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Die Zeitungsleser werfen einen heiteren Blick auf den Zeitgeist: Zwei sonntägliche Kaffeetrinker wissen alles besser und glauben, sie könnten die Welt aus dem Kaffeehaus heraus locker regieren ...
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Seitenzahl: 270
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Handlung, Personen und Orte der Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit ist rein zufällig.
Die Zeitungsleser
Ableitungen
Albtraum Hören
Das Alter ist fortgeschritten
Ambulanz
Diverse Anlässe
Das Anziehen von Touristen
Atemnot
Ausgehungert
Wie fällt eine Radierung aus?
Bahnfreuden
Bedarfs-Integration
Die Berge verschwinden
Bevölkerung
Zeitgenössische Bilderfälschung
Wie dumm ist Bildung?
Blasenschwäche und andere Katastrophen
Was schließen Brüder ein?
Demenz haben wir nachhaltig
Diktat im Auto
Von Bereitern und Diätäpfeln
Harmonisches Eigelb
Erbe
Ersatzgewohnheiten
Europa auf Augenhöhe
Das Ende der Fahnenstange
Fast normal?
Flucht mit Gartenschlauch
Freudentaumel oder was?
Braucht die Freude Ausgang?
Gefahr in Verzug
Bildungsgesetz oder schon Bildung?
Deutsch und Schnaps
Gentechnik ist gefährlich
Vom Kosten und Schmecken
Gesundheit!
Gleichzeitig
Das verhoffte Glück
Heimatliches
Hysterie-Freiheit
Wie heute integriert wird
Kannibalismus in Europa?
Der Kasten ist im Verzug
Keine Wunder?
Kinderbuch
Knifflige Fragen
Kreuzworträtsel
Kulturseiten
Allerlei Kunstkritik
Das Lebenszeichen
Ein aktueller Lesestoff
Sprachlieferungen aller Art
Luftleer
Löwenjagden
Was treiben die Menschen?
Töne haben die Menschen
Allerlei Mittel
Kein guter Tag?
Wie teilt man Momente?
Reine Muskelkraft
Eine mächtige Armee
Eins mit der Natur
Not
Ordnung
Das große und das kleine Packerl
Von Baum zum Papier
Vertreibung aus dem Paradies
Die bazifistische Andacht
Ausfahrt freihalten!
Plutonium
Plünderungen
Die Weissagung der Liese Kranzlmayr
Was ist Gesundheitsprophylaxe?
Reinsteigen oder Zusammenwischen?
Rotstift
Sardine und der Vatikan
Die Erde ist eine Scheibe
Die Hochzeit des Schanigartens
Schleppen mitten im Leben
Der schmackhafte Standort
Die vegane Schublade
Schwangerschaftsübelkeit
Hat die Zukunft Zukunft?
Ist Spinat ein Halluzinogen?
Das Bild vom in die Flucht Schlagen
Sprechen Sie dicht?
Welcher Tag ist heute?
Betreuung von Tagen
Wer hat die Talente gefaltet?
Teilen kann gefährlich sein
Gefährliches Tempohalbieren
Keine Barrieren im Text!
Die Relegation von Torten
Tristans Venus
Die Türkenbelagerung und der Zeitgeist
Allerlei Umgang
Unser wunderbarer Planet
Verhältnisse
Dies und das verkosten
Alte Vielfalt
Von welchen Sinnen sind Sie?
Wer die Wahl hat
Wasser
Vom Wehtun
Weihnachtsamnestie
Allerlei Wiederkehr
Wildwechsel
Kalt, frisch, Wintersperre
Zeit zum Denken
Der zeitnahe Tod
Zivilisation
Zusammentreten
Jeden Sonntag trafen einander zwei ältere Herren, Birndippl und Weißhaupt, um genau 10 Uhr im Kaffeehaus zum zweistündigen Zeitungslesen. Sie kannten einander schon lange. Es konnte durchaus sein, dass sie einmal dienstlich miteinander zu tun hatten oder ihr erstes Zusammentreffen im Kaffeehaus nur zufällig war. Sie hielten ihre gemeinsamen sonntäglichen Lesestunden mit der Präzision eines Uhrwerks ab. Angeregt durch die Zeitungsmeldungen lachten sie über das „seltsame“ Benehmen ihrer Landleute, lösten die schwierigsten Probleme mit einem Fingerschnippen und regierten die Welt locker vom Kaffeehaustisch aus.
Weißhaupt war Beamter in der Schulbehörde und konnte sein Wissen über alles und jedes nicht verbergen. Was heißt verbergen? Er wusste alles besser und teilte sein Wissen gerne mit seinem Gesprächspartner, ob der wollte oder nicht. Seine Besserwisserei hatte eine Wurzel in einem unerreichten Ziel: Er hätte gerne nach der Matura an der Universität studiert. Seine bescheidenen finanziellen Verhältnisse zwangen ihn aber, einen Brotberuf zu ergreifen.
