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Die Geschichten in diesem Buch sind aus dem Leben gegriffen. Sie analysieren augenzwinkernd den Alltag der Zeitgenossen und lehren zu lachen, auch über die eigenen Befindlichkeiten.
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Seitenzahl: 255
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Handlung, Personen und Orte der Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit ist rein zufällig.
Vorwort
Atmosphäre
Klaviertiger, Radiopioniere und Theaterspieler
Demokratienotstand
Flugverbot oder warum ist die Politik so lustig?
Zur Aufführung gebracht
Der Zwang 35 sein zu wollen
Deutschkurse
Gehen oder Schreiten?
Wer lügt noch?
Anleitung zum Missverstehen
Ich muss abnehmen!
Kinder schreiben über den Sommer
Kleine Anthologie des Stechens
Verrückte schreiben
Weihnachtsgeschenke
Welche Ölpest?
Aufreißer und andere Egoisten
Freche Wünsche
Ich raunze gern!
Abfallberatung
Antworten
Endlich sparen!
Ethikunterricht statt Religion
Die Regions-Fundgrube
Genug Teuflisches?
Ist gottlos modern?
Allerheiligen im Frühjahr
Immunitäten
Lust am Überleben – ein Experiment
Meine Welt
Der Experte im Missverstehen
Ein Nachmittag in Wien
Nervziehen
Patrioten?
Reformen
Wortspiele
Das Schonen der Gelbbörse
Typen beim Branntweiner
Verfassungsbruch im Parlament
Gibt es eine verständliche Ordnung?
Meine Weihnachtsgeschichte
Anleitung zum Missverstehen
Die 80er-Revolution
Abschnitte
Sale
Taschendieb
Grammatik für Wondracek
Werden Sie endlich immun!
Intendanten sind überall
Aut idem
Binnenland Österreich
Auf gstellt kummts an
Wie arbeitet ein Schriftsteller?
Bevor Sie einen Termin mit einem Psychiater machen, kaufen Sie sich lieber eines meiner Bücher, das hilft mir. Wenn Sie es auch lesen, möglichst nur eine Geschichte pro Leseanfall, hilft es auch Ihnen. Warum nur eine Geschichte? Dem Psychiater erzählen Sie in einer Sitzung auch nicht Ihr ganzes Leben. Sie wollten schon? Ihr Psychiater lässt es nicht zu? Das ist nur der Selbstschutz des Psychiaters, er müsste sonst zu häufig einen Kollegen konsultieren, das kann er sich nicht leisten, Psychiater sind teuer. Und bedenken Sie immer: Vorher lachen ist leicht – nachher nur mehr heroisch.
Meine Kurzgeschichten sind: ernste Analysen mit skurrilen Abschnitten (*), einfache Geschichten mit leichtem Humor gewürzt (**), oder auf deftige Pointen getrimmte Darstellungen des zeitgenössischen Lebens (***). Die in den Klammern angegebenen Sterne finden sich in den Geschichten nicht wieder, die müssen Sie schon selbst hineinschreiben. Dazu gibt es eine kleine Hilfe: Lesen Sie zuerst die Geschichte „Der Experte im Missverstehen“, dann arbeiten Sie die unter „Verständnis-Übungen“ angeführten Absätze mindestens 2-mal pro Woche durch. Am besten in der Früh, gleich nach dem Aufstehen, da ist das Hirn noch unbeeinflusst von rationaler Orientierung. Nach etwa 3-maligem Durcharbeiten können Sie sicher die oben erwähnten Sterne vergeben und wissen: Vorher lachen ist leicht – nachher nur mehr heroisch.
Wird nun eine meiner Geschichten vorgelesen, zum Vorlesen sind meine Geschichten schließlich geschrieben, so ist zu beachten, dass zuerst das Auditorium analysiert wird. Wenn ohne Alkohol, nur des Zuhörens wegen zugehört wird, braucht man keine Furcht vor (*) oder (**) zu haben. Ein geselliger Abend verlangt nach mindestens einer Geschichte der Qualität (***). Hat die Gesellschaft schon ausgiebig dem Alkohol zugesprochen, sind nur noch Geschichten mit (***) möglich. Am besten sind dann Erzählungen rund um allzu menschliche Ereignisse, progressiv retardierend vorgetragen. Mono- und Dialoge speziell unter Einbeziehung Betrunkener haben sich besonders bewährt. Warum soll eine Geschichte mit (***) nicht als Parabel verwendbar sein, nur, weil ihr Mäntelchen wenig vornehm ist?
Sollten Sie in diesem Buch zu wenig Geschichten der Qualität (***) finden, bedenken Sie, dass ich noch andere Bücher geschrieben habe, Sie halten mein siebentes Geschichten-Buch in Händen.
