Die Welt von Heute - Hans Ohnemus - E-Book

Die Welt von Heute E-Book

Hans Ohnemus

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Beschreibung

Demokratien sind zarte Gebilde, die Entwicklung, Instandhaltung und Kontrolle benötigen. Der Autor und die Co-Autorin preisen sich glücklich, in Ländern zu leben, die diese Bedürfnisse weitgehend respektieren. Beide hoffen, dass ihre Gedanken und Empfehlungen zur Wahrung und Förderung von demokratischen Lebensbedingungen und Menschenrechten beitragen können. Dieses Buch entstand in enger Zusammenarbeit zwischen Großvater und Enkelin.

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Hans Ohnemus & Melanie Ohnemus

Die Welt von Heute

Europa im Dialog zwischen zwei Generationen

Weimarer Schiller-Presse

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2016 FRANKFURTER LITERATURVERLAG FRANKFURT AM MAIN

Ein Unternehmen der

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In der Straße des Goethehauses/Großer Hirschgraben 15

D-60311 Frankfurt a/M

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

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Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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Lektorat: Dr. Annette Debold

ISBN 978-3-8372-1906-7

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die gefährdete Demokratie

Die digitale Diktatur

Das liebe Geld

Der Handlungsbedarf

Die Gemeinschaft

Die Agenten der Gesellschaft

Kommunikation, Sinn und Wahrheit

Der Entscheidungswille

Macht

Verhandlungen und Bedürfnisse

Postskript mit Vorschlägen

Bibliografie

Einleitung

Die folgenden Texte entstanden in enger Zusammenarbeit zwischen Hans (Jahrgang 1938), wohnhaft in Dänemark, und Enkelin Melanie (Jahrgang 1994), wohnhaft in der Schweiz. Ich habe als Schweizer mehr als zwanzig Jahre in diesen beiden Ländern gelebt. Meine Enkelin Melanie ist in der Schweiz aufgewachsen und hat Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Zürich studiert, kennt aber ebenfalls die Verhältnisse in Dänemark und spricht Dänisch.

Hans

Ja, ich gestehe, der leicht geänderte Titel wurde von Stefan Zweig gestohlen. Die Welt von Gestern[1] beschreibt den Untergang einer europäischen Kulturperiode mit außerordentlicher Klarheit. Als vorsichtiger Optimist hoffe ich jedoch, dass die aktuelle Periode nicht zum Untergang unserer demokratischen Welt, sondern nur zur Ragnarök der Götter (Diktatoren, Tyrannen und finanzielle Nutznießer) führt.

Als typischer Rentner diskutieren meine gleichaltrigen Freunde und ich oft die politische Entwicklung Europas, und ich habe mich deshalb entschieden meine Gedanken zu diesem Thema schriftlich zu erfassen. Da ich festgestellt habe, dass die Überlegungen von mir und meinen Gleichaltrigen oft stereotyp sind, habe ich mit Melanie vereinbart, dass sie diese Texte kritisch bewertet und die entsprechenden Erkenntnisse ihrer Altersgruppe zufügt. Die Zusammenarbeit zeigt, dass unsere unterschiedlichen Meinungen vereinbar sind, und kann hoffentlich dazu beitragen, dass diese Schriften auch für jüngere Menschen lesenswert sind.

Frühere Krisen wurden hauptsächlich von den direkt Betroffenen registriert. Die Digitalisierung dieses Millenniums hat zur Folge, dass wir alle Konflikte und Krisen, unabhängig vom geografischen Standort, ohne zeitliche Verzögerung miterleben. Viele dieser Geschehnisse haben globale Auswirkungen und beeinflussen die Politik, die Wirtschaft und die Kultur weltweit, unabhängig von der Entfernung zwischen den Ländern. Der große Vulkanausbruch in Island (2010) hatte einen negativen Effekt auf den weltweiten Flugverkehr. Die politischen Krisen und die Kriege im Mittleren und Fernen Osten betreffen auch unsere Sicherheit, Versorgung und Wirtschaft.

Die rasant zunehmende Digitalisierung aller Medien stellt große Anforderungen an die gesamte Menschheit. Wir sind gefordert unablässig neue Informationen anzuwenden, um die Entwicklung neuer Wissensgebiete zu verstehen, zu überprüfen und zu beeinflussen. Das verzwickte an der jetzigen Situation ist, dass viele erforderliche Entscheidungen auch negative Konsequenzen haben. Simultane Handlungen unterschiedlicher Herkunft und Art können trotz positiver Absichten neue Probleme schaffen und Lösungen verunmöglichen. Unerwünschte Folgen können jedoch in einem gewissen Umfang durch umfassende Vorarbeit gemindert werden. Der Entscheidungs- und Koordinationsbedarf ist zeitlich zusammenfallend.

