Kleinschmied und der Würger - Peter Faust - E-Book

Kleinschmied und der Würger E-Book

Peter Faust

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Beschreibung

Chefinspektor Kleinschmieds Tochter, die Schuldirektorin Viktoria Kleinschmied, kam ganz aufgeregt mit ihrer Tochter Lydia an der Hand ins Büro ihres Vaters. Lydia hat gehört, wie zwei Schüler darüber gesprochen haben, dass sie einer Frau im Wald mit einem Ast über den Kopf geschlagen haben, weil sie mit ihr Sex haben wollten und die Frau nicht dazu zu haben war. Die Frau entriss ihnen aber den Ast und vertrieb damit die Schüler. Lydia war davon überzeugt, dass die beiden nicht bemerkt haben, dass sie ihr Geheimnis mitgehört hat, weil sie sich vorsichtig davongeschlichen hat.

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Handlung, Personen und Orte der Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit ist rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

1

Chefinspektor Kleinschmied besprach mit seinen Leuten den Abschluss eines schwierigen Falles, als Kleinschmieds Tochter, die Schuldirektorin Doktor Viktoria Kleinschmied, ganz aufgeregt mit ihrer halbwüchsigen Tochter Lydia an der Hand ins Büro des Chefinspektors kam, mitten in die Besprechung platzte und aufgeregt sagte: „Hör dir an, Vater, was dieses Kind aus der Schule Entsetzliches mitgebracht hat.“

„Ich sag nichts!“, zischte Lydia böse.

„Wenn sich deine Mutter so aufregt, Lydia, wird das, was du aus der Schule mitgebracht hast, doch erzählenswert sein.“

„Ich sag nichts!“

„Nun hab ich offensichtlich“, sagte Kleinschmied zu seinen Leuten, „einen neuen, hoffentlich nur familieninternen Fall. Danke, für das offene Gespräch.“ Er wartete, bis alle Mitarbeiter das Büro verlassen hatten, dann sagte er zu seiner Enkelin: „Sonst erzählst du mir alles, warum heute nicht?“

„Es ist nur ein albernes Gerede von zwei älteren Schülern.“

„Wie alt sind die Schüler?“

„Sie gehen in die Maturaklasse“, sagte Frau Viktoria, Lydia schwieg wieder.

„Sie hat gehört, wie sich zwei Burschen über ein Gewaltverbrechen lustig gemacht haben“, erzählte Frau Viktoria weiter.

„Sie haben sich nicht lustig gemacht“, protestierte Lydia. „Sie habe nur besorgt darüber gesprochen.“

„Wollten die beiden nur bei dir Eindruck machen?“, fragte der Großvater leichthin.

„Sie ist doch noch ein Kind!“, rief Frau Viktoria entsetzt.

„Die haben nicht mitgekriegt, dass ich zugehört habe“, war Lydia in ihrem Stolz verletzt.

„Wieso nicht?“, fragt der Chefinspektor.

„Weil ich in der großen Pause in meiner Bank in der sonst leeren Klasse gesessen bin und die beiden im Schulhof gestanden sind.“

„Wenn ich mich recht erinnere, liegt deine Klasse im ersten Stock“, wunderte sich Kleinschmied. „Wie konntest du da eine Unterhaltung mitanhören?“

„Das Fenster war offen.“

„Und wieso warst du in der großen Pause alleine in der Klasse?“

Lydia schwieg.

„Sie wird eine Hausaufgabe abgeschrieben haben“, vermutete ihre Mutter.

„War das so?“, fragte Kleinschmied belustigt.

„Ja, Opa.“

„Wieso hat dich die Gangaufsicht nicht rausgeschmissen?“, fragte Frau Viktoria, ganz Schulleiterin.

„Die Gangaufsicht war gerade am Gang mit dem Schlichten eines Streites überfordert.“

„Sei nicht so frech und erzähle endlich deinem Großvater, was du gehört hast“, war die Frau Schuldirektorin ärgerlich.

Lydia war aber über die Rüge ihrer Mutter sichtlich zornig und schwieg.

