Die Wunderfabrik – Nehmt euch in Acht! - Stefanie Gerstenberger - E-Book

Die Wunderfabrik – Nehmt euch in Acht! E-Book

Stefanie Gerstenberger

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Beschreibung

Der zweite Band der neuen Serie von Bestsellerautorin Stefanie Gerstenberger – perfekter Lesestoff, für alle, die sich trauen! Jetzt ist es raus: Winnie hat die Gabe, magische Lakritzbonbons herzustellen. Was es dabei alles zu beachten gibt und was sie »Auf keinen Fall!« machen darf, wollen ihr die Großeltern endlich beibringen. Oder doch nicht? Denn – »Vorsicht!« – es muss immer noch alles streng geheim bleiben. Vor allem das magische Rezeptbuch! Während Winnie und ihre Geschwister neue fabelhafte Rezepte ausprobieren und in der Villa die Vorbereitungen für eine große Geheimversammlung laufen, gerät ausgerechnet der kleine Henry ins Visier ihres mysteriösen Verfolgers … Serie gelistet bei Antolin Alle Bände der Serie »Die Wunderfabrik«: Band 1: Keiner darf es wissen! Band 2: Nehmt euch in Acht! Band 3: Jetzt erst recht!

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Seitenzahl: 328

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Stefanie Gerstenberger

Die Wunderfabrik Nehmt euch in Acht!

Band 2

 

 

Über dieses Buch

 

 

Der zweite Band der neuen Serie von Bestsellerautorin Stefanie Gerstenberger – perfekter Lesestoff, für alle, die sich trauen!

 

Jetzt ist es raus: Winnie hat die Gabe, magische Lakritzbonbons herzustellen. Was es dabei alles zu beachten gibt und was sie »Auf keinen Fall!« machen darf, wollen ihr die Großeltern endlich beibringen. Oder doch nicht? Denn – »Vorsicht!« – es muss immer noch alles streng geheim bleiben. Vor allem das magische Rezeptbuch! Während Winnie und ihre Geschwister neue fabelhafte Rezepte ausprobieren und in der Villa die Vorbereitungen für eine große Geheimversammlung laufen, gerät ausgerechnet der kleine Henry ins Visier ihres mysteriösen Verfolgers …

 

Serie gelistet bei Antolin

 

Alle Bände der Serie Die Wunderfabrik:

Band 1: Keiner darf es wissen!

Band 2: Nehmt euch in Acht!

Band 3: erscheint im Frühjahr 2021

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Stefanie Gerstenberger, geboren 1965 in Osnabrück, hat schon immer die Zutaten, die das Leben einem so gibt, nach eigenem Geschmack neu gemischt. Nach dem Studium und Stationen unter anderem bei Film und Fernsehen begann sie, selbst zu schreiben. Mit ihren zahlreichen Romanen für Erwachsene (›Das Limonenhaus‹) und für Jugendliche (›Zwei wie Zucker und Zimt‹) ist sie schon seit langem einem großen Publikum als erfolgreiche Autorin bekannt. ›Die Wunderfabrik‹ ist ihre erste Kinderbuchserie. Stefanie Gerstenberger lebt mit ihrer Familie in Köln.

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

1. Kapitel – in dem Winnie sofort loslegen möchte. Und jemand anders einen fiesen Plan hat.

Heute!

Heute war es endlich so weit! Feierlich setzte Winnie die hohe Kochmütze auf ihre braunen, lockigen Haare. Sie schloss den letzten Knopf der weißen Jacke, band die bodenlange Schürze hinter ihrem Rücken zu und lächelte zufrieden in den Spiegel. So sah eine echte Lakritzemacherin in ihrer Lakritzemacherinnen-Arbeitsuniform aus!

Mit dem Zeigefinger fuhr sie den Schriftzug nach, der mit blauem Garn über der linken Brusttasche der Jacke eingestickt war: Winnie.

Das bin ich, dachte sie, das einzige Mädchen auf der Welt, das magische Lakritzepennys herstellen kann!

Sie schlüpfte aus dem Bad und warf einen kurzen Blick in das Zimmer nebenan, in dem ihre Geschwister immer noch schliefen. Cecilia hatte sich unter der Bettdecke verkrochen, nur ihre knallig möhrenfarbenen Locken waren zu sehen. Auch Henry schlief friedlich zusammengerollt in seinem sargähnlichen Bett, das Grandma für ihn aus einer alten Werkbank zusammengezimmert hatte.

Durch das Fenster hier im dritten Stock konnte man den Möwen winken, die mit ausgebreiteten Flügeln über den wolkenlosen Himmel glitten. Und unten lagen der Strand und das Meer. Alles noch da, alles herrlich einladend, und immer noch drei Wochen Ferien!

Leise huschte sie ins Treppenhaus und lauschte. War das TT, das Tragische Team, schon wach? In der Etage über ihr war zwar nichts zu hören, aber es roch köstlich nach Kakao. Winnies Magen knurrte, und sie überlegte gerade, ob sie Marisa einen Besuch abstatten sollte, da sah sie durch eines der Treppenhausfenster, wie Grandpa den Platz vor der Villa überquerte und zielstrebig auf den Hustenschuppen zustapfte. In Windeseile lief sie die Stufen hinunter, sie hatte so viel mit ihm zu besprechen!

Heute würde er ihre magischen Lakritzepennys testen und selbst erfahren, welche Gefühle sie in die bunten Lakritzetaler hineingepackt hatte! Und wenn er sie erst in ihrer Uniform sah, würde er bestimmt nicht anders können, als gleich heute schon neue Pennys in der phantastischen Wunderfabrik herzustellen. Yesss! Winnie ballte die Faust, während sie zwei Stufen auf einmal nahm. Du wirst dich wundern, Grandpa, denn wenn es stimmt, dass die GABE manchmal Generationen überspringt und dabei stärker und stärker wird – tja, dann kann ich vielleicht wirklich mehr als du!

Den klitzekleinen Anflug von schlechtem Gewissen, den sie bei diesen Gedanken empfand, wischte sie im Laufen beiseite. Okay, sie hätte gestern in ihrem Kesselversteck nicht lauschen sollen, als Grandpa von ihrer GABE erzählte … Aber wenn Kinder immer alles taten, was die Erwachsenen ihnen vorschrieben, wäre das Leben ja völlig langweilig, oder etwa nicht?

