Die Zeitungsleser, Bd. 2 - Peter Faust - E-Book

Die Zeitungsleser, Bd. 2 E-Book

Peter Faust

0,0

Beschreibung

Die Zeitungsleser, zwei sonntägliche Kaffeehausbesucher, lachen über den Zeitgeist, denn sie wissen alles besser und glauben, sie könnten die Probleme der Welt locker im Kaffeehaus lösen...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 269

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Handlung, Personen und Orte der Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit ist rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis:

Die Zeitungsleser

Absprachen?

Alltagsprobleme

Ein altes Kind

Assoziationen

Ausbau ist nicht Ausbau

Autorenlesung

Bereisen

Vielfältige Bezüge

Bilder des Lebens

Der B-Promi

Wo ist das „Bum, bum“?

Das Signal

Hohe Dichtkunst

Nur dies und das

Ein lautes Dirigat

Dumme Fragen und Antworten

Das Gewicht von Eigenschaften

Einfaches Leben

Eingeklemmt

Die erneuerbare Energiewende

Kein Leben ohne Englisch

Ergänzen tut not

Das Essen ist schuld!

Essgewohnheiten

EU-Passfoto

Evakuieren

Experten überall

Die Seiten einer Fliese

Eine Frage der Energie

Fragen und Antworten

Fragen haben Folgen

Fragen über Fragen

Das Geburtstagsgeschenk

Diverse Gegenstände

Was macht eine Gesellschaft aus?

Das Land ist gespalten

Gesund befördert

Vom Hinfallen und Umliegen

Was nicht geht, geht nicht

Gewissensbisse

Gästeschießen in der Begegnungszone

Nicht halbherzig

Das Gfrett mit den Küchengeräten

Ist ein Alltag hoffnungslos?

Influenza

Intoleranz, wohin man schaut

Irrtümer wohin man sieht

Einen Karl-Heinz hat jeder

Was wir alles verzehren

Kranke Musik

Das leibliche Wohl

Lockdown im Advent

Ein monumentales Grabmal?

Meinung meinen!

Meldungen missverstehen ist leicht

Meldungswettbewerb

Schnelle Meldung-schlechtes Deutsch

Wer ist Dr. Schilfinger?

Musketiere

Plumpsklo, Beispiel für Nachhaltigkeit

Nackte Zeit?

Der natürliche Tod

Ich bin nicht angepasst

Alles, was Namen hat

Notfälle

Nur virtuell

Die Ökonomie der Weinrieden

Was macht der ORF mit Zehennägeln?

Organ haben

Pandemie

Einsichten, Umsichten, Raussichten

Was macht man mit dem Radhelm?

Eckpfeiler der Regierungsarbeit

Der Rollentausch

Vom Schauen und Sehen

Stuhlgang eines Schriftstellers

Wo bleibt die Sittlichkeit?

Sondieren

Sonntagsarbeit

Kein Sparen ohne Kaufen

Sportbegeisterung

Sternkunde im Kaffeehaus

Was ist eine Stiftung?

Der strenge Kuchen

Die Sprache der Sängerin

Wunderliche Therapien

Verbrechen

So ein Verhalten ist nicht fein

Verimpfen?

Verkehr, Meter um Meter

Was man alles verlegen kann

Die verzogene Gefahr

Sind Visiten gefährlich?

Wahlzeiten

So klein und schon Pandemie

Was man so treibt

Wein macht Bewegung

Von Wein und Bienen in der Natur

Weniger als nichts sein

Werbung, Werbung, Werbung

Vom Wiegen und Wägen

Weht der Wind?

Wintersport

Der Wunschhund

Wut

Zeitverlust

Zwei Liter Diesel

Zum Schluss

Die Zeitungsleser

Kaffeehaus, Sonntag, 10.00 Uhr. Die Herren Birndippl und Weißhaupt waren eben eingetroffen. Der Ober Franz begrüßte die Stammgäste herzlich und geleitete sie zu ihrem gewohnten Tisch. Jeden Sonntag trafen einander diese zwei älteren Herren zum zweistündigen Zeitungslesen. Sie kannten einander schon lange. Es konnte durchaus sein, dass sie einmal dienstlich miteinander zu tun hatten oder ihr erstes Zusammentreffen im Kaffeehaus nur zufällig war. Sie hielten ihre gemeinsamen sonntäglichen Lesestunden mit der Präzision eines Uhrwerks ab. Angeregt durch die Zeitungsmeldungen lachten sie über das „seltsame“ Benehmen ihrer Landleute, lösten die schwierigsten Probleme mit einem Fingerschnippen und regierten die Welt locker vom Kaffeehaustisch aus.

Weißhaupt war Beamter in der Schulbehörde und konnte sein Wissen über alles und jedes nicht verbergen. Was heißt verbergen? Er wusste alles besser und teilte sein Wissen gerne mit seinem Gesprächspartner, ob der wollte oder nicht. Seine Besserwisserei hatte eine Wurzel in einem unerreichten Ziel: Er hätte gerne nach der Matura an der Universität studiert. Seine bescheidenen finanziellen Verhältnisse zwangen ihn aber, einen Brotberuf zu ergreifen.

Birndippl war Angestellter in einem Stadtamt. Seine Schulbildung in einer Handelsschule schloss er mit Ach und Krach ab. Birndippl war mit seinem Leben zufrieden. Er war zwar intelligent, hatte aber keinen Ehrgeiz, aus sich etwas zu machen. Da seine Frau als Justizwachebeamtin auch berufstätig war, hatte er sein Drauskommen - mehr wollte er nicht. Im Übrigen war er stolz, jeden Sonntag mit dem „Herrn Weißhaupt“ im Kaffeehaus sitzen zu dürfen und freute sich, ihn mit scheinbar dummen Fragen zum Belehren zu bringen.

Absprachen?

Kaffeehaus, Sonntag, 10.49 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt sprachen über die Arbeit der Regierung, mit der sie nicht ganz zufrieden waren. Warum? Das wussten sie nicht wirklich.

„Was werfen Sie konkret der Regierung vor, Herr Weißhaupt?“, fragte Birndippl.

