Die vergessenen Welten 09 - R.A. Salvatore - E-Book

Die vergessenen Welten 09 E-Book

R.A. Salvatore

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Beschreibung

Baenre, die Oberpriesterin der Spinnenkönigin Loth, rüstet zum Krieg gegen Mithril-Halle. Dort hat der abtrünnige Dunkelelf Drizzt Do'Urden Zuflucht bei dem Zwergenkönig Bruenor und seiner Adoptivtochter Cattie-brie gefunden. Doch Cattie-brie hat furchtbare Träume, die Magie versagt, Drizzts magischer Panther Guenhwyvar ist dem Tode geweiht. Und die Horden aus der Dunkelelfenstadt Menzoberranzan stehen bereits vor den Toren Mithril-Halles...

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Inhaltsverzeichnis

WidmungPrologTEIL 1 - Grollen des Haders
DiplomatieDie Knochenbrecher-BrigadeFröhliches SpielenRissige FassadenCatti-bries Kämpe
TEIL 2 - Der Angriff des Chaos
Die Magie versagtBaenres SchuldMagische ManifestationenSchlußfolgerungenDas dritte HausTrumpf
TEIL 3 - Wiederherstellung
Frucht der UnruheSchadensbehebungLloths ZornGierOffene Herzen
TEIL 4 - Der Kriegszug der Drow
BlingdenstoneSchwierige VerbündeteImprovisationenDie Schlacht in Tunults KaverneEs krachtSternenglanz, Sternenpracht
TEIL 5 - Alte Könige und alte Königinnen
Nischen der MachtDie Schlacht tobt weiterDas Tal der HüterFauchen gegen FauchenDie längste NachtZukunftsschauKönig gegen Königin
EpilogCopyright

Für Lucy Scaramuzzi,die beste aller Lehrerinnen,die mir beigebracht hat,wie man ein Buch schreibt —auch wenn all meine Ideendamals in der zweiten Klassevon Snoopy geklaut waren!

Prolog

Sie war eigentlich viel zu schön, um sich mit dem Schlamm dieser rauchverhangenen Ebene des Abgrundes abzugeben. Ihr Gesicht war gut geschnitten, ihre Züge fein gemeißelt; glänzende, ebenholzfarbene Haut ließ sie wie eine zum Leben erwachte Skulptur aus Obsidian aussehen.

Die Geschöpfe um sie herum, schleimige Schnecken und Kreaturen mit Fledermausflügeln, beobachteten jede ihrer Bewegungen, behielten sie mißtrauisch im Auge. Selbst die größten und stärksten unter ihnen, gigantische Monster, die eine Stadt von beträchtlicher Größe vernichten konnten, hielten Abstand, denn das Aussehen konnte trügerisch sein. Obgleich diese Frau nach den Maßstäben der grauenhaften Ungeheuer des Abgrundes zart, ja sogar zerbrechlich wirkte, war sie in der Lage, jedes der Monster, die sie argwöhnisch beäugten, mühelos zu vernichten – oder auch zehn oder fünfzehn von ihnen zugleich.

Die Ungeheuer wußten dies und stellten sich ihr nicht in den Weg. Sie war Lloth, die Spinnenkönigin, die Göttin der Drow, der Dunkelelfen. Sie war das fleischgewordene Chaos, ein Instrument der Vernichtung, ein Ungeheuer wie die anderen, nur hinter einer zarten und schönen Fassade verborgen.

Lloth durchquerte unbeirrt eine Region, in der sich große, dicke Pilze inmitten des schwappenden Schlammes auf kleinen Inseln zusammendrängten. Sie schritt unbekümmert von Insel zu Insel, und sie trat so leicht auf den gurgelnden Schlamm, daß nicht einmal die Unterseiten ihrer zarten schwarzen Sandalen besudelt wurden. Sie fand viele der stärksten Bewohner dieser Ebene schlafend in Pilzhainen vor, darunter sogar Tanar’ri, und weckte sie grob. Jedesmal erwachten die reizbaren Kreaturen mit einem Knurren und versprachen dem Störenfried ewige Folterqualen, und jedesmal waren sie dann erleichtert, daß Lloth von ihnen nur eine einzige Antwort auf eine einzige Frage erwartete.

»Wo ist er?« fragte sie immer wieder, und obgleich keines der Monster den genauen Aufenthaltsort des großen Unholdes kannte, so wiesen ihre Antworten Lloth doch den Weg, wiesen ihr die Richtung, bis sie schließlich die Bestie fand, nach der sie gesucht hatte. Es war ein riesiger, zweibeiniger Tanar ’ri mit einer Hundeschnauze, den Hörnern eines Stieres und enormen, lederartigen Flügeln, die er hinter seinem mächtigen Körper zusammengefaltet hatte. Er sah außerordentlich gelangweilt aus, wie er da in einem Sessel saß, den er aus einem der Pilze geschnitzt hatte. Seinen grotesken Kopf hatte er in die Hand gestützt. Mit dreckigen, gekrümmten Klauen kratzte er sich rhythmisch über die bleiche Wange, und in der anderen Hand hielt er eine vielschwänzige Peitsche, die ab und an zuckte und gegen die Seite des Pilzsessels klatschte, wo jene geringere Kreatur kauerte, die er sich für diesen Moment der Ewigkeit zur Folterung ausgewählt hatte.

Das kleine Wesen jaulte und winselte erbärmlich und zog sich dadurch einen weiteren schmerzhaften Hieb zu.

Plötzlich grunzte das Monster, hob wachsam den Kopf und spähte mit roten Augen prüfend in den Nebelschleier, der um den Pilzthron herumwaberte. Etwas war in der Nähe, etwas Mächtiges.

Lloth trat in sein Blickfeld, ohne ihren Schritt zu verlangsamen, während sie das Ungetüm, das größte in diesem Gebiet, forschend musterte.

Ein kehliges Knurren kam über die Lippen des Tanar’ri — Lippen, die sich erst zu einem bösen Lächeln verzogen und dann ärgerlich erschlafften, als er entdeckte, was da seinen Schlupfwinkel betrat. Zuerst hielt der Unhold Lloth für ein Geschenk, eine herumirrende Dunkelelfin, die sich weit von der materiellen Ebene und ihrem Zuhause entfernt hatte. Das Monstrum brauchte jedoch nicht lange, um die Wahrheit zu erkennen.

Es schoß mit unglaublicher Schnelligkeit und Geschmeidigkeit aus dem Sessel hoch, so daß es mit seinen ganzen zwölf Fuß über dem Eindringling aufragte.

»Setz dich, Errtu«, befahl ihm Lloth mit ungeduldiger Geste. »Ich bin nicht gekommen, um dich zu vernichten.«

Wieder knurrte der stolze Tanar’ri, aber er machte keine Bewegung auf Lloth zu, denn er wußte sehr wohl, daß sie mit Leichtigkeit tun konnte, was sie gerade behauptet hatte nicht vorzuhaben. Nur um ein wenig seines Stolzes zu bewahren, blieb Errtu stehen.

»Setz dich!« stieß Lloth plötzlich heftig hervor, und ehe Errtu es noch recht merkte, fand er sich bereits auf seinem Thron wieder. Frustriert griff er zu seiner Peitsche und prügelte die schniefende Kreatur, die an seiner Seite hockte.

»Warum bist du hier, Drow?« grollte er, und seine tiefe Stimme kippte in ein schrill krächzendes Gewinsel um, das wie Fingernägel auf einer Schiefertafel klang.

»Du hast das Grollen des Pantheons gehört, oder?« fragte Lloth.

Errtu dachte eine lange Zeit über die Frage nach. Natürlich hatte er gehört, daß die Götter der Reiche im Streit miteinander lagen, daß sie sich gegenseitig mit intriganten Machtgesten herausforderten und intelligente geringere Wesen dabei wie Spielfiguren benutzten. Hier im Abgrund bedeutete dies, daß seine Bewohner, selbst größere Tanar’ri wie Errtu, sich oftmals ungewollt in politische Intrigen verstrickt wiederfanden.

Und genau das war es, was Errtu jetzt befürchtete.

»Es wird eine Zeit des Haders heranbrechen«, erklärte Lloth. »Eine Zeit, in der die Götter für ihre Torheit zahlen müssen. «

Errtu kicherte. Es war ein widerwärtiges, raspelndes Geräusch. Lloth musterte ihn ärgerlich aus rotglühenden Augen.

»Warum sollte ein solches Geschehen deine Mißbilligung erregen, Herrin des Chaos?« fragte der Unhold.

»Diese Streitereien haben nichts mit mir zu tun«, erklärte Lloth ernst, »sie haben mit uns allen nichts zu tun. Ich werde es genießen, dabei zuzusehen, wie die Narren des Pantheons herumgestoßen werden, wie sie ihres falschen Stolzes entblößt und einige vielleicht sogar erschlagen werden. Aber jedes Wesen, das sich nicht vorsieht, wird in den Ärger hineingezogen werden.«

»Lloth war nie für ihre Vorsicht bekannt«, warf Errtu trocken ein.

»Lloth war nie eine Närrin«, erwiderte die Spinnenkönigin sofort.

Errtu nickte, saß aber einen Moment lang schweigend auf seinem Pilzthron und grübelte. »Was hat das alles mit mir zu tun?« fragte er schließlich, denn Tanar’ri wurden nicht angebetet, und daher bezog Errtu seine Macht auch nicht von den Gebeten irgendwelcher Gläubigen.

»Menzoberranzan«, erwiderte Lloth und meinte damit die legendenumwobene Stadt der Drow, das wichtigste Zentrum ihrer Anbeter in den Reichen.

Errtu legte den grotesken Kopf schief.

»Die Stadt befindet sich bereits im Chaos«, erklärte Lloth.

»Wie du es haben wolltest«, warf Errtu ein und kicherte. »Wie du es arrangiert hast.«

Lloth widersprach nicht. »Aber da liegt die Gefahr«, fuhr sie schließlich fort. »Wenn ich in die Unruhen des Pantheons hineingezogen werde, werden die Gebete meiner Priesterinnen unbeantwortet bleiben.«

»Erwartest du, daß ich sie beantworte?« fragte Errtu ungläubig.