Birndippl war Angestellter in einem Stadtamt. Seine Schulbildung schloss er mit Ach und Krach in einer Handelsschule ab. Birndippl war mit seinem Leben zufrieden. Er war zwar intelligent, hatte aber keinen Ehrgeiz, aus sich etwas zu machen. Da seine Frau als Justizwachebeamtin auch berufstätig war, hatte er sein Drauskommen - mehr wollte er nicht. Im Übrigen war er stolz, jeden Sonntag mit dem „Herrn Weißhaupt“ im Kaffeehaus sitzen zu dürfen und ihn mit scheinbar dummen Fragen zum Belehren zu bringen.
Kaffeehaus, Sonntag, 10.15 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt waren bereits sehr heiter gestimmt.
„Der Wahlkampf ist schon wieder ausgebrochen, Herr Weißhaupt. Ist das nicht fürchterlich?“
„Seien Sie unbesorgt, Birndippl“, sagte Weißhaupt, der nicht richtig zugehört hatte. „Man wird ihn wieder einfangen. Früher oder später erwischt die Polizei jeden Ausbrecher und sperrt ihn wieder ein.“
„Den ausgebrochenen Wahlkampf?“
„Der Wahltag, an dem sich dann alle Teilnehmer zum Sieger erklären, beendet auch den Wahlkampf.“
„Warum glauben Sie, dass sich alle Parteien zum Sieger erklären werden, Herr Weißhaupt?“
„Das ist eine Frage der erreichten Ziele. Je niedriger Ziele angesetzt sind, umso leichter sind sie zu erreichen, und ein Sieg kann abgeleitet werden.“
„Aber manchmal verliert eine Partei trotz niedriger Ziele die Wahl, Herr Weißhaupt.“
„Ja, es soll vorkommen, dass ein Sieg mit bestem Willen nicht mehr zu erklären ist. Dann muss halt die Niederlage eingeräumt werden, Birndippl.“
„Interessant! Wie räumt man eine Niederlage ein, Herr Weißhaupt?“
„Auf jeden Fall kostengünstig.“
„Wieso kostengünstig?“
„Wahlkämpfe sind teuer, Birndippl.“ Und weil er erst einer Speditionsfirma für eine Übersiedelung, wie er überzeugt war, viel zu viel Geld zahlen musste, sagte er auch noch: „Weil kein Möbelwagen gebraucht werden wird.“
„Warum nicht? Es müssen sicher Büros ausgeräumt werden, Herr Weißhaupt.“
„Warum müssen Büros ausgeräumt werden?“
„Die Wahlverlierer werden anderweitig versorgt, Herr Weißhaupt.“
„Das ist erstaunlich! Sie haben recht, Birndippl.“
Durch das Lob aufgestachelt, traute sich Birndippl nach einem Sportereignis zu fragen, obwohl Sport nicht zu den Interessen des Herrn Weißhaupt zählte: „Haben Sie die Tennisübertragung im TeVau gesehen, Herr Weißhaupt?“
„Rasentennis, Birndippl?“
„Sandplatz, Herr Weißhaupt.“
„Nein“, und mit versonnenem Blick: „Als ich noch jung war, war ich auch Sandplatzspezialist.“
„Sie haben Tennis gespielt? Das wusste ich nicht, Herr Weißhaupt.“
„Nein, kein Tennis, ich baute Sandburgen und Bahnen für rollende Glaskugeln auf meinem Spielplatz im Garten.“
Nach dieser kurzen Reise in die Kindheit war es einige Zeit ruhig am Kaffeehaustisch, bis Weißhaupt sagte: „Da wird eine LagerleiterIn gesucht. Das ist doch Ihre Dienststelle Birndippl?“ Er zeigte ihm das Inserat.
„Ja, Herr Weißhaupt. Allerdings hätte die Suche nach einem Lagerleiter auch gereicht.“
„Das darf nicht so ausgeschrieben werden, Birndippl. Also ist die Annonce völlig korrekt geschlechtsneutral geschrieben. Mich stört nur die Schreibweise, da ist ein großes ‚I‘ in LagerleiterIn.“
„Lagerleiter hätte doch gereicht. Die ‚Leiter‘ ist ohnedies grammatikalisch weiblich.“ Birndippl wollte zeigen, dass er in den Gesprächen mit Weißhaupt etwas gelernt hatte.
„Das Hauptwort ‚Leiter‘ hat zwei Bedeutungen“, begann Weißhaupt auch gleich zu dozieren. „Das maskuline Wort weist auf eine Führungskraft, das feminine auf ein Steiggerät hin.“
„Wie Sie das alles wissen, Herr Weißhaupt.“
„Es muss immer so formuliert werden, dass die richtige Bedeutung des Wortes zweifelsfrei abgeleitet werden kann.“
„Der Leser …“, begann Birndippl.
