Die vergessenen Welten 07 - R.A. Salvatore - E-Book

Die vergessenen Welten 07 E-Book

R.A. Salvatore

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Beschreibung

Drizzt Do'urden und seine Gefährten haben ihr Ziel erreicht: Die Zwerge haben die Herrschaft über Mithril-Halle zurückgewonnen, und Bruenor sitzt als rechtmäßiger Köinig auf dem Thron. Da dringt ein alter Feind aus den ungezähmten Tiefen der Erde in Mithril-Halle ein – und in seinem Hass auf Drizzt und dessen Gefährten ist er schier unaufhaltsam.

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R.A. Salvatore

Das Vermächtnis

Die Vergessenen Welten 7

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Rainer Gladys

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Forgotten Realms®/The Legacy« bei Wizards of the Coast, Renton, USA.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe Juni 1995 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Copyright © 1992/1995 by Wizards of the Coast, Inc licensing by Hasbro Consumer Products.

All rights reserved. FORGOTTEN REALMS and the Wizards of the Coast logo are registered trademarks owned by Wizards of the Coast, Inc., a subsidiary of Hasbro, Inc. All FORGOTTEN REALMS characters, character names, and the distinctive likeness thereof are trademarks owned by Wizards of the Coast, Inc., a subsidiary of Hasbro, Inc. Published in the Federal Republic of Germany by Blanvalet Verlag, München Deutschsprachige Rechte bei der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

 

 

Redaktion: Antje Hohenstein HK · Herstellung: wag Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin

ISBN 978-3-641-07487-6V002

www.blanvalet.de

R. A. Salvatore wurde 1959 in Massachusetts geboren, wo er auch heute noch lebt. Bereits sein erster Roman »Der gesprungene Kristall« machte ihn bekannt und legte den Grundstein zu seiner weltweit beliebten Reihe von Romanen um den Dunkelelf Drizzt Do’Urden. Die Fans lieben Salvatores Bücher vor allem wegen seiner plastischen Schilderungen von Kampfhandlungen und seiner farbigen Erzählweise.

 

Informationen über den Autor auch unter: www.rasalvatore.com.

 

Als Blanvalet Taschenbuch von R. A. Salvatore lieferbar:

DIE VERGESSENEN WELTEN: 1. Der gesprungene Kristall (24549), 2. Die verschlungenen Pfade (24550), 3. Die silbernen Ströme (24551), 4. Das Tal der Dunkelheit (24552), 5. Der magische Stein (24553), 6. Der ewige Traum (24554)

 

DIE SAGA VOM DUNKELELF: 1. Der dritte Sohn (24562), 2. Im Reich der Spinne (24564), 3. Der Wächter im Dunkel (24565), 4. Im Zeichen des Panthers (24566), 5. In Acht und Bann (24567), 6. Der Hüter des Waldes (24568)

 

DIE VERGESSENEN WELTEN, WEITERE BÄNDE: 1. Das Vermächtnis (24663) [= 7. Band], 2. Nacht ohne Sterne (24664) [= 8. Band], 3. Brüder des Dunkels (24706) [= 9. Band], 4. Die Küste der Schwerter (24741) [= 10. Band], 5. Kristall der Finsternis (24931) [= 11. Band], 6. Schattenzeit (24973) [= 12. Band], 7. Der schwarze Zauber (24168) [= 13. Band], 8. Die Rückkehr der Hoffnung (24227) [= 14. Band], 9. Der Hexenkönig (24402) [= 15. Band], 10. Die Drachen der Blutsteinlande (24458) [= 16. Band]

 

DIE RÜCKKEHR DES DUNKELELF: 1. Die Invasion der Orks (24284), 2. Kampf der Kreaturen (24299), 3. Die zwei Schwerter (24369)

 

DIE LEGENDE VOM DUNKELELF: 1. Der König der Orks (26580), 2. Der Piratenkönig (26618)

 

DAS LIED VON DENEIR: 1. Das Elixier der Wünsche (24703), 2. Die Schatten von Shilmista (24704), 3. Die Masken der Nacht (24705), 4. Die Festung des Zwielichts (24735), 5. Der Fluch des Alchemisten (24736)

 

DIE DRACHENWELT-SAGA: Der Speer des Kriegers/Der Dolch des Drachen/Die Rückkehr des Drachenjägers. Drei Romane in einem Band! (24314)

 

Außerdem von R. A. Salvatore: STAR WARS: Episode II. Angriff der Klonkrieger (35761), Das Erbe der Jedi-Ritter 1. Die Abtrünnigen (35414)

Für Diane – teil dies mit mir.

Vorspiel

Der Ausgestoßene Dinin bewegte sich vorsichtig durch die Straßen von Menzoberranzan, der Stadt der Dunkelelfen. Als Abtrünniger, der seit fast zwanzig Jahren nicht mehr den Schutz und die Unterstützung einer Familie genossen hatte, wußte der erfahrene Kämpfer sehr wohl um die Gefahren der Stadt, und er wußte, wie er sie vermeiden konnte.

Er kam an einem verlassenen Anwesen an der zwei Meilen langen Westwand der Höhle vorbei und blieb unwillkürlich stehen. Zwei kleine Stalagmitenhügel hatten einst den Zaun gestützt, der jetzt zerstört war. Er zog sich um den gesamten Besitz, dessen Türen aufgebrochen waren, eine zu ebener Erde und eine auf einem zwanzig Fuß hohen Balkon, und in verbogenen und verkohlten Angeln hingen. Wie oft war Dinin zu diesem Balkon hinaufgeschwebt und hatte so die Privaträume der Adligen dieses Hauses betreten, des Hauses Do’Urden?

Das Haus Do’Urden. Es war verboten, auch nur diesen Namen in der Stadt der Drow auszusprechen. Einst war Dinins Familie die achte in der Rangfolge der etwa sechzig Drowfamilien von Menzoberranzan gewesen; seine Mutter hatte dem Herrschenden Konzil angehört, und er, Dinin, war ein Meister von Melee-Megthere gewesen, der Schule der Kämpfer, der berühmten Akademie der Drow.

Als er jetzt vor dem Anwesen stand, war es ihm, als wäre der Ort tausend Jahre von den Tagen seines Glanzes entfernt. Seine Familie existierte nicht mehr, sein Haus war eine Ruine, und Dinin selbst hatte sich, nur um zu überleben, der Bregan D ’aerthe anschließen müssen, einer berüchtigten Söldnertruppe.

»Einst«, formten die Lippen des ausgestoßenen Drow lautlos. Er zog den verhüllenden Piwafwi-Mantel fester um die schlanken Schultern, als er sich daran erinnerte, wie verletzlich ein hausloser Drow sein konnte. Ein kurzer Blick auf das Zentrum der Höhle, auf die Säule Narbondel, sagte ihm, daß es bereits spät war. Beim Anbruch eines jeden Tages schritt der Erzmagier von Menzoberranzan dorthin und erfüllte die Säule mit einer magischen, anhaltenden Hitze, die aufsteigen und dann wieder abklingen würde. Für die empfindlichen Drowaugen, die im infraroten Spektrum sehen konnten, war der Hitzegrad in der glühenden Säule eine Zeitangabe auf einer riesigen Uhr.

Jetzt war Narbondel fast kühl; ein weiterer Tag näherte sich seinem Ende.

Dinin mußte mehr als die halbe Stadt durchqueren, um die geheime Höhle im Klauenspalt zu erreichen, einer großen Schlucht in Menzoberranzans nordwestlicher Wand. Dort wartete Jarlaxle, der Anführer von Bregan D’aerthe, in einem seiner zahlreichen Verstecke.

Der Drowkämpfer durchquerte das Zentrum der Stadt, kam direkt am Narbondel vorbei und passierte mehr als hundert ausgehöhlte Stalagmiten, die ein Dutzend verschiedene Familienanwesen bildeten, deren fabelhafte Skulpturen und Wasserspeier in vielfarbigem Feenfeuer leuchteten. Drowsoldaten, die entlang der Hauswände oder an den Brücken, die eine Vielzahl tückischer Stalaktiten miteinander verbanden, auf Patrouille waren, hielten inne und beobachteten den einsamen Fremden wachsam. Sie hielten ihre Armbrüste und vergifteten Speere bereit, bis Dinin weit weg war.

So war es in Menzoberranzan: Alle waren immer auf der Hut, immer mißtrauisch.

Dinin warf einen wachsamen Blick in die Runde, als er den Rand des Klauenspalts erreichte. Dann glitt er über die Kante und benutzte seine angeborene Fähigkeit der Levitation und ließ sich langsam in die Kluft hinabsinken. Mehr als hundert Fuß tiefer blickte er erneut auf die Bolzen gespannter Handarmbrüste, aber diese wurden zurückgezogen, sobald die Wachen der Söldner Dinin als einen der Ihren erkannten.

Jarlaxle hat auf Euch gewartet, signalisierte eine der Wachen in der komplizierten Zeichensprache der Dunkelelfen.

Dinin machte sich nicht die Mühe einer Antwort. Er schuldete einfachen Soldaten keine Erklärungen. Rüde drängte er sich an dem Wachposten vorbei und ging einen kurzen Tunnel hinunter, der sich schon bald in ein wahres Labyrinth aus Korridoren und Räumen verzweigte. Nach mehreren Abbiegungen hielt der Dunkelelf vor einer schimmernden Tür, die dünn und fast durchscheinend war. Er legte seine Hand auf ihre Oberfläche und ließ durch seine Körperwärme einen Eindruck entstehen, den wärmesehende Augen auf der anderen Seite wie ein Anklopfen interpretieren würden.

