Die verbotene Reise - Peter Wensierski - E-Book + Hörbuch

Die verbotene Reise E-Book

Peter Wensierski

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Beschreibung

Flucht auf Umwegen

Im Sommer 1987 wagen zwei junge Ostberliner aus dem Prenzlauer Berg das große Abenteuer: Bedrängt von den politischen Verhältnissen, fälschen sie eine Einladung und erhalten daraufhin ein Visum für Russland und die Mongolei, Sehnsuchtsorte der beiden Wildnisliebhaber. Aber ihr geheimes Ziel ist das für DDR-Bürger eigentlich unerreichbare China. Von Ulan Bator aus versuchen sie nach Peking zu gelangen, wo sie in der westdeutschen Botschaft Pässe für den Westen bekommen könnten. Mehrmals drohen sie, bei ihrer verbotenen Reise aufzufliegen, aber nach 10.000 Kilometern stehen sie tatsächlich vor dem Botschaftsgebäude. Und können sich doch nicht entscheiden, gemeinsam hineinzugehen ...

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Peter Wensierski

Die verbotene Reise

Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht

Deutsche Verlags-Anstalt

Sämtliche Fotos © Kießling/Mentel

1. Auflage

Copyright © 2014 Deutsche Verlags-Anstalt, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

und SPIEGEL-Verlag, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

Typografie und Satz: DVA / Brigitte Müller

Karte auf dem Vorsatz: Peter Palm, Berlin

Gesetzt aus der Berling

Bildbearbeitung: Helio Repro, München

ISBN 978-3-641-12618-6www.dva.de

Inhalt

Prolog

Kapitel 1 Die Dunkelkammer

Kapitel 2 Der Prenzlauer Berg

Kapitel 3 Die Verwarnung

Kapitel 4 Das Berliner Zimmer

Kapitel 5 Die Invalidenstraße

Kapitel 6 Der Plan

Kapitel 7 Die Exmatrikulation

Kapitel 8 Die Einladung

Kapitel 9 Der Aufbruch

Kapitel 10 Ankunft in Ulan Bator

Kapitel 11 Die Steppe

Kapitel 12 In der Jurte

Kapitel 13 Die Wüste

Kapitel 14 Die verbotene Reise

Epilog

Dank

BILDTEIL

Prolog

Nach einer Reise von 10806 Kilometern stehen sie in Peking vor der westdeutschen Botschaft. Auf der anderen Straßenseite gibt es die Pässe zur Ausreise in den Westen.

Sie gehen nicht über die Straße, sie laufen weiter durch Peking, ohne Ziel. Die Stadt ist heiß und voller fremder Geräusche.

Sie gehen Hand in Hand, sie reden nicht viel.

Im Schatten der Bäume sehen sie Frauen beim Thai-Chi. Zwei alte Männer auf dem vertrockneten Rasen bewegen sich beim Schattenboxen langsam, wie in Zeitlupe.

Auf einem langen Spaziergang in einem der Parks im Zentrum treffen Marie und Jens ihre endgültige Entscheidung.

Kapitel 1 Die Dunkelkammer

Im roten Licht der Dunkelkammer erscheinen die Umrisse eines jungen Mannes immer deutlicher auf dem Fotopapier. Er steht auf einer steinigen Straße, mit nacktem Oberkörper, eine Wasserflasche in der Hand, auf seinem Rücken ein riesiger Rucksack, die Sonne scheint ihm ins Gesicht. Irgendwo in den Bergen, jedenfalls nicht in der DDR. Neben ihm zwei ältere Männer, Bauern mit ihren schwer bepackten Pferden. Der bärtige junge Mann lacht direkt in die Kamera. Trotz der Last auf dem Rücken ein unbeschwertes Lachen.

Jens beugte sich über die Schale, in der das Bild schwamm. Da hörte er, wie sich die Tür der Dunkelkammerschleuse öffnete und schloss, danach das Rascheln des Vorhangs.

Im Dämmerlicht erkannte er eine junge Frau.

Sie blieb einen Moment an der Tür stehen, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

Hallo?, machte Jens sich bemerkbar.