»Die Gläubigen werden Schutz brauchen.«

»Ich kann nicht nach Menzoberranzan gehen!«brüllte Errtu plötzlich, als sein Zorn — der Zorn über jahrelange Verbannung — überkochte. Menzoberranzan war eine Stadt im Unterreich von Faerun, in dem großen Labyrinth unter der Oberfläche dieser Welt. Doch obgleich es durch Meilen dicken Felsens von der Region des Sonnenlichtes getrennt war, blieb es ein Teil der materiellen Existenzebene. Vor Jahren war Errtu auf Anrufung eines geringeren Zauberers auf dieser Ebene gewesen und hatte sich dort auf die Suche nach dem Crenshinibon gemacht, dem Gesprungenen Kristall, einem mächtigen Artefakt aus einem vergangenen und größeren Zeitalter der Zauberei. Und er war ihm schon so nahe gewesen! Er hatte den Turm betreten, den das Crenshinibon nach seinem Ebenbild geschaffen hatte, und er hatte mit seinem Besitzer gearbeitet, einem erbärmlichen Menschen, der sicher bald gestorben wäre und den Unhold im Besitz seines gehegten Schatzes zurückgelassen hätte. Aber dann war Errtu einem Dunkelelfen begegnet, einem Abtrünnigen aus Lloths Herde, aus Menzoberranzan, jener Stadt, die er jetzt anscheinend für sie beschützen sollte!

Drizzt Do’Urden hatte Errtu besiegt, und für einen Tanar’ri bedeutete eine Niederlage auf der materiellen Ebene hundert Jahre Verbannung im Abgrund.

Jetzt bebte Errtu sichtlich vor Zorn, und Lloth trat einen Schritt zurück für den Fall, daß die Bestie angreifen sollte, bevor sie ihr Angebot erläutern konnte. »Du kannst nicht gehen«, stimmte sie zu, »aber deine Untergebenen können es. Ich werde dafür sorgen, daß ein Tor offengehalten wird, selbst wenn alle Priesterinnen meines Reiches sich ständig darum kümmern müssen.«

Errtus donnerndes Gebrüll übertönte die Worte.

Lloth verstand die Ursache dieser ohnmächtigen Wut; das größte Vergnügen eines solchen Unholdes war es, frei auf der materiellen Ebene herumzustreifen und die schwachen Seelen und noch schwächeren Körper der verschiedenen Rassen herauszufordern. Lloth verstand es, aber Errtu tat ihr nicht leid. Die von Grund auf böse Lloth hatte niemals mit irgendeiner Kreatur Mitgefühl.

»Ich kann mich dir nicht widersetzen«, gab Errtu zu, und seine großen, vorquellenden, blutunterlaufenen Augen zogen sich tückisch zusammen.

Er hatte nur zu recht. Lloth hätte sich seiner Hilfe versichern können, indem sie ihm im Gegenzug einfach sein Leben anbot. Dazu war die Spinnenkönigin jedoch zu schlau. Wenn sie Errtu versklavte und anschließend tatsächlich, wie sie befürchtete, von dem nahenden Sturm mitgerissen wurde, könnte Errtu ihrer Gefangenschaft entkommen oder, schlimmer noch, einen Weg finden, sich gegen sie zu wenden. Lloth war bösartig und gnadenlos bis zum Äußersten, aber vor allem war sie intelligent. Sie hatte ein wenig Honig für diese Fliege parat.

»Ich will dir nicht drohen«, sagte sie dem Unhold ehrlich. »Ich mache dir ein Angebot.«

Errtu unterbrach sie nicht, doch noch immer bebte er am Rand einer Katastrophe.

»Ich habe ein Geschenk, Errtu«, schnurrte Lloth, »ein Geschenk, das es dir erlauben wird, die Verbannung zu beenden, die Drizzt Do’Urden dir auferlegt hat.«

Den Tanar’ri schien dies nicht zu überzeugen. »Kein Geschenk«, grollte er. »Keine Magie kann die Bedingungen der Verbannung brechen. Nur der, der mich verbannt hat, kann das Abkommen beenden.«

Lloth nickte zustimmend; nicht einmal eine Göttin hatte die Macht, sich über dieses Gesetz hinwegzusetzen. »Aber genau darum geht es!« rief die Spinnenkönigin aus. »Dieses Geschenk wird dafür sorgen, daß Drizzt Do’Urden dich wieder auf seiner Existenzebene haben will, in seiner Reichweite.«

Errtu schien noch immer nicht überzeugt.

Nun hob Lloth einen Arm und ballte fest die Faust. Ein Signal, bestehend aus einem Sprühregen vielfarbener Funken und einem krachenden Donnerschlag, erschütterte den schwappenden Schlamm und zerriß für kurze Zeit das allgegenwärtige Grau der schrecklichen Ebene.

Verloren, niedergeschlagen und mit gesenktem Kopf — denn es kostete jemanden wie Lloth nur wenig Zeit, jeglichen Stolz zu ersticken — trat er aus dem Nebel. Errtu kannte ihn nicht, aber er verstand die Bedeutsamkeit dieses Geschenkes.

Lloth ballte erneut ihre Faust, ein weiteres, explosives Signal erklang, und ihr Gefangener fiel zurück in den Vorhang aus Rauch.

Errtu beäugte die Spinnenkönigin mißtrauisch. Das Interesse des Tanar’ri war jetzt natürlich geweckt, aber ihm war klar, daß fast jeder, der einmal der teuflischen Lloth vertraut hatte, einen großen Preis für seine Torheit hatte zahlen müssen. Und dennoch, der Köder war zu verlockend, als daß Errtu hätte widerstehen können. Sein hundeartiges Maul verzog sich zu einem grotesken, bösen Lächeln.

»Schau dir Menzoberranzan an«, sagte Lloth, und sie schwenkte ihren Arm vor dem dicken Stamm eines nahegelegenen Pilzes. Die Fasern der Pflanze wurden glasig und spiegelten den Rauch wider, und einen Augenblick später sahen Lloth und das Monstrum die Stadt der Drow. »Ich versichere dir, daß deine Rolle in dieser Sache klein sein wird«, sagte Lloth, »aber gleichzeitig von entscheidender Wichtigkeit. Enttäusche mich nicht, großer Errtu!«

Der Unhold wußte, daß dies ebenso Drohung war wie Bitte.

»Das Geschenk?« fragte er.

»Sobald die Dinge im Lot sind.«

Erneut flackerte Errtus mißtrauischer Blick auf.

»Drizzt Do’Urden ist nur ein unbedeutender Wurm«, sagte Lloth. »Seine Familie, Daermon N’a’shezbaernon, existiert nicht mehr, und so bedeutet er mir auch nichts. Aber dennoch würde es mich freuen zu sehen, wie der große und böse Errtu dem Abtrünnigen all die Unannehmlichkeiten heimzahlt, die er verursacht hat.«

Errtu war nicht dumm; im Gegenteil. Was Lloth sagte, klang absolut schlüssig, und dennoch konnte er die Tatsache nicht ignorieren, daß sie es war, die Spinnenkönigin, die Herrin des Chaos, die diese verlockenden Angebote machte.

Ebensowenig aber konnte er darüber hinweggehen, daß ihr Geschenk ihm Erlösung aus seiner unbeschreiblichen Langeweile versprach. Er konnte jeden Tag Tausende kleinerer Unholde schlagen, er konnte sie foltern und sie in erbärmlichem Zustand in den Schlamm zurückschicken. Aber selbst wenn er das eine Million Tage lang tat, würde dies nicht den Genuß einer einzigen Stunde auf der materiellen Ebene aufwiegen, in der er unter den Schwachen dahinschritt und jene quälte, die seiner Rache nicht würdig waren.

Der große Tanar’ri stimmte zu.

TEIL 1

Grollen des Haders

Ich beobachtete die Vorbereitungen, die in Mithril-Halle getroffen wurden. Vorbereitungen für den Krieg, denn obgleich wir — insbesondere Catti-brie — dem Hause Baenre in Menzoberranzan eine schmerzhafte Niederlage bereitet hatten, zweifelte keiner von uns daran, daß die Dunkelelfen erneut angreifen würden. Vor allem war Oberin Baenre höchstwahrscheinlich äußerst verärgert, und da ich meine Jugend in Menzoberranzan verbracht hatte, wußte ich, daß es keine gute Sache war, sich die Erste Oberin Mutter zum Feind zu machen.

Dennoch gefiel mir, was ich hier in der Zwergenfeste sah. Am meisten und vor allem genoß ich den Anblick von Bruenor Heldenhammer.

Bruenor! Mein liebster Freund. Der Zwerg, an dessen Seite ich seit meinen Tagen im Eiswindtal gefochten hatte — Tage, die jetzt schon so lange zurückzuliegen schienen! Ich hatte befürchtet, daß Bruenors Geist auf immer gebrochen worden war, als Wulfgar fiel, daß das Feuer, das diesen starrköpfigsten aller Zwerge bei seinem Unternehmen, sein verlorenes Heimatland wieder in Besitz zu nehmen, über scheinbar unüberwindliche Hindernisse hinweggeführt hatte, auf ewig verloschen war. Aber dem war nicht so, und das konnte ich in diesen Tagen der Vorbereitungen deutlich erkennen. Bruenors körperliche Narben waren jetzt tiefer — er hatte sein linkes Auge verloren, und eine bläuliche Linie lief von der Stirn bis zum Kieferknochen –, aber die Flammen seines Geistes waren neu entfacht und loderten hell hinter seinem gesunden Auge.

Bruenor leitete die Vorbereitungen, von der Genehmigung der Befestigungsbauten, die in den untersten Tunneln errichtet wurden, bis hin zum Aussenden von Boten zu den Nachbarsiedlungen, die nach Verbündeten suchen sollten. Er bat bei solchen Entscheidungen nicht um Hilfe, und er brauchte auch keine, denn er war Bruenor, der Achte König von Mithril-Halle, ein Veteran zahlreicher Abenteuer, ein Zwerg, der sich seinen Titel verdient hatte.