»Endlich«, hörte er einen Augenblick später Jarlaxles Stimme. »Kommt herein, Dinin, mein Khal’abbil. Ihr habt mich viel zu lange warten lassen.«

Dinin hielt einen Moment lang inne, um sich über die Stimmlage und Wortwahl des unberechenbaren Söldners klar zu werden. Jarlaxle hatte ihn Khal’abbil, »meinen vertrauten Freund«, genannt. Das war der Spitzname für Dinin seit dem Überfall, der das Haus Do’Urden vernichtet hatte, ein Überfall, bei dem Jarlaxle eine herausragende Rolle gespielt hatte. In dem Tonfall des Söldners war kein Sarkasmus zu hören gewesen. Es schien überhaupt nichts Schlimmes vorgefallen zu sein. Aber Dinin fragte sich dennoch, warum ihn Jarlaxle dann von seiner wichtigen Erkundungsmission im Haus Vandree, dem Siebzehnten Haus von Menzoberranzan, zurückgerufen hatte. Es hatte ihn fast ein Jahr gekostet, das Vertrauen der mißtrauischen Hauswache von Vandree zu erlangen, eine Position, die durch seine unerlaubte Abwesenheit vom Anwesen des Hauses zweifellos stark gefährdet werden würde.

Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden, sagte sich der Sanoven-Kämpfer. Er hielt den Atem an und drängte sich durch die undurchsichtige Barriere. Es war, als müsse er eine Mauer aus dickem Wasser durchqueren, obwohl er nicht naß wurde. Nach mehreren langen Schritten über die fließende, außerweltliche Grenze zwischen zwei Existenzebenen erzwang er sich den Weg durch die scheinbar nur zollstarke magische Tür und betrat Jarlaxles kleine Kammer.

Der Raum wurde von einem angenehmen roten Glühen erleuchtet, das es Dinin erlaubte, seine Sehweise vom infraroten Spektrum in die normale übergehen zu lassen. Er blinzelte, während die Umstellung vor sich ging, und dann blinzelte er erneut. Wie immer, wenn er Jarlaxle ansah.

Der Söldnerführer saß hinter einem steinernen Schreibtisch in einem exotischen, gepolsterten Stuhl, der von einem einzelnen Stiel gehalten wurde und mit einem Drehzapfen ausgestattet war, so daß er in einem beträchtlichen Winkel zurückgeschaukelt werden konnte. Jarlaxle hatte sich, wie immer, bequem hingesetzt. Er hatte den Stuhl weit zurückgekippt und die Hände hinter seinem Kopf verschränkt. Sein Schädel war kahlrasiert, was sehr ungewöhnlich für einen Drow war.

Rein aus Spaß, wie es schien, hob Jarlaxle einen Fuß auf den Tisch, und sein hoher, schwarzer Stiefel traf mit einem widerhallenden Schlag auf dem Stein auf. Dann hob er den anderen, der ebenso hart auf der Tischplatte aufschlug, aber diesmal verursachte er nicht den geringsten Laut.

Der Söldner trug seine rubinrote Augenklappe heute über dem rechten Auge, stellte Dinin fest.

Neben dem Schreibtisch stand eine zitternde, kleine, humanoide Kreatur, die einschließlich der kleinen weißen Hörner, die oberhalb ihrer schrägen Brauen entsprangen, kaum die Hälfte von Dinins fünfeinhalb Fuß maß.

»Einer der Kobolde des Hauses Oblodra«, erklärte Jarlaxle beiläufig. »Es scheint, daß das bedauernswerte Ding einen Weg zu uns herein gefunden hat, aber Schwierigkeiten damit hat, wieder hinauszugelangen.«

Die Annahme des Söldnerführers erschien Dinin vernünftig. Das Haus Oblodra, das Dritte Haus von Menzoberranzan, hatte ein straffgeführtes Anwesen in der Nähe des Klauenspalts, und Gerüchte besagten, daß es Tausende von Kobolden besaß, die es zum Zeitvertreib folterte und die im Fall eines Krieges als »Futter« für das Haus dienen sollten.

»Möchtest du gehen?« fragte Jarlaxle in einer gutturalen, vereinfachten Sprache.

Der Kobold nickte eifrig und dümmlich.

Jarlaxle deutete auf die undurchsichtige Tür, und die Kreatur schoß darauf zu. Sie besaß jedoch nicht die Kraft, die Barriere zu überwinden, und prallte zurück, wobei sie fast auf Dinins Füßen landete. Bevor er auch nur versuchte aufzustehen, fauchte der Kobold den Söldnerführer in seiner Dummheit unwillig an.

Jarlaxles Hand zuckte ein paarmal, zu schnell, als daß Dinin hätte mitzählen können. Der Drowkämpfer spannte sich unwillkürlich, hütete sich aber wohlweislich, sich zu bewegen, da er wußte, daß Jarlaxle immer perfekt zielte.

Als er auf den Kobold hinabblickte, sah er fünf Dolche aus dessen leblosem Körper ragen, die eine perfekte Sternenformation auf der kleinen Brust des schuppigen Wesens bildeten.

Jarlaxle zuckte nur mit den Achseln, als er Dinins verwirrten Blick bemerkte. »Ich konnte dem Biest nicht erlauben, zu Oblondra zurückzukehren«, meinte er, »schließlich hat es herausgefunden, daß unser Anwesen so dicht an dem ihren liegt.«

Dinin fiel in Jarlaxles Lachen ein. Er wollte die Dolche einsammeln, aber Jarlaxle erinnert ihn daran, daß das nicht nötig war.

»Sie werden von selbst zurückkommen«, erklärte der Söldner, zupfte an dem Ärmel seiner Bluse und enthüllte die magische Scheide, die an seinem Handgelenk befestigt war. »Setzt Euch«, bat er seinen Freund und deutete auf einen einfachen Hocker neben dem Schreibtisch. »Wir haben viel zu besprechen. «

»Warum habt Ihr mich zurückgerufen?« fragte Dinin grob, während er seinen Platz neben dem Tisch einnahm. »Ich hatte Vandree vollständig unterwandert.«

»Ah, mein Khal’abbil«, erwiderte Jarlaxle. »Ihr kommt immer direkt zur Sache. Das ist eine Qualität, die ich an Euch bewundere. «

»Uln’hyrr«, antwortete Dinin darauf mit dem Drowwort für »Lügner«.

Wieder lachten die beiden Kameraden gemeinsam, aber Jarlaxle hörte sehr bald auf, ließ seine Füße hinabfallen und schwang seinen Stuhl nach vorne. Seine Hände, die von einem Königsschatz an Edelsteinen geschmückt waren – und angesichts derer sich Dinin oft fragte, wie viele wohl magisch waren – , falteten sich auf dem Steintisch vor ihm, und sein Gesicht wurde plötzlich sehr ernst.

»Der Angriff auf Vandree wird jetzt beginnen?« fragte Dinin, in dem Glauben, das Rätsel gelöst zu haben.

»Vergeßt Vandree«, erwiderte Jarlaxle. »Deren Geschäfte sind für uns im Augenblick nicht so wichtig.«

Dinin hatte die Arme auf dem Tisch aufgestützt und ließ jetzt sein kantiges Kinn in eine schlanke Hand sinken. Nicht wichtig! dachte er. Er wollte aufspringen und den geheimnistuerischen Anführer erwürgen. Er hatte ein ganzes Jahr darauf verwendet …

Dinin ließ seine Gedanken an Vandree versiegen. Er blickte forschend in Jarlaxles stets gleichmütiges Gesicht und suchte dort nach Anhaltspunkten. Und auf einmal verstand er alles.

»Meine Schwester«, sagte er, und Jarlaxle nickte bereits, bevor das Wort noch Dinins Mund verlassen hatte. »Was hat sie getan?«

Jarlaxle setzte sich gerade auf, blickte zur Wand des kleinen Raumes und ließ einen scharfen Pfiff ertönen. Auf dieses Signal hin verschob sich eine Steinplatte und gab den Blick auf einen Alkoven frei. Gleich darauf rauschte Vierna Do’Urden, Dinins einzige überlebende Schwester, in das Zimmer. Sie wirkte auf Dinin prächtiger und schöner, als er sie aus der Zeit des Untergangs ihres Hauses in Erinnerung hatte.

Dinins Augen weiteten sich, als er ihre Kleidung erkannte. Vierna trug die Roben! Die Roben einer Hohepriesterin von Lloth, verziert mit dem Spinnen- und Waffenmuster des Hauses Do’Urden! Dinin hatte nicht gewußt, daß sie sie behalten hatte, denn er hatte sie seit einer Dekade nicht mehr gesehen.

»Ihr riskiert …« begann er eine Warnung, aber Viernas wahnsinniger Gesichtsausdruck, ihre roten Augen, die wie Zwillingsfeuer hinter den Schatten ihrer hohen, ebenholzfarbenen Wangenknochen flackerten, stoppten ihn, bevor er die Worte aussprechen konnte.

»Ich habe die Gunst von Lloth wiedererlangt«, verkündete sie.

Dinin blickte zu Jarlaxle, der nur die Achseln zuckte und in aller Ruhe seine Augenklappe auf das linke Auge hinüberschob.

»Die Spinnenkönigin hat mir den Weg gezeigt«, fuhr Vierna fort, deren normalerweise melodische Stimme vor Erregung umschlug.

