soll dort morgen unseren obersten LKA-Boss bei der Ministerkonferenz vertreten, weil dieser erkrankt ist. Er kommt am Abend mit der Bahn nach und ich werde ihn abholen. Übrigens, Abuelita, was gibt es heute Gutes zum Abendessen?«, fragt Nili neugierig. Sie weiß, ihre Oma hat immer ein besonderes Gericht parat, wenn sie am Wochenende erscheinen.

»Dazu wird nichts verraten, du Naseweis«, schäkert Abuelita! »Macht euch erst einmal frisch, und dann lasst euch überraschen!«

*

Voller Erwartung versammeln sie sich um den großen Tisch im Esszimmer. Abuelita bittet Habiba in die Küche, um die große, wohlduftende Backform hereinzutragen. »Darf ich Abuelitas neue Kreation vorstellen? Feta-Hackbraten im Wirsingmantel!«, verkündet sie feierlich, während sie das Gericht herumzeigt, sodass sie alle einen Blick darauf werfen können.

Robert entfährt ein begeistertes »Na, wenn der so schmeckt, wie er duftet …« und erntet einen missbilligenden Blick seiner Verlobten. »Als ob dir jemals etwas hier im Hause nicht gut geschmeckt hätte!«

Abuelita folgt ihr mit der unfehlbaren Tonschale in Händen, in der ihre legendäre und besonders scharfe Llajwa-Soße4 aufgetischt wird. Sie lächelt: »Ein wenig Chili ist bereits in der Füllung enthalten, aber hier kommt noch etwas dazu für alle, die mehr Kamum bevorzugen! Robert, darf ich Sie bitten, den Braten zu portionieren? Keine Angst, niemand kommt zu kurz! Ich habe noch einen zweiten im Rohr.«

*

Später, nachdem sie sich satt gegessen und die Küchenmeisterin für ihr gelungenes Gericht gelobt haben, sitzen sie gemütlich am Kamin im Salon und genießen dessen wohlige Wärme.

»Ein ausgesprochen hyggeliges Gefühl«, wie Abuelita in Anlehnung an ihren vormonatlichen Dänemarkaufenthalt5 bemerkt. Draußen hat sich eine dichte Nebeldecke über Oldenmoor gelegt, wohl weil der bisherige starke Wind plötzlich eingeschlafen ist. Selbstverständlich ist die gelungene Festnahme der ominösen Enkeltricksler das Thema des Abends.

»Prima, wie Ihre Tante reagiert hat!«, spricht Ima Lissy Manolo auf Spanisch an. Dann fährt sie auf Deutsch fort: »Und es freut mich besonders, dass man endlich mal zwei dieser Gauner in flagranti festnehmen konnte! Es ist tatsächlich schwer zu begreifen, dass trotz der ständig vorgetragenen Warnungen so viele Senioren diesen miesen Ganoven zum Opfer fallen.«

»Dennoch, das Ganze war ziemlich gewagt!«, gibt Manolo zu bedenken. »Diese Verbrecher werden immer dreister und die Kollegin Westermann hatte ein Riesenglück, dass der Schütze sie mit seinem Schuss um wenige Zentimeter verfehlt hat. Der Streifschuss traf sie zwischen Brust und Innenseite des Armes genau in Herzhöhe! Wenn Hauke Steffens sich nicht in letzter Sekunde auf den Kerl geworfen hätte, wäre sie jetzt vermutlich tot.«

Eine betretene Pause folgt, bis Abuelita sich räuspert und zu erzählen beginnt: »Heute steht wieder so etwas im Courier, Lissy. Da haben diese Spitzbuben es doch tatsächlich geschafft, einer älteren Frau weiszumachen, dass ihr Enkel, der zurzeit seinen Urlaub auf Mallorca verbringt, einen schweren Verkehrsunfall erlitten hat. Die Frau war derart schockiert, dass sie völlig arglos den Betrügern fast hunderttausend Euro in die Hand gedrückt hat! Erst einige Zeit später befielen sie Zweifel und sie rief ihren Enkel an, dem es natürlich bestens ging. Zu der Zeit waren die Typen bereits über alle Berge!«

Manolo nickt. »Das Hauptproblem ist, dass diese Anrufe fast ausschließlich von hinterlistigen und ausgebufften Callcentern in Tschechien, Polen, Ungarn oder der Türkei ausgehen und man dort nur selten an die Hintermänner herankommt!«