Es gibt Menschen, die immer gewillt sind zu entscheiden, und es ist deshalb naheliegend zu empfehlen, dass diese eine aktive Rolle spielen. Derlei Personen treffen aber auch falsche Entscheidungen. Unternehmertum ist nicht nur von Intelligenz, fundiertem Wissen oder Verantwortungsbewusstsein gekennzeichnet. Die isländische Finanzkrise von 2008 wurde von Unternehmern ausgelöst, deren Handlungen nur von Geldgier geprägt waren. Wir Menschen werden oft von unserer eigenen Machtentfaltung korrumpiert und treffen Entscheidungen, die Schaden verursachen. Die globale Finanzkrise wurde ebenfalls von Mitarbeitern von Banken und Finanzhäusern ausgelöst, deren Entscheidungen auf kurzfristige Gewinnoptimierung ausgerichtet waren ohne Rücksichtnahme auf die negativen Folgen.

Die katastrophalen Handlungen von Staatsoberhäuptern, wie Gaddafi, Milošević, Hussein und Bush bestätigen, dass übertriebene Machtentfaltung chaotische Folgen haben. In den westlichen Ländern Europas ist die Zeit glücklicherweise vorbei, in der man ausschließlich von den Entscheidungen von Fürsten, Politikern und anderen Machtmenschen abhängig war. In einer Demokratie ist jeder Mensch verpflichtet auf seine Art und entsprechend seiner Fähigkeiten über die Welt zu reflektieren, an Diskussionen teilzunehmen, seine Meinung zu äußern und damit zur Bewahrung der Gemeinschaft beizutragen. Die Welt benötigt Engagement und Zusammenarbeit.

Viele Probleme der Neuzeit können durch rechtzeitige Interventionen gelöst werden, sofern diese auf fundiertem Wissen und Weitsicht beruhen und sofern die Machtgier der Unternehmer und Politiker begrenzt wird. Lösungsmodelle sind erforderlich, welche auf Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Archetypen und Kulturen beruhen. Nationalismus, religiöser Fundamentalismus, Rassismus und unkontrollierte freie Marktwirtschaft müssen durch sinnvolle Vereinbarungen ersetzt werden.

Die Demokratie ist bis anhin die beste bekannte Regierungsform. Alle erfolgreichen demokratischen Nationen, wie die Schweiz, Holland, Frankreich, Deutschland, die skandinavischen Länder usw., sind von formeller Gleichberechtigung, Einhaltung von einheitlichen Spielregeln und pragmatischer Gesetzestreue gekennzeichnet. Die Berechtigung und die Anerkennung dieser Demokratien beruhen auf dem externen Vertrauen in die Zuverlässigkeit und die Glaubwürdigkeit dieser Länder. Viele Einwanderer müssen dies noch lernen. Die ursprünglichen Einwohner dürfen aber auch nicht den geschichtlichen Ursprung Europas ignorieren und dem Neoliberalismus verfallen. Neoliberalistische Maßnahmen zerstören die Glaubwürdigkeit und damit den positiven Einfluss der etablierten Demokratien in der übrigen Welt.

Die westlichen Demokratien haben ihren Ursprung in der griechischen Antike, obwohl die Athener Demokratie nicht unseren Vorstellungen entsprach, da nur die freien, männlichen Bürger Athens das Sagen hatten. Alle anderen Einwohner – Gewerbetreibende, Handwerker, Sklaven und Frauen – hatten kein Stimmrecht. Die Religionskriege, die Ständekämpfe zwischen Handwerkern/Gewerbetreibenden und Fürsten/Kirche sowie die Französische Revolution brachten Fortschritte, welche im 19. und 20. Jahrhundert in einigen Nationen zu vorsichtigen demokratischen Bemühungen führten. Die stabilen Demokratien Europas, mit gleichen Rechten für alle Bürger, Schutz der Minderheiten, Freiheit der Meinungsbildung und Wohlfahrtsleistungen, wurden jedoch erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein Faktum.