„Also, was hast du gehört?“, fragte der Opa freundlich. „Erzähle, Lydia.“

„Ich erzähle, was ich mir vom Gespräch gemerkt habe:

‚Ob Sie noch lebt?‘, fragte ein Schüler.

‚Mach dir keine Sorgen‘, sagte ein anderer.

‚Du hast gut reden‘, meinte der erste, ‚immerhin hab ich ihr den Ast über den Kopf geschlagen.‘

‚Es war ja deine Idee, sie für eine Hure zu halten, mit der wir leicht hätten Sex haben könnten.‘

‚Du hast gesagt, dass ich den Ast nehmen soll, wie sie nicht wollte‘, rechtfertigte sich der eine.

‚Aber nicht, dass du ihr damit auf den Kopf schlagen sollst‘, erwiderte der andere.

‚Sie hat dir doch eine Ohrfeige verabreicht. Ich wollte mich mit dem Stück Holz nur verteidigen, als sie auch auf mich losgegangen ist.‘

‚Verteidigen? Sie hat dir den Prügel weggenommen und hat damit auf uns eingedroschen, dass wir nur mehr davonrennen konnten.‘

‚Als ich mich im Wegrennen kurz umgedreht habe, hab ich gesehen, dass sie hingefallen ist‘, sagte weinerlich der eine.

‚Sie hat sich sicher beim Hinschlagen auf uns überanstrengt‘, versuchte der andere, sich und seinen Freund zu beruhigen.“

„Was sagst du dazu, Vater?“, fragte Frau Viktoria entsetzt.

„War das alles, Lydia?“, wollte der Chefinspektor wissen.

„Nein. Dann war einen Augenblick Ruhe, bis der eine sagte, und das hat sehr unglücklich geklungen: ‚Hoffentlich ist das wahr, und sie ist nicht nur wegen der Folge meines Schlags hingefallen und liegt vielleicht noch dort.‘

‚Wenn sie noch dort liegt, hätten wir schon etwas davon gehört‘, beruhigte ihn der andere.

‚Wieso gehört?‘

‚Die Medien hätten es berichtet.‘

‚Die Medien? Das war doch erst gestern. Glaubst du die schicken jeden Tag einen neugierigen Reporter in den Wald?‘, klagte wieder der eine.

‚In dem Waldstück sind doch immer Spaziergänger unterwegs. Die hätten schon etwas gemeldet‘, antwortete der andere.

‚Wir sollten nach der Schule nachschauen‘, wollte der eine Sicherheit.

‚Bist du wahnsinnig?‘, hat der andere gerufen. ‚Dort bringen mich keine zehn Pferde mehr hin.‘

Da hab ich mich davongeschlichen. Ich wollte nicht in ihren Blödsinn verwickelt werden, Opa.“

„Was sagst du dazu, Vater?“, fragte Frau Viktoria wieder. „Lydia kennt die Namen der zwei Schüler. Ich hab vor, mit der Direktorenkollegin der Schule zu reden.“

„Nein, Viktoria. Ich will zuerst, dass Frau Dolies den beiden Jungen auf den Zahn fühlt, damit wir wissen, wo der Vorfall passiert ist. Dann machen wir einen Lokalaugenschein mit ihnen und wenn wir nichts finden, kannst du mit deiner Kollegin reden, damit die jungen Männer ihre Strafe bekommen.“

„Warst du wenigstens mit dem Abschreiben der Hausübung fertig?“, fragte Frau Viktoria ihre Tochter.

„Nein, das war mir nicht mehr so wichtig, ich wollte nicht entdeckt werden.“

„Das heißt, du hast wieder eine Strafe bekommen, weil du keine Hausarbeit vorweisen konntest.“

„Ja, hätte ich mich vielleicht entdecken lassen sollen?“

„Du hättest die Hausarbeit zu Hause schreiben sollen!“, antwortete Frau Viktoria ziemlich laut.

„Sich davonzuschleichen war aber in ihrer Situation sehr richtig“, lobte der Chefinspektor.

„Du unterstützt sie auch noch!“, empörte sich die strenge Frau Viktoria.

„Und du bist sicher, dass die beiden deine Anwesenheit nicht bemerkt haben?“, fragte der Großvater besorgt.