Jetzt war seine Trauer verschwunden; zur Freude seiner Freunde und Untertanen war er wieder ein König. »Laßt die verdammten Drow nur kommen!« grollte er häufig, und wenn ich anwesend war, nickte er jedesmal in meine Richtung, als wolle er mich erinnern, daß er damit keine persönliche Beleidigung im Sinn hatte.

In Wahrheit gehörte dieser entschlossene Kriegsruf Bruenor Heldenhammers zum Schönsten, was ich jemals gehört hatte.

Was war es, fragte ich mich, das den trauernden Zwerg aus seiner Verzweiflung herausgeführt hatte? Und es war nicht nur Bruenor allein; überall um mich her herrschte aufgeregte Spannung, bei Catti-brie und selbst bei Regis, dem Halbling, der mehr dafür bekannt war, sich auf ein Mittagessen vorzubereiten denn auf einen Krieg. Auch ich selbst spürte es. Jene prickelnde Vorahnung, jene Kameradschaft, die mich und all die anderen dazu brachte, uns gegenseitig auf den Rücken zu schlagen, selbst die banalsten Erinnerungen der Verteidigungsanlagen zu loben und gemeinsam unsere Stimmen zum Jubel zu erheben, wann immer gute Nachrichten verkündet wurden.

Was war es? Es war mehr als nur Furcht, mehr als die Dankbarkeit für das, was wir besaßen, jetzt, da uns bewußt wurde, daß es uns genommen werden könnte. Damals, in jener Zeit der Euphorie und der hektischen Vorbereitungen, verstand ich es nicht. Jetzt, in der Rückschau, ist es leicht zu erkennen.

Es war Hoffnung.

Kein Gefühl kann wichtiger sein. Ob als einzelner oder gemeinsam, wir müssen darauf hoffen, daß die Zukunft besser wird als die Vergangenheit, daß unsere Nachkommen und die Ihren nach ihnen einer idealen Gesellschaft ein wenig näher kommen, wie auch immer diese unserer Ansicht nach aussehen mag. Gewiß sind die Vorstellungeneines kriegerischen Barbaren anders als das Ideal, das sich ein friedlicher Bauer ausmalt. Und ein Zwerg würde nicht danach streben, in einer Welt zu leben, die dem Ideal eines Elfen entspräche! Aber die Hoffnung selbst unterscheidet sich nicht so sehr. Und gerade in Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, daß wir etwas zu jenem endgültigen Ziel beitragen, so wie es in Mithril-Halle war, als wir glaubten, daß die Schlacht mit Menzoberranzan kurz bevorstand — und daß wir die Dunkelelfen besiegen und damit ein für allemal die Bedrohung durch die Stadt des Unterreiches beenden würden —, gerade in solchen Zeiten empfinden wir wahre Hochstimmung.

Hoffnung ist der Schlüssel. Die Zukunft wird besser als die Vergangenheit oder die Gegenwart. Ohne diesen Glauben gibt es nur ein schlaffes, letztlich leeres Abmühen in der Gegenwart, wie in der Gesellschaft der Drow, oder aber simple Verzweiflung, durch die wir unsere Lebenszeit mit Warten auf den Tod verschwenden.

Bruenor hatte eine Aufgabe gefunden — wir alle hatten dies –, und niemals war ich lebendiger als in jenen Tagen der Vorbereitung in Mithril-Halle.

Drizzt Do’Urden

Diplomatie

Catti-brie mußte sich ungemein anstrengen, die wirbelnden Krummsäbel des Drow in Schach zu halten. Sie war eine solide gebaute Frau, hundertdreißig Pfund reine Muskeln und durch ihr Leben in Bruenors Zwergensippe gut in Form. Catti-brie war mit der Esse und dem Schmiedehammer wohl vertraut.

Oder mit dem Schwert, und diese neue Klinge, deren weißmetallener Knauf die Form eines Einhornkopfes hatte, war die bei weitem ausgewogenste Waffe, die sie jemals geschwungen hatte. Dennoch wurde Catti-brie von ihrem heutigen Gegner schwer bedrängt. Nur wenige in den Reichen konnten sich mit der Klinge Drizzt Do’Urdens, des Drowwaldläufers, messen.

Er war nicht größer als Catti-brie und höchstens ein paar Pfund schwerer. Sein weißes Haar hing ebenso weit herab wie Catti-bries kastanienbraune Mähne und war auch ebenso dicht, und seine ebenholzfarbene Haut glänzte vor Schweiß, ein Beweis für das Geschick der jungen Frau.

Drizzt kreuzte seine beiden Krummsäbel (einer von ihnen leuchtete durch die Schutzpolsterung, die ihn bedeckte, in einem feurigen Blau), dann zog er sie wieder weit auseinander und lud Catti-brie ein, zwischen ihnen durchzustoßen.

Sie hütete sich wohl, diesen Versuch zu unternehmen. Drizzt war zu schnell und konnte ihre Klinge nahe der Spitze mit dem einen Säbel treffen, während der andere zugleich tief unten parierte und von der anderen Seite dicht am Heft dagegen schlug. Mit einem einzigen Schritt diagonal zur Seite, der seinem dichter parierenden Säbel folgte, hätte Drizzt sie so geschlagen.

Statt dessen trat Catti-brie zurück und präsentierte ihr Schwert. Mit tiefblauen Augen lugte sie an der Klinge vorbei, die mit einem schweren Übungspolster überzogen war, und sie blickte fest in die lavendelblauen Augen des Drow.

»Eine verpaßte Gelegenheit?« reizte Drizzt sie.

»Eine vermiedene Falle«, erwiderte Catti-brie rasch.

Drizzt stürmte plötzlich vor. Seine Klingen kreuzten sich, fuhren weit auseinander und hieben scherenartig zu, eine weit oben, die andere recht tief. Catti-brie schob den linken Fuß nach hinten und ließ sich in eine Kauerstellung fallen, wobei sie ihr Schwert so nach vorne brachte, daß es die tief heransausende Klinge parierte, während sie den Kopf einzog, um der höheren auszuweichen.

Sie hätte sich die Mühe nicht zu machen brauchen, denn Drizzt kreuzte die Waffen zu früh, bevor seine Füße nachkommen konnten, und beide Krummsäbel zischten ein Stück vor ihrem Ziel durch die Luft.

Die dadurch entstandene Öffnung entging Catti-brie nicht, und sie schoß mit zustoßendem Schwert vor.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit zuckten Drizzts Klingen zurück und trafen das Schwert von beiden Seiten. Aber Drizzts Füße waren nicht angemessen positioniert, um der Bewegung zu folgen, indem er diagonal vorrückte, und so konnte er keinen Vorteil aus Catti-bries abgelenktem Schwert ziehen.

Statt dessen warf sich die junge Frau nach vorne und zur Seite, zog ihr Schwert aus der Umklammerung und führte den eigentlichen Angriff aus — einen Hieb gegen Drizzts Hüfte.

Drizzts Rückhand fing sie ab und trieb ihre Klinge harmlos nach oben.

Sie lösten sich wieder voneinander und musterten sich kritisch, wobei Catti-brie zufrieden lächelte. In all den Monaten ihres gemeinsamen Trainings hatte sie noch niemals so dicht vor einem Treffer an dem gewandten, erfahrenen Drow gestanden.

Drizzts Miene ließ sie jedoch ihren Triumph vergessen, und dann richtete der Drow die Spitzen seiner Krummsäbel nach unten und schüttelte frustriert den Kopf.

»Die Armschützer?« fragte Catti-brie und bezog sich damit auf die magischen Armbänder, breite Streifen aus einem schwarzen Material, das mit glitzernden Mithrilringen bedeckt war. Drizzt hatte sie Dantrag Baenre abgenommen, dem ehemaligen Waffenmeister des Ersten Hauses von Menzoberranzan, nachdem er ihn im Kampf getötet hatte. Gerüchte besagten, daß jene wundersamen Armschützer Dantrags Händen unglaubliche Schnelligkeit und damit einen Vorteil im Zweikampf verliehen hatten.

Während er gegen den blitzschnellen Baenre gefochten hatte, hatte Drizzt begonnen, diesen Gerüchten Glauben zu schenken, und nachdem er die Schützer in den letzten paar Wochen während seiner Übungskämpfe getragen hatte, war dieser Verdacht zur Gewißheit geworden. Aber Drizzt war sich nicht sicher, ob die Armbänder wirklich eine gute Sache waren. Im Kampf mit Dantrag hatte er dessen angeblichen Vorteil gegen den Drow selbst gerichtet, denn die Hände des Waffenmeisters hatten sich zu schnell bewegt, als daß Dantrag eine begonnene Bewegung noch hätte abändern können — er konnte bei einem unerwarteten Zug seines Gegners nicht mehr improvisieren. Und jetzt, bei diesen Übungskämpfen, mußte Drizzt erkennen, daß die Schützer noch einen weiteren Nachteil in sich bargen.

Seine Füße konnten mit seinen Händen nicht mithalten.

»Du wirst noch lernen, sie zu beherrschen«, tröstete Catti-brie.

Drizzt war sich dessen nicht so sicher. »Kampf ist eine Kunst, die aus Gleichgewicht und Bewegung besteht«, erklärte er.

»Und du bist jetzt schneller!« erwiderte Catti-brie.