„Sie wird mit der Pandemie nicht fertig.“

„Mit der Pandemie?“

„Ja.“

„Das Corona-Virus ist doch ein Krankheitserreger, Herr Weißhaupt?“

„Ja.“

„Für das Fertigmachen von Krankheitserregern sind die Ärzte zuständig.“

„So ist es, Birndippl.“

„Dann ist die Regierung aus dem Schneider.“

„Nein!“, rief Weißhaupt.

„Warum nicht, Herr Weißhaupt?“

„Die Regierung regiert auch die Ärzte.“

„Das ist mir noch nicht aufgefallen.“

„Jetzt wissen Sie´s, Birndippl.“

Der Ober Franz, der die Diskussion interessiert verfolgt hat, konnte sich nicht mehr zurückhalten und sagte im Vorbeigehen: „Es ist aber schon Gewohnheit, auch grundlos über die Regierung zu schimpfen.“

„Warum bleiben Sie nicht beim Tisch stehen, wenn Sie uns etwas sagen möchten?“, rief ihm Weißhaupt nach.

„Ich darf mich an den Diskussionen der Gäste nicht beteiligen“, sagte der Ober wieder im Vorübergehen. Bei der Theke angelangt, fragte er mit dem Rücken zu den Zeitungslesern: „Wie schimpft man über seine Regierung, der man in Wirklichkeit die Daumen hält?“

„Gar nicht“, sagte Birndippl.

„Gar nicht ist zu wenig“, sagte Weißhaupt. „Es ist immerhin die Regierung.“

„Unflätig“, rief Mariechen, die Tochter der Kaffeehausbesitzerin, die gerade hereingekommen war und ein gute Gelegenheit für einen Ulk witterte.

„Unflätig ist zu grob“, tadelten Birndippl und Weißhaupt synchron.

„Also flätig“, meinte darauf Mariechen.

„Flätig gibt es nicht, Mariechen“, rief Weißhaupt.

„Wer sagt das?“, antwortete Mariechen.

„Das Österreichische Wörterbuch“, belehrte sie Weißhaupt streng.

„Und wenn es um eine deutsche Regierung ginge?“, fragte der Ober, noch immer mit dem Rücken zum Tisch der Zeitungsleser, er fürchtete, Mariechen würde ihm bei der Chefin verpetzen.

„Müsste man im Duden nachschauen“, antwortete Birndippl.

„Welches Wort?“, wollte Weißhaupt wissen.

„Flätig!“, rief Mariechen.

„Flätig im Duden?“, fragte der Ober Franz.

„Flätig im Duden!“, rief Mariechen.

„Flätig im Duden!“, bestätigte Birndippl.

„Im Duden findet man auch kein ‚Flätig‘“, sagte der Schulmeister Weißhaupt.

„Die Regierungen müssen sich abgesprochen haben, Herr Weißhaupt“, schloss Birndippl.

„Die Regierungen haben sich abgesprochen?“,

fragte der Ober Franz.

„Die Regierungen haben sich abgesprochen?“,

fragte Weißhaupt.

„Die Regierungen haben sich abgesprochen!“, rief Mariechen.

„Welche Regierungen?“, fragte die Kaffeehausbesitzerin, die im Hereinkommen den Ruf Mariechens gehört hatte.

„Die Bundesdeutsche und unsere“, winselte der Ober.

„Was geht Sie das an?“, schnauzte ihn die Chefin an.

„Der Herr Weißhaupt hat gefragt, ob sich die Regierungen abgesprochen haben“, krähte Mariechen fröhlich.

„Und haben sich die Regierungen abgesprochen?“,

wollte die Chefin wissen, in Sorge, dass hinter der Diskussion ein Unfug steckt. Ihre Tochter schien ihr viel zu viel Freude an der Situation zu haben.

„Mir Armen sagt doch niemand was?“, klagte der Ober Franz so wehleidig, wie er konnte.

„Schon gar nicht die bundesdeutsche Regierung“,

ergänzte Mariechen mit dem Ausdruck einer Heiligen im Gesicht.

„Und worüber haben sich Regierungen abgesprochen?“, fragte die Chefin, noch immer misstrauisch.

„Was sie einem Ober oder einem Kaffeehausbesucher an die Nase binden“, rief Weißhaupt und blätterte eine Zeitung auf seinem Tisch geräuschvoll um, während Birndippl aufsprang und auf die Toilette lief.

Alltagsprobleme

Kaffeehaus, Sonntag, 10.56 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt zelebrierten ihre Sonntag-Vormittag-Beschäftigung. Es war nur diesmal geringfügig anders, weil Birndippls Frau Dienst hatte, das gemeinsame Mittagessen also ausfiel, aß Birndippl ausnahmsweise nach dem Kaffee ein Wurstbrot. Nach dem ersten Zeitungstausch monierte dann Weißhaupt einen Fettfleck am Rand eines Zeitungsblattes: „Ist der Fettfleck hier Ihre Paraphe, Birndippl?“

„Fettfleck? Tut mir leid, kommt vom Wurstbrot.

Was ist eine Paraphe, Herr Weißhaupt?“

„Ein Namenskürzel. Haben Sie in Ihrem Büro noch nie einen Akt paraphieren müssen, Birndippl?“

„Paraffin ist doch fett, Herr Weißhaupt. Warum sollte ich einen Akt mit Fett einschmieren?“

„Mit Paraffin behandeln heißt paraffinieren und nicht paraphieren. Die Paraphe, deutsch Namenskurzzeichen, kommt aus dem Griechischen, man schreibt sie mit ‚ph‘. Mit dem Kürzel kennzeichnet man eine gelesene Seite, das heißt paraphieren.“

„Ich gehe meine Hände waschen, Herr Weißhaupt, damit kein Paraffin mehr auf meinen Paraphen ist.“

Nachdem Birndippl wieder am Tisch saß und den nachdenklich schauenden Weißhaupt fragte: „Was haben Sie ohne mich Böses gelesen, Herr Weißhaupt?“

„Amokläufe gehören schon zum Alltag, Birndippl.