„Ja, Opa.“

„Auch dein Davonschleichen nicht?“

„Haben sie sicher nicht bemerkt.“

„Und, dass du als Letzte auf den Schulhof gekommen bist?“

„Bin ich nicht. Als ich am Gang war, hat die Glocke das Ende der Pause angekündigt. Meine Klassenkameradinnen sind schon über die Stiege zur Klasse gestürmt, ich hab mich unter sie gemischt.“

„Warum fragst du das alles, Vater?“, fragte Frau Viktoria unsicher.

„Ich will mich nur versichern, dass eine anonyme Anzeige vorliegt.“

„Genau, Opa“, sagte Lydia.

Frau Viktoria schüttelte nur ungläubig den Kopf und sagte: „Wie du meinst, Vater.“

„Ich hoffe, du kennst die Namen der beiden Jungen wirklich, Lydia?“, fragte Kleinschmied besorgt.

„Nein“, sagte Lydia traurig, „leider nicht.“

„Du musst eben einen Stimmentest mit Lydia und den Schülern der Maturaklasse machen, Vater.“

„Genau das werde ich nicht tun. Ich muss Lydia aus der ganzen Sache heraushalten. Wer weiß, was da alles noch herauskommt.“

„Hoffentlich nichts, Vater!“, war Frau Viktoria nun doch etwas besorgt. „Glaubst du, dass die Vorgänge im Wald, von denen Lydia ja nur gehört hat, für sie gefährliche Folgen haben könnten?“

„Meine Erfahrung lässt mich vorsichtig sein, Viktoria.“

Jetzt war Lydia schon ungeduldig, sie wollte ihren Großvater wieder einmal beweisen, dass sie das Zeug zur Kriminalistin hätte: „Opa, ich habe zwar nicht die Namen der Schüler gekannt, kann aber mühelos die gehörten Stimmen zu den Personen zuordnen.“

Frau Viktoria schüttelte nur den Kopf.

„Wie willst du das tun?“, fragte der Chefinspektor.

Lydia nahm aus ihrer Schultasche ein großes Fotoalbum, schlug es auf und blätterte, bis sie die Klassenfotos ihrer Schule fand. Dann zeigte sie auf zwei Personen und sagte: „Die beiden sind es.“

„Bist du sicher?“

„Ja. Die lauten Stimmen der beiden Angeber stören jederzeit. Selbst, wenn im Schulhof im Turnunterricht Ball gespielt wird, hört man sie durch das geschlossene Fenster.“

„Sehr gut Lydia! Du wirst einmal eine gute Kriminalistin.“

„Das will ich ja doch nicht hoffen“, ärgerte sich Frau Viktoria, sie wollte ja, dass ihre Tochter auch den Lehrberuf ergreifen solle. „Wieso hast du in den Ordner auch das Klassenfoto der Maturaklasse?“

„Wir hatten doch heuer das Schuljubiläum. Anlässlich der Feiern wurden die Fotos gemacht. Wir Schüler konnten uns um einiges Geld alle Fotos anschaffen, die wir wollten. Dafür ist leider mein ganzes Taschengeld draufgegangen.“

„Jetzt weiß ich, warum du mich, sooft angepumpt hast“, sagte der Chefinspektor.

„Wie willst du von dem Foto zu den Maturanten kommen? Lass mich mit meiner Kollegin reden, Vater.“

„Nein. Frau Bezirksinspektor Berta Dolies wird die Ermittlungen führen und mit deiner Kollegin reden. Gibt es eine Festschrift zum Schuljubiläum?“

„Ja sicher“, sagte Frau Viktoria.

Lydia nahm eine Mappe aus ihrer Schultasche und schob sie ihrem Großvater zu. „Das ist die Festschrift“, sagte sie.

