Die Traumwandler - Josef Braml - E-Book

Die Traumwandler E-Book

Josef Braml

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Beschreibung

War Russlands Überfall auf die Ukraine nur der Anfang? Kommt bald der noch größere Krieg? Ein Krieg zwischen den beiden Supermächten unserer Zeit? Ein Krieg zwischen China und den USA? Ein Krieg, der sich an Taiwan entzündet? Wie können wir verhindern, dass die politischen Führungen dieser Welt als «Traumwandler» in den Dritten Weltkrieg schlittern, und sich die düsteren Voraussagen zu selbsterfüllenden Prophezeiungen entwickeln? Josef Braml und Mathew Burrows erinnern in diesem Buch daran, dass die Zukunft immer offen ist und entwickeln drei Szenarien, anhand derer sich die Welt in den nächsten Jahren entwickeln könnte: ein schlechtes (ein neuer Kalter Krieg mit massiven Wohlstandsverlusten gerade in den ärmsten Ländern), ein hässliches (der Dritte Weltkrieg) und ein erträgliches (eine reformierte Globalisierung 2.0 mit einer Rückkehr zu globaler Kooperation über alle bestehenden Gräben hinweg). Wer in politischen Szenarien denkt, der kann die Stellschrauben besser identifizieren, an denen gedreht werden muss, um ein erträgliches Ergebnis zu erzielen und die Katastrophe zu vermeiden. Denn eines ist auch klar: Wir können uns ein Abgleiten in eine Welt der Konfrontation und der militärischen Auseinandersetzung gar nicht leisten, nicht angesichts der immer noch bedrückenden Armut in der Welt und schon gar nicht angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel.

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Josef Braml • Mathew Burrows

DIE TRAUMWANDLER

Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern

C.H.Beck

ZUM BUCH

War Russlands Überfall auf die Ukraine nur der Anfang? Kommt bald der noch größere Krieg? Ein Krieg zwischen den beiden Supermächten unserer Zeit? Ein Krieg zwischen China und den USA? Ein Krieg, der sich an Taiwan entzündet? Wie können wir verhindern, dass die politischen Führungen dieser Welt als «Traumwandler» in den dritten Weltkrieg schlittern, und sich die düsteren Voraussagen zu selbsterfüllenden Prophezeiungen entwickeln?

Josef Braml und Mathew Burrows erinnern in diesem Buch daran, dass die Zukunft immer offen ist, und entwickeln drei Szenarien, anhand derer sich die Welt in den nächsten Jahren entwickeln könnte: ein schlechtes (ein neuer Kalter Krieg mit massiven Wohlstandsverlusten gerade in den ärmsten Ländern), ein hässliches (der Dritte Weltkrieg) und ein gutes (eine reformierte Globalisierung 2.0 mit einer Rückkehr zu globaler Kooperation über alle bestehenden Gräben hinweg). Wer in politischen Szenarien denkt, der kann die Stellschrauben besser identifizieren, an denen gedreht werden muss, um ein erträgliches Ergebnis zu erzielen und die Katastrophe zu vermeiden. Denn eines ist auch klar: Wir können uns ein Abgleiten in eine Welt der Konfrontation und der militärischen Auseinandersetzung gar nicht leisten, nicht angesichts der immer noch bedrückenden Armut in der Welt und schon gar nicht angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel.

ÜBER DIE AUTOREN

JOSEF BRAML ist ein bekannter USA-Experte und Direktor Europa der Trilateralen Kommission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog zwischen Amerika, Europa und Asien. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung in angewandter Forschung und Beratung weltweit führender Think Tanks. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: «Die transatlantische Illusion» (32022).

MATHEW BURROWS hat fast drei Jahrzehnte für das US-State-Department und die CIA gearbeitet. Zuletzt war er in einer führenden Position im National Intelligence Council (NIC) tätig und verantwortete vor seiner Pensionierung den Zukunftsreport, den jeder Präsident zu Beginn seiner Amtszeit auf den Tisch bekommt, «Global Trends 2030: Alternative Worlds». Er ist einer der herausragenden strategischen Denker der amerikanischen Intelligence Community. Gegenwärtig ist er Fellow am Stimson Center in Washington D.C.

INHALT

PROLOG

EINFÜHRUNG: DIE RISIKEN DES «TRAUMWANDELNS»

Die schlechten, hässlichen und guten Szenarien für unsere Zukunft

Eine seltene zweite Chance: Idealismus und Realismus

Nicht viel Großartigkeit nach der Greatest Generation

Kapitel 1: DAS SCHLECHTE SZENARIO – DIE NEUE BIPOLARITÄT IST BEREITS DA

Washingtons Neubewertung Chinas

Der Weg des Westens in den Kalten Krieg

Instrumenteller Multilateralismus

Amerikas Verbündete in der Zwickmühle

Washingtons oder Pekings Konsens?

Veränderte Bedrohungswahrnehmung

America First – Europe Second?

