Die Wissenschaften, Teil 2 - Dr. Paul Krause - E-Book

Die Wissenschaften, Teil 2 E-Book

Dr. Paul Krause

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Beschreibung

Die 1914 im Original veröffentliche Reihe "Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. " gehört zu den umfangreichsten historischen Abhandlungen über die Entwicklung und den Aufbau des Kaiserreiches. Hier in einer Wiederauflage von insgesamt acht Bänden vorliegend, umfasst das Werk auf fast 2000 Gesamtseiten Beiträge der wichtigsten Koryphäen ihrer Zeit zu relevanten Themen. Dies ist Band 4, der die Medizin, die Veterinärmedizin, die landwirtschaftlichen und technischen Wissenschaften behandelt.

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Seitenzahl: 332

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Die Wissenschaften, Teil 2

 

Deutschland unter Kaiser Wilhelm II.

 

Band 7

 

 

 

 

 

 

 

Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., Band 7

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663209

 

Quelle: https://de.wikisource.org/wiki/Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II. Der Text folgt dem 1913/1914 erschienen Werk und wurde in der damaligen Rechtschreibung belassen.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Innere Medizin. 1

Die Entwicklung der Chirurgie. 17

Die soziale Medizin und soziale Hygiene. 63

Veterinärmedizin. 99

Die landwirtschaftlichen Wissenschaften. 113

I. Entwicklung der Landwirtschaft und ihrer Wissenschaft113

II. Ackerbau. 126

III. Die Tierzucht140

IV. Die Agrikulturchemie. 147

Die technischen Wissenschaften. 156

I. Brückenbau. 156

II. Eisenbahnen. 164

III. Wasserbau. 175

IV. Maschinenwesen. 186

V. Elektrotechnik. 190

VI. Städtebau. 204

Innere Medizin

Von Dr. med. Paul Krause, o. ö. Professor der inneren Medizin an der Universität Bonn

Die innere Medizin hat in den letzten Jahrzehnten außergewöhnlich große Fortschritte zu verzeichnen. Alle Gebiete sind durch große Entdeckungen und durch intensive Durcharbeitung des bisher Bekannten mit neuen Methoden weit vorangekommen. Viele Grenzgebiete haben sich zu selbständigen Fächern entwickelt, so die Laryngologie, Otiatrie, Rhinologie, die Neurologie, die Kinderheilkunde.

Spezialistenfrage.

Die Spezialisierung geht unaufhaltsam weiter, es gibt bereits heute Spezialärzte fast für jedes Organ. Um so wichtiger ist es, daß die allgemeine ärztliche Grundlage auf dem sicheren Boden der Anatomie, der Physiologie, der pathologischen Anatomie und der naturwissenschaftlichen Vorbildung, besonders in Physik, Chemie und Biologie, bestehen bleibe und noch vertieft werde. Jeder Spezialist sollte verpflichtet sein, sich vor dem Übergang in sein Spezialfach eine gute allgemeine ärztliche Ausbildung zu verschaffen, nur dann wird er Gutes leisten und über dem Speziellen das Allgemeine nicht übersehen.

Einfluß der Bakteriologie auf die Entwicklung der inneren Medizin.

Den mächtigsten Einfluß auf alle Zweige der Medizin hat in den letzten 2 Jahrzehnten zweifellos die Bakteriologie ausgeübt, sie hat die diagnostische Erkenntnis wie das therapeutische Handeln in weitestgehendem Maße beeinflußt.

Neben dem Franzosen Pasteur ist als größter Pfadfinder Robert Koch, der wissenschaftliche Begründer der Bakteriologie, zu nennen.

Pasteur, welcher als Sohn eines Lohgerbers 1822 zu Dôle (Jura) geboren wurde und 1895 in Garches bei Sèvres starb, war Chemiker (seit 1867 Professor an der Sorbonne, seit 1889 Leiter des nach ihm genannten Instituts in Paris). Seine Arbeiten über die Fäulnis und Gärung, über die Hefebildung und Mikroorganismen bei denselben, bedeuten einen Umschwung in der ganzen wissenschaftlichen Auffassung, sie sind nicht nur in der Geschichte der Chemie, sondern auch in der Geschichte der Medizin als Großtaten ersten Ranges zu verzeichnen. Es wurde dadurch der Nachweis der Abhängigkeit dieses Prozesses von dem Eindringen pflanzlicher, auf der niedrigsten Stufe organischer Entwicklung stehender Gebilde geführt. Diese Arbeiten führten den Engländer Lister zu Entdeckung der Antisepsis und damit zu einer Umwälzung in der Chirurgie und Geburtshilfe.

 Pasteurs weitere Arbeiten betreffen die Schutzimpfungen gegen Tollwut, Milzbrand, Schweinerotlauf, Studien über die Krankheiten des Weins, des Weinessigs, der Krankheiten der Seidenraupe. Für die zuletzt genannten Krankheiten erhielt er 1874 von der Nationalversammlung als Nationalbelohnung eine lebenslängliche jährliche Pension von 12 000 Franken. Nach dem Vorbilde des Pariser Institut Pasteur sind viele andere seinen Namen tragenden in den französisch sprechenden Teilen der Welt errichtet worden.

In seinen Leistungen und Erfolgen ist Robert Koch Pasteur ebenbürtig. Robert Koch (geb. 11 Dezember 1843 in Clausthal im Harz, gestorben 1910 in Berlin) machte seine ersten epochemachenden Arbeiten als Physikus in Wollstein im Kreise Bombst. Sie handeln über die Ätiologie des Milzbrandes (1876), über Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten (1878). Seine größte Entdeckung ist in seiner Arbeit „Beiträge zur Ätiologie der Tuberkulose“ (1882) niedergelegt, in der er mitgeteilt, daß es ihm gelungen, in tuberkulösen Organen einen bestimmten, durch Färbung sich genau differenzierenden Bazillus („Tuberkelbazillus“) zu finden, diese Bazillen in Reinkultur zu züchten und mit den Reinkulturen bei Tieren wieder Tuberkulose zu erzeugen. Diese und andere Arbeiten über die Tuberkulose werden für immer zu den klassischen Werken der medizinischen Literatur gehören.

1883 entdeckte R. Koch den Cholerabazillus. Er erfand das „Tuberkulin“ , welches aus den Tuberkelbazillen hergestellt, für die Diagnose und Behandlung der Tuberkulose von großer Bedeutung ist. Er wurde damit der Erfinder der ätiologischen Therapie. Seit 1896 ist Koch mehrfach in den Tropen, besonders in Afrika gewesen, um Tropenkrankheiten (Rinderpest, Malaria, Schlafkrankheit) zu studieren, auch hierbei hat er wertvolle Beobachtungen gemacht.

Entdeckungen von wichtigen Krankheitserregern.

Bleibendes Verdienst erwarb sich Koch durch den Ausbau der bakteriologischen Methodik, von ihm rührt vor allem die Einführung der festen Nährböden (Gelatine, Blutserum) her, wodurch erst eine Reinzüchtung der verschiedenen pathogenen Keime ermöglicht wurde. Es seien einige der wichtigsten genannt: der Typhusbazillus (entdeckt von Eberth, reingezüchtet von Löffler), der Ruhrbazillus (von Kruse und Shiga, Flexner), der Influenzabazillus (1892 von R. Pfeiffer), der Pestbazillus (von Yersin und Kitasato), der Rotzbazillus (von F. Löffler), der Diphtheriebazillus (von Klebs und F. Löffler 1884), der Tetanusbazillus, der Erreger des Starrkrampfs, (von Nicolaier und Kitasato), der Pneumokokkus, der Erreger der Lungenentzündung (von Fraenkel und Weichselbaum) der Gonokokkus, der Erreger des Trippers (von Neißer). Von den genannten Forschern sind Löffler, Pfeiffer, Fraenkel, Kruse, Kitasato Schüler von Koch.