Dinin vermutete, daß die Frau am Rande des Wahnsinns stand. Vierna war immer ruhig und tolerant gewesen, selbst nach dem plötzlichen Ende des Hauses Do’Urden. In den letzten Jahren waren ihre Handlungen jedoch immer unberechenbarer geworden, und sie hatte viele Stunden alleine verbracht und verzweifelt zu ihrer gnadenlosen Gottheit gebetet.

»Werdet Ihr uns über diesen Weg berichten, den Euch Lloth gezeigt hat?« fragte Jarlaxle, anscheinend völlig unbeeindruckt, nach ein paar Momenten der Stille.

»Drizzt.« Vierna spuckte das Wort, den Namen ihres frevelhaften Bruders, mit einem Schwall von Gift über ihre zarten Lippen.

Dinin verschob klugerweise seine Hand vom Kinn über seinen Mund, um eine Erwiderung zu unterdrücken. Vierna war, trotz all ihrer offenkundigen Narrheit, eine Hohepriesterin, und man tat besser daran, sie nicht zu erzürnen.

»Drizzt?« fragte Jarlaxle sie ruhig. »Euer Bruder?«

»Er ist nicht mein Bruder!« schrie Vierna und stürzte zum Schreibtisch, als wolle sie Jarlaxle niederschlagen. Dinin bemerkte sehr wohl die leichte Bewegung des Söldnerführers, eine Verlagerung, die seinen dolchbewehrten Arm in eine bessere Position brachte.

»Verräter am Haus Do’Urden!« wütete Vierna. »Verräter an allen Drow!« Ihr zorniges Gesicht überflog plötzlich ein böses, unheilverheißendes Lächeln. »Durch das Opfer von Drizzt werde ich Lloths Gunst wiedererlangen, werde ich erneut …« Vierna brach abrupt ab und war offensichtlich entschlossen, den Rest ihrer Pläne für sich zu behalten.

»Ihr klingt wie die Oberin Malice«, wagte Dinin zu sagen. »Auch sie begann eine Jagd auf unseren Brud … auf den Verräter. «

»Ihr erinnert Euch doch an die Oberin Malice?« reizte Jarlaxle sie und benutzte die Erinnerungen, die dieser Name auslösen mußte, als Beruhigungsmittel für die übererregte Vierna. Malice, Viernas Mutter und die Oberin des Hauses Do’Urden, war letztendlich vernichtet worden, weil sie versagt hatte und den verräterischen Drizzt nicht wieder eingefangen und getötet hatte.

Vierna beruhigte sich und wurde dann auf einmal von einem Anfall spöttischen Gelächters gepackt, der mehrere Minuten anhielt.

»Ihr versteht, warum ich Euch hergerufen habe?« wandte sich Jarlaxle an Dinin, ohne der Priesterin Beachtung zu schenken.

»Ihr wünscht, daß ich sie töte, bevor sie zu einem Problem wird?« erwiderte Dinin ebenso beiläufig.

Viernas Lachen brach ab; der Blick ihrer wilden Augen fiel auf ihren anmaßenden Bruder. »Wishya!« schrie sie, und eine Welle magischer Energie warf Dinin von seinem Sitz und schmetterte ihn gegen die Steinwand.

»Kniet nieder!« befahl Vierna, und Dinin fiel auf die Knie, sobald er seine Fassung wiedererlangt hatte, wobei er die ganze Zeit mit leerem Blick Jarlaxle ansah.

Auch der Söldner konnte seine Überraschung nicht verbergen. Dieser letzte Befehl war ein einfacher Zauber gewesen, der bei einem erfahrenen Kämpfer von Dinins Format eigentlich nicht so einfach hätte wirken dürfen.

»Ich stehe in Lloths Gunst«, erklärte Vierna den beiden und stand hochaufgerichtet vor ihnen. »Wenn Ihr gegen mich seid, verliert Ihr ihre Gunst, und mit der Macht von Lloths Segnungen für meine Zauber und Flüche seid Ihr hilflos gegen mich.«

»Das letzte, was wir über Drizzt hörten, besagte, daß er sich auf der Oberfläche befindet«, sagte Jarlaxle zu Vierna, um ihren aufbrausenden Zorn abzulenken. »Allen Berichten zufolge ist er noch immer dort.«

Vierna nickte, mit einem bösartigen Grinsen, wobei ihre perlweisen Zähne dramatisch mit ihrer ebenholzfarbenen Haut kontrastierten. »Das ist er«, bestätigte sie, »aber Lloth hat mir den Weg zu ihm gezeigt, den Weg zum Ruhm.«

TEIL 1

Die erregende Furcht

Fast drei Jahrzehnte sind vergangen, seit ich mein Heimatland verlassen habe, ein kurzer Zeitabschnitt für den Maßstab eines Drowelfen, aber eine Periode, die mir wie eine ganze Lebenspanne erscheint. Alles, wonach es mich verlangte oder wovon ich glaubte, daß es mich danach verlangte, als ich die dunklen Höhlen von Menzoberranzan verließ, war eine wahrhaftige Heimat, ein Ort der Freundschaft und des Friedens, um meine Krummsäbel über dem Kamin einer warmen Herdstelle au fhängen und mit vertrauten Gefährten plaudern zu können.

All dies habe ich nun an der Seite von Bruenor in den geheiligten Hallen seiner Jugend gefunden. Es geht uns gut. Wir haben Frieden. Ich trage meine Waffen nur während der Fünftagereisen zwischen Mithril-Halle und Silbrigmond. Hatte ich unrecht?

Ich stelle meine Entscheidung, die üble Welt von Menzoberranzan zu verlassen, weder in Frage noch bedaure ich sie, aber in der (endlosen) Ruhe und dem Frieden beginne ich nun zu glauben, daß meine Wünsche zu jener kritischen Zeit in der unvermeidbaren Sehnsucht der Unerfahrenheit begründet waren. Ich hatte niemals ruhige Existenz gekannt, die ich so sehr ersehnte.

Ich kann nicht leugnen, daß mein Leben besser ist, tausendmal besser als alles, was ich jemals im Unterreich erlebt habe. Und doch, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal die Beklemmung, die erregende Furcht gespürt habe, die eine nahende Schlacht verursacht, das Prickeln, das einen nur dann überfällt, wenn ein Feind sich naht oder einer Herausforderung entgegengetreten werden muß.

Oh, ich kann mich an den genauen Zeitpunkt erinnern – es ist gerade ein Jahr her, als Wulfgar, Guenhwyvar und ich die tiefergelegenen Tunnel von Mithril-Halle säuberten –, aber das Gefühl, das Prickeln der Furcht ist schon lange aus meiner Erinnerung verblaßt.

Sind wir also Geschöpfe des Handelns? Behaupten wir nur, daß es uns nach jenen anerkannten Plätzen der Bequemlichkeit verlangt, während es in Wahrheit die Herausforderung und das Abenteuer sind, die uns wirkliches Leben einhauchen?

Ich muß gestehen, zumindest vor mir selbst, daß ich es nicht weiß.

Einen Umstand jedoch gibt es, den ich nicht bestreiten kann, eine Wahrheit, die mir unweigerlich helfen wird, diese Fragen zu beantworten und die mir eine glückliche Zukunft eröffnet. Denn nun, an der Seite von Bruenor und seiner Sippe, an der Seite von Wulfgar und Catti-brie und Guenhwyvar, meinem lieben Guenhwyvar, steht es mir frei, mein Schicksal selbst zu bestimmen.

Jetzt bin ich sicherer als jemals zuvor in den sechzig Jahren meines Lebens. Die Aussichten für die Zukunft haben für fortwährenden Frieden und fortwährende Sicherheit noch nie besser ausgesehen. Und doch fühle ich mich sterblich. Das erste Mal schaue ich auf das, was vorüber ist, statt auf das, was vor mir liegt. Ich kann es nicht erklären. Ich fühle, daß ich sterbe, daß jene Geschichten, die ich mit meinen Freunden teilen wollte, bald schal werden müssen und daß es nichts gibt, wodurch man sie ersetzen kann.

Aber, ermahne ich mich selbst, es liegt an mir, die Wahl zu treffen.

Ein Frühlingsmorgen

Drizzt Do’Urden schritt im südlichsten Ausläufer jenes Gebirges, das man Grat der Welt nannte, langsam einen Weg entlang, während der Himmel über ihm allmählich heller wurde. Weit entfernt im Süden, jenseits der Ebene und dem Ewigen Moor, bemerkte er das Glimmen der letzten Lichter einer fernen Stadt, wahrscheinlich Nesme, die allmählich verloschen und von der herannahenden Morgendämmerung abgelöst wurden. Als Drizzt um eine weitere Biegung des Bergpfades kam, sah er weit unter sich die kleine Stadt Siedelstein. Die Barbaren, Wulfgars Sippe aus dem weitentfernten Eiswindtal, begannen gerade mit ihrer morgendlichen Arbeit. Sie bauten dort unten die Ruinen wieder auf.

Drizzt beobachtete sie, durch die Entfernung waren sie nur als winzige Figuren erkennbar, wie sie hin und her eilten, und er erinnerte sich an eine gar nicht so lange vergangene Zeit, wo Wulfgar und sein stolzes Volk die gefrorene Tundra eines Landes weit im Nordwesten durchstreift hatten, auf der anderen Seite des Gebirgszuges und tausend Meilen entfernt.