Die Ambivalenz des Globalen Südens

Chinas defensive Aggressivität

Eine gefährliche Welt der relativen Machtverschiebung

Zwei verwundete Riesen

Kapitel 2: DAS HÄSSLICHE SZENARIO – EIN DRITTER WELTKRIEG

Kriegstrommeln und Konfliktfallen

Europa: Vasall oder Partner?

Déjà-vu: Krieg und Frieden

Der Schwanz wedelt mit dem Hund

Ein Dritter Weltkrieg

Kapitel 3: DAS GUTE SZENARIO – KATALYSATOREN FÜR EINE KOOPERATION

Eine Chance für die Diplomatie

Zukünftige Generationen

Altern und Militarismus passen nicht zusammen

Neustart der Globalisierung 2.0

Gemeinsames Interesse: Die Bekämpfung des Klimawandels

Kapitel 4: WIE EIN DRITTER WELTKRIEG VERMIEDEN WERDEN KANN

Russlands Krieg gegen die Ukraine entschärfen

Kollektive Sicherheit ist notwendig

Der Umgang mit globalen Sicherheitsbedrohungen

Widersprüchliche Ziele erreichen

Eine stabile, wohlhabende und demokratische Ukraine wieder aufbauen

Dialog mit Russland

Den Klimawandel bekämpfen

Krieg ist schlecht für den Kampf gegen den Klimawandel

Globale Disparitäten verringern

Ein Bedrohungsmultiplikator

Ein Wettlauf nach unten?

Der Weg in eine kooperative Zukunft

Einen stärkeren Westen aufbauen

Einblicke in interdependente politische und ökonomische Ordnungen

Globaler Wettbewerb um ein besseres System

Kein «business as usual» mehr

Progressive Innen- und Außenpolitik

Die Weltwirtschaftsordnung stabilisieren

Die Lehren der Geschichte für die Überwindung der Blockade

Lösungen zur Vermeidung des Zusammenbruchs

Makroökonomische Ungleichgewichte verringern

Eine stärker multipolare Finanzordnung

Die Volkswirtschaften auf den «perfekten» Sturm vorbereiten

FAZIT: HOFFNUNG AUF KOOPERATION UND EIN FRIEDLICHES MITEINANDER

DANK

ANMERKUNGEN

Prolog

Einführung: Die Risiken des «Traumwandelns»

Kapitel 1: Das schlechte Szenario – Die neue Bipolarität ist bereits da

Kapitel 2: Das hässliche Szenario – Ein Dritter Weltkrieg

Kapitel 3: Das gute Szenario – Katalysatoren für eine Kooperation

Kapitel 4: Wie ein Dritter Weltkrieg vermieden werden kann

Fazit: Hoffnung auf Kooperation und ein friedliches Miteinander

Den Friedensstiftern dieser Welt

PROLOG

Sarajevo, 28. Juni 1914: Der serbische Nationalist Gavrilo Princip war einer von sechs Attentätern, die auf die Autokolonne mit Erzherzog Franz Ferdinand – dem Erben der österreichisch-ungarischen Monarchie – und seiner Frau Sophie angesetzt wurden. Die ersten Attentatsversuche scheiterten aus verschiedenen Gründen, aber Princip bekam erneut Gelegenheit, als der Fahrer des Erzherzogs vom Weg abkam und die Bremse betätigte. Als er versuchte, den Rückwärtsgang einzulegen, ging der Motor genau in der Nähe der Stelle aus, an der Princip stand. Princip trat an das Trittbrett des Fahrzeugs und erschoss den Habsburger Erben und seine Frau aus nächster Nähe. Der Rest ist Geschichte.

Eine Woche später versicherte der deutsche Kaiser Wilhelm II. Wien seiner bedingungslosen Unterstützung  – und erteilte damit defacto einen Blankoscheck. Am 23. Juli sandte der österreichisch-ungarische Kaiser Franz-Josef ein Ultimatum an Serbien, mit so harten Bedingungen, dass die meisten europäischen Regierungen befürchteten, Serbien könnte es nicht akzeptieren. Tatsächlich nahmen die Serben nicht alle Bedingungen an – sie weigerten sich etwa, österreichische Beobachter an den serbischen Ermittlungen über die Hintergründe des Attentats teilnehmen zu lassen. Aber Serbien akzeptierte die meisten österreichisch-ungarischen Forderungen. Als Kaiser Wilhelm die serbische Antwort erhielt, schrieb er eine Randnotiz: «Damit fällt jeder Kriegsgrund fort.»[1] Er versuchte sogar in letzter Sekunde zu intervenieren, aber der Zug hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Österreich-Ungarn erklärte Serbien am 28. Juli den Krieg. Wien hatte kein Interesse an weiteren Verhandlungen mit Belgrad, weil es die Krise als Vorwand nutzen wollte, um mit Serbien abzurechnen und sich als europäische Großmacht zu behaupten. Doch der Konflikt ließ sich nicht regional begrenzen. So töteten die Kugeln von Sarajevo Millionen von Menschen in einem Krieg, der später als Erster Weltkrieg bezeichnet wurde.