Als weitere Großtat der Bakteriologie soll hier die Entdeckung des Erregers der Syphilis durch Schaudinn und E. Hoffmann (1905) genannt werden, wodurch diese verbreitete Krankheit in ihrem Wesen beträchtlich bekannter und der Bekämpfung zugänglicher geworden ist.

Bekämpfung der Infektionskrankheiten.

Noch sind eine große Anzahl von Krankheiten vorhanden. deren Erreger wir nicht kennen, dazu gehören vor allem die sogenannten exanthematischen Krankheiten (Masern, Scharlach, Pocken, Windpocken, Fleckfieber), die Leistungen der letzten Jahrzehnte sind aber außergewöhnlich groß; sie haben unsere Anschauungen über die Infektion von Grund aus geändert und damit die Grundlage geschaffen zur Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Das Gesetz vom 30. Juli 1900, welches die staatlichen Maßnahmen bei Pocken, Flecktyphus, Gelbfieber, Pest, Cholera und Lepra enthält, gibt davon Kunde.

Der Hauptsache nach handelt es sich um eine Verbreitung, respektive Einschleppung dieser Krankheiten zu verhindern, um eine Überwachung des Personenverkehrs (Überland-, Schiffahrts-, Flußverkehr, Binnenverkehr), des Warenverkehrs (besonders bei häufig infizierten Waren, wie Hadern, Lumpen) die Schiffe werden bei Pestverdacht auf infizierte Pestratten untersucht), Wohnungsüberwachung, Schaffung geeigneter Transportmittel (Infektionskrankenwagen), schnelle Unschädlichmachung von infizierten Leichen (Einschlagen in Sublimattücher, schnelle Entfernung aus den Häusern), Überwachung von Trinkwasserleitungen ist in guter Weise organisiert.

Bei Masern, Scharlach, Keuchhusten, Diphtherie, Zerebrospinalmeningitis, Influenza, Abdominaltyphus, Dysenterie und Tuberkulose bestehen keine Reichsbestimmungen. Die Bundesstaaten gehen sehr verschieden vor. Die preußischen Bestimmungen sind in den Anweisungen des Kultusministers zur Ausführung des Gesetzes betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 enthalten. Auf Grund der bakteriologischen Kenntnisse ist die Isolierung des infizierten Kranken als das zuverlässigste Mittel zur Einschränkung der Infektionskrankheiten immer mehr in Aufnahme gekommen. Die größeren Krankenhäuser haben heute alle Isolierabteilungen; auch das Publikum hat sich von Jahr zu Jahr mehr daran gewöhnt, bei Infektionen wie Diphtherie, Scharlach usw. selbst die Kinder freiwillig in die Krankenhäuser zu überweisen.

Die Überwachung der Schule, welche durch die Schulärzte sehr erleichtert wird, ist bei epidemischen Krankheiten unbedingt erforderlich.

Die bakteriologische Untersuchung hat uns auch die Kenntnis darüber gebracht, daß es gesunde Personen gibt, welche pathogene Keime beherbergen und dadurch ihrer Umgebung gefährlich werden, sie werden als „Bazillenträger“ bezeichnet und spielen besonders bei Verbreitung der Genickstarre, der Diphtherie und des Typhus abdominalis eine Rolle.

Durch Anlegen von guten Wasserleitungen, Regelung des Abfuhrwesens (Kanalisation), durch Wohnungshygiene wurde viel auch zur Vermeidung von Infektionskrankheiten geleistet. In Preußen sind überall als beratende Instanz zur Unterstützung der Kreisärzte „Gesundheitskommissionen“ eingesetzt, welche die Verhältnisse an Ort und Stelle jahraus, jahrein zu bessern suchen.

Viele Gemeinden führen die Desinfektion von infizierten Wohnungen kostenlos bei der ärmeren Bevölkerung durch. In Preußen bestehen in jedem Regierungsbezirke Untersuchungsämter zur kostenlosen Untersuchung von infektiösem Materiale.

Es war eine große Arbeit notwendig, um alle diese Einrichtungen zu schaffen, sie haben sich in vielen Hunderten von Fällen trefflich bewährt und mit dazu beigetragen, daß die Zahl der Infektionskrankheiten in Deutschland so beträchtlich heruntergegangen ist. Es muß hier auch in Dankbarkeit des Begründers der modernen Hygiene in Deutschland, Max von Pettenkofers, welcher als Professor der Universität München wirkte (gest. 1897) gedacht werden. Die Gesetzgebung hat entsprechend den gewaltigen Umwälzungen, welche das moderne Verkehrswesen erfahren hat, auch vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege aus Rechnung getragen. Die Vorschriften des Bundesrates über die gesundheitliche Behandlung der Seeschiffe in deutschen Häfen vom 29. August 1907, die neue Eisenbahnverkehrsordnung vom 23. Dezember 1908 und die vom Reichseisenbahnamt 1910 neu herausgegebene Anweisung zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten im Eisenbahnverkehr, ebenso die Bestimmungen über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten im Post- und Telegraphenverkehr (1908) beweisen, daß die Arbeit der medizinischen Wissenschaft in die Praxis des Lebens umgesetzt worden ist und zum Segen des Volkes alltäglich wirkt.

Planmäßige Bekämpfung des Typhus im Südwesten des Reichs.

Eine besondere Hervorhebung verdient es, daß, während bisher der Kampf gegen den Unterleibstyphus nur örtlich geführt wurde, seit 1904 durch ein einheitliches Vorgehen von mehreren Bundesstaaten (Preußen, Bayern, Oldenburg, Elsaß-Lothringen) unter Leitung eines Reichskommissars eine planmäßige Bekämpfung des Typhus im Südwesten des Reiches möglich geworden ist, welche infolge des großzügigen Vorgehens bereits große Erfolge erzielt hat. Ein solches planmäßiges Vorgehen hat sich auch bei Bekämpfung der Wurmkrankheit im rheinisch-westfälischen Bergrevier glänzend bewährt. Diese gefährliche Krankheit ist dadurch eingeschränkt worden, so daß die Gefahr einer neuen Ausbreitung als beseitigt gilt.

Erfolge der Bekämpfung der Infektionskrankheiten.

Von 100 000 Einwohnern starben:

 Auch die Kenntnisse der Tropenkrankheiten sind erheblich gefördert worden. Es wurden als Erreger von mehreren Tier- und Menschenkrankheiten im Blute die Trypanosomen entdeckt; das Trypanosoma gambiense verursacht die gefürchtete Schlafkrankheit, welche meistens durch Biß einer Fliege (Glossina palpalis) übertragen wird; die Spirochäten des Rückfallfiebers (Febris recurrens) wurden genauer bekannt; die Pest, die Lepra, das gelbe Fieber wurden eingehend studiert und durch die größere Kenntnis der Bekämpfung mehr zugänglich. Vor allem gelang das auch bei jener Tropenkrankheit, welche weite Gebiete unbewohnlich macht, der Malaria. Gelingt es, sie zum Schwinden zu bringen, dann sind für Tausende von Menschen große Landstrecken und damit Erwerbs- und Lebensbedingungen gewonnen. Die Malaria wird durch kleine Parasiten (entdeckt von dem französischen Militärarzte Dr. Laveran) verursacht; sie gelangen durch den Stich einer Mückenart, der Anopheles claviger in das Blut, befallen dort die roten Blutkörperchen und machen in ihnen einen ungeschlechtlichen Entwicklungsgang, die Schizogonie durch. In der Mücke selbst vollzieht sich eine geschlechtliche Entwicklung, die Sporogonie. Man unterscheidet einen Tertian-, Quartan- und kleinen Tropen- oder Perniziosaparasiten. Das spezifische Heilmittel gegen die Parasiten ist das Chinin.

Das Studium des Blutserums mit Hilfe der bakteriologischen Methoden hat eine neue Wissenschaft, die Serologie geschaffen, welche sowohl in diagnostischer wie therapeutischer Beziehung Glänzendes geleistet. Es kann auf die theoretische Seite, welche auf der von Ehrlich aufgestellten „Seitenkettentheorie“ beruht, hier nicht eingegangen werden: es seien nur folgende Punkte hervorgehoben, in welchen die Praxis Nutzen daraus gezogen hat.