Eilig durchquerte sie die große Eingangshalle, durch die Tür des Salons sah sie das altmodische Telefon auf seinem Tischchen stehen. Später würde sie Mum und Dad anrufen und sie überreden, noch länger in Brasilien zu bleiben. Gerade jetzt nach London zurückzumüssen, wäre echt furchtbar! Winnie stemmte die schwere Eingangspforte auf, sie war so aufgeregt und neugierig und bereit, alles zu lernen, was Grandpa Herb wusste!

Vor dem Hustenschuppen angekommen, stürzte sie sich auf die Tür und wollte sie mit Schwung aufreißen. Aber nein – abgeschlossen. Dann eben der Laden! Sie schaute gar nicht erst durch das Schaufenster, sondern rüttelte gleich an der Klinke. Vergeblich, auch diese Tür ließ sich nicht öffnen.

Enttäuscht drehte Winnie sich um und blickte nachdenklich nach oben. Wallace-Walker Königlicher Hoflieferant a.D. Feinste Hustenbär-Lakritzbrocken stand über dem Schaufenster, die Schrift leuchtete in der Morgensonne. Was hatten Henry, Cecilia und sie nebenan im Hustenschuppen schuften müssen, und nun lagen die äußerst mies schmeckenden Lakritz-Hustenbrocken hier im Laden zum Verkauf bereit. So fies und kratzig, dass man jeden einzelnen Kunden eigentlich beglückwünschen sollte, der sich bis jetzt noch nicht zu uns verirrt hat, dachte Winnie. Das einzig Gute an der ganzen Arbeit war, dass sie dabei zufällig entdeckt hatte, was für verrückte Dinge sie konnte.

Und nun war Grandpa nicht zu sehen – versteckte er sich etwa vor ihr? Was habe ich denn von meiner GABE?, fragte Winnie sich und biss die Zähne zusammen, ihre gute Laune war verflogen. Anstatt sich zu freuen, dass ich so tolle Dinge herstellen kann wie Sinnlos-Gute-Laune-Pennys oder solche, von denen man mutig wird, flüstern Grandma und Grandpa nur psst, psst! und halten sich den Finger vor den Mund. Zu gefährlich! Zu gefährlich!

Mehr hatten sie bis jetzt nicht erzählt, nur dass es einen bösen und unberechenbaren »ER« gab, der es auf die Kinder abgesehen hatte. Das machte ihr wirklich Angst! Wenn sie wenigstens wüsste, wie dieser ER aussah. Sie stellte ihn sich wie Mr. Clean auf der Putzmittelflasche vor, ohne Haare und im weißen T-Shirt, aber nicht so nett grinsend wie der Saubermann, sondern mit kaltem Blick und engstehenden Augen, richtig fies und gruselig! Winnie fühlte, wie ein Schauder über ihren Rücken lief.

Dieser ER hatte vor fünf Jahren die ganze Wunderfabrik ausgeräumt. Also, die Maschinen hatte er stehen lassen, aber alles Essbare mitgenommen. Dann machen wir eben neue Wunderlakritze, dachte Winnie. Besser gesagt, ich! Henry und Cecilia können das ja nicht. Bestimmt kann ich Grandpa dazu überreden, wenn er erst mal meine Pennys probiert hat …

 

In diesem Augenblick trat Hugo aus der Haustür und entdeckte sie vor dem Laden: »Good morning! So früh schon unterwegs, Winnie?« Er kam auf sie zu. Ein sehr kleiner Seemann mit ziemlich kräftigen Armmuskeln und cooler Wollmütze. Winnie hatte ihn noch nie ohne diese Mütze gesehen, hatte er die auch nachts im Bett auf?

»Ich suche Grandpa«, antwortete Winnie und trippelte unruhig auf ihren Zehenspitzen. »Hier ist alles abgeschlossen. Ob er drüben in der Wunderfabrik ist?«

»Könnte ich mir vorstellen!« Hugo musterte mit hochgezogenen Augenbrauen ihre Lakritzemacherinnen-Kleidung, doch unter seinem Vollbart sah sie ein kleines Lächeln. »Wenn jemand fünf Jahre lang nicht mehr seine eigene Fabrik betreten hat, wird er höchstwahrscheinlich das Bedürfnis verspüren, in Ruhe und ungestört einen Blick darauf zu werfen.«

Winnie grinste. Hugo drückte sich mal wieder ziemlich umständlich aus.

»Und du, Marisa und Ninette«, fragte sie, »ihr habt dort echt so lange alles poliert und in Ordnung gehalten und gewartet, dass Grandpa endlich wieder loslegt mit der Produktion?«

»Das kann ich so bestätigen.« Er nickte ernst.

»Vielleicht kann ich ihn überreden, wieder anzufangen!«, sagte Winnie.

»Nun, er hat heute Morgen eine kleine Überraschung für dich, für euch alle, so viel ist mir bekannt. Also lauf schon!«

Das ließ Winnie sich nicht zweimal sagen, sie rannte am Hustenschuppen vorbei bis zu dessen Hinterausgang. Hier erhob sich eine der beiden hohen Dünen, von denen Villa, Laden und Schuppen eingerahmt waren. Sie atmete tief ein und legte den Kopf zurück. Die Luft roch nach Salz und Algen, die Möwen am Himmel stießen kreischende Laute aus, doch die sandige Idylle mit dem herabhängenden Strandhafervorhang täuschte; hinter dieser unscheinbaren Dünenwand verbarg sich die wunderbarste Wunderfabrik, die man sich nur denken konnte!

Winnie schob die Gräser auseinander und tastete ungeduldig nach der grünen Plastikplane, die zur Tarnung diente. Da war sie schon, und die Tür dahinter stand sogar offen! Andächtig stieg sie über die hohe Schwelle, im Vorbeigehen streichelte sie eine der beiden Drachenfiguren über den Kopf; sie waren aus Lakritze und schienen Wache zu halten.

Grandpa stand in der Mitte der Halle auf dem freien Platz, zwischen all den Laufbändern und Kupferkesseln. Hinter ihm sah sie eine gedeckte Tafel, mit Körben voller Brötchen, Saftkannen, Obstsalat. Wollten sie etwa hier drin frühstücken? War das seine kleine Überraschung?

»Guten Morgen, Winnie! Du siehst mir aus, als ob du es gar nicht erwarten kannst!« Grandpa strahlte sie mit seinem faltigen Gesicht an, so dass es gleich noch etwas faltiger wurde.

»Ich bin bereit!« Winnie streckte die Arme aus und umschloss die gewölbte Hallendecke, die großen Fenster zum Strand, Grandmas violett angemalte Maschinen, einfach alles!