Drizzt schüttelte den Kopf. »Meine Hände sind schneller«, sagte er. »Ein Krieger siegt nicht mit seinen Händen. Er siegt mit seinen Füßen, indem er sich in die beste Position bringt, um durch Lücken in der Verteidigung seines Gegners zuzustoßen. «

»Die Füße werden schon noch nachkommen«, erwiderte Catti-brie. »Dantrag war Menzoberranzans bester Kämpfer, und du hast selbst gesagt, daß dies an den Schützern lag.«

Drizzt konnte nicht leugnen, daß die Armschützer Dantrag sehr geholfen hatten, aber er fragte sich, wie sehr sie einem Mann seines Formates von Nutzen sein konnten. Es mochte sein, daß die Schützer einem geringeren Kämpfer helfen konnten, einem, der sich auf die schiere Schnelligkeit seiner Waffen verlassen mußte. Aber der wirkliche Meister, der die Harmonie zwischen all seinen Muskeln erreicht hatte, würde dadurch aus dem Gleichgewicht gebracht. Oder vielleicht würden die Armbänder auch jemandem helfen, der eine schwerere Waffe führte, einen mächtigen Kriegshammer wie Aegisfang. Drizzts Krummsäbel, schmale Klingen und nicht mehr als zwei Pfund schwer, die perfekt durch Handwerkskunst und Magie ausbalanciert waren, ließen sich ohne Anstrengung schwingen, und Drizzts Hände waren, selbst ohne die Armbänder, schneller als seine Füße.

»Dann komm her«, schalt Catti-brie ihn und fuchtelte mit dem Schwert. Sie kniff die blauen Augen ein wenig zusammen, und mit einem Schwung ihrer wohlgeformten Hüften ließ sie sich in eine fast hockende stabile Position fallen.

Sie spürte ihre Chance, erkannte Drizzt. Sie wußte, daß er mit einer Behinderung kämpfte, und wollte die Gelegenheit wahrnehmen, ihm endlich eine der vielen ärgerlichen Treffer zurückzuzahlen, die er ihr bei Übungskämpfen versetzt hatte.

Drizzt holte tief Luft und hob die Klingen. Er war Catti-brie die Revanche schuldig, aber er nahm sich vor, es ihr nicht zu leicht zu machen.

Er kam langsam heran und verhielt sich defensiv. Ihr Schwert schoß vor, und er traf es zweimal, bevor es auch nur in seine Nähe kommen konnte, einmal von links mit der rechten Hand und noch einmal auf der linken Seite, indem er seine linke Hand direkt über die ausgestreckte Klinge brachte und mit einem Abwärtshieb parierte.

Catti-brie ließ sich mit dem Schwung des doppelten Schocks treiben, drehte sich einmal vollständig im Kreis und wirbelte von ihrem Widersacher fort. Als sie ihm wieder zugewandt war, hatte Drizzt erwartungsgemäß den Abstand zu ihr überwunden.

Aber noch immer hielt sich der geduldige Drow in seinem Angriff zurück und drang nicht schnell und heftig auf seine Gegnerin ein. Seine Klingen kreuzten sich und fuhren wieder auseinander und neckten die junge Frau.

Catti-brie knurrte und ließ ihr Schwert erneut gerade nach vorn zucken, entschlossen, die schwer zu entdeckende Öffnung zu finden. Und die Krummsäbel sausten heran und schlugen in schneller Folge gegen das Schwert, und wieder hämmerten beide Klingen gegen die linke Seite der Waffe. Wie zuvor wirbelte Catti-brie nach rechts, aber diesmal setzte Drizzt hart nach.

Die junge Frau ließ sich tief in die Hocke fallen, so daß ihr Hinterteil über den Boden strich, und rutschte nach hinten. Drizzts beide Klingen zischten über und vor ihr durch die Luft, denn erneut waren seine Hiebe erfolgt, bevor er seine Füße in die richtige Position bringen konnte.

Drizzt bemerkte erstaunt, daß Catti-brie nicht mehr vor ihm war.

Er nannte die Bewegung den »Geisterschritt« und hatte ihn dem Mädchen erst vor einer Woche beigebracht. Der Trick bestand darin, die zuckende Waffe des Gegners als Sichtschutz zu benutzen und sich so gewandt in dem Bereich zu bewegen, der vor seinen Blicken geschützt war, daß der Gegner nicht erkennen konnte, daß man nach vorne und zur Seite gehuscht und sogar bis hinter die führende Hüfte vorgedrungen war.

Reflexartig stieß der Drow seinen führenden Krummsäbel direkt nach hinten. Die Klinge deutete nach unten, da Catti-brie in der Hocke an ihm vorbeigeeilt war. Er erreichte das Ziel zu schnell und noch vor dem Schwert, so daß der Schwung des Krummsäbels diesen nutzlos davontrieb, bevor der Angriff noch sein Ziel erreicht hatte.

Drizzt zuckte zusammen, als das Schwert mit dem Einhornknauf ihn hart an der Hüfte traf.

Für Catti-brie war dieser Augenblick das reine Vergnügen. Sie wußte natürlich, daß die Armbänder Drizzt behinderten und ihn Fehler im Gleichgewicht machen ließen — Fehler, die Drizzt Do’Urden seit seinen frühesten Tagen als Kämpfer nicht mehr gemacht hatte –, aber selbst mit den lästigen Armbändern war der Drow ein mächtiger Widersacher und hätte wahrscheinlich die meisten Schwertkämpfer besiegen können.

Und so war es für sie eine wahre Wonne zu sehen, wie ihr neues Schwert unbehindert ins Ziel traf!

Das Gefühl der Freude wurde jedoch sofort durch den Drang ausgelöscht, die Klinge tiefer eindringen zu lassen. Es war ein plötzlicher, unerklärlicher Zorn, der direkt auf Drizzt gerichtet war.

»Berührt!« gab Drizzt zu, daß er getroffen war, und als sich Catti-brie aufrichtete und orientierte, sah sie, daß der Drow ein paar Fuß entfernt stand und sich die schmerzende Hüfte rieb.

»Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich, als sie erkannte, daß sie viel zu hart zugeschlagen hatte.

»Nicht so schlimm«, erwiderte Drizzt verschmitzt. »Sicher wiegt dein einer Treffer nicht all den Schmerz auf, den meine Krummsäbel dir zugefügt haben müssen.« Die Lippen des Dunkelelfen kräuselten sich zu einem mutwilligen Lächeln. »Oder die Schmerzen, die ich dir gewiß noch zufügen werde!«

»Ich denke, ich werde dich drankriegen, Drizzt Do’Urden«, antwortete Catti-brie ruhig und selbstbewußt. »Du wirst deine Treffer austeilen, aber du wirst sie auch einstecken müssen! «

Darüber lachten sie beide, und Catti-brie trat zur Seite, um die Übungspolster abzulegen.

Drizzt schob die Abdeckung von einem seiner Krummsäbel und dachte über diese letzten Worte nach. Catti-brie wurde wirklich immer besser, das mußte er zugeben. Sie hatte das Herz einer Kriegerin, veredelt von der Philosophie einer Poetin, und das war wahrlich eine gefährliche Kombination. Wie Drizzt würde auch Catti-brie lieber reden als kämpfen, aber wenn die Möglichkeiten der Diplomatie erschöpft waren, wenn der Kampf zu einer Frage des Überlebens wurde, dann würde die junge Frau mit reinem Gewissen und hitziger Leidenschaft fechten. Ihr ganzes Herz und ihr ganzes Können würden dann zum Tragen kommen, und bei Catti-brie war beides in beträchtlichem Ausmaß vorhanden.

Und sie war gerade erst Anfang Zwanzig! Wäre sie eine Drow, so würde sie in Menzoberranzan jetzt gerade in Arach-Tinilith sein, der Schule von Lloth, und ihr starkes Moralempfinden stünde jeden Tag unter dem Beschuß der Lügen der Priesterinnen der Spinnenkönigin. Drizzt drängte diesen Gedanken beiseite; er wollte nicht einmal daran denken, daß Catti-brie an diesem schrecklichen Ort sein könnte. Angenommen, sie wäre statt dessen auf die Drowschule der Kämpfer gegangen, Melee-Magthere, überlegte er. Wie würde sie sich dort gegen die jungen Drow halten?

Drizzt war sicher, daß Catti-brie dort zur Spitze der Klasse gehören würde, gewißlich zu den obersten zehn oder fünfzehn Prozent, und ihre Leidenschaft und ihre Entschlossenheit hätten sie dorthin gebracht. Wie sehr würde sie sich wohl unter seiner Führung noch verbessern können? fragte sich Drizzt, und dann verdüsterte sich seine Miene, als er an die Einschränkungen dachte, die Catti-bries Abstammung ihr auferlegten. Er war jetzt in den Sechzigern, nach dem Maßstab der Drow, die bis zu sieben Jahrhunderte überdauern konnten, kaum mehr als ein Kind, aber wenn Catti-brie sein zartes Alter erreichte, würde sie alt sein, zu alt, um noch gut zu kämpfen.

Dieser Gedanke schmerzte Drizzt sehr. Sofern nicht die Klinge eines Feindes oder die Klauen eines Monsters sein Leben verkürzten, würde er zusehen müssen, wie Catti-brie alt wurde, würde sehen, wie sie aus seinem Leben verschwand.

Drizzt beobachtete jetzt, wie sie das gepolsterte Wehrgehenk ablegte und den metallenen Halsschutz öffnete. Unter der Polsterung trug sie oberhalb ihrer Taille nur ein einfaches Hemd aus leichtem Material. Es war jetzt feucht vom Schweiß und klebte an ihr.

Sie war eine Kriegerin, dachte Drizzt, aber sie war auch eine schöne junge Frau, wohlgeformt und stark, mit der Energie eines Füllen, das gerade laufen lernte, und einem Herzen voller Leidenschaft.

Das Geräusch entfernter Essen, das plötzlich lauter werdende Klirren von Hämmern auf Stahl, hätte Drizzt darauf aufmerksam machen sollen, daß die Tür des Raumes sich geöffnet hatte, aber dies drang einfach nicht bis in das abgelenkte Bewußtsein des Drow vor.

»He!« erscholl plötzlich ein Brüllen. Drizzt wandte sich um und sah Bruenor in den Raum stürmen. Er erwartete fast, daß der Zwerg, Catti-bries übermäßig besorgter Adoptivvater, ihn zur Rede stellen würde, wo bei den Neun Höllen Drizzt da hinguckte, und der Seufzer des Drow zeugte von Erleichterung, als Bruenor, dessen feuerroter Bart vor Speichel schäumte, statt dessen zu einer Tirade über Siedelstein anhob, die barbarische Siedlung südlich von Mithril-Halle.