Melanie

Die modernen Kommunikationsmittel haben das Gefüge der Welt grundlegend verändert. Jedes Geschehnis gelangt in Sekundenschnelle um den ganzen Globus. Wir halten uns für unglaublich informiert. Doch entspricht dies wirklich der Wahrheit, oder ist es bloß eine Illusion? Wir haben Zugang zu einer unglaublichen Menge an Informationen, aber Quantität und Qualität gehen oft nicht Hand in Hand. Hinzu kommt, dass viele nicht mit den erhaltenen Informationen umzugehen wissen. Die modernen Kommunikationsmittel sind Fluch und Segen zugleich. Sie erlauben uns, Zugang zu beinahe unbeschränktem Wissen zu erlangen und dieses zu unserem Wohl zu nutzen. Doch ebenso können wir uns und der Welt damit schaden. Hinzu kommt die steigende Interdependenz. Die Staaten sind heute vernetzter denn je, und dadurch entstehen wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Abhängigkeiten. Durch die starke Verflechtung kann sich eine Krise, die vielleicht zu Beginn nur einen Teil der Welt betroffen hat, global ausbreiten.

Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Prozesse, die vor hundert Jahren mehrere Wochen, wenn nicht Monate gedauert haben, laufen heutzutage innerhalb kürzester Zeit ab. Wie du selbst schreibst, werden immer höhere Anforderungen an die menschliche Handlungsbereitschaft und den kritischen Sinn gestellt. Wir werden von allen Seiten bedrängt und müssen schnell reagieren können. Dies begünstigt Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen. Ziele verschiedener Akteure können in Konkurrenz zueinander stehen, und selbst wenn zwei Akteure dasselbe Ziel verfolgen, können sie sich gegenseitig im Weg stehen.

Du schlägst vor, dass handlungsaktive Menschen eine führende Rolle einnehmen sollen. Hier gebe ich dir nur bedingt recht. Unreflektiertes Handeln kann, sogar wenn die Absichten gut waren, sehr negative Auswirkungen haben. Die Politik kennt beide Typen, jene, die abwarten, und jene, die handeln. Dazu kommt mir die Meinung eines Mitstudenten in den Sinn: Bush und Obama hätten zu jeweils umgekehrten Zeiten Präsident sein sollen. Obama wäre nicht wie Bush überstürzt in den Irak einmarschiert, und wäre Bush heute an der Macht, hätte er vielleicht Putin besser im Griff. Ich stimme dieser Aussage nicht unbedingt zu, doch sie veranschaulicht den Einfluss von unterschiedlichen Persönlichkeiten mit Machtkompetenzen.

Ich stimme dir zu, dass Zusammenarbeit heute wichtiger ist denn je. Wir sind alle unglaublich eng miteinander verknüpft. Wie gesagt, die Interdependenzen steigen seit Anfang des letzten Jahrhunderts stetig, und es scheint kein Ende in Sicht. Wir müssen uns an diese Gegebenheit anpassen und die Kooperation suchen.

Demokratie ist, wie jede Staatsform meiner Meinung nach, ein fragiles Gebilde. Wie du sagst, ist ein zentraler Aspekt der Demokratie die Glaubwürdigkeit. Ist diese nicht gegeben, stürzt das Gebilde in sich zusammen. Ich persönlich finde, dass gerade die Ukraine-Krise die eingeschränkte Handlungsunfähigkeit der europäischen Demokratien aufgezeigt hat. Ich mag eine neorealistisch gefärbte Einstellung haben, doch ich finde, dass Macht in der internationalen Politik eine große Rolle spielt. Und in den letzten friedfertigen Jahrzehnten schien das ein wenig vergessen worden zu sein. Es lässt sich nicht leugnen, dass ein Staatsmann wie Putin, aber auch viele amerikanische Politiker vom Neorealismus geprägt sind. Solche Tendenzen schwächen auf Dauer die Glaubwürdigkeit der Demokratie.

Trotzdem scheint mir Demokratie ein Gut zu sein, das vor allem im Zuge der Globalisierung weiterhin auf dem Vormarsch ist. Es ist empirisch erwiesen, dass Demokratien untereinander keinen Krieg führen. Dies verhindert konsequenterweise die Vernichtung bestehender Demokratien und lenkt den Blick auf „veraltete“ Staatsformen, die es in den Augen der Demokraten auszurotten gilt. Ich bin durchaus der Meinung, dass Demokratie in unserer Zeit die beste Regierungsform ist. Allerdings beweist die Geschichte der Menschheit, dass sich unsere Gesellschaft in einem stetigen Wandel befindet, und dementsprechend denke ich, dass auch die Demokratie irgendwann von einem vielleicht heute noch unbekannten Modell abgelöst werden wird. Dies natürlich erst in ferner Zukunft. Ich möchte gerne mit meinem Lieblingssatz aus deiner Einleitung enden: „Als vorsichtiger Optimist hoffe ich jedoch, dass die aktuelle Periode nicht zum Untergang unserer demokratischen Welt, sondern zur Ragnarök der Götter (...) führt.“ Dem kann ich mich nur anschließen.