Bedeutung der Serologie für die praktische Medizin.

Bei natürlicher Infektion oder durch Injektion von Bakterien entstehen Substanzen im Blutserum, welche die Eigenschaft haben, Bakterien zusammenzuballen (zu „agglutinieren“) und unbeweglich zu machen, die sogenannten „Agglutinine“. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, Bakterien genauer auseinanderzuhalten, deren Unterscheidung sonst große Schwierigkeiten macht; vor allem ist dadurch die Diagnose des Typhus und typhöser Krankheiten, der Ruhr, der Cholera u. a. sehr viel schneller und besser möglich geworden.

Durch Injektion von Eiweiß ins Blut entstehen Substanzen, welche die Eigenschaften haben, das betreffende Eiweiß, in dem sie erzeugt sind, auszuflocken; sie werden Präzipitine genannt. Jede Tierart hat ihr arteigenes Eiweiß. Die Präzipitinereaktion hat die größte Bedeutung zum Nachweis von Blut für forensische Zwecke gewonnen, da es mit ihrer Hilfe gelingt, selbst nach Jahrzehnten aus einem Blutfleck die Herkunft des Blutes zu erkennen. Die Bakteriolysine sind Substanzen, welche nach Injektion von bestimmten Bakterien z. B. von Cholerabazillen entstehen; sie haben die spezifische Eigenschaft die betreffenden Bakterien aufzulösen und werden zur ihrer genauen Identifizierung benutzt.

Die Hämolysine sind Substanzen, welche sich im Blutserum von Tieren nach Einspritzung von artfremden Erythrozyten bilden; sie haben die Eigenschaft, den Blutfarbstoff aus den Blutkörperchen austreten zu machen. Diese Eigenschaft ist von grundlegender Bedeutung bei den sogenannten Komplementbindungsmethoden, unter ihnen hat die von Wassermann angegebene Reaktion bei Syphilis eine praktisch sehr große Bedeutung erlangt, da es damit gelingt, aus dem Blute der Kranken die Diagnose auf Syphilis zu stellen, wo es früher nicht möglich war. Das von R. Koch entdeckte Tuberculin. antiquum, welches aus alten Tuberkelbazillenkulturen gewonnen wird, hat, nachdem es eine Periode des übermäßigen Lobes und des größten Tadels durchlaufen hat, eine von Jahr zu Jahr zunehmende Bedeutung, sowohl für die Diagnostik, wie die Therapie gewonnen. Die von Pirquet entdeckte kutane Tuberkulinimpfung lehrte uns von neuem, daß der größte Teil der Erwachsenen einmal in seinem Leben eine Tuberkuloseinfektion durchgemacht habe. Sehr bedeutungsvoll ist die Serumtherapie für die Heilung von vielen Infektionskrankheiten geworden. Als Entdecker der experimentellen Serumtherapie muß Behring bezeichnet werden. In grundlegenden Arbeiten wies es in Zusammenarbeit mit Kitasato und Wernicke nach, daß in dem Blute von Tieren, welche mit Diphtheriegift behandelt waren, Substanzen – Immunkörper – auftreten, welche imstande sind, durch Einverleibung in andere Tiere, diese bei Infektion vor der Erkrankung zu schützen und bei der Diphtherie selbst die Krankheit zu heilen.

Diphtherieheilserum.

Das Diphtherieheilserum wird in Deutschland fast ausschließlich von Pferden gewonnen; ehe es in den Handel kommt, wird es im Kgl. Institut für Serumforschung in Frankfurt, welches Ehrlich untersteht, geprüft.

Die Erfolge der Diphtherieheilserumtherapie gelten allgemein als gesichert. Die Wucht von Tausenden von Zahlen sprach eine zu deutliche Sprache. Die Gegner der Serumtherapie vertraten demgegenüber die Anschauung, daß die Diphtherie in den letzten 1½ Dezennien leichter verlaufen sei, als in den früheren Zeiten. In Hamburg herrscht seit Jahresfrist wieder eine Epidemie, welche tatsächlich größere Opfer fordert, als in den früheren Jahren, trotzdem die Serumtherapie energisch Anwendung findet.

Die Behringsche Arbeiten über die Diphtherieheilserumtherapie waren außerordentlich anregend und veranlaßten zu ähnlichen Versuchen bei anderen Krankheiten, es sei hier nur auf die Serumtherapie bei Cholera, Typhus, Pest, Ruhr hingewiesen.

Entdeckung der Röntgenstrahlen und ihre Bedeutung für die innere Medizin.

Die Entdeckung der „Röntgenstrahlen“ im Jahre 1895 bedeutet einen Markstein in der Geschichte der Medizin.

Der Entdecker Wilh. Konrad Röntgen wurde 1845 in Lennep geboren, er promovierte 1869 in Zürich, war Professor der Physik in Straßburg, Gießen, Würzburg, wirkt jetzt in München.

Die Röntgenologie hat für fast alle Fächer eine ungeahnte Bedeutung gewonnen; die innere Medizin kann sie ebenso wie die Chirurgie, die Dermatologie, Gynäkologie und viele Spezialfächer nicht mehr entbehren; sowohl in diagnostischer, wie therapeutischer Hinsicht ist ihre Bedeutung gewachsen. Es hat sich eine große Industrie entwickelt, welche sich fast ausschließlich mit dem Bau von Röntgenapparaten beschäftigt. Induktorien von 30–50–70 cm Funkenlänge sind heute überall in Deutschland in guter vollkommener Ausführung zu haben.

Unterbrecherlose Apparate von einer Stabilität sind konstruiert, daß man sagen kann, aus dem Röntgenapparat ist eine Röntgenmaschine geworden, welche ungeahnte Energiemengen liefert. Die Röntgenröhre ist aus unscheinbaren Anfängen ein Kunstwerk der Glasbläserkunst geworden, welches anstandslos den Durchgang großer Elektrizitätsmengen verträgt. Durch Verbesserung der Röntgenapparate wie der Röhren ist es heute möglich in 1/10–1/100 Sekunde Aufnahmen von Brust- und Bauchorganen zu machen, welche im ersten Jahre nach der Entdeckung Röntgens unmöglich erschienen.

Die Röntgendiagnostik ist heute so ausgebaut, daß sie uns Einblicke, man kann sagen mit einem neuen Sinne in den Körper gestattet, die Erkennung der Krankheiten ist dadurch beträchtlich erleichtert. Die Lungentuberkulose, die Lungengeschwülste, die Eiterungen in den Lungen, viele Krankheiten der Luftröhre und Bronchien sind sowohl bei der Durchleuchtung, wie bei der Photographie vorzüglich zu erkennen. Zur Bestimmung der Herzgröße ist ein Verfahren, die Orthodiagraphie ausgearbeitet worden, welches die genauste aller zurzeit bekannten Methoden ist. (Moritz.) Es konnten damit hochinteressante Fragen der Herzpathologie gelöst werden, welche früher zweifelhaft, strittig oder unbekannt waren, so ist nachgewiesen worden, daß durch eine einmalige starke körperliche Anstrengung das Herz nicht vergrößert wird, im Gegenteile, es wurde bei Rennfahrern und Schwimmern nach starker sportlicher Anstrengung eine deutliche Verkleinerung konstatiert. (DelaCamp, Dietlen). Bei Krankheiten der Gefäße, besonders der Aorta ist die Röntgenuntersuchung häufig unentbehrlich, ebenso bei Steinleiden der Nieren, welches anderen diagnostischen Methoden schwer zugänglich ist. Die neueste Errungenschaft der letzten Jahre ist die Röntgenuntersuchung des Magen-Darmkanals. (H. Rieder-München u. a.) Gibt man Menschen Speisen, z. B. Kartoffelbrei, oder Kakao-Mondaminsuppe, welchen ein für Röntgenstrahlen undurchsichtiges Mittel, wie chemisch reines Bariumsulfat oder Bismuthum carbonicum zugesetzt ist, zu essen, so ist man imstande, sich bei der Röntgenuntersuchung sowohl die Speiseröhre, wie den Magen und Darm sichtbar zu machen. Es gelingt, Krebserkrankungen, Lage und Formveränderungen zu erkennen; bei der Durchleuchtung des Magens sieht man in erstaunlicher Deutlichkeit die Bewegungen des Magens und vermag in krankhaften Zuständen daraus wichtige Schlüsse zu ziehen. Die Knochenerkrankungen der Extremitätenknochen, wie der Wirbelsäule des Brustkorbs und Schädels sind auf der Röntgenphotographie trefflich zu erkennen.