Dennoch merkte der Drow, wie er rot wurde (und er hoffte, daß seine ebenholzfarbene Haut dies verbarg), als er den Kopf schüttelte, sich sein weißes Haar zurückstrich und ebenfalls damit begann, sich seiner Übungskleidung zu entledigen.

Catti-brie kam herüber und schüttelte dabei ihre kastanienbraune Mähne, um die Schweißtropfen loszuwerden. »Berkthgar macht wieder Schwierigkeiten?« fragte sie — sie meinte Berkthgar den Tapferen, den neuen Häuptling von Siedelstein.

Bruenor schnaubte. »Berkthgar kann gar nicht anders, als Schwierigkeiten machen!«

Drizzt blickte zu der wunderschönen Catti-brie auf. Er wollte sich nicht vorstellen, wie sie alt wurde, obgleich er wußte, daß sie mit mehr Anmut altern würde als die meisten.

»Er ist stolz«, erwiderte Catti-brie, »und er hat Angst.«

»Pah!« gab Bruenor zurück. »Wovor soll er denn Angst haben? Er hat hundert starke Männer um sich herum, und es ist kein Feind zu sehen.«

»Er hat Angst, nicht vor dem Schatten seines Vorgängers bestehen zu können«, erklärte Drizzt, und Catti-brie nickte.

Bruenor stockte mitten in seinem Gepolter und dachte über die Worte des Drow nach. Berkthgar lebte im Schatten Wulfgars, des größten Helden, den die barbarischen Stämme des fernen Eiswindtales je gekannt hatten. Der Mann, der Dracos Eisiger Tod getötet hatte, den weißen Drachen; der Mann, der im zarten Alter von zwanzig Jahren die wilden Stämme vereint und ihnen eine bessere Lebensweise gezeigt hatte.

Bruenor glaubte nicht, daß irgendein Mensch aus Wulfgars Schatten herausragen konnte, und sein ergebenes Nicken zeigte, daß er dieses Argument verstand. Trauer glomm in seinem stahlgrauen Auge, denn Bruenor konnte nie an Wulfgar denken, ohne traurig zu werden.

»Bei welchem Punkt macht er denn Schwierigkeiten?« fragte Drizzt und versuchte, das heikle Thema zu wechseln.

»Bei dieser ganzen verdammten Allianz«, schnaufte Bruenor.

Drizzt und Catti-brie tauschten einen neugierigen Blick. Das ergab natürlich keinen Sinn. Die Barbaren von Siedelstein und die Zwerge von Mithril-Halle waren bereits Verbündete und arbeiteten Hand in Hand. Bruenors Volk schürfte das kostbare Mithril und formte es zu wertvollen Gegenständen, und die Barbaren wickelten den Handel mit den Kaufleuten der nahegelegenen Städte ab, mit Nesme am Trollmoor oder dem östlich gelegenen Silbrigmond. Die beiden Völker, Bruenors und Wulfgars, hatten gemeinsam gekämpft, um Mithril-Halle von den üblen grauen Zwergen, den Duergar, zu säubern, und die Barbaren waren aus ihrer weitentlegenen Heimat im Eiswindtal hergekommen und hatten nur aus dieser festen Freundschaft und Allianz mit Bruenors Clan heraus beschlossen hierzubleiben. Es ergab keinen Sinn, daß Berkthgar Schwierigkeiten machte, nicht, wenn ein Angriff der Drow bevorstand.

»Er will den Hammer«, erklärte Bruenor.

Das erklärte alles. Der Hammer war Wulfgars Hammer, der mächtige Aegisfang, den Bruenor selbst während der Jahre, in denen der junge Mann Frondienste für den rotbärtigen Zwerg ableisten mußte, als Geschenk für Wulfgar geschmiedet hatte. Während jener Jahre hatten Bruenor, Drizzt und Catti-brie den wilden jungen Barbaren eine bessere Lebensweise beigebracht.

Natürlich würde Berkthgar Aegisfang haben wollen, erkannte Drizzt. Der Kriegshammer war inzwischen mehr als nur eine Waffe. Er stellte für die abgehärteten Männer und Frauen Siedelsteins ein Symbol dar. Aegisfang stand für die Erinnerung an Wulfgar, und wenn Berkthgar Bruenor davon überzeugen konnte, ihn die Waffe schwingen zu lassen, würde sich sein Ansehen bei seinem Volk verzehnfachen.

Es war absolut logisch, aber Drizzt wußte, daß Berkthgar Bruenor niemals dazu bringen würde, ihm den Hammer zu geben.

Dann sah der Zwerg Catti-brie an, und Drizzt, der sie ebenfalls betrachtete, fragte sich, ob sie es wohl für eine gute Sache hielt, den Hammer dem neuen Anführer der Barbaren zu übergeben. Welch heftige Gefühle mußten jetzt wohl die Gedanken der jungen Frau beeinflussen! Sie und Wulfgar hatten heiraten wollen; sie und Wulfgar waren gemeinsam aufgewachsen und hatten viele Lektionen des Lebens Seite an Seite gelernt. Würde Catti-brie dies jetzt ignorieren können, würde sie ihre eigene Trauer ignorieren und einem logischen Kurs folgen können, um die Allianz zu besiegeln?

»Nein«, sagte sie schließlich entschieden. »Er kann den Hammer nicht bekommen.«

Drizzt nickte beipflichtend und war froh, daß Catti-brie die Erinnerungen an Wulfgar, an ihre Liebe zu ihm, nicht einfach wegschob. Auch er hatte Wulfgar wie einen Bruder geliebt, und er konnte sich nicht vorstellen, daß irgend jemand anders, sei es nun Berkthgar oder der Gott Tempus selbst, Aegisfang führte.

»Ich hab’ auch niemals daran gedacht, ihn ihm zu geben«, stimmte Bruenor zu. Er schüttelte eine zornig geballte Faust, und seine Armmuskeln waren sichtlich angespannt. »Aber wenn dieser uneheliche Sohn eines Rentieres noch einmal danach fragt, werde ich ihm etwas anderes geben, darauf könnt ihr wetten!«

Drizzt erkannte, daß sich da ein ernstes Problem zusammenbraute. Berkthgar wollte den Hammer, das war verständlich und sogar zu erwarten gewesen, aber der junge, ehrgeizige Anführer der Barbaren bemerkte anscheinend nicht das Ausmaß seiner Forderung. Diese Situation konnte sich zu etwas weit Schlimmerem entwickeln als nur zu einem gespannten Verhältnis gegenüber notwendigen Verbündeten. Sie konnte zu offenem Streit zwischen den beiden Völkern führen, denn Drizzt bezweifelte Bruenors Drohung keinen Moment. Wenn Berkthgar den Hammer als Gegenleistung für etwas verlangte, das er ohne Bedingungen gewähren müßte, so konnte er sich glücklich schätzen, wenn er noch mit allen Gliedmaßen am richtigen Ort wieder in den Sonnenschein hinaustrat.

»Drizzt und ich werden nach Siedelstein gehen«, bot Catti-brie an. »Wir werden Berkthgars Wort bekommen, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen.«

»Der Junge ist ein Narr!« schnaubte Bruenor.

»Aber sein Volk ist vernünftiger als er«, fügte Catti-brie hinzu. »Er will den Hammer haben, um sein Ansehen zu erhöhen. Wir werden ihm beibringen, daß es ihm nur schadet, etwas zu fordern, das er nicht bekommen kann.«

Stark und leidenschaftlich und zudem so klug, ging es Drizzt durch den Kopf, während er die junge Frau betrachtete. Sie würde in der Tat bewerkstelligen, was sie gerade behauptet hatte. Er und Catti-brie würden nach Siedelstein gehen und alles erreichen, was sie gerade ihrem Vater versprochen hatte.

Der Drow stieß einen tiefen, langen Seufzer aus, als Bruenor und Catti-brie sich entfernten. Die junge Frau ging erst noch zur Seite des Raumes hinüber, um ihre Habseligkeiten aufzulesen. Er beobachtete die erneuerte Hoffnung in Bruenors Schritten, das Leben, das wieder in den feurigen Zwerg zurückgekehrt war. Wie viele Jahre würde König Bruenor Heldenhammer wohl regieren? fragte sich Drizzt. Einhundert? Zweihundert?

Sofern nicht die Klinge eines Feindes oder die Klauen eines Monsters sein Leben verkürzten, würde auch der Zwerg zusehen müssen, wie Catti-brie alterte und starb.

Es war eine Vorstellung, die Drizzt nicht ertragen konnte, während er dem leichten Schritt dieses temperamentvollen, jungen Füllens folgte.

Khazid’hea, der Schnitter, ruhte geduldig an Catti-bries Hüfte, sein Augenblick des Zorns war verraucht. Das lebende Schwert freute sich über die Fortschritte der jungen Frau als Kämpferin. Sie war zweifellos begabt, aber dennoch wollte Khazid’hea mehr, es wollte von dem allerbesten Krieger geführt werden.

Und im Augenblick war dieser Krieger Drizzt Do’Urden.

Das Schwert hatte sich auf Drizzt konzentriert, nachdem der abtrünnige Drow seinen früheren Träger, Dantrag Baenre, getötet hatte. Khazid’hea hatte wie gewöhnlich seinen Knauf verändert, hatte ihn von dem Kopf eines Unholdes (der Dantrag angelockt hatte) zum Abbild eines Einhorns gewandelt, da es wußte, daß dies das Symbol von Drizzt Do’Urdens Göttin war. Aber dennoch hatte der Drowwaldläufer Catti-brie gebeten, das Schwert zu nehmen, da er den Krummsäbel bevorzugte.

Er bevorzugte den Krummsäbel!

Oh, wenn Khazid’hea seine Klinge doch ebenso verändern könnte wie seinen Knauf! Wenn die Waffe nur ihre Klinge krümmen, verkürzen und verdicken könnte …

Aber das konnte Khazid’hea nicht, und Drizzt würde kein Schwert führen. Die Frau war jedoch gut und wurde immer besser. Sie war ein Mensch und würde wahrscheinlich nicht lange genug leben, um eine solche Geschicklichkeit zu erwerben wie Drizzt, aber wenn das Schwert sie dazu verführen konnte, den Drow zu erschlagen …

Es gab viele Wege, um der Beste zu werden.