Peter Faust
In einer Kleinstadt in Österreich trifft sich an jedem ersten Samstag im Monat eine elitäre Runde zum Stammtisch im Extrazimmer eines Gasthauses. Nach einem guten Abendessen und etlichen Gläsern Weins ist ein Spiel angesagt. Es ist kein Kartenspiel, sondern eines, das die Bildung und die Schlagfertigkeit gleichermaßen fordert. Schließlich geht es auch, neben der Lust am Spiel, um die Bezahlung der Zeche. In diesem Spiel muss jeder Teilnehmer einen Satz sagen, der mit einem vorher gewählten Begriff zu tun hat. Der Begriff darf zwar mehrfach verwendet werden, jedoch muss der Inhalt des Satzes immer ein anderer sein. Es ist aber erlaubt, den Satz des Vorredners fortzusetzen oder inhaltlich an ihm anzuschließen, sonst liefe das unterhaltsame Treiben Gefahr, allzu schnell zu Ende zu sein, denn wem nichts einfällt, der zahlt die ganze Zeche. Dafür sorgt ein Juror, der jeden abgelieferten Satz gutheißen oder verwerfen muss. Verwirft er einen Satz, so hat der Verlierer noch das Recht im Lexikon nachsehen zu lassen, ob sich sein Satz zu der Erläuterung des aktuellen Begriffes in Beziehung setzen lässt. Ist dies der Fall, geht das Spiel weiter, sonst hat er die Zeche der Runde zu bezahlen.
Im Extrazimmer ist heute der Begriff „Atmosphäre“ ausgewählt worden. Er wurde wie immer dadurch ermittelt, dass der Wirt mit verbundenen Augen eine Seite eines kleinen Lexikons aufschlug und mit dem Finger auf eine beliebige Stelle deute te. Der Juror, er ist jener, der das letzte Mal die Zeche zahlen musste, benannte dann den für diese Runde gültigen Begriff.
In der Runde sind versammelt: ein Arzt, ein Richter, ein Physikprofessor, ein Geografielehrer und ein Abgeordneten zum Nationalrat. Der ebenfalls anwesende Pfarrer der Kleinstadt darf heute nicht mitspielen, er ist der Juror. Zu welchem Spielbegriff er wohl das letzte Mal nichts zu sagen wusste?
Die Reihenfolge der Spieler wurde bereits verlost. Jeder Teilnehmer zog aus dem Hut, den der Wirt hielt, eine Nummer. Die Verlosung ergab die folgende Reihenfolge: Arzt, Richter, Geograf, Physiker, Abgeordneter. Auch dass Arzt und Richter den Pfarrer bestürmten, die Auslosung erneut durchzuführen, da beim aktuellen Begriff „Atmosphäre“ die beiden Naturwissenschaftler, der Physiker und der Geograf, durch ihre unmittelbare Aufeinanderfolge Vorteile hätten, ist bereits geschehen. Der Pfarrer lehnte mit dem Hinweis ab, man könne ja auch eine Volksabstimmung nicht so oft wiederholen, bis das gewünschte Ergebnis erzielt sei. Der Abgeordnete verlangte hierauf, dass der Juror durch den Richter ersetzt werden solle, der hätte mehr Sinn für die Realität. Der Richter verwies auf die Spielregeln und lehnte das Ansinnen des Abgeordneten ab. Der Abgeordnete knurrte etwas wie: „Spielregeln! Es ist doch unser Spiel, da machen wir uns die Regeln selbst, wie es uns passt.“ Der Pfarrer wies ihn mit der Bemerkung in die Schranken: „Sei still, du bist nicht im Parlament“, und startete das Spiel.
Der Arzt, er hatte ja die Nummer ‚1‘ gezogen, beginnt mit der ersten Spielrunde: „Heute haben wir eine angespannte Atmosphäre.“
Richter: „Kann denn keiner zur Klimaverbesserung beitragen?“
Geograf: „Das Klima ist der durchschnittliche Zustand der Atmosphäre.“
Physiker: „Wir stehen alle unter Atmosphärendruck.“
Abgeordneter: „Ich habe die Atmosphäre nicht angespannt.“
Arzt: „Der Pfarrer war es.“
„Halt!“, ruft der Pfarrer, „da kommt kein Begriff vor.“
Der Richter, der schon aufgrund seiner beruflichen Praxis souverän – und ohne gefragt zu sein - über die Einhaltung der Regeln wacht, urteilt, der Arzt hätte an den Satz seines Vorredners inhaltlich angeschlossen, das sei korrekt. Der Pfarrer ignoriert die regelwidrige Wortmeldung des Richters, er lässt weiterspielen.
Richter (die Schuldzuweisung des Arztes fortsetzend): „Nein, der Herr Abgeordnete.“
Geograf: „Zurück zur Atmosphäre.“
Physiker: „Wir leben ja in ihr.“
Abgeordneter: „Deine Atmosphäre muss nicht meine sein.“
Arzt: „Der Blutdruck wird nicht in Atmosphären gemessen.“
Richter: „Ich brauche ein Gutachten über den Rauchinhalt der Wirtshausatmosphäre.“
Physiker: „Die Atmosphäre ist die durch die Gravitation festgehaltene Lufthülle der Erde.“
Abgeordneter: „Deine Lufthülle, verehrter Herr Professor, ist heute nicht besonders wohlriechend, und das hält die Gravitation auch noch fest.“
Der Juror erteilt jetzt den Abgeordneten eine Verwarnung wegen der unangebrachten persönlichen Bemerkung. Der Abgeordnete nimmt dies ohne Weiteres zur Kenntnis, Ordnungsrufe ist er aus seinem beruflichen Alltag gewöhnt.