Der australische Historiker Christopher Clark stellte in seinem Bestseller Die Schlafwandler: Wie Europa 1914 in den Krieg zog[2] die These infrage, Deutschland habe den Krieg gewollt und planmäßig herbeigeführt, um seinen «Platz an der Sonne» zu sichern. Stattdessen beschrieb er, wie eine Spirale aus militärischen Zwängen, aggressiver Risikobereitschaft, falschen Erwartungen und Fehleinschätzungen außer Kontrolle geriet. In dieser Sichtweise war die Krise vom Juli 1914 eine «Tragödie».[3]

Um es ganz deutlich zu sagen: Auch wenn es keinen allein Schuldigen gibt und es in allen europäischen Hauptstädten eine Kriegspartei gab – wie Clark gezeigt hat –, trägt Deutschland immer noch eine besondere Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Berlin hatte die Mittel, um die Krise zu entschärfen, nutzte sie aber nicht. Im Gegenteil, indem es Wien signalisierte, dass das Deutsche Reich bedingungslos zu seinem Verbündeten stehen würde, lieferte Berlin das Feuerzeug, um die Lunte zu zünden.[4] Es handelte sich aber eher um «eine riskante Partie aus Furcht», wie Kurt Rietzler, ein enger Vertrauter des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, im März 1930 in einem Brief an den Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Theodor Wolff formulierte.[5] Anstatt direkt auf Krieg zu zielen, begann die Reichsleitung ein gefährliches Spiel: Mit dem, was sie für ein «kalkuliertes Risiko» hielt, versuchte sie, ihr politisches Ziel zu erreichen, das Bündnis zwischen Frankreich und Russland zu schwächen und die wahrgenommene «Einkreisung» Deutschlands durch die Triple Entente zu brechen.

Sie hatte sich jedoch verrechnet. Berlin erklärte Russland am 1. August und Frankreich am 3. August den Krieg. Die Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland und die britische Angst vor einer deutschen Vorherrschaft in Europa führten am 4. August zum Kriegseintritt Großbritanniens. Innerhalb eines Monats gingen «in ganz Europa die Lichter aus», obwohl die meisten Beteiligten erklärten, dass sie keinen Krieg wollten, und bereits den Zeitgenossen bewusst war, dass «wir sie zu unseren Lebzeiten nicht mehr angezündet sehen werden», wie der britische Außenminister Sir Edward Grey beklagte. George Kennan, Architekt der Containment-Politik während des Kalten Krieges, nannte den Ersten Weltkrieg die «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts», die nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt verheerende Schäden anrichtete.

Dass Clark sein Buch zum Gedenken an den 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs mit Die Schlafwandler betitelte, veranlasste einen Kritiker zu der Aussage, dass die Europäer keine Schlafwandler gewesen seien, sondern «Träumer, die sich nationalen Ruhm, Macht und Erlösung erhofften – Träume, die sie kaum verstehen konnten und die zu Albträumen werden würden».[6] Ob Schlafwandeln oder Traumwandeln, der Beginn des Krieges war die Folge einer Kette von Entscheidungen verschiedener Akteure, die keineswegs unvermeidlich waren. Deshalb sind, wie Clark zurecht mahnte, ähnliche Eskalationen auch in den heutigen Krisen denkbar. Die Geschichte mag sich nicht wiederholen, aber sie könnte sich reimen, sollten die rivalisierenden Weltmächte von heute in einen Krieg «hineinschlittern», wie es die europäischen Mächte 1914 taten, um den berühmten Ausdruck von David Lloyd George zu zitieren, der im Dezember 1916 mitten im Ersten Weltkrieg zum britischen Premierminister gewählt wurde.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion schienen die Rivalitäten der Weltmächte für immer beendet zu sein und manche Beobachter diagnostizierten sogar das «Ende der Geschichte». Die entstehende neue Weltordnung nach 1990 wurde als «Endpunkt der ideologischen Entwicklung der Menschheit und die Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie als finale Form der menschlichen Regierung» charakterisiert, wie es der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama bekanntlich formulierte.[7] Auch wenn selbst die idealistischsten Köpfe nach dem zweiten Einmarsch Russlands in die Ukraine seit Februar 2022 aus ihren postsowjetischen Tagträumen vom «Ende der Geschichte» erweckt wurden, könnte es sein, dass sie bereits «traumwandelnd» unterwegs sind in den nächsten Albtraum.

Im Februar 2023 sah UN-Generalsekretär António Guterres die Aussichten auf einen Frieden in der Ukraine schwinden, und warnte vor einem «größeren Krieg»: «Die Chancen auf eine weitere Eskalation und Blutvergießen wachsen», sagte er in einer Rede vor der UN-Generalversammlung. «Ich fürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen größeren Krieg. Ich fürchte, sie tut dies mit weit geöffneten Augen.»[8] Und Jim Stavridis, ein pensionierter Admiral der U.S. Navy und derzeitiger Dekan der Fletcher School of Law and Diplomacy an der Tufts University, warnt: «Sollten die USA und China in einen konventionellen Krieg schlafwandeln, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er zu einem nuklearen Schlagabtausch eskaliert, erheblich. Es ist unwahrscheinlich, dass zwei Großmächte, die sich im Kampf gegenüberstehen, den Einsatz taktischer Atomwaffen vermeiden, zumindest auf See. Sobald diese Schwelle überschritten ist, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einem viel umfassenderen nuklearen Konflikt. Denken Sie an 1914 und die einsatzbereiten Atomwaffen.»[9]

