Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft - Stefanie Gerstenberger - E-Book

Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft E-Book

Stefanie Gerstenberger

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Beschreibung

Charlotte, genannt Charles, ist einfach nur wütend! Wie kann man nur so nachgiebig sein wie ihre Mutter Marion? Da passiert es: Am Morgen nach einem Streit wacht Charles plötzlich in Marions Jugendzimmer auf. Charles ist in der Zeit zurückgesprungen und sieht sich ihrer fünfzehnjährigen Mutter gegenüber! Marion trägt grässliche Latzhosen, badet nackt und tobt sich aus in den wilden Achtzigern. Charles ist erst fassungslos - und dann fasziniert. Wird sie jemals zurück in die Zukunft gelangen? Und will sie das überhaupt?

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Seitenzahl: 458

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Stefanie Gerstenberger Marta Martin

ZWEI WIE

ZUCKER UNDZIMT

ZURÜCK IN DIE SÜSSE ZUKUNFT

 

 

 

 

Stefanie Gerstenberger und Marta Martinsind Mutter und Tochter und legen mit Zwei wie Zucker und Zimt ihren ersten gemeinsamen Roman vor. Stefanie Gerstenberger wurde 1965 in Osnabrück geboren und studierte Deutsch und Sport. Nach Stationen in der Hotelbranche und beim Film und Fernsehen begann sie, selbst zu schreiben. Ihre Italienromane sind hoch erfolgreich. Marta Martin, geboren 1999 in Köln, ist eine junge Nachwuchsschauspielerin und wurde durch ihre Hauptrolle in »Die Vampirschwestern« bekannt. Die beiden leben in Köln.

 

 

 

 

 

 

1. Auflage 2015 © 2015 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen Umschlaggestaltung: Petra Hämmerleinova ISBN 978-3-401-80515-3

www.arena-verlag.de

1. KAPITEL

4. Mai 2015, nach der Schule

Ich hasste es, wenn Mama so guckte. Diese großen Rehaugen und diese zusammengepressten Lippen. Und wie sie wieder dastand: den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Voll daneben! Wie ein Kind, das ausgeschimpft wird.

Geräuschlos zog ich die Tür hinter mir zu und ging weiter in das Café hinein, um besser zuhören zu können. Die Stimme von DDD war leise, aber durchdringend. Wie eine Kreissäge, gegen deren penetrantes Sirren nicht mal Ohrstöpsel halfen. DDD war übrigens die Abkürzung für Die Doofe Dagmar. Den Namen hatte ich für sie erfunden, als ich acht war. Mittlerweile war ich fünfzehn, aber Mama fand es immer noch nicht gut, wenn ich ihre Schwester so nannte.

»Ich denke nicht, dass das für uns interessant ist«, sagte DDD in diesem Moment.

»Aber es wäre ja nur für ein, zwei Tage … meinst du nicht?«

Wow! Meine Mutter gab DDD tatsächlich mal Widerworte.

Dagmar war nicht nur meine Tante, sondern auch Bestimmerin, Richterin und Herrscherin. Auch über die ewig knappen Finanzen. Kurz: DDD war Gott. In diesem Haus jedenfalls.

Und Mama? War nichts. Dass sie überhaupt protestiert hatte, grenzte schon an ein Wunder.

Ob es an dem Typen lag, der vor den beiden stand, in diesem Moment enttäuscht mit den Schultern zuckte und die Arme ausbreitete? Groß, breites Kreuz und für einen Mitteluralt-Mann noch ziemlich viele blonde Haare auf dem Kopf. So viel konnte ich von hinten erkennen. Und Mamas Augen, die ihn anflehten: Ja! Rette mich, mein cooler Ritter, ich bin’s, die gefangene Prinzessin, die dir jeden Wunsch von den Augen abliest, wenn du sie hier rausholst …! Typisch Mama. Wenn ihr einer gefiel, machte sie einen auf scheues Reh. Zu allen anderen war sie frech. Und manchmal witzig und … ach … Ich hatte keine Ahnung, was sie machte, keine Ahnung, wie dieses ganze Ding mit der Liebe funktionierte. In diesem Haus hatte niemand Ahnung davon.

Mama hatte schon seit Jahren keinen festen Freund, sie brachte jedenfalls keinen mit nach Hause. DDD interessierte sich nicht für Männer, aber auch nicht für Frauen, und ich? Ich war seit Januar in Timo verliebt. Jetzt war es schon Anfang Mai, doch er schaute mich nicht mal richtig an. Wie brachte man einen Jungen dazu, zurückzuschauen, zurückzulieben? K. A. Keine Ahnung. Wir waren in diesem alten Café gefangen, eine Ansammlung von Loserinnen, und ich die allergrößte.

»Wir würden pro Tag richtig viel Geld verdienen, Dagmar! Nicht wahr, Herr …«

»Nennen Sie mich Fynn!«

Er sprach mit tiefer Stimme und einem komischen Dialekt. Irgendwie süß klang das. Selbst aus ein paar Metern Entfernung konnte ich sehen, wie sich Mamas Wangen rosarot verfärbten. Sie merkte es wohl auch, es war ihr wahrscheinlich peinlich, denn sie blickte schnell nach unten. Manchmal war sie so tough und dann wieder gar nicht. Ich verstand das einfach nicht.