Arzt: „Die Ausstrahlung mancher Menschen sorgt nicht immer für gute Stimmung.“
Wieder wird Nachschau im Lexikon gehalten und festgestellt, dass sowohl „Ausstrahlung“, als auch
„Stimmung“ Synonyme von Atmosphäre sind. So geht das Spiel wieder weiter.
Richter: „Manchmal hat das Verhalten zweier Eheleute ein eigenes Gepräge.“
Da man schon bei der vorigen Nachprüfung im Lexikon auch „Gepräge“ als Synonym für Atmosphäre fand, wird ohne Unterbrechung weitergespielt.
Geograf: „Der Luftdruck kann sehr wohl in Atmosphären gemessen werden.“
Physiker: „Es gibt technische und physikalische Atmosphären.“
Abgeordneter: „No na net! Der Herr Professor!“
Wieder bekommt der Abgeordnete seinen ihm zustehenden Ordnungsruf. Der Pfarrer entscheidet, dass er beim dritten Ordnungsruf den Abgeordneten zum Verlierer erklären wird.
Arzt: „Ich denke, über deinem Kopf braut sich ein Gewitter zusammen.“
Richter: „Auch wenn du in die Luft gehst, wird dir das nichts nützen.“
Geograf: „Das Wetter, als der augenblickliche Zustand der Atmosphäre, ist über deinem Kopf ein Unwetter.“
Physiker: „Unwetter ist kein physikalischer Begriff, aber zu dir passt er.“
Abgeordneter (schon recht grantig): „Auch im Unwetter könnt ihr mich am …“
Weiter kommt er nicht, der Pfarrer verkündet mit großer Lautstärke seinen dritten Ordnungsruf. Zieht ihn aber sofort wieder zurück, da er beim besten Willen keinen Regelverstoß erkennen kann. Er lässt nach einer Standpauke zum Thema „guter Ton“ weiterspielen. Als nächster Spieler ist der Arzt an der Reihe, der das Spiel harmlos fortzusetzen versucht.
Arzt: „Wir brauchen Luft zum Lüften.“
Richter: „Die Abfangjäger zum Abfangen.“
Geograf: „Das Wetter zum Wettern.“
Physiker: „Für euch wäre es besser, wenn der Herrgott die Atmosphäre zu erschaffen vergessen hätte.“
Da sagt der Pfarrer betroffen: „Aber er wollte doch den Menschen erschaffen, wie könnte er da auf die Atmosphäre vergessen!“
Alle Spieler antworten heiter im Chor: „Du spielst nicht mit!“ Worauf der Pfarrer alle Teilnehmer zu
Verlierern erklärt. Tatsächlich ist es den Teilnehmern nach den Spielregeln verboten, einander ins Wort zu fallen. Der Juror entscheidet daher kühn: „Im Chor zu sprechen ist dasselbe.“
Der Wirt, der noch mindestens eine Lage Wein verkaufen will, interveniert. Weiß er doch, dass die Herren nach dem Ende des Spieles zu zahlen und heimzugehen pflegen. Der Pfarrer bleibt aber bei seinem Urteil und beendet das Spiel. Der Abgeordnete, dem das Geschehen zu schnell zu Ende ist – vielleicht will er auch bloß noch ein Glas Wein trinken – wendet sich an den Physikprofessor: „Willst du uns nicht noch etwas aus dem Schatzkästchen deines Wissens über unseren heutigen Spielbegriff sagen? Herr Wirt! Noch eine Runde Wein!“
Physiker: „Nun, wenn das alle wollen, bitte schön! Die Atmosphäre, griechisch ‚Dunstkugel‘, setzt sich in Bodennähe und im Mittel aus 78.09 % Stickstoff, 20.95 % Sauerstoff, 1 % Edelgase, 0.03 % CO2, mehr oder weniger Wasserdampf, Feinstaub und sonstige verbotene Verunreinigungen zusammen. Die unterste Schicht der Atmosphäre nennt man Troposphäre, sie ist 9 bis 18 km dick, je nach Breiten- und Wetterlage. In ihr findet auch das uns direkt berührende Wetter statt, mit dem wir nie wirklich zufrieden sind. Darüber liegt die Stratosphäre. Sie reicht bis in eine Höhe von 50 km und hat keine Wolken, weil sie keinen Wasserdampf enthält.“
Abgeordneter: „So wenig CO2? In der Nähe von Gewächshäusern ist der CO2-Gehalt sicher größer.
Schuld daran ist vermutlich das dort häufig anzutreffende Treibhausgas.“
Geograf: „Mach dich nur lustig über das Treibhausgas. Wir werden unseren guten Planeten noch zugrunde richten.“
Pfarrer: „Aber, aber, meine Herren! Das Wort Atmosphäre hat auch noch, wie wir alle wissen, eine andere Bedeutung: Ein Raum oder ein Gespräch kann auch Atmosphäre haben. Ein Gespräch kann in einer guten Atmosphäre oder sogar in einem guten Klima stattfinden.“
Abgeordneter: „Es ist besser, ein Gespräch findet in einem guten Klima statt, das hält wahrscheinlich länger als eine gute Atmosphäre.“
Richter: „Denn wenn die Atmosphäre des Gesprächs die Troposphäre ist, dann kann da auch ein Gewitter stattfinden. Eine lockere Atmosphäre verleitet gerne zu Sprüchen, die witzig gemeinten sind, doch, wenn sie nicht in der gleichen, lockeren Atmosphäre vernommen werden, kann bald Gewitterstimmung herrschen.“
Pfarrer: „Ein Gewitter kann zwar reinigend sein, es kann einem aber auch der Blitz treffen. Im üblichen Sprachgebrauch kann ein Blitz auch aus heiterem Himmel kommen.“
Arzt: „Blitztreffer sind immer lebensgefährlich.“ Abgeordneter: „Das Spiel ist schon aus, Herr Doktor! Übrigens ist es nicht schön vom Himmel, dass er heiter ist, wenn jemand vom Blitz getroffen wird.“
Der Wirt brachte die bestellte Runde Wein, die Herren tranken genüsslich.