Melanie ►◄ Hans

Demokratien sind zarte Pflanzen, welche ständige Pflege und Nahrung benötigen. Die europäischen Nationalstaaten haben diese Gärtneraufgabe bis anhin im Großen und Ganzen bewältigen können. Die entscheidende Frage ist, welche Ausformung die Demokratie haben muss, um auch in der multinationalen Welt zu überleben. Wir diskutieren unter anderem die folgenden Punkte und geben soweit möglich Vorschläge für Antworten:

Kann die aktuelle europäische Begeisterung für Nationalismus/Neoliberalismus gebremst werden?Ist eine kulturelle und religiöse Koexistenz in Europa realisierbar?Die Vorteile der Digitalisierung sind ein Faktum. Gibt es durchführbare Maßnahmen, um die Nachteile zu minimalisieren?Welche Spielregeln sind erforderlich, damit die freie Marktwirtschaft und der Finanzsektor demokratische Gesetze einhalten?Können die gewöhnlichen Bürger eine hinreichende Kaufkraft bewahren?
Können die demokratischen Rechtsstaaten überleben? Welche Maßnahmen/Gesetze sind erforderlich, um die demokratischen Rechte der Einwohner Europas auch zukünftig zu bewahren?Ist der von Karl R. Popper[2] 1956 erwähnte und erhoffte Weltstaat ein möglicher Ausweg?

[1]   Die Welt von Gestern, Bermann-Fischer Verlag, Stockholm 1944.

[2]  Karl R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1964/1994.

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Die gefährdete Demokratie

Hans

Es besteht kein Zweifel, dass wir Menschen, durch unsere Handlungen zur globalen Entwicklung und Ordnung, aber ebenfalls zum Chaos beitragen. Viele Katastrophen können auf menschliche Handlungen zurückgeführt werden. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) wurde von den Machtkämpfen zwischen der Katholischen Liga und der Protestantischen Union sowie den Gebietsansprüchen der großen Dynastien Europas verursacht. Dieser Krieg hatte umfassende Hungersnöte und Seuchen ausgelöst. Der Versailler Friedensvertrag von 1918 mit den finanziellen Forderungen der Alliierten ist nach Ansicht vieler Historiker die entscheidende Ursache für Hitlers Aufstieg und somit für den Zweiten Weltkrieg.

Das Erfreuliche an der Neuzeit ist, dass die Länder in Europa, mit Ausnahme des Balkans, seit 1945 in gegenseitigem Frieden leben. Die europäischen Demokratien haben die Vorteile des friedlichen Zusammenseins erkannt. Die 1998er Vereinigung der ehemaligen DDR mit der Bundesrepublik Deutschland hat wesentlich zur Stabilisierung Europas beigetragen. Einkommensverbesserungen, Wohlfahrtsleistungen, die enormen Fortschritte innerhalb der Behandlung von ernsthaften Krankheiten und die allgemein verbesserten Ausbildungsmöglichkeiten müssen ebenfalls erwähnt werden.

Naturkatastrophen, Glaubensfragen, Grenzstreitigkeiten und Kriege leben jedoch auch in diesem Millennium bei bester Gesundheit. Die Kriege im Nahen Osten sind militanter geworden, und Russland und die Ukraine können sich auch nicht einigen. Die verfügbaren nuklearen Waffen sind weltweit das gefährlichste Übel. Ein Atomkrieg kann jederzeit durch machtgierige Despoten ausgelöst werden.