Wenn Karl Marx Recht damit hat, dass sich die Geschichte zuerst als Tragödie abspielt und als Farce wiederholt, dann tendieren wir dazu, nicht aus unseren Fehlern der Vergangenheit zu lernen und sind eher geneigt, sie in einer anderen Form zu wiederholen. Unser gegenwärtiger Entwicklungspfad ist nicht beruhigend und ähnelt der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Damals wie heute stolpert die Welt von Krise zu Krise: die Finanzkrise (2007/2008), der Kollaps Libyens und Syriens (seit 2010), die Atomkatastrophe in Fukushima (2011), Hurrikan Sandy (2012), der Lower Manhattan wochenlang im Dunkeln ließ, der Konflikt in der Ukraine und die Annexion der Krim durch Russland (seit 2014), der Aufstieg des sogenannten Islamischen Staates und die Ausrufung des Kalifats (2014), die Welle von Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Europa (seit 2015), Brexit (2016), Donald Trumps Sieg bei den US-Präsidentschaftswahlen (2016) und die Überschwemmungen in Deutschland, vor allem im Ahrtal (die Menge von zwei Monaten Regen innerhalb von nur zwei Tagen im Sommer 2021). Die meisten davon waren menschengemachte Katastrophen, von denen einige durch die Missachtung der Umwelt durch die Menschheit verstärkt wurden. Anstatt unser eigener schlimmster Feind zu sein, sollten wir uns verstärkt um visionäre und vorausschauende Strategien bemühen und diese auch umsetzen.

Wie viele Überraschungen und Schocks wollen wir uns noch zumuten? Ende 2022 stimmte in einer Think-Tank-Umfrage unter überwiegend in den USA ansässigen Experten eine überwältigende Mehrheit von über 70 Prozent folgender Aussage zu: «Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird China versuchen, Taiwan mit Gewalt zurückzuerobern.»[10] Kurze Zeit später, am 1. Februar 2023, schrieb der neue Kommandeur des US-Air Mobility, General Mike Minihan, in einem an die Medien durchgestochenen Memo: «Ich hoffe, ich liege falsch. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir 2025 kämpfen werden.» General Minihan erklärte seine Einschätzung wie folgt: «Xi hat sich seine dritte Amtszeit gesichert und seinen Kriegsrat im Oktober 2022 eingesetzt. Die Präsidentschaftswahlen in Taiwan finden 2024 statt und werden Xi einen Grund bieten. Die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten finden im Jahr 2024 statt und werden Xi ein abgelenktes Amerika bieten. Xis Team, die Begründung und die Möglichkeit sind im Jahr 2025 alle gleichzeitig vorhanden.»[11] Sollte es zu einem Gegenangriff der USA kommen, würde das Air Mobility Command eine entscheidende Rolle spielen.

Es herrscht eine fatalistische Stimmung innerhalb vieler westlicher Eliten, die Angst vor einem bevorstehenden Krieg mit China, als ob der Ukraine-Krieg signalisiert hätte, dass wir uns auf einen noch größeren manichäischen Konflikt vorbereiten müssen, über den wir keine Kontrolle haben. US-Präsident Joe Biden unterzeichnete am 9. August 2022 seinen CHIPS Act,[12] der den Export von High-End-Halbleitern oder Chips mit US-Inhalten nach China einschränkt, mit dem ausdrücklichen Ziel, Chinas technologischen Fortschritt zu begrenzen. Nur wenige der westlichen Medien haben die Bedeutung dieser Abmachung erkannt: «Stellen Sie sich vor, eine Supermacht erklärt einer Großmacht den Krieg und niemand bemerkt es. Joe Biden hat diesen Monat einen ausgewachsenen Wirtschaftskrieg gegen China begonnen – und die USA fast dazu verpflichtet, seinen Aufstieg zu stoppen – und im Großen und Ganzen haben die Amerikaner überhaupt nicht reagiert.»[13] Die Europäer, die sich eigentlich Sorgen machen sollten, und sei es nur wegen der Geschäftseinbußen, die dies für ihre Unternehmen mit sich bringen wird, scheinen dabei mitzumachen, ohne die umfassenden Konsequenzen zu verstehen.[14]

Wir hoffen, dass dieses Buch ein Weckruf sein wird. Wir haben eine kollektive Verantwortung für unser Schicksal, ein Schicksal, das wir für uns selbst und zukünftige Generationen positiv gestalten müssen. Wie das Beispiel des Ersten Weltkriegs zeigt, sind vergangene Generationen von Staatsoberhäuptern in einen Krieg gestolpert, ohne dessen tragische Auswirkungen zu verstehen. Die zehntägige Kubakrise von 1962 hätte eine dieser Gelegenheiten sein können. Präsident John F. Kennedy erhielt von keinem Geringeren als dem «Dekan» der US-Nachkriegsdiplomatie, Dean Acheson, den Rat, die sowjetischen Raketenstellungen auf kubanischem Boden zu bombardieren, was, wie Acheson später zugab, sehr wohl eine militärische Vergeltung Moskaus hätte auslösen können. Glücklicherweise hatte Kennedy Barbara Tuchmans Buch The Guns of August 1914 über den Ersten Weltkrieg gelesen,[15] das nur wenige Monate vor der Kubakrise veröffentlicht worden war. In seinen Memoiren Schwerter und Pflugscharen erinnerte sich General Maxwell Taylor daran, wie das Buch in seinen Gesprächen mit dem Präsidenten während der Krise aufkam:

«Als begeisterter Leser von Geschichtsbüchern war Kennedy sehr beeindruckt von Barbara Tuchmans Werk The Guns of August 1914, das er oft als Beweis dafür zitierte, dass Generäle dazu neigen, in einer Krise eine einzige Lösung parat zu haben und damit den politischen Entscheidungsträgern die Hände binden, indem sie ihnen die Wahl dazwischen lassen, nichts zu tun oder einen unflexiblen Kriegsplan zu akzeptieren. Als er Tuchmans Buch las, war es die Starrheit der Mobilisierungspläne sowohl vonseiten des Dreibunds als auch vonseiten der Triple Entente, die es den Diplomaten unmöglich machte, einen Weltkrieg im Jahr 1914 abzuwenden. […] Mitten in der Krise sagte er zu seinem Bruder Bobby: Ich werde keinen Kurs einschlagen, der es irgendjemandem erlaubt, ein vergleichbares Buch über diese Zeit zu schreiben [und es] The Missiles of October zu nennen.»[16]

Der amerikanische Co-Autor des Buches, das Sie gerade lesen, hat viele Jahre lang für die US-Geheimdienste gearbeitet, innerhalb derer der Schwerpunkt auf die Entwicklung von Szenarien gelegt wurde. Seine nicht geheimen Global Trends-Bände, die ausführliche Abschnitte über verschiedene Szenarien oder alternative Welten, die Wirklichkeit werden könnten, beinhalten, belegen diese szenariobasierte Perspektive. Unsere Zukunft ist nicht vorherbestimmt, und ein systematisches Nachdenken über plausible Szenarien könnte verhindern, dass wir – wie Kennedy beklagte – zu einer militärischen Lösung getrieben werden.[17]

Eine system- und szenariobasierte Politikberatung ermöglicht es uns außerdem, über den ausschließlichen Fokus auf gegenwärtige Bedürfnisse und Forderungen hinauszugehen und damit Platz für die Zukunftsplanung zu schaffen. Was wir anstreben sollten, ist ein politischer Prozess, der ein evidenzbasiertes Lernsystem für das langfristige Wohlergehen des Westens – und der restlichen Welt – darstellt. Strategischer Weitblick auf Grundlage von Systemdynamik und indikatorbasiertem Tracking und Tracing möglicher Zukünfte könnte eine Möglichkeit sein, uns für die Zukunft aufzustellen.

Wie unsere Vorgänger aus der Zeit des Ersten Weltkriegs könnten wir in einen großen Konflikt der Supermächte «traumwandeln» – einen Dritten Weltkrieg. Ein besseres, aber nicht ideales Szenario, ein ausgewachsener Kalter Krieg, lässt sich bereits beobachten. Allerdings können wir die zugrundeliegenden Triebkräfte, die uns in eine so negative Zukunft treiben, auch beeinflussen. Es gibt drei Schlüsselfaktoren, die hierfür bedeutsam sind: Inwiefern der Ukraine-Krieg gelöst oder ungelöst bleibt, wird die Weltordnung maßgeblich verändern. Ein gerechtes Friedensabkommen, das zu einer stabileren europäischen Ordnung führt, würde einen Präzedenzfall für die friedliche Beilegung von Differenzen zwischen den USA und China schaffen und die Entschärfung des neuen Kalten Krieges ermöglichen. Der zweite Faktor ist die derzeitige globale Konjunkturabschwächung, die den Nationalismus anheizt, der bereits vor der Pandemie einsetzte und den inneren Zusammenhalt in fast allen Industrie- und Entwicklungsländern beeinträchtigt hat. Wie schon in den europäischen Gesellschaften in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg werden die Gefühle des Umbruchs und des Verlustes, insbesondere in der heutigen westlichen Mittelschicht, schwer rückgängig zu machen sein, aber die Entkopplung von China und die Abschaffung der Globalisierung kann darauf nicht die Antwort sein. Schließlich sind wir drittens weit davon entfernt, den Klimawandel in den Griff zu bekommen, eine beispiellose Herausforderung, die die Existenz der am stärksten gefährdeten Länder und Arten bedroht. Ein besseres Verständnis jeder dieser Kräfte und dafür, auf welche Weise sie diese verschiedenen Szenarien herbeiführen können, ist der erste Schritt, um einen besseren Weg in die Zukunft zu ermöglichen.