Kleinschmied schlug die Mappe auf und fand das vorhin gezeigte Foto und die Namen der Fotografierten. Zufrieden machte er die Mappe wieder zu und sagte: „Und ihr beide, werdet über die Waldgeschichte mit niemand reden. Hast du mich verstanden Lydia?“

„Ja, Opa.“

„Hast du gehört, in welchem Wald die Tat geschehen ist, Lydia?“

„Nein, leider nicht. Aber kannst du das nicht aus den Wohnadressen der Burschen herausfinden? So faul wie die sind, werden die kaum in den Wienerwald gefahren sein.“

„Das kann durchaus sein, Lydia.“

„Brauchst du die Festschrift wirklich, Opa?“

„Ja.“

„Ich hätte sie aber gerne wieder.“

„Sie ist bei der Kriminalpolizei in guten Händen“, sagte Kleinschmied mühsam ernst bleibend. „Nun geht nach Hause und lasst mich meine Arbeit machen.“

Kaum waren Kleinschmieds Tochter und Enkelin gegangen, kam Frau Helene Schmidt, Kleinschmieds Büroassistentin, zum Chefinspektor und sagte: „Hoffentlich hat ihre umtriebige Enkelin nicht wieder was angestellt.“

„Das kann man bei Lydia nie wissen“, antwortete Kleinschmied belustigt. „Ist Frau Dolies schon wieder da?“

„Nein, Herr Chefinspektor.“

„Wenn Sie kommt, soll sie sofort zu mir kommen.“

Kleinschmied wunderte sich, warum seine Enkelin das Klassenfoto der Maturaklasse getrennt von der Festschrift besaß. Er besah sich das Foto noch einmal und entdeckte, dass auf der Vorderseite die Köpfe zweier Schüler mit grünem Filzschreiber umkreist waren, und auf der Rückseite zwei Namen eingetragen waren. „So ein Miststück!“, sprach Kleinschmied halblaut zu sich selbst, „sie war schon vorbereitet, mir die verdächtige Handlungsweisen der beiden anzuzeigen.“

„Wollen Sie wirklich, dass ihre Enkelin auch einmal Kriminalistin wird?“

„Ja, sie scheint mir Talent zu haben.“

„Ihre Tochter wollte nie Polizistin werden?“

„Nie und das ist auch gut so. Sie gebärdet sich als unsere private Gefängniswärterin aus dem Mittelalter.“

„Und das konnten Sie ihr nicht abgewöhnen, Herr Chefinspektor?“

„Nein. Daran war leider ihr geschiedener Mann schuld. Den hätte ich ihr gerne ausgeredet, aber, Sturschädel, wie sie ist, hat sie meine Warnungen nicht ernst genommen. Den Sturschädel hat sie ja von mir.“

„Entschuldigen Sie, Herr Chefinspektor, was sie als Sturschädel bezeichnen, hat bisher in allen ihren Fällen schließlich zum Erfolg geführt.“

„Kann schon sein. Frau Schmidt, schauen Sie bitte nach, ob es unter den letzten Abgängigkeitsanzeigen Frauen im Alter zwischen etwa 20 und 50 Jahren gibt.“

„Ja, mach ich. Sie nehmen die Geschichte der beiden Schüler wirklich ernst?“

„Ob wir das ernst nehmen müssen, soll Frau Dolies ja feststellen. Ich will nur nichts versäumen.“

Als Bezirksinspektor Berta Dolies gut gelaunt ins Büro kam, sie war als Zeugin vor Gericht geladen gewesen, sagte sie zufrieden: „Fünfzehn Jahre hat er gekriegt. Die hat er auch verdient!“

„Gut gelaunte Mitarbeiter hat man gerne! Frau Dolies, ich habe schon wieder einen blöden Fall für Sie. Das heißt, eigentlich müssen Sie erst einmal nachprüfen, ob das ein Fall ist ...“

„Hab ich da nicht gerade Ihre Tochter mit Lydia aus dem Haus gehen gesehen?“, fragte Frau Dolies lächelnd.

„Ja“, seufzte Kleinschmied.

2

Im Auftrag von Chefinspektor Kleinschmied befasste sich Frau Bezirksinspektor Berta Dolies mit der Geschichte, die Kleinschmieds Enkelin Lydia erzählte. Die Schule der beiden Schüler aus der Maturaklasse war dieselbe wie die Schule von Lydia. Die Namen der Schüler konnte sie aus dem Foto und der Festschrift entnehmen. Also fuhr Frau Dolies am nächsten Morgen zur Schule und ging in die Direktionskanzlei, um die Befragung der Schüler Erich Kopf und Emil Rhadez einzuleiten.