Nennen-Sie-mich-Fynn redete weiter: »Wir würden Ihr Café nur für zwei Tage für unsere Spielfilm zum Drehen benutzen, ja? Es hat ja immer noch so eine ganz heimeligge Charakter. Wir müssen es mit unsere eigene Möbelen einrichten, ja?«

Unsere eigene Möbelen … Ich wusste, jetzt schmolz meine Mutter endgültig dahin. DDD nicht. Sie war die Unbarmherzige, die Harte, die ständig recht haben musste. Ich schaute mich um.

Café Zimt stand immer noch spiegelverkehrt in geschwungenen Buchstaben auf der Glastür zwischen den beiden Schaufenstervitrinen, die in den flachen Anbau eingefügt waren. Manchmal blieben Leute stehen, um sich diesen Anbau anzusehen, der wie eine Shell-Muschel aus unserem Haus herauswuchs. Die Front war rund und die Scheiben natürlich auch. Echt 50er-Jahre eben. Doch das Café gab es schon lange nicht mehr.

Dort, wo früher ovale Tische, kleine Sesselchen und Stühle mit geflochtenen Rückenlehnen gestanden hatten, hatte DDD Plastikregale aufgestellt. Hinter einem von ihnen versteckte ich mich gerade. Sie hatte eine Reste-Rampe aus dem Café gemacht, in der man außer blassen Brötchen und Croissants auch Toaster, Thermoskannen und Strandhandtücher für den kommenden Sommer erstehen konnte, der dann doch immer verregnet war. Und dann gab es noch die Sechserpacks der platten Schokoladenhasen am Stiel, auf die ich es in diesem Moment abgesehen hatte. Die so herrlich im Mund schmolzen und mich zwar nicht glücklicher, aber dicker machen würden. Das alles hatte Tante DDD uns eingebrockt. Und sie war auch noch stolz auf ihr Werk.

»Nein, Herr Fynn«, sagte sie gerade laut, »wir können unseren Betrieb nicht schließen, wir müssen auch an unsere Kunden denken. Das ist viel zu viel Aufwand für uns. Die paar Hundert Euro behalten Sie mal schön für sich!«

Kunden? Wen meint sie denn? Die gehen doch sowieso schon alle in den Supermarkt, um Brot zu kaufen.

»Äh … tja …« Mama lächelte den Blonden entschuldigend an, »wir können ja noch einmal darüber nachdenken.«

»Nein. Ich glaube kaum, dass wir darüber nachdenken«, fuhr Dagmar dazwischen, während ihr angewiderter Blick der Visitenkarte folgte, die der Mann gerade in Mamas Hand wandern ließ. Als ob das kleine Stück Papier eine giftige Kröte wäre. »Und du schon mal gar nicht, Marion!«

Ich hatte größte Lust, meiner Tante eine reinzuhauen. Der Wunsch wiederholte sich in letzter Zeit sehr oft. Ich wurde schon aggressiv, wenn ich nur sah, wie sie morgens um sieben mit Aktentasche und Tee in der Thermoskanne in ihre AVG-Versicherung abzog. Dort lehnte sie den ganzen Tag lang Versicherungsansprüche ab. Bis nachmittags um vier klatschte sie den Menschen am Telefon übelste Sprüche um die Ohren und abends machte sie dann mit Mama und mir weiter.

Apropos Mama: Die drehte sich in diesem Moment wortlos um und verschwand im Durchgang zur Backstube. Das kannte ich schon. Wenn es schwierig wurde, verkroch sie sich dort.

Ich biss die Zähne aufeinander, bis ich meinen Kiefer knacken hörte. Warum landete meine Wut auf Tante Dagmar in letzter Zeit so oft bei Mama? Ich wollte ihr nicht wehtun. Und dann wieder doch. Ich atmete hinter meinem Regal tief durch, aber die Wut blieb und plötzlich wurde ich unheimlich traurig. Ich musste an die roten Bänke denken, auf denen ich als kleines Kind herumgeklettert war, und an das glatte Leder, mit dem sie bespannt waren und auf das ich meine Wange gelegt hatte. Vielleicht kamen diese Erinnerungen aber auch nur von den Fotos … wo war Mamas altes Album eigentlich? Das musste ich unbedingt mal wieder anschauen! Am besten gleich, noch vor den Hausaufgaben.

Ich hasse dich, Dagmar, und sorry … dich auch, Mama. Dann schlich ich genauso unbemerkt, wie ich gekommen war, rückwärts zur Tür und hinaus.

Ich ging einmal um das Haus und schloss die Haustür auf. Die Scharniere quietschten laut auf, wie immer. Solange ich denken konnte, wohnten wir schon über dem Café – oder über dem, was davon übrig war. Es lag am Ende einer Straße, die auf einem Platz endete. Dem Goetheplatz. Ein großartiger Name für einen von Häusern umstellten Wendekreis, auf dem genervte Autofahrer eine Runde drehten, weil sie sich verfahren hatten. Nicht gerade eine tolle Lage für vorbeilaufende Kunden, die zufällig einen Toaster kaufen wollten.