„Oder der Zuhörer“, fiel ihm Weißhaupt ins Wort.
„Der Leser oder der Zuhörer“, setzte Birndippl fort, „muss eben mitdenken, Herr Weißhaupt.“
„So? Was denken Sie mit, Birndippl, wenn Sie lesen:
‚Autolenker rammt Tankstellensäule’?“
„Das steht tatsächlich so in der Zeitung, Herr Weißhaupt, ich hab es auch gelesen.“
„Also was denken Sie?“
„Soll ich etwas ableiten?“
„Ja.“
„Da wird sich der Autolenker ordentlich am Kopf wehgetan haben.“
„Er muss froh sein, dass die Tankstelle nicht in Brand geraten ist, Birndippl.“
„Warum Brand? Der Autolenker wird sich nur die Birne angeschlagen haben, Herr Weißhaupt.“
„Fahrzeugunfälle bei Tankstellen sind immer brandgefährlich, Birndippl.“
„Wieso Fahrzeugunfälle? In der Zeitung steht, dass der Autolenker die Säule gerammt hat, vom Auto steht nichts. Keine falschen Ableitungen, Herr Weißhaupt!“
Kaffeehaus, Sonntag, 11 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt hatten sich schon die neuesten Nachrichten aus Politik und Wirtschaft einverleibt. Birndippl war bei einer Hörgeräte-Werbung hängen geblieben: „Hören Sie gut, aber verstehen Sie schlecht, Herr Weißhaupt?“
„Warum fragen Sie Birndippl?“
„Dafür gibt es heute sensationelle Hörgeräte.“
„Ausgezeichnet! Wenn also ein Mann mit einem keppelnden Eheweib gut hört und gut versteht, verwendet er dann das sensationelle Hörgerät, damit er gut hört, aber schlecht versteht. Zahlt so was vielleicht die Krankenkassa?“
„Sie haben mich leider missverstanden. Das Hörgerät hilft, wenn einer gut hört, aber schlecht versteht, dass er dann auch gut versteht, Herr Weißhaupt.“
„Schade! Und mit so einem Hörgerät verstehe ich dann Arabisch, Birndippl?“
„Nein.“
„Afghanisch?“
„Nein.“
„Kisuaheli?“
„Nein.“
„Wozu brauch ich dann so ein Hörgerät, Birndippl?“
„Zum Verbessern des Sprachverstehens, Herr Weißhaupt.“
„Ist Arabisch keine Sprache?“
„Doch. Aber verstehen Sie Deutsch gut?“
„Deutsch ist meine Muttersprache. Vater hat auch ganz gut Deutsch gesprochen. Auch, wenn er viel im Dialekt parlierte. Ich bin also mit Deutsch aufgewachsen. Wozu bräuchte ich also einen elektronischen Übersetzter im Ohr?“
„Sie beklagen sich doch immer, dass Sie im Fernsehen die Leute schlecht verstehen.“
„Sie meinen, dass die Leute im Fernsehen Deutsch reden, Birndippl?“
„Ja, wenn Sie nicht gerade BBC eingeschaltet haben, Herr Weißhaupt.“
„In unserem Fernsehen wird wirklich Deutsch gesprochen?“
„Ist Ihnen das noch nie aufgefallen?“
„Selten.“
„Da sehen Sie!“, rief Birndippl begeistert. „Sie brauchen so ein spezielles Hörgerät, das auch die hohen Sprachfrequenzen verständlich macht Herr Weißhaupt.“
„Auf Arabisch, Birndippl?“
„In jeder Sprache, Herr Weißhaupt.“
„Das Gerät brauch ich nicht.“
„Wollen Sie denn Ihre Landsleute nicht verstehen?“
„Nur, wenn was Wissenswertes im Gerede dabei ist, Birndippl.“
„Und um zu erkennen, ob im Gerede etwas Wissenswertes dabei ist, haben Sie den Fernseher überlaut eingestellt?“
„Ja.“
„Dann brauchen Sie diesen Sprachverstärker in Ihrem Hörgerät!“
„Nein.“
„Der laute Fernseher stört doch die Nachbarn, Herr Weißhaupt! Hat noch niemand an die Wand gepumpert?“
„Das weiß ich nicht, Birndippl, ich schlaf immer vor dem Fernseher.“
„Warum schalten Sie das Gerät nicht aus?“
„Im Schlaf?“
„Es gibt eine Einschlaf-Automatik.“
„Ja, die killt mir auch ein Fußballspiel.“
„Wenn Sie weiter sehen möchten, können Sie ja wieder einschalten.“
„Bis ich die Fernbedienung finde und darauf den richtigen Knopf, hab ich ein Tor versäumt.“
„Sie sollten halt nicht im Bett fernsehen.“
„Ich liege nicht fernsehend im Bett, sondern sitze vor dem Fernseher im Fauteuil. Das Programm schläfert mich immer ein.“