Oberin Baenre, faltig und selbst für eine Drow viel zu alt, um noch am Leben zu sein, stand in der großen Kapelle des Ersten Hauses von Menzoberranzan, ihres Hauses, und sah den angestrengten Bemühungen der Sklavenarbeiter zu, die dabei waren, den riesigen herabgefallenen Stalaktiten aus dem Kuppeldach des Gebäudes zu entfernen. Sie wußte, daß die Halle bald wiederhergestellt sein würde. Das Geröll auf dem Boden war bereits weggeräumt, und die Blutspuren der Dutzend Drow, die bei dem Unglück getötet worden waren, hatte man ebenfalls schon lange weggeschrubbt.

Aber der Schmerz jenes Augenblicks, die enorme Erniedrigung Oberin Baenres in Gegenwart jeder wichtigen Oberin Mutter von Menzoberranzan, und das auch noch in dem Moment, da die Erste Oberin Mutter den Höhepunkt ihrer Macht erreicht hatte, war geblieben. Der speerartige Stalaktit war durch das Dach gefahren, aber er hätte ebensogut Oberin Baenres Herz durchbohren können. Sie hatte eine Allianz aus den streitlüsternen Häusern der Drowstadt geschmiedet, eine Verbindung, die von dem Versprechen neuen Ruhmes gefestigt worden war, sobald die Drowarmee Mithril-Halle erobert haben würde.

Neuer Ruhm für die Spinnenkönigin. Neuer Ruhm für Oberin Baenre.

Zerschmettert durch die Spitze eines Stalaktiten und durch die Flucht des abtrünnigen Drizzt Do’Urden. Durch Drizzt hatte sie ihren ältesten Sohn Dantrag verloren, der vielleicht der beste Waffenmeister in Menzoberranzan gewesen war. Durch Drizzt hatte sie ihre Tochter verloren, die heimtückische Vendes. Und was am schmerzlichsten war: durch Drizzt und seine Freunde hatte sie die Allianz verloren, das Versprechen auf noch größeren Ruhm. Denn als die Oberinnen, die Herrscherinnen von Menzoberranzan und zugleich Priesterinnen, Zeuge davon geworden waren, wie der Stalaktit die Kuppel dieser Kapelle durchstoßen hatte, dieses heiligsten aller Lloth geweihten Orte, und auch noch im Augenblick des Hohen Rituals, da war ihr Vertrauen darauf geschwunden, daß die Göttin der Allianz und dem geplanten Krieg ihren Segen erteilt hatte. Sie hatten das Haus Baenre eiligst verlassen und waren in ihre eigenen Anwesen zurückgekehrt, wo sie ihre Tore versiegelt hatten und versuchten, den Willen von Lloth zu ergründen.

Oberin Baenres Ansehen hatte schwer gelitten.

Doch selbst nach allem, was geschehen war, blieb die Erste Oberin Mutter zuversichtlich, daß sie die Allianz wiederherstellen könnte. An einem Halsband trug sie einen Ring, der aus dem Zahn eines lange vergangenen Zwergenkönigs geschnitzt worden war, eines gewissen Gandalug Heldenhammer, des Stifters des Clans Heldenhammer und Gründers von Mithril-Halle. Oberin Baenre hatte Gewalt über Gandalugs Geist und konnte von ihm genaue Informationen über die Anlage der Zwergenminen erhalten. Trotz Drizzts Entkommen konnten die Dunkelelfen noch immer nach Mithril-Halle ziehen und Drizzt und seine Freunde bestrafen.

Sie hätte die Allianz wiederherstellen können, aber aus irgendeinem Grund, den Oberin Baenre nicht verstand, hielt Lloth, die Spinnenkönigin selbst, sie zurück. Die Yochlol, die Dienerinnen von Lloth, waren nach Baenre gekommen, hatten sie davor gewarnt, die Allianz voranzutreiben, und statt dessen angewiesen, sich auf ihre eigene Familie zu konzentrieren, um die Verteidigung ihres Hauses zu gewährleisten. Es war eine Forderung, die keine Priesterin der Spinnenkönigin abzulehnen gewagt hätte.

Sie hörte das laute Klacken fester Stiefel auf dem Boden hinter sich und das Klimpern einer Fülle von Juwelen, und sie brauchte sich nicht umzuwenden, um zu wissen, daß Jarlaxle hereingekommen war.

»Habt Ihr getan, was ich Euch aufgetragen habe?« fragte sie, während sie weiterhin die Arbeit an der Kuppeldecke beobachtete.

»Seid ebenfalls gegrüßt, Erste Oberin Mutter«, erwiderte der stets sarkastische Söldner. Das brachte Baenre dazu, sich zu ihm umzuwenden, und sie runzelte finster die Stirn, so wie sie und viele der herrschenden Frauen Menzoberranzans es stets taten, wenn sie den Mann musterten.

Er trat auf wie ein Pfau — anders konnte man es nicht beschreiben. Die Dunkelelfen von Menzoberranzan, insbesondere die niederen Männer, trugen gewöhnlich unauffällige, praktische Kleidung, Roben in dunklen Farben, die mit Spinnen oder Spinnweben verziert waren, oder einfache Wämser unter geschmeidigen Kettenhemden. Und fast immer trugen sowohl männliche als auch weibliche Drow tarnende Piwafwis,dunkle Umhänge, die sie vor den forschenden Augen ihrer vielen Feinde verbergen konnten.

Doch nicht so Jarlaxle. Sein Kopf war kahlrasiert und fast immer von einem lächerlichen breitkrempigen Hut bedeckt, in dem die riesige Schwanzfeder eines Diatryma-Vogels steckte. Statt eines Mantels oder einer Robe trug er ein glänzendes Cape, das in allen Regenbogenfarben glitzerte, sowohl im Licht als auch in jenem Bereich, den wärmesehende Augen wahrnehmen konnten. Seine ärmellose Weste war so kurz geschneidert, daß sie seine festen Bauchmuskeln freiließ, und er trug eine Vielzahl von Ringen, Halsketten, Armbändern und sogar Fußkettchen, die unaufhörlich klimperten — aber nur, wenn der Söldner dies wollte. Genau wie bei seinen Stiefeln, die so deutlich auf dem harten Fußboden der Kapelle zu hören gewesen waren, konnte auch das Geräusch des Zierats völlig unterbunden werden.

Oberin Baenre bemerkte, daß die übliche Augenklappe des Söldners heute über seinem linken Auge lag, aber was dies zu bedeuten hatte — wenn überhaupt –, wußte sie nicht.

Denn wer konnte schon wissen, was für eine Magie in dieser Augenklappe lag oder in jenem Geschmeide und den Stiefeln oder in den beiden Stäben, die er in seinem Gürtel trug, und in dem guten Schwert, das neben ihnen hing? Die Hälfte dieser Gegenstände, und sogar einer der Stäbe, wie Oberin Baenre vermutete, waren wahrscheinlich Attrappen, denen keine oder nur sehr wenig magische Macht innewohnte, außer der Eigenschaft, völlig lautlos zu werden. Die Hälfte von allem, was Jarlaxle tat, war reiner Bluff, aber die andere Hälfte war hinterlistig und absolut tödlich.

Das war der Grund, warum dieser pfauenhafte Söldner so gefährlich war.

Das war der Grund, warum Oberin Baenre Jarlaxle so sehr haßte und warum sie ihn so sehr brauchte. Er war der Anführer von Bregan D’aerthe, einem dichten Netz von Spionen, Dieben und Mördern. Es waren hauptsächlich gesetzlose Männer, die ihre Hauszugehörigkeit verloren hatten, als ihre Familien in einem der vielen Kriege zwischen rivalisierenden Häusern ausgelöscht wurden. Die Mitglieder von Bregan D’aerthe waren ebenso geheimnisvoll wie ihr Anführer. Sie waren nicht bekannt, aber sie waren dennoch sehr mächtig — so mächtig wie der Großteil der etablierten Häuser der Stadt –, und sie waren geschickt.

»Was habt Ihr alles erfahren?« fragte Oberin Baenre grob.

»Ich würde Jahrhunderte brauchen, um das auszuspukken«, erwiderte der freche Gesetzlose.

Baenres rotglühende Augen wurden schmal, und Jarlaxle erkannte, daß sie nicht in der Stimmung für seine Frivolitäten war. Er wußte, daß sie Angst hatte, und wenn er die Katastrophe bedachte, die sich während des Hohen Rituals ereignet hatte, dann war dies durchaus gerechtfertigt.

»Ich kann keine Verschwörung entdecken«, gestand der Söldner ehrlich ein.

Oberin Baenre riß die Augen auf, und sie wäre fast zurückgetaumelt, so sehr hatte sie die geradlinige Antwort überrascht. Sie hatte natürlich Zauber gewirkt, die es ihr erlaubten, jede direkte Lüge des Söldners zu erkennen. Und selbstverständlich wußte Jarlaxle dies. Diese Zauber störten den gewieften Söldnerführer aber offensichtlich wenig. Jarlaxle war imstande, sich um jede Frage so herumzuwinden, daß er niemals wirklich die Wahrheit sagte, ohne dabei jedoch direkt zu lügen.

Diesmal allerdings hatte er unumwunden und genau dem Sinn der Frage entsprechend geantwortet. Und soweit Oberin Baenre es erkennen konnte, hatte er die Wahrheit gesagt.

Baenre konnte dies nicht akzeptieren. Vielleicht funktionierte der Zauber nicht wie beabsichtigt. Vielleicht hatte Lloth sie wirklich wegen ihres Versagens im Stich gelassen und täuschte sie nun in bezug auf Jarlaxles Ehrlichkeit.