Ich machte einen kurzen Besuch in der Küche, stand planlos vor dem Kühlschrank und las zum tausendsten Mal die schlauen Magnetsprüche, die Mama an seine Tür gepappt hatte. »Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren? (Vincent van Gogh)«. Na toll, Mama. Keine einzige dieser Weisheiten hast du jemals befolgt. Dann öffnete ich den Kühlschrank und starrte hinein, schön kalt kam es da raus. Schließlich ging ich nach nebenan ins Wohnzimmer. Warum war Dagmar heute überhaupt so früh dran, fragte ich mich, gab mir aber selbst sofort die Antwort. Es war Montag, da machte sie immer den Papierkram vom Café und nervte uns bereits am frühen Nachmittag mit ihrer Anwesenheit.

Das Zimmer meiner Mutter war nur durch eine Tür vom Wohnzimmer getrennt, eine Schiebetür, die man noch nicht einmal abschließen konnte. Warum quetschten wir uns hier auf dieser Etage zusammen – und Dagmar hatte den ganzen zweiten Stock? Noch so eine ungerechte Scheiße. Ich machte ein kleines Pupsgeräusch mit meinen Lippen. Wie wollte Mama denn jemals einen Typen nach Hause bringen, wenn jeder sie überraschen konnte? Aber das war ihr Problem. Und das mit den Typen wollte ich mir lieber gar nicht näher vorstellen. Das mit meinem Vater hatte sie ja auch nicht hinbekommen. Aber so was von überhaupt nicht! Es gab ihn einfach nicht in meinem Leben. Noch nicht mal besuchen konnte ich ihn. Echt mies.

Wo war das Fotoalbum?

Ich fand es in einem Schrank neben Mamas Ordnern, auf denen Versicherung, Bank und lauter langweiliges Zeug stand, und klemmte es mir unter den Arm.

In meinem Zimmer warf ich das Album auf das Bett, das noch genauso unordentlich aussah, wie ich es heute Morgen verlassen hatte. Rucksack und Jacke ließ ich auf den Boden fallen, ich war viel zu warm angezogen für das Sommerwetter da draußen. Schnell zog ich den Rest der Schuluniform aus. Warum trug ich eine Schuluniform, mitten in Deutschland? Dunkelblauer Rock, hellbraune Bluse. Im Winter gehörte noch ein blauer Pullover dazu. Die tollste Farbkombination der Welt, um Teenager in Depressionen zu treiben.

Ohne auch nur einen Blick in den Spiegel schlüpfte ich in meine dünne graue Schlabberhose und ein ebenso graues T-Shirt. Ich biss in das erste von drei Croissants, die ich nebenan in der Küche gefunden hatte. Von gestern. Machte nichts, Hauptsache, mein Mund war schön voll. Ich nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, stellte MTV so leise, dass es gerade noch zu hören war, klappte den Laptop auf und loggte mich bei Facebook ein. Wenn Timo meine Freundschaftsanfrage von gestern beantwortet hätte, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt!

Die Seite baute sich auf, mach schon, mach schon …!

Yes! Er hatte es tatsächlich getan, ich musste an mich halten, um nicht vor Freude aufzuschreien. Timo, der Schwimmer, der Coole, der hübscheste, süßeste Junge der Edstone Boarding School, war jetzt mit mir befreundet! Sein Profilfoto war der Hammer. Auf dem sah er fast noch besser aus als in echt … Seine hellblauen Augen bohrten sich in meine, als ob er mir etwas sagen wollte, und er hatte mich auch gleich eingeladen, DungeonCity zu spielen.

Als mein Blick auf die Anzahl seiner Freunde fiel, sank meine Laune schlagartig. 732. Wie konnte man 732 Freunde haben? Ich hatte 26 und sieben von denen kannte ich kaum.

Eifersucht zog wie ein Schwarm Piranhas durch meine Eingeweide. Ich war nur irgendein Mädchen vom Schulhof für ihn. Wie würde er mich seinen 732 Freunden beschreiben, wenn sie nach mir fragten? Nur mal angenommen, sie fragten nach mir. Charlotte Zimt, meinen Namen musste er jetzt ja kennen. Genannt Charles. Kupferrote, ziemlich tolle Haare, richtiger Busen und auch sonst ordentlich was dran. Würde er das wirklich über mich sagen? Jungs teilten uns in andere Kategorien ein als wir Mädchen uns selbst, so viel hatte ich auch schon kapiert. Aber Timo nicht, der war bestimmt nicht so.

Immerhin konnte ich nun ausführlich seine Profilseite durchstöbern, seine Fotos anschauen, seine zahlreichen weiblichen Freunde begutachten, seine letzten Postings durchlesen. Er fand Greenday gut? Und How I Met Your Mother? Wie witzig war das denn? Aber wer war das Mädchen mit den blonden langen Haaren auf seiner Seite, das sein duckface in die Kamera hielt. Sollte wohl verführerisch wirken … Bei mir sähe die schmollige Schnute, die sie zog, absolut bescheuert aus.

