Die Rache der Dunkelelfen - R.A. Salvatore - E-Book

Die Rache der Dunkelelfen E-Book

R.A. Salvatore

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Beschreibung

Die Dunkelelfen gehören zu den beliebtesten Völkern der Fantasy!

Die Dunkelelfen der unterirdischen Stadt Menzoberranzan verzeihen nahezu jedes Verbrechen. Nur ein Vergehen darf niemals ungesühnt bleiben: Untreue gegenüber der finsteren Spinnengöttin Loth. Dem in Ungnade gefallenen Haus Do‘Urden bleibt nur eine Möglichkeit, die Gunst der Göttin zurückzugewinnen. Allein der qualvolle Tod und das Blut des verräterischen Sohns des Hauses können Loth besänftigen – das Blut von Drizzt Do‘Urden. Doch der junge Abtrünnige hat im Unterreich bereits neue Verbündete und Freunde gefunden.

Der zweite Teil der Saga, mit der R.A. Salvatore Weltruhm erlangte - endlich in ungeteilter Ausgabe!

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Inhalt

Als Blanvalet Taschenbuch von R.A. Salvatore lieferbar:

VORSPIEL

TEIL 1

DER JÄGER

EIN GESCHENK ZUM JAHRESTAG

STIMMEN IM DUNKEL

SCHLANGEN UND SCHWERTER

FLUCHT VOR DEM JÄGER

UNHEILIGER BUNDESGENOSSE

BLINGDENSTONE

TEIL 2

BELWAR

EHRENWERTER HÖHLENVATER

FREMDE

GEFLÜSTER IN DEN TUNNELN

BELWARS SCHULD

DER INFORMANT

TEIL 3

FREUNDE UND FEINDE

WILDNIS, WILDNIS, WILDNIS

EIN KLEINES FLECKCHEN, DAS MAN ZUHAUSE NENNEN KANN

CLACKER

ANZÜGLICHE MAHNUNGEN

TEIL 4

HILFLOS

HEIMTÜCKISCHE KETTEN

EIN GEFÄHRLICHES GLEICHGEWICHT

DAS ÜBERRASCHUNGSELEMENT

KOPFSCHMERZEN

VATER, MEIN VATER

VERLOREN UND GEFUNDEN

TEIL 5

GEIST

OHNE RICHTUNG

KLEINE WELLEN

GLAUBE

KONSEQUENZEN

LICHTER IN DER DECKE

DIE DUNKELELFEN

Newsletter-Anmeldung

Orientierungspunkte

Impressum

Inhalt

Hauptteil

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Forgotten Realms. The Dark Elf Trilogy 02: Exile« bei Wizards of the Coast, Renton, USA. Zur ursprünglichen deutschen Ausgabe siehe Seite 2.
Deutsche Ausgabe Dezember 2010 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München.
Copyright © 1990 / 1992 by Wizards of the Coast, Inc licensing by Hasbro Consumer Products.All rights reserved.Forgotten Realms and the Wizards of the Coast logo are registered trademarksowned by Wizards of the Coast, Inc., a subsidiary of Hasbro, Inc.All Forgotten Realms characters, character names,and the distinctive likeness thereof are trademarks ownedby Wizards of the Coast, Inc., a subsidiary of Hasbro, Inc.Published in the Federal Republic of Germanyby Blanvalet Verlag, MünchenDeutschsprachige Rechte bei derPenguin Random House Verlagsgruppe GmbH, MünchenNeumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: bürosüdHK · Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-06806-6V005
www.blanvalet.dewww.penguinrandomhouse.de

Der vorliegende Roman ist bereits bei Blanvalet erschienen unter dem Titel »Die Saga vom Dunkelelf 3 + 4: Der Wächter im Dunkel & Im Zeichen des Panthers«. Der Blanvalet Verlag veröffentlicht mit dieser Ausgabe eine überarbeitete Fas- sung. Erstmals wurde die amerikanische Originalausgabe für die deutsche Aus- gabe nicht in zwei Teile aufgesplittet.

Autor

R.A. Salvatore wurde 1959 in Massachusetts geboren, wo er auch heute noch lebt. Bereits sein erster Roman »Der gesprungene Kristall« machte ihn bekannt und legte den Grundstein zu seiner weltweit beliebten Reihe von Romanen um den Dunkelelf Drizzt Do’Urden. Die Fans lieben Salvatores Bücher vor allem we- gen seiner plastischen Schilderungen von Kampfhandlungen und seiner farbigen Erzählweise. Informationen über den Autor auch unter: www.rasalvatore.com.

Als Blanvalet Taschenbuch von R.A. Salvatore lieferbar:

Die Dunkelelfen (26754), Die Rache der Dunkelelfen (26755) Die Vergessenen Welten: 1. Der gesprungene Kristall (24549), 2. Die verschlungenen Pfade (24550), 3. Die silbernen Ströme (24551), 4. Das Tal der Dunkelheit (24552), 5. Der magische Stein (24553), 6. Der ewige Traum (24554) Die Saga vom Dunkelelf: 1. Der dritte Sohn (24562), 2. Im Reich der Spinne (24564), 3. Der Wächter im Dunkel (24565), 4. Im Zeichen des Panthers (24566), 5. In Acht und Bann (24567), 6. Der Hüter des Waldes (24568) Die Vergessenen Welten, weitere Bände: 1. Das Vermächtnis (24663) [= 7. Band], 2. Nacht ohne Sterne (24664) [= 8. Band], 3. Brüder des Dunkels (24706) [= 9. Band], 4. Die Küste der Schwerter (24741) [= 10. Band], 5. Kristall der Finsternis (24931) [= 11. Band], 6. Schattenzeit (24973) [= 12. Band], 7. Der schwarze Zauber (24168) [= 13. Band], 8. Die Rückkehr der Hoffnung (24227) [= 14. Band], 9. Der Hexenkönig (24402) [= 15. Band], 10. Die Drachen der Blutsteinlande (24458) [= 16. Band] Die Rückkehr des Dunkelelf: 1. Die Invasion der Orks (24284), 2. Kampf der Kreaturen (24299), 3. Die zwei Schwerter (24369) Die Legende vom Dunkelelf: 1. Der König der Orks (26580), 2. Der Piratenkönig (26618)

 

Die Drachenwelt-Saga: Der Speer des Kriegers/Der Dolch des Drachen/Die Rückkehr des Drachenjägers. Drei Romane in einem Band! (24314)

 

Außerdem von R. A. Salvatore: Star Wars: Episode II. Angriff der Klonkrieger (35761), Das Erbe der Jedi-Ritter 1. Die Abtrünnigen (35414)

Inhaltsverzeichnis

WidmungAutorAls Blanvalet Taschenbuch von R.A. Salvatore lieferbar:VORSPIELTEIL 1
DER JÄGEREIN GESCHENK ZUM JAHRESTAGSTIMMEN IM DUNKELSCHLANGEN UND SCHWERTERFLUCHT VOR DEM JÄGERUNHEILIGER BUNDESGENOSSEBLINGDENSTONE
TEIL 2
BELWAREHRENWERTER HÖHLENVATERFREMDEGEFLÜSTER IN DEN TUNNELNBELWARS SCHULDDER INFORMANT
TEIL 3
FREUNDE UND FEINDEWILDNIS, WILDNIS, WILDNISEIN KLEINES FLECKCHEN, DAS MAN ZUHAUSE NENNEN KANNCLACKERANZÜGLICHE MAHNUNGEN
TEIL 4
HILFLOSHEIMTÜCKISCHE KETTENEIN GEFÄHRLICHES GLEICHGEWICHTDAS ÜBERRASCHUNGSELEMENTKOPFSCHMERZENVATER, MEIN VATERVERLOREN UND GEFUNDEN
TEIL 5
GEISTOHNE RICHTUNGKLEINE WELLENGLAUBEKONSEQUENZENLICHTER IN DER DECKE
Copyright

VORSPIEL

DAS MONSTER SCHOB sich schwerfällig durch die stillen Korridore des Unterreichs, und seine acht schuppigen Beine streiften ab und zu das Gestein. Es zuckte nicht vor dem hallenden Echo zusammen, das es selbst verursachte, und fürchtete den Lärm nicht. Es huschte auch nicht in Deckung in Erwartung des Angriffs eines anderen Raubtieres. Denn trotz aller Gefahren des Unterreiches kannte diese Kreatur nur Sicherheit, und es vertraute auf seine Fähigkeit, jeden Feind bezwingen zu können. Sein Atem stank nach tödlichem Gift, die harten Spitzen seiner Klauen gruben tiefe Rinnen in massives Gestein, und die Reihen der speergleichen Zähne, die seinen bösartigen Rachen säumten, konnten die dicksten Häute durchdringen. Am schlimmsten aber war der Blick des Monsters – der Blick eines Basilisken, der jedes Lebewesen, auf das er traf, in starren Stein verwandeln konnte.

Diese große und schreckliche Kreatur war eine der größten ihrer Art. Sie kannte keine Furcht.