Sie grüßte zurück, ging zum Tisch mit den Vergrößerungsapparaten und legte dort ihre Tasche ab. Jens griff sich das fertig entwickelte Papierbild, hielt es einen Moment hoch, bis der größte Teil der Flüssigkeit abgetropft war, tauchte es kurz ins Essigbad und ließ es dann in den Fixierer gleiten. Er bewegte es in der Schale vorsichtig hin und her.

Wo warst du denn da?, fragte sie.

Im Kaukasus, antwortete er.

Du warst im Kaukasus?

Ja.

Jens hob das Bild aus dem Fixierbad und legte es in das Wasserbecken.

Das ist auf dem Weg zum Elbrus, dem höchsten Berg in Russland.

Sie überlegte einen Augenblick.

Aber da kommt man doch nicht so einfach hin … ohne Reisegruppe oder Parteiauftrag?

Jens grinste.

Manchmal geht es auch ohne Gruppe und Auftrag.

Er trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab und widmete sich dem nächsten Bild.

Sie stellte sich neben ihn. Gemeinsam sahen sie zu, wie auf dem Fotopapier nach und nach eine wilde Gebirgslandschaft erschien.

Ich bin Marie. Und du?

Jens.

Er musterte sie im Halbdunkel.

Heiß hier, sagte sie, zog ihren Pullover über den Kopf und ließ ihn auf den Stuhl vor ihrem Arbeitsplatz fallen.

In welchem Studienjahr bist du denn?, fragte sie. Ich hab’ dich hier noch nie gesehen.

So?, meinte Jens.

Und auf der Liste für heute stehst du auch nicht, fuhr sie fort.

Er sah sie an.

Ich kenn’ hier aber jeden – nur dich nicht!

Marie verschränkte die Arme und zog lachend ihre Augenbrauen hoch.

Das kann nicht sein. Wenn du öfter kommen würdest, wärst du mir garantiert aufgefallen.

Nun lachte auch er.

Mensch, du bist ja sehr aufmerksam. Ich studier’ gar nicht in Weißensee, sondern Biologie an der Humboldt-Uni. Aber dort gibt es kein Fotolabor, deshalb habe ich mir überlegt, ich komm einfach mal vorbei und probiere eures aus.

Und?, meinte Marie. Bist du zufrieden?

Er sah sie wieder an. Sehr.

Sie lächelte. Na dann, sagte sie. So, aber ich bin nicht zum Quatschen hier und du doch sicher auch nicht!

Jens legte seinen Abzug in die Schale mit dem Fixierer.

Licht?, fragte er. Marie nickte.

Sie zog eine Schachtel mit Fotopapier und eine Mappe mit Negativen aus ihrer Tasche. Geübt spannte sie einen Streifen in den Apparat. Jens knipste das Licht wieder aus.

Marie legte ein Blatt des Fotopapiers in den Rahmen unter dem Vergrößerer und verschob die Objektivplatte, bis das Bild darunter scharf wurde.

Jens schaute ihr neugierig über die Schulter.

Da warst du aber auch nicht mit einer Reisegruppe unterwegs!

Marie sah nicht auf. Sie schaltete die Lampe des Gerätes ab und schwenkte den Rotfilter aus dem Strahlengang.

Da hab’ ich eine Tramptour mit meiner Freundin Conny gemacht. Wir hatten nicht mal ein Zelt dabei, meistens haben wir im Freien geschlafen, auf einer Wiese oder hinter Büschen neben den Landstraßen. Das sind Wildpferde in Bulgarien.

Jens schaute interessiert. Sie stellte die Zeitschaltuhr ein.

Fünfzehn Sekunden!

Jens drückte die Starttaste.

Vielleicht auch nur zehn.

Marie sah ihn amüsiert an.

Ja, vielleicht.

Dann schwiegen sie. Die Ruhe wurde nur vom Ticken der Zeitschaltuhr gestört und von ihrem harten Klacken, wenn sie sich abschaltete.