»Und hier vor Ort«, ergänzt Nili, »agieren lediglich deren Helfershelfer, die dann Geld und Wertsachen bei den arglosen Opfern abholen. Erst neulich konnte der Zoll einen solchen Transport an der bayerisch-tschechischen Grenze festsetzen und fast eine halbe Million Euro sowie Wertsachen sicherstellen. Klingt unglaublich, nicht wahr? Aber solche Erfolge sind leider eher Einzelfälle. Hoffen wir, dass unsere Itzehoer Kollegen bei den heute Festgenommenen erfolgreicher sind. Immerhin scheint einer davon Deutscher zu sein, vielleicht finden sie da eine weiterführende Spur!«

»Aber nicht nur alte Menschen werden als Opfer anvisiert«, erzählt Habiba. »Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass ein angeblicher Microsoft-Angestellter – meistens aus Asien – bei uns im Eulenhof anruft und uns in seinem Kauderwelsch-Englisch irgendeinen Humbug von wegen Virus in unserem PC anquatscht.«

»Oder ein Angestellter einer vermeintlichen Maklerfirma will wissen, ob du Immobilien besitzt. Dieser unerträgliche Telefonterror hat in der letzten Zeit ungemein zugenommen. Da hilft nur eins: konsequentes Auflegen!«, urteilt Ima Lissy.

»Aber Vorsicht!«, bemerkt Nili zum Abschluss. »Niemals mit einem entschiedenen Ja auf etwaige Fragen antworten! Es sind schon Fälle aktenkundig, in denen diese Angabe später verwendet wurde, um eine angebliche Zusage zu einem Kauf- oder Abovertrag zu faken!« Es ist kurz nach elf, als sich Habiba und Robert in das im Nebenhaus gemietete möblierte Zimmer zurückziehen. Sämtliche Lichter im Onkel Suhls Haus erlöschen nach und nach, als auch dessen Bewohner sich zur Nachtruhe begeben.

*

Die vollkommen in Schwarz gekleidete Figur steigt vom Fahrrad ab und lehnt es zwei Häuser vom Ziel entfernt im Dunkeln gegen die hochgewachsene Buchsbaumhecke. Dann sieht sie sich um und nickt zufrieden. Im Schatten, etwa in der Mitte zwischen den beiden hell leuchtenden Laternen, ist sie nur schwer auszumachen. Die Kleine Sankt-Annen-Gasse in diesem ein wenig abgelegenen Wohnviertel Oldenmoors ist zu dieser späten Nachtstunde menschenleer. Nur vereinzelt sind noch Fenster erleuchtet. Die Gestalt greift in ihre Umhängetasche und entnimmt ihr eine schwarze Sturmhaube, die sie sich rasch über den Kopf zieht. Nur ihre Augen sind jetzt noch durch die engen Schlitze sichtbar. Danach streift sie sich das Paar schwarze Gummihandschuhe über die Hände und zieht sie so weit hoch, dass sie die Unterarme bis fast zu den Ellbogen bedecken. An die Hecke gelehnt, verharrt sie einen Augenblick fast bewegungslos.

Nachdem sie sich versichert hat, dass niemand sie bemerkt hat, eilt sie hinüber zur Auffahrt ihres Zielhauses und huscht entlang der Buchsbaumhecke der Nachbarvilla bis zum Garagentor. Vorsichtig sieht sie sich um und bückt sich, um das grün gestrichene Tor mit zwei daruntergeschobenen, schmal zugespitzten Holzkeilen zu blockieren.

Als wenig später das Motorengeräusch eines herannahenden Autos zu hören ist, nimmt die Gestalt hinter einem ausladenden Lebensbaum in der Nähe des Garagentors eine gebückte Haltung ein. In ihrer Linken hält sie jetzt die Kleinkaliberpistole, vor deren Lauf ein Schalldämpfer geschraubt ist. Geduldig hält die Gestalt inne, bis der Wagen kurz vor der Garage anhält. Mit einem fiesen Lächeln quittiert sie die vergeblichen Bemühungen der Fahrerin, das Garagentor mittels Fernbedienung zu öffnen. Die untergeschobenen Keile zeigen die gewünschte Wirkung. Ahnungslos stellt das Opfer den Motor ab, löst den Sicherheitsgurt, öffnet die Wagentür und ist im Begriff auszusteigen. Drei rasch aufeinanderfolgende dumpfe Schüsse treffen die Frau am Rücken, woraufhin sie auf den Sitz zurückfällt und leblos über dem Lenkrad zusammensinkt. Einige Sekunden verharrt der Schütze in seinem Versteck, bis er sich versichert, dass sich weder die Frau noch die Nachbarschaft regt. Bis auf den starken Herbstwind, der die Blätter, die noch an den Bäumen hängen, ordentlich durcheinanderwirbelt, ist alles ebenso ruhig wie vorher. Die bizarre Erscheinung legt die Waffe und die Handschuhe in die Umhängetasche zurück und sammelt zwei von der Pistole ausgeworfene leere Patronen ein. Als sie die dritte in der Dunkelheit nicht findet, zuckt sie hilflos mit den Schultern. Nachdem sie sich behutsam dem Auto genähert hat, befestigt sie mit einer langen Nadel etwas auf dem Rücken der Leiche. Leise schließt sie die Fahrertür, geht zum Garagentor, bückt sich und zerrt die beiden Holzkeile darunter hervor. Schließlich schleicht sie sich zurück auf die Straße, ersetzt die Sturmhaube durch ein Basecap und besteigt das Fahrrad, um binnen weniger Augenblicke außer Sicht zu verschwinden. Der plötzlich einsetzende Regenschauer schwemmt die Blutspuren unterhalb der Fahrertür des Wagens fort.