Der Jäger beobachtete, wie der Basilisk an ihm vorbeizog. Er hatte ihn schon früher an diesem Tage beobachtet. Das acht-beinige Monster war ein Eindringling, der das Reich des Jägers betreten hatte. Der Jäger war Zeuge gewesen, wie der Basilisk mit seinem Giftatem mehrere seiner Rothe – die kleinen, rindergleichen Kreaturen, die auf seinem Speisezettel standen – getötet hatte, und der Rest der Herde war blindlings geflohen, um vielleicht nie zurückzukehren.

Der Jäger war zornig.

Er beobachtete nun, wie das Monster den schmalen Weg hinunterstapfte und genau dort entlangtrottete, wo der Jäger es erwartet hatte. Er zog seine Waffen aus ihren Scheiden und gewann wie immer Vertrauen, als er ihre feine Balance spürte. Der Jäger besaß sie seit seiner Kindheit, und selbst nach annähernd drei Dekaden fast ständigen Gebrauchs zeigten sie nur geringe Benutzungsspuren. Nun würden sie wieder erprobt werden.

Der Jäger steckte seine Waffen wieder ein und wartete auf das Geräusch, das ihn zum Handeln zwingen würde.

Ein kehliges Knurren ließ den Basilisken im Schritt erstarren. Neugierig spähte das Monster nach vorn, obwohl es mit seinen kurzsichtigen Augen nur wenige Meter weit sehen konnte. Wieder ertönte das Knurren. Der Basilisk duckte sich und wartete darauf, dass der Herausforderer, sein nächstes Opfer, vorspringen und den Tod finden würde.

Weit hinter dem Monster huschte der Jäger aus seiner Nische und rannte, so schnell er konnte, an den winzigen Spalten und Rissen der Tunnelwände vorbei. In seinem magischen Mantel, dem Piwafwi, war er unsichtbar vor dem Gestein, und seine wendigen, geschickten Bewegungen verursachten kein Geräusch.

Wieder wurde das Knurren vor dem Basilisken laut, aber das Geräusch war kaum näher gekommen. Das ungeduldige Monster schob sich vorwärts und fieberte danach, töten zu können. Als der Basilisk einen niedrigen Bogengang passierte, umfing eine undurchdringliche Kugel absoluter Dunkelheit seinen Kopf, und das Monster hielt plötzlich inne und wich einen Schritt zurück, genau, wie es der Jäger vorhergesehen hatte.

Dann war der Jäger auf ihm. Er sprang von der Tunnelwand und tat drei verschiedene Dinge, bevor er sein Ziel erreichte. Zunächst sprach er einen einfachen Zauberspruch, der den Kopf des Basilisken mit leuchtend blauen und purpurnen Flammen umhüllte. Er zog seine Kapuze über das Gesicht, da er seine Augen im Kampf nicht brauchte und ein zufälliger Blick auf einen Basilisken ihm nur Verderben bringen konnte. Dann stürzte er, während er seine tödlichen Krummsäbel zog, auf den Rücken des Monsters und rannte über die Schuppen, um zu seinem Kopf zu gelangen.

Der Basilisk reagierte, sobald die tanzenden Flammen seinen Kopf umhüllten. Sie verbrannten die schuppige Haut nicht, aber das Licht machte das Monster zu einem leichten Ziel. Der Basilisk wirbelte zurück, doch bevor er den Kopf halb umgedreht hatte, bohrte sich der erste Krummsäbel in sein Auge. Die Kreatur richtete sich auf und schlug um sich, versuchte, den Jäger zu erreichen. Sie atmete ihre giftigen Dämpfe aus, und der Kopf schnellte herum.

Der Jäger war schneller. Er brachte sich außer Reichweite und wich dem Tode aus. Sein zweiter Krummsäbel fand das andere Auge des Monsters, und der Jäger machte seiner Wut Luft.

Der Basilisk war der Eindringling, und er hatte seine Rothe getötet! Ein wilder Schlag um den anderen traf den gepanzerten Kopf des Monsters, hieb die Schuppen fort und drang in das darunterliegende Fleisch.

Der Basilisk erkannte die Gefahr, glaubte aber noch immer, er würde siegen. Er hatte immer gesiegt. Wenn er nur seinen Giftatem auf den tobenden Jäger richten könnte.

Plötzlich war der zweite Feind, das katzenartige Wesen, auf dem Basilisken; er war furchtlos auf das flammenumsäumte große Maul zugesprungen. Die große Katze kümmerte sich nicht um die giftigen Dämpfe, denn sie war eine magische Bestie, unempfänglich für solche Angriffe. Pantherklauen gruben tiefe Furchen in den Gaumen des Basilisken und ließen das Monster sein eigenes Blut trinken.

Hinter dem riesigen Schädel schlug der Jäger wieder und wieder zu, hundertmal und mehr. Wild und brutal durchhieben die Krummsäbel den schuppigen Panzer, drangen durch das Fleisch in den Schädel und schmetterten den Basilisken in die Finsternis des Todes.

Erst lange nachdem das Monster still dalag, ließen die Hiebe der blutverschmierten Krummsäbel nach.

Der Jäger streifte seine Kapuze ab und betrachtete die klaffenden Wunden zu seinen Füßen und die heißen blutverschmierten Klingen seiner Säbel. Er reckte die Krummsäbel hoch in die Luft und verkündete seinen Sieg mit einem Schrei urtümlichen Frohlockens.

Er war der Jäger, und dies war sein Reich!

Doch gleich nachdem er seinem Zorn in diesem Schrei Luft gemacht hatte, blickte der Jäger auf seinen Begleiter und war beschämt. Die untertassengroßen Augen des Panthers richteten ihn, auch wenn der Panther selbst das nicht tat. Die Katze war die einzige Verbindung zur Vergangenheit, zu jenem zivilisierten Dasein, das der Jäger einst gekannt hatte.

»Komm, Guenhwyvar«, flüsterte er, während er die Krummsäbel in ihre Scheiden gleiten ließ. Er genoss den Klang der Worte. Seine eigene war die einzige Stimme, die er seit einer Dekade gehört hatte. Doch jedes Mal, wenn er jetzt sprach, erschienen ihm die Worte fremder, und er hatte Schwierigkeiten, sie überhaupt zu finden. Würde er auch die Fähigkeit, sich auf diese Art mitzuteilen, verlieren, so wie er alles andere seiner einstigen Existenz verloren hatte? Davor hatte der Jäger große Angst, denn ohne seine Stimme konnte er den Panther nicht rufen.

Dann war er wirklich allein.

TEIL 1

DER JÄGER

ICH ERINNERE MICH noch lebhaft an den Tag, an dem ich die Stadt meiner Geburt und mein Volk verließ. Das ganze Unterreich, ein Leben voller Abenteuer und Spannung lagen vor mir – mit Möglichkeiten, die mein Herz jubeln ließen. Doch mehr als dies verließ ich Menzoberranzan in dem Glauben, dass ich nun mein Leben gemäß meinen Prinzipien leben könnte. Guenhwyvar war an meiner Seite, und ich hatte meine Krummsäbel um meine Hüften gegurtet. Ich selbst konnte meine Zukunft bestimmen.

Doch dieser Dunkelelf, der junge Drizzt Do’Urden, der, kaum in der vierten Dekade seines Lebens, an jenem schicksalhaften Tag Menzoberranzan verließ, vermochte nicht einmal ansatzweise die Wahrheit der Zeit zu erfassen und zu begreifen, wie ihr Verlauf sich zu verlangsamen schien, wenn die Augenblicke nicht mit anderen geteilt wurden. In meinem jugendlichen Überschwang freute ich mich auf ein Jahrhunderte währendes Leben.

Wie aber misst man Jahrhunderte, wenn eine einzige Stunde ein Tag zu sein scheint und ein einziger Tag ein Jahr?

Jenseits der Städte des Unterreiches gibt es Nahrung für die, die wissen, wie man sie findet, und Sicherheit für die, die sich zu verbergen wissen. Mehr als alles andere jedoch ist jenseits der bevölkerten Städte des Unterreiches Einsamkeit.

Als ich eine Kreatur der leeren Tunnel wurde, wurde das Überleben leichter und schwerer zugleich. Ich eignete mir die zum Leben notwendigen körperlichen Fähigkeiten an und machte wertvolle Erfahrungen. Ich war in der Lage, fast alles zu besiegen, was in die von mir auserwählte Domäne eindrang, und vor den wenigen Monstern, die ich nicht bezwingen konnte, konnte ich sicher fliehen oder mich verbergen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich entdeckte, dass es eine Nemesis gab, vor der ich nicht fliehen und die ich auch nicht besiegen konnte. Sie folgte mir, wohin ich auch ging, und in der Tat – je weiter ich lief, desto mehr umschloss sie mich. Mein Feind war die Einsamkeit, das endlose, unaufhörliche Schweigen der abgelegenen Korridore.