Der Frühling, die Jahreszeit des Handels, näherte sich schnell, und die robusten Männer und Frauen von Siedelstein, die als Händler für die Zwerge von Mithril-Halle arbeiteten, würden schon bald mehr Wohlstand und Bequemlichkeiten erfahren, als sie in ihrem früheren Leben, in dem sie von einem Tag auf den nächsten existiert hatten, jemals für möglich gehalten hatten. Sie waren auf Wulfgars Ruf gekommen, hatten tapfer an der Seite der Zwerge in den uralten Hallen gekämpft und würden nun bald die Früchte ihrer Mühen ernten. Ihre verzweifelte, nomadische Lebensweise hatten sie zusammen mit dem endlosen, gnadenlosen Wind des Eiswindtales hinter sich gelassen.

»Wie weit wir alle gekommen sind«, teilte Drizzt der frostigen Leere der Morgenluft mit, und er mußte über die Doppeldeutigkeit seiner Worte schmunzeln, wenn er daran dachte, daß er gerade aus Silbrigmond zurückkehrte, einer prächtigen Stadt weit im Osten. Ein Ort, von dem der gehetzte Drowwaldläufer niemals zu hoffen gewagt hatte, daß er dort je akzeptiert werden würde. Und in der Tat war Drizzt vor knapp zwei Jahren, als er Bruenor und die anderen auf ihrer Suche nach Mithril-Halle begleitet hatte, vor Silbrigmonds reichverzierten Toren abgewiesen worden.

»Du bist in einer einzigen Woche schon hundert Meilen weit gekommen«, erhielt er plötzlich eine unerwartete Antwort.

Instinktiv fielen Drizzts schlanke, schwarze Hände auf die Hefte seiner Krummsäbel, aber sein Verstand holte seine Reflexe ein, und er entspannte sich sofort, als er die melodische Stimme erkannte, die mehr als nur einen Hauch zwergischen Akzents aufwies. Einen Augenblick später hüpfte Catti-brie um einen Felsvorsprung, die menschliche Adoptivtochter von Bruenor Heldenhammer. Ihre dicke, kastanienbraune Mähne tanzte im Bergwind, und ihre tiefblauen Augen glänzten wie feuchte Edelsteine im frischen Morgenlicht.

Drizzt konnte sein Lächeln nicht verbergen, als er die fröhliche Überschwenglichkeit in den Schritten des Mädchens bemerkte, eine Lebensfreude, die auch die oft bösartigen Schlachten, denen sie sich hatte stellen müssen, nicht hatten dämpfen können. Genausowenig konnte Drizzt den Schwall von Wärme verleugnen, der ihn überflutete, wann immer er Catti-brie sah, die junge Frau, die ihn besser kannte als jeder andere. Catti-brie hatte Drizzt verstanden und aufgrund seines Herzens akzeptiert und nicht nach seiner Hautfarbe beurteilt. Und das schon seit ihrer ersten Begegnung in einem winddurchfegten Tal vor über einem Jahrzehnt, als sie erst halb so alt war wie jetzt.

Der Dunkelelf wartete noch einen Moment, da er erwartete, daß Wulfgar, der bald Catti-bries Gemahl werden sollte, ihr um den Vorsprung folgen würde.

»Du bist ohne jeden Schutz sehr weit herausgekommen«, bemerkte Drizzt, als der Barbar nicht erschien.

Catti-brie kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf einen Fuß, während sie mit dem anderen ungeduldig auf den Boden klopfte. »Und du fängst an, mehr wie mein Vater zu klingen, als wie mein Freund«, erwiderte sie. »Ich sehe auch niemanden, der zum Schutz hinter Drizzt Do’Urden herläuft. «

»Gut gesprochen«, gab der Drowwaldläufer zu, wobei sein Ton respektvoll war und nicht im mindesten sarkastisch. Die Schelte der jungen Frau hatte Drizzt deutlich daran erinnert, daß Catti-brie gut selbst auf sich achtgeben konnte. Sie hatte ein Schwert zwergischer Fertigung bei sich, und unter ihrem pelzbesetzten Mantel trug sie eine gute Rüstung, eine ebenso gute Rüstung wie das Kettenhemd, das Bruenor Drizzt gegeben hatte! Taulmaril der Herzenssucher, der magische Bogen von Anariel, hing locker über Catti-bries Schulter. Drizzt hatte niemals eine mächtigere Waffe gesehen. Und noch weitaus besser als die machtvollen Waffen, die sie trug, war, daß Catti-brie von den zähen Zwergen aufgezogen worden war, von Bruenor selbst, der so hart war wie Berggestein.

»Schaust du dir oft an, wie die Sonne aufgeht?« fragte Catti-brie, die Drizzts ostwärts gerichtete Haltung bemerkte.

Drizzt fand einen flachen Felsen, auf den er sich setzen konnte, und bedeutete Catti-brie, sich zu ihm zu gesellen. »Ich habe die Morgendämmerung von meinen ersten Tagen an der Oberfläche an beobachtet«, erklärte er, während er seinen dicken, waldgrünen Umhang über die Schulter zurückwarf. »Obwohl es damals meine Augen schmerzte – eine Erinnerung daran, woher ich kam, nehme ich an. Doch nun merke ich zu meiner Erleichterung, daß ich die Helligkeit ertragen kann.«

»Und das ist gut so«, erwiderte Catti-brie. Sie fing den Blick der wunderbaren Augen des Drow ein und zwang ihn, sie anzusehen, das gleiche unschuldige Lächeln anzuschauen, das er vor so vielen Jahren an einem windzerfegten Abhang im Eiswindtal erblickt hatte.

Das Lächeln seiner ersten Freundin.

»Es steht fest, daß du in das Sonnenlicht gehörst, Drizzt Do’Urden«, fuhr Catti-brie fort, »ebenso sehr wie jedes Mitglied irgendeiner anderen Rasse, wie ich finde.«

Drizzt blickte wieder auf die Dämmerung und antwortete nicht. Catti-brie verstummte ebenfalls, und gemeinsam saßen sie lange Zeit da und beobachteten die erwachende Welt.

»Ich bin gekommen, um nach dir Ausschau zu halten«, sagte Catti-brie plötzlich. Drizzt musterte sie verwundert, da er nicht verstand, was sie meinte.

»Jetzt, meine ich«, erklärte die junge Frau. »Wir hatten erfahren, daß du nach Siedelstein aufgebrochen bist und daß du in ein paar Tagen nach Mithril-Halle zurückkehren würdest. Seither war ich jeden Tag hier draußen.«

Drizzts Ausdruck veränderte sich nicht. »Willst du mit mir privat sprechen?« fragte er, um sie zu einer Erwiderung zu veranlassen.

Catti-bries entschiedenes Nicken, als sie sich wieder dem östlichen Horizont zuwandte, zeigte Drizzt, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.

»Ich werde es dir nicht verzeihen, wenn du nicht auf meiner Hochzeit bist«, sagte Catti-brie leise. Sie biß sich auf ihre Unterlippe, als sie den Satz beendet hatte, bemerkte Drizzt, und sie schniefte, obwohl sie angestrengt versuchte, es wie eine beginnende Erkältung klingen zu lassen.

Drizzt legte einen Arm um die starken Schultern der schönen Frau. »Kannst du auch nur für einen Moment lang zweifeln, daß ich daran teilnehmen werde, selbst wenn alle Trolle des Ewigen Moores zwischen mir und der Zeremonienhalle stünden?«

Catti-brie wandte sich ihm zu, blickte ihm in die Augen und lächelte, da sie diese Antwort schon kannte. Sie warf die Arme um Drizzt, um ihn fest zu umarmen, dann sprang sie auf die Füße und zog ihn zu sich hoch.

Drizzt versuchte, ihre Erleichterung angemessen aufzunehmen oder sie das zumindest glauben zu machen. Catti-brie hatte von vornherein gewußt, daß er die Vermählung von ihr und Wulfgar, zwei seiner liebsten Freunde, nicht versäumen würde. Warum dann die Tränen, das Schniefen, das nicht von irgendeiner Erkältung kam, fragte sich der scharfsichtige Waldläufer. Warum hatte Catti-brie es für nötig erachtet herauszukommen, um ihn ein paar Stunden entfernt vom Eingang zu Mithril-Halle zu treffen?

Er fragte sie nicht danach, aber es beunruhigte ihn sehr. Immer, wenn sich Feuchtigkeit in Catti-bries Augen sammelte, war Drizzt Do’Urden sehr beunruhigt.

Jarlaxles schwarze Stiefel schlugen laut auf dem Stein auf, als er alleine einen gewundenen Tunnel außerhalb von Menzoberranzan entlangging. Die meisten Drow hätten außerhalb der großen Stadt, alleine in der Wildnis des Unterreiches, große Vorsicht walten lassen, aber der Söldner wußte, was er in den Tunneln zu erwarten hatte, und kannte jede Kreatur in diesem besonderen Abschnitt.

Informationen waren Jarlaxles Stärke. Das spionierende Netzwerk von Bregan D’aerthe, der Bande, die Jarlaxle gegründet hatte, war verzweigter als das jedes Hauses der Drow. Jarlaxle wußte alles, was in und um die Stadt geschah oder demnächst geschehen würde, und bewaffnet mit diesen Informationen hatte er jahrhundertelang als hausloser Bandit überlebt. Jarlaxle war bereits seit so langer Zeit ein Teil der Intrigen von Menzoberranzan, daß niemand, vielleicht mit Ausnahme der Ersten Oberin, Mutter Baenre, etwas über den Ursprung des gewieften Söldners wußte.