Biologische Einwirkungen der Röntgenstrahlen.

Die Röntgenstrahlen haben eine große biologische Einwirkung auf Pflanzen, Tiere und Menschen. Kleinere Tiere können mit der Sicherheit des Experimentes dadurch getötet werden, ohne daß an der Haut etwas zu sehen ist; besonders empfänglich ist das hochorganisierte Gewebe der Keimdrüsen, der Eierstöcke und Hoden. Es gelingt, bei männlichen Tieren durch Bestrahlung von 5–15 Minuten eine vollständige Azoospermie d. i. Fehlen von Samentierchen zu erzeugen, während die Erektion und Ejakulation des Samens erhalten bleibt; die Tiere werden dadurch steril. Auch die blutbildenden Organe (Milz, Knochenmark, Lymphdrüsen) sind durch Röntgenstrahlen leicht verwundbar.

Röntgenbestrahlung zu Heilzwecken.

Bei Menschen ist vor allem die Verbrennung der Haut bereits seit Jahren bekannt; einmal vorhanden heilt sie nicht mehr völlig aus. Viele Ärzte haben sich eine chronische Röntgenhautentzündung als Berufskrankheit erworben, ehe diese Wirkung der Röntgenstrahlen bekannt war. Auf diesem chronischen Ekzem hat sich bisher bei mehr als 80 ein echter Krebs ausgebildet, welcher mehrere unter großen Schmerzen getötet hat, andere zur Absetzung des Armes zwang.

Auf Grund dieser Einwirkungen auf das tierische und menschliche Gewebe wurden die Röntgenstrahlen auch zu Heilzwecken herangezogen; fast alljährlich hat sich der Kreis der Krankheiten, welche der Röntgentherapie zugänglich sind, erweitert. Es sind heute besonders eine große Anzahl von Hautleiden, die gefürchteten Blutkrankheiten „Leukämie“ und Pseudoleukämie, Krebsleiden, besonders Hautkrebs.

Eine ganz ungeahnte Ausdehnung hat in den letzten Jahren die Röntgentherapie bei Frauenleiden erlangt bei Muskelgeschwülsten der Gebärmutter, Blutungen und Krebsleiden, wodurch die Operationen sehr beträchtlich eingeschränkt worden sind.

Auch die Tuberkulose, besonders die Knochentuberkulose wird durch Röntgenstrahlen gebessert, resp. zur Heilung gebracht.

Die Röntgentherapie ist Neuland; sie wird sich ebenso wie die Radiumtherapie und die Therapie mit anderen radioaktiven Substanzen (Mesothorium) noch weitere Gebiete erobern; an Dutzenden von Kliniken, Krankenhäusern und Privatinstituten ist man an fleißiger Arbeit, besonders um ihre Heilwirkung gegen den Krebs zu studieren.

Lungenkrankheiten.

Von den Lungenkrankheiten ist besonders die Lungentuberkulose in den letzten Jahren erneut eingehend studiert worden; die geniale Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Koch hat gerade hierbei besonders befruchtend gewirkt. Durch bessere klinische Beobachtung, feinere Diagnostik, durch die bakteriologische und röntgenologische Untersuchung ist die Frühdiagnose sehr gefördert worden; frühzeitiges Erkennen ermöglicht auch frühzeitige Behandlung. Der Kampf gegen die Tuberkulose ist in großzügiger Weise von allen Kulturstaaten aufgenommen worden, er ist durch eine internationale Organisation, welche seit mehreren Jahren alljährlich Konferenzen abhält, sehr gefördert worden, indem weitere Kreise des Volkes, die Regierungen, die Stadtverwaltungen, Versicherungsorgane, Krankenkassen dadurch mit den Bestrebungen gegen die Tuberkulose bekannt gemacht wurden.

In Deutschland liegt die nationale Organisation in dem unter dem Protektorate Ihrer Majestät der Kaiserin stehenden deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, welches in mustergültiger Weise auf breiter Grundlage alle Bestrebungen gegen Tuberkulose unterstützt. Durch Gewährung von Geldmitteln seitens der Zentralstelle wurde an vielen Orten die private Wohltätigkeit zur kräftigen Unterstützung angeregt und viele Heilstätten, Walderholungsstätten, Waldschulen verdanken dieser Arbeit ihre Entstehung. Besonders segensreich erwies sich in Deutschland die Unterstützung der Landesversicherungsanstalten beim Bau von Volksheilstätten, eine ganze Anzahl unter ihnen gehören dieser Verwaltungsbehörde. Es ist dadurch ermöglicht worden, daß jährlich mehr als 35 000 Lungenkranke auf Kosten der Versicherung 3 Monate lang zur Kur in diesen Anstalten Aufnahme finden können. Es bestehen in Deutschland 1913:

149 Heilstätten für Erwachsene;

130 Heilstätten für tuberkulöse Kinder, für Tuberkulose bedrohte, skrofulose,

108 Heilstätten für erholungsbedürftige Kinder;

115 Heilstätten Walderholungsstätten;

19 Heilstätten für Knochen- und Gelenktuberkulose.

Dazu kommen eine große Anzahl von Invalidenheimen und Pflegeheimen, ländlichen Kolonien und Genesungsheimen, 18 Waldschulen und 35 Beobachtungsstationen für Lungenkranke. Außerordentlich segensreich hat sich die Einrichtung der Auskunfts- und Fürsorgestellen erwiesen, von denen wir zurzeit in Deutschland 819 besitzen. Nach Mitteilungen, welche Pütter, der Gründer der ersten deutschen Fürsorgestelle in Halle, auf der I. Versammlung der Kommission für den Ausbau des Auskunfts- und Fürsorgestellenwesens für Lungenkranke im Jahre 1911 gemacht hat, kommen von sämtlichen Lungenkranken und Tuberkulösen des Deutschen Reiches etwa nur 30% für die Heilstätten in Betracht, während die übrigen 70% zu Hause sitzen und ihrem Schicksale mehr oder weniger überlassen bleiben. Für diese 70% treten grade die Auskunfts- und Fürsorgestellen ein, welche zum Teil aus privaten, zum Teil aus städtischen und staatlichen Mitteln gegründet wurden; sie gehen den Kranken mit Rat und Tat zur Hand und suchen durch Aufklärung und vor allem praktische Wohnungshygiene den Kampf in die Wohnung des Kranken selbst zu tragen. Zweifellos ist noch viel, sehr viel zu leisten; doch ist das bisher Erreichte erfreulich, von 10 000 Lebenden starben 1877 ca. 32 Menschen an Tuberkulose, 1911 ca. 15,9. Dieser Erfolg ermutigt zu weiterem Kampfe, es gilt, des größten Würgengels der Menschheit Herr zu werden, welcher alljährlich noch mehr Opfer fordert, als die blutigsten Kriege. Es kommt besonders darauf an, die Tuberkulose im Kindesalter weiter zu bekämpfen und mehr noch als bisher Prophylaxe zu treiben, zu verhüten, daß die Menschen sich so häufig wie bisher mit Tuberkulose infizieren. Durch Einrichtung von gesunden Wohnungen und Isolierung von schwerkranken, Tuberkelbazillen aushustenden Kranken, für welche in bester Weise zu sorgen ist, wird und muß es gelingen. Es wird zurzeit mit großem Eifer gearbeitet, mittelst chemischer Mittel, der physikalischen Heilmethoden, besonders mit Sonnen- und Röntgentherapie die Tuberkulose zu behandeln. Die Erfolge der Sonnentherapie im Hochgebirge sind staunenswert, gar manche Kranke mit Knochentuberkulose wurde dadurch bereits dem Messer des Chirurgen ferngehalten. Als sehr bemerkenswert sind aber die Bemühungen, durch Operation Lungenkrankheiten, besonders die Lungentuberkulose zu bekämpfen, besonders hervorzuheben, Quincke und Garrè gingen als erste zielbewußt auf diesem schwierigen Gebiete vor.