Ist das nicht schrecklich?“

„Wie erklären Sie das, Herr Weißhaupt?“

„Einen Amoklauf kannman nicht erklären.“

„Warum nicht, Herr Weißhaupt?“

„Er ist so schrecklich.“

„Schrecklich wie ein Krieg?“

„Ja.“

„Einen Krieg erklärt man aber, Herr Weißhaupt.“

„Ja, Birndippl, das war früher.“

„Früher sind die Leute viel lieber gestorben, Herr Weißhaupt. Sie starben für den Kaiser oder wie sich der Führer auch immer genannt hat. Heute stirbt jeder ungern und, wenn überhaupt, nur für sich selbst.“

„Seien Sie unbesorgt, Birndippl, die Regierung kümmert sich bereits um die Gesundheitsreform.“

„Was kümmert sich die Regierung um die Gesundheitsreform? Mein Arzt reformiert meine Gesundheit andauernd. Wenn sich jetzt auch noch die Regierung einmischt, werde ich am Ende noch krank, denn ‚Viele Köche verderben den Brei‘, Herr Weißhaupt.“

„Sie reden von der Gesundheit und gar vom Sterben, Birndippl. Sie sind doch nicht etwa krank?“

„Ich war gestern in der Apotheke, wollte mir ein Heftpflaster für die wehe Ferse kaufen, meine neuen Schuhe bringen mich noch um, da hab ich mitanhören müssen, wie die Apothekerin einen Kunden gefragt hat, ob er das Medikament zum Trinken oder zum Schlucken will.“

„Diese verkürzte Frage hab ich auch schon gehört, das bedeutet, der Kunde soll sich zwischen Pille und Brausepulver entscheiden. Wie wurde entschieden?“

„‚Muss ich nicht auf jeden Fall schlucken, auch wenn ich trinke?‘, hat der Kunde nur grantig gebrummt. Dann hat ihm die Apothekerin eine Packung in die Hand gedrückt und der Kunde hat bezahlt und ist wortlos gegangen.“

„Er hat eine gute Antwort gegeben. Die Frage nach Schlucken oder Trinken ist dem Zeitgeist entsprungen, Birndippl.“

„Was ist der Zeitgeist, Herr Weißhaupt?“

„Die geistige Haltung der Menschen in einem bestimmten Zeitalter.“

„Haltung? Wie gackernde Hühner in Bodenhaltung?“

„Geistige Haltung, Birndippl!“

„Aha, virtuelle Legebatterien.“

„Ein sehr guter Vergleich, Birndippl.“

„Hier, Herr Weißhaupt, eine ganzseitige Annonce der Regierung. Sie sucht Befürwörter für ihre Reformen.“

„Was sucht die Regierung?“

„Befürwörter. Sehen Sie selbst.“

„Tatsächlich Befürwörter. Ist das nur ein Lapsus Calami, ein Schreibfehler, oder schon Teil einer Sprachreform?“

„Welche Sprachreform, Herr Weißhaupt?“

„Befürwörter, die genderneutrale Mehrzahl von Befürworter und Befürworterinnen, Birndippl.“

Ein altes Kind

Kaffeehaus, Sonntag, 10.47 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt hatten diesmal ungewohnte Bedienung. Die Kaffeehausbesitzerin servierte ihren Stammgästen persönlich den Kaffee.

Der Ober Franz war als Zeuge eines Unfalls, wegen der Polizeibefragung, noch nicht im Dienst.

Birndippl wollte nicht, dass der Kaffeehausbesitzerin bekannt würde, dass er in ihren Zeitungen die Kreuzworträtsel auflöste. So fragte er wispernd: „Was sind Lärmschutzwände, Herr Weißhaupt?“

„Die Wände an den Seitenrändern einer Straße, Birndippl. Sie sollen den Straßenlärm vor der Umgebung schützen.“

„Den Straßenlärm vor der Umgebung?“

„Ja, Birndippl. Lärmschutzwände sollen verhindern, dass der Lärm die Straße verlässt und sich im Gelände oder zwischen den Häusern einer Ortschaft verirrt und dort vielleicht elend zugrunde gehen muss.“

Birndippl sah erstaunt, solche Antworten, meinte er, seien doch nur für ihn reserviert. „Ach, Herr Weißhaupt“, sagte er schließlich, „ich war mit meiner Frau gestern bei einer Vernissage. Es war fürchterlich.“

„Bei welcher Vernissage, Birndippl?“

„Es wurden Bilder ausgestellt, die Gefängnis-Insassen gemalt haben.“

„Richtig, Birndippl. Ihre Frau ist bei der Justizwache. Und was war bei der Vernissage so fürchterlich?“

„Ich hätte einen Small-Talk-Killer gebraucht. So viele freundliche und seichte Statements hätten nicht einmal Sie auf Lager gehabt, wie ich dort verwenden hätte können.“

„Einen Small-Talk-Killer herzustellen ist ganz einfach, Birndippl. Auf die Frage: ‚Wie geht es?‘, sagt man: ‚Danke, ich habe erst eine schwierige Herzoperation überlebt, es war fürchterlich. Soll ich es Ihnen erzählen?‘ Der Fragesteller sagt noch schnell: ‚Gratulation!‘, nimmt einem vorbeigehenden Kellner ein neues Glas vom Tablett und verschwindet eilig.“

„Das verwende ich das nächste Mal, Herr Weißhaupt. Übrigens, heute habe ich keinen Parkplatz in der Nähe bekommen. Beim Hergehen ist mir eine Fotografenauslage aufgefallen. Der Fotograf kündigt in seiner Auslage an, dass er Ausweisbilder für Schüler macht. Ist nicht die Ausweisung von Schülern schlimm genug? Muss das der Fotograf auch noch abbilden?“

„Das ist gar nicht schlimm Birndippl. Der Fotograf macht bloß Fotos für den Schülerausweis.“

„Wenn Sie nur recht haben, Herr Weißhaupt! Ich habe eine grundsätzliche Frage: Wann darf jemand versterben und wann muss jemand bloß sterben?“

„Ein junger Autofahrer, der sich aus Blödheit überschlägt, stirbt zumeist in den Zeitungsberichten. Versterben darf nur jemand, von dem der Reporter mit Achtung, Wehmut oder zumindest Anteilnahme berichten will. ‚Versterben‘ heißt: Schade, wird mir abgehen. ‚Sterben‘ heißt: Trottel, selbst schuld oder zumindest: Er ist tot, sonst gibt es nichts zu berichten.“

„Ja, so ist es, Herr Weißhaupt.“

„Ich lese gerade etwas Schreckliches, Birndippl.“

„Was, Herr Weißhaupt?“

„Ich lese über den ‚plötzlichen Kindstod‘.“

„Kann man was dagegen tun?“, fragte Birndippl nachdenklich.