Er trug seinen schimmernden Umhang, dessen magische Farben seine elegante Gestalt hinauf und hinab liefen, und ein breitkrempiger Hut, der üppig mit den Federn eines Diatryma geschmückt war, des großen, fluguntauglichen Vogels des Unterreiches, zierte seinen glattrasierten Kopf. Ein schmales Schwert, das an einer Hüfte tanzte, und ein langer Dolch, der an der anderen hing, waren die einzigen sichtbaren Waffen. Aber wer den kampferfahrenen Söldner kannte, wußte, daß er viele andere bei sich hatte, die er an seinem Körper versteckt trug, aber schnell zücken konnte, wenn es geboten war.

Von Neugier getrieben, beschleunigte Jarlaxle sein Tempo. Sobald er jedoch die Länge seiner Schritte wahrnahm, zwang er sich dazu, wieder langsamer zu werden. Er rief sich in Erinnerung, daß er vorhatte, mit einer vornehmen Verspätung zu dem ungewöhnlichen Treffen zu kommen, das die verrückte Vierna arrangiert hatte.

Die verrückte Vierna.

Jarlaxle dachte eine Zeitlang über dieses Thema nach. Er blieb sogar stehen und lehnte sich an die Wand, um sich alle Einzelheiten dessen, was die Hohepriesterin in den letzten Wochen behauptet hatte, noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Was auf ihn ursprünglich wie die verzweifelte, vergängliche Hoffnung einer gebrochenen Adligen gewirkt hatte, die überhaupt keine Chance auf Erfolg besaß, entwickelte sich schnell zu einem ernsthaften Plan. Jarlaxle war mehr aus Amüsiertheit und Neugier auf Vierna eingegangen, aber nicht, weil er glaubte, daß sie wirklich den schon so lange verschwundenen Drizzt töten oder zumindest finden würden.

Aber irgend etwas schien Vierna zu leiten – Jarlaxle sagte sich, daß es Lloth oder eine der mächtigen Dienerinnen der Spinnenkönigin sein mußte. Viernas geistliche Kräfte schienen vollständig zurückgekehrt zu sein, jedenfalls hatte es den Anschein, und sie hatte viele wertvolle Informationen und sogar einen perfekten Spion für ihre Sache geliefert. Sie waren sich nun recht sicher darüber, wo sich Drizzt Do’Urden befand, und Jarlaxle begann allmählich daran zu glauben, daß die Ermordung des verräterischen Drow nicht übermäßig schwer sein würde.

Die lauten Stiefel des Söldners kündigten sein Erscheinen an, als er um eine letzte Biegung des Tunnels bog und in eine weite, niedrige Kammer trat. Vierna war bereits anwesend und auch Dinin, und es erschien Jarlaxle bemerkenswert (und eine weitere gedankliche Notiz wurde in dem Hirn des berechnenden Söldners abgelegt), daß die Frau sich hier in der Wildnis deutlich wohler fühlte als ihr Bruder. Dinin hatte viele Jahre in diesen Tunneln verbracht und Patrouillen geführt, während sich Vierna, als behütete adlige Priesterin, selten außerhalb der Stadt aufgehalten hatte.

Wenn sie wirklich der Überzeugung war, daß Lloths Segen sie begleitete, so hatte die Priesterin allerdings tatsächlich nichts zu fürchten.

»Ihr habt dem Menschen unser Geschenk überbracht?« fragte Vierna sofort und drängend. Jarlaxle hatte den Eindruck, daß alles in Viernas Leben drängend geworden war.

Die plötzliche Frage, die nicht durch eine Begrüßung oder auch nur eine Bemerkung darüber eingeleitet worden war, daß er sich verspätet hatte, brachte den Söldner einen Moment lang aus dem Konzept, und er blickte zu Dinin hinüber, der ihm aber nur mit einem hilflosen Schulterzucken antwortete. Während in den Augen von Vierna hungrige Feuer brannten, lag in jenen von Dinin nur hoffnungslose Resignation.

»Der Mensch hat den Ohrring«, antwortete Jarlaxle.

Vierna hielt ein flaches, scheibenförmiges Objekt hoch, das mit Zeichen versehen war, die jenen auf dem Ohrring glichen. »Es ist kalt«, erklärte sie, während sie mit der Hand über die metallene Oberfläche der Scheibe fuhr, »also hat sich unser Spion bereits weit von Menzoberranzan entfernt.«

»Weit weg mit einem wertvollen Geschenk«, bemerkte Jarlaxle mit einer Spur von Sarkasmus in der Stimme.

»Es war notwendig und wird unserer Sache dienen«, fuhr ihn Vierna an.

»Falls sich der Mensch als ein so wertvoller Informant herausstellt, wie Ihr glaubt«, fügte Jarlaxle gleichmütig hinzu.

»Habt Ihr Zweifel an ihm?« Viernas Worte hallten durch die Tunnel und verursachten Dinin noch größeres Unbehagen. Sie klangen für den Söldner wie eine Drohung.

»Lloth selbst hat mich zu ihm geführt«, fuhr Vierna fort. Der Unwille in ihrer Stimme war jetzt unüberhörbar. »Lloth, die mir den Weg zeigte, wie die Ehre meiner Familie wiederhergestellt werden kann. Zweifelt Ihr …«

»Ich bezweifle nichts, an dem unsere Gottheit beteiligt ist«, unterbrach Jarlaxle sie sofort. »Der Ohrring, Euer Signal, wurde abgeliefert, wie es Eure Anweisung war, und der Mensch ist bereits auf dem Weg.« Der Söldner machte eine respektvolle, tiefe Verbeugung und tippte dabei an seinen weitkrempigen Hut.

Vierna beruhigte sich und schien zufrieden. Ihre roten Augen blitzten begierig, und ein verschlagenes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Und die Goblins?« fragte sie mit einer Stimme, die vor Erwartung überquoll.

»Sie werden bald Kontakt mit den gierigen Zwergen haben«, erwiderte Jarlaxle, »und zwar zweifellos zu deren Bestürzung. Meine Späher sind auf ihren Posten in der Nähe der Goblinreihen. Wenn Euer Bruder bei der unvermeidlichen Schlacht auftaucht, werden wir es erfahren.« Der Söldner verbarg ein stilles Lächeln, als er Viernas offenkundige Freude sah. Die Priesterin hatte nur vor, durch den unglücklichen Goblinstamm den Aufenthaltsort ihres Bruders zu bestätigen, aber Jarlaxle hatte mehr im Sinn. Goblins und Zwerge haßten sich gegenseitig mit einer solchen Stärke, wie die Drow und ihre Elfenvettern von der Oberfläche sich feind waren, und jede Begegnung zwischen den beiden Gruppen mußte zu einem Kampf führen. Konnte es überhaupt eine bessere Gelegenheit für Jarlaxle geben, die Verteidigungstaktiken der Zwerge zu ergründen?

Und die Schwächen der Zwerge?

Denn während Viernas Wünsche begrenzt waren – alles, was sie wollte, war der Tod ihres verräterischen Bruders –, sah Jarlaxle das ganze Bild und suchte nach Möglichkeiten, diese kostspielige Forschungsreise in die Nähe der Oberfläche oder sogar an die Oberfläche selbst profitabler zu gestalten.

Vierna rieb sich die Hände und drehte sich abrupt zu ihrem Bruder um. Jarlaxle mußte beinahe laut auflachen, als er Dinins kraftlosen Versuch sah, den strahlenden Gesichtsausdruck seiner Schwester zu imitieren.

Vierna war zu besessen, um den offensichtlichen Ausrutscher ihres überhaupt nicht enthusiastischen Bruders zu bemerken. »Das Goblinfutter kennt seine Wahlmöglichkeiten?« fragte sie den Söldner, beantwortete ihre Frage aber selber, bevor Jarlaxle etwas erwidern konnte. »Natürlich haben sie gar keine Wahlmöglichkeiten!«

Jarlaxle verspürte das unwiderstehliche Bedürfnis, ihre Blase des Eifers zum Platzen zu bringen. »Wenn nun die Goblins Drizzt töten?« fragte er mit unschuldiger Stimme.

Viernas Gesicht verzog sich unheimlich, und bei ihrem ersten Versuch einer Antwort brachte sie nur ein erfolgloses Stottern heraus. »Nein!« sagte sie dann doch entschlossen. »Wir wissen, daß mehr als tausend Zwerge diesen Komplex bewohnen, vielleicht sogar zwei- oder dreimal soviel. Der Goblinstamm wird zermalmt werden.«

»Aber die Zwerge und ihre Verbündeten werden einige Verluste erleiden«, argumentierte Jarlaxle.

»Nicht Drizzt«, antwortete unerwarteterweise Dinin, und sein Tonfall gestattete keinen Widerspruch oder einen weiteren Einwand seiner Begleiter. »Kein Goblin wird Drizzt töten. Keine Goblinwaffe könnte auch nur in die Nähe seines Körpers gelangen.«

Viernas zustimmendes Lächeln zeigte, daß sie den Ton tiefen Entsetzens nicht verstand, mit dem Dinin seinen Einwand hervorgebracht hatte. Dinin hatte als einziger von ihnen Drizzt im Kampf gegenübergestanden.

»Sind die Tunnel zur Stadt frei?« fragte Vierna Jarlaxle, und auf sein Nicken hin verließ sie die beiden schnell wieder. Anscheinend war sie zu beschäftigt, um weitere Zeit mit Geplauder zu vertrödeln.

»Ihr hättet dies alles gern hinter Euch«, bemerkte der Söldner zu Dinin, als sie alleine waren.