Ich seufzte mit vollen Backen und wischte einige Brösel von der Tastatur, die von meinem Kinn gefallen waren. Timo war so cool, niemals würde ich ihn ansprechen können. In der Pause schlenderte ich immer auf die Rückseite des Schlosses, ja, unsere Angeberschule war in einem ehemaligen Schloss untergebracht. Da, wo der Park anfing, hing er mit den Jungs aus seiner Stufe manchmal auf den Bänken rum. Ab und zu schaute er zu mir hinüber … und durch mich hindurch. Obwohl ich doch gar nicht so leicht zu übersehen war, mit meinen breiten Schultern, den kräftigen Beinen und dem nicht gerade schlanken Restkörper.

Timo war Stadtmeister über 100 Meter Rücken und Schul-Landesmeister über 200 Meter Butterfly. Er hatte für das Edstone, an dem alle Fächer auf Englisch unterrichtet wurden, schon viele Titel gewonnen. Sogar ins Landeskader wollten sie ihn holen. Ich zog den Bauch ein und strich mir über die verbleibende Speckrolle unter meinem Sweatshirt. Hey, ich hatte gerade auf die Schokoladenhasen verzichtet, ganz sicher würde ich das morgen früh auf der Waage schon merken. Ich grinste einen Moment, erst dann fielen mir die Croissants wieder ein … Wenn ich doch wenigstens sportlich wäre, eine Taille, einen flachen Bauch und durchtrainierte Arme und Beine hätte!

Ich zog meinen kleinen Skizzenblock aus den Tiefen meiner Schreibtischschublade und begann, mit einem sehr dünnen schwarzen Filzstift Linien zu ziehen. Mehrere Quadrate, die zu Kacheln wurden. Der Rand eines Schwimmbeckens. Nach nur wenigen Strichen hockte dort eine Charlotte mit einem super Körper. Ihr Kopf wirkte fein und grazil, ein kleiner Schwan, denn ihre großen Ohren hatte ich unter einer Badekappe aus dünnem Gummi verborgen, so wie Leistungsschwimmer sie trugen. Das war ich. Und ich sah toll aus! Nun kam Timo dran. Schön dicht neben Super-Charlotte. Ob er vom Bauchnabel abwärts so eine Linie aus Haaren hatte? Ich zeichnete sie ihm. Aber keine Badekappe. Ich malte ihm nasse Locken. Achtung, nicht zu kringelig. Jungs mit zu kringeligen Locken sahen scheiße aus. Wie er mich wohl nennen würde? »Charlott’«, wisperte ich. Da mein Vater Franzose war, hätte alle Welt mich sehr elegant Charlott’ rufen können. Was für eine Chance! Doch angeblich hatte mein Opa behauptet, dass ich dem englischen Thronfolger so ähnlich sähe, und so war Charles daraus geworden. Ich hatte meinen Opa geliebt, aber bitte … Doch nicht Charles! Meine Ohren waren längst unter den Haaren versteckt, Opa war gestorben, als ich vier war, der Name aber war geblieben.

Ich zwang meine Fantasie von dem immer so vertrocknet wirkenden Prinz Charles zurück auf das Papier. Timo und ich lachten miteinander, ich zeichnete seinen Arm um meine Schulter. Arme waren schwierig. Hände auch. Aber ich war gut. Es sah ganz echt aus. Nächstes Bild. Die beiden sollten sich umarmen. In Bild Nummer drei dann knutschen. Die Figuren mussten sich immer sehr ähnlich sehen. Den Trick hatte ich raus. Der ganze Block war schon voller Comic-Zeichnungen, die kein Mensch je gesehen hatte. Besser so. Besser für dich, DDD, besser für die meisten Lehrer und auch die meisten Mädchen aus meiner Klasse. Aber hier, Timo, der sah echt süß aus!

Wenn ich doch bloß irgendwann mit ihm so sitzen könnte! Ich würde die nasse Haut seines nackten Brustkorbs spüren und meine Lippen daraufpressen. Er würde nach Haut und ein bisschen nach Chlor schmecken, perfekt! Er würde mein Kinn mit einem Finger anheben und mit seinem Mund immer näher kommen … So wie auf diesem Bild jetzt …

»Zeichnest du schön? Störe ich?«

Vor Schreck zuckte mein rechtes Knie nach oben und schlug unter die Platte des Schreibtischs, der einmal meiner Mutter gehört hatte. Der Stift flog aus meiner Hand und ich klappte den Block zu. »Spinnst du? Du hast mich total erschreckt!«

Mama lächelte und ihr Kopf mit den kurzen dunklen Haaren schob sich weiter durch den Türspalt. »Wollte ich nicht! Na, war’s anstrengend in der Schule?«

Warum musste Mama immer so nett sein, obwohl sie von mir doch gerade angeschrien worden war? Ich schüttelte den Kopf hin und her, das konnte alles bedeuten: ja, nein, frag nicht!

»Willst du nicht ein bisschen rausgehen, ist doch so schönes Wetter!« Ich schnaubte nur durch die Nase. Was sollte ich denn draußen? Ich hatte nichts zum Anziehen und meine Beine hatten am Anfang des Sommers die Farbe von zu hell gebackenen Baguette-Stangen.

»Ach, hast du dir das Album geholt?« Mama schlüpfte ins Zimmer, trat an mein Bett, nahm das Fotoalbum von der Steppdecke und setzte sich damit hin. Ich stand auf und nahm wortlos neben ihr Platz. Wenn ich auch ziemlich oft sauer auf sie war, die alten Bilder angucken ging immer.