Es gibt nur mehr wenig zu berichten: Alle Herren zahlten die Zeche gemeinsam, auch der Pfarrer, dem seine Strenge ein wenig reute, zahlte mit. Somit war die gute Atmosphäre für das nächste Treffen in einem Monat gesichert. Allerdings – wenn alle verloren haben, wer wird dann die Rolle des Jurors spielen? Na, den Herren wird schon etwas einfallen.
Von meinen Altvorderen, die sonst immer meine Freizeitbeschäftigung kritisiert haben, verlangte ich einmal einen authentischen Bericht über ihre Jugendzeit und den damals üblichen Vergnügungen. Zuerst gab es keine große Freude über mein Ansinnen, dann kam doch einiges zusammen, was ich hier ein wenig gerafft erzählen möchte. Die Altvorderen waren jung in der kargen Zeit nach dem 1. Weltkrieg, in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Wenn die jungen Leute zusammenkamen, um zu tanzen, musste Musik gemacht werden. Schellackplatten für das Grammofon waren rar, weil sie teuer waren und der Geldmangel an der Tagesordnung war. Wer Klavier spielen konnte, lernte gerne die gängige Unterhaltungsmusik zu spielen. „Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen“, war nicht nur ein aktueller Liedtext, sondern eine wahre Aussage, die sich bis heute gehalten hat. Viele Klaviernoten schlummern aus dieser Zeit noch in meinem Kasten. Manchmal blättere ich in den Noten und versuche sie zu spielen, wenn Nostalgie angesagt ist. Mutter hat ja ernsthaft Klavier studiert, bis sie von der Wirtschaftskrise an die Nähmaschine gezwungen wurde, um zum Familieneinkommen beizutragen, statt Geld für das Studium auszugeben. Sie fügte sich der Meinung: „Was brauchst du studieren, du heiratest ja ohnedies einmal.“ Heute sind solche Zwänge unvorstellbar, wir leben in Europa wie im Paradies.
Nicht jeder Klavierspieler war in unserem Hause willkommen. Es gab darunter so wilde Spieler, die den Klavierdeckel als Schlagzeug benutzten, Klaviere waren dafür zu kostbar. Meines stammt aus dieser Zeit. Es hat schon fast hundert Jahre erlebt und lässt sich noch immer spielen und sein Klang ist gefällig wie eh und je. Wenn das Klavier reden könnte, welche Geschichten erzählte es? Banale und ernste, heitere und traurige? Sicher wurden manche Tränen an den Tasten vergossen, wenn die Finger nicht spielen wollten, was der Professor zur Aufgabe gestellt hat. Tausende Geschichten könnten alte Musikinstrumente erzählen. Wenn man genau hinhörte, so spräche vielleicht eine alte Gitarre von einem Studenten, der sich mit seinem Spiel und einigen weiteren jungen Leuten in einem Amateur-Orchester seine Ferienreise finanzierte.
Sein Radio konnte sich der Interessierte damals noch selbst bauen, Hi-Fi war noch unbekannt. Auch war die Konkurrenz, das Fernsehen, noch nicht im Betrieb. Manche Quizsendung – aus heu tiger Sicht fast ein wissenschaftlicher Unterricht - versammelte ganze Familien um das Radio. Am Anfang der Radio-Ära war ein richtiges „Gerangel“ um die Kopfhörer angesagt, von denen immer zu wenig vorhanden waren. Ein wenig schnappte ich auch von dieser Pionierzeit auf. Unser Radio benötigte zwar keine Kopfhörer mehr, um gehört zu werden, aber sonst war alles gleich wie vor dreißig Jahren. Ich ging noch in die Unterstufe des Gymnasiums und verärgerte meinen Geschichtslehrer mit der Bemerkung, Geschichtsfragen seien beim Quiz viel leichter zu beantworten als Fragen aus Mathematik. Das war zumindest die einhellige Meinung meiner Familie.