Die meisten dieser großen Herausforderungen sind vertrackte Probleme – sie sind kurzfristig unlösbar und erfordern ständig ein kluges und weitsichtiges Management. Trotzdem sind unsere Entscheidungsprozesse bisher zu kurzsichtig, sie wurden für die Ära des alten Kalten Krieges konzipiert, in einer schwarz-weißen Welt, die keine Grautöne kannte und weit weniger komplex war. Leon Fuerth war der Stellvertretende Nationale Sicherheitsberater in der Regierung Bill Clintons und hatte persönliche Erfahrungen mit den neuartigen Herausforderungen für die Entscheidungsfindung im Weißen Haus. Bereits in den 1990er Jahren beobachtete er eine besorgniserregende Entwicklung: «Ich bemerkte dies zum ersten Mal in meiner Zeit im Weißen Haus, als mir klar wurde, dass Ereignisse, die ich als weiter entfernt und langsamer wahrgenommen hatte, tatsächlich aus der Reihe tanzten und viel schneller auf den höchsten Regierungsebenen diskutiert wurden, als ich berechnet hatte. […] Ich stellte die Theorie auf, dass etwas Systemisches stattfand […], dass die exponentielle Zunahme von Berechnungen und Netzwerken eine treibende Kraft war, die die beschleunigte soziale Entwicklung auf dem ganzen Planeten vorantreibt. Dass dies – im Grunde das Mooresche Gesetz – eine neue Sache war, mit der man sich auseinandersetzen musste, und dass es das Tempo des Wandels objektiv beschleunigt hatte und dass sich die Dinge meiner Beobachtung nach schneller zu bewegen begannen als unsere Reaktionszeit, was immer ein Risiko für eine Regierung ist, die auf Repräsentation, Beratung und Debatte angewiesen ist, ganz zu schweigen von Rechtsstreitigkeiten.»[18] Für Fuerth hätten 9/11, der Irak-Krieg, die Finanzkrise 2007/2008 und der Arabische Frühling vorhergesehen werden können, wenn «wir weit genug und schnell genug vorausgedacht hätten», was den US-Verantwortlichen eine bessere Chance gegeben hätte, mit ihnen umzugehen oder sie, im Falle des Irak-Kriegs, zu vermeiden.[19] Stattdessen stolperte Washington, wie die Europäer in den Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, allzu oft in Krisen, ohne eine ausreichende Vorlaufzeit, um besser mit ihnen umgehen zu können.

Die Geschichte ist voll von Staatsoberhäuptern und Gesellschaften, die die falsche Wahl getroffen haben. In früheren Zeitaltern konnte ihnen teilweise verziehen werden. Sie verfügten nicht über das heutige wissenschaftliche und erfahrungsbedingte Wissen über Kriege, Klimawandel, Krankheit, Revolution, soziale Solidarität und Frieden. Es ist fast ironisch, dass wir mit all diesem Wissen in die gleichen Fallen zu tappen scheinen wie unsere Vorfahren. Politiker im demokratischen Zeitalter werden entgegnen, dass sie von der öffentlichen Meinung eingeschränkt werden. Aber haben sie das angesammelte Wissen genutzt, um in der Öffentlichkeit für ansonsten unpopuläre Entscheidungen zu werben? Haben sie versucht, Möglichkeiten durchzuspielen? Einige von ihnen haben sich zweifellos Mühe gegeben, aber viele waren zu beschäftigt. Sie greifen lieber auf Vermutungen oder politische Ideologie zurück. Sie treffen nicht nur Entscheidungen, ohne deren Konsequenzen vollständig zu verstehen, sondern weigern sich auch, ihr Versagen anzuerkennen.

Dieses Buch ist ein Plädoyer dafür, die Art und Weise zu ändern, wie demokratische Regierungen ihre Entscheidungsprozesse organisieren und wie sie sich selbst und ihre Öffentlichkeiten weiterbilden. Es stellt das gegenwärtige «Traumwandeln» in Frage, beziehungsweise die Hoffnung, dass die Dinge gut ausgehen, exemplarisch verkörpert durch die Art, wie die westlichen Verantwortlichen insbesondere mit China umgehen. Für die Vereinigten Staaten, wie Kennedy so eloquent mahnte, ist die «militärische Option» allzu oft die naheliegendste. Die Vereinigten Staaten erleiden einen schweren Terroranschlag, also beginnen sie einen Krieg gegen den Terror, vor dessen Misserfolg viele Terrorismusexperten gewarnt hatten, ein Misserfolg, der kürzlich von der gesamten NATO mit ihrem demütigenden Abzug aus Afghanistan anerkannt wurde. Wie wir ausführlich erläutern werden, müssen sich die westlichen Staats- und Regierungschefs noch intensiver mit der Zeit der Globalisierung nach dem Kalten Krieg auseinandersetzen, die andere Gesellschaften großgezogen, das wirtschaftliche Gravitationszentrum nach Osten verlagert und Menschen mit anderen Werten bestärkt hat.