»Oberin Mez’Barris Armgo«, fuhr Jarlaxle fort und bezog sich damit auf die Oberin Mutter von Barrison del’Armgo, dem Zweiten Haus der Stadt, »ist Euch und Eurer Sache gegenüber weiterhin loyal, trotz der …« Er suchte nach dem angemessenen Wort. »Der Störung«, sagte er schließlich, »des Hohen Rituals. Oberin Mez’Barris hat sogar ihrer Garnison befohlen, für den Fall in Alarmbereitschaft zu bleiben, daß der Marsch gegen Mithril-Halle beschlossen werden sollte. Und sie sind mehr als entschlossen auszurücken, das kann ich Euch versichern, insbesondere, da …« Der Söldner brach ab und seufzte in gekünsteltem Bedauern, und Oberin Baenre verstand, worauf er hinauswollte.

Logischerweise würde Mez’Barris begierig sein, gegen Mithril-Halle zu ziehen, denn nach dem Tod von Dantrag Baenre war ihr eigener Waffenmeister, der mächtige Uthegental, unstrittig der größte der Stadt. Wieviel Ruhm das Haus Barrison del’Armgo erringen würde, falls Uthegental den abtrünnigen Do’Urden erhaschen sollte!

Und dennoch widersprachen genau diese Logik und Jarlaxles scheinbare Ehrlichkeit Oberin Baenres Befürchtungen, denn ohne die Unterstützung von Barrison del’Armgo konnte keine Allianz anderer Häuser von Menzoberranzan das Haus Baenre bedrohen.

»Das unbedeutende Gerangel unter Euren überlebenden Kindern hat sich natürlich fortgesetzt«, fuhr Jarlaxle fort. »Aber sie haben nur wenig Kontakt miteinander gehabt, und falls einige von ihnen planen, gegen Euch vorzugehen, so wird dies ohne die Hilfe von Triel geschehen, die seit der Flucht des Gesetzlosen sehr stark in der Akademie beschäftigt war.«

Oberin Baenre vermochte es gut, ihre Erleichterung über diese Aussage zu verbergen. Wenn Triel, die mächtigste ihrer Töchter und gewiß diejenige, die das größte Wohlwollen Lloths besaß, nicht plante, sich gegen sie zu erheben, so war jede Revolte von innen unwahrscheinlich.

»Es wird erwartet, daß Ihr in Bälde Berg’inyon zum Waffenmeister ernennen werdet, und Gromph wird sich dem nicht widersetzen«, merkte Jarlaxle an.

Oberin Baenre nickte zustimmend. Gromph war ihr Ältester, und als Erzmagier von Menzoberranzan besaß er mehr Macht als jeder andere Mann in der Stadt (vielleicht mit Ausnahme des gewieften Jarlaxle). Gromph würde keine Einwände dagegen haben, daß Berg’inyon zum Waffenmeister des Hauses Baenre berufen wurde. Und auch die Rangfolge von Baenres Töchtern schien gefestigt zu sein, mußte sie zugestehen. Triel hielt die Position der Leitenden Oberin von Arach-Tinilith in der Akademie inne, und obgleich jene, die noch im Haus verblieben waren, sich über die Pflichten und Privilegien streiten mochten, die nach dem Tod von Vendes freigeworden waren, so schien dies die Oberin selbst nicht zu betreffen.

Oberin Baenre schaute wieder zu dem Dorn hinauf, den Drizzt und seine Gefährten durch die Decke getrieben hatten, und sie war nicht zufrieden. Im grausamen und gnadenlosen Menzoberranzan führten Zufriedenheit und die Überheblichkeit, die häufig damit einherging, nur allzuoft zu einem vorzeitigen Ableben.

Die Knochenbrecher-Brigade

»Meinst du, wir werden das Ding brauchen?« fragte Catti-brie, als sie und Drizzt sich durch die tieferen Ebenen von Mithril-Halle bewegten. Sie gingen einen Korridor entlang, der sich links von ihnen in die große, vielgeschossige Höhle öffnete, die die berühmte Unterstadt der Zwerge beherbergte.

Drizzt blieb stehen und musterte sie, dann ging er nach links und zog Catti-brie hinter sich her. Er trat durch die Öffnung und tauchte auf der zweiten Ebene über dem riesigen Boden der Höhle auf.

Der Ort wimmelte vor Zwergen, die überall entlangrannten und laut brüllten, um über dem ständigen Brausen der großen Pumpbälge und dem entschlossenen Klirren von Hämmern auf Mithril gehört zu werden. Dies war das Herz von Mithril-Halle, eine gewaltige, offene Höhle, deren Ost- und Westwände in riesigen, aus dem Stein geschlagenen Terrassen anstiegen, so daß der ganze Ort einer umgestülpten Pyramide glich. Die ausgedehnteste Bodenfläche war die unterste Ebene zwischen den Riesenstufen, die die riesigen Essen beherbergte. Starke Zwerge zogen erzbeladene Loren über festgelegte Pfade, während andere die vielen Hebel der komplizierten Öfen bedienten, und wieder andere zogen kleinere Loren voller fertigen Metalls die Terrassen hinauf. Dort hämmerten die verschiedenen Handwerker das Material zu nützlichen Gegenständen zusammen. Normalerweise wurde hier eine große Vielfalt von Gütern hergestellt — feine Silberarbeiten, juwelenbesetzte Kelche und ornamentreiche Helme –, wunderschön, aber nur von geringem praktischem Nutzen. Jetzt jedoch, da die Drohung des nahenden Krieges über ihren Köpfen schwebte, konzentrierten sich die Zwerge auf Waffen und richtige Rüstungen. Zwanzig Fuß neben Drizzt und Catti-brie lehnte ein Zwerg, der so mit Ruß beschmiert war, daß die Farbe seines Bartes nicht mehr zu erkennen war, einen weiteren eisernen Ballistapfeil mit Mithrilspitze gegen die Wand. Der Zwerg konnte nicht einmal das obere Ende des acht Fuß langen Speeres erreichen, aber er musterte die vielkantige und mit Widerhaken versehene Spitze und kicherte. Zweifellos stellte er sich gerade vor, wie der Pfeil durch die Luft und auf kleine Drowelfen zuschoß, die alle hübsch hintereinander aufgereiht waren.

Auf einer der bogenförmigen Brücken, die die Terrassen vielleicht hundertfünfzig Fuß über den beiden Freunden miteinander verbanden, brach ein handfester Streit aus. Drizzt und Catti-brie konnten die Worte nicht über dem allgemeinen Lärm verstehen, aber sie erkannten, daß es mit einem Plan zu tun hatte, diese und die meisten anderen Brücken abzureißen, um eventuell eingedrungene Dunkelelfen auf gewisse Routen zu zwingen, wenn sie die oberen Ebenen des Komplexes erreichen wollten.

Keiner von ihnen, weder Drizzt noch Catti-brie oder irgendeiner aus Bruenors Volk, wollte die Möglichkeit ernst nehmen, daß es soweit kommen könnte.

Die beiden Freunde tauschten wissende Blicke aus. Nur selten in der langen Geschichte von Mithril-Halle hatte die Unterstadt diese Art von Aufregung erlebt. Es grenzte fast an Panik. Zweitausend Zwerge eilten durcheinander, schrien herum, schlugen mit ihren Hämmern oder schleppten Lasten, die ein Muli nicht hätte ziehen können.

Und all dies, weil sie befürchteten, daß die Drow kommen würden.

Da verstand Catti-brie, warum Drizzt den Umweg hierher gemacht hatte, warum er darauf bestanden hatte, den Halbling Regis zu finden, bevor sie nach Siedelstein gingen, wie es Bruenor angeordnet hatte.

»Laß uns den kleinen Schleicher suchen«, sagte sie zu Drizzt und mußte es schreien, um gehört zu werden. Drizzt nickte und folgte ihr zurück in die verhältnismäßige Stille der düsteren Korridore. Dann bewegten sie sich von der Unterstadt fort und auf die entlegenen Kammern zu, in denen sie den Halbling finden konnten, wie Bruenor gemeint hatte. Schweigend gingen sie weiter — und Drizzt war beeindruckt, wie gut Catti-brie es mittlerweile gelernt hatte, sich lautlos zu bewegen. Genau wie er trug auch sie eine feine Kettenrüstung aus dünnen, aber unglaublich starken Mithrilringen, die Buster Rüster, der beste Rüstmeister von Mithril-Halle, ihr nach Maß angepaßt hatte. Catti-bries Rüstung gereichte dem Zwerg nicht nur zur Schande, denn sie war so perfekt gefertigt und so geschmeidig, daß sie sich bei den Bewegungen der jungen Frau ebenso leicht bog wie ein dickes Hemd.

Wie Drizzts Stiefel, so waren auch die von Catti-brie dünn und gut eingelaufen, aber für die scharfen Ohren des Drow konnten sich nur wenige Menschen, selbst mit solchem Schuhwerk, so lautlos bewegen. Drizzt beobachtete Catti-brie insgeheim in dem schwachen, flackernden Licht der spärlichen Fackeln. Er bemerkte, daß die junge Frau ebenso ging wie ein Drow, indem sie erst den Fußballen aufsetzte, statt wie die Menschen mit dem Hacken aufzutreten und dann über die Zehen abzurollen. Die Zeit, die sie auf der Suche nach Drizzt im Unterreich verbracht hatten, war ihr gut bekommen.

Der Drow nickte anerkennend, sagte aber nichts. Er fand, daß Catti-brie an diesem Tag bereits genug Lob eingeheimst hatte. Es war unnötig, ihr Selbstvertrauen noch weiter aufzublähen.

Die Gänge waren leer und wurden immer dunkler. Drizzt entging dies nicht. Er ließ sogar seine Sehkraft in den infraroten Bereich wechseln, in dem die unterschiedliche Wärme der Gegenstände ihm ihre ungefähren Umrisse mitteilte. Die menschliche Catti-brie verfügte natürlich nicht über diese Art von Sehkraft, aber um ihre Stirn lag eine dünne Silberkette, an der vorne ein grünes Juwel angebracht war, über das sich eine einzelne schwarze Linie zog: ein Katzenaugenachat. Die Herrin Alustriel selbst hatte ihn ihr geschenkt, und er war verzaubert, so daß sein Träger selbst in den tiefsten, finstersten Tunneln so gut sehen konnte, als stünde er in einer sternklaren Nacht auf einem offenen Feld.