Musikberieselung tagsüber war noch nicht üblich. An strengen Fasttagen durfte ich das Radio überhaupt nicht aufdrehen. Radiohören galt als Vergnügen, das mit einem Fasttag nicht vereinbar war. Wenn mein um neun Jahre älterer Cousin da war, lief das Radio den lieben langen Tag, denn mein Cousin hörte gerne Jazz. Großvater hörte das nicht gerne, er wollte keine „Negermusik“, die erinnere ihn zu sehr an Italien. Großvater war im 1. Weltkrieg an der italienischen Front. Sein Standardsatz war, wenn er etwas hörte, was nach Jazz klang: „Als die Amerikaner an der Piave auftauchten, war der Krieg verloren.“
Ein weiteres Freizeitvergnügen war das Theaterspielen. Man spielte in Wirtshaussälen. Dabei ging es ganz familiär zu: Die meisten Zuschauer waren Familienangehörige und die Schauspieler spielten in zusammengeborgten Kostümen und Requisiten. Mein Onkel war, den Erzählungen nach, ein gefürchteter Schauspieler. Er lernte keinen Text, da er ein Meister im Improvisieren war. Souffleur und Schauspieler waren gleichermaßen überfordert, mein Onkel gebrauchte, mangels Studium, kaum Stichworte. Es passierte also gesetzmäßig, dass er zum Souffleur laut von der Bühne herunter sagte: „Wenn du mir nicht gleich sagen kannst, wie es weiter geht, esse ich in der Zwischenzeit den Reichsapfel.“ Der Reichsapfel war selbstverständlich ein richtiger Apfel. Der lachende Souffleur fand die richtige Stelle zum Aushelfen nicht schnell genug und mein Onkel spielte den Rest der Szene, zum Gaudium der Zuschauer, mit dem Apfelbutzen als Reichsinsignie.
Schlimm war es, wenn dieser Onkel in Frauenkleider auftreten musste. Als geübter Klaviertiger setzte er sich nicht gesittet auf ein Klavierstockerl, sondern er bestieg es, indem er ein Bein neben das Stockerl stellte und das andere Bein über die Sitzfläche schwang. Je nachdem von welcher Seite er sich dem Stocker näherte, war einmal das linke und ein anderes Mal das rechte Bein das Standbein. Das Publikum wartete bei jeder Aufführung gespannt darauf, wohin der ungewohnte Rocksaum das unschuldige Klavierstockerl diesmal werfen würde.
Laienschauspieler zerstören oft ungewollt ihre ausgeborgten Requisiten. Mein Großvater war ein Opfer so einer Unachtsamkeit. Er hatte seinen steifen Hut, der nur zu ganz besonderen Anlässen getragen wurde, schweren Herzens hergeborgt. Als sich der sorglose Schauspieler, Überraschung mimend, auf den Stuhl fallen ließ, auf dem er vorher den Hut abgelegt hatte, sprang mein Großvater im Zuschauerraum auf und schrie: „Fred, mein Hut!“ Der Lacherfolg war der Szene sicher. Großvater stellte ab diesem Zeitpunkt keine Requisiten mehr zur Verfügung.
Was hat sich in den fast hundert Jahren seither geändert? Eigentlich nichts! Die jungen Leute spielen ihre Instrumente, sie spielen Theater, bei manchen Sendungen im Fernsehen versammelt sich die Familie vor dem Gerät. Der Vorwurf, das Fernsehen störe die Kommunikation und früher wäre alles ganz anders gewesen, stimmt nicht. Glaubt jemand wirklich, dass vor einem primitiven Radio viel gesprochen werden durfte?
Erschrocken wache ich auf. Was war das, was ich eben im Radio hörte? Ich lasse mich, auch wenn ich schlafe, mit Musik aus dem Regionalprogramm des Radios berieseln, das hält mich im Schlaf fest, auch wenn das schwer verdauliche Nachtmahl, leichtfertig zu mir genommen, meine Nachtruhe zu stören versucht. Doch das Radio bringt nicht nur Musik, sondern auch Nachrichten, die alle Stunden wiederholt werden. Was wurde da in mein Gedächtnis eingegraben? Nachrichten, die Wahrheit oder doch nur Träume. Träume befassen sich mit Erlebten, wenn auch nicht direkt, sondern versteckt. Sie verkleiden die Wahrheit, wie sich Menschen im Fasching maskieren, um jemand anderer zu sein. Nachrichten sind allerdings auch nicht immer wahr, sie sind bestenfalls als Wahrheit veröffentlicht. Träume stehen immer anstelle der Wahrheit. Träume sind verschlüsselt, damit eine eventuell brutale Wahrheit, den Schläfer nicht weckt. Dann, im Wachzustand fehlt oft der Schlüssel zum Verstehen. Schlüsseldienste zum Öffnen der Traumwelt, sie nennen sich häufig Psychotherapeuten, sind teuer und zeitaufwendig. Der nicht gut betuchte „Normalträumer“ ist auf Rätseln oder Grübeln angewiesen, der Fachmann sagt dazu, mit ausgestreckter Hand Geld heischend und schadenfrohem Lächeln, freie Assoziation. Also, was habe ich mir gemerkt, was mich trotz der Traumcodierung so verstört hat?