Die Schulleiterin war sofort zu sprechen, als sie von ihrer Sekretärin erfuhr, dass eine Kriminalbeamtin zwei ihrer Schüler sprechen will. „Was haben die beiden Schüler angestellt, Frau Bezirksinspektor, dass sich das Landeskriminalamt um sie kümmert?“, fragte die Direktorin entsetzt.

„Das ist nur eine Befragung zu einer uns vorliegenden anonymen Anzeige, Frau Direktor. Ob eine strafrechtliche Tat vorliegt, ist nicht sicher. Ich will zunächst nur eine Auskunft erhalten, um mir ein Bild machen zu können.“

„Gut“, sagte die Direktorin, „ich möchte aber bei der Befragung dabei sein.“

„Das ist mir recht“, sagte Frau Dolies.

Kopf und Rhadez wurden also von der Sekretärin in die Direktionskanzlei geholt.

„Die Frau Bezirksinspektor Dolies vom Landeskriminalamt hat einige Fragen an euch“, sagte die Schuldirektorin. „Beantwortet die Fragen wahrheitsgemäß. Ich bin bei der Befragung zu eurer Sicherheit dabei.“

„Herr Kopf und Herr Rhadez“, begann Frau Dolies, „Sie wohnen in Ottakring und spielen gerne Fußball am Waldspielplatz Liebhartstal. Ist das so?“

Die beiden Schüler nickten nur mit den Köpfen.

„Von Ihren Wohnadressen ist es ganz hübsch weit zum Fußballplatz. Haben Sie Fahrräder?“

„Ich hab ein E-Bike“, sagte Kopf.

„Ich auch“, sagte Rhadez.

„Sie waren auch vor zwei Tagen am Nachmittag dort.“

Die beiden Schüler schauten einander betroffen an, dann sagte Kopf: „Ja.“

„Waren Sie mit den Bikes auch im Wald?“, fragte Frau Dolies.

Die Schüler schwiegen.

„Ich nehme an, dass es hier nicht ums verbotene Radfahren im Wald geht, sondern nur, ob ihr im Wald etwas gesehen habt, was die Frau Inspektor interessieren könnte“, erläuterte die Frau Direktor.

„Ja, so ist es“, bestätigte Frau Dolies.

Die beiden Schüler schwiegen und Frau Dolies setzte nicht nach, da sie sah, dass es bei beiden zu kaum unterdrückten Gemütsregungen kam.

„Sie hat uns doch mit dem Prügel davongejagt. Warum hat sie sich auch noch bei der Polizei beschwert?“, rief Kopf plötzlich.

„Dummkopf“, sagte Rhadez zu Kopf.

„Eine Frau also“, bemerkte Frau Dolies. „Wieso hat sie Euch davongejagt?“

„Sie ist mit dem Kleid in der Hand bloßfüßig auf dem Waldweg gelaufen“, erklärte Rhadez.

„Haben Sie die Frau gekannt?“

Die beiden Schüler schüttelten nur den Kopf.

„Auch noch nie gesehen?“

Wieder nur Kopfschütteln bei den Befragten.

„Wie hat sie ausgesehen? Bitte beschreiben Sie die Frau.“

„Warum sollen wir sie beschreiben, wenn sie uns ohnedies bei Ihnen angezeigt hat?“, maulte Kopf.

„Das gehört zur guten Ordnung dazu“, sagte Frau Dolies. „Also die Beschreibung?“

„Sie war groß und schlank“, begann Rhadez.

„Hatte kurze, schwarze Haare“, ergänzte Kopf.

„Einen Bubikopf“, sagte Rhadez.

„Wie groß?“, wollte Frau Dolies wissen.

„So groß wie Erich“, legte sich Rhadez fest. „Und sie hatte lange Beine.“

„Eine gute Figur“, bemerkte Kopf und wurde verlegen.

„Sie meinen, sie hatte einen großen Busen?“, fragte Frau Dolies streng.

„Ja“, sagte Kopf, während Rhadez nur nickte.

„Welche Farbe hatte das Kleid, das sie in der Hand hatte?“

„Knallrot“, sagte Rhadez.