Schaue ich jetzt, Jahre später darauf zurück, bin ich erstaunt und bestürzt über die Veränderungen, die ich durch dieses Leben erfuhr. Die Identität jedes vernunftbegabten Wesens wird durch die Sprache festgelegt, durch die Kommunikation zwischen diesem Wesen und den anderen, die mit ihm leben. Ohne dieses Bindeglied war ich verloren. Als ich Menzoberranzan verließ, war ich entschlossen, mein Leben auf Prinzipien und meine Kraft auf unbeugsame Überzeugungen zu gründen. Doch nach nur wenigen Monaten allein im Unterreich war der einzige Zweck meines Daseins das Überleben. Ich war zu einer allein vom Instinkt beherrschten Kreatur geworden, berechnend und verschlagen, aber nicht denkend. Ich benutzte meinen Verstand nur dazu, den nächsten tödlichen Kampf auszutragen.

Ich glaube, dass Guenhwyvar mich rettete. Dieselbe Gefährtin, die mich unzählige Male aus den Klauen von Monstern vor dem sicheren Tode errettet hatte, bewahrte mich vor einem Tod der Leere – weniger dramatisch vielleicht, doch nicht weniger schicksalhaft. Ich stellte fest, dass ich für die Augenblicke lebte, in denen die Katze an meiner Seite ging und ein anderes lebendes Geschöpf meine Worte hören konnte, so schwer sie mir auch fielen. Und zudem war Guenhwyvar meine Uhr geworden, da ich wusste, dass die Katze jeden zweiten Tag für einen halben Tag von der Astralebene zu mir kommen konnte.

Erst nachdem meine Tortur beendet war, begriff ich, wie kritisch dieses Viertel meiner Zeit tatsächlich war. Ohne Guenhwyvar hätte ich nicht die Entschlossenheit zum Weitermachen gefunden. Niemals hätte ich die Kraft zum Überleben bewahrt.

Und selbst wenn Guenhwyvar an meiner Seite war, merkte ich, dass ich dem Kampf immer ambivalenter gegenüberstand. Ich hoffte heimlich, ein Bewohner des Unterreiches würde sich als stärker erweisen, als ich es war. Konnte der Schmerz eines Zahnes oder einer Kralle größer sein als die Leere und die Stille?

EIN GESCHENK ZUM JAHRESTAG

OBERIN MALICE DO’URDEN rutschte unbehaglich auf dem steinernen Thron des kleinen, dunklen Vorraumes zur großen Kapelle des Hauses Do’Urden hin und her. Für die Dunkelelfen, die den Lauf der Zeit in Dekaden maßen, war dies ein besonderer Tag in den Annalen von Malices Haus, der zehnte Jahrestag des andauernden schwelenden Krieges zwischen der Familie Do’Urden und dem Hause Hun’ett. Oberin Malice, die nie einen Anlass zum Feiern ausließ, hatte für ihre Feinde ein besonderes Geschenk vorbereitet.

Briza Do’Urden, Malices älteste Tochter, eine große und starke Elfe, schritt besorgt durch den Vorraum – ein nicht ungewöhnlicher Anblick. »Es müsste jetzt vorbei sein«, murrte sie, während sie gegen einen kleinen, dreibeinigen Hocker trat, der schlitterte und umstürzte. Ein Stück des Pilzstielsitzes brach ab.

»Geduld, meine Tochter«, erwiderte Malice etwas vorwurfsvoll, obwohl sie Brizas Gefühle teilte. »Jarlaxle ist gewissenhaft. « Briza wandte sich bei der Erwähnung des unverschämten Söldners ab und begab sich zu den reich verzierten Steintüren des Raumes. Malice entging die Bedeutung des Tuns ihrer Tochter nicht.

»Ihr seid mit Jarlaxle und seiner Bande nicht einverstanden«, stellte die Mutter Oberin gleichmütig fest.

»Es sind Ausgestoßene«, fauchte Briza, ohne ihre Mutter dabei anzusehen. »Für diese Ausgestoßenen ist in Menzoberranzan kein Platz. Sie stören die natürliche Ordnung unserer Gesellschaft. Und es sind Männer.«

»Sie dienen uns gut«, erinnerte Malice sie. Briza wollte wegen des extrem hohen Lohnes, den die Söldner verlangten, widersprechen, hütete aber wohlweislich ihre Zunge. Sie und Malice hatten seit Beginn des Krieges, der zwischen Do’Urden und Hun’ett herrschte, fast ständig Meinungsverschiedenheiten.

»Ohne Bregan D’aerthe könnten wir gegen unsere Feinde nichts unternehmen«, fuhr Malice fort. »Der Einsatz der Söldner, der Ausgestoßenen, wie du sie genannt hast, erlaubt uns, den Krieg zu führen, ohne dass unser Haus als Aggressor angesehen wird.«

»Und warum beenden wir die Angelegenheit dann nicht?«, wollte Briza wissen und stürmte zum Thron. »Wir töten ein paar von Hun’etts Soldaten. Sie töten ein paar von unseren. Und beide Häuser rekrutieren ständig Ersatz! Es wird nicht enden! Die einzigen Sieger in diesem Krieg sind die Söldner von Bregan D’aerthe – und welche Bande auch immer Oberin SiNafay Hun’ett angeworben hat. Sie leeren die Schatullen beider Häuser! «

»Mäßigt Euren Ton, meine Tochter«, knurrte Malice warnend, »Ihr sprecht mit einer Mutter Oberin.«

Briza wandte sich ab. »Wir hätten das Haus Hun’ett sofort in der Nacht angreifen sollen, als Zaknafein geopfert wurde«, wagte sie zu murren.

»Ihr vergesst, was Euer jüngster Bruder in jener Nacht tat«, erwiderte Malice gleichmütig.

Doch die Mutter Oberin irrte sich. Selbst wenn Briza noch tausend Jahre leben würde, würde sie nie vergessen, was Drizzt in der Nacht, in der er seine Familie verlassen hatte, getan hatte. Von Zaknafein ausgebildet, Malices bevorzugtem Liebhaber und bestem Waffenmeister in ganz Menzoberranzan, hatte Drizzt eine Fertigkeit in der Kampfkunst erlangt, die das Können gewöhnlicher Dunkelelfen weit überstieg. Doch Zak hatte Drizzt auch das blasphemische Verhalten beigebracht, das Lloth, die Spinnenkönigin, die Gottheit der Dunkelelfen, nie tolerieren würde. Schließlich hatten Drizzts Sakrilegien den Zorn von Lloth geweckt, und die Spinnenkönigin hatte dafür seinen Tod gefordert.

Oberin Malice hatte, beeindruckt von Drizzts Können als Krieger, kühn zu dessen Gunsten gehandelt und Lloth Zaknafeins Herz als Entschädigung für Drizzts Sünden gegeben. Sie vergab Drizzt in der Hoffnung, dass er ohne Zaknafeins Einflüsse andere Wege gehen und den abgesetzten Waffenmeister ersetzen würde.

Doch der undankbare Drizzt hatte sie alle verraten und war in das Unterreich geflohen – eine Tat, die das Haus Do’Urden nicht nur seines einzigen potenziellen verbliebenen Waffenmeisters beraubte, sondern auch Oberin Malice und den Rest der Familie Do’Urden Lloths Launen auslieferte. All die Anstrengungen des Hauses Do’Urden endeten damit, dass es seinen ersten Waffenmeister, die Gunst von Lloth und seinen künftigen Waffenmeister verloren hatte. Es war kein guter Tag gewesen.

Zum Glück hatte das Haus Hun’ett am gleichen Tage ähnliches Leid erlitten, da es seine beiden Zauberer bei dem gescheiterten Versuch verlor, Drizzt meuchlings zu ermorden. Da beide Häuser geschwächt und bei Lloth in Ungnade gefallen waren, fanden statt des erwarteten Krieges zahllose heimliche Überfälle statt.

Briza würde diese Ereignisse nie vergessen.

Ein Klopfen an der Tür des Vorraumes schreckte Briza und ihre Mutter aus ihren Erinnerungen an jene schicksalhafte Zeit. Die Tür schwang auf, und Dinin, der Erstgeborene des Hauses, trat ein.

»Seid gegrüßt, Mutter Oberin«, sagte er höflich und verbeugte sich tief. Dinins Neuigkeiten sollten eine Überraschung sein, doch das Grinsen, das sich auf seinem Gesicht breitmachte, verriet alles.

»Jarlaxle ist zurückgekehrt«, knurrte Malice voller Schadenfreude. Dinin wandte sich zu der geöffneten Tür, und der Söldner, der geduldig im Korridor gewartet hatte, betrat den Vorraum. Briza, wie immer über das ungewöhnliche Äußere des Ausgestoßenen erstaunt, schüttelte den Kopf, als Jarlaxle an ihr vorbeiging. Fast jeder Dunkelelf in Menzoberranzan war unauffällig und praktisch gekleidet, trug Gewänder, die mit den Symbolen der Spinnenkönigin geschmückt waren, oder geschmeidige Kettenhemden unter den Falten eines magischen und tarnenden Piwafwi.