Nach dem Scheitern der Regierung wurden die Stammtische Österreichs aufgefordert, Reformvorschläge auszuarbeiten, um die politische Existenz Österreichs sicherzustellen. Woran die Regierung gescheitert ist? Eines Tages wurde sie von der meistgelesenen Zeitung des Landes für tot erklärt. Der Regierung fiel das zwar längere Zeit nicht auf – welches Regierungsmitglied liest schon eine Zeitung, die der gewöhnliche Österreicher als seine einzige Gehirnnahrung, quasi als Lecithinersatz, einmal pro Tag einnimmt. Doch als die Regierung niemand mehr benutzte, die Meldung von ihrem Gehirntod drang schließlich auch ins Ausland, trat sie beleidigt und korporativ zurück. Niemand hinderte sie daran. Der Bundespräsident wandte sich daher, in Ausübung seines Notverordnungsrechtes, an die stets verlässlichen Kreativen, die alleine noch das Land retten könnten, da keine anderen Bürgerforen sich mehr für Politik interessierten. Brüssel hatte bereits eine feindliche Übernahme heimlich vorbereitet: In den europäischen Kernkraftwerken wurden genmanipulierte Ersatzregierungen erzeugt, die rund um Österreich an den Grenzen bereitgehalten wurden, um die Allmacht im Lande, am Tag X, schlagartig übernehmen zu können. Zu diesem Zweck wurde auch zum Schein ein europäisches Warnsystem für Reaktorstörfälle eingerichtet und entsprechende Übungen durchgeführt, die die österreichische Bevölkerung glauben machen sollten, Kernkraftwerke seien unsicher. Es stellte sich schon bei der ersten Übung als Tatsache heraus, dass Herr und Frau Österreicher bei einer Atomwarnung erwartungsgemäß erschreckt, kopflos und leicht manipulierbar reagierten. Zum Glück fiel das auch dem Bundespräsidenten auf und nach einer kurzen Lageanalyse war klar, was zu tun wäre, um die bereitgestellten Ersatzregierungen ins Leere laufen zu lassen. Die Fragen an die Stammtische waren bald glasklar formuliert. Glasklar schreibt sich einfacher, als es formulierbar ist, denn glasklar ist in einer Weingegend anders, als in einer Biergegend zu formulieren. Doch auch diese Problemstellung konnte das Beraterteam rund um das Staatsoberhaupt nicht aufhalten, denn es war Gefahr im Verzug. Der Bundespräsident musste ja schnell han deln, bevor bei der nächsten Störfallmeldung der EU der Austausch unserer Regierung gelingen konnte. Eine Jury, bestehend aus den Vertrauensleuten der Präsidentschaftskanzlei, hat schließlich den Vorschlag des Stammtisches beim Jägerwirt in Trübsdrü zum Sieger erklärt und dem Präsidenten zur sofortigen Umsetzung empfohlen. Der Stammtisch beim Jägerwirt hatte das folgende E-Mail eingereicht, geschrieben und gesendet vom unehelichen, achtjährigen Sohn der Kellnerin:
„Warum verkaufen wir nicht statt der Fluglinie ‚AUA‘ unseren Nationalrat? Es gab sogar einen Bundeskanzler, der ihn nicht wollte, weil, so sagte er, die ‚Senatoren‘ nach 16 Uhr nicht mehr arbeiten. Ein Volksvertreter, der gefürchtete Vorsitzende eines Untersuchungsausschusses, von der Qualität früherer Großinquisitoren, findet, unsere Abgeordneten arbeiten zu wenig in den Ausschüssen. Also weg mit ihnen. Die Parlamentsarbeit sollen die Vorsitzenden der Untersuchungsausschüsse und ihre Lieblingszeugen übernehmen. Auch zum Regieren braucht es keine Regierung. Als Ersatz für das Regieren der Regierung ließe sich auch ein permanent tagender Untersuchungsausschuss verwenden, der sich um alles kümmern könnte, was öffentlichkeitswirksam ist. Als Vorsitzender aller Ausschüsse auf Lebenszeit käme nur der vorhin genannte Volksinquisitor in Frage. Mit dieser Lösung könnte auch noch die jetzige Regierung verkauft werden“, versichert der Stammtisch weiters treuherzig. Er zeigt sich auch noch davon überzeugt, dass es Interesse in Südamerika geben würde, die Regierung und den Nationalrat gegen Öl auszutauschen, ein ehemaliger Bundeskanzler sei ja bereits dort. Die uns verbleibende neue Staatsform ginge dann als „Pilzokratie“ in die Geschichte ein und müsste als solche auch von den Schülern gelernt werden. Die Staatsform sollte bestimmt so genannt werden, weil sich die Anzahl der Untersuchungsausschüsse vermehren würden, wie die Pilze im Wald bei günstigem Wetter. „Bitte die >Pilzokratie< nicht mit der >Filzokratie< zu verwechseln! Sollte Ihnen eine derartige Beleidigung über die Lippen kommen, lieber Herr Bundespräsident“, warnt der kreative Stammtisch auch noch, „würden Sie sicher sofort vor den entsprechenden U-Ausschuss geladen werden und fernsehwirksam abgeurteilt werden. Vorsicht! Pilzfreunde gibt es überall und die sind sehr wachsam. Dies besonders in der warmen Jahreszeit, wenn nach einem starken Regen die Sonne wieder lange scheint. Sagt zumindest der Jägerhias. Doch der ist sicher ein Depp, dem man nicht unbedingt alles glauben soll, was er sagt. Meine Mutter sagt immer“, fügte der achtjährige Schriftführer noch an, „der Hias sei für alles zu blöd, nur nicht zum Kindermachen.“ Man muss dem jungen E-Mailer verzeihen, dass er auch intime Details an die Präsidentschaftskanzlei schreibt, er ist ein wenig altklug. Im Schreiben heißt es weiter: „Beim Umbau unserer Regierungsform zur >Pilzokratie< lukrierte das steuerpflichtige Volk ein ungeheures Sparpotenzial. (Dieser Satz ist eine Spende des ansonsten eher wortkargen Schneidermeisters von Trübsdrü, der erst vor Kurzem beim Steuerberater war.) Um die Schulklassen, die gerne das Parlament besuchen, nicht zu enttäuschen, könnte man den Bundesrat in seiner bisherigen Funktion belassen. Er störte niemand mit seiner Tätigkeit, die aber nicht so teuer sein muss wie jetzt, wenn die Sitzungen des Bundesrates Teile von kostenpflichtigen Fremdenführungen wären.“