„Bei einem Kongress, der sich mit diesem Thema beschäftigte, wurde gesagt: ‚Stillen ist die beste Vorbeugung‘.“

„Das stimmt mich nachdenklich, Herr Weißhaupt.

Viele Leute behaupten, ich sei noch ein kleines Kind. Stillen wird bei mir nicht nützen. Woher kriege ich die Amme, die voll ist mit vorbeugenden Grünen Veltliner.“ Und weil Weißhaupt lachte: „Eine besoffene Amme ist nicht gemeint!“

„Keine Sorge, Birndippl. Sie brauchen keine Amme, auch wenn man sie noch für ein Kind hält. Für den plötzlichen Kindstod sind Sie schon zu alt.“

Assoziationen

Kaffeehaus, Sonntag, 11.28 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt hatten schon fast eineinhalb Stunden über dies und das diskutiert, da fragte Birndippl: „Was ist eine artgerechte Ernährung, Herr Weißhaupt?“

Weißhaupt begann: „Bären lieben Honig, Eichhörnchen Nüsse und ...“

„Was ist beim Menschen artgerecht?“, unterbrach ihn Birndippl ungeduldig.

„Beim Menschen, Birndippl?“

„Ja. Der Mensch ist auch eine Art.“

„Nun gut. Ein Weichei liebt ...“

„Verstehe“, unterbrach Birndippl wieder, „wenn jemand ein A-Loch ist, kann er alles essen.“

„Das ist aber eine brutale Anwendung des Begriffes artgerecht, Birndippl.“

„Nennt man einen Verfechter artgerechter Ernährung nicht Artist, Herr Weißhaupt?“

„Wenn das so wäre, Birndippl, müsste ein Germanist auf Hefeteig fixiert sein.“

„Apropos fixiert. Sagen Sie, Herr Weißhaupt, ist Ihr Cousin, der Heinrich Weißhaupt, schon General?“

„Wie kommen Sie auf so eine Idee, Herr Weißhaupt?“

„Der ist doch nach dem Präsenzdienst beim Bundesheer geblieben.“

„Nein, er ist nur Generalist.“

„Welcher Dienstrang ist Generalist?“

„Generalist ist kein Rang. Mein Cousin ist zu allem und zu nichts fähig.“

„Was ist dann ein Kapitalist, Herr Weißhaupt?“

„Heute sind Sie aber Weltmeister im Fragen, Birndippl. Nun, unter Kapital versteht man Vermögen, also Geld, das Gewinn abwirft. Ein Kapitalist ist also jemand, der davon lebt, dass sein Vermögen Gewinn bringt.“

„Das ist falsch, Herr Weißhaupt!“

„Wie kommen Sie dazu, mir vorzuwerfen, dass mein Wissen Fehler hätte, Birndippl?“, war Weißhaupt entrüstet.

„Ein Kapitalist kennt sich mit den Schriften des Karl Marx aus!“, triumphierte Birndippl.

„Das ist allerdings eine kuriose Assoziation, Birndippl.“

„Was ist eine Assoziation, Herr Weißhaupt?“

„Eine Verknüpfung von Vorstellungen.“

„Und der Verknüpfer ist ein Assozionist?“

„Nein, den Begriff des Assozionisten gibt es nicht, Birndippl.“

„Aha. Stimmt es, dass ein Anglist ein Brexit-Sachverständiger ist, Herr Weißhaupt?“

„Das ist gut! Dann ist ein Organist ein Organhändler.“

„Könnte ein Kommunist nicht der Chef einer Wohngemeinschaft, einer WG sein? Eine WG ist eine Kommune.“

„Ja!“, rief Weißhaupt begeistert. Er überging generös, dass Birndippl annahm, er wisse nicht was eine WG wäre. „Dann ist ein Flötist ein Pleitier!“

„Und ein Pianist ein friedfertiger Mensch“, ergänzte Birndippl.

„Ein Pazifist kennt den Stillen Ozean“, setzte Weißhaupt fort.

„Dafür ist ein Sopranist ein Eunuch“, konterte Birndippl.

„Ein Bandagist ist ein schlechter Autofahrer“, lachte Weißhaupt.

„Warum das?“

„Er schrammt die Leitschiene entlang.“

„Ein Exhibitionist ist ein Jahrmarktaussteller“,

setzte Birndippl das Spiel fort.

„Ein Fundamentalist ein auf Grundfesten spezialisierter Maurer.“

„Ein Kameralist ein Fotograf.“

„Ein Kolonialist ein Mitarbeiter der Müllabfuhr“,

ging es Schlag auf Schlag und immer lauter werdend weiter.

„Sagen Sie, Herr Ober“, fragte eine Dame am Tisch in der Fensternische, die sich durch die Lautstärke der Unterhaltung am Mitteltisch gestört fühlte, „wann wurden die beiden Zeitungsleser aus dem Gugelhupf entlassen?“

Statt des Obers antwortete Weißhaupt: „Sie ist eine Kubistin.“

„Ja, eine Kuhbistin“, wiederholte Birndippl.

Ausbau ist nicht Ausbau

Kaffeehaus, Sonntag, 10.08 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt waren schon zeitig am Streiten. Birndippls Frau war krank und ergo nicht im Dienst, sondern zu Hause, was ihm total die Sonntagslaune verdarb.