1 Habibas Saga ist eine längere Geschichte. Wer mehr darüber erfahren möchte, greift zu ›Ehrenmord ist kein Aprilscherz‹ – Nili Masals 5. Ermittlungsband, ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen.

2 (Span.): »Hallo, Omi, wie gut, dich wiederzusehen!«

3 (Span.): »Willkommen, meine liebe Nili, ich freue mich auch so sehr, Töchterlein!« Nili-Masal-Fans wissen es bereits, den neu hinzugekommenen Leserinnen und Lesern sei es erklärt: Nili spricht, wenn zu zweit mit ihrer Ima Lissy, stets Iwrith. Unterhalten sich Abuelita Clarissa, Lissy und Nili in einer Dreierrunde, tun sie es gewohnheitsmäßig auf Spanisch. Der Grund dafür ist, dass Nilis Großeltern Heiko und Clarissa Keller mit ihren beiden Kindern Oliver und Lissy aus Nazideutschland fliehen mussten, weil Heiko als Nichtarier in Gefahr geriet. Sie fanden Asyl in Bolivien und kehrten erst nach dem Krieg in die Kleinstadt Oldenmoor in den Elbmarschen zurück. Nach dem Abitur zog es Lissy nach Israel in ein Kibutz am Fuße der Golanhöhen, wo ihre Tochter Nili geboren wurde. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jom-Kippur-Krieg 1973 zogen Lissy und die einjährige Nili zur Oma nach Oldenmoor.

4 Abuelitas Kochrezepte sind dafür bekannt, dass diese – ein Relikt ihres jahrelangen Bolivienaufenthaltes – stets betont schärfer ausfallen, als es in unserem Lande üblich ist. Ihre reichhaltige Chilidosierung bezeichnet sie sinnigerweise als ›Kamum‹. Wie in sämtlichen vorangegangenen Nili-Masal-Ermittlungsbänden üblich, finden die Leserinnen und Leser auch in diesem einen kulinarischen Anhang mit Rezepturen und Zubereitungsanweisungen der hierin gereichten Speisen.

5 Vgl. ›Kein Septemberurlaub in Ligurien – Nili Masal ermittelt (10), ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen.

2. Am Tatort

Sehr früh am nächsten Morgen, nachdem sich Nili und Manolo mit dem heißen, süßen schwarzen Tee mit Minze gestärkt haben, den Abuelitas Haushaltshilfe immer schon am Vorabend für Nili bereitstellt, wenn sie im Onkel Suhls Haus die Wochenenden verbringt, machen sie sich auf den Jogging-Parcours, den Nili für gewöhnlich mit ihrem Lebensgefährten Waldi Mohr absolviert. Der stärkere Wind der letzten Tage hat nachgelassen, aber die Luft ist nach wie vor feucht und kühl; ein dichter Nebel bedeckt nunmehr das Land und gibt kaum etwas von der Sicht frei.

Sie laufen auf dem Fahrradweg neben der Landesstraße entlang, die aus Oldenmoor hinaus- und nach etwa drei Kilometern an der Auffahrt zum Holstenhof vorbeiführt, der von ihrem Onkel Oliver Keller und seiner Familie bewirtschaftet wird. An jedem Sonntag um elf Uhr trifft sich hier traditionsgemäß die gesamte Familie zum ›Tante Maddes Frühmittags-Schmaus‹. Da heute erst Sonnabend ist, drehen sie kurz vor der Einfahrt um. Als sie etwa die halbe Strecke ihres Rückparcours absolviert haben, kommt ihnen ein weißer VW Golf entgegen und hält plötzlich an. Erst als sie sich dem Wagen nähern, erkennt Nili an dessen Fahrertür das Logo des Courier – das Lokalblatt Oldenmoors.

Der Fahrer steigt aus und geht auf sie zu. »Hallo, Nili, ich war mir sicher, ich würde euch hier beim Joggen treffen!« Er hält inne, als er den ihm fremden Mann bemerkt, der neben ihr steht.