Die Enge der Dunkelkammer, das dämmrige Licht versetzte beide in einen zeitlosen Raum. Marie dachte an den jungen Mann auf dem Bild, der in die Sonne lacht. Um in den Kaukasus zu kommen, brauchte man besondere Genehmigungen, und die gab es nicht für Studenten, die mal eben dorthin wollten. Man konnte in der DDR nicht einfach losziehen und dreitausend Kilometer weit reisen. Oder doch? Konnte man das wirklich schaffen, unbehelligt, unbemerkt?

Der Gedanke ließ sie nicht mehr los.

Als sie fertig waren, war es erst kurz vor acht. Nicht spät genug, um den Abend schon enden zu lassen.

Wir könnten noch zusammen einen Tee trinken, ich lad’ dich ein, wenn du Lust hast, meinte Jens.

Gern, sagte Marie. Aber wo?

Jens überlegte.

Wo musst du denn nachher hin?

Nach Pankow. Und du?

In den Prenzlauer Berg.

Da kenne ich eine nette neue Teestube, wo wir hingehen könnten, schlug Marie vor.

Sie fuhren mit der Straßenbahn die Prenzlauer Allee hinunter. An der S-Bahn-Station stiegen sie aus und gingen zu Fuß weiter. Die Straße war nur spärlich beleuchtet, denn einige der Gaslaternen waren defekt. Es war Winter, an den Straßenrändern lagen zusammengeschobene Schneehaufen. Kalter Nebel lag in der Luft, es roch nach schwefliger Braunkohle. Vor der Teestube stellten sie fest, dass sie geschlossen hatte.

Einen Tee kann ich dir auch machen, sagte Jens.

Als sie in die Rykestraße einbogen, fiel ihm ein, dass seine Wohnung sicher kalt war. Die Kohlen vom vergangenem Winter waren längst verheizt und der Händler im Hinterhof mit seiner Lieferung in Verzug, heute Morgen hatte er die letzten fünf Briketts in den Kachelofen gesteckt. Nicht genug, um die hohen Räume warmzuhalten.

Am Ende der Straße zeichnete sich die Silhouette eines Turms gegen den dunklen Himmel ab. Es war der alte Wasserturm von Prenzlauer Berg, ein düsterer Backsteinbau. Jens wohnte nur wenige Schritte davon entfernt.

Kurz vor dem Haus bemerkte er den am Straßenrand abgestellten Lkw-Anhänger des Kohlenhändlers. Er trat nah heran und wechselte einen Blick mit Marie. Er brauchte nichts zu sagen. Marie griff zu und stapelte so viele Briketts wie möglich in seine Hände.

Ohne Hast gingen die beiden zur Haustür und drückten sie auf. Jens’ Wohnung lag im ersten Stock, die Küche ging zum Hinterhof, das einzige Zimmer zur Straße. Die Außentoilette war eine halbe Treppe tiefer.

Als sie vor seiner Wohnungstür standen, sahen sie sich einen Moment lang schweigend an. Jens, die Hände voller Briketts, bat Marie, die Wohnung mit dem Schlüssel aus seiner Jackentasche aufzuschließen. Sie öffnete die Tür und suchte im Flur nach dem Licht.

Jens ging an ihr vorbei in das Zimmer, in dem er schlief und arbeitete. Marie folgte ihm.

Ihr Blick fiel auf das Bett, dann auf die Landkarte, die darüber an der Wand hing. Sie zeigte die gesamte Sowjetunion mit allen angrenzenden Ländern. Gegenüber standen ein altes Sofa, ein abgenutzter Schreibtisch, ein Spiegel. Daneben ein großes Bücherregal. Eines der Bücher lag aufgeschlagen auf dem Bett, Stefan Zweigs »Die Welt von Gestern«. Im Regal befand sich auch der einzige Luxusgegenstand, den sie entdecken konnte, ein Tesla-Tonbandgerät, dazu ein paar Spulen.

P. Floyd, Leonard Cohen und Angelo Branduardi konnte sie lesen.

Jens hockte sich vor den großen, hellbraunen Kachelofen und schichtete darin kleine Holzscheite auf Zeitungspapier. Die Briketts hatte er neben dem Ofen abgelegt. Sie bemerkte die riesige Holzkiste vor dem Kachelofen, so groß, dass man bequem darauf schlafen konnte. Jens erzählte ihr, dass er die Kiste von seinem Vater habe. In solchen Verpackungen erhielt dessen Betrieb Autoersatzteile geliefert. Er hob die dicke braune Decke, die gefaltet auf der Kiste lag, etwas hoch und zeigte ihr die russische Inschrift: Für Moskwitsch und Wolga.