Der von vielen Ärzten bekämpfte Optimismus Brehmers, welcher die erste deutsche Heilstätte in Görbersdorf in Schlesien errichtete, hat mehr, als es dieser begeisterte Vorkämpfer ahnte, recht behalten, wir glauben heute mit Recht mehr als je: „die Tuberkulose ist heilbar.“ Wir können auf Grund unserer bisherigen Erfolge nicht unberechtigt die Hoffnung aussprechen: Die Tuberkulose wird verschwinden, wie einst der ihr verwandte Aussatz die Geißel des Mittelalters, in Deutschland fast verschwunden ist.

Herzkrankheiten.

Die Herzkrankheiten sind durch die Verfeinerung der graphischen Methoden, durch pathologisch anatomische Untersuchungen, durch die Röntgendiagnostik sehr gefördert worden. Es gelang mit Hilfe der Sphygmographie, einer Methode, welche durch einen kleinen, ingeniösen Apparat die pulsatorische Bewegung aufzuschreiben gestattet, eine genaue Analyse der Bewegungen; die Lehre von Unregelmäßigkeiten (Arhythmien) sind vor allem durch die Entdeckung von bestimmten Muskelbündeln im Herzen (His), welche als Reizleiter dienen, sehr gefördert worden; es hat eine unendliche Mühe, intensive Kleinarbeit gekostet, ehe diese Erkenntnis gesichert wurde. Als neuere Untersuchungsmethodik ist in den letzten Jahren das Elektrokardiogramm hinzugekommen, welches mit Hilfe eines von Einthoven konstruierten Saitengalvanometers gewonnen wird und die feinsten im Körper entstehenden elektrischen Ströme aufzuschreiben gestattet. Durch die Unfallgesetzgebung mußten die Ärzte mehr als früher auf den Zusammenhang zwischen Verletzung und Krankheiten achten, grade bei den Herzkrankheiten sind in dieser Hinsicht wertvolle neue Beobachtungen gemacht worden. Auch die Wichtigkeit der Herzfunktion wurde besonders durch die Entwicklung der therapeutischen Anschauungen mehr studiert als früher. Die Behandlung der Herzkrankheiten hat große Fortschritte gemacht; die Einführung, respektive der Ausbau der Bädertherapie, das eingehende pharmakologische Studium des hauptsächlichsten Herzmittels, der Blätter des Fingerhutes (Digitalis purpurea) sind neben der Entwicklung der physikalischen Heilmethoden besonders zu nennen. Von Gefäßkrankheiten ist die Arteriosklerose, die „Arterienverkalkung“, welche für eine erschreckend große Anzahl von Menschen die Ursache frühzeitiger Altern, Siechtums und Todes ist, mit heißem Bemühen studiert worden. Es ist durch die neueren serologischen und bakteriologisch-mikroskopischen Methoden als nicht seltene Ursache die Syphilis erkannt worden, welche besonders die Hauptschlagader frühzeitig verändert und vielfach dadurch zu Herzfehlern Veranlassung gibt. Alkohol und Nikotinmißbrauch sind weitere häufige ursächliche Momente. Bei Tieren gelang es, durch Adrenalin, einen Stoff, welcher aus den Nebennieren gewonnen wird, Arterienveränderungen zu erzielen. Infektionskrankheiten, Gifte wie Blei, wirken disponierend. Die Aufregungen, die nervöse Hast, welche als charakteristisch für unsere Zeit des erschwerten Kampfes ums Dasein mit all seiner ewigen Unruhe gelten, tragen neben den genannten Schädigungen dazu bei, daß leider die Arteriosklerose durchaus nicht mehr eine Krankheit des hohen Alters ist, sondern in von Jahr zu Jahr erhöhter Weise auch Menschen schon vor dem 40. Lebensjahre betrifft, diese altern in geistiger und körperlicher Weise frühzeitig, denn der Mensch ist so alt wie seine Arterien.

Wegen des geringen zur Verfügung stehenden Raumes können eine Anzahl von Krankheitsgruppen nur kurz zusammenfassend abgehandelt werden.

Magenkrankheiten.

Die Kenntnis der Magendarmkrankheiten ist durch Verbesserungen der Methoden sehr gefördert worden, ich erwähne die Methode der Funktionsprüfung des Magens durch Ausheberung einer bestimmten Mahlzeit, (Leube, Ewald), welche jetzt Allgemeingut der Ärzte geworden ist, die Ausarbeitung einer Probediät bei Krankheiten des Darms (Schmidt), die eingehenden Untersuchungen des Stuhlganges mittelst chemischer, mikroskopischer und bakteriologischer Methoden, die Röntgendiagnostik des Magens und Darms mit Hilfe von Kontrastmahlzeiten, welche Wismut oder Bariumsulfat, also für Röntgenstrahlen undurchsichtige Mittel enthalten und so die Sichtbarkeit dieser Teile ermöglichen, die Methoden mittelst Spiegel sich die Speiseröhre, den Magen, den unteren Darm sichtbar zu machen. Die größten Fortschritte und Einblicke hat die Röntgenuntersuchung gebracht. Lage, Form, Bewegung der Speiseröhre, des Magens, des Darms werden dadurch plastisch sichtbar; Verengerungen, Erweiterungen, Lageveränderungen, gewisse Geschwüre, Krebse werden verhältnismäßig leicht erkannt. Die Behandlung wurde durch Ausarbeitung der Diätetik und durch die Chirurgie eine sehr viel bessere; viele Arten von Magendarmkrankheiten sind dadurch erst einer Heilung zugänglich geworden.

Stoffwechselkrankheiten.

Die Lehre von der Ernährung, der Stoffwechsel und die Stoffwechselerkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten infolge der großen Fortschritte in der physiologischen Chemie mit einem Bienenfleiße von Hunderten von Medizinern studiert worden. Die großen Entdeckungen unseres größten von den lebenden Chemikern Emil Fischer über die Zusammensetzung des Zuckers und des Purins, von dem sich für den menschlichen Stoffwechsel wichtige Stoffe (Harnsäure, Purinbasen) ableiten, hat zu vielerlei Studien über den Zuckerstoffwechsel, die Zuckerkrankheiten und die Gicht geführt. Die Lehre von der Zuckerkrankheit wurde durch die Feststellung, daß die Entfernung der Bauchspeicheldrüse bei Tieren schwerste unter Zuckerausscheidung zu Tode führende Krankheit verursacht (Minkowski), daß gewisse Gifte, so das Phloridzin (gewonnen aus der Wurzelrinde des Apfel-, Birn- Kirsch- und Pflaumenbaumes) starke Zuckerausscheidung bei Tieren und Menschen hervorbringt, sehr gefördert worden. Die Behandlung der Zuckerkrankheit wurde besonders nach der diätetischen Seite sehr ausgebaut und viele grundlegenden Tatsachen gefunden, in den letzten Jahren sind Kohlenhydratkuren z. B. die ein bis zweitägige Verabreichung von Mehlen als wertvoll für gewisse Fälle erkannt worden, Kuren, welche vor zehn Jahren verpönt waren. Die Behandlung der Gicht ist durch Eingabe von Radium (Emanation des Radium und Thorium X) in ein neues Fahrwasser gelenkt worden; tatsächlich werden manche Gichtiker dadurch in ungeahnter Weise gebessert. Die Therapie der Fettsucht wurde durch die Erkenntnis, daß gewisse Drüsenprodukte z. B. die der Schilddrüse damit in engem Zusammenhange stehen, bereichert; in bestimmten Fällen gelingt durch Einnahme von Schilddrüsenpräparaten eine prompte Entfettung. Die Bedeutung der inneren Sekretion der Blutdrüsen für die Lehre von den Krankheiten gewinnt von Monat zu Monat an Bedeutung, am meisten studiert und am besten bekannt sind die Beziehungen der Schilddrüse, der Nebennieren und Geschlechtsdrüsen.