Die beiden Freunde hatten keine Schwierigkeiten, sich im Dunkeln zurechtzufinden, aber dennoch waren sie nicht ganz zufrieden damit. Warum brannten die Fackeln nicht? Beide hatten ihre Hände dicht an ihren Waffengriffen; Catti-brie wünschte plötzlich, sie hätte ihren magischen Bogen Taulmaril, den Herzenssucher, mitgebracht.

Ein enormes Getöse erscholl, und der Boden unter ihren Füßen bebte. Beide nahmen sofort Kampfstellung ein; Drizzt hatte die Krummsäbel so schnell gezückt, daß Catti-brie nicht einmal die Bewegung wahrgenommen hatte. Zunächst hielt die junge Frau das unglaublich schnelle Manöver für ein Ergebnis der magischen Armbänder, aber als sie Drizzt einen Seitenblick zuwarf, stellte sie fest, daß er sie nicht einmal trug. Sie zog ebenfalls ihr Schwert und holte tief Luft, während sie sich innerlich dafür rügte, daß sie geglaubt hatte, dem unglaublichen Waldläufer mit ihren Kampffertigkeiten auch nur annähernd das Wasser reichen zu können. Catti-brie drängte den Gedanken beiseite — dafür war jetzt keine Zeit — und konzentrierte sich auf den gewundenen Gang, der vor ihnen lag. Seite an Seite rückten sie und Drizzt langsam vor. Sie behielten die Schatten im Auge, in denen sich Feinde verstecken konnten, und suchten nach Spalten in den Wänden, hinter denen sich geschickt getarnte Geheimtüren zu Nebengängen verbergen mochten. Solche Schleichwege waren in der Zwergenbehausung durchaus normal, denn die meisten Zwerge waren in der Lage, sich ihre eigenen Stollen zu graben, und da die meisten von ihnen auch von Natur aus gierig waren, hielten sie ihre persönlichen Schätze versteckt. Catti-brie kannte diesen wenig benutzten Abschnitt von Mithril-Halle nicht besonders gut. Ebensowenig wie Drizzt.

Wieder krachte und dröhnte es, und der Boden erzitterte erneut und noch heftiger als beim ersten Mal. Den beiden Freunden zeigte dies, daß sie der Lärmquelle näher kamen. Catti-brie war froh, daß sie so hart trainiert hatte, und noch froher, daß Drizzt Do’Urden an ihrer Seite war.

Sie blieb stehen, und das tat auch Drizzt, der sich zu ihr umdrehte.

»Guenhwyvar?« formte sie lautlos mit den Lippen und meinte damit Drizzts Katzenfreundin, einen Panther, den der Drow von der Astralebene herbeibeschwören konnte.

Drizzt dachte einen Moment lang über den Vorschlag nach. Er wollte Guenhwyvar nicht allzuoft beschwören, da er wußte, daß es schon bald eine Zeit geben konnte, in der er sie öfter brauchen würde. Die Magie hatte ihre Grenzen; Guenhwyvar konnte innerhalb von zwei Tagen nur einen halben Tag auf der materiellen Ebene verweilen.

Noch nicht, entschied Drizzt. Bruenor hatte nicht gesagt, was Regis hier unten tat, aber er hatte auch keine Andeutung gemacht, daß es gefährlich werden könnte. Der Drow schüttelte leicht den Kopf, und die beiden gingen leise und entschlossen weiter.

Wieder ein Rumpeln, dem diesmal ein Stöhnen folgte.

»Dein Kopf, du blöder Narr!« fauchte jemand. »Du mußt deinen stinkenden Kopf benutzen!«

Drizzt und Catti-brie richteten sich sofort wieder auf und lockerten den Griff um ihre Waffen. »Pwent«, sagten sie wie aus einem Mund. Thibbledorf Pwent, der unmögliche Schlachtenwüter, der unflätigste und übelriechendste Zwerg südlich des Grates der Welt (und wahrscheinlich auch nördlich davon).

»Als nächstes willst du wahrscheinlich noch einen verdammten Helm aufsetzen!« ging die Tirade weiter.

Hinter der nächsten Biegung kamen die beiden Gefährten an eine Weggabelung. Linker Hand erscholl immer noch Pwents Gebrüll; rechts befand sich eine Tür, hinter der ein Fackellicht brannte, das durch die vielen Risse im Holz drang. Drizzt legte den Kopf schief und vernahm aus dieser Richtung ein leises und vertrautes Kichern.

Er bedeutete Catti-brie, ihm zu folgen, und trat, ohne anzuklopfen, ein. Regis stand ganz allein in dem Raum und lehnte sich auf eine Kurbel nahe der linken Wand. Das Lächeln des Halblings wurde noch strahlender, als er seine Freunde erblickte, und er hob die Hand, um ihnen zuzuwinken — von unten nach oben, denn Regis war selbst für einen Halbling klein, so daß sein lockiges braunes Haar kaum drei Fuß vom Boden entfernt war. Er hatte einen beträchtlichen Bauch, obgleich dieser in letzter Zeit ein wenig geschrumpft war, da selbst der faule Halbling die Drohung ernst nahm, die über diesem Ort hing, den er als seine Heimat betrachtete.

Er legte die Finger auf die gespitzten Lippen, als Drizzt und Catti-brie näher kamen, und deutete auf die »Tür« vor sich. Die beiden Freunde brauchten nicht lange, um zu erkennen, was los war. Die Kurbel neben Regis war mit einer Platte aus schwerem Metall verbunden, die von Schienen über und neben der Tür gehalten wurde. Das Holz der Tür war im Augenblick kaum zu sehen, da sich die Platte direkt davor befand.

»Los!« donnerte ein Befehl von der anderen Seite herüber, dann folgten eilige Schritte und ein grunzendes Brüllen. Und schließlich ein lautes Knallen, als der anstürmende Zwerg auf die verbarrikadierte Tür aufschlug und natürlich abprallte.

»Schlachtenwüter-Ausbildung«, erklärte Regis ruhig.

Catti-brie warf Drizzt einen säuerlichen Blick zu, als sie sich daran erinnerte, was ihr Vater ihr über Pwents Pläne erzählt hatte. »Die Knochenbrecher-Brigade«, sagte sie, und Drizzt nickte, denn Bruenor hatte auch ihm berichtet, daß Thibbledorf Pwent plante, eine Gruppe von Zwergen in der nicht unbedingt subtilen Kunst des Schlachtenwütens zu unterrichten. Diese Kämpfer sollten seine persönliche Knochenbrecher-Brigade bilden, hochmotiviert, geschult in berserkerhafter Wut und nicht allzu schlau.

Ein weiterer Zwerg krachte gegen die verbarrikadierte Tür, wahrscheinlich mit dem Kopf zuerst, und Drizzt wurde klar, wie Pwent die dritte wichtige Eigenschaft seiner Truppe fördern wollte.

Catti-brie schüttelte den Kopf und seufzte. Sie hatte keinen Zweifel am militärischen Wert der Brigade — Pwent konnte jeden in Mithril-Halle besiegen, mit Ausnahme von Drizzt und möglicherweise Bruenor, aber der Gedanke an eine ganze Truppe kleiner Thibbledorf Pwents drehte ihr den Magen um!

Hinter der Tür stauchte Pwent seine Leute ausführlich zusammen und belegte sie mit jedem einzelnen Schimpfwort, das die Zwergensprache bot, darunter Begriffe, die Catti-brie, die seit über zwanzig Jahren bei den Zwergen lebte, noch niemals gehört hatte. Einen weiteren Teil der Tirade schien Pwent sich spontan auszudenken, wie zum Beispiel »ihr maultierküssenden, flohschnüffelnden Sandsteinbrocken, die glauben, man müsse eine verdammte Kuh auspressen, um an die verdammte Milch zu kommen«.

»Wir sind unterwegs nach Siedelstein«, erklärte Drizzt, der es plötzlich eilig hatte, hier hinauszukommen. »Berkthgar macht Schwierigkeiten.«

Regis nickte. »Ich war dabei, als er Bruenor mitgeteilt hat, daß er den Kriegshammer will.« Der Halbling verzog sein pausbäckiges Gesicht zu dem vertrauten, versonnenen Lächeln. »Ich habe ernstlich befürchtet, Bruenor würde ihn in zwei Teile reißen!«

»Wir brauchen Berkthgar«, erinnerte Catti-brie den Halbling.

Regis winkte lässig ab. »Er blufft nur«, behauptete er. »Berkthgar braucht uns, und seine Leute würden es nicht so einfach hinnehmen, wenn er den Zwergen, die so gut zu ihnen gewesen sind, den Rücken zuwendete.«

»Bruenor würde ihn nicht wirklich umbringen«, erklärte Drizzt, wenn auch nicht sonderlich überzeugend. Alle drei Freunde hielten inne und dachten einen Augenblick über den zähen Zwergenkönig nach, über den alten, feurigen Bruenor, der wieder zurückgekehrt war. Sie dachten an Aegisfang, die schönste aller Waffen, in deren Mithrilkopf an den Seiten die geheiligten Runen der Zwergenkönige eingraviert waren. Die eine Seite trug den Hammer und den Amboß von Moradin, dem Seelenschmied, und die andere die gekreuzten Äxte von Clangeddon, dem Zwergengott der Schlachten, und beide waren von der Gravur des Juwels im Berg gekrönt, dem Symbol Dumathoins, des Bewahrers der Geheimnisse. Bruenor hatte zu den besten Schmieden der Zwerge gezählt, aber nach Aegisfang, der den Höhepunkt seiner schöpferischen Arbeit darstellte, war er nur noch selten an seine Esse zurückgekehrt.

Sie dachten an Aegisfang, und sie dachten an Wulfgar, der für Bruenor wie ein Sohn gewesen war, der große, hellhaarige Junge, für den der Zwerg den mächtigen Hammer geschaffen hatte.

»Bruenor würde