Die Erkenntnisse der Klimatologen deuten darauf hin, dass die Zunahme der Bevölkerung und die Industrialisierung weltweit zu ernsthaften Problemen Anlass geben. Neue Anbaumethoden steigern kurzfristig die Produktivität und den Gewinn der Landwirtschaft, führen aber über wenig Jahre zur Zerstörung der dünnen Humusschicht und nachfolgend zur Verwüstung von großen Gebieten. Eine für eine Nation oder ein multinationales Unternehmen sehr vernünftige Entscheidung mag in anderen Gebieten Hungersnöte, Terroraktionen oder Wirtschaftskrisen auslösen, die niemand anscheinend voraussehen konnte oder wollte. Der umfassende Anbau von Zuckerrohr für Biobrennstoffe in Brasilien hat während der Siebzigerjahre zur Folge, dass die Produktion von roten Bohnen minimiert wurde. Bohnen waren damals die wichtigste, proteinhaltige Grundnahrung der Bevölkerung. Die wesentlich geringeren Nahrungsmittel, Reis und Mais, wurden als preisgünstiger Ersatz importiert und haben zu ernsthaften Mangelerkrankungen geführt. Die anfangs der Neunzigerjahre gefürchtete BSE-Krankheit, auch Rinderwahn genannt, wurde durch die Verfütterung von billigem Fleisch- und Knochenmehl für Kühe ausgelöst. Fleisch von derart verseuchten Rindern kann die gefürchtete Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verursachen.

Unsere im Voraus gefassten Meinungen über Mitmenschen, unterschiedliche Berufsgruppen, Nationalitäten, Religionen und Länder sind immer generell: Die Schweden sind formell, die Amerikaner sind oberflächlich, die Franzosen sind arrogant, die Spanier sind stolz usw. Solche Feststellungen sind allgemeiner Art und gelten natürlich nicht für meine ausländischen Freunde oder gute Bekannte aus diesen Ländern, welche genauso aufgeschlossen, freundlich, hilfsbereit, ängstlich oder mutig sind wie ich. Wir müssen lernen die Menschen als Menschen und nicht als Mitglieder einer bestimmten Profession, einer ethnischen Gruppe oder als Anhänger einer Religion zu sehen. Jeder Mensch ist vorerst Mensch und erst an zweiter oder dritter Stelle Portugiese, Künstler, Akademiker, Handwerker, Muslim, Protestant oder Atheist. Der einzelne Mensch ist immer ein Individuum, das sich vorzugsweise mit den alltäglichen Problemstellungen wie der eigenen Gesundheit und der der nächsten Familienmitglieder, sinnvoller Arbeit, Einkünften, Essen, Kleidung, hinreichenden Wohnverhältnissen usw. beschäftigt. Wir müssen zeigen, dass wir die alltäglichen Probleme unserer Mitmenschen verstehen und gewillt sind uns mit diesen Fragen zu beschäftigen. Dies stärkt unsere Glaubwürdigkeit. In einem Land, in dem die Bevölkerung von Krankheit und Hungersnöten geplagt ist und unter miesen Verhältnissen lebt, geht es vorerst um die Beschaffung von Nahrungsmitteln, Medizin und Krankenpflege. Übergeordnete Aspekte wie Menschenrechte und Demokratie mögen auf längere Sicht zu besseren Verhältnissen führen, aber hier und jetzt müssen vorerst Versorgungs- und Gesundheitsprobleme diskutiert und gelöst werden.

Die Wissenschaft wird von Forderungen nach wissenschaftlicher Stringenz und Haltbarkeit der Erkenntnisse gelenkt und ist deshalb gezwungen all die nebensächlichen Kleinigkeiten des Werktages außer Acht zu lassen. Diese Nebensächlichkeiten sind jedoch für uns Menschen oft wichtiger als die übergeordneten wissenschaftlichen oder politischen Fragen. Wenn mein Keller nach einem Gewitter voll Wasser ist, dann will ich vor allem mein Eigentum schützen, und es interessiert mich weniger, wenn die Wissenschaft feststellt, dass diese Überschwemmung durch klimatische Änderungen bedingt wurde, welche auf technologischen Änderungen der letzten fünfzig Jahre zurückzuführen sind. Diese Erkenntnis mag durchaus korrekt sein, aber ich, der Geschädigte, wünsche vor allem einen trockenen Keller und praktische Sofortmaßnahmen, die zukünftige Überschwemmungen verhindern.

Die Einwohner von demokratischen Staaten sind Mitglieder von unterschiedlichen beruflichen Umfeldern und können in diesen Feldern Einfluss ausüben, um spezifische Handlungen zu fördern oder zu bremsen. Die Naturwissenschaft kann heute viele Katastrophen und klimatische Änderungen mit einiger Gewissheit vorauszusagen, und die Bürger der Demokratie können ihre diesbezüglichen Meinungen äußern oder veröffentlichen, um die Auswirkungen zu beeinflussen. Wiedergutmachungen fordern allerdings ebenfalls die Beschaffung von entsprechenden materiellen Ressourcen. Die erforderlichen Mittel können in vielen Situationen nur von den reichen Ländern zur Verfügung gestellt werden, und dies bedeutet, dass die Einwohner dieser Länder den Willen erbringen müssen, einen Teil ihres Wohlstandes an die schlechter gestellten Länder abzugeben.