Vorsichtig und ohne zu reden, blätterten wir abwechselnd die Seiten aus schwarzem Fotokarton um. Das Café. Omi und Opa davor. Opa noch mit dunklem Haar unter seiner weißen Bäckerhaube und seinem breiten Schnauzer, auf den er immer so stolz war. Er drehte sich ein wenig zur Seite, damit man es nicht gleich sah, doch ihm fehlte der linke Arm. Der war an der Ostfront geblieben, hatte Mama mir erzählt. Obwohl wir den Zweiten Weltkrieg in Geschichte schon durchgenommen hatten, stellte ich mir die Ostfront seitdem als kleinen Graben vor, der endlose Getreidefelder durchschnitt. Der Graben war leer, nur ein einsamer nackter Arm lag darin. Aber er hatte sich nie beklagt, sondern mich mit dem rechten oft wie einen kleinen Sack Mehl über die Schulter geworfen und durch die Backstube getragen. Daran erinnerte ich mich noch.

»Das war früher dein Lieblingsfoto.« Mama tippte mit dem Finger auf die kleine Dagmar und ihren Roller und auf sich selbst, die noch kleinere Marion. Beide mit identischen, minikurzen Kleidchen, beide in die Sonne blinzelnd. Ja wirklich, ich mochte das Foto immer noch ganz besonders; Dagmar sah noch nicht aus wie DDD und bei Mama konnte man die wollene Unterhose sehen. Vor dem Café Zimt stand ein uraltes Auto. Besuch von Tante Irmgard, hatte jemand daruntergeschrieben. Wahrscheinlich Omi. Auf dem nächsten Bild sah man einen Tannenbaum, davor Marion, kurz vor dem Losheulen. Dagmar dagegen lächelte, ganz die große Schwester. »Da hat sie dich vorher ganz doll gekniffen.«

Mama nickte und las die Bildunterschrift vor: »Fröhliche Weihnachten – 1969.« Sie blätterte weiter. »Und hier, unser Hund, Zucker! Ach, das waren noch Zeiten …«

Ich lächelte über den Golden Retriever, der im Hauseingang lag. Mama wollte keinen Hund mehr. Das sind Familientiere, sagte sie manchmal. Und? Waren wir eine Familie? Eben nicht.

Mama stand auf. »Na ja, ich muss wieder runter. Gab’s heute was Besonderes in der Schule?«

»Nö.«

»Hast du viel zu tun, meine Maus?«

Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte echt noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen. Und später musste ich noch mal in die Schule. Um fünf fing dieser blöde Kurs an, zu dem mich die Mansky verdonnert hatte.

»Wer war der Typ da unten?«, fragte ich statt einer Antwort. »Wer kommt denn auf die blöde Idee, in Godesbach einen Film zu drehen? Und dann ausgerechnet bei uns …« Ich griff nach dem dritten Croissant, ließ es dann aber zurück auf den Teller fallen. Wenn ich so weiterfraß, würde das nie was mit Timo.

»Das war ein Finne, der hieß Fynn. Also er heißt immer noch so. Ein Finne, der Fynn heißt.« Sie kicherte leise.

»Toll, Mama, das habe ich auch kapiert.« Es machte mich wahnsinnig, wenn sie so albern und umständlich sprach.

»Er wollte das Café wieder als Café herrichten, ich habe ihm gesagt, dass im Schuppen noch die alten Tische und Sessel stehen.«

»Die sind doch längst verschimmelt …« Aus den Augenwinkeln sah ich, dass irgendwer mir eine WhatsApp geschrieben hatte. Timo konnte es nicht sein, der hatte meine Nummer nicht. Noch nicht. Pfff. Träum weiter, kleine Charlott’. Als ob! Als ob er dich Charlott’ nennen würde … Als ob er dich küssen würde …

»Ja, aber trotzdem. Es wäre schön gewesen, das Café noch einmal so einzurichten wie früher. Der war nett. Findest du nicht auch?«

»Wer?«, fragte ich, stand auf und trat ans offen stehende Fenster. Von hier aus konnte man in den Garten sehen. Früher war er größer gewesen, doch nun hatte sich von rechts die grau verschalte Halle der Metzgerei Hein auf unser Grundstück geschoben und alle verbliebenen Birnenbäume plattgemacht. Auch der hintere Teil war von Dagmar verkauft worden. An die Spedition Hammermann, die daraufhin ihren Hof vergrößert hatte. Tag und Nacht fuhren nun die großen Laster donnernd an dem Maschendrahtzaun vorbei.

Der alte Holzschuppen, den Mama erwähnt hatte, stand wie eine verrottete Kiste unter dem Kirschbaum. Früher hatte der Baum massig Früchte getragen, ich war im Sommer oft hineingeklettert, um mir den Bauch mit den dunkelroten, herzförmigen Kirschen vollzuschlagen. Doch damit war es schon lange vorbei. Der Baum starrte zu mir herüber. Total mies drauf. Kein Wunder, er war schließlich der letzte Baum im Garten.