Vor mehr als fünf Jahrhunderten begann der Aufstieg des Westens, eine Zeit schrecklicher Brutalität und Gewalt für viele Menschen in den weniger entwickelten Teilen der Welt, während er mit dem Bekenntnis des Westens zur Rechtsstaatlichkeit, zur institutionellen und zivilgesellschaftlichen Entwicklung, zur wirtschaftlichen Dynamik und zur technologischen Innovation zugleich große Fortschritte brachte. Angesichts eines neuen globalen Wandels, der sich seit den frühen 2000er Jahren im (wieder) aufstrebenden China, in Indien und – im Laufe der Zeit – in Afrika abspielt, stellt sich die Frage, ob diese nächste Periode friedlich sein kann. Können wir absehen, wie Ost und West, Nord und Süd zusammenkommen, um die großen globalen Herausforderungen wie den Klimawandel zu meistern?

Die Art und Weise, wie wir mit Menschen mit unterschiedlichen historischen Erfahrungen und Werten umgehen, ist ein Test für den Westen. Ein Verständnis für das große Ganze beziehungsweise für die «vorausschauende Regierungsführung», wie Fuerth es ausdrückte, kann uns dabei helfen, diese Periode zu bewältigen, in der sich die tektonischen Platten verschieben. Wir müssen im Vorfeld alle Optionen und vorhandenen Barrieren prüfen, um den möglichen Beginn eines Dritten Weltkriegs zu verhindern. Wie Sir Edward Grey über die letzten Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sagte: «In einer Krise können die Menschen ihre festen Standpunkte zu allgemeinen Angelegenheiten nicht ändern; sie sind zu sehr mit den Einzelheiten des Augenblicks beschäftigt. Vorhersagen, dass der Krieg einen allgemeinen sozialen Umbruch mit sich bringen würde, fielen ins Leere», obwohl sie sich als wahr herausstellten.[20] Hoffen wir wie Kennedy, dass niemand ein Buch über diese kommende Epoche schreiben muss, in dem erklärt wird, warum die Menschheit nie dazulernt.

Wir widmen dieses Buch den Friedensstiftern, die sich – mit Blick auf die herannahenden vier apokalyptischen Reiter der Eroberung, des Krieges, des Wiederauflebens von Armut und Hungersnot und des Todes unseres Planeten – dafür einsetzen, uns von unserem gegenwärtigen Weg abzubringen und die Menschheit in eine bessere Zukunft zu steuern.

EINFÜHRUNG: DIE RISIKEN DES «TRAUMWANDELNS»

Wenn «Traumwandeln» bedeutet, die Grenzen des eigenen Geistes im Schlaf zu übertreten, müssen wir in einer neuen Realität aufwachen und unseren Horizont erweitern, um den Lauf der Geschichte zu ändern – und dabei hellwach bleiben. Wir müssen aufpassen, dass unser Traum nicht zu einem Albtraum wird, weil wir die Augen vor der Realität verschließen. Die Rückkehr der globalen Machtpolitik hat den westlichen Traum vom «Ende der Geschichte»[1] und dem «ewigen Frieden»[2] beendet. Gleichwohl haben sich die letzten drei Jahrzehnte für uns und andere als Segen erwiesen. Eine völlige Abkehr von der Globalisierung hin zur Konfrontation mit all jenen, die unsere Werte nicht teilen, etwa China, mag unsere moralische Integrität sichern, aber nicht den materiellen Erfolg beziehungsweise das Überleben unserer Zivilisation für zukünftige Generationen. Wenn wir von diesem neuen Kalten Krieg, der uns bereits beeinflusst, in einen heißen Krieg abdriften, riskieren wir, die Grundlagen der historischen Erfolgsgeschichte des Westens und der Welt der letzten drei Jahrzehnte zu zerstören.

Nach zwei verheerenden Weltkriegen schuf die amerikanische Führungsmacht eine liberale westliche Weltordnung, die auf zwei Kant’schen Annahmen beruhte: Demokratien würden sich tendenziell friedlicher verhalten als Autokratien. Darüber hinaus würden Länder, die – ungeachtet ihrer politischen Regime – für beide Seiten vorteilhafte Handelsbeziehungen unterhalten, starke Anreize haben, nicht gegeneinander in den Krieg zu ziehen, da in einer solchen Konfrontation beide verlieren würden. Obwohl die zweite Annahme durch Russlands wiederholte Angriffskriege gegen die Ukraine unter Druck steht, hat sie mit Blick auf die Vorteile, die sich aus dem Handel miteinander ergeben, immer noch Gültigkeit und hilft Ländern aus der Armut, die sonst weniger Chancen hätten.

Die schlechten, hässlichen und guten Szenarien für unsere Zukunft

Das heute schon fast inflationär vorgebrachte Argument, der Handel habe keinen Frieden mit Russland gebracht, ist nicht stichhaltig. Interdependenz verringert die Wahrscheinlichkeit eines Krieges, sichert aber nicht automatisch den Frieden. Das wussten wir bereits, seit die Geschütze im August 1914 abgefeuert wurden. Der Erste Weltkrieg beendete drei Jahrzehnte wirtschaftlicher Integration. Gemeinsame Geschäfte zu machen ist keine hinreichende Bedingung für Frieden, aber eine notwendige. Das sogenannte «Friend-Shoring», ein Euphemismus für «Entkopplung» oder «Deglobalisierung», ist noch weniger geeignet, den Frieden zu sichern, da diejenigen, die ausgeschlossen werden, wahrscheinlich mehr Anreize für gewalttätige Konflikte haben – ein hässliches Kriegsszenario, auf das noch detaillierter eingegangen werden wird, um zu zeigen, wie leicht wir in solche Szenarien hineinschlittern oder «traumwandeln» können, wenn wir unseren derzeitigen Kurs, die schlechte Option des Kalten Krieges, weiterverfolgen.