Weißhaupt wollte ihm zeigen, dass auch anderen Ungemach widerfahren war und las ihm vor, dass ein Blitzüberfall auf einen bekannten Juwelier geschah, und der Schaden groß war. Doch Birndippl reagierte nur sarkastisch mit: „Juweliere sollten halt von Gesetz wegen zum Blitzableiter-Einbau verpflichtet werden.“

„Das Breitband-Internet wird ausgebaut, Birndippl. Freut Sie das nicht?“, startete Weißhaupt einen zweiten Versuch, Birndippl aufzuheitern.

„Geldverschwendung.“

„Wieso ist Breitband-Internet Geldverschwendung? Sie verwenden doch all diese modernen Elektronik-Geräte mit zittrigen Händen wie ein Süchtiger.“

„Weil der Einbau noch nicht fertig ist, und schon wird es wieder weggeschmissen.“

„Wer sagt das, Birndippl?“

„Sie, Herr Weißhaupt.“

„Ich?“

„Sie haben eben gesagt, dass das Breitband-Internet ausgebaut wird.“

„Ja. Na und?“

„Wenn ich etwas ausbaue, nehme ich es wieder heraus, nachdem ich es eingebaut habe.“

„Birndippl, Birndippl. Manchmal sind Sie aber total verstockt. Ausbauen kann auch erweitern heißen.“

„Bei meiner Jogging-Hose nicht.“

„Ist die Hose zu klein geworden? Sind Sie gewachsen?“, lachte Weißhaupt künstlich.

„Der eingebaute Gummi im Hosenbund war zu kurz, hat mich immer am Bauch eingeschnürt.“

„Was haben Sie gemacht, Birndippl?“, fragte Weißhaupt großmütig, weil er merkte, dass sein Freund den Gummi wichtig nahm.

„Ich hab ihn ausgebaut.“

„Also erweitert. Und jetzt schnürt der Gummizug nicht mehr ein beim Joggen?“

„Ich kann nicht joggen.“

„Warum nicht?“

„Ich hab doch den Gummizug ausgebaut, Herr Weißhaupt. Ohne Gummizug würde ich ja dauernd die Hose verlieren.“

„Und was geschieht jetzt?“, seufzte Weißhaupt.

„Ich warte darauf, dass meine Frau den von mir ausgebauten Gummizug verlängert und wieder einbaut.“

„Ich hab noch ein anderes Ausbau-Beispiel, Birndippl. Die Park-and-ride-Anlage beim Bahnhof in Melk wird ausgebaut. Was sagt ihnen das?“

„Nichts. Das ist keine Meldung für mich.“

„Warum interessiert Sie das nicht?“

„Ich reite nicht, Herr Weißhaupt.“

„Aber Ihnen ist schon klar, dass der Ausbau der Park-and-ride-Anlage eine Erweiterung ist?“

„Wieso? Ich reite doch nicht.“

„Wann wird Ihre Frau wieder gesund sein, Birndippl?“

„Der Arzt hat ihre Krankheit ausgebaut, Herr Weißhaupt. Sie muss noch eine Woche das Bett hüten.“

„Aha“, antwortete Weißhaupt. „Jetzt weiß ich, warum Ausbau nicht Ausbau ist.“

Autorenlesung

Kaffeehaus, Sonntag, 10.09 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt genossen ihren Kaffee.

Noch bevor Birndippl zu einer Zeitschrift griff, fragte Weißhaupt: „Gehen Sie heute mit zur Autorenlesung von Peter Faust, Birndippl?“

„Warum sollte ich?“

„Der Autor ist ein ausgewiesener Bildungsexperte.“

„Was hat er getan, dass er ausgewiesen wurde, Herr Weißhaupt?“

„Wie bitte?“

„Warumwurde der Autor ausgewiesen?“

„Dieses ‚Ausweisen‘ ist gleichbedeutend mit ‚sich erweisen‘, Birndippl.“

„Aha.“

„Nun, gehen Sie mit?“

„Hat er Ihnen seinen Ausweis gezeigt, wo Bildungsexperte draufgestanden ist, Herr Weißhaupt?“

„Nein, das weiß man doch, Birndippl. Gehen Sie mit?“

„Nein, Herr Weißhaupt, das ist mir zu gefährlich.“

„Was ist an einer Autorenlesung gefährlich?“

„Was geschieht mit dem Autor bei der Lesung, Herr Weißhaupt?“

„Was soll schon geschehen?“

„Was bei Lesungen geschehen kann, fragen Sie, Herr Weißhaupt? Dafür gibt es klassische Vorbilder.“

„Welche klassischen Vorbilder?“

„Die römischen Auguren lasen aus dem Vogelflug oder aus den Eingeweiden der Opfertiere das Schicksal ihrer Kunden. Ich frage Sie also, Herr Weißhaupt, was passiert mit den Eingeweiden des Autors bei der Autorenlesung?“

„Seien Sie unbesorgt, Birndippl, es werden keine römischen Auguren anwesend sein. Nichts Böses wird mit den Eingeweiden des Autors geschehen.“

„Nichts Böses?“

„Nichts Böses.“

„Was sonst?“

„Nur was natürlich ist, wenn ein Mensch sehr aufgeregt ist, Birndippl.“

„Was geschieht noch, Herr Weißhaupt? Wenn ich mitkommen soll, muss ich wissen, was passiert.“

„Er wird für seine Darbietung mehr- oder weniger Applaus bekommen.“

„So? Das klingt nicht begeistert!“

„Ja, hier versucht ein Autor, vorzulesen, was er – auch für ihn – schwer Verständliches geschrieben hat.“

„Woher wissen Sie das, Herr Weißhaupt?“

„Ich habe mit dem Autor erst vor kurzer Zeit gesprochen und ihn gefragt, wie viele Krimis er geschrieben hat.“

„Wie viele hat er?“

„Er war gerade dabei, seinen achten Krimi fertigzustellen.“

„Den achten Krimi? Schön. Haben Sie ihn gefragt, was er an seinen Krimis am meisten schätzt?“

„Natürlich hab ich das. Er ist ja schon ein erfahrener Krimiautor.“

„Was hat er gesagt?“

„Seine Krimis werden modernen Anforderungen gerecht, weil Sie nachhaltig sind.“

„Toll! Wie macht er das, dass sie nachhaltig sind?“

„Das hab ich auch gefragt.“

„Was hat er gesagt?“

„Seine Bücher sind auf Papier gedruckt. Zündet man sie nicht an, halten sie fast ewig.“

„Das hat er für nachhaltig gehalten?“

„Ja.“

„Laufen seine Krimis denn Gefahr, angezündet zu werden?“

„Das hab ich nicht direkt gefragt.“

„Was hat er gesagt, Herr Weißhaupt? Auch, wenn Ihre Frage nicht direkt war. Lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“, rief Birndippl ungeduldig.