Der arrogante und dreiste Jarlaxle hingegen kümmerte sich wenig um die Bräuche der Bewohner von Menzoberranzan. Er entsprach sicher nicht der Norm der Dunkelelfengesellschaft und stellte die Unterschiede schamlos zur Schau. Er trug weder einen Mantel noch ein Gewand, sondern einen schimmernden Umhang, der sowohl im Spektrum glühenden Lichtes als auch im Infrarotspektrum Wärmestrahlen wahrnehmender Augen jede Farbe zeigte. Man konnte die Zauberkraft des Umhanges nur erahnen, doch diejenigen, welche dem Söldnerführer am nächsten standen, behaupteten, dass er in der Tat sehr kostbar sei.

Jarlaxles Weste war ärmellos und so weit angeschnitten, dass jeder seinen flachen, muskelbepackten Bauch sehen konnte. Über einem Auge trug er eine Klappe, obwohl aufmerksame Beobachter sie als reine Zierde bewerteten, da Jarlaxle sie oft von einem Auge zum anderen schob.

»Meine liebe Briza«, sagte Jarlaxle über die Schulter, als er das herablassende Interesse der Hohepriesterin an seinem Äußeren bemerkte. Er drehte sich um, verbeugte sich tief und zog dabei schwungvoll seinen breitkrempigen Hut – eine weitere Eigentümlichkeit, zumal dieser Hut über und über mit den riesigen Federn eines Diatryma, eines gigantischen Vogels aus dem Dunkelreich, geschmückt war.

Briza schnaubte beleidigt und kehrte dem geneigten Kopf des Söldners den Rücken zu. Dunkelelfen trugen ihr dichtes weißes Haar als Zeichen ihres Standes. Jede Frisur verriet Rang und Hauszugehörigkeit. Doch Jarlaxle, der Ausgestoßene, hatte überhaupt kein Haar, und nach Brizas Meinung wirkte sein glattrasierter Schädel wie eine Kugel aus gepresstem Onyx.

Jarlaxle lachte leise über die fortwährende Missbilligung der ältesten Do’Urden-Tochter und wandte sich wieder Oberin Malice zu, wobei sein üppiger Schmuck klimperte und seine festen, glänzenden Stiefel bei jedem Schritt knarrten. Briza nahm auch dies zur Kenntnis, da sie wusste, dass diese Stiefel und der Schmuck nur dann Geräusche zu verursachen schienen, wenn Jarlaxle das wollte.

»Ist es vollbracht?«, fragte Oberin Malice, bevor der Söldner zu einer angemessenen Begrüßung ansetzen konnte.

»Meine liebe Oberin Malice«, erwiderte Jarlaxle mit einem gequälten Seufzen, wohl wissend, dass ihm angesichts seiner großartigen Nachrichten diese Zwanglosigkeit verziehen wurde. »Habt Ihr an mir gezweifelt? Ich bin tief in meinem Herzen verletzt.«

Malice sprang von ihrem Thron, die Faust als Zeichen des Sieges geballt. »Dipree Hun’ett ist tot! «, verkündete sie. »Das erste adelige Opfer des Krieges! «

»Ihr vergesst Masoj Hun’ett«, bemerkte Briza, »den Drizzt vor zehn Jahren erschlug. Und Zaknafein Do’Urden«, fügte Briza wider bessere Einsicht hinzu, »getötet durch deine eigene Hand.«

»Zaknafein war nicht durch Geburt adelig«, wies Malice ihre vorlaute Tochter zurecht. Dennoch trafen Brizas Worte Malice. Malice hatte entgegen Brizas Empfehlung beschlossen, Zaknafein an Drizzts Stelle zu opfern.

Jarlaxle räusperte sich, um die wachsende Spannung zu brechen. Der Söldner wusste, dass er seine Angelegenheit zu Ende führen und das Haus Do’Urden so schnell wie möglich verlassen musste. Er wusste bereits – obwohl die Do’Urdens keine Ahnung davon hatten –, dass die vereinbarte Stunde nahte. »Da wäre noch die Sache mit meiner Bezahlung«, erinnerte er Malice.

»Dinin wird sich darum kümmern«, erwiderte Malice mit einer wegwerfenden Handbewegung, ohne ihre Augen von der finsteren Miene ihrer Tochter zu wenden.

»Ich werde mich verabschieden«, sagte Jarlaxle und nickte dem Erstgeborenen zu.

Doch bevor der Söldner seinen ersten Schritt Richtung Tür gemacht hatte, stürmte Vierna, Malices zweite Tochter in den Raum. Ihr Gesicht glühte im Infrarotspektrum hell, erhitzt durch offensichtliche Erregung.

»Verdammt«, flüsterte Jarlaxle verhalten.

»Was ist?«, fragte Oberin Malice.

»Das Haus Hun’ett«, schrie Vierna, »Soldaten in unserem Bereich! Wir werden angegriffen!«

Im Hof, jenseits des Höhlenkomplexes, folgten fast fünfhundert Soldaten des Hauses Hun’ett – volle hundert mehr, als das Haus angeblich besaß – der Explosion eines blendenden Blitzes durch die Adamantit-Tore des Hauses Do’Urden. Die dreihundertfünfzig Soldaten des Hauses Do’Urden schwärmten aus den geformten Stalagmiten, die ihnen als Quartiere dienten, um dem Angriff zu begegnen. Zahlenmäßig zwar unterlegen, doch von Zaknafein ausgebildet, formierten sich die Do’Urden-Truppen in geeignete Verteidigungspositionen und beschirmten ihre Zauberer und Priester, damit diese ihre Magie ausüben konnten.

Ein ganzes Kontingent von Hun’ett-Soldaten, das durch Zaubersprüche zum Fliegen befähigt war, stürzte auf die Höhlenwand hinab, hinter der die königlichen Gemächer des Hauses Do’Urden lagen. Winzige Armbrüste klickten und lichteten mit tödlichen, vergifteten Bolzen die Reihen der fliegenden Streitmacht. Dennoch war den Eindringlingen aus der Luft die Überraschung gelungen, und die Do’Urden-Truppen befanden sich rasch in einer gefährlichen Lage.

 

»Hun’ett steht nicht in Lloths Gunst! «, schrie Malice. »Sie würden es nicht wagen, offen anzugreifen!« Sie zuckte unter dem donnernden Krachen eines Blitzes und dann eines weiteren zusammen, das sie widerlegte.

»Ach ja?«, schnappte Briza.

Malice warf ihrer Tochter einen drohenden Blick zu, hatte aber keine Zeit, die Auseinandersetzung fortzuführen. Normalerweise erfolgte beim Angriff eines Dunkelelfenhauses der Ansturm von Soldaten in Verbindung mit einem mentalen Sperrfeuer der höchsten Priester des Hauses. Malice jedoch spürte keinen mentalen Angriff, was ihr zweifelsfrei verriet, dass sich das Haus Hun’ett tatsächlich vor ihre Tore gewagt hatte. Die Priester von Hun’ett, die nicht mehr in der Gunst der Spinnenkönigin standen, konnten offensichtlich ihre von Lloth gegebenen Kräfte nicht einsetzen, um den mentalen Angriff durchzuführen. Wären sie dazu in der Lage gewesen, hätten Malice und ihre Tochter, die ebenfalls nicht mehr die Gunst der Spinnenkönigin genossen, keine Hoffnung gehabt, sie abwehren zu können.

»Warum sollten sie es wagen, uns anzugreifen?«, fragte Malice sich laut.

Briza verstand die Überlegung ihrer Mutter. »Sie sind in der Tat so kühn zu glauben«, sagte sie, »dass ihre Soldaten jedes Mitglied unseres Hauses austilgen können.« Jeder im Raum, jeder Dunkelelf in Menzoberranzan wusste wohl, welch brutale absolute Bestrafung jedem Haus widerfuhr, dem es misslang, ein anderes Haus völlig auszurotten. Solche Angriffe waren zwar nicht verpönt, dabei aber auf frischer Tat ertappt zu werden, zog entsetzliche Konsequenzen nach sich.

Rizzen, der derzeitige Lehnsherr des Hauses Do’Urden, trat in diesem Moment mit grimmiger Miene in den Vorraum. »Wir sind unterlegen und haben eine schlechtere Ausgangsbasis«, sagte er. »Wir sind bald besiegt, fürchte ich.«

Malice wollte diese Neuigkeiten nicht akzeptieren. Sie versetzte Rizzen einen Schlag, der ihn durch den halben Raum schleuderte, und wirbelte zu Jarlaxle herum. »Ihr müsst Eure Truppe zusammenrufen! «, schrie Malice den Söldner an. »Schnell!«

»Oberin«, stotterte Jarlaxle offensichtlich verlegen. »Bregan D’aerthe ist eine sehr heimlich arbeitende Gruppe. An offenen Kriegen beteiligen wir uns nicht. Das zu tun, könnte bedeuten, den Zorn des Herrschenden Konzils herauszufordern!«

»Ich werde bezahlen, was immer Ihr verlangt«, versprach die verzweifelte Mutter Oberin.