Erkrankungen des Blutes.

Die Kenntnis der so außerordentlich wichtigen Erkrankungen des Blutes ist durch eine Verbesserung der mikroskopischen Untersuchungs- und Färbetechnik ungeahnt vorangeschritten. Man hat die verschiedenen Formen der weißen Blutkörperchen zu unterscheiden gelernt, so daß man heute wichtige Schlüsse daraus zu ziehen vermag. Auch die Methoden zur Bestimmung des Blutfarbstoffes, der Zählung der einzelnen Zellen wurden beträchtlich verbessert. Am meisten ist dadurch die Kenntnis der Leukämie und Pseudoleukämie, welche meist mit einer außerordentlich starken Vergrößerung der Milz einhergehen und die Lehre von den Anämien (Blutarmut) und der Veränderung des Blutes bei Infektionskrankheiten gefördert worden.

Nervenkrankheiten.

Die Nervenkrankheiten sind seit fast 50, besonders aber auch in den letzten 30 Jahren von den Ärzten der Kulturvölker einem so intensiven Studium unterworfen worden, daß die Neurologie ein schier fast unübersehbares Gebiet geworden ist; sie ist eines der bedeutendsten Spezialfächer der Medizin. Neben der klinischen Beobachtung verdankt sie ihre Höhe erstens der eifrigen mikroskopisch-anatomischen Untersuchung, welche durch glänzende Färbmethoden z. B. die Weigertsche Färbung der Nervenfasern ganz hervorragend unsere Kenntnis der Nervenkrankheiten gefördert hat; zweitens der großen, genialen Methodik der Lumbalpunktion, entdeckt von H. J. Quincke, früher Professor in Kiel, jetzt in Frankfurt lebend, einem der größten deutschen Gelehrten und Forscher, (außer der Lumbalpunktion hat er als erster die Lungenchirurgie in Angriff genommen, wertvolle Arbeiten über den Eisenstoffwechsel, Blutkrankheiten, Nervenkrankheiten, Schimmelpilze, Herzkrankheiten gemacht). Mit bis dahin unerhörter Kühnheit punktierte er bei einem an Wasserkopf leidenden Kinde mittels einer Nadel den Rückenmarkskanal und ließ die Rückenmarksflüssigkeit ab. Die Methode ist heute Allgemeingut der Ärzte; sie hat die Physiologie und Pathologie der „Lumbalflüssigkeit“, die Lehre vom Hirndruck ganz außergewöhnlich gefördert; die Diagnose der Gehirn- und Rückenmarkshautentzündungen, vieler anderen Nervenkrankheiten, die chemische, bakteriologische und Zellenuntersuchung der Lumbalflüssigkeit ist dadurch erst möglich geworden. In therapeutischer Hinsicht hilft sie vielfach in glänzender Weise. Durch Einführung von narkotischen Mitteln z. B. Kokainlösungen in den Lumbalkanal gelang Bier die Unempfindlichmachung von den unteren Teilen des Körpers, so daß z. B. schwerste Operationen ohne allgemeine Narkose ausgeführt werden konnten. Quinckes Name wird als einer der großen Pfadfinder in die Geschichte der Medizin eingetragen sein.

Drittens führte die ätiologische Forschung zu beträchtlichen Fortschritten in der Neurologie. Der Nachweis des Syphiliserregers und die serologische Reaktion nach Wassermann brachten Klarheit in viele unklare Prozesse.

Die verbreitetste organische Nervenkrankheit, die Rückenmarksschwindsucht, ist ebenso wie die verbreitetste Gehirnkrankheit, die Paralyse, syphilitischer Genese. Der große Neurologe Erb, welcher seit Dezennien diese Lehre vertrat, hat am Schlusse seines ungewöhnlich erfolgreichen Forscherlebens die volle Genugtuung, daß seine Ansicht gegenüber der seiner wissenschaftlichen Gegner zu Recht bestand.

Die neurologische Diagnostik ist so ausgebaut, daß sie zu einer der sichersten in der Medizin zu rechnen ist. Die deutsche Neurologie hatte durch Männer, wie Friedreich, Erb, Leyden, Westphal, Strümpell, Wernicke, Lichtheim u. a. die Führung in der Welt.

Nicht minder groß sind die Fortschritte der Kinderheilkunde. Die Krankheiten des Säuglingsalters sind mit solchem Erfolg studiert worden, daß die Lehre von der Ernährung des Kindes (Heubner, A. Czerny) eine neue Wissenschaft geworden ist, wodurch in erster Linie die Pädiatrie zu einem voll und ganz anerkannten besonderen Fach in der Medizin geworden ist.

Durch Erkennung der „Nährschäden“, durch Einschränkung der Infektionsmöglichkeit durch Milch, gelang es, die Säuglingssterblichkeit beträchtlich herabzudrücken. Es gehört zu Durchführung der notwendigen Maßnahmen eine großzügige Organisation, welche in Deutschland an vielen Orten mustergültig durchgeführt ist, an vielen anderen im Entstehen begriffen ist.

Groß sind auch die Fortschritte in der Lehre von der Syphilis, den Hautkrankheiten, der Rhinologie, Laryngologie, Otiatrie u. a., überall herrscht reges Leben. Die von vielen so beklagte Spezialisierung hat sich vielfach glänzend bewährt und wird sich nicht aufhalten lassen; wenn die wissenschaftliche Grundlage und die Organisation der Arbeit eine gute ist, wird ihr Nutzen stets größer sein als ihr Schaden.

Wie sehr die Organisation der Forschung heute von Bedeutung ist, hat sich bei einer der bekanntesten Entdeckungen von Ehrlich gezeigt, der Einführung des Salvarsans gegen die Syphilis. Ebenso bewunderungswert wie die Auffindung und experimentelle Durchprüfung des Mittels war die gradezu großartige Organisation bei Durchführung der Versuche an kranken Menschen; mit schier unglaublicher Energie gelang es in einer verhältnismäßig kurzen Zeit ein sicheres Mittel gegen die Syphilis in seiner Wirkungen auszuprobieren, wozu früher ein Jahrzehnt und mehr gehört hätte. Ehrlich hat die experimentelle Therapie in neue verheißungsvolle Bahnen gelenkt; der Begriff der Chemotherapie bezaubert Ärzte und Laien und macht sie häufig vor der Zeit zu übermäßigen Optimisten. Wenn aber die planmäßige, zuverlässige, kritische Arbeit des Laboratoriums sich mit der gewissenhaften Beobachtung und Erfahrung am Krankenbette verbindet, dann muß es gelingen der leidenden Menschheit neue Waffen zu schmieden im Kampfe gegen Siechtum und Krankheit; so ist Hoffnung vorhanden, daß der jetzt mit so viel Energie und Begeisterung aufgenommene Kampf gegen die Tuberkulose, gegen die Geschlechtskrankheiten, gegen den Alkoholismus, gegen den Krebs, die größten Feinde des Menschengeschlechts, siegreich vorwärts gehen wird.

Die Entwicklung der Chirurgie

Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Hermann Küttner, ordentl. Professor der Chirurgie und Direktor der Kgl. chirurgischen Universitätsklinik zu Breslau

Große Fortschritte der Chirurgie.