 

Hinter sich hörte sie Stimmen, und da waren auch schon die anderen. Ninette schob einen Teewagen vor sich her, auf dem zwei gigantische Kannen, ein Toaster und noch jede Menge Frühstückszeug standen, unter anderem auch ein Topf mit Porridge, der vor sich hin dampfte. Grandma Ruthie hielt das Verlängerungskabel für den Toaster in der Hand wie eine Hundeleine und hatte ganz offenbar die Oberaufsicht, doch auf ihrem sonst immer so strengen Gesicht lag an diesem Morgen ein Lächeln, als sie Ninette mit einer Handbewegung bedeutete, den Teewagen näher an die Tafel zu schieben.

»Das schwere Gefährt muss man erst einmal durch den Sand bekommen«, sagte Hugo und betastete stolz seine Oberarme.

»Guten Morgen, cariña, stell doch bitte alles auf den Tisch!«, sagte Marisa zu Winnie in ihrem harten spanischen Akzent.

Woher weiß sie überhaupt, dass ich da bin?, fragte Winnie sich. Manchmal vergesse ich tatsächlich, dass sie blind ist.

Kurz darauf kamen Cecilia und Henry in die Fabrik gestolpert. »Ich habe von einem Kraken-Monster geträumt, und ich darf meinen Pyjama heute anlassen!«, rief Henry.

Winnie grinste. Es gab also Menschen, die waren aus dem Häuschen, weil sie ihren Schlafanzug beim Frühstück tragen durften, und andere waren aufgeregt, weil sie heute hoffentlich, hoffentlich neue magische Lakritze herstellen würden!

»Du kannst mir dabei helfen, ein paar Sitzgelegenheiten zusammenzusuchen, mein Junge!«, sagte Grandpa. »Stühle gibt es hier leider nicht genug für uns alle, dafür jede Menge Süßholzkisten und alte Tonnen.«

»Oh, nee. Warum essen wir heute hier und warum denn so früh, und was soll das alles?«, beschwerte Cecilia sich und gähnte. Typisch Cecilia, dachte Winnie, man weiß nie, wie sie drauf ist.

 

»Guten Morgen zusammen«, schmetterte Grandpa ein paar Minuten später und ließ sich mit einem zufriedenen Ächzen auf dem hohen Schreibtischstuhl am Ende der Tafel nieder. »Wie schön, dass ihr alle schon zu früher Morgenstunde vollzählig den Weg in unsere einzigartige Lakritzfabrik gefunden habt! Nicht wahr, Ruthie, wir haben heute etwas ganz Besonderes geplant!«

Winnie zappelte auf ihrem Stuhl herum, es konnte doch nur eine Sache sein, die Grandpa mit ihnen vorhatte! Sie ließ ihren Blick über die Runde schweifen: Grandma strich ihren blass möhrenfarbenen Dutt glatt und setzte sich neben Cecilia, die sie – plötzlich gar nicht mehr muffelig – mit »Morning, Granny-Ruthie, alte Lady!« begrüßte. »Es ist zwar verdammt früh, aber du siehst trotzdem ziemlich fresh aus.« Kichernd langte sie nach einem Brötchen.

»Junge Dame, deine Wortwahl lässt zu wünschen übrig!«, erwiderte Grandma und klaute, ohne eine Miene zu verziehen, das Brötchen von Cecilias Teller, und schon waren Großmutter und Enkelin in ein kompliziertes Gespräch über Glaskuppelkonstruktionen verstrickt.

Hugo hob Henry auf eine alte Zinktonne und hüpfte dann auf eine zweite, direkt neben ihm. Ninette fragte mit den Händen nach Weißbrot, das gerade hinter ihr aus dem Toaster sprang. Winnie reichte ihr eine der Scheiben. Ninette kann sich erstaunlich gut verständlich machen, dachte sie, obwohl sie gehörlos ist.

Auf die kleine Frühstücksüberraschung folgte tatsächlich eine größere, denn in diesem Moment erhob Grandpa noch einmal die Stimme: »Lasst es euch schmecken, Kinder, und stärkt euch für das, was da kommt: Heute Vormittag werden Ruthie und ich eure Lakritzetaler genauer untersuchen und einem Wirkungstest unterziehen.«

Yesss! Winnie lachte erfreut auf, als Cecilia ihr einen nach oben gestreckten Daumen zeigte. Auch ihre Schwester wusste, was sie sich so sehnlich herbeigewünscht hatte!

»Es wird sich über den ganzen Tag hinziehen, schließlich habt ihr da nicht wenige Pennys geschaffen.«

»Zwölf unterschiedliche genau!«, sagte Cecilia stolz, als ob sie die bunten Taler selber produziert hätte.

»Winnie hat das alles gemacht, Ceci und ich können es nämlich nicht«, rief Henry. »Wir können sie nur lutschen, und dann tun sie etwas mit uns!« Er umschloss seinen Löffel mit der Faust und rührte in seinem geliebten Porridge. »Da sind ja gar keine schwarzen Stückchen mehr drin, Granny-Ruthie.«

»Weil sie ihn nicht mehr kocht, sondern Marisa«, sagte Cecilia trocken. Alle lachten, auch Grandma Ruth.

»Dürfen wir dabei sein«, fragte Winnie atemlos, »wenn ihr die Pennys probiert?«

»Natürlich!«, bestätigte Grandpa. »Wir werden zu diesem Zweck gleich hier in dieser schönen Halle bleiben. Es schmerzt mich immer noch, dass ich sie fünf lange Jahre nicht betreten habe.«

Ein warmes Gefühl breitete sich in Winnies Bauch aus, und das kam nicht von dem Tee darin: Es war so weit! Schon bald würden die Großeltern erfahren, was sie konnte!

Wenn diese Kinder wüssten …

 

… dass sie noch gar nichts wussten! Nicht über seine nächste Überraschung, die schon auf dem Weg war, nicht über ihn und über die Geheimnisse der Welt auch nicht!

Der kleine Junge, Minor, war natürlich besonders ahnungslos. Er würde noch ein paar Jahre brauchen, um überhaupt seinen ersten Gedanken selbständig zu denken und seine Schlüsse zu ziehen. Mit fünf Jahren dachte man eben noch in Bildern und träumte ständig vor sich hin, so war das doch, oder? Er konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie er mit fünf gewesen war. Jedenfalls ziemlich alleine, so viel stand fest. Auch Minor war ziemlich alleine, denn er war ständig von Mädchen umgeben. Aber in Zukunft würde er nur noch mit ihm zusammen sein, mit ihm, seinem großen, brüderlichen Freund!