»Ihr seid meinem Bruder nicht begegnet«, erwiderte Dinin ruhig, und seine Hand zuckte unwillkürlich nahe dem Heft seines prächtigen Drowschwertes, als triebe ihn die bloße Erwähnung von Drizzt in die Verteidigung. »Zumindest nicht im Kampf.«

»Furcht, Khal’abbil?« Die Frage schnitt direkt in Dinins Sinn für Ehre und klang mehr wie Spott.

Doch trotzdem versuchte der Kämpfer nicht, dieses Gefühl zu leugnen. »Ihr solltet auch Eure Schwester fürchten«, riet Jarlaxle, und diese Warnung war ihm ernst. Dinin verzog angewidert das Gesicht.

»Die Spinnenkönigin oder eine von Lloths Dienerinnen hat mit ihr gesprochen«, fügte Jarlaxle, ebenso für sich selbst wie für seinen erschütterten Begleiter, hinzu. Auf den ersten Blick schien Viernas Besessenheit eine verzweifelte, gefährliche Sache zu sein, aber Jarlaxle war lange genug mit dem Chaos vertraut, das in Menzoberranzan herrschte, um zu wissen, daß viele mächtige Figuren, einschließlich Oberin Baenre, ähnlich abwegig erscheinende Fantasien gehegt hatten.

Seite an Seite

Weit unter ihm floß der Surbrin in ein Tal, als Drizzt am frühen Nachmittag durch das östliche Tor von Mithril-Halle trat. Catti-brie war einige Zeit vor ihm hineingeschlüpft, um die ›Überraschung‹ seiner Rückkehr zu erwarten. Die Zwergenwachen begrüßten den Dunkelelfen, als sei er einer aus ihrer eigenen bärtigen Sippe. Drizzt konnte die Wärme nicht leugnen, die ihn bei ihrem offenen Willkommen durchfloß, auch wenn es nicht unerwartet war, denn Bruenors Volk hatte ihn seit jenen Tagen im Eiswindtal immer als Freund empfangen.

Drizzt benötigte keine Eskorte durch die gewundenen Gänge von Mithril-Halle, und er wollte auch keine haben. Er war lieber mit den vielen Gefühlen und Erinnerungen alleine, die ihn jedesmal überkamen, wenn er diesen Teil des oberen Komplexes durchquerte. Er betrat die neue Brücke über Garumns Schlucht. Es war eine wunderschöne Konstruktion aus geschwungenem Stein, die sich über dem Hunderte von Fuß tiefen Abgrund erstreckte. An diesem Ort hatte Drizzt Bruenor für immer verloren, oder zumindest hatte er das geglaubt, als er damals den Zwerg auf dem Rücken eines brennenden Drachen in die lichtlosen Tiefen hinabgleiten sah.

Ein Lächeln stahl sich unwillkürlich auf sein Gesicht, als die Erinnerung in ihm aufstieg: Es brauchte schon mehr als einen Drachen, um den mächtigen Bruenor Heldenhammer zu töten!

Als er sich dem Ende der weitgeschwungenen Konstruktion näherte, stellte Drizzt fest, daß die neuen Wachtürme, mit deren Bau man erst vor zehn Tagen begonnen hatte, sich der Fertigstellung näherten. Die geschäftigen Zwerge hatten sich der Aufgabe mit absoluter Hingabe gewidmet. Aber trotzdem sah jeder einzelne der beschäftigten Zwergenarbeiter auf, als der Drow vorbeikam, und begrüßte ihn kurz.

Drizzt wandte sich dem Hauptkorridor zu, der aus der riesigen Kammer südlich der Brücke hinausführte, und ließ sich dabei vom Klang des immerwährenden Hämmerns leiten. Direkt jenseits der Kammer, im Anschluß an einen kleinen Vorraum, betrat er einen hohen Korridor, der so weit war, daß er selbst praktisch eine Kammer bildete. Hier waren die besten Handwerker von Mithril-Halle fieberhaft damit beschäftigt, das Abbild von Bruenor Heldenhammer in die Steinwand zu meißeln. Es befand sich an seinem angemessenen Platz neben den Skulpturen von Bruenors königlichen Vorfahren, den sieben Vorgängern auf seinem Thron.

»Gute Arbeit, was, Drow?« erklang ein Ruf. Drizzt wandte sich um und erblickte einen kurzen, runden Zwerg, dessen kurzgeschnittener gelber Bart nur bis zum oberen Ende seiner breiten Brust reichte.

»Schön, dich zu sehen, Cobble«, begrüßte Drizzt den Sprecher. Bruenor hatte den Zwerg kürzlich zum Heiligen Geistlichen der Halle ernannt, einer wirklich bedeutenden Position.

»Angemessen?« fragte Cobble und deutete auf die vierundzwanzig Fuß hohe Skulptur des gegenwärtigen Königs von Mithril-Halle.

»Für Bruenor sollte sie eigentlich hundert Fuß groß sein«, erwiderte Drizzt, und der gutherzige Cobble schüttelte sich vor Gelächter. Das andauernde Gebrüll hallte viele Schritte lang hinter Drizzt her, während er den gewundenen Gängen weiter folgte.

Bald erreichte er das Hallengebiet der oberen Ebene, die Stadt über der wundersamen Unterstadt. Catti-brie und Wulfgar hatten hier ihre Räume, und auch Bruenor wohnte hier die meiste Zeit, wenn er sich auf die Handelssaison im Frühling vorbereitete. Der Großteil der anderen zweieinhalbtausend Zwerge der Sippe befand sich weit unten in den Minen und in der Unterstadt, in dieser Region jedoch lebten vor allem die Kommandeure der Hauswache und die Elitesoldaten. Selbst Drizzt, so willkommen er in Bruenors Heim war, konnte nicht unangekündigt und ohne Eskorte zum König gelangen.

Ein breitschultriger Brocken von einem Zwerg, mit sauertöpfischem Benehmen und einem langen, braunen Bart, den er in einen breiten, juwelenbesetzten Gürtel gesteckt hatte, führte Drizzt den letzten Korridor entlang zu Bruenors Audienzhalle auf der oberen Ebene. General Dagna, wie er genannt wurde, war persönlicher Adjutant von König Harbromme in der Zitadelle Adbar gewesen, der mächtigsten Zwergenfeste im Nordland. Aber der schroffe Zwerg war an der Spitze der Streitkräfte der Zitadelle Adbar Bruenor zu Hilfe gekommen, um dessen altes Heimatland zurückzuerobern. Als der Krieg gewonnen worden war, kehrten die meisten der Zwerge nach Adbar zurück, aber Dagna war mit zweitausend weiteren nach der Säuberung von Mithril-Halle hiergeblieben, hatte der Sippe Heldenhammer Treue geschworen und Bruenor damit eine solide Streitmacht verschafft, mit der die Schätze der Zwergenfeste verteidigt werden konnten.

Dagna war als Ratgeber und Militärkommandant bei Bruenor geblieben. Er zeigte Drizzt gegenüber keine Zuneigung, war aber sicher nicht dumm genug, den Drow dadurch zu beleidigen, daß er ihn von einem geringeren Diener zum Zwergenkönig eskortieren ließ.

»Ich hab’ dir gesagt, er würde zurückkommen«, hörte Drizzt Bruenor hinter dem offenen Durchgang grummeln, als sie sich der Audienzhalle näherten. »Der Elf würde niemals eine so wichtige Sache wie deine Heirat versäumen!«

»Ich höre, daß sie mich erwarten«, bemerkte Drizzt zu Dagna.

»Wir haben von Leuten aus Siedelstein erfahren, daß du in der Nähe warst«, erwiderte der schroffe General, ohne Drizzt dabei anzusehen. »Wir haben jeden Tag mit dir gerechnet.«

Drizzt wußte, daß der General – ein Zwerg unter Zwergen, wie die anderen sagten – ihn nicht besonders mochte, ebensowenig wie irgend jemand anderen, der kein Zwerg war – einschließlich Catti-brie und Wulfgar. Der Dunkelelf lächelte jedoch, denn er war solche Vorurteile gewohnt, und er wußte, daß Dagna für Bruenor ein wichtiger Verbündeter war.

»Ich grüße euch«, sagte Drizzt zu seinen drei Freunden, als er den Raum betrat. Bruenor saß auf seinem Steinthron, Wulfgar und Catti-brie standen zu seinen Seiten.

»Du hast es also geschafft«, stellte Catti-brie geistesabwesend in gespielter Gleichgültigkeit fest. Drizzt schmunzelte über ihr kleines Geheimnis; offensichtlich hatte sie niemandem gesagt, daß sie ihn gerade vor dem östlichen Tor getroffen hatte.

»Eigentlich haben wir mit dir nicht gerechnet«, fügte Wulfgar hinzu, ein Riese von einem Mann, mit mächtigen Muskeln, langen, wallenden Locken und Augen, die so kristallblau waren wie der Himmel des Nordlandes. »Ich hoffe, daß am Tisch noch ein Platz frei ist.«

Drizzt lächelte nur und verbeugte sich zur Entschuldigung tief. Er wußte, daß er ihre Schelte verdiente. In letzter Zeit war er häufig weg gewesen, manchmal für Wochen.

»Pah!« schnaubte der rotbärtige Bruenor. »Ich habe euch doch gesagt, daß er zurückkommt! Und diesmal bleibt er auch hier!«

Drizzt schüttelte den Kopf, denn er wußte, daß er schon bald wieder gehen würde, auf der Suche nach … irgend etwas.

»Jagst du immer noch den Meuchelmörder, Elf?« hörte er Bruenor fragen.