„Das Programm schläfert Sie ein?“
„Ja. Dabei geht es mir aber noch besser als einen alten, kranken Hund.“
„Wieso Hund? Den Zusammenhang versteh ich nicht, Herr Weißhaupt.“
„Ein alter, kranker Hund wird nun einmal eingeschläfert, Birndippl.“
„Sie sollten den Fernseher halt nur bei einer Fußballübertragung einschalten, Herr Weißhaupt, dann haben die Nachbarn auch etwas vom Spiel.“
„Nein, das geht nicht. Ich brauch den Fernseher, wenn ich schlafe. Der laute Ton verursacht so schöne Albträume.“
„Was ist an einem Albtraum schön, Herr Weißhaupt?“
„Das Aufwachen, Birndippl. Das Aufwachen nach einem Albtraum ist ein reines Vergnügen.“
Kaffeehaus, Sonntag, 10 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt haben gerade ihren Kaffee bekommen, da fiel Birndippl auf: „Sie sind heute so schweigsam, Herr Weißhaupt. Fühlen Sie sich nicht wohl?“
„Fühlen tu ich mich, Birndippl. Von Wohlfühlen kann aber keine Rede sein. Seit einigen Tagen fühle ich mich manchmal wie mit 18 und gleich darauf wie mit 100 Jahren.“
„Warum 18 und nicht 20, Herr Weißhaupt?“
„Mit 18 Jahren hatte ich die Matura gemacht und wollte der Welt ein Loch schlagen. Erst viel später entdeckte ich, dass die Welt schon viele Löcher hatte, sie war auf mich nicht angewiesen.“
„Gehen Sie doch zum Arzt, Herr Weißhaupt.“
„Wozu? Das Alter ist leider schon fortgeschritten.“
„Das Alter ist fortgeschritten?“
„Ja.“
„Wohin, Herr Weißhaupt?“
„Leider zu mir, Birndippl.“
„Die Medizin ist fortgeschritten, Herr Weißhaupt, das gibt doch Hoffnung. Was heute schon alles mit der Darmflora in Verbindung gebracht wird, ist sensationell.“
„So?“
„Da steht, dass die Forscher in Tierversuchen durch Beeinflussung der Darmflora aus Mäusen Helden oder Feiglinge machen können.“
„Bei Mäusen? Was ist da dabei, Birndippl? Wir hatten im Gymnasium eine flotte Englischlehrerin, die hat das bei uns Halbwüchsigen locker zusammengebracht.“
„Um Gottes willen!“, rief Birndippl etwas später.
„Was gibt es?“, reagierte Weißhaupt prompt.
„Ein Toter lag eine Woche lang leblos in seiner Wohnung.“
„Was hätte er sonst tun sollen, als leblos herumzuliegen, Birndippl?“
„Es war der Pribisch, das ist der Alte mit dem steifen Bein aus dem 6er-Haus.“
„Ich kenne keinen Pribisch aus dem 6er-Haus. Also, was hätte er sonst tun sollen, als leblos herumzuliegen?“
„Er hätte jemanden erscheinen sollen. Seine Kinder haben sich nicht um ihn gekümmert, Herr Weißhaupt.“
„Sie meinen als Geist erscheinen? Hatte er denn zu seinen Lebzeiten Geist?“
„Nein, der Pribisch war leider ein einfaches Gemüt.“
„Dann ist ihm nichts anderes übrig geblieben als das leblose Herumliegen, Birndippl.“
„Wenn Sie das so sehen, Herr Weißhaupt“, seufzte Birndippl und Weißhaupt glaubte zu erkennen, dass sein Freund endlich zur richtigen Selbsterkenntnis gelangt war.
„Ich hab auch etwas Kurioses“, rief Weißhaupt. „Da steht auf der Parte einer 80-Jährigen: ‚Im Sinne der Verstorbene bitten wir, auf schwarze Trauerkleidung zu verzichten‘.“
„Alle kommen in Badekleidung, es ist Sommer“,
lachte Birndippl.
„Nein, das wäre doch ungehörig“, wand sich Weißhaupt, als ginge es um sein eigenes Begräbnis.
„Schwarze Festtagskleidung?“
„Nichts Schwarzes, Birndippl.“
„Uniform? Uniform geht immer, Herr Weißhaupt.“
„Ja, Birndippl, aber keine Schwarze.“
„Kein Problem! Eine schwarze Uniform hatte ein Vorfahr, meine war oliv.“
„Das Alter ist fortgeschritten“, brummte der Ober Franz, der das Gespräch mitgehört hatte, „Gott sei Dank!“
Kaffeehaus, Sonntag, 11 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt waren am Lesen, Kommentieren und Nasenrümpfen.