Er nickte bedächtig, während er sich sein Frühstück schmecken ließ. Die zwei Jungen aus dem Lions Tower – einer war jünger und noch recht neu, einer war schwarz – keine Ahnung, wie sie hießen – hatten Dienst heute, und sie machten ihre Sache recht anständig, ja doch, er hatte sie gut erzogen. Hier und da eine einschüchternde Drohung und ab und zu ein klitzekleines Lob, das ergab zusammen mit der Lakritzedosis die perfekte Mischung und sorgte für Unterwürfigkeit! Er schnippte mit den Fingern – »Duda!« – und ließ sich noch einmal Tee eingießen. Zwei Stück Zucker, korrekt, auch das hatten sie gelernt. Angewärmte Kanne, einen Schuss Milch vorher in die Tasse, nie danach! Toast, Butter und seine selbstgemachte Orangenmarmelade, mehr brauchte er nicht, um sich königlich zu fühlen!

Wenn die beiden Dudas später abräumten und seine großzügige Wohnung im King-Tower in Ordnung brachten, würde er sich anschauen, wie die Arbeiten in seinem Unterschlupf auf der Halbinsel vorankamen. Es waren Schulferien, also hatte die Belegschaft seiner Firma bereits viel Zeit gehabt, den Ausbau des Kellers fortzuführen.

Die Mitarbeiter der MTF (das hieß übrigens Meine-Traum-Firma, eine seiner großartigen Ideen, jawohl!) kamen natürlich alle aus dem Internat; es waren Schüler, die zu Hause nicht erwünscht waren und deswegen immer hierbleiben mussten. Diese armen, heimatlosen Versager bekamen ihre tägliche Lakritzeration, schön einzeln auf sie abgestimmt, und durften sich bei ihm nützlich machen. Er hoffte für sie, dass sie alles nach seinen Plänen durchgeführt hatten, in drei Tagen sollten sie fertig sein!

Die Frischluftzufuhr im Keller war das Wichtigste, denn brauchte ein kleiner Junge etwa Fenster? Wohl kaum! Platz zum Rennen gab es in den geräumigen Fluren dagegen genug, und in den Laboren war immer künstliches Licht.

Er streckte sich genüsslich, das Katzentier neben ihm hatte seine Dosis für heute auch schon bekommen und machte es ihm nach.

Wann würde die nächste Stufe seines Plans wohl zünden? Heute schon oder erst morgen? Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, sagte man das nicht so? Oder sie sorgen für Chaos! Er rieb sich die Hände. Ein Chaos, das ihn bald, sehr bald, ans Ziel seiner Pläne bringen würde!

2. Kapitel – Winnie kommt ans Ziel! Fast

Kaum war das Frühstück beendet, suchten die Geschwister alle Pennys aus ihrem Gepäck hervor und brachten sie in die Wunderfabrik. Winnie zitterte innerlich vor Anspannung. Würden ihre Lakritzetaler die Großeltern so weit überzeugen, dass sie weitermachen durfte? Aber klar, versuchte sie sich zu beruhigen, die Wirkung ist doch nicht zu übersehen!

Die Bewohner der Villa waren vollzählig versammelt, und es herrschte eine feierliche Stille in der hohen Halle. Ruth und Herb warfen sich ernste Blicke zu. Die Lakritzetaler lagen aufgereiht auf dem Tisch und leuchteten in allen Farben. Das Geschirr war nur beiseitegeschoben worden, so eilig hatten die Großeltern es auf einmal gehabt, die Pennys zu probieren.

»Braucht ihr Hilfe?«, fragte Cecilia. »Ihr dürft natürlich nicht vorher wissen, welche magische Wirkung der Lakritzetaler hat, den ihr bekommt!«

»Ich glaube, das nennt man Blindverkostung«, sagte Marisa fröhlich und klatschte in die Hände. »Unser fähigster Mann wird das entscheiden und genau notieren. Und, mit welchem fängst du an, Hugo?«

Hugo tippte wortlos auf zwei der Pennys. »Ninette wird mir assistieren. Sie kann gut mit Worten umgehen. Also … nun ja, wenn sie sie aufschreibt!«

Ninette saß mit einem großen Schreibblock auf einem der alten Fässer und nickte stumm, wie immer.

»Wir werden die Qualität der Taler aber erst abschließend bewerten«, gab Grandpa zu bedenken und warf Winnie einen seltsam strengen Blick zu, bevor er sich auf einen von zwei Schreibtischstühlen setzte und sich eine hellblaue Schlafmaske vor die Augen schob. Grandma ließ sich auf dem andern Stuhl nieder und tat das Gleiche, und Henry lachte glucksend, weil die beiden so komisch aussahen.

Winnie presste die Lippen zusammen. Wie soll man Gefühle bewerten?, fragte sie sich. Entweder man hat sie oder nicht. Bei meinen Pennys gibt es keine Zweifel, sie entfachen starke Gefühlsgewitter in den Personen, die sie lutschen, und zwar mit genau den Gefühlen, die auf den Etiketten stehen. Ganz einfach, kapiert das doch endlich!

Sie spürte, wie die Ungeduld in ihr hochkochte und sie ganz kribbelig machte. Schade, dass die Pennys bei ihr selber nicht wirkten, sonst hätte sie sofort einen Nun-hab-mal-Geduld-Penny genommen, wie es ihn für die immer etwas ungeduldige, aufbrausende Grandma jetzt als Erstes geben sollte. Grandpa bekam indessen Redewut verabreicht, ohne dass er es wusste.

Und es funktionierte, natürlich funktionierte es! Die beiden lutschten bedächtig die Pennys, setzten die Masken ab, und schon redete Grandpa wie ein Wasserfall über seine Kindheit, während Grandma, die von Ninette ganz beiläufig einen übel verknoteten Bindfaden in die Hand gedrückt bekommen hatte, ihm mit Engelsgeduld zuhörte, sogar interessierte Fragen stellte und dabei ohne zu murren den Bindfaden entwirrte.

Nach einer kleinen Pause ging es weiter mit Ich-kann-das-und-will-es-unbedingt! und mit Ich-kümmer-mich-um-dich-nicht-nur-wenn-du-krank-bist, also mit dem Ehrgeiz- und dem Fürsorge-Penny. Grandpa versuchte plötzlich, einen der schweren Kessel über den Boden zu schieben, bis ihm der Schweiß über die Stirn lief, während Grandma sich mit einem Stift und einem Bogen Papier bewaffnete, nur um Winnie, Cecilia und Henry interessiert und liebevoll zu befragen, was getan werden müsste, damit sie sich bei ihnen in der Villa noch wohler fühlten.