So bedeutsam die Fortschritte der gesamten Medizin im letzten Vierteljahrhundert gewesen sind, nur wenigen Zweigen ärztlicher Wissenschaft ist eine Entwicklung beschieden gewesen, wie die Chirurgie sie in diesen Dezennien erlebt hat. Zwar waren schon vor Beginn des letzten Vierteljahrhunderts die Zeiten längst vorüber, in denen die Chirurgie, dem Handwerke gleich geachtet, als Handlangerin der theoretischen Medizin galt, die großen Chirurgen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten ihr längst die gebührende Stellung verschafft. Aber noch immer blieb die Operation das ultimum refugium, das erst in verzweifelter Situation seine Berechtigung fand, sie blieb es, obwohl die Entdeckungen der Narkose, der antiseptischen Wundbehandlung, der künstlichen Blutleere bereits gemacht waren.

Heute ist die Sachlage eine durchaus andere. Die Chirurgie hat ihre Schrecken verloren, ihre außerordentlichen Erfolge haben sie volkstümlich gemacht, denn der erfreuliche dauernde Rückgang der Volkssterblichkeit ist zu einem guten Teile auf ihre Errungenschaften zurückzuführen. Nicht mehr den äußersten Notbehelf stellt heute der operative Eingriff dar, die Frühoperation hat ihre Berechtigung gewonnen, die dem Leiden die Wurzel abschneidet, ehe es zu spät ist, und weit häufiger als unmittelbar lebensrettende Operationen werden vorbeugende, kosmetische und andere nicht nur von der Not diktierte Eingriffe ausgeführt. Dieser Aufschwung, der die ganze segensreiche Kraft der Chirurgie erst recht ins helle Licht gesetzt hat, fällt in die letzten 25 Jahre, und Deutschland hat in diesem Zeitraum die führende Rolle in der Chirurgie erlangt.

Bedeutung der deutschen Forschung für die moderne Chirurgie.

Daß gerade Deutschland berufen war, diese Führerschaft zu übernehmen, darf nicht als reiner Zufall angesehen werden, denn die mächtig aufblühende Chirurgie hat nicht nur in deutschen Landen, sondern in aller Welt Scharen talentvoller Menschen angezogen und eine besondere Steigerung der Leistungen des einzelnen bewirkt. Die Gründlichkeit deutscher Forschung ist es gewesen, die ihr auch hier die leitende Stellung verschafft hat, denn das Fundament der Chirurgie ist nicht die Technik, wie heute noch vielfach angenommen wird, sondern das naturwissenschaftliche Denken und Ergründen. Gewiß stellt die moderne Chirurgie außerordentliche Anforderungen an die Handfertigkeit des Operateurs, der zudem, soll er die Höhen seiner Kunst erreichen, noch andere, nicht erlernbare Eigenschaften auf die Welt mitbringen muß, vor allem Mut und Fähigkeit zu raschem Entschluß. Groß geworden aber ist die Chirurgie nicht durch die Technik, sondern einzig und allein durch die wissenschaftliche Vertiefung; diese hat bewirkt, daß gerade in den jüngst vergangenen Dezennien der deutsche Charakter der Chirurgie mehr und mehr hervorgetreten ist.

Ausbau der aseptischen Wundbehandlung.

Das stattliche Gebäude der modernen Chirurgie erhebt sich auf den beiden Grundpfeilern der aseptischen Wundbehandlung und der Bekämpfung des Schmerzes. Gerade der Ausbau der aseptischen Wundbehandlung ist ein Beispiel, wie wenig einfache Empirie, wieviel die freie Tat des erfinderischen und kritischen Menschengeistes zu leisten vermag: Was jahrhundertelange Erfahrung nicht zu zeitigen vermochte, schuf in wenigen Jahren der Genius einiger großer Männer, unter denen Pasteur, Lister und Koch an erster Stelle zu nennen sind. Es ist bezeichnend für die Größe Listers, daß ihm, dem eigentlichen Begründer der Antisepsis, die Rolle der Bakterien bei der Wundinfektion noch nicht offenbar war, er kämpfte vorahnenden Geistes gegen einen unbekannten Feind. Zwar hatte er aus seinen Studien die Überzeugung gewonnen, daß lebende Keime, welche in der Luft und auf allen Gegenständen verbreitet sind, in der Wunde eine der Gärung und Fäulnis ähnliche Zersetzung herbeizuführen vermögen, der streng wissenschaftliche Nachweis der Bakterien als Ursache von Wundinfektionen aber gelang erst dem deutschen Forscher Robert Koch.

Entdeckungen Kochs.

Wie eine Offenbarung wirkte die Entdeckung Kochs, der mit genial erdachten, einfachsten Methoden auf künstlichen Nährböden die Bakterien züchtete und ihre Gewinnung in Reinkultur ermöglichte. Mit überraschender Schnelligkeit wuchs der Kreis der nun mit einem Schlage in ihrer Ursache erkannten und einer rationellen Bekämpfung zugänglich gemachten Infektionskrankheiten. Zu ihnen gehörte auch die Wundentzündung und Wundeiterung, welche man früher als eine natürliche Reaktion des Körpers auf den äußeren Insult wie ein Fatum hingenommen hatte, obwohl ihr ständiges Auftreten nach operativen Eingriffen jede wahre wundärztliche Kunst im Keime erstickt hatte. Mit Robert Kochs unübertroffenen Methoden gelang es F. J. Rosenbach, die Erreger dieser Wundentzündung und Wundeiterung ausfindig zu machen. Sie sind Glieder einer großen Gruppe von Bakterien, die wir als Kugelbakterien oder Kokken bezeichnen, und werden Staphylokokken und Streptokokken genannt. Die Staphylokokken oder Traubenkokken, so benannt wegen ihrer Anordnung in traubenförmigen Haufen, sind die verbreitetsten Eitererreger; sie bilden auf künstlichen Nährböden Kolonien von gelber und weißer Farbe und verursachen, je nach ihrer Virulenz, in dem einen Falle nur eine harmlose Rötung und Schwellung der Wundumgebung, in dem anderen die schwerste fortschreitende Zellgewebseiterung und tödliche Blutvergiftung. Nicht ganz so häufige, aber fast noch gefährlichere Schädlinge sind die Streptokokken, die in Ketten angeordneten Kugelbakterien; die von ihnen hervorgerufenen Wundinfektionen pflegen sich durch besondere Bösartigkeit auszuzeichnen: Streptokokken sind die Erreger der schwersten Bauch- und Rippenfellentzündungen, der mit unheimlicher Schnelligkeit tötenden Zellgewebseiterungen, denen alljährlich eine große Zahl von Ärzten als Opfer des Berufes erliegt. Neben diesen wichtigsten Arten haben wir noch zahlreiche andere Mikroorganismen kennen gelernt, die gelegentlich oder immer eitererregende Eigenschaften entfalten, gegen die Staphylo- und Streptokokken jedoch an praktischer Bedeutung weit zurücktreten.

Listers antiseptische Wundbehandlung.

Durch die aufblühende bakteriologische Forschung war somit die Jahrhunderte lang in tiefes Dunkel gehüllte Bedeutung der Bakterien für die Entstehung der Wundinfektion endgültig geklärt worden. Auf die Annahme einer solchen äußeren, nicht im Körper selbst liegenden Schädlichkeit hatte Lister bereits seine epochemachende Behandlungsmethode gegründet; jetzt, wo man den Feind kannte, vermochte man den Kampf mit ihm weit zielbewußter zu führen. Listers Gedanke war, in der Wunde chemische Mittel auf die von ihm richtig vermuteten Keime wirken zu lassen, um sie, mit möglichster Schonung der Körpergewebe, zu vergiften und abzutöten. Solche Mittel heißen Antiseptika, weil sie der Fäulnis entgegenwirken, und die auf ihrer Anwendung beruhende Wundbehandlung wurde die „antiseptische“ genannt. Das von Lister eingeführte Karbol ist bald durch das von v. Bergmann und Schede empfohlene wirksamere Sublimat verdrängt worden, weitere Antiseptika wie das Salizyl, Bor, Thymol, vor allem aber das wichtige, durch v. Mosetig-Moorhof eingebürgerte Jodoform und seine zahlreichen Ersatzpräparate fanden und erprobten Chemiker und Ärzte in gemeinsamer Arbeit.