Niemals, dachte Drizzt sofort. Der Zwerg spielte auf Artemis Entreri an, Drizzts meistgehaßten Feind, einen herzlosen Mörder, der mit der Klinge ebenso gewandt war wie der Dunkelelf und entschlossen – besessen –, Drizzt zu besiegen. Entreri und Drizzt hatten in Calimhafen gegeneinander gekämpft, einer Stadt weit im Süden. Damals hatte Drizzt mit Glück die Oberhand gewonnen, bevor sie durch andere Ereignisse getrennt wurden. Drizzt hatte den unbeendeten Kampf gefühlsmäßig abgeschlossen und sich von einer Besessenheit befreit, die jener Entreris geähnelt hatte.

Drizzt hatte sich selbst in dem Meuchelmörder gesehen, hatte gesehen, zu was er selbst hätte werden können, wäre er in Menzoberranzan geblieben. Diese Vorstellung konnte er nicht ertragen, und er hatte danach gehungert, sie zu zerstören. Catti-brie, die liebe und komplizierte Catti-brie, hatte Drizzt die Wahrheit über Entreri gelehrt. Und auch über ihn selbst. Wenn er sicher wüßte, Entreri niemals wiedersehen zu müssen, wäre Drizzt sicherlich um einiges glücklicher.

»Ich habe nicht den Wunsch, ihn wiederzusehen«, antwortete Drizzt. Er sah Catti-brie an, die teilnahmslos zuhörte. Sie blinzelte ihm verstohlen zu, um zu zeigen, daß sie verstanden hatte und ihm zustimmte.

»Es gibt vieles in allen Welten, teurer Zwerg«, fuhr Drizzt fort, »das man aus den Schatten heraus nicht sehen kann. Viele Klänge, die angenehmer sind als das Waffengeklirr, und viele Düfte, die dem Gestank des Todes vorzuziehen sind.«

»Ein weiteres Fest also«, brummte Bruenor und hüpfte von seinem Steinsitz. »Bestimmt hat der Elf seine Augen auf eine weitere Hochzeit gerichtet!«

Drizzt gab keine Erwiderung auf die Bemerkung.

Ein Zwerg eilte in den Raum und zog erregt Dagna mit sich hinaus. Einen Augenblick später kehrte der General aufgeregt zurück.

»Was ist denn los?« knurrte Bruenor.

»Ein weiterer Gast«, erklärte Dagna, und noch während er sprach, stahl sich ein rundbäuchiger Halbling in den Raum.

»Regis!« rief Catti-brie überrascht aus. Sie und Wulfgar eilten auf ihren alten Freund zu, um ihn zu begrüßen. Unerwartet waren die fünf Gefährten wieder vereint.

»Knurrbauch!« rief Bruenor. Das war gewöhnlich sein Spitzname für den immer hungrigen Halbling. »Was in den Neun Höllen …«

»Was«, in der Tat, dachte Drizzt. Seltsam, daß er den Reisenden nicht auf den Pfaden vor Mithril-Halle erspäht hatte. Die Freunde hatten Regis in Calimhafen zurückgelassen, mehr als tausend Meilen entfernt. Er war dort zum Oberhaupt der Diebesgilde aufgestiegen, die die Gefährten bei deren Versuch, Regis zu retten, fast vernichtet hätte.

»Glaubst du etwa, daß ich mir dieses Ereignis entgehen lasse?« schnaubte Regis und tat beleidigt, daß Bruenor daran auch nur hatte zweifeln können. »Die Hochzeit von zwei meiner besten Freunde?«

Catti-brie umarmte ihn, was ihm sehr zu gefallen schien.

Bruenor schaute Drizzt fragend an und schüttelte den Kopf, als er erkannte, daß auch der Dunkelelf die Überraschung nicht erklären konnte. »Woher weißt du überhaupt davon«, fragte der Zwerg den Halbling.

»Du unterschätzt deinen Ruhm, König Bruenor«, erwiderte Regis und machte eine anmutige Verbeugung, die seinen Bauch über seinen schmalen Gürtel quellen ließ.

Die Verbeugung brachte ihn auch zum Klimpern, wie Drizzt feststellte. Als sich Regis verbeugte, klingelten Hunderte kleiner Edelsteine und ein Dutzend dicker Geldbeutel. Regis hatte schöne Dinge schon immer geliebt, aber Drizzt hatte den Halbling noch nie so auffallend behängt erlebt. Er trug eine edelsteinbesetzte Jacke und neben dem magischen, hypnotischen Rubinanhänger mehr Juwelen, als Drizzt jemals an einer einzelnen Person gesehen hatte.

»Möchtest du lange bleiben?« fragte Catti-brie.

»Ich bin nicht in Eile«, erwiderte Regis. »Kann ich ein Zimmer haben«, fragte er Bruenor, »um meine Sachen abzulegen und mich von den Anstrengungen der langen Reise auszuruhen? «

»Ich werde mich sofort darum kümmern«, versicherte ihm Catti-brie, während Drizzt und Bruenor erneut einen Blick austauschten. Beide dachten das gleiche: daß es für den Vorsteher einer hinterlistigen, opportunistischen Diebesgilde ungewöhnlich war, daß er seinen Machtbereich für längere Zeit verließ.

»Und für deine Diener?« stellte Bruenor eine mehrdeutige Frage.

»Oh«, stammelte der Halbling. »Ich … ich bin allein gekommen. Die Südländer vertragen die Kälte des nördlichen Frühlings nicht so gut, weißt du.«

»Na, dann fort mit dir«, kommandierte Bruenor. »Jetzt bin ich wohl an der Reihe, ein Fest für das Wohlbehagen deines Bauches zu veranstalten.«

Drizzt nahm neben dem Zwergenkönig Platz, während die drei den Raum verließen.

»Sicherlich haben in Calimhafen nur wenige je meinen Namen gehört, Elf«, meinte Bruenor, als er mit Drizzt allein war. »Und wer sollte südlich von Langsattel von der Hochzeit wissen? «

Bruenors listiger Blick zeigte, daß der erfahrene Zwerg zu genau der gleichen Überzeugung gelangt war wie Drizzt selber. »Der Kleine hat eigentlich ein bißchen viel von seinem Schatz mitgebracht, nicht wahr?« fragte der Zwergenkönig.

»Er läuft weg«, erwiderte Drizzt.

»Er ist schon wieder in Schwierigkeiten geraten«, schnaubte Bruenor, »oder ich bin ein bärtiger Gnom!«

»Fünf Mahlzeiten pro Tag«, murmelte Bruenor Drizzt zu, als der Dunkelelf und der Halbling bereits eine Woche in Mithril-Halle verbracht hatten. »Und Mengen, die größer sind, als so eine halbe Portion verdauen können sollte!«

Drizzt, der über Regis’ Appetit schon immer erstaunt gewesen war, konnte dem Zwergenkönig darauf nichts erwidern. Gemeinsam sahen sie Regis zu, wie er die Halle durchquerte und dabei einen Bissen nach dem anderen in seinem gierigen Mund verschwinden ließ.

»Bloß gut, daß wir neue Tunnel erschließen«, grummelte Bruenor, »ich werde einen ordentlichen Nachschub an Mithril brauchen, um ihn satt zu kriegen.«

Als sei Bruenors Erwähnung der neuen Unternehmungen ein Stichwort gewesen, betrat General Dagna den Speisesaal. Anscheinend nicht am Essen interessiert, winkte der barsche, braunbärtige Zwerg einen Diener zur Seite und steuerte quer durch die Halle auf Drizzt und Bruenor zu.

»Das war eine kurze Reise«, meinte Bruenor zu Drizzt, als sie den Zwerg bemerkten. Dagna war erst am Morgen an der Spitze des neuesten Spähtrupps aufgebrochen, um die tiefsten Minen weit im Westen der Unterstadt zu erkunden.

»Ärger oder ein Schatz?« fragte Drizzt rhetorisch, und Bruenor zuckte nur die Achseln. Er erwartete – und erhoffte insgeheim – stets beides.

»Mein König«, grüßte Dagna, als er vor Bruenor trat, und schaute absichtlich nicht zu dem Dunkelelfen. Er machte eine knappe Verbeugung, und sein felsenharter Gesichtsausdruck verriet nicht das geringste davon, welcher von Drizzts Vorschlägen zutraf.

»Mithril?« fragte Bruenor hoffnungsvoll.

Dagna schien von der direkten Frage überrascht zu sein. »Ja«, sagte er schließlich. »Der Tunnel hinter der versiegelten Tür führte zu einem ganzen neuen Komplex, der reich an Erz ist, soweit wir das jetzt schon sagen können. Die Legende, daß Eure Nase Schätze riechen kann, wird weiter anwachsen, mein König.« Er machte eine erneute Verbeugung, diesmal eine noch tiefere als die vorherige.

»Ich wußte es«, flüsterte Bruenor Drizzt zu. »Ich bin mal da unten gewesen, bevor mir auch nur ein Bart gewachsen war. Ich habe damals einen Ettin getötet …«

»Aber wir haben Ärger«, unterbrach ihn Dagna, dessen Gesicht noch immer ausdruckslos war.

Bruenor wartete geduldig darauf, daß der langatmige Zwerg endlich fortfuhr. »Ärger?« fragte er schließlich, als er erkannte, daß Dagna aus dramatischen Gründen eine Pause gemacht hatte und er aus Sturheit wahrscheinlich den Rest des Tages schweigend dastehen würde, wenn Bruenor ihm nicht ein Stichwort lieferte.