»Super Idee, Granny-Ruthie«, rief Cecilia. »Schreib auf: Unser Zimmer soll gemütlicher werden, wie wäre es mit ein paar Vorhängen für die Fenster und einem Teppich auf dem Boden?«

»Und wir würden gerne das Schiff, die Mary, anschauen.« Das war Winnie.

»Und die Tauben in der ›Krake‹ anschauen!« (Henry)

»Und alle zusammen die zweite Etage anschauen!« Noch mal Henry. »Aber in den kleinen Aufzug steige ich nicht mehr!«

Nein, nein. Winnie strich ihm beruhigend über den Kopf. Henry träumte noch manchmal schlecht davon, wie er bei seiner ersten Entdeckungstour mit dem Lastenaufzug verloren gegangen war.

»Und es wäre cool, wenn Marisa täglich für uns kochen würde!« Cecilia rieb sich mit der Hand über ihren Magen, und Grandma notierte auch das.

Nach weiteren zwei Pennys behauptete Grandpa, dass er eine Pause brauche, denn die Gefühle seien doch recht intensiv und würden ihm gehörig zusetzen.

Gehörig zusetzen – ist das nun gut oder schlecht?, dachte Winnie, und laut fragte sie: »Ist dir übel?«

»Nein, nein.« Er sah sie wieder ernst, aber diesmal zuversichtlich an. »Wir gehen kurz in die Villa, um uns zu erholen. Ihr zieht eurem Bruder unterdessen etwas Ordentliches an, und in einer Viertelstunde treffen wir uns wieder hier. Dann geht es mit frischer Kraft weiter!«

 

Als Cecilia oben im Zimmer in aller Ruhe Henrys Anziehsachen zusammensuchte, wurde Winnie allein vom Zuschauen wieder ganz zappelig. »Ich halte das nicht aus!«, platzte es aus ihr heraus. »Warum nun schon wieder diese Unterbrechung? Ich will endlich von den Großeltern hören, dass alle meine Pennys toll sind und ich endlich neue machen darf!«

»Meine Güte, was ist an der kleinen Pause denn so schlimm?«, fragte Cecilia und half Henry mit dem Reißverschluss seiner Hose. »Die hatten es doch nach dem Frühstück selber total eilig. Trotzdem sind es Erwachsene, alte Erwachsene, vergiss das nicht. Wenn du jetzt den Fehler machst und drängelst, sagen sie garantiert nicht: ›Oh, wunderbar, liebe Winnie, leg mal richtig los mit deiner Pennymacherei!‹«

»Mir geht das aber zu langsam! Probieren, aufschreiben, auswählen, probieren … und dabei dieses konzentrierte Schmatzen bei geschlossenen Augen … ich könnte ausrasten!«

»Lass sie doch! Sie brauchen eben das Gefühl, dich und deine GABE kontrollieren zu können«, erklärte Cecilia, während sie die Treppe wieder hinuntergingen. »Solange sie das nicht haben …«

»… lassen sie dich nie, nie mehr in den Hustenschuppen!«, krähte Henry und hüpfte eine Stufe nach der anderen herab.

»O nein! Das wäre echt richtig mies!«, stieß Winnie hervor.

»Also benimm dich!«, sagte Cecilia, und Winnie hätte sie am liebsten ein bisschen geboxt.

Laut sagte sie: »Und dann ist da ja noch dieser komische ER, warum haben sie so große Angst vor ihm und verraten uns nichts? Wie sollen wir ihn denn erkennen, wenn wir nicht mal wissen, wie er aussieht? Warum sagen sie uns nicht endlich, was los war, damals, bevor er die Wunderfabrik ausgeräumt hat. Wie es dazu kam!«

»Ist doch klar, sie müssen erst mal kapieren, dass es besser ist, uns über alles, was geschehen ist, zu informieren.« Cecilia hatte die Haustür aufgestoßen. Zu dritt ließen sie sich auf den Stufen vor der Villa nieder, um auf die Großeltern zu warten.

Winnie seufzte: »Ich hätte Nichts-als-die-Wahrheit-Pennys machen und heimlich in ihrem Tee auflösen sollen.«

»Au ja, super Idee«, sagte Cecilia. »Pennys als Lügendetektor-Test!«

»Dann wüssten wir jetzt schon mehr«, sagte Winnie dumpf.

»Erinnerst du dich, Grandma wollte gestern gar nichts mehr essen, sie hatte richtig Angst vor deinen verzauberten Lakritzetalern …« Cecilia blinzelte in die Sonne.

»Und ganz sauer auf uns war sie auch!«

»Stimmt, Henry.« Winnie musste gegen ihren Willen lächeln. Obwohl Henry erst fünf war, war seinen Sätzen oft nichts hinzuzufügen.

»Und nun probieren die beiden die Pennys wenigstens mal aus, das ist doch schon ein riesiger Fortschritt!«, sagte Cecilia. »Ab jetzt wird’s nur noch cool, du wirst sehen!«

Zur gleichen Zeit, ganz in der Nähe …

 

… wurde heftig diskutiert. Herb und Ruth Wallace-Walker hatten sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen und sogar abgeschlossen, schließlich sollten weder die Enkel noch die ehemaligen Mitarbeiter in sämtliche Familiengeheimnisse eingeweiht werden, obwohl sie Hugo, Ninette und auch Marisa vertrauten.

»Wir müssen es ihnen sagen! Lange können wir es jedenfalls nicht mehr hinauszögern«, sagte Grandma Ruth in diesem Moment. Sie hatte das Kinn in die Hand gestützt und betrachtete nachdenklich das Schaubild, das die Wand bedeckte. Einige Namen sah man dort und viele Pfeile, deren Spitzen alle auf das Wort in der Mitte wiesen: ER.