„Gemustert?“

„Ohne Muster“, war sich Kopf sicher.

„Was hat sie noch angehabt, wenn sie das Kleid in der Hand getragen hat?“

„Nur das Unterkleid“, sagte Kopf.

„Sind Sie sich da sicher?“

„Ja.“, antwortete Rhadez.

„Ach“, sagte Frau Dolies, „Sie haben die Frau, weil sie halbnackt war, für eine Hure gehalten und wollten mit ihr Sex?“

Die beiden Schüler blickten nur verschämt zu Boden.

„Sie haben geglaubt, dass sie von einem Kunden kommt und auch mit ihnen Sex haben will?“, bohrte Frau Dolies weiter.

„Wir haben sonst niemand gesehen“, sagte Kopf verstört.

„Ihr habt wirklich keinen Mann im Wald gesehen?“, fragte die Direktorin besorgt, als ahnte sie, dass ihre Schüler doch Schlimmes angestellt haben.

„Nein!“, sagte Rhadez.

„Keinen Mann!“, sagte Kopf bestimmt.

„Niemand!“, ergänzte Rhadez.

„Auch kein Auto gesehen oder nur einen Motor gehört?“, fragte Frau Dolies.

„Kein Auto“, sagte Kopf.

„Nicht einmal einen Motor“, sagte Rhadez und Kopf schwieg, machte aber ein seltsames Gesicht zur Aussage seines Freundes.

„Kein Fahrzeugspuren weit und breit?“

Da sagte schließlich Kopf: „Doch Fahrzeugspuren. Der Wildhüter hat einen Geländewagen. Die Spuren waren sicher von ihm.“

„Gesehen haben wir den Wildhüter allerdings nicht“, war sich Rhadez sicher.

„Sie waren schon öfters in dem Waldstück und kennen den Wildhüter?“

„Wir waren schon öfters dort im Wald“, antwortete Kopf.

„Vom Wildhüter halten wir uns allerdings fern, auf den Waldwegen ist generell Fahrverbot, auch für Fahrräder“, erklärte Rhadez.

„Kennen sie die Autonummer des Wildhüterfahrzeuges?“

Beide Schüler schüttelten nur die Köpfe. Frau Dolies glaubte das zwar nicht, weil sie annahm, dass die Jungen doch die Kennzeichen ihres wichtigsten Gegners beim verbotenen Befahren von Waldwegen kennen würden, fragte aber dann: „Kann es sein, dass sie zwar einen Motor gehört haben, doch angesichts der begehrenswerten Frau kein Interesse am Motor hatten?“

Die beiden Schüler sahen einander an, dann sagte Rhadez: „Kann sein, dass wir einen Motor gehört haben, aber schon sehr weit weg. Das Auto muss aber auf der Straße gefahren sein.“

„Auf welcher Straße?“

„Auf der Liebhartstalstraße.“

„Kann das Auto sich Ihnen genähert haben?“

„Nein“, antwortete Rhadez. Er war besser in Physik als Kopf. „Die Geräusche wurden schwächer. Das Auto hat sich also von uns entfernt.“

Mit der Feststellung fühlte sich Rhadez sicher und grinste Frau Dolies frech an. Auch Kopf wurde von der offensichtlichen Zuversicht seines Freundes angesteckt und seine Gesichtszüge entspannten sich.

„Kennen Sie noch andere Waldwanderer?“

„Auch Waldwanderer haben etwas gegen Radfahrer im Wald“, antwortete Rhadez.

„Waldwanderern weichen wir, wenn wir Rad fahren, immer aus“, sagte Kopf bestimmt.

„Es sei denn“, bemerkte Frau Dolies dazu, „Sie ist weiblich und hübsch und hat ihr Kleid in der Hand.“ Sie ärgerte sich aber sofort darüber, als sie sah, dass ihre Bemerkung, die eigentlich heiter sein sollte, bei den beiden Schülern nicht gut ankam.

Die Direktorin nützte die Gelegenheit und fragte: „Seid ihr immer mit den Fahrrädern unterwegs und nie zu Fuß?“

„Nie zu Fuß“, sagte Kopf.