Während die Vereinigten Staaten nach 1945 den Freihandel befürworteten – auch zur Befriedung des europäischen Kontinents – und alle anderen dazu drängten, ihre Märkte zu öffnen, lässt sich derzeit eine Kehrtwende beobachten. Die amerikanischen Mittelschichten konnten nicht die Früchte der Globalisierung ernten, die sie erwartet hatten. Amerikas westliche Verbündete empfinden diese Wende als heuchlerisch, sie sind nicht bereit, wirtschaftliche Einbußen zu erleiden, indem sie den Handel mit China und anderen aufstrebenden Wirtschaftsmächten aufgeben.

Politische Entscheidungsträger, sei es ein «anti-globalistischer» Donald Trump oder ein «friend-shoring» Joe Biden, sollten einen Blick in den Spiegel werfen. Warum gab es beispielsweise nicht mehr Unterstützung für die Verlierer der Globalisierung, um sie umzuschulen und ihnen neue Erwerbsmöglichkeiten zu eröffnen? Die Staatsausgaben für Umschulungen erreichten in den Vereinigten Staaten 2008 mit nur 0,17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ihren Höhepunkt, und seitdem sind die Finanzierungsmittel noch weniger geworden.[3]

Der liberalisierte Handel hat sich – kongruent mit Winston Churchills Ausspruch, die Demokratie sei die schlechteste Regierungsform, abgesehen von all den anderen, die ausprobiert wurden – als der beste Weg erwiesen, um durch Wettbewerb bessere und billigere Produkte und Dienstleistungen zu fördern, die Verbraucher und wachsende Volkswirtschaften begünstigen.

Nach Jahrzehnten zunehmender globaler wirtschaftlicher Integration droht die Welt nun den entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Die Kosten dieser politisch getriebenen Umkehrung, ein multidimensionaler Prozess, den die Autoren einer IWF-Studie von Januar 2023 als «geoökonomische Fragmentierung» bezeichnen, rangieren zwischen «0,2 Prozent (ein Szenario mit begrenzter Fragmentierung/kostengünstiger Anpassung) und 7 Prozent des BIP (in einem Szenario mit starker Fragmentierung/kostenintensiver Anpassung). Mit der technologischen Entkopplung könnte der Produktionsverlust in einigen Ländern 8 bis 12 Prozent erreichen.» Darüber hinaus könnte die Globalisierung der Finanzmärkte einer «Finanzregionalisierung» weichen, mit einem «fragmentierten globalen Zahlungssystem», einer «höheren makroökonomischen Volatilität», «schwereren Krisen» und einer «Komplizierung bei der Lösung künftiger Staatsschuldenkrisen».[4]

Ja, die Global Player sollten ihre Lehren aus dem alten Kalten Krieg gezogen haben, und niemand will zu einem weiteren zurückkehren, aber die Absicherungen gegen eine neue Bipolarität und Deglobalisierung erodieren. Von den drei hier skizzierten Szenarien ist diese neue Bipolarität – gekennzeichnet durch eine Rivalität des Westens mit China und Russland – ein Szenario, das bereits eingetreten ist. Im Kern geht es um die zunehmenden Barrieren und den Protektionismus, der sich auf der ganzen Welt etabliert.

Es ist zweifellos ratsam, wie die Pandemie gezeigt hat, essentielle Dinge wie Masken und chirurgische Geräte zu horten und sich nicht auf andere zu verlassen, egal ob sie freundlich gesinnt sind oder nicht. Es gab in der Tat hässliche Beispiele für ein Tauziehen zwischen «Freunden» um medizinische Ausrüstung, wobei China am Ende die fehlenden Materialien lieferte. Und es sei unbestritten, dass Ausnahmen vom freien Handel mit Waffen, illegalen Materialien und sogar sensibler Technologie als eine Form des Selbstschutzes gerechtfertigt sind, obwohl dies auch hier schädliche Auswirkungen haben kann, wenn es im Grunde getan wird, um die Entwicklung eines Konkurrenten zu hemmen, wie es Washington mit seinen Beschränkungen für Halbleiter (Chips) beabsichtigt.

Doch das heutige «Friend-Shoring» geht über die Sicherung der eigenen Resilienz hinaus und wird zu einer neuen Form des Merkantilismus, einer Nullsummenmentalität, für die es viele historische Beispiele gibt, die sich am Ende alle als selbstzerstörerisch erwiesen haben. Im Falle der USA hat der Rückzug aus der Weltwirtschaft, der durch die Finanzkrise 2007/2008 ausgelöst wurde, die wirtschaftliche Dynamik verringert und die Ungleichheit im eigenen Land erhöht.[5]