„Nicht aus der Nase, Birndippl, aus dem Mund, wenn ich bitten darf.“

„Also bitte, lassen Sie sich nicht jedes Wort aus dem Mund ziehen.“

„Er wollte nicht gleich mit der Wahrheit herausrücken.“

„Also womit ist er herausgerückt? Laufen seine Bücher Gefahr, angezündet zu werden?“, war Birndippl schon sehr ungeduldig.

„Normalerweise nicht, nur wenn sie gelesen werden“, antwortete Weißhaupt.

Bereisen

Kaffeehaus, Sonntag, 10.02 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt hatten eben an ihrem Stammtisch Platz genommen und die bereitgelegten Zeitungen aufgeschlagen, da zeigte Weißhaupt begeistert auf ein Bild in seinem Blatt: „Schauen Sie, wie luxuriös das Kreuzfahrtschiff ist. Der Liner ist über 300 Meter lang.“

„300 Meter ist zu lang für den Rußbach“, antwortete Birndippl zerstreut.

„Wieso Rußbach? Der ist doch nicht schiffbar.“

„Auch auf der Donau könnte es nicht umkehren.

Wien-Passau könnte gerade noch gehen, Passau-Wien geht nur im Retourgang.“

„Birndippl! So ein Schiff verkehrt doch im Mittelmeer.“

„Was hab ich mit einem Schiff im Mittelmeer zu schaffen, Herr Weißhaupt?“

„Die Welt anschauen, Birndippl. Die Welt wurde dazu geschaffen, dass man sie anschaut.“

„Das ist selbstverständig, Herr Weißhaupt. Jeder Mensch muss eine Weltanschauung haben. Selbst ich hab eine, aber bei mir zu Hause.“

„Nein, Sie haben mich falsch verstanden. Bereisen und anschauen meinte ich.“

„Bereisen mach ich übermorgen, da heiratet mein Neffe.“

„Wo heiratet Ihr Neffe, Birndippl?“

„Bei uns in der Kirche.“

„Dann müssen Sie doch nicht zur Kirche reisen“,

rief Weißhaupt entrüstet.

„Hab ich auch nicht behauptet.“

„Doch! Sie haben gesagt: ‚Bereisen mach ich übermorgen‘.“

„Richtig. Wenn das Paar aus der Kirche kommt, wird es bereist. Das Reiswerfen ist bei uns jetzt üblich, das soll Glück bringen.“

„Glück? Und wenn jemand auf den harten Reiskörnern ausrutscht?“

„Ich werfe nur gekochten Reis, Herr Weißhaupt.“

„Egal. So verstehen Sie doch, Birndippl. Wenn man durch ein Land fährt, bereist man es.“

„Ich nicht. Ich streue keinen Reis am Land.“

„Unsinn! Sie können auch eine Stadt bereisen.“

„Mach ich nicht. Ich streue auch keinen Reis in einer Stadt. Das wäre Verschwendung, dafür ist mir der Reis zu schade. Und überhaupt, wenn die vielen Kinder in Afrika hungern müssen, Herr Weißhaupt!“

„Haben Sie als Kind auch hungern müssen, Birndippl?“

„Uns ist es nicht wirklich gut gegangen, Herr Weißhaupt.“

„Aha! Das hat also die Entwicklung Ihres Denkvermögens behindert!“

„Wieso Denkvermögen?“

„Weil Ihr ‚Bereisen‘ nur einfältig ist, Birndippl.“

„Eine Falte in ein hartes Reiskorn zu machen, ist schon schwierig genug, Herr Weißhaupt.“

„Wie kommen Sie jetzt auf eine Falte im Reiskorn, Birndippl?“

„Sie haben gesagt, dass mein Bereisen einfältig ist.

Wie viele Falten wollen Sie noch haben?“

„Zumindest zwei, wenn ich Ihre Art des Bereisens, also das Bewerfen mit Reiskörnern, gelten lasse, Birndippl.“

„Zumindest zwei!“, rief Birndippl. „Das wird nicht gehen, Herr Weißhaupt“, gab sich Birndippl überzeugt. „Zweifaltige Reiskörner müsste man mit einer teuren Spezialmaschine herstellen. Wer sollte das bezahlen, Herr Weißhaupt?“

Vielfältige Bezüge

Kaffeehaus, Sonntag, 11.10 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt stolperten über das Wort ‚Bezug‘.

„Es gibt Stoffbezüge und Lederbezüge, Herr Weißhaupt.“

„Ja.“

„Nicht zu vergessen sind die Sachbezüge. Zum Beispiel, wenn ich ein Dienstauto auch privat benützen kann.“

„Sie haben ein Dienstauto zur Verfügung, Birndippl?“

„Nein, leider nur das Beispiel.“

„Sie haben Lohn, Gehalt und die Pension vergessen, Birndippl. Zu jeder Art regelmäßiger Geldzuweisung kann man Bezug sagen.“

„Es gibt auch autobiografische Bezüge, Herr Weißhaupt.“

„Unsinn Birndippl.“

„Wieso Unsinn? Das wurde im Radio gesagt.“

„Was wurde gesagt, Birndippl?“

„Ein Roman, also ein Buch, hätte autobiografische Bezüge.“

„Gleich mehrere Bezüge, Birndippl?“

„Vielleicht Wechseleinbände?“

„Autobiografische, Birndippl?“

„Einfarbiger Bezug, Herr Weißhaupt.“

„Einfarbig ist langweilig.“

„Ein bunter Bezug kann auch langweilig sein, Herr Weißhaupt.“

„Nicht so sehr wie ein einfarbiger Bezug, Birndippl.“

„Weiß ist langweilig“, blieb Birndippl stur.