Der wirtschaftliche Erfolg, die Gleichberechtigung aller Einwohner, das Stimm- und Wahlrecht und die Akzeptanz der Menschenrechte in den westlichen Demokratien bestätigen, dass diese Regierungsform das menschliche Handlungsvermögen in einem größeren Umfang fördert, als alle bis anhin bekannten Alternativen. Es ist deshalb sinnvoll, dass alle Maßnahmen unterstützt werden, die zur Bildung neuer Demokratien beitragen können. Die Einwohner der westlichen Demokratien haben den enormen Vorteil einer besseren Ausbildung, die bei Weitem die von vielen anderen Bevölkerungen übertrifft. Alle diejenigen, die außerhalb des Westens leben, sollen deshalb auch mit Recht erwarten können, dass wir Energie, Wissen und Geld einsetzen, um ihre Lebensbedingungen und Kultur kennenzulernen. Die Kriege in Irak, Afghanistan und im Mittleren Osten beweisen, dass Machtdemonstrationen des Westens nicht zur Demokratisierung beitragen, sondern eher zur Ablehnung westlicher Werte und zur Verbreitung von Terrorismus führen.

Der Erfolg jeder wahren Demokratie beruht auf dem Akzept unterschiedlicher Werte und Einstellungen. In den etablierten Demokratien haben Konservative, Radikale, Sozialisten, Katholiken und Protestanten die ursprünglichen, gegenseitigen Abneigungen nach Streitigkeiten und Kriegen überwunden und sich erfolgreich über gemeinsame Lebensbedingungen geeinigt. Die Mitglieder der extremen Rechtsparteien in Frankreich, Österreich, Belgien, Holland, der Schweiz, Dänemark und anderen Ländern Europas leben leider noch im Mittelalter und haben nicht den essenziellen Grundgedanken der Demokratie erfasst. Nationalismus dieser Art ist gefährlich für bestehende Demokratien und hindert die Entwicklung und Verbreitung von Menschenrechten außerhalb des Westens. Die Vertreter des Westens werden erst als glaubwürdige Gesprächspartner anerkannt, wenn sie die geschichtliche Entwicklung ihrer eigenen Länder nicht vergessen und sie sich zugleich bemühen die Bedürfnisse anderer Bevölkerungen zu akzeptieren.

In der heutigen Welt besteht ein enormer Handlungsbedarf. Wenn wir agieren wollen, dann ist es eine Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit unserer Vorschläge, dass wir Wissen über die Kultur und die Werte anderen Ursprungs erwerben. Wir müssen erkennen, welche unserer Empfehlungen für sie sinnvoll sind. Wenn wir erwarten, dass Asylanten und Immigranten unsere Werte akzeptieren sollen, dann müssen wir vorerst den Beweis erbringen, dass wir verstehen, weshalb sie in gewissen Situationen Werte verteidigen, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Es geht nicht um Toleranz, sondern um Einsicht. Wir müssen die spezifischen, kulturbedingten Erwartungen erkennen und diese nach Möglichkeit honorieren. Wir müssen nicht unsere eigenen Werte aufgeben, sondern dafür argumentieren, dass Demokratie und Menschenrechte auch für Ausländer zu einer positiven Entwicklung beitragen. Die Neoliberalisten versuchen um jeden Preis diese Entwicklung zu verhindern.

Ein positives Verhalten ist vor allem wichtig im Umgang mit Jugendlichen anderen ethnischen Ursprungs. Junge Menschen haben im Allgemeinen einen großen Handlungsbedarf und möchten auch für ihre Aktivitäten anerkannt werden. Ausbildung und sinnvolle Beschäftigung sind wichtig, um ihren Selbstwert zu bestätigen. Fehlender Kontakt und Beschäftigung haben zur Folge, dass junge Menschen stagnieren oder ihre Beschäftigung und Anerkennung in kriminellen Banden befriedigen.

Die folgenden Umstände gefährden das Überleben der etablierten Demokratien Europas:

Die Verbreitung von nuklearer Technologie und der mögliche Einsatz entsprechender Waffen bedeuten weltweit die größte Gefahr.