Grandpa Herb folgte ihrem Blick. »Meinst du, mein teuflischer Großneffe Albert hat schon bemerkt, dass die Kinder bei uns sind?«

Grandma wiegte den Kopf hin und her. »Wir haben zwar Vorsichtsmaßnahmen getroffen, indem wir sie hierhergeholt haben, aber seien wir doch mal ehrlich: Wie sollte er das herausgefunden haben, Herb, das ist doch höchst unwahrscheinlich. Da müsste er uns ja schon abhören oder videoüberwachen, meinst du nicht?« Sie lächelte grimmig. »Mein Abwehrsystem für die Villa ist äußerst ausgeklügelt! Nachdem Das Malheur passiert ist, habe ich es in drei Wochen installiert und immer wieder überprüft!«

Doch ihr Mann war immer noch besorgt. »Marisa behauptete gestern, er sei bestimmt schon da, vielleicht bereits hier im Ort!«

»Ich mag Marisa, wirklich. Aber warum sollten Blinde immer recht haben mit ihren Behauptungen und ihren Ahnungen, nur weil sie nicht sehen können?«

»Nein, dass er schon hier ist, glaube ich auch nicht, davon hätten wir gehört, oder? Die Leute wissen doch noch, wie er aussieht, ganz unverändert, wie damals«, sagte Grandpa gedankenverloren.

»Es sind aber nicht mehr viele Menschen da, die ihn kennen«, erinnerte Ruth ihn.

»Es sind überhaupt nicht mehr viele Bewohner in unserem schönen alten Tullymore.« Grandpa strich sich über seinen kahlen Kopf und ordnete den weißen Haarkranz, der ihm noch geblieben war. »So ein nettes kleines Dörfchen, mit allem, was dazugehört, ein malerischer Hafen, Sandstrand, ein paar Läden und Pensionen. Und nun? Alles ausgestorben und verkommen. Das war ganz sicher sein Werk, dafür würde ich sogar mein kostbares Rezeptbuch verwetten!«

»Es könnte sein, dass er schon auf dem Weg zu uns ist«, überlegte Grandma. »Nicht auszudenken, wenn er sich demnächst in Tullymore einnisten sollte und mit den Kinder Kontakt aufnehmen würde! Sie kennen ihn ja nicht!«

»Du hast recht, little sausage, wir müssen ihnen erzählen, was er früher getan hat!«

»Wann?«, fragte Ruth ihren Mann.

»Sofort! Sobald wir die Pennys durchgetestet haben.« Herb wiegte seinen Kopf hin und her. »Dieses Kind! Dieses Winnie-Kind ist sehr begabt, und ich sollte stolz auf sie sein, doch ich habe eher Angst! Sie ahnt ja nichts von der schweren moralischen Last, die mit so einer phänomenalen Fähigkeit einherkommt.«

»Ich weiß, Herb, ich weiß.« Grandma tätschelte beruhigend seine Schulter. »Es ist faszinierend, was Winnie kann, aber wie du richtig sagst, sie ist ein Kind! Sie weiß noch nicht, was diese GABE für Gefahren birgt. Du hast als Kind doch wahrscheinlich auch so manches Mal … ein bisschen Unsinn gemacht?«

»Nichts da! Ich war immer äußerst besonnen und trotz meiner jungen Jahre sehr verantwortungsvoll!«

Ruth grinste. »Gut. Wir werden unsere Enkel umgehend über die drohende Gefahr informieren, wir bekommen das hin, auch wenn sie uns Löcher in den Bauch fragen werden.«

»Ach, ich höre sie ja schon!« Grandpa stöhnte. »Warum dies, Grandpa, warum das?«

»Bei all dem Durcheinander dürfen wir nicht das Große Treffen vergessen …«, sagte Grandma.

»Ach du meine Güte, die Jahresvollversammlung steht uns ja auch bevor! Das geht nicht! Nein, niemals!«

»Ganz deiner Meinung. Sollte Albert davon Wind bekommen haben, wartet er sicher nur darauf, das trubelige Chaos in diesen Tagen für sich zu nutzen.«

Statt einer Antwort sank Grandpa auf sein Bett. »Oh, oh, das Große Treffen, und ich, der Vorsitzende … ich weiß nicht, ob mein Herz das aushält.«

»Ich habe mir da etwas ausgedacht …«, sagte Grandma so milde, wie Herb sie nie zuvor vernommen hatte. Vielleicht waren das die Nachwirkungen des Pennys von vorhin. »Wir schreiben deinem alten Kumpel Old Cheddar. Der will schon seit Jahren, dass wir alle zu ihm nach Shrewsbury kommen. Soll er doch das Große Treffen diesmal dort ausrichten, und schon sind wir zumindest diese Sorge los!«

»Du hast immer wunderbare Ideen, Ruthie, komm her, hilf mir auf. Unsere begabte Winnie wartet bestimmt schon, wir müssen weitermachen!«

Sie waren gerade beim Testen der Pennys Nummer sieben und acht – umständliches Auswählen, langes Probieren, noch längeres Aufschreiben –, als eine Stimme plötzlich so laut »Hello-hoo, and good morning!!« durch die Halle rief, dass alle zusammenzuckten.

Eine Person erschien zwischen den beiden Aufpasser-Drachen und kam aus der Entfernung auf sie zu. Winnie sah, wie Cecilias Hals sich erwartungsvoll in die Höhe reckte. Natürlich, ihre Schwester wartete darauf, dass Robin endlich auftauchte, gestern hatten sie ihn den ganzen Tag nicht gesehen. Wie Robin trug der Jemand eine orange Kappe, dazu eine Briefträgeruniform mit kurzen Hosen und war, bei näherem Hinsehen … nicht Robin.

Cecilia fiel wieder in sich zusammen, und Winnie schüttelte den Kopf; wer nicht Robin war, interessierte ihre Schwester nicht.

Und was, wenn dieser Typ da der geheimnisvolle ER ist?, dachte sie alarmiert. Vielleicht will er sich verkleidet hier reinschleichen? Doch da rief er schon: »Ach, Mr. und Mrs. Wallace, Sie haben’s sich seit langem mal wieder in der Fabrik gemütlich gemacht, sind wohl Ihre Enkelkinder, die drei?«

Winnie schluckte. Das hörte sich nicht nach »geheimnisvoll« an …

»Nein, und das ist übrigens nichts, das dich etwas angehen würde, Steve«, sagte Grandpa kurz angebunden. »Wie kommst du hier herein?«

»Die Einstiegsluke stand sperrangelweit offen!« Der Mann, der offenbar der Postbote war, schaute sich in aller Ruhe um. »Na, das steht ja alles noch, ist Jahre her, seit ich hier zuletzt drin war!«

»Gib her!«, sagte Grandpa, er unterschrieb und nahm das kleine Paket in Empfang.