Marie las die kyrillischen Worte: DDR, Bralitz-Oderberg, Kontrakt Nummer …

Bralitz ist der Umschlagplatz für russische Autos, erklärte Jens.

Er zündete ein Streichholz an und hielt es an die Zeitung im Ofen. Das Zimmer war eiskalt. Marie rieb sich mit den Händen über die Oberarme.

Jens ging in die Küche und machte alle Gasflammen an, um wenigstens die Luft etwas zu erwärmen und um den versprochenen Tee aufzugießen. Marie war ihm gefolgt und sah sich auch hier um. Das Licht kam von einer nackten Glühbirne, die von der Decke baumelte. Um einen runden Esstisch standen umgedrehte Obstkisten, die offenbar als Stühle dienten. Als Regalersatz hatte Jens eine BaKo-Kiste an der Wand befestigt, eine Holzkiste des Berliner Backwarenkombinats, in der er seinen Tee aufbewahrte. Marie staunte über die große Auswahl. Viele der Teesorten stammten aus Russland und Asien, einige auch aus dem Westen.

Jens bat sie, sich einen Tee auszusuchen.

Aus dem Wohnzimmer hörte Marie nun das Feuer im Kachelofen knistern. Jens war mit dem Teekochen beschäftigt, sie ging zurück, um sich sein Bücherregal anzusehen. Marie suchte sich einen kleinen Stapel Fotobände aus und setzte sich damit auf die Kiste vor dem Ofen. Sie lehnte sich an die Kacheln, in denen noch ein Hauch Restwärme vom Morgen gespeichert war. Von dem Feuer, das Jens eben in Gang gebracht hatte, war noch nichts zu spüren. Sie bemerkte die Lampe an der Decke, die wie ein umgedrehter Weidenkorb aussah.

Hast du diese Lampe selbst gemacht?, fragte sie ihn, als er mit dem heißen Tee hereinkam.

Er reichte ihr den Tee, sie schloss ihre Hand um den warmen Becher.

Ja, hab’ ich. Das Geflecht wurde zur Abdeckung von großen Glasballonflaschen verwendet. Die Sektion Chemie an der Uni hatte etliche aussortiert. Aus einem der Körbe hab’ ich die Lampe gemacht. Die anderen habe ich als Nisthilfe mitgenommen, für Baumfalken.

Gibt es hier Raubvögel? Im Prenzlauer Berg?

Jens nickte.

Ja, es gibt Turmfalken, die leben gleich hier in der Nähe, am Wasserturm. Habichte und Sperber gehören auch zu den Raubvögeln in der Stadt. Aber Baumfalken sind selten, sie gibt es nur außerhalb der Stadt. Am liebsten an warmen Waldrändern mit einzeln stehenden großen Kiefern. Das war eine gemeinsame Aktion von Greifvogelexperten aus Ost- und West-Berlin, zusammen haben wir die Körbe ganz oben in die Baumkronen gehängt. Und es hat funktioniert. Die Baumfalken haben sie angenommen und darin gebrütet.

Er setzte sich zu ihr auf die Holzkiste.

MARIE TRANK ihren Tee, süß, heiß. Dann fragte sie: Woher nimmst du eigentlich den Mut, einfach in den Kaukasus zu reisen?

Jens nahm einen Schluck aus seiner Tasse.

Ich glaube, den hab ich schon als Kind gehabt.

Nur an ein einziges Mal könne er sich erinnern, als seinem Bewegungsdrang Grenzen gesetzt wurden.