„Die E-Bikes sind doch sehr praktisch!“, sagte Rhadez.

„Wie ist es dann weitergegangen?“, fragte Frau Dolies, und als sie keine Antwort bekam, setzte sie nach: „Haben Sie die Frau angesprochen?“

Die beiden Schüler machten verschämte Gesichter, dann antwortete doch Kopf: „Wie wär es mit uns? Hab ich gefragt.“

„Schleichts euch! Hat sie nur wütend geschrien“, sagte Rhadez.

„Emil hat ihr darauf das Kleid weggenommen, wofür er eine Ohrfeige bekommen hat“, regte sich Kopf auf.

„Und Sie haben nur zugeschaut, Herr Kopf? Die Frau ist doch ohne Kleid dagestanden.“

„Sie wollte wegrennen, doch ich bin ihr im Weg gestanden. Da hat sie mir mit dem Knie einen Stoß in den Bauch gegeben. Das hat fürchterlich wehgetan und ich habe mich zusammengekrümmt. Dabei hab ich einen abgebrochenen Ast liegen gesehen, hab ihn aufgehoben und ihr über den Kopf geschlagen.“

„Was haben Sie gemacht?“, wunderte sich die Direktorin.

„Das war bloße Verteidigung“, wehrte sich Kopf.

„Wir sind dann beide davongerannt“, ergänzte Rhadez. „Die Frau hat nämlich Erich den Prügel aus der Hand gerissen und hat damit auf uns, wüst schimpfend, eingeschlagen.“

„Gfraster! Hat sie geschrien“, sagte Kopf, „Gebt mir das Kleid her!“

„Und was haben sie mit dem Kleid gemacht?“

„Das hab ich im Weglaufen fallen gelassen“, antwortete Rhadez.

„Was hat die Frau weiter gemacht?“

„Wissen wir nicht“, antwortete Kopf.

„Was mit der Frau weiter geschehen ist, wissen sie nicht?“, tat Frau Dolies so, als ob sie sich wunderte.

„Wissen wir nicht“, sagte Rhadez schnell.

Er sagte es ein wenig zu schnell, das erregte Frau Dolies Argwohn: „Das glaub ich Ihnen nicht!“

„Doch, es ist so. Im Wegrennen habe ich mich kurz umgeblickt. Da hab ich bloß gesehen, dass die Frau hingefallen ist“, sagte Kopf.

„Warum ist sie hingefallen?“

„Keine Ahnung“, sagte Kopf.

„Keine Ahnung?“, fragte Frau Dolies nach.

„Keine Ahnung“, sagte auch Rhadez.

„War das vielleicht die verspätete Wirkung Ihres Schlages mit dem Prügel?“

„Nein!“, riefen beide Schüler entsetzt.

„So fest hab ich doch gar nicht hingeschlagen!“, klagte Kopf.

„Auf die Stirn oder auf den Hinterkopf?“, wollte Frau Dolies wissen.

„Von hinten“, sagte Kopf.

„Von hinten?“, rief Frau Dolies. „Auf eine unbewaffnete Frau?“

„Ja.“

„Sehr mutig.“

„Ich wollte, dass sie Emil in die Arme fällt“, sagte Kopf sichtlich traurig.

„Das ist offensichtlich gründlich schief gegangen“, sagte Frau Dolies mit etwas Schadenfreude. „Warum ist sie hingefallen?“

„Weiß ich doch nicht!“, jammerte Kopf.

„Sie hat sich, als sie auf uns einprügelte, wahrscheinlich übernommen“, sagte Rhadez kalt.

„Sie haben sich nicht weiter um die Frau gekümmert?“

„Nein. Sie hat uns doch weggeprügelt!“, wehrte sich Kopf.

„Wo war das im Wald? Wir müssen sicherheitshalber Nachschau halten.“

„Was wollen Sie dort finden?“, fragte Rhadez misstrauisch.

„Fußspuren.“

„Fußspuren?“, wunderte sich Rhadez.

„Wenn drei Leute mit sicher hektischen Bewegungen auf einen Platz zusammengestanden sind, gibt es immer entsprechende Fußspuren.“ Als die beiden Schüler skeptisch schauten, fragte Frau Dolies nach: „War der Waldweg dort etwa asphaltiert?“

„Nein“, sagte Kopf.