»Der Garten sieht so was von scheiße aus, Mama. Nur weil wir angeblich Geld brauchen.«

»Du hast den Fernseher bekommen und den Laptop hat sie dir auch spendiert.«

Jaja, musste sie mich gerade jetzt daran erinnern? Ich merkte, wie ich rot wurde. »Aber nur, weil mein Zeugnis so gut war. Und ohne vernünftigen Laptop kann ich doch in meiner Schule der Reichen und der Schönen nicht auftauchen. Das weiß mittlerweile sogar DDD.«

»Nenn sie nicht so.«

»Oh Mama, chill mal!« Doch eigentlich hatte Mama mal wieder recht. DDD machte mir ab und zu Überraschungsgeschenke, von denen ich mich, schwach und gierig, wie ich nun mal war, bestechen ließ. Die armen Birnenbäume waren von mir verraten worden. Für einen dummen Flachbildschirm, auf dem gerade ein paar Mädels ihre halb nackten, perfekten Hintern zu dem letzten Song von Pharrell Williams schüttelten.

»Also, ist ja auch egal, aber ich fand den echt nett!«

»Wen?« Von wem redete meine Mutter eigentlich?

»Den Finnen! Ich hatte einen Finnen in der Parallelklasse, Matti hieß der. Wenn er redete, klang es auch so wie bei Fynn. In den war ich mal …«

»Dieser Finne hier weiß jetzt, dass du gegen deine beknackte Schwester keine Chance hast«, unterbrach ich sie. Ich konnte nichts gegen diesen Drang tun, gemein zu ihr zu sein. Wann ging sie endlich wieder nach unten? Musste sie nicht noch aus alten Brötchen Paniermehl herstellen oder hässliche Regale auswischen? Ich wollte endlich wieder auf Facebook und Timos Seite nach seinen Vorlieben durchsuchen. Ob er das blonde Mädchen cool fand? Bestimmt … sie war hübsch!

»Ach, Dagmar hat ja recht, wir können eben nicht einfach mal so zwei Tage schließen, das hat der schon verstanden.«

Ob ich je eine Chance bei Timo hätte? Ich war eigentlich gar nicht so hässlich. Immer nur bisschen zu dick. Gerade so viel, dass es unmöglich war, die richtigen Klamotten zu finden.

Ich drehte mich um und sah an meiner Mutter hinab. Manche Leute verglichen sie mit Audrey Hepburn. Sie war in eine makellos weiße Konditorjacke gehüllt und ihre schmale Taille wurde von den Bändern einer weißen Schürze betont, die ihr bis zu den Fußknöcheln reichte. Sie sah so fragil und zart aus, neben ihr hätte sich jede Frau pummelig gefühlt. Dennoch ärgerte ich mich über ihre Eitelkeit; zum Brötchenverkaufen brauchte sie diese Kluft nun wirklich nicht, da die Dinger im Café Zimt noch nicht einmal selbst gebacken wurden, sondern frühmorgens zusammen mit ein paar Brotlaiben angeliefert wurden. Mit Opa waren die Mokkaschneckchen, die Creme-Igel und auch die hellen und dunklen Krokantpilze ausgestorben. Nicht einmal die »Zauberhaften« gab es noch: in feinem Zucker gewälzte Schokoladenkugeln, von denen meine Mutter so herrlich erzählen konnte, dass man dachte, sie würden einem auf der Zunge liegen.

Mein Gott, schon wieder dachte ich ans Essen. »Wann bist du eigentlich so zum Kotzen feige geworden«, blaffte ich Mama an. Ich wusste, das war fies und ungerecht, aber weil ich gegen Dagmar keine Chance hatte, bekam immer öfter Mama ab, was eigentlich für DDD bestimmt war.

»Was sagst du denn da, Charlie?« Mamas Augen sahen auf einmal ganz anders aus. Füllten die sich etwa gerade mit Tränen? »Ich wollte doch nur …«

»Und du schon mal gar nicht«, erwiderte ich scharf, indem ich Dagmars Stimme imitierte. »Du merkst nicht mal, wie sie dich vor allen Leuten runtermacht«, schnaubte ich und wandte mich dabei demonstrativ wieder meinem Laptop zu. Ich hörte, wie meine Mutter nach Luft schnappte, dann aber, ohne etwas zu sagen, die Tür hinter sich schloss. Ich schluckte.

Das machte ich in letzter Zeit ständig, Leute beleidigen, weil ich mich selber unausstehlich fand. Und Leute – das war ziemlich oft Mama. Sollte ich runterlaufen, um mich zu entschuldigen? Ich musste runterlaufen, um mich zu entschuldigen, und wollte gerade aufspringen, da sah ich mein Englischheft aus meiner Schultasche hervorgucken. Seufzend zog ich es heraus und begann mit der Inhaltsangabe einer Kurzgeschichte. Doch schon nach zwei Sätzen kaute ich ratlos auf meinem Stift. Ich fühlte mich schlecht, weil ich so gemein zu Mama gewesen war, das hatte sie nicht verdient … Um nicht mehr daran denken zu müssen, klickte ich das Videofilmchen an, das Holly-Marie gerade auf Facebook gepostet hatte. Zwei Katzen saßen auf ihren Hinterpfoten vor einem Spiegel, klatschten sich gegenseitig mit den Pfoten ab und sangen dazu ein französisches Liedchen. Ich lächelte. Gefällt mir, ließ ich Holly-Marie wissen. Holly-Marie war ganz nett. Ja, vielleicht war sie sogar so etwas wie eine Freundin für mich. Meine richtigen Freundinnen aus der vierten Klasse waren damals alle auf das coole Schiller-Gymnasium gegangen, während Dagmar meinte, mich in die Edstone-Wüste schicken zu müssen. Innerhalb von drei Jahren hatte ich Flora, Hella und Marú leider immer mehr aus den Augen verloren. Wir sahen uns selten, und wenn, dann bei Facebook oder Instagram. In meiner neuen Klasse waren die Mädchen dünn und komisch. Ich meine, ich hatte es wirklich probiert! Hatte versucht, mich nicht an diesem verdammten Reichtum zu stören, an ihren Pferden und Hausangestellten, von denen sie erzählten, an ihren Adelstiteln, hässlichen Markenhandtaschen oder ihren ultimativ gepflegten, auf französische Art manikürten Fingernägeln.