Mit fünf oder sechs Jahren bin ich einmal alleine bei meiner Oma gewesen, ohne meine Eltern. Ich hatte mein erstes Fahrrad mit dabei. Sie ließ mich damit tagsüber draußen herumfahren. Abends habe ich erzählt, wo ich überall gewesen war. Sie regte sich auf: Da warst du doch zwanzig Kilometer weit weg mit dem Fahrrad, mein Gott, Kind! Und ich erwiderte: Aber wenn ich beim Hinfahren genau aufpasse, kenn’ ich doch den Weg. Und so finde ich immer wieder zurück. Aber sie war so schockiert, dass sie bei meiner Mutter anrief und bat, mich wieder abzuholen: Das kann ich nicht verantworten, der Kleine macht was er will.

Er schenkte ihr noch Tee nach.

Wenn ich eine Idee hab’, dann will ich sie auch realisieren! Und wenn man es einmal geschafft hat, weiß man doch, dass man es wieder kann. Ob du es wirklich schaffst, ist vielleicht noch offen. Damals als Kind hab’ ich geglaubt, das kann ich einfach.

Marie lächelte und rutschte etwas näher an ihn heran. Die Kiste, auf der sie saßen, war auf Dauer unbequem.

Jens redete einfach weiter.

Die meisten geben später als Erwachsene viel zu früh auf. Selbst wenn sie etwas wollen, probieren sie es nicht. Ich denk’ da anders. Wenn du was willst, mach es einfach, probiere es mit aller Kraft. Vielleicht klappt’s, vielleicht nicht, aber man muss es doch wenigstens versucht haben.

Jens sah sie an.

Man kommt immer nur so weit, wie man im Kopf auch ist.

Genau so habe er es auch in den Kaukasus geschafft. Irgendwann habe er mitbekommen, dass es eine Lücke gab. Wenn man auf dem heimatlichen Polizeirevier beim Beantragen eines Visums für Rumänien eine vorher gekaufte Fahrkarte für den Zug über Polen und die Ukraine vorlegte – anstelle der üblichen Strecke über die Tschechoslowakei –, dann erhielt man ausnahmsweise ein Transitvisum für die Sowjetunion.

Das gilt zwar nur für maximal drei Tage, aber so kann man den Zug in der Ukraine einfach verlassen und sich dann in der Sowjetunion so weit wie möglich an allen Kontrollen vorbei unerkannt durchschlagen.

Und zurück kommst du ja immer!, scherzte Marie.

Es gebe inzwischen einige, die wie er von diesem Schlupfloch wüssten. Jens erzählte ihr, dass er sich mit anderen, die so etwas schon gemacht hatten, so oft wie möglich treffe. Es gebe einen regen Austausch von Tipps und Informationen unter Bergsteigern, Trampern und Abenteurern, die in Städten wie Dresden, Leipzig, Halle, Jena oder Berlin zu Hause seien. Die ziehe es in den Kaukasus oder ins Pamirgebirge, da ihnen das heimische Elbsandsteingebirge und das Riesengebirge längst nicht mehr reiche.

Auf diese Weise habe sich im Laufe der Jahre eine Menge Wissen über lohnende Ziele, die besten Routen, die gefährlichsten Kontrollpunkte oder gastfreundliche Menschen in der Szene verbreitet. Auch Jens hatte solche Kontakte und wusste, wo in der Republik er sich an wen mit welcher Frage wenden konnte. Sie waren nicht sehr viele, aber alle, die es wagten, unerkannt durch die Sowjetunion zu reisen, verband das Gefühl, einen Spielraum jenseits der reglementierten Möglichkeiten entdeckt zu haben und ihn zu nutzen – ein Stück Freiheit.

Manche sind bis nach Sibirien zum Baikalsee und weiter gekommen, manche geraten aber auch schon nach zwei Tagen in eine Kontrolle, und alles ist vorbei. Und andere bekommen gar kein Durchreisevisum. Aber das ist immer noch besser, als es gar nicht erst zu versuchen!

Marie wusste bisher nichts von den Möglichkeiten, die engen Grenzen der Republik über die unmittelbaren östlichen Nachbarländer hinaus auszudehnen. Sie hatte alle Länder, in die man auf eigene Faust reisen durfte, besucht, einige schon mehrmals. Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien. Damit hatte sie die Grenzen des Erlaubten erreicht.