Luftinfektion.

Für besonders gefährlich hielt man im Beginne der antiseptischen Ära auf Grund der Pasteurschen Versuche die in der Luft schwebenden Keime. Nicht nur, daß man sie durch eine komplizierte Verbandtechnik nach vollendeter Operation von der Wunde fernzuhalten suchte, man glaubte vor allem auch die offene Wunde während der Operation vor den aus der Luft herabfallenden Bakterien auf jede Weise schützen zu müssen. Als wirksamste Methode zur Verhütung der Luftinfektion galt einige Zeit die mittels eines Dampfsprays erzielte feinste Verstäubung des Antiseptikums in der Luft des Operationssaales, ein Verfahren, welches durch die ständige reichliche Zufuhr von Gift auf dem Atmungswege gar manchen Chirurgen um Gesundheit und Leben gebracht hat. Erst jahrelange mühsame Untersuchungen stellten fest, daß die Luftinfektion in ihrer Bedeutung überschätzt worden war, denn man fand, daß fast nur harmlose Schmarotzerpilze in geringer Zahl, nicht aber die eigentlich gefährlichen Eitererreger die Luft zum Aufenthaltsorte wählen. Ja, Paul Bruns stellte sogar die wichtige Tatsache fest, daß es für eine bereits versorgte Wunde sehr viel günstiger ist, wenn durch austrocknende, aufsaugende Verbandstoffe die Wundsekrete nach außen abgeleitet, als wenn sie durch abschließende Verbände zur Stagnation gezwungen und dadurch zu Brutstätten der Bakterien gemacht werden. So wurden Spray und hermetisch abschließender Wundverband verlassen.

Kontaktinfektion.

Der „Luftinfektion“ hatte schon Lister die „Kontaktinfektion“ gegenübergestellt, sie erwies sich im weiteren Verlaufe der antiseptischen Ära als der weitaus gefährlichere Übertragungsmodus. Kontaktinfektion findet statt durch die Bakterien, welche an dem chirurgischen Instrumente, an der Hand des Operateurs, an der Haut des Patienten haften. Durch die während des Eingriffes notwendigen Manipulationen werden sie in die Wunde verbracht und können hier, falls sie den für den Menschen schädlichen „pathogenen“ Arten angehören, entweder zu mehr oder weniger schwerer lokaler Wundentzündung und Wundeiterung, oder auch zu rasch tödlicher septischer Allgemeininfektion führen. Mit einer geringen Anzahl nicht zu virulenter Keime vermag allerdings der Körper infolge seiner reichen Schutzkräfte erfolgreich den Kampf aufzunehmen, die Zahl und Virulenz der Bakterien jedoch, welche in vorantiseptischer Zeit bei einer Operation in die Wunde drangen, war so groß, daß die natürlichen Schutzmittel des Organismus niemals ausreichten, um Wundfieber und Eiterung zu verhüten.

Gegen diese durch Kontaktinfektion übertragenen Bakterien suchte man nun nach Listers Vorgang durch Spülung der Wunde mit antiseptischen Flüssigkeiten vorzugehen und erreichte dadurch in der Tat eine außerordentliche Verminderung der Wundinfektionen. Aber die Gifte, die schädigend auf die Bakterien wirkten, waren auch nicht gänzlich harmlos für die Körpergewebe, und niemals gelang es selbst der gründlichsten Wundirrigation, die zahlreichen Mikroorganismen unschädlich zu machen, welche bereits in die Gewebe eingedrungen waren. Hier liegen die Schwächen der antiseptischen Wundbehandlung, und wenn auch ihre Resultate zunächst befriedigten und gegenüber denen der früheren Zeit, in der die kleinste Operation zum Tode an allgemeiner Blutvergiftung führen konnte, sogar glänzende waren, so wuchsen doch mit der ständigen Besserung der Erfolge die Ansprüche und ließen die bei antiseptischer Wundbehandlung noch immer nicht allzuseltenen Infektionen als schwerwiegende Nachteile erscheinen, die zu immer neuen Vervollkommnungen anregten.

Asepsis.

Gelang es nicht, die einmal in die Wunde eingedrungenen Bakterien auf gewaltsame Weise abzutöten, so blieb als einzige Lösung die an und für sich erstrebenswerte Forderung einer wirksamen Prophylaxe: es mußte verhindert werden, daß überhaupt Bakterien in die Wunde gelangen. Diesem Ideal gelten alle Bestrebungen der modernen Wundbehandlung, welche im Gegensatze zur antiseptischen als die aseptische bezeichnet wird. Welche Schwierigkeiten sich aber der Durchführung einer solchen Prophylaxe entgegenstellen, erhellt allein aus der einen, durch große Reihen von Einzeluntersuchungen erhärteten Tatsache, daß es kein einziges zuverlässiges Mittel gibt, die Haut völlig zu desinfizieren, gänzlich keimfrei zu machen. Somit mußte sowohl die Hand des Operateurs wie die bei der Operation zu durchtrennende Haut des Patienten eine ständige, kaum auszuschaltende Infektionsquelle darstellen.

Hand des Operateurs.

Verhältnismäßig leicht war die Ausschaltung der Hand des Operateurs zu erreichen. Zuerst versuchte man es mit dem sogenannten „händelosen Operieren“: man vermied ängstlich jede direkte Berührung der Wunde mit der Hand, und benutzte zu allen Manipulationen sicher sterilisierbare Metallinstrumente. An diesem Prinzip halten wir auch heute noch nach Möglichkeit fest, obwohl wir über zuverlässige Mittel zur Ausschaltung der Hand verfügen; namentlich unterlassen wir bei Verbandwechseln grundsätzlich die unmittelbare Berührung, weil jede nicht ganz frische Wunde Bakterien enthält, und die einmal der Hand anheftenden Mikroorganismen nur sehr schwer wieder zu entfernen sind.

Weit sicherer als das nicht immer strikt durchführbare „händelose Operieren“ ist die Verwendung des Handschuhs bei der Wundbehandlung. Da ein völliger undurchlässiger Abschluß der auch trotz gründlichster Desinfektion niemals ganz keimfreien Hand erreicht werden muß, so kommt nur ein undurchlässiger und gleichzeitig gut sterilisierbarer Handschuh in Frage, der Gummihandschuh, den heute fast alle Chirurgen sowohl zu Operationen, wie zu infektiösen Verbandwechseln und Untersuchungen benutzen. Da die Gummihandschuhe glatt sind, und solche mit rauher Oberfläche sich nicht bewährt haben, so tragen viele Operateure über den Gummihandschuhen noch sterilisierbare Zwirnhandschuhe, die als alleinige Bedeckung der Forderung einer völligen Ausschaltung der Hand nicht genügen, als Überzug des Gummihandschuhes aber nicht nur dessen Glätte mindern, sondern auch ein wirksames Schutzmittel für den zarten Gummi darstellen. Die Handschuhe schließen unmittelbar an die Ärmel des sterilisierten Operationsmantels an und bedecken sie zum Teil, so daß Hand und Arm des Operateurs an keiner Stelle freiliegen und mit der Wunde nur Material in Berührung kommt, welches in strömendem Dampf oder durch Auskochen mit voller Sicherheit keimfrei gemacht worden ist. Man wird einwenden, daß es doch nicht möglich sei, mit einfachen oder gar doppelten Handschuhen überhaupt zu fühlen, um wieviel weniger sicher zu operieren. In der Tat haben wir alle, als die Handschuhe eingeführt wurden, erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, in kurzer Zeit aber haben wir uns an den veränderten Zustand angepaßt, und heute kann wohl die Mehrzahl der Chirurgen kaum noch ohne Handschuhe operieren, weil das überfeinerte Gefühl der Finger und die Zartheit der verwöhnten Haut schon das feste Knüpfen eines Fadens nicht mehr verträgt.

Haut des Operationsfeldes.

Weit größere Schwierigkeiten als die Hand des Operateurs bot die Haut des Operationsfeldes.