„Wo also war das im Wald?“

„Wir sind etwa 10 Minuten vom Fußballplatz in den Wald hineingefahren“, antwortete Kopf.

„Allerdings nicht sehr schnell, das kann nur ein paar hunderte Meter vom Fußballplatz entfernt sein, wo wir die Frau getroffen haben“, ergänzte Rhadez.

„Am besten ist es, Sie führen uns zu dem Platz im Wald, an dem Sie versucht haben, die Frau anzumachen. Dann könnten wir die Affäre am schnellsten beenden. Wir machen das gleich. Ich muss nur die nötige Mannschaft dazu organisieren.“

Als Frau Dolies ihr Handy nahm, um zwei Funkstreifen zur Schule zu ordern, stand die Direktorin auf, leitete die Schüler ins Vorzimmer und sagte zur Sekretärin: „Die beiden bleiben jetzt

bis auf Weiteres bei Ihnen.“

Als die beiden Schüler zur Sekretärin gegangen waren, machte die Direktorin die Türe zum Sekretariat zu und fragte, Schlimmes erwartend: „War das alles, Frau Bezirksinspektor, oder kommt noch etwas Böses?“

„Ich weiß es nicht, Frau Direktor. Mehr, als das, was ich hier gesagt habe, weiß ich auch nicht. Es gibt nur eine anonyme Anzeige. Nach dem, was Ihre Schüler vorhin erzählt haben, ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass da noch ein Mann im Spiel war, von dem die Schüler entweder nichts gesehen haben, oder nichts erzählen wollten.“

„Der ferne Motorklang ...“

„Kann eine Schutzbehauptung sein, ist nicht spontan gekommen.“

„Was werden Sie jetzt machen?“

„Wir werden nach der Spurenlage versuchen, die Berichte der Schüler im Wald zu verifizieren. Passt alles zusammen, und der anonyme Anzeiger rührt sich nicht wieder mit Neuigkeiten, dann wird die Geschichte kein Fall.“

3

Nach Rücksprache mit Chefinspektor Kleinschmied organisierte Frau Dolies nun die Nachschau im Wald. Sie forderte zwei Funkstreifen an und fuhr mit ihrem Auto voran. Neben ihr, am Beifahrersitz, hatte die Turnlehrerin Frau Veronika Hiss Platz genommen. Frau Hiss war von der Schuldirektorin den beiden Schülern als Vertrauensperson mitgegeben worden. Am Rücksitz saßen Erich Kopf und Emil Rhadez.

Am Waldrand angekommen, empfing sie Emmerich Prohaska, der zuständige Förster der Bundesforste für den Tatortwald: „Das Landeskriminalamt hat mich herbestellt, Frau Bezirksinspektor. Es kann ja sein, dass Sie etwas Forstspezifisches brauchen.“

„Das kann schon sein“, antwortete Frau Dolies. „Gut, dass Sie da sind.“

Dann ging die ganze Gruppe, Frau Dolies mit den Schülern und der Turnlehrerin, der Förster und die Funkstreifenpolizisten, eine halbe Stunde zu Fuß in die Richtung weiter, die die Schüler angegeben hatten. Die Schüler gingen an der Spitze.

Als die Schüler stehen blieben, fragte Frau Dolies: „Wo habt Ihr die Frau hier gesehen?“

„Dort ist sie am Weg heruntergekommen“, sagte Kopf. Und so ging die ganze Gruppe in die angezeigte Richtung.

„Frau Bezirksinspektor!“, sagte plötzlich ein Polizist, „Schauen Sie, da gibt es quer zum Weg Fußspuren.“

Frau Dolies ging hin und sagte: „Bloße Füße. Sie scheinen zu laufen.“

„Sie sind von großen, beschuhten Füßen überlagert“, glaubte der Polizist zu erkennen.

„War wohl ein großer Mann, der ihr nachgelaufen ist“, mutmaßte ein anderer Polizist.

„Richtig. Er musste nur schnelle Schritte machen, um sie einzuholen“, stellte Frau Dolies fest.