»Aber der Preis … «

»Was immer Ihr verlangt! «, fauchte Malice wieder.

»Eine solche Aktion … «, setzte Jarlaxle an.

Wieder ließ Malice ihn seinen Einwand nicht beenden. »Rettet mein Haus, Söldner«, knurrte sie. »Euer Gewinn wird groß sein. Aber, ich warne Euch, der Preis für Euer Versagen wird weit größer sein! «

Jarlaxle ließ sich ungern drohen, besonders nicht von einer schwachen Mutter Oberin, deren ganze Welt ringsum schnell zusammenbrach. Doch in den Ohren des Söldners überwog der süße Klang des Wortes »Gewinn« diese Drohung tausendfach. Nach zehn aufeinanderfolgenden Jahren maßlos überhöhter Belohnungen im Krieg zwischen Do’Urden und Hun’ett, bezweifelte Jarlaxle weder Malices Willen noch ihre Fähigkeit, wie versprochen zu bezahlen, und ebenso wenig bezweifelte er, dass dieser Handel sich als noch lukrativer erweisen würde als die Vereinbarung, die er mit Oberin SiNafay Hun’ett in dieser Woche getroffen hatte.

»Wie Ihr es wünscht«, sagte er zu Oberin Malice, wobei er sich verneigte und seinen bunten Hut schwenkte. »Ich will sehen, was ich tun kann.« Er zwinkerte Dinin zu, worauf sich der Erstgeborene an seine Fersen heftete, als er den Raum verließ.

Als die beiden auf den Balkon traten, von dem man den Bereich der Do’Urden überblicken konnte, sahen sie, dass die Situation noch weit aussichtsloser war, als Rizzen sie geschildert hatte. Die Soldaten des Hauses Do’Urden – diejenigen, die noch lebten – waren in und um einen der riesigen Stalagmiten gefangen, an denen das Eingangstor verankert war.

Einer von Hun’etts fliegenden Soldaten ließ sich beim Anblick eines Edlen der Do’Urden auf den Balkon fallen, doch Dinin erledigte den Eindringling mit einem einzigen kurzen Hieb.

»Gut gemacht«, kommentierte Jarlaxle, wobei er Dinin ein anerkennendes Nicken schenkte. Er wollte dem ältesten Sprössling der Do’Urden auf die Schulter klopfen, aber Dinin trat beiseite.

»Wir haben anderes zu tun«, erinnerte er Jarlaxle betont. »Ruft Eure Truppen – schnell. Sonst, fürchte ich, wird das Haus Hun’ett den Sieg davontragen.«

»Keine Sorge, mein Freund Dinin«, lachte Jarlaxle. Er nahm eine kleine Pfeife von seinem Hals und blies hinein. Dinin hörte kein Geräusch, da das Instrument magisch gestimmt und nur für die Ohren der Mitglieder von Bregan D’aerthe vernehmbar war.

Der Erstgeborene des Hauses Do’Urden beobachtete voller Erstaunen, wie Jarlaxle seelenruhig eine bestimmte Kadenz blies, und sah dann mit noch größerem Erstaunen, wie sich über hundert Soldaten des Hauses Hun’ett gegen ihre Kameraden wandten.

Bregan D’aerthe war nur Bregan D’aerthe Loyalität schuldig.

 

»Sie durften uns nicht angreifen«, sagte Malice halsstarrig, während sie in der Kammer auf und ab ging. »Die Spinnenkönigin würde ihnen bei diesem Unterfangen nicht helfen.«

»Sie besiegen uns auch ohne die Hilfe der Spinnenkönigin«, erinnerte Rizzen sie, wobei er sich besonnenerweise in der fernsten Ecke des Raumes duckte, als er die unerwünschten Worte aussprach.

»Ihr sagtet, sie würden sich niemals offen gegen uns stellen! «, knurrte Briza ihre Mutter an. »Und das sogar, als Ihr erklärtet, warum wir es nicht wagen dürften, sie anzugreifen!« Briza erinnerte sich an dieses Gespräch nur allzu gut, da sie selbst den offenen Angriff auf das Haus Hun’ett vorgeschlagen hatte. Malice hatte sie barsch und in aller Öffentlichkeit dafür gescholten, und Briza wollte diese Demütigung jetzt zurückgeben. Ihre Stimme troff von bösem Sarkasmus, als sie Wort um Wort gegen ihre Mutter richtete. »Könnte es sein, dass Oberin Malice Do’Urden sich geirrt hat?«

Malice bedachte ihre Tochter mit einem finsteren Blick, der Wut und Entsetzen ausdrückte. Briza erwiderte den drohenden Blick, und plötzlich fühlte sich die Mutter Oberin des Hauses Do’Urden nicht mehr so unerschütterlich und sicher. Nervös lief sie einen Augenblick später los, als Maya, die jüngste der Do’Urden-Töchter, den Raum betrat.

»Sie sind in das Haus gedrungen! «, schrie Briza, die das Schlimmste annahm. Sie griff nach ihrer Schlangenkopfpeitsche. »Und wir haben nicht einmal damit begonnen, Vorbereitungen für unsere Verteidigung zu treffen!«

»Nein!«, korrigierte Maya sie schnell. »Kein Feind hat den Balkon überquert. Der Kampf hat sich gegen das Haus Hun’ett gewendet!«

»Ich wusste, dass es so sein würde«, verkündete Malice, und richtete ihre Worte an Briza. »Töricht das Haus, das etwas ohne die Gunst von Lloth unternimmt!« Trotz ihrer Erklärung vermutete Malice jedoch, dass mehr als die Entscheidung der Spinnenkönigin auf dem Hof eine Rolle gespielt hatte. Logisches Denken brachte sie unausweichlich auf Jarlaxle und seine unzuverlässige Bande Ausgestoßener.

 

Jarlaxle verließ den Balkon und nutzte seine angeborenen Dunkelelffähigkeiten, um zum Höhlenboden herabzuschweben. Da Dinin keinen Grund sah, sich in einen Kampf einzumischen, der offensichtlich unter Kontrolle war, blieb er, wo er war, und sah dem Söldner nach. Er überdachte alles, was sich gerade ereignet hatte. Jarlaxle hatte beide Seiten gegeneinander ausgespielt, und wieder waren der Söldner und seine Bande die einzigen wirklichen Sieger gewesen. Bregan D’aerthe war skrupellos, doch, wie Dinin zugeben musste, außerordentlich erfolgreich.

Dinin stellte fest, dass er den Renegaten mochte.

 

»Ist die Anklage Oberin Baenre richtig vorgetragen worden?«, fragte Malice Briza, als das Licht des Narbondel, des magisch erhitzten Stalagmiten, der Menzoberranzan als Uhr diente, gleichmäßig anzuschwellen begann und so die Dämmerung des nächsten Tages verkündete.

»Das herrschende Haus erwartet den Besuch«, erwiderte Briza grinsend. »Die ganze Stadt spricht von dem Angriff und darüber, wie das Haus Do’Urden die Eindringlinge der Hun’ett abgewehrt hat.«

Malice versuchte vergeblich, ihr selbstgefälliges Lächeln zu verbergen. Sie genoss die Aufmerksamkeit und den Ruhm, mit dem, wie sie wusste, ihr Haus überschüttet werden würde.

»Das Herrschende Konzil wird noch an diesem Tage einberufen werden«, fuhr Briza fort. »Zweifellos zur Bestürzung von Oberin SiNafay Hun’ett und ihren zum Untergang verdammten Kindern.«

Malice nickte zustimmend. Unter den Dunkelelfen in Menzoberranzan war es eine absolut akzeptierte Praxis, ein rivalisierendes Haus völlig auszurotten. Doch bei diesem Versuch zu scheitern, auch nur einen Zeugen edlen Blutes übrig zu lassen, der dann Anklage erheben konnte, forderte die Verurteilung durch das Herrschende Konzil heraus, und das Urteil bedeutete unausweichlich totale Vernichtung.

Auf ein Klopfen hin wandten sich beide zur reich verzierten Tür des Raumes.

»Ihr seid aufgerufen, Oberin«, sagte Rizzen beim Eintreten. »Oberin Baenre hat einen Wagen für Euch geschickt.«

Malice und Briza wechselten hoffnungsvolle, aber dennoch nervöse Blicke. Wenn das Haus Hun’ett bestraft wurde, würde das Haus Do’Urden auf den achten Rang in der Hierarchie der Stadt vorrücken – eine äußerst wünschenswerte Position. Nur den Oberinnen der höchsten acht Häuser stand ein Sitz im Herrschenden Konzil der Stadt zu.

»Jetzt schon?«, fragte Briza ihre Mutter.