»Goblins«, sagte Dagna bedeutungsschwer.

Bruenor schnaubte. »Ich dachte, du hättest von Ärger gesprochen? «

»Ein ziemlich großer Stamm«, fuhr Dagna fort. »Es könnten Hunderte sein.«

Bruenor blickte zu Drizzt auf und erkannte durch das Funkeln in den blauvioletten Augen des Dunkelelfen, daß diese Neuigkeiten seinen Freund nicht mehr beunruhigten als ihn selbst.

»Hunderte von Goblins, Elf«, sagte Bruenor listig. »Was hältst du davon?«

Drizzt antwortete nicht darauf, sondern fuhr nur fort zu grinsen und das Glitzern seiner Augen für sich sprechen zu lassen. Seit der Rückeroberung von Mithril-Halle waren die Zeiten ereignislos gewesen; das einzige Klirren von Metall in den Zwergentunneln wurde von den Pickeln und Schaufeln der Minenarbeiter und dem Schmiedehammer der Handwerker verursacht, und die Wege zwischen Mithril-Halle und Silbrigmond bargen kaum Gefahren oder Abenteuer für Drizzt mit seiner Erfahrung. Diese Neuigkeiten waren daher von besonderem Interesse für ihn. Er war ein Waldläufer und widmete sich dem Schutz der Guten Rassen, und er verachtete die Goblins mit ihren spindeldürren Armen und ihrem üblen Gestank am meisten von allen Bösen Rassen der Welt.

Bruenor führte die beiden zu Regis’ Tisch hinüber, obwohl jeder zweite Tisch in der Halle frei war. »Das Abendessen ist zu Ende«, knurrte der rotbärtige Zwergenkönig und wischte die Teller, die vor dem Halbling standen, beiseite, so daß sie auf dem Fußboden landeten und zerbarsten.

»Geh und hole Wulfgar«, grollte Bruenor in das erstaunte Gesicht des Halblings. »Du hast Zeit, bis ich bis fünfzig gezählt habe, oder ich setze dich auf halbe Ration!«

Regis war wie der Blitz aus der Tür.

Auf Bruenors Nicken hin zog Dagna ein Stück Kohle aus der Tasche und zeichnete eine grobe Skizze der neuen Region auf den Tisch, anhand derer er Bruenor zeigte, wo sie auf Spuren der Goblins gestoßen waren und wo weitere Erkundungen ihr Hauptlager vermuten ließen. Von besonderem Interesse für die beiden Zwerge waren die bearbeiteten Tunnel in diesem Gebiet, deren Fußböden eben und deren Wände gerade waren.

»Gut, um dumme Goblins zu überraschen«, erklärte Bruenor Drizzt mit einem Augenzwinkern.

»Du wußtest, daß die Goblins dort waren«, beschuldigte Drizzt ihn, als er feststellte, daß Bruenor eher aufgeregt als überrascht darüber war, daß es dort eher mögliche Feinde als mögliche Schätze gab.

»Ich dachte mir, daß dort Goblins sein könnten«, gab Bruenor zu. »Ich habe sie damals da unten gesehen, aber als der Drache erschien, hatten mein Vater und die Soldaten nie genug Zeit, das Ungeziefer zu vertreiben. Aber es ist eine lange, lange Zeit her, Elf« – der Zwerg strich sich über seinen langen, roten Bart, um diesen Punkt hervorzuheben – »und ich war mir nicht sicher, daß sie noch immer da waren.«

»Werden wir bedroht?« erklang eine volltönende Baritonstimme hinter ihnen. Der sieben Fuß große Barbar trat an den Tisch und beugte sich tief hinab, um Dagnas Zeichnung zu betrachten.

»Nur Goblins«, erwiderte Bruenor.

»Das heißt, es gibt Krieg!« brüllte Wulfgar und schlug sich mit Aegisfang, dem mächtigen Kriegshammer, den Bruenor für ihn geschmiedet hatte, auf die offene Handfläche.

»Das heißt, es gibt ein Spiel«, korrigierte ihn Bruenor und tauschte ein Nicken und ein Kichern mit Drizzt aus.

»Bei meinen Augen, ihr beiden seid aber sehr darauf aus, getötet zu werden«, warf Catti-brie ein, die hinter Regis auftauchte.

»Darauf kannst du wetten«, erwiderte Bruenor.

»Ihr habt ein paar Goblins, die niemanden stören, in ihrem eigenen Loch gefunden und plant, sie abzuschlachten«, schleuderte Catti-brie in das sarkastische Gesicht ihres Vaters.

»Frau!« rief Wulfgar aus.

Drizzts amüsiertes Lächeln verschwand blitzschnell und wurde durch einen Ausdruck des Erstaunens ersetzt, als er die zornige Miene des riesenhaften Barbaren wahrnahm.

»Sei froh darüber«, antwortete Catti-brie ohne Zögern leichthin und ohne sich von ihrer wichtigen Diskussion mit Bruenor ablenken zu lassen. »Woher weißt du, daß die Goblins einen Kampf wollen?« fragte sie den König. »Oder kümmert dich das gar nicht?«

»In diesen Tunneln gibt es Mithril«, erwiderte Bruenor, als würde dies die Diskussion beenden.

»Heißt das, es ist das Mithril der Goblins?« fragte Catti-brie unschuldig. »Dem Recht nach?«

»Nicht für sehr lange«, warf Dagna ein, aber Bruenor hatte keine witzigen Bemerkungen parat, da ihn die unangenehmen Fragen seiner Tochter unerwartet getroffen hatten.

»Der Kampf ist für euch, für euch alle, wichtiger«, fuhr Catti-brie fort und ließ ihre wissenden, blauen Augen über alle vier in der Gruppe schweifen, »als jeder Schatz, den es zu erbeuten geben könnte. Ihr verzehrt euch nach der Aufregung. Ihr würdet euch auch auf die Goblins stürzen, wenn es in diesen Tunneln nur wertlose Steine gäbe!«

»Ich nicht«, zirpte Regis, aber niemand schenkte ihm Beachtung.

»Es sind Goblins«, sagte Drizzt zu ihr. »War es nicht ein Goblinüberfall, der deinen Vater das Leben kostete?«

»Richtig«, stimmte Catti-brie zu. »Und wenn ich jemals diesen Stamm finden werde, werden sie für ihre böse Tat in Scharen sterben, das kannst du mir glauben. Aber gehören sie denn zu diesem Stamm, der mehr als tausend Meilen entfernt lebt?«

»Goblins sind Goblins«, knurrte Bruenor.

»Ach ja?« erwiderte Catti-brie und kreuzte die Arme vor sich. »Und sind Drow auch Drow?«

»Was soll dieses Gerede?« verlangte Wulfgar zu wissen, als er seine zukünftige Braut anfunkelte.

»Wenn du einen Dunkelelfen in deinen Tunneln herumlaufen sehen würdest«, sagte Catti-brie zu Bruenor und ignorierte Wulfgar vollständig – selbst als er zu ihr herüberstürmte und sich direkt neben sie stellte –, »würdest du dann auch deine Pläne machen und ihn niedermetzeln?«

Bruenor warf einen unsicheren Blick in Drizzts Richtung, aber der Drow lächelte bereits wieder, da er verstand, wo Catti-bries Argumentation sie hingeführt hatte – und wo sie den sturen König in die Falle gelockt hatte.

»Wenn du ihn töten würdest, und wenn dieser Drow Drizzt Do’Urden wäre, wer würde dann neben dir sitzen und geduldig deinen stolzen Prahlereien lauschen?« endete die junge Frau.

»Ich hätte dich zumindest auf saubere Art getötet«, murmelte Bruenor Drizzt zu, nachdem sein polteriges Auftreten zerplatzt war.

Drizzts Gelächter kam direkt aus seinem Bauch. »Verhandlungen«, sagte er schließlich. »Den wohlgesetzten Worten unserer weisen jungen Freundin nach, müssen wir den Goblins zumindest die Möglichkeit gewähren, ihr Vorhaben zu erklären. « Er machte eine Pause und blickte Catti-brie versonnen an. Seine lavendelfarbenen Augen glitzerten noch immer, denn er wußte genau, was von den Goblins zu erwarten war. »Bevor wir sie niedermachen.«

»Auf saubere Art«, fügte Bruenor hinzu.

»Sie hat keine Ahnung von solchen Dingen«, schimpfte Wulfgar und brachte damit sofort die Spannung zurück, die bei dem Treffen geherrscht hatte.

Drizzt brachte ihn mit einem kalten Blick zum Schweigen, der bedrohlicher war als jeder andere, der jemals zwischen dem Dunkelelfen und dem Barbaren ausgetauscht worden war. Catti-brie blickte mit schmerzerfülltem Gesicht von dem einen zum anderen. Dann tippte sie Regis auf die Schulter, und gemeinsam verließen sie den Raum.

»Sollen wir mit einer Meute Goblins reden?« fragte Dagna ungläubig.

»Ach, halt den Mund«, antwortete Bruenor, knallte die Hände wieder auf den Tisch und fuhr fort, die Skizze zu studieren. Er bemerkte erst nach mehreren Augenblicken, daß Wulfgar und Drizzt ihren stillen Streit noch nicht beendet hatten. Bruenor erkannte die Verwirrung, die in Drizzts Blick lag, und als er den Barbaren anschaute, fand er keine verborgene Unterströmung, keinen Hinweis darauf, daß dieser besondere Zwischenfall so einfach vergessen werden würde.