»Wollt’s nicht vor die Tür legen«, sagte Steve, der Grandpa seinen unfreundlichen Ton nicht übelzunehmen schien. »Werden ja neuerdings schon die leeren Milchflaschen im Dorf gestohlen.«

Eilig stapfte er wieder aus der Halle, während alle Grandpa dabei zusahen, wie er das Päckchen öffnete.

Umständlich holte er ein gutverpacktes Schraubglas mit orangem Inhalt hervor. »Marmelade«, murmelte er. »Sweet bitter Orange.«

»Von Old Cheddar?«, fragte Grandma.

»Vom guten alten Cheddar aus Shrewsbury«, bestätigte Grandpa nach einem Blick auf den Absender. »Er freue sich schon, uns zu sehen, hat er noch dazugekritzelt.«

»Ach du meine Güte, das ist ja nett, aber … Noch ein Grund mehr, sich bei ihm zu melden und ihn umgehend … na du weißt schon, über gewisse Dinge zu informieren!«

»O ja, unbedingt!«

Winnie sah zwischen den beiden hin und her. Schon wieder sprachen ihre Großeltern in Rätseln.

Cecilia schien die letzten Worte nicht gehört zu haben: »Old Cheddar? Wie kann man denn so heißen?«, fragte sie und lachte los. »Sieht der aus wie ein alter Käse oder riecht er nur so?« Großes Gelächter, auch Winnie lachte ein bisschen mit, obwohl ihr nicht danach zumute war. Konnten sie jetzt bitte mal weitermachen?

Doch Hugo erklärte zunächst lang und breit, dass sich dieser alte Apotheker größtenteils von altem Cheddar Cheese ernähre und immer ein Stück davon bei sich habe. Winnie seufzte. Hallo!? Was war mit ihrer magischen Lakritze? Wenn sich alle ein bisschen beeilten, könnte sie an diesem Nachmittag schon mit Grandpa neue Pennys herstellen, sie hatte so viele gute Ideen! Sie sah sich schon in einem Topf Lakritzemasse rühren, die sich durch ein paar Kräuter von finsterem Schwarz in ein wunderschönes Königsblau verwandelte …

»Na, wer will einmal probieren?« Grandpa öffnete das Glas und schnupperte genießerisch daran.

»Ist das süß?«, fragte Henry. »Dann will ich auch!«

»Lieber nicht, Henry«, warnte Cecilia. »Wenn das letzte Glas auch schon von Old Cheddar war, ist das Zeug so bitter, als ob du in die Schale einer Orange beißen würdest! Wir haben davon mal gegessen, weißt du noch, Winnie?«

»Was?« Winnie wurde unsanft aus ihrem Lakritze-Tagtraum gerissen.

»Wir haben schon mal Orangenmarmelade gegessen, auf einer Scheibe vom traurigen Kastenbrot von Bäcker Owain«, sagte Cecilia, und sie schüttelten sich gemeinsam bei der Erinnerung, während Grandpa sich eine der übrig gebliebenen Toastscheiben nahm und einen großzügig bemessenen Löffel darauf verstrich. Dann reichte er das Glas an Hugo weiter, der höflich ablehnte.

»Ninette?«

Stummes Kopfschütteln.

»Marisa?«

»No gracias!«

Grandpa übergab das Glas an Grandma.

»Ach, köstlich«, sagte Ruthie, nachdem sie probiert und einen Marmeladentoast mit drei großen, gar nicht wohlerzogenen Happen verschlungen hatte. »Absolut empfehlenswert, ihr wisst ja nicht, was euch entgeht. Aber jetzt zurück an die Arbeit, wo waren wir stehen geblieben?«

Bei meinen Pennys!, hätte Winnie am liebsten gerufen, sie musste sich zusammenreißen, um nicht mit dem Finger darauf zu zeigen. Bei meinen Pennys und meinen magischen Fähigkeiten!

»Nun, bei den bunten Lakritztalern hier!« Grandpa kratzte sich am Kopf. »Festzustellen ist zunächst einmal: Mit der Magie kommt eine gewisse Moral ins Spiel, die niemals untergraben werden darf, das ist ganz wichtig, Winnie. Das alles hier ist auf keinen Fall ein Spaß, verstehst du?«

»Was? Was ist kein Spaß?« Winnie beugte sich vor, um Grandpa besser ins Gesicht schauen zu können. Hatte irgendjemand in der Halle verstanden, was er sagen wollte?

»Dein Großvater meint, dass die GABE nicht unangemessen eingesetzt werden darf!« Grandma schob ihren Stuhl ein bisschen vor, angelte nach einem Stück Toastbrot und griff vor sich hin summend wieder nach der Marmelade.

»Eins können wir aber schon zu Protokoll geben!« Grandpa leckte genüsslich seine Finger ab, und Winnie stellte sich ganz gerade hin. War es nun endlich so weit, würde er sie loben und sagen, dass sie die GABE viel stärker als er habe und dass er sich freue, mit ihr zusammen wunderbare Wunderlakritze …?

»Und das ist ein sehr wichtiger, aber nicht sehr lustiger Punkt, Winnie!«, unterbrach er ihre Gedanken. »Überhaupt nicht lustig!«

Winnie spürte, wie sie schrumpfte.

»Es tut mir leid, Kind, aber was du da herstellst, sind lediglich Kinkerlitzchen und kleine Albernheiten! Vermeintlich lustige Dinge, die aber keinesfalls mit unserer Magie belegt werden sollten, dazu ist unsere Familienehre zu heilig!«

»Keinesfalls?« Winnies Hals wurde eng und immer enger. Kinkerlitzchen? Albernheiten? Wovon redete er da? Sie hatte nur verstanden, dass wieder einmal etwas verboten war, was sie getan hatte.

Auch Grandma nickte. »Das ist eine ernste Sache, weißt du, Winnie? Oder dient es deiner Meinung nach einem höheren, edlen Zweck, plötzlich zu reden wie ein Wasserfall? Oder sinnlos, also völlig aus dem Nichts heraus, gute Laune zu haben? Doch wohl kaum!«

»Aber …!«

»Und die rosa Verliebtheitspennys!«, warf Grandpa ein, bevor Winnie sich verteidigen konnte. »Du meine Güte, ich dachte, ich bin wieder zwanzig und hätte meine Ruthie gerade frisch kennengelernt!«

»Aber das war doch voll romantisch eben!«, warf Cecilia ein. »Ihr wart so süß zusammen!«

»Das ist äußerste, schändlichste, schädlichste Manipulation!«, rief Grandpa so aufbrausend, wie sie ihn noch nie gesehen hatten.