Holly-Marie knabberte an ihren Fingernägeln, so wie ich, das war schon mal sympathisch. Allerdings kannte auch sie kein anderes Thema als ihren reichen Vater und wie viel Geld er ihr jeden Monat gab.

Ich musste an meinen Vater denken, den meine Mutter hier in Godesbach kennengelernt hatte. Ganz spießig, auf der Maiwoche. War sogar in sein Atelier gezogen, dann mit ihm zurück in die Bretagne gegangen, um ihn zu unterstützen. Wobei? Etwa beim Bildermalen? Sie fand dort zunächst keine Arbeit, stand dann kurze Zeit in einer Brotfabrik am Band und als sie schwanger wurde, rastete er aus. Muss ein toller Typ gewesen sein. Ich hatte ihn schon oft gegoogelt, aber unter seinem Namen war er nicht aufzufinden. Irgendwie vermisste ich ihn und hätte ihn echt gerne getroffen und mit ihm geredet, nur mal so, obwohl ich das Mama natürlich nie sagte. Wie konnte man jemanden vermissen, den man gar nicht kannte und der wahrscheinlich auch noch, sorry, ein ziemlicher Idiot war? Sie war also mit dickem Bauch nach Godesbach zurückgekommen und tat seitdem so, als habe sie ihn vergessen. Doch das seltsame Bild mit den verschlungenen blauen Gestalten, das er für sie gemalt hatte, hing immer noch über ihrem Bett. Tja. Vergessen sah anders aus.

Ich schickte Mama eine Sprachnachricht auf ihr Handy: »Tut mir leid wegen eben. Kannst du mich gleich zur Schule bringen? Muss da noch mal hin.« Keine Antwort. Sie vergaß manchmal stundenlang, auf ihr Handy zu schauen. Aber wehe, ich hörte ihre Anrufe nicht oder beantwortete nicht sofort ihre SMS, dann wurde sie nervös.

Was machte Timo? Mein Herz klopfte schneller, wenn ich bloß an ihn dachte. Hatte er etwas Neues gepostet? Nein, er war nicht online, aber ich likte ein Klamottenfoto von Culotté, das Sydney-Aurelia gepostet hatte. Sydney-Aurelia gefällt das, meldete mein Computer und ich freute mich. Doch dann schrieb Stella-Europa etwas unter den Post. »Da willst du reinpassen, Charles? Hallo? Das sind französische Maße!« Und Stella-Europa fügte hinzu: »Sorry, Charlie, aber daraus wird wohl nix.« Immerhin ein Smiley dahinter. Ich spürte, wie sich unter meinem Zwerchfell ein sehr vertrautes schwarzes Loch auftat, das nicht gestopft werden konnte, selbst wenn ich hundert Croissants essen würde.

Ich stopfte den Skizzenblock wieder tief in die Schublade und öffnete stattdessen mein Tagebuch. Nein, mein Tagebuch war kein romantisches Büchlein mit rosa Stoffüberzug, sondern eine ganz normale Datei auf meinem Computer. Mit der Hand schreiben war mir zu anstrengend. Mathekram hieß die Datei, da würde ganz bestimmt keiner nachschauen.

Was für ein blöder Tag. Heute hab ich wieder mal einsehen müssen, wie dick ich eigentlich bin und wie perfekt Timo. Wir sind meilenweit voneinander entfernt. Er spielt in einer ganz anderen Liga! Wenn ich nicht so verfressen wäre, könnte ich ja ganz gut aussehen, aber so … Muss mich ab morgen wieder jeden Tag wiegen und endlich eine Tabelle anlegen. Ach Scheiße!!! Kriege ich sowieso nicht hin …

Es klopfte an meiner Tür. Schnell klappte ich den Laptop zu und griff wieder nach meinem Stift. Genervt schaute ich auf, wie sollte man diese blöde Inhaltsangabe schaffen, wenn man dauernd gestört wurde?

»Es gibt gleich Essen, ich habe Hühnerfrikassee für dich aufgetaut und dazu einen schönen Salat gemacht«, flüsterte meine Mutter durch den Türspalt.

»Jetzt schon?«, murmelte ich, obwohl wir nie zu einer festen Zeit aßen.

»Es ist schon Viertel nach vier.«

Na toll. Eine Stunde auf Facebook und YouTube verplempert.