„Herr Weißhaupt. Da ist ein Leserbrief über sinnlose Vergeudung von Steuergeld.“
„Birndippl, das ist ein weißer Schimmel.“
„Wieso, Herr Weißhaupt?“
„Der Verfasser des Leserbriefes kann vielleicht lesen, schreiben kann er nicht.“
„Erklärung bitte!“
„Vergeudung ist immer sinnlos.“
„Das hängt doch vom Standpunkt ab.“
„Vergeudung ist immer Vergeudung. Die Bedeutung des Wortes ist unabhängig vom Standpunkt.“
„Der Standpunkt ist schon wichtig. Wenn Sie vom Finanzamt Geld zurückbekommen ist das für mich Vergeudung. Bekomme ich Geld, ist das keine, Herr Weißhaupt.“
„Sie verwenden das Wort Vergeudung falsch.“ Und nach einer kleinen Pause: „Bekommen Sie etwa gar vom Finanzamt Geld zurück, Birndippl?“
„Ja.“
„Dann muss ich über die Bedeutung des Wortes Vergeudung noch einmal nachdenken.“
Eine Weile war Stille, nur das Rascheln der Zeitung war zu hören, wenn einer der beiden umblätterte.
Dann sagte Birndippl: „Da steht etwas, worüber Sie nicht meckern werden, Herr Weißhaupt.“
„Was soll das sein?“
„In der Nachbarortschaft wurde eine Tierambulanz eröffnet.“
„Wunderbar! Die können dann mit meinem Hund spazieren gehen.“
„Das sind aber Tierärzte, Herr Weißhaupt.“
„Überqualifiziert.“
„Wieso überqualifiziert?“
„Man muss kein Tierarzt sein, um mit einem Hund als Ambulator spazieren zu gehen.“
„Aber Herr Weißhaupt! Ein Spital für Menschen hat auch eine Ambulanz.“
„Logisch. Nach einer Fußoperation muss der Operierte wieder gehen lernen.“
„Ich dachte, spazieren gehen.“
„Ambulare ist Latein und heißt: spazieren gehen, wandern. Wenn man wandern will, muss man gehen können, Birndippl.“
„Sie hat man seinerzeit auch umsonst ins Gymnasium geschickt“, sagte Birndippl sichtlich gekränkt.
„Nein. Zu meiner Zeit musste Schulgeld gezahlt werden, nach dem Motto: Was nichts kostet, ist nichts wert.“
„Wie auch immer. Sie verwenden das Gelernte auch nur, um alles kompliziert zu sehen, Herr Weißhaupt.“
„Meine Sicht stammt vom gelernten Wissen, Ihre bloß aus der Zeitung, Birndippl.“
„In der Ambulanz eines Spitals werden kranke Menschen behandelt, in der Tierambulanz kranke Tiere“, sagte Birndippl nach einer beleidigten Pause. Und nachdem Weißhaupt dazu schwieg: „Das hab ich nicht aus der Zeitung, das weiß ich aus eigener Erfahrung.“
„In einer Tierambulanz?“, fragte Weißhaupt giftig.
„Herr Franz, zahlen!“, rief Birndippl nach dem Ober.
Kaffeehaus, Sonntag, 11.45 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt wollten schon aufbrechen, da fragte Birndippl, seine Zeitung schließend:
„Was heißt engmaschige Betreuung.“
„Woher haben Sie das?“
Birndippl nahm die zuletzt gelesene Zeitung, blätterte kurz darin, dann las er vor: „Der Experte empfiehlt eine engmaschige Betreuung des traumatisierten Jugendlichen.“
„Das kann nur Einsperren in ein Gitterbett heißen, Birndippl.“
„Einsperren in ein Gitterbett ist eine engmaschige Betreuung, Herr Weißhaupt?“
„Wenn das Gitter des Bettes eine kleine Maschenweite hat, ist das engmaschig“, sagte Weißhaupt und stand auf.