»Ach, na ja«, Grandma seufzte leise. »Es war eigentlich ganz schön.« Sie schloss die Augen für ein paar Sekunden, bevor sie sie wieder weit aufriss und dabei ein bisschen spooky aussah. »Aber das geht natürlich nicht! Künstlicher Liebestaumel, ich bitte euch!«

Alle schauten sich untereinander an, doch niemand redete.

»Was ist Manni-pulla-dingsda?«, fragte Henry schließlich.

»Wenn du jemanden dazu bringst, etwas zu tun, was er vielleicht gar nicht möchte«, erklärte Cecilia. »Dann manipulierst du ihn. Aber jetzt mal im Ernst, Grandpa! Die Pennys von Winnie sind doch cool und total gut zu gebrauchen!«

»Ja schon! Nein! Aber eben deshalb …« Grandpa wand sich plötzlich, als ob er Juckpulver im Kragen hätte, dann wurden seine Bewegungen langsamer. »Es gibt da so etwas wie eine Berufsehre, die darf nicht … auf keinen Fall, also, es ist strengstens … ach, jetzt habe ich den Faden verloren … was wollte ich sagen? Ruthie, hilf mir doch mal!«

»Äh. Ja …« Grandma sah aus, als ob sie einer Melodie lauschte, die nur in ihrem Kopf spielte. »Ganz einfach: Herb erklärt euch das später.«

Später? Winnie fiel die Kinnlade herunter vor Empörung, doch sie brachte keinen Ton heraus.

»Wann?«, fragte Cecilia unnachgiebig. »Können wir bitte einen genauen Termin festlegen?!«

»Vielleicht schon morgen, spätestens aber …« Grandpa schaute auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist es halb elf …« Er verstummte und schaute unschlüssig in der Halle umher. Winnie spürte ein Gefühlsgewitter herangrollen. Was war mit ihm los? Sie hatte doch sofort heute Nachmittag mit den neuen Pennys anfangen wollen!

»Natürlich dürft ihr auch weiterhin mit niemandem über … über Winnies GABE reden!« Grandpas Stimme wurde immer leiser. »Man kann nie wissen, wer … wer …«

»… wer sich da draußen herumtreibt«, beendete Hugo den Satz, bevor es zu peinlich wurde.

»Ein Monster?«, hauchte Henry in die Stille, und seine Unterlippe zitterte, als ob er gleich anfangen würde zu weinen.

»Nein, kein Monster, ER. Denn dieser ER … also der …« Wieder brach Grandpa mitten im Satz ab, als ob ihm die Worte nicht einfielen, und da Grandma auch nichts sagte, war es diesmal Marisa, die ihm half: »ER könnte davon erfahren, dass Winnie die GABE hat!«

ER! Da war er wieder, dieser unheilvolle, merkwürdige ER!

Winnie wechselte einen Blick mit Cecilia. Warum stotterte Grandpa so herum? Und warum machte er ihrem kleinen Bruder erst Angst, wollte dann aber nicht damit herausrücken, wer derjenige war, vor dem sie Angst haben sollten? Das war nun mehr als bescheuert!

»Morgen erklärst du uns das also!«, drängte Cecilia erneut. »Doch vergiss nicht, wir wollen diesmal nicht die halbe Wahrheit, sondern alles wissen, auch was am Tag des katastrophalen Malheurs wirklich passiert ist!«

»Auch das, auch das, meinetwegen … aber Winnie, jetzt ist erst mal Schluss mit den Experimenten! Nicht auszudenken, wenn du … wenn ER, na, du weißt schon!« Herb schüttelte gedankenverloren den Kopf.

Nein, sie wusste nichts! Winnie merkte, wie die Wut bereits in orkanartigen Böen durch ihren Körper fegte. Mit niemandem drüber reden, bloß keine neuen Pennys mehr erfinden, das hatte sie in den letzten Tagen schon so oft gehört. Sie ballte ihre Fäuste in den Hosentaschen, um nicht schreiend hinauszulaufen. Es war zum Heulen, dabei hätte doch ab heute alles anders werden sollen!

»Aber wir lassen uns diesen herrlichen Morgen von alldem nicht verderben!«, rief Grandpa in diesem Moment. Sein Gesicht sah auf einmal total entspannt aus, als ob irgendwo in seinem Körper ein Schalter umgelegt worden war. »Egal, wo er ist und was er treibt, wir haben es hier so schön, in unserer guten alten Fabrik!« Er stand auf und schob den abgeschabten Schreibtischstuhl vor sich her an das nächste Fenster. »Komm, Ruthie, machen wir es uns gemütlich, schließlich dürfen wir auch mal Ferien haben!«

Winnie schaute verwundert die drei vom Tragischen Team an. Ferien haben?! Ausgerechnet in diesem Moment?

Grandma streckte und dehnte sich ausgiebig auf ihrem Stuhl und ließ sich von Grandpa ebenfalls ans Fenster rollen. Mit einem hochzufriedenen Seufzer nahm er neben ihr Platz. »Ach, tut das gut!«

»Ich spür sogar mein übles Rheuma in den Gelenken nicht mehr«, sagte Grandma. »Kann bitte jemand Herb seinen Tee bringen? Danke. Sehr freundlich!«

 

Was soll das denn jetzt?, fragte Winnie wortlos mit ihren Händen. Ninette und Hugo zuckten mit den Schultern.

»Ich durchschaue es noch nicht so ganz«, sagte Marisa leise. »Sie sitzen am Fenster und wollen Ferien machen?«

»Korrekt«, bestätigte Hugo. »Täusche ich mich, oder war in den letzten Pennys irgendetwas zum Entspannen?«

»Nein!«, rief Winnie außer sich. »Sie hatten nur den Neugierde- und den Verliebtheitspenny! Nix mit Entspannen!«

»Sie chillen, oder?«, krähte Henry.

»Ja.« Cecilia nahm die Rückseite der beiden Stühle ins Visier, hinter denen Grandma und Grandpa komplett verschwunden waren, man sah nicht einmal mehr Granny-Ruthies orangene Haare. Sie ging darauf zu, vorsichtig, als ob sie eine Explosion fürchtete, wenn sie zu stark auftrat. »Sie chillen seelenruhig. So kann man das wohl nennen.«

3. Kapitel – in dem zwei Leute plötzlich recht seltsam werden

Winnie konnte es nicht fassen: Da waren sie nun alle in der Wunderfabrik versammelt, doch die Großeltern saßen nur megaentspannt in ihren Stühlen und schauten hinaus auf den Strand.