„Ein weißer Buchbezug! Der ist nicht nur langweilig, sondern auch unmöglich.“

„Obwohl er bunt ist, Herr Weißhaupt.“

„Weiß ist doch nicht bunt!“

„Doch: Weiß setzt sich aus allen Spektralfarben zusammen, ist also mehrfärbig bunt.“

„Sie verunsichern die Sprache, Birndippl.“

„Wann, Herr Weißhaupt?“

„Beim Reden, Birndippl.“

„Weiß ist aus vielen Farben zusammengesetzt. Das ist Physik, Herr Weißhaupt. Die Physik ist doch Ihr Lieblingsthema. Viele Farben: bunt, eine Farbe: monochrom.“

„Wo haben Sie sich diesen Begriff ‚monochrom‘ ausgeborgt, Birndippl?“

Birndippl machte ein Pokerface, sagte aber nichts.

„Man könnte auch monocolor sagen, Birndippl.“

„Mit ‚c‘ oder mit ‚k‘, Herr Weißhaupt?“

„Im Wörterbuch steht beides, Birndippl.“

„Ich weiß schon, das hängt von der Farbe ab, ob man monocolor mit ‚c‘ oder mit ‚k‘ schreibt.“

„Wieso hängt das von der Farbe ab, Birndippl?“

„Warme Farben, zum Beispiel rot, werden mit ‚c‘ geschrieben, kalte Farben, zum Beispiel blau, werden mit ‚k‘ geschrieben, Herr Weißhaupt.“

Weißhaupt sah nur erstaunt, sagte aber nichts, und Birndippl ergänzte: „Das ‚c‘ für warme Farben, leitet sich von Calor ab. Calor heißt Wärme.“

„Davon kommt auch die Wärmeeinheit Kalorie, Birndippl.“

„Sicher, Herr Weißhaupt.“

„Nur, dass man im Deutschen Kalorie mit ‚K‘ schreibt, Birndippl.“

Als Birndippl verwirrt schaute, fragte Weißhaupt: „Woher haben Sie die neuen Weisheiten, Birndippl?“

„Ich mache einen neuen Volkshochschulkurs ‚zwei Stunden Wissen für das tägliche Leben‘.“

„Zwei Stunden?“

„Ja.“

„Das reicht für das tägliche Leben, Birndippl?“

„Sicher, Herr Weißhaupt."

„Ihre zwei Stunden sind aber schon vorüber, Birndippl.“

Bilder des Lebens

Kaffeehaus, Sonntag, 10.11 Uhr. Der Ober Franz hatte den Zeitungslesern Birndippl und Weißhaupt gerade ihren Kaffee gebracht. Die Zeitungen wurden kurz zur Seite geschoben, um nicht Gefahr zu laufen, etwa beim Umblättern, auch nur einen Tropfen der kostbaren, schwarzen Flüssigkeit zu verschütten.

Birndippl stellte seine Tasse nieder und sagte: „In meiner Zeitung steht, dass gestern 45 unbekleidete Flüchtlingskinder von Griechenland nach Deutschland gebracht wurden. Ist das nicht schrecklich, Herr Weißhaupt? Stellen Sie sich das bildlich vor.“

„Wieso soll das schrecklich sein, Birndippl?“

„Jetzt ist Herbst und bald ist Winter, da ist es in Deutschland schon viel kälter als in Griechenland.

Man hätte die Flüchtlingskinder vorher anziehen sollen, Herr Weißhaupt.“

Weißhaupt nahm Birndippl die Zeitung weg, ließ sich den Artikel zeigen, las ihn und sagte: „Das ist ein Schreibfehler, Birndippl. Es sollte nicht unbekleidet, sondern unbegleitet heißen.“

„Wie unbegleitet?“

„Ohne Begleitung Erwachsener.“

„Aha“, sagte Birndippl. „Die Begleiter werden erst in Scharen nachkommen, wenn die Kinder in Deutschland sind.“

„Ich fürchte, Sie werden recht haben“, sagte Weißhaupt. „Stellen Sie sich die Bilder vor, wenn jedes Kind seine zehn Begleiter herzlich begrüßen wird.“

„Was heute alles, mit und ohne Fehler, in der Zeitung steht. Da wird die Frage gestellt, was man bei Blasenschwäche machen soll.“

„Was wird empfohlen, Birndippl?“

„Die Empfehlung versteh ich nicht, Herr Weißhaupt. Dabei ist das doch ganz einfach.“

„Was ist einfach?“

„Wenn jemand zu schwach zum Blasen ist, soll er halt ein anderes Instrument spielen, zum Beispiel Klavier oder Radio. Der Trompeter Simatschek hat sich, wie er besoffen von einer Orchesterprobe heimgegangen ist, an einem Laternenpfahl die vorderen Zähne eingeschlagen, oben und unten.

Jetzt kann er sein Blasinstrument ins Pfandl tragen, er kann nur noch Radio spielen, für die Trompete bringt er mit dem Zahnersatz keine Lippenspannung mehr zusammen. Der Simatschek ist ein Bild des Jammers.“

„Birndippl“, sagte Weißhaupt. „Diese Werbung steht in meiner Zeitung auch. Für die Behandlung der Blasenschwäche wird da aber ein Medikament empfohlen. Nicht jede Blasenschwäche lässt sich durch den Wechsel auf ein anderes Musikinstrument behandeln.“

„Ein medizinischer Lippenstift? Der hat beim Simatschek nichts genützt.“

„Birndippl! Wenn jemand sein Wasser nicht halten kann, wird das Blasenschwäche genannt.“

„Wenn Sie meinen, Herr Weißhaupt.“

Dann war es einige Zeit still am Tisch der Zeitungsleser, bis sich Weißhaupt mit der flachen Hand auf die Stirn schlug und sagte: „Ich darf nicht vergessen, Sie etwas zu fragen, Birndippl. Sie sind doch Gemeindebediensteter. Sie müssen das wissen.“

„Fragen Sie, Herr Weißhaupt.“

„Ich habe von einem entfernten Verwandten ein kleines Haus geerbt, das ich verkaufen möchte. Ein Interessent hat mich nach dem Energieausweis gefragt. Ich muss so einen Ausweis in Auftrag geben.