Malice zuckte zur Antwort nur mit den Schultern und folgte Rizzen aus dem Raum und zum Balkon des Hauses. Rizzen reichte ihr seine Hand zur Hilfe, doch sie schlug sie prompt beiseite. Malice trat würdevoll über das Geländer und senkte sich auf den Hof hinab, wo ihre restlichen Soldaten versammelt waren. Die fliegende, blauschimmernde Scheibe, die die Insignien des Hauses Baenre trug, schwebte direkt vor dem gesprengten Adamantit-Tor.

Stolz schritt Malice durch die versammelte Menge. Dunkelelfen stießen einander bei dem Versuch um, ihr aus dem Wege zu gehen. Dies war ihr Tag, fand sie, der Tag, an dem sie einen Sitz im Herrschenden Konzil bekam – die Position, die sie unbedingt verdient hatte.

»Mutter Oberin, ich werde Euch durch die Stadt begleiten«, bot Dinin, der am Tor stand, ihr an.

»Ihr werdet mit dem Rest der Familie hierbleiben«, korrigierte Malice ihn. »Die Vorladung gilt allein für mich.«

»Woher wisst Ihr das?«, fragte Dinin, erkannte aber, kaum dass die Worte über seine Lippen gekommen waren, dass er für seinen Rang zu weit gegangen war.

Als Malice ihren tadelnden Blick auf ihn richtete, war er bereits in der Menge der Soldaten verschwunden.

»Angemessener Respekt«, murmelte Malice leise und wies einige Soldaten an, einen Teil des verriegelten und befestigten Tores zu öffnen. Mit einem letzten siegessicheren Blick auf ihre Untertanen trat Malice hinaus und nahm auf der schwebenden Scheibe Platz.

Malice ließ die staunenden Blicke stolz über sich ergehen und fühlte sich überlegen. Selbst als die Scheibe den berühmten Spinnwebzaun des Hause Baenre erreichte, mit seinen Tausenden marschierender Posten und den gewaltigen Stalagmiten und Stalaktiten, war Malices Stolz nicht geschwunden.

Sie gehörte jetzt zum Herrschenden Konzil oder würde bald dazugehören. Sie musste sich nirgendwo in der Stadt mehr unterlegen fühlen.

Das zumindest dachte sie.

»Eure Anwesenheit wird in der Kapelle erbeten«, sagte einer der Priester von Baenre zur ihr, als die Scheibe am Fuße der weitläufigen Treppe, die zu dem großen Kuppelgebäude führte, haltmachte.

Malice trat hinab und stieg die polierten Steine hinauf. Sobald sie eingetreten war, bemerkte sie eine Gestalt, die auf einem der Sessel auf dem hohen zentralen Altar saß. Der sitzende Dunkelelf, die einzige andere Person, die in der Kapelle zu sehen war, bemerkte Malice offensichtlich nicht. Er hatte sich bequem zurückgelehnt und betrachtete das gewaltige sinnestäuschende Bild in der Kuppel, das seine Formen veränderte, erst wie eine gigantische Spinne wirkte, dann wie eine wunderschöne Dunkelelfenfrau.

Als Malice näher kam, erkannte sie die Gewänder einer Mutter Oberin, und sie nahm wie zuvor an, dass dies Oberin Baenre selbst sei, dass die mächtigste Person von ganz Menzoberranzan sie erwarte. Malice ging die Altartreppen hoch und trat hinter die sitzende Dunkelelfe. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, trat Malice kühn vor sie, um Baenre zu begrüßen.

Es war jedoch nicht die uralte, ausgemergelte Gestalt von Oberin Baenre, der Malice Do’Urden auf dem Podium der Baenrekapelle begegnete. Die sitzende Oberin war nicht viel älter als ein Dunkelelf und nicht so verwelkt und trocken wie ein blutleerer Leichnam. Vielmehr war diese Dunkelelfe nicht älter als Malice und sehr winzig. Malice kannte sie nur zu gut.

»SiNafay!«, rief sie aus und fiel fast um.

»Malice«, erwiderte die andere ruhig.

Tausende beunruhigende Gedanken schossen Malice durch den Kopf. SiNafay Hun’ett sollte voller Furcht in ihrem zum Untergang verurteilten Hause kauern und die Ausrottung ihrer Familie erwarten. Doch nun saß SiNafay ganz bequem hier, im heiligen Quartier der wichtigsten Familie von Menzoberranzan!

»Ihr gehört nicht in diesen Palast! «, protestierte Malice und ballte ihre schlanken Hände zu Fäusten. Sie bedachte die Möglichkeit, ihre Rivalin an Ort und Stelle anzugreifen, SiNafay mit ihren eigenen Händen zu erwürgen.

»Beruhigt Euch, Malice«, bemerkte SiNafay gelassen. »Ich bin auf Einladung von Oberin Baenre hier, genau wie Ihr.«

Die Erwähnung von Oberin Baenre und die Erinnerung daran, wo sie sich befanden, beruhigten Malice. In der Kapelle des Hauses Baenre stritt man nicht! Malice begab sich zur gegenüberliegenden Seite des kreisrunden Podiums und nahm Platz, ohne den Blick auch nur einmal vom selbstgefällig lächelnden Gesicht SiNafay Hun’etts zu wenden.

Nach einigen scheinbar endlosen Minuten musste Malice einfach sagen, was sie dachte. »Das Haus Hun’ett hat meine Familie beim letzten Dunkel von Narbondel angegriffen«, sagte sie. »Für diese Tatsache habe ich viele Zeugen. Daran kann es keinen Zweifel geben!«

»Keinen«, erwiderte SiNafay und überrumpelte Malice mit dieser Zustimmung.

»Ihr gebt die Tat zu?«, bellte sie.

»Natürlich«, sagte SiNafay. »Ich habe sie nie geleugnet.«

»Noch lebt Ihr«, lächelte Malice höhnisch. »Die Gesetze von Menzoberranzan fordern Gerechtigkeit.«

»Gerechtigkeit?« SiNafay lachte über die absurde Bemerkung. Gerechtigkeit war im chaotischen Menzoberranzan nie mehr als eine Fassade und ein Mittel gewesen, Ordnung zu heucheln. »Ich handelte so, wie die Spinnenkönigin es von mir verlangte.«

»Hätte die Spinnenkönigin deine Methoden gebilligt, wärt Ihr siegreich gewesen«, argumentierte Malice.

»Keineswegs«, unterbrach sie eine andere Stimme. Malice und SiNafay drehten sich gerade in dem Augenblick um, in dem Oberin Baenre wie durch Zauberei auf dem Sessel erschien, der sich ganz hinten auf dem Podium befand.

Malice hätte angesichts der welken Mutter Oberin am liebsten aufgeschrien, weil Baenre ihrer Unterhaltung heimlich gelauscht hatte und ihre Ansprüche gegen SiNafay offensichtlich ablehnte. Doch Malice hatte es vor allem deshalb fertiggebracht, die Gefahren von Menzoberranzan fünfhundert Jahre lang zu überleben, weil sie um die Folgen wusste, die die Verärgerung einer Person wie Oberin Baenre mit sich brachten.

»Ich beanspruche das Recht der Anklage gegen das Haus Hun’ett«, sagte sie ruhig.

»Gewährt«, erwiderte Oberin Baenre. »Wie Ihr gesagt habt, und wie SiNafay zugestand, kann es daran keinen Zweifel geben. «

Malice wandte sich triumphierend an SiNafay, doch die Mutter Oberin des Hauses Hun’ett saß noch immer entspannt und unbesorgt da.

»Warum ist sie dann hier?«, rief Malice in einem Tonfall, in dem explosive Wut mitschwang. »SiNafay ist eine Geächtete. Sie …«

»Wir haben Euren Worten nicht widersprochen«, unterbrach Oberin Baenre. »Das Haus Hun’ett hat angegriffen und scheiterte. Die Bestrafung für eine solche Tat ist wohl bekannt und steht außer Frage, und das Herrschende Konzil wird noch heute zusammenkommen, um dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.«

»Aber warum ist SiNafay dann hier?«, wollte Malice wissen.

»Bezweifelt Ihr die Weisheit meines Angriffs?«, fragte SiNafay Malice, wobei sie versuchte, ein Kichern zu unterdrücken.

»Ihr wurdet besiegt«, erinnerte Malice sie sachlich. »Das allein sollte Euch Antwort genug sein.«

»Lloth forderte den Angriff«, erklärte Oberin Baenre.