Birndippl, der sitzen geblieben war, sagte nachdenklich: „Ich habe noch eine Frage. In einer der Zeitungen stand etwas von einem ausgewiesenen Friedenskämpfer. Haben Sie das gelesen?“
„Ja das habe ich gelesen. Den Herrn würde ich auch ausweisen.“
„Haben Sie etwas gegen den Frieden, Herr Weißhaupt?“
„Nein, Birndippl. Doch Frieden kann man nicht erkämpfen, den muss man halten.“
„Warum machen das so wenige?“
„Wenn Sie etwas halten wollen, was müssen Sie tun?“
„Hand anlegen, Herr Weißhaupt.“
„Genau, Birndippl. Wie und vor allem wo legen Sie Hand an den Frieden?“
„Das weiß ich nicht.“
„Sie sind in guter Gesellschaft. Vor die Wahl gestellt Frieden zu halten oder Macht zu ergreifen, wählt der Mensch die Macht, denn er weiß immer, wie er sie ergreifen kann.“
„Halten kann er sie aber auch schlecht, die Macht, Herr Weißhaupt.“
„Aber immer noch besser als den Frieden, Birndippl.“
„Der Nationalrat müsste eben beim nächsten Anlass ein Gesetz beschließen, was beim Halten des Friedens zu tun ist, Herr Weißhaupt.“
„Das wäre nur ein weiterer Fall von sinnloser Anlassgesetzgebung, Birndippl.“
„Ich hätte noch so einen Gesetzesvorschlag.“
„Welchen?“
„Bienen sollte das Sterben verboten werden, solange noch ein Mensch lebt.“
Das gefiel Weißhaupt und er fügte hinzu: „Mit dem Auto darf man nur fahren, jede Art Amok ist damit zu verbieten.“
„Mit dem Po darf nur gesessen oder gewackelt werden“, fiel Birndippl lachend ein.
„Für andere Po-Anwendungen muss eine Genehmigung des zuständigen Ministeriums eingeholt werden“, ergänzte Weißhaupt vergnügt.
Als Birndippl auch noch die Einführung der Registrierkassenpflicht für Flüchtlings-Schlepper verlangte, kam der Ober zum Tisch und sagte: „Herr Birndippl, Ihre Frau hat angerufen, sie sollen sofort nach Hause kommen.“
Birndippl sah auf seine Uhr, stand gehorsam auf und eilte aus dem Lokal. Weißhaupts „Das Schlagen von Ehemännern mit der heißen Bratpfanne muss auch noch verboten werden“ hörte er nicht mehr.
Kaffeehaus, Sonntag, 10.10 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt hatten sich soeben an ihren gewohnten Tisch niedergesetzt und zu lesen begonnen.
Birndippl schaute immer wieder aus seiner Zeitung hoch und räusperte sich, dann tat er wieder so, als ob er lesen würde. Endlich fragte Weißhaupt: „Was ist los, Birndippl?“
„Eine Litfaßsäule ist eine Wunderwelt, Herr Weißhaupt.“
„Wie kommen Sie jetzt, hier im Kaffeehaus, auf eine Litfaßsäule?“
„Haben Sie die Säule noch nicht gesehen? Sie steht keine hundert Meter vom Kaffeehaus entfernt, Herr Weißhaupt.“
„Nein, mein Auto steht, wie immer, gleich vor dem Kaffeehaus, Birndippl.“
„Meines steht hundert Meter weiter weg. Ich habe keinen besseren Parkplatz gefunden“, sagte Birndippl ein wenig deprimiert.
„Also, was fanden Sie an der Litfaßsäule so gut, dass sie von einer Wunderwelt sprechen, Birndippl?“
„Auf der Säule wird ein Vortrag über Darmgesundheit angekündigt, Herr Weißhaupt. Gleich darunter klebt ein Plakat über den ‚Tag der offenen Tür‘. Ist das nicht seltsam?“
„Wenn Sie das so sehen, Birndippl, ist das in der Tat kurios.“
„Eigenartig ist der Termin des Tages der offenen Tür, Herr Weißhaupt.“
„So? Nur der Termin?“, fragte Weißhaupt und lachte. „Welcher Termin?“
„Ein schlechter Termin.“
„Wieso?“
„Jänner.“
„Was ist an einem Jänner-Termin schlecht, Birndippl?“
„Im Jänner ist Winter, der Wind weht kalt, vielleicht schneit es auch, Herr Weißhaupt.“
„Ja und?“
„Da lässt man doch keine Tür offen, Herr Weißhaupt! Das kann man besser im Sommer machen.“
„Schauen Sie, Birndippl.“ Er reichte ihm eine Zeitung. „Da können Sie etwas über den ‚Tag der offenen Tür‘ im Schloss Eckartsau lesen.“
Birndippl nahm gehorsam die Zeitung und las.