Muss ich dazu das Haus fotografieren?“

„Warum wollen Sie ein Foto machen?“

„Braucht ein Energieausweis ein Lichtbild?“

„Nur, wenn das Haus jünger als 70 Jahre ist.“

„Wieso jünger als 70 Jahre?“

„Das ist so, wie bei der E-Card, Herr Weißhaupt.“

„Wie bei der E-Card?“

„Ja.“

„Das ist zwar gang und gäbe, aber eine Frechheit!“

„Ja, Herr Weißhaupt. Aber nur für die Arzthelferinnen.“

„Wieso für die Arzthelferinnen, Birndippl? Wieso nicht für die über 70-Jährigen?“

„Den über 70-Jährigen kann das egal sein, Herr Weißhaupt, aber den Arzthelferinnen wird unterstellt, dass sie Menschen, die älter als 70 Jahre sind nicht auseinanderhalten können, mit und ohne Bild.“

Der B-Promi

Kaffeehaus, Sonntag, 10.23 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt frönten bereits ihrer Lieblingsbeschäftigung, sie richteten andere aus.

„Sieht man einen Menschen, der einen langen, voluminösen Schal mit einem riesigen Knoten so um den Hals geschlungen hat, dass er auch aus großer Entfernung nicht zu übersehen ist, hat man einen selbst ernannten Promi vor sich.“

„Ist der Promi nur ein Mann?“, fragte Birndippl.

„Nein kann auch eine Prominze sein.“

„Eine Prominze, Herr Weißhaupt?“

„Die weibliche Form von Promi, Birndippl.“

„Was heißt Promi wirklich, Herr Weißhaupt?

Können Sie mir den Promi sondieren?“

„Warum soll ich den Promi sondieren, Birndippl?“

„Sondieren heißt doch vorsichtig ausforschen, Herr Weißhaupt. Das haben Sie mir letzten Sonntag beigebracht.“

„Ja oder mit der Sonde untersuchen. Fürchten Sie, dass der Promi beißt?“

„Ich bin ein schreckhafter Typ, Herr Weißhaupt.“

„Also Promi: Das Wort leitet sich von prominent ab, Birndippl und heißt so viel wie angesehen, bedeutend, berühmt, populär, maßgebend, renommiert.“

„Und wieder stammt ein Wort aus dem Lateinischen, Herr Weißhaupt?“

„Genau, Birndippl.“

„Ich bin auch ein Promi, Herr Weißhaupt.“

„Sie, Birndippl?“, wunderte sich Weißhaupt.

„Das wurde mir von offizieller Stelle bekannt gegeben.“

„Erzählen Sie, Birndippl“, antwortete Weißhaupt, wobei er seine Eifersucht auf einen möglicherweise prominenten Birndippl nicht unterdrücken konnte.

„Vor Kurzem bin ich wieder einmal mit der S-Bahn gefahren, Herr Weißhaupt.“

„Was war da, Birndippl?“, war Kleinschmied ungeduldig.

„Da gab es öfters eine eigenartige Durchsage.“

„Wenn ich mich recht entsinne, finden Sie so manche Durchsage eigenartig, Birndippl.“

„So?“, sagte Birndippl noch, dann war er aber beleidigt.

„Welche Durchsage war das?“, war Weißhaupt am Ende seiner Geduld. Birndippl als Promi schien ihm viel zu abwegig, um wahr sein zu können.

Das wollte er jetzt genau wissen.

Birndippl verzog nur den Mund. Dann bequemte er sich doch zu antworten und murmelte: „Wegen einer behördlichen Anordnung ist es erforderlich, einen Mindestabstand von einem Meter zu anderen Personen einzuhalten. Wir danken für Ihre Kooperation.“

„Und, haben Sie kooperiert, Birndippl?“, fragte Weißhaupt mildgestimmt.

„Ja, Herr Weißhaupt. Und jetzt ist mir nicht klar, ob ich deswegen ein Kooperator bin. Ein Kooperator ist doch ein Promi?“

„Der Kooperator ist ein alter Ausdruck für Mitarbeiter. Der Mitarbeiter eines Pfarrers wurde zumeist Kooperator genannt, wenn er bereits Priester war. Später hat sich dafür der Begriff Kaplan durchgesetzt.“

„Mitarbeiter?“, jammerte Birndippl. „Kein Promi, Herr Weißhaupt?“

„Nur ein B-Promi“, sagte Weißhaupt und täuschte einen Hustenanfall vor.

Wo ist das „Bum, bum“?

Kaffeehaus, Sonntag, 10.33 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt plauderten über dies und das. Weißhaupt fiel eine kleine Schachtel auf, die Birndippl auf den Tisch gestellt hatte und wie verliebt betrachtete. Schließlich fragte er: „Was haben Sie in der kleinen Schachtel, Birndippl? Sie sind ja ganz vernarrt in sie.“

„Wollen sie sehen, Herr Weißhaupt, was ich mir gestern gekauft habe?“, fragte Birndippl. Er zeigte ihm die kleine Schachtel, auf der eine Uhr abgebildet war. Das Zifferblatt hatte eine 60-Minuten-Teilung und statt der Zeiger gab es einen Drehschalter mit Pfeilmarkierung.

„Was ist das?“

„Eine Kurzzeituhr.“

„Eine Kurzzeituhr? Wozu brauchen Sie sowas? Ich brauche keine Uhr nur für kurze Zeit. Meine Armbanduhr habe ich schon zwanzig Jahre. Der Wecker am Nachtkastl stammt noch vom Großvater.“

„Eine Kurzzeituhr kann man zum Kochen gebrauchen, Herr Weißhaupt.“

„Zum Kochen braucht man einen Herd, Birndippl.“

„Und wie lange kochen Sie zum Beispiel Nudeln?“

„Bis sie gut sind.“