Dass da mehr möglich sein könnte, fand sie aufregend. Warum nicht zusammen mit diesem Kerl?, schoss es ihr durch den Kopf, dieser Mann, der sich in Abenteuer stürzte, die ihr gefielen.

Sie erzählte Jens mehr von ihrer letzten Tramptour durch Bulgarien und Rumänien, von den Wildpferden, von der Ungewissheit der Straße und den Nächten unter freiem Himmel, von der Zeit, die sich so unendlich dehnt, wenn man keinen Plan für den nächsten Tag hat.

Weißt du, dass ich als Kind im Sommer immer draußen auf dem Balkon schlafenwollte?

Spätestens mit dreizehn Jahren hatte Marie ihr Bettzeug und die Matratze, wenn irgend möglich, ins Freie geschafft. Bei Tagesanbruch wurde sie wach, meist in der Morgensonne, manchmal überraschte sie auch der Regen. Es war ihr egal.

Als sie noch jünger war und mit der Familie von Potsdam zum Zelten nach Polen an die Ostseeküste fuhr, mied ihr Vater die organisierten Plätze und baute das Zelt lieber versteckt im Wald auf.

Wenn ich als Kind mit dem Fahrrad unterwegs war, dann habe ich es geliebt, immer wieder andere Wege auszuprobieren, wenn ich abends nach Hause fuhr. Und als ich alle Wege kannte, hab’ ich aus meinem Simson-Rad ein Pferd gemacht. Ich hab’ links und rechts am Lenker Gummischlaufen angebracht und versucht, nur noch über diese Zügel zu lenken.

Marie lachte, sie gestikulierte bei ihren Erzählungen wild mit den Armen und machte Jens vor, wie das aussah.

Später, erzählte Marie weiter, sei sie dann wirklich auf Pferden geritten. Es sei ihr ganz leicht gefallen.

Jens berichtete Marie von seinen Ferien als Kind mit den Eltern und Großeltern im Sommer, von Zeltlagern, Paddeltouren im Faltboot, vom Skifahren im Winter. Die Erwachsenen hatten ihn dabei wenig beaufsichtigt, sondern oft ganz allein umherstreifen lassen.

Der Tee war längst ausgetrunken, der Kachelofen strahlte wieder Wärme ab. Marie und Jens erzählten weiter Geschichten von ihren Wanderungen. Von Herausforderungen und Ruhe, von Einsamkeit und überraschenden Begegnungen, vom Ausgesetzt- und Aufgehobensein in der Natur.

Irgendwann schwiegen beide in dieser langen Nacht. Marie schob die Teetassen auf der russischen Holzkiste einfach beiseite, rückte ganz nah an Jens heran und legte ihren Kopf an seine Schulter.

AM NÄCHSTEN MORGEN schlief Jens noch tief, als sie neben ihm aufwachte. Vom Bett aus sah sie den Spiegel an der Wand neben dem Fenster. Sie stand auf, aber als sie auf den Spiegel zutrat, mochte Marie nicht hineinschauen. Sie hatte ein seltsames Gefühl. Sie konnte nicht deuten, was passiert war. Vielleicht würde ihr Gesicht etwas verraten, was sie jetzt noch nicht wissen wollte. Sie sah sich noch einmal um in dem Zimmer, das sie bis gestern nicht gekannt hatte. Diese karg eingerichtete Wohnung, die einen nicht festhielt, aus der man jederzeit aufbrechen konnte.

In diesem Moment wusste Marie, es war hier bei Jens alles so, wie sie selber gerne leben wollte.

Kapitel 2 Der Prenzlauer Berg

Marie zog nach wenigen Wochen in die Rykestraße ein.

In Wahrheit war dafür weder ein großer Entschluss noch ein richtiger Umzug nötig. Sie war seit jenem Abend immer häufiger bei Jens geblieben, und viele Dinge besaß sie ohnehin nicht.

Marie war 24 Jahre alt und hatte gerade erst damit begonnen, sich in Berlin einzuleben. Sie hatte so lange bei ihren Eltern in Babelsberg bei Potsdam gewohnt, bis sie die Zusage für die Kunsthochschule erhalten hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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