Gleich darauf fragte er: „Herr Weißhaupt, da steht:
‚Die prachtvollen Räume im Schloss Eckartsau ziehen Touristen an‘. Wie machen die das? Sind die Touristen etwa gar nackt bei der Besichtigung des Schlosses?“
„Kaum.“
„Vielleicht sind die prachtvollen Räume magnetisch?“
„Seit wann zieht ein Magnet Touristen an, Birndippl?“
„Ältere Touristen können künstliche Gelenke oder andere Ersatzteile aus Metall eingebaut haben, Herr Weißhaupt.“
„Es kommen sicher auch junge Touristen.“
„Aha! Jetzt versteh ich. Das ist gut!“
„Was ist gut, Birndippl?“
„Wenn die jungen Touristen nur strandtaugliche, fürs Museum unpassende Kleidung anhaben, werden sie von den prachtvollen Räumen dezent angezogen.“
„Unsinn! Das gäbe es nur in einer Wunderwelt.“
„Litfaßsäule?“
„Disneyland.“
„Waren Sie schon einmal in einer Wunderwelt, Herr Weißhaupt?“
„Nein. Ich brauch nicht angezogen werden, Birndippl. Ich bin ordentlich gekleidet.“
Kaffeehaus, Sonntag, 10.45 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt waren mit ihrem Sonntag-Vormittag-Vergnügen beschäftigt. Das ganze Wohngrätzel war schon ausgerichtet, die Regierung hatte bereits ihr Fett bekommen und nun waren die allgemeine Weltlage und das Leben überhaupt an der Reihe, beurteilt zu werden.
„Die Atembeschwerden bei Kindern und Jugendlichen werden immer ärger, Herr Weißhaupt.“
„Steht das in Ihrer Zeitung, Birndippl?“
„Ja.“
„Steht auch, was dagegen unternommen wird?“
„Die Luftverschmutzung ist schuld daran, steht da.“
„Ich habe gefragt, was dagegen unternommen wird, und nicht, wer an den Atembeschwerden schuld ist.“
„Sonst steht nichts da, Herr Weißhaupt.“
„Aha! Warum glauben Sie, Birndippl, werden überall rund um Wien Windräder aufgestellt?“
„Damit die Kinder die Atembeschwerden vergessen, wenn sie voll Staunen den Windrädern zusehen?“
„Nicht ganz falsch, Birndippl, aber auch nicht richtig. Die Windräder haben zwei Funktionen. Erstens wird die Luft zerhackt, damit sie besser atembar wird. Wie der Name der Anlage sagt, wird der Wind gerädert. Zweitens wird die dann atembare Luft in die Stadt hereingetrieben.“
„Entschuldigung, Herr Weißhaupt, das ist doch blanker Unsinn.“
„Kein Unsinn, Herr Birndippl!“, mischte sich der Ober ein, der in Ermangelung anderer Gäste das Gespräch mitangehört hat. „Sehen Sie die großen Ventilator-Flügel hier an der Decke? Wenn im Sommer die Luft zum Schneiden ist, lassen wir den Ventilator langsam laufen und die Luft wird wieder atembar.“
„Aber die Windräder sollen doch grünen Strom erzeugen!“, rief Birndippl empört.
„Nein, Birndippl“, sagte Weißhaupt und fuhr im belehrenden Tonfall fort: „Die Windräder werden mit Strom betrieben. Wo soll denn der ganze Atomstrom hin, wenn alle Länder in Europa nur noch grünen Strom erzeugen wollen? Die teuren Kernkraftwerke kann man doch nicht ohne entsetzlichen Kapitalverlust stilllegen. Speziell Deutschland hat zu viel und zu schnell auf grüne Stromerzeugung gesetzt.“
„Das ist entsetzlich, Herr Weißhaupt. Muss man das nicht unserer Regierung sagen?“
„Nein.“
„Nein?“, rief Birndippl verzweifelt. „Weiß unsere Regierung überhaupt, dass die Windräder mit Atomstrombetrieben werden, Herr Weißhaupt?“
„Nur keine Aufregung, Birndippl! Wollen Sie denn nicht, dass atembare Luft durch die Windräder in die Stadt geblasen wird?“
„Ja, Aber wer erzeugt dann den grünen Strom?“,
winselte Birndippl.
„Atmen Sie ruhig, Birndippl. Sonst hyperventilieren Sie mir noch.“
„Ich brauch grünen Strom für meine Kaffeemaschine“, röchelte Birndippl.
„Der Ober“, sagte Kleinschmied salbungsvoll, „wird ihnen den Kaffee gerne austauschen. Er hat auch eine alte Kaffeemaschine, die mit grünem Strom betriebenen wird.“
Birndippl fiel vom Stuhl und musste vom Notarzt gelabt werden.
Kaffeehaus, Sonntag, 10.05 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt, soeben eingetroffen, suchten sich ihre Zeitungen aus.
„Herr Franz“, protestierte Weißhaupt lauthals beim Kellner, „kann sich das Kaffeehaus keine aktuellen Zeitungen mehr leisten? Das Lokalblatt da ist vom vorigen Monat!“
„Da war schon wieder ein Brand in Wien, Herr Weißhaupt“, versuchte Birndippl, ihn mit einem neuen Thema abzulenken.