Ich springe aus dem Bett, mein Kopf brummt ordentlich, ich nehme ein Kopfwehmittel mit viel Mineralwasser und kleide mich an. Das heißt, ankleiden ist wohl nicht die richtige Wortwahl für das, was ich in meiner Verwirrung mit meinem Gewand aufführe. Schließlich komme ich zur Überzeugung, genug dafür getan zu haben, damit ich mich auf der Straße sehen lassen kann, und laufe zu meinem Arzt. Statt der offenen Tür finde ich ein Plakat, auf dem steht: „Heute geschlossen, wegen des Ärztestreikes.“ Da fällt mir ein Stein vom Herzen, die Ärzte streiken. Oh Jubel! Das heißt doch, die Regierung arbeitet noch, ich habe bloß schlecht geträumt! Morgen werde ich sicherheitshalber kein Nachtmahl essen, das vertrage ich in meinem Alter nicht mehr, dann kommt mir im Traum alles durcheinander. „Pilzokratie“! Das Schlimme an meinem Albtraum war, wenn ich mir’s recht überlege, die Wirklichkeitsnähe mancher Traumkomponenten.
Schadenfroh lächelnd mache ich mich wieder auf dem Heimweg. Als ich beim Bestatter vorbeigehe, routiniert die Parten in der Auslage betrachte, ob nicht schon mein Begräbnis angekündigt wird, es wäre doch blamabel, beim eigenen Begräbnis aus Unachtsamkeit zu fehlen, den Chef des Unternehmens, der aus der Eingangstür schaut, eben eine launige Bemerkung zurufen möchte, kommt mir der zuvor und fragt, ob ich immer mit der Pyjamahose als oberstes Bekleidungsstück herumlaufe und ob er mir nicht schon jetzt das eine oder andere Stück seiner Endlagerungsbehälter zeigen solle, solange ich noch aus eigener Kraft gehen könne. „Frechheit“, antworte ich ihm, lasse mich aber auf keine weitere Diskussion ein und laufe nach Hause, Menschenansammlungen vermeidend, der Pyjamahose wegen. Dass ich barfuß in den Schuhen stecke, hat zu meinem Glück noch niemand bemerkt.
Der Sohn eines Stammtischbruders hatte in der Stadt studiert. Der frisch gebackene Herr Doktor wurde vom stolzen Vater zum Stammtisch mitgenommen, um dort von den alten Herren gebührend bewundert zu werden. Nach einigen Vierteln guten Weins entspann sich zwischen den alten Knaben des Stammtisches und dem jungen Herrn Doktor eine Art Streitgespräch, ein Wettbewerb im Erfinden skurriler Erklärungen für das anscheinend alltägliche Benehmen politischer Zeitgenossen. Wobei offenblieb, wer bei diesem Gespräch wem übertrumpfte: Die alten Herren den jungen, oder umgekehrt. Den Anstoß dazu gab der Huber-Bauer, der im Dorf der Ortsvorsteher der kleinen Gemeinde war. Seit der Zusammenlegung des Dorfes mit anderen Dörfern der Umgebung zu einer Großgemeinde war der Amtssitz des Bürgermeisters im benachbarten Dorf. Die anderen Dörfer hatten als lokalen Repräsentanten der Verwaltung einen Ortsvorsteher.
„Geh Doktor“, sagte der Huber-Bauer, „du mit deiner Stadterfahrung kannst mir sicher sagen, warum sich unsere Politiker so saudumm aufführen, dass ich dreimal am Tag gefragt werde, welche ausgetüftelte Taktik da dahinterstecken könnt.“
„Taktik!“, schrie da sein Sitznachbar dazwischen, ein pensionierter Eisenbahner und Besitzer eines anders gefärbten Parteibuches als das des Huber-Bauers. „Taktik ist des keine, ihr könnt’s halt nicht mit Andersdenkenden zusammenarbeiten.“
„Nur Ruhe!“, sagte ein weiterer Herr der Runde. Die sonore Stimme gehörte zu einem pensionierten Oberst. Dem Oberst ist es noch in jedem Politstreit seiner Freunde gelungen, neutral zu bleiben. „Lasst doch den jungen Mann erzählen, was in unserer Hauptstadt vor sich geht.“
Der junge Doktor begann: „Sie wissen ja, wir haben eine Koalitionsregierung der beiden großen Parteien. Eine andere Koalition war nach der letzten Wahl praktisch nicht möglich. Die beiden Parteien bildeten also die Regierung, obwohl sie bis heute nicht wirklich zusammenarbeiten wollen.“
„Ja, ja“, erklang es in der Runde, „ist bekannt.“
„Und jede Partei fürchtet, bei einem Aufkündigen der Koalition dafür bei der nächsten Wahl von den Wählern durch Ignorieren bestraft zu werden.“ Diese goldrichtige Analyse steuerte ein ehemaliger Parteigenosse des Eisenbahners bei, ein pensionierter Direktor eines Betriebes im Parteibesitz. Die Stammtischfreunde sind der gemeinsamen, nicht öffentlich bekennbaren Meinung, der Direktor ist nun, da er in der Rente ist, wieder parteilos wie in seinen jungen Jahren.