»Hühnerfrikassee? Ich habe gar keinen Hunger«, log ich, obwohl mein Magen schon wieder knurrte. Ich wollte abnehmen, doch ich sehnte mich nach einem sahnigen Milchshake von McDonald’s und Mama sollte gehen. Langsam klappte ich den Laptop auf.

»Das … das mit eben tut mir leid«, wisperte meine Mutter und streckte den Kopf ins Zimmer.

»Mama!« Meine schlechte Laune kochte erneut in mir hoch. Warum entschuldigte sie sich dauernd? Oh, was war das? Timo war gerade online auf Facebook! Ich drehte mich widerwillig zu Mama, deren Augen aussahen, als hätte sie geweint.

»Ich weiß, ich bin nicht gerade gut darin, Dagmar zu widersprechen. Doch heute hat sie es übertrieben.«

»Der Finne?« Jetzt hatte ich doch ziemlich Mitleid mit ihr.

»Sie hat die Karte weggeworfen, die er mir gegeben hatte. Ich kann ihn noch nicht mal anrufen.«

Mein Mitleid verdünnisierte sich und ich verdrehte die Augen. Das hättest du doch sowieso nicht getan. Mama schlich herein und setzte sich auf das Bett. Sie legte sich das Album auf den Schoß und hielt sich daran fest. »Wir werden gehen! Weg aus Godesbach. Es reicht mir. Ich meine es ernst, Charlott’!«

Nur manchmal sprach Mama meinen Namen französisch aus, und zwar dann, wenn sie etwas super-, superernst meinte. So wie jetzt. Ich wollte teilnahmsvoll klingen, doch ich brachte nur ein Krächzen zustande. »Nee, oder?«

»Doch! In Köln gibt es bei Lidl noch Jobs. An der Kasse.«

»Lidl?«

»Ja, ich weiß, das hört sich nicht besonders toll an. Aber find mal was als ungelernte Kraft! Trotzdem: Das kann alles nur besser als hier sein!«

»Köln!« Köln war über achtzig Kilometer weg!

»Also nicht direkt Köln. Köln-Porz. Da sind wir ganz nah beim Flughafen, das ist doch praktisch, oder …«

Doch ich hörte schon gar nicht mehr hin. Porz oder Schnorz, völlig egal, was sollte ich da? Was würde aus Timo und mir? Etwas legte sich auf meine Brust, schwerer als ein nasser Teppich.

»Fällt dir nichts anderes ein, als vor Tante Dagmar abzuhauen? Nur weil sie eine dumme Visitenkarte zerrissen hat?«

»Zerrissen und im Klo runtergespült!« Mama schnappte sich ein Kissen und vergrub ihr Gesicht darin. Oh Gott, wer war hier eigentlich die Pubertierende? Ich? Oder diese zwei reifen Frauen, mit denen ich zusammenwohnen musste? Jedenfalls stand das neuerdings auf Mamas Gesichtscreme: für reife Haut. Na gut, meine Mutter war erst neunundvierzig, darauf legte sie Wert. Wie auch darauf, dass das glänzende Zartbitter-Schokoladenbraun ihrer Haare immer noch ungefärbt und ohne einen Schimmer von Grau war. Sie hob ihren Kopf . »Welcher normale Mensch macht denn so etwas …«

Ich fand Mama in diesem Moment wunderschön, sagte aber stattdessen: »Das ist doch bescheuert. Ich möchte echt mal gerne wissen, was in eurer Kindheit abgegangen ist, dass du so ängstlich geworden bist.«

Mama warf mir einen anklagenden Blick zu. Gelegentlich behauptete sie, das Einzige, was sie je in ihrem Leben richtig gemacht habe, sei, mich bekommen zu haben. Doch im Augenblick schien sie eher das Gegenteil zu denken. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich muss hier weg! Hilfst du mir, Charlott’? Zusammen schaffen wir das.« Natürlich, jetzt war ich wieder Charlott’. »Oh nee, Mama. Echt nich’. Sorry, hab zu tun. Es ist schließlich deine Schwester, die will, dass ich auf diese scheiß Snobby-Schule gehe!«

»Sag das nicht immer. Dagmar bezahlt alles!«

»Ja. Und sie sorgt dafür, dass wir es keinen Tag vergessen!«

2. KAPITEL

immer noch 4. Mai, nachmittags

Der Bus hatte Verspätung, na super, das wäre ein guter Start, zu diesem blöden Kurs auch noch zu spät zu kommen, sodass alle mich beim Eintreten anstarren würden. Vielleicht hätte ich Mama doch überreden sollen, mich zu bringen. Manchmal träumte ich von einem Roller, den man mit sechzehn fahren durfte, so einem pastellfarbenen Ding, wie die meisten Mädchen aus den höheren Klassen sie besaßen. In drei Monaten, Ende Juli, würde ich sechzehn. Aber wir hatten sowieso nicht so viel Geld. Und wenn Tante Dagmar …? Die hatte mir immerhin gleich das neueste iPhone geschenkt, sobald es raus war. »Damit du mithalten kannst. Ich weiß doch, wie das ist.« DDD anbetteln? Pfff. Ein bisschen Stolz hatte ich ja nun doch. Ich musste wieder an den traurigen Kirschbaum denken, durch Tante Dagmars Geldgier seiner Baumkollegen beraubt …

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