»Aber warum wurde dann das Haus Hun’ett besiegt?«, fragte Malice stur. »Wenn die Spinnenkönigin …«

»Ich habe nicht gesagt, dass die Spinnenkönigin dem Hause Hun’ett ihren Segen gegeben hat«, unterbrach Oberin Baenre etwas verärgert. Malice rutschte auf ihrem Platz zurück und erinnerte sich an ihre Stellung und ihre Situation. »Ich sagte nur, dass Lloth diesen Angriff forderte«, fuhr Oberin Baenre fort. »Zehn Jahre hat ganz Menzoberranzan unter dem Spektakel Eures Privatkrieges gelitten. Ich kann Euch versichern, dass die Faszination und Erregung schon längst geschwunden sind. Eine Entscheidung musste fallen.«

»Und sie ist gefallen«, erklärte Malice und erhob sich. »Das Haus Do’Urden hat sich als siegreich erwiesen, und ich beanspruche das Recht der Anklage gegen SiNafay Hun’ett und ihre Familie!«

»Setzt Euch, Malice«, sagte SiNafay. »Hinter all dem steckt mehr als nur Euer Recht auf Anklage.«

Malice schaute Oberin Baenre nach Bestätigung heischend an, obwohl sie angesichts der gegenwärtigen Situation SiNafays Worte nicht anzweifeln konnte.

»Es ist geschehen«, sagte Oberin Baenre zu ihr. »Das Haus Do’Urden hat gesiegt, und das Haus Hun’ett wird nicht mehr sein.«

Malice ließ sich wieder auf ihren Platz fallen und lächelte SiNafay selbstgefällig an. Dennoch schien die Mutter Oberin des Hauses Hun’ett nicht im Mindesten beunruhigt.

»Ich werde die Vernichtung Eures Hauses mit großem Vergnügen verfolgen«, versicherte Malice ihrer Rivalin. Sie wandte sich an Baenre. »Wann wird die Bestrafung durchgeführt werden?«

»Das ist bereits geschehen«, erwiderte Oberin Baenre geheimnisvoll.

»SiNafay lebt!«, schrie Malice.

»Nein«, verbesserte die welke Mutter Oberin. »Sie, die SiNafay war, lebt.«

Jetzt begann Malice zu verstehen. Das Haus Baenre war immer opportunistisch gewesen. Konnte es sein, dass Oberin Baenre die Hohepriesterin des Hauses Hun’ett gestohlen hatte, um sie sich ihrer eigenen Sammlung einzuverleiben?

»Ihr werdet sie unter Euren Schutz stellen?«, wagte Malice zu fragen.

»Nein«, erwiderte Oberin Baenre gleichmütig. »Die Aufgabe, sie zu beschützen, wird Euch zufallen.«

Malices Augen wurden groß. Von all den vielen Pflichten, die ihr in ihren Tagen als Hohepriesterin von Lloth je aufgetragen worden waren, konnte sie sich keine unangenehmere vorstellen. »Sie ist meine Feindin! Ihr verlangt, dass ich ihr Schutz gewähre?«

»Sie ist Eure Tochter«, schoss Oberin Baenre zurück. Ihr Tonfall wurde weicher, und ein schiefes Lächeln teilte ihre schmalen Lippen. »Eure älteste Tochter, zurückgekehrt von den Reisen nach Ched Nasad oder einer anderen Stadt unseres Volkes.«

»Warum tut Ihr dies?«, fragte Malice. »Das ist beispiellos.«

»Das ist nicht ganz korrekt«, erwiderte Oberin Baenre. Sie legte ihre Finger aneinander, während sie sich ihren Gedanken hingab und sich an einige der seltsamen Konsequenzen der unendlichen Folge von Kämpfen innerhalb der Stadt der Dunkelelfen erinnerte.

»Oberflächlich betrachtet sind Eure Beobachtungen korrekt«, fuhr sie erklärend fort. »Doch sicher seid Ihr weise genug, um zu ahnen, dass in Menzoberranzan viele Dinge hinter den Kulissen geschehen. Das Haus Hun’ett muss zerstört werden – daran ist nichts zu ändern –, und alle Edlen des Hauses Hun’ett müssen getötet werden. Schließlich gehört sich das so.« Sie schwieg einen Augenblick, um sich zu vergewissern, dass Malice die Bedeutung ihrer nächsten Feststellung vollends verstand. »Zumindest muss es so scheinen, als seien sie getötet worden.«

»Und Ihr werdet das arrangieren?«, fragte Malice.

»Das habe ich bereits getan«, versicherte Oberin Baenre.

»Aber zu welchem Zweck?«

»Als das Haus Hun’ett seinen Angriff gegen Euch eröffnete, habt Ihr da in Eurer Not die Spinnenkönigin angerufen?«, fragte Oberin Baenre unverblümt.

Die Frage überraschte Malice und brachte sie nicht wenig aus der Fassung.

»Und als das Haus Hun’ett abgeschlagen wurde«, fuhr Oberin Baenre kalt fort, »habt Ihr da die Spinnenkönigin gepriesen? Habt Ihr im Augenblick Eures Sieges eine Dienerin von Lloth angerufen?«

»Stehe ich hier vor Gericht?«, rief Malice. »Ihr kennt die Antwort, Oberin Baenre.« Während sie antwortete, sah sie SiNafay unbehaglich an, da sie fürchtete, eine wichtige Information verraten zu können. »Ihr kennt meine Situation hinsichtlich der Spinnenkönigin genau. Ich wage es erst, eine Yochlol anzurufen, wenn ich ein Zeichen gesehen habe, dass ich Lloths Gunst wiedererlangt habe.«

»Aber Ihr habt kein Zeichen gesehen«, bemerkte SiNafay.

»Kein anderes als die Niederlage meiner Rivalin«, knurrte Malice sie an.

»Das war kein Zeichen der Spinnenkönigin«, versicherte Oberin Baenre den beiden. »Lloth hat sich nicht in Eure Kämpfe eingemischt. Sie verlangte nur, dass sie zu beenden seien.«

»Ist sie über das Ergebnis erfreut?«, fragte Malice direkt.

»Das bleibt noch festzustellen«, erwiderte Oberin Baenre. »Viele Jahre zuvor hat Lloth ihren Wunsch, dass Malice Do’Urden im Herrschenden Konzil sitzen soll, deutlich gemacht. Beginnend mit dem nächsten Licht von Narbondel wird es so sein.«

Malice hob ihr Kinn voller Stolz.

»Aber Ihr solltet Euer Dilemma begreifen«, schalt Oberin Baenre sie, während sie sich von ihrem Stuhl erhob. Malice sackte augenblicklich in sich zusammen.

»Ihr habt mehr als die Hälfte Eurer Soldaten verloren«, erklärte Baenre. »Und Ihr habt keine große Familie um Euch, die Euch unterstützt. Ihr führt das achte Haus der Stadt, doch jedermann weiß, dass Ihr nicht in der Gunst der Spinnenkönigin steht. Wie lange, glaubt Ihr, wird das Haus Do’Urden seine Stellung behalten? Euer Platz im Herrschenden Konzil ist gefährdet, bevor Ihr ihn überhaupt eingenommen habt!«

Malice konnte die Logik der alten Oberin nicht widerlegen. Sie beide wussten zu gut, was in Menzoberranzan üblich war. Da das Haus Do’Urden offenkundig angeschlagen war, würde ein geringeres Haus bald die Gelegenheit nutzen, um seinen Stand zu verbessern. Der Angriff des Hauses Hun’ett würde nicht der letzte Kampf sein, der im Anwesen der Do’Urden ausgetragen worden war.

»So gebe ich Euch SiNafay Hun’ett … Shi’nayne Do’Urden … eine neue Tochter, eine neue Hohepriesterin«, sagte Oberin Baenre. Dann wandte sie sich an SiNafay, um ihre Erklärung fortzusetzen, doch Malice merkte, dass sie plötzlich abgelenkt wurde, weil eine Stimme sie in ihren Gedanken anrief, eine telepathische Botschaft.

Behalte sie nur so lange, wie du sie brauchst, Malice Do’Urden, sagte die Stimme. Malice schaute sich um, da sie ahnte, woher diese Stimme kam. Bei einem früheren Besuch des Hauses Baenre hatte sie Oberin Baenres Gedankenschinder, eine telepathische Bestie, kennengelernt. Die Kreatur war nirgendwo zu sehen, aber Oberin Baenre war ebenso wenig zu sehen gewesen, als Malice die Kapelle betreten hatte. Malice blickte immer wieder zu den übrigen leeren Plätzen auf dem Podium, doch auf den steinernen Sitzen war niemand zu sehen.

Eine zweite telepathische Botschaft löschte die restlichen Zweifel aus.

Du wirst wissen, wann die richtige Zeit gekommen ist.

»… und die übriggebliebenen fünfzig Soldaten des Hauses Hun’ett«, sagte Oberin Baenre. »Stimmt Ihr zu, Oberin Malice? «

Malice blickte SiNafay mit einem Gesichtsausdruck an, der Zustimmung, aber auch niederträchtige Ironie sein mochte. »Das tue ich«, erwiderte sie.

»Dann geht, Shi’nayne Do’Urden«, befahl Oberin Baenre SiNafay. »Begebt Euch zu Euren restlichen Soldaten in den Hof. Meine Zauberer werden Euch heimlich zum Haus Do’Urden bringen.«

SiNafay warf einen misstrauischen Blick in Malices Richtung und verließ die große Kapelle.

»Ich verstehe«, sagte Malice zu ihrer Gastgeberin, nachdem SiNafay gegangen war.