„Aber müssen denn die Koalitionspartner dauernd streiten?“, fragte der Huber-Bauer gespielt besorgt. „Warum denn nicht?“, sagte der Herr Doktor, „Eheleute streiten doch auch. Die meisten Ehen werden nach fünf Jahren geschieden. Die Regierung auch. Bei den Eheleuten ist meistens eine Schwiegermutter schuld, wenn sie streiten. Bei der jetzigen Regierung findet sich immer eine Parteigröße, die erfolgreich die Schwiegermutter spielt.“
„In einer Ehe wird wenigstens nicht öffentlich gestritten“, seufzt der Huber-Bauer.
„Und wenn doch, gibt es den Scheidungsrichter zum Schmutzwäschewaschen“, antwortet der Herr Doktor.
„Bei der Regierung gibt es dafür einen Untersuchungsausschuss“, wirft der Eisenbahner fröhlich ein.
„Eine Regierung entspricht einer modernen Patchwork Familie“, nimmt der Doktor den Faden wieder auf. „Da weiß man vorher auch nicht wirklich, ob sich alle neuen Familienmitglieder zusammenraufen können.“
„Und warum ist das so komisch in den Augen der Bürger?“, blieb der Huber-Bauer hartnäckig.
„Schadenfreude ist die reinste Freude“, antwortete der junge Doktor altklug. „So wird alles, was ein politischer Gegner tut, als moralisch verwerflich hingestellt, und sogar die Strafbarkeit der Handlung angedeutet. Zugleich greifen die Medien dieses Gezänke auf, statt es totzuschweigen, trommeln die vermeintliche Verfehlung in alle Welt, ohne auf etwaige, vernünftige Gegenargumente zu achten.“
„Darüber machen sich auch alle Kabarettisten lustig, das ist unfair“, sagte traurig der Eisenbahner, und schluckte vorsichtshalber hinunter, was er zur Verteidigung seines Bundeskanzlers noch sagen wollte.
Zur Überraschung aller antwortete der ehemalige Direktor: „Die Kabarettisten machen sich nicht über die Regierung lustig, sie erzählen bloß wahrheitsgemäß, was die Regierung tut. Wenn die Leute über solche Erzählungen lachen, können die Kabarettisten nichts dafür.“
„Geben Sie ein Beispiel“, verlangte der junge Herr Doktor indigniert.
„Nun, die Opposition und die Medien beschuldigen die Regierung, undemokratisch und verfassungswidrig vorzugehen, wenn sie Änderungen der EU-Verfassung nur im Parlament abstimmen lasse und keine Volksabstimmung darüber abhalte. Die Regierung meint, dass eine Volksabstimmung, von der jeder weiß, wie sie ausgehen wird, die praktische Arbeit und Weiterentwicklung der EU lähmen würde, traut sich aber das nicht öffentlich zu sagen. Die Gegner der Regierung lachen und sagen polemisch, dass die Regierung eine Volksabstimmung für undemokratisch halte.“
Zur Verwirrung aller rief der pensionierte Oberst dazwischen: „Die Opposition sieht das aber anders!“
„Ja, sonst wäre sie ja keine Opposition“, lachte der Huber-Bauer.
„Wenn die Opposition bei der nächsten Wahl in die Regierung käme, wäre sie trotzdem derselben Meinung!“, beharrte der Oberst.
„Nein, das wäre sie nicht!“, rief der Eisenbahner dazwischen.
Die Meinung des Direktors kam prompt: „Dann wäre sie ja keine Opposition mehr, sondern die Regierung.“
„Und die Regierung kann – dank einer parlamentarischen Mehrheit – immer präzise feststellen, was undemokratisch ist“, sagte der Huber-Bauer spitz.
„Ach“, sagte der ehemalige Direktor zum pensionierten Oberst, „weil wir schon von der EU reden, was machen österreichische Soldaten im Afrika? Verteidigen die dort unsere Neutralität? Etwa im Lager der Franzosen?“
„Wir werden eh grad reformiert“, klang es ziemlich kleinlaut vom Oberst.
Der junge Doktor tut erstaunt: „Ist das dann nicht zu teuer? Die neuen Uniformen für den Afrika-Einsatz …“
„Neue Uniformen sind billiger als der Transport von Panzern nach Afrika“, sprach der Logistiker aus dem ehemaligen Eisenbahner.
„Könnten die Soldaten nicht doch Panzer brauchen, dort soll es sehr gefährlich sein“, sagte der ehemalige Direktor.
„Wohl wahnsinnig! Wir sind neutral!“, entfuhr es dem pensionierten Oberst.