»Ihr versteht nichts! «, schrie Oberin Baenre, plötzlich erzürnt. »Ich habe alles für Euch getan, was ich konnte, Oberin Do’Urden! Es war Lloths Wunsch, dass Ihr im Herrschenden Konzil sitzt, und ich habe um einen hohen persönlichen Preis dafür gesorgt, dass es so kommt.«

In diesem Moment wusste Malice ohne jeden Zweifel, dass das Haus Baenre das Haus Hun’ett zum Angriff veranlasst hatte. Wie weit reichte Oberin Baenres Einfluss? fragte sich Malice. Vielleicht hatte die welke Mutter Oberin auch die Aktionen von Jarlaxle und den Soldaten des Bregan D’aerthe erwartet und sie vielleicht sogar arrangiert, da sie im Kampf der entscheidende Faktor gewesen waren.

Sie würde herausfinden, ob dies stimmte, nahm Malice sich vor. Jarlaxle hatte seine gierigen Finger sehr tief in ihre Kasse gesteckt.

»Mehr tue ich nicht«, fuhr Oberin Baenre fort. »Jetzt seid Ihr Euren eigenen Listen überlassen. Ihr habt Lloths Gunst nicht erlangt, doch das ist der einzige Weg, wie Ihr und das Haus Do’Urden überleben können!«

Malice umklammerte die Armlehnen ihres Sessels so heftig, dass sie fast erwartete, den Stein in ihrer Faust zu brechen. Sie hatte gehofft, dass sie mit der Niederlage des Hauses Hun’ett einen Strich unter die blasphemischen Taten ihres jüngsten Sohnes gezogen hätte.

»Ihr wisst, was getan werden muss«, sagte Oberin Baenre. »Korrigiere den Fehler, Malice. Ich habe mich für Euch eingesetzt. Künftiges Versagen werde ich nicht tolerieren!«

 

»Die Vereinbarungen sind uns erklärt worden, Mutter Oberin«, sagte Dinin zu Malice, als sie zum Adamantit-Tor des Hauses Do’Urden zurückkehrte. Er folgte Malice durch das Anwesen und schwebte dann neben ihr zu dem Balkon, der sich vor den Quartieren der Edlen des Hauses befand.

»Die ganze Familie ist im Vorraum versammelt«, fuhr Dinin fort. »Sogar das neueste Mitglied« fügte er augenzwinkernd hinzu.

Malice reagierte auf den kläglichen Versuch ihres Sohnes, lustig zu sein, nicht. Sie stieß Dinin grob beiseite, stürmte durch den Haupteingang und befahl der Vorraumtür mit einem einzigen mächtigen Wort, sich zu öffnen. Die Familie hastete ihr aus dem Weg, als sie zu ihrem Thron auf der anderen Seite des spinnenförmigen Tisches ging.

Sie hatten eine lange Zusammenkunft erwartet und damit gerechnet, alles über die neue Situation, mit der sie konfrontiert waren, und über die Herausforderungen, die sie zu bewältigen hatten, zu erfahren. Stattdessen bekamen sie nur kurz zu spüren, welche Wut in Oberin Malice brannte. Sie funkelte sie nacheinander an und gab ihnen deutlich zu verstehen, dass sie die bedingungslose Ausführung all dessen forderte, was sie verlangte. Mit knirschender Stimme, als ob ihr Mund mit Kieselsteinen gefüllt sei, knurrte sie: »Findet Drizzt, und bringt ihn mir!«

STIMMEN IM DUNKEL

DRIZZT STREIFTE SEINE Mattigkeit ab und zwang sich aufzustehen. Die Anstrengungen seines Kampfes gegen den Basilisken in der Nacht zuvor, die Hingabe in diesen primitiven Zustand, der zum Überleben so nötig war, hatte ihn gründlich erschöpft. Doch Drizzt wusste, dass er sich nicht länger Ruhe gönnen durfte. Seine Rothe-Herde, mit der seine Nahrungsversorgung sichergestellt war, war im Labyrinth der Tunnel versprengt und musste zusammengetrieben werden.

Drizzt sah sich rasch in der kleinen, unauffälligen Höhle um, die ihm als Heim diente, und vergewisserte sich, dass alles so war, wie es sein sollte. Sein Blick verweilte auf der Onyxstatuette des Panthers, war durch ein inniges Sehnen nach der Gesellschaft des Panthers darauf fixiert. Als Drizzt dem Basilisken aufgelauert hatte, hatte er den Panther lange Zeit bei sich behalten – fast die ganze Nacht – , und Guenhwyvar musste auf der Astralebene ruhen. Mehr als ein ganzer Tag würde vergehen, bevor Drizzt wieder seine ausgeruhte Freundin zurückbeschwören konnte. Der Versuch, die Figurine vorher zu benutzen, es sei denn, in einer verzweifelten Situation, wäre töricht. Mit resigniertem Schulterzucken steckte Drizzt die Statuette in seine Tasche und versuchte vergeblich, seine Einsamkeit zu vergessen.

Nachdem Drizzt die Felsenbarrikade inspiziert hatte, die den Eingang zum Hauptgang blockierte, begab er sich zu dem kleineren Kriechtunnel an der Höhlenrückseite. Er bemerkte die Kratzer an der Wand neben dem Tunnel, die Kerben, die er hineingeritzt hatte, um den Lauf der Tage festzuhalten. Jetzt fügte Drizzt eine weitere Kerbe hinzu, erkannte aber, dass das nicht wichtig war. Wie viele Male hatte er vergessen, seine Kerbe zu machen? Wie viele Tage waren von ihm unbemerkt vergangen zwischen diesen Hunderten von Kerben an dieser Wand?

Irgendwie schien das nicht mehr von Bedeutung zu sein. Tag und Nacht waren eins, und alle Tage waren im Leben des Jägers eins. Drizzt zog sich in den Tunnel und kroch viele Minuten lang dem schwachen Licht am anderen Ende entgegen. Obwohl dieses Licht, Folge des Glühens einer eigenartigen Pilzart, normalerweise für die Augen eines Dunkelelfen unangenehm gewesen wäre, empfand Drizzt ein gewisses Gefühl von Sicherheit, als er durch den Kriechtunnel in die lange Kammer hinüberwechselte.

Der Boden war in zwei Ebenen unterteilt. Die untere war ein moosgefülltes Bett, das von einem kleinen Strom durchflossen wurde, und die obere ein Hain aus hochragenden Pilzen. Drizzt eilte zu dem Hain, obwohl er dort sonst nicht willkommen war. Er wusste, dass die Mykoniden, die Pilzmenschen, eine unheimliche Kreuzung zwischen Menschen und Giftpilzen, ihn ängstlich beobachteten. Der Basilisk war bei seinen ersten Reisen in die Region hierhergekommen, und die Mykoniden hatten große Verluste erlitten. Jetzt waren sie zweifellos furchtsam und gefährlich, aber Drizzt vermutete, dass sie wussten, dass er das Monster getötet hatte. Mykoniden waren keine dummen Wesen. Wenn Drizzt seine Waffen in den Scheiden ließ und keine unerwarteten Bewegungen machte, würden die Pilzmänner wahrscheinlich akzeptieren, dass er durch ihren gehüteten Hain ging.

Die Wand zur oberen Stufe war über drei Meter hoch und fast senkrecht, aber Drizzt erklomm sie so leicht und schnell, als wäre es eine breite, flachstufige Treppe. Eine Gruppe von Mykoniden umschwärmte ihn, als er die obere Ebene erreicht hatte. Einige von ihnen waren nur halb so groß wie Drizzt, die meisten aber doppelt so groß wie der Dunkelelf. Drizzt verschränkte seine Arme vor der Brust, das Zeichen des Friedens, das überall im Unterreich verstanden wurde.

Die Pilzmenschen fanden Drizzt ekelhaft – so ekelhaft, wie er sie fand –, aber sie hatten tatsächlich begriffen, dass Drizzt den Basilisken vernichtet hatte. Viele Jahre hatten die Mykoniden mit dem einzelgängerischen Dunkelelf zusammengelebt, und jeder schützte die von Leben erfüllte Kammer, die ihre gemeinsame Zuflucht war. In den abweisenden und leeren steinernen Kavernen des Unterreiches war eine Oase wie diese, mit essbaren Pflanzen, einem Fluss voller Fische und einer Herde Rothe, selten, und Raubtiere, die durch die äußeren Tunnel wanderten, fanden unausweichlich ihren Weg dorthin. Dann blieb es den Pilzmännern und Drizzt überlassen, ihr Gebiet zu verteidigen.

Der größte Mykonide bewegte sich auf den Dunkelelf zu. Drizzt rührte sich nicht, da er wusste, wie wichtig es war, dass er den Respekt des neuen Königs der Pilzmenschen-Kolonie gewann. Dennoch spannte Drizzt seine Muskeln, bereitete sich darauf vor, zur Seite zu springen, falls die Dinge sich anders entwickelten, als er erwartete.