„Der Brand war aber bald unter Kontrolle, Birndippl.“ Weißhaupt warf das alte Lokalblatt auf den Boden.
„Der Brand war bald unter Kontrolle? Was heißt das eigentlich?“
„Man schaut beim Brennen zu.“
„Warum wird nicht gelöscht?“
„Löschen Sie den laufenden Motor Ihres Autos, Birndippl?“
„Nur, wenn er brennt.“
„Er brennt doch, wenn er läuft.“
„Er brennt? Und niemand ruft die Feuerwehr?“
„Das ist eine kontrollierte Verbrennung, Birndippl.“
„So? Ist mir noch gar nicht aufgefallen, dass ich mit einem brennenden Motor Auto fahre.“
„Wenn es so oft brennt in Wien, werden die Immobilienpreise wieder steigen, Birndippl“, sagte Weißhaupt gedankenverloren, mehr zu sich selbst.
„Was ist eine Immobilie, Herr Weißhaupt?“
„Etwas Unbewegtes, Birndippl.“
„Ein Polizist mit einer Laserpistole beim Geschwindigkeitsmessen?“
„Nein, ein Haus zum Beispiel, also eine unbewegliche Sache.“
„Aha! Ich hätte eine Immobilie zu verkaufen.“
„Sie haben so etwas?“
„Ja, mein altes Auto.“
„Ihr Auto, Birndippl? Ein Auto ist keine Immobilie.“
„Doch, es bewegt sich nicht mehr.“
„Ein kaputtes Auto wird aber auch nicht Immobilie genannt, Birndippl.“
„Schade.“
Der Ober bringt Weißhaupt eine freigewordene aktuelle Zeitung. Weißhaupt schlägt sie auf und sagt:
„In der Ukraine werden jetzt sogar Kampfjets gegen die Aufständischen eingesetzt.“
„Hat die Regierungsarmee dort so was überhaupt, Herr Weißhaupt?“
„Wenn es doch in der Zeitung steht, Birndippl.“
„Die müssen aber aufpassen, dass sie nicht abgeschossen werden, die Kampfjets.“
„Wie kommen Sie jetzt darauf, Birndippl?“
„In der Ukraine wird alles Mögliche abgeschossen, Herr Weißhaupt: Lastwagen, Panzer, Hubschrauber, Transportflugzeuge, Verkehrsflieger …“
„Kann schon sein.“
„Wie schießt man einen Kampfjet ab, Herr Weißhaupt?“
„Vorsichtig, Birndippl, vorsichtig.“
„Das ist alles?“
„Man verwendet dazu Raketen, Kanonen, Abfangjäger …“
„Haben wir auch so etwas?“
„Nein, das brauchen wir nicht.“
„Nein?“
„Wir versuchen das lieber mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, das ist lustiger.“
„Aber auch nicht ganz billig, Herr Weißhaupt.“
„Wenn Sie das so sehen, Birndippl.“
„Ja.“
„Aber wir haben schließlich noch immer die Allgemeine Wehrpflicht, Birndippl. Sie wurde erst durch eine Volksbefragung bestätigt.“
„Warum braucht Österreich überhaupt die Allgemeine Wehrpflicht, Herr Weißhaupt? Wir liegen doch mitten in der EU. Die EU würde uns sicher helfen.“
„So, wie sie der Ukraine hilft, Birndippl?“
„Hoffentlich besser, Herr Weißhaupt.“
„Das Bundesheer ist jedenfalls wichtig, Birndippl.“
„Aber, es hat doch kein Geld! Die Panzer können nicht mehr fahren…“
„Das ist Methode.“
„Auch die Autos bekommen immer weniger Benzin.“
„Zu Fuß gehen ist gesund, Birndippl!“
„Viele Kasernen mussten schon verkauft werden.“
„Das ist alles Teil einer wohldurchdachten Strategie.“
„Und Sie sagen auch noch, dass das Bundesheer wichtig ist, Herr Weißhaupt.“
„So ist es, Birndippl. Das Heer dient in Österreich der schonenden Vorbereitung auf die Rente.“
„Die alten, beamteten Soldaten und Soldatinnen werden auf die Rente vorbereitet?“
„Die Soldatinnen sind bei uns nicht alt, Birndippl.“
„Wie geht die Vorbereitung, Herr Weißhaupt?“
„Die jungen Rekruten lernen für ihre Rente, wie es ist, von der Regierung systematisch ausgehungert zu werden, Birndippl.“
„Aber in unsere Verteidigung wird doch derzeit ordentlich investiert, Herr Weißhaupt.“
„Das ist entsetzlich, Birndippl. Geradezu katastrophal!“
Birndippl war verängstigt: „Wieso katastrophal?“,
rief er.
„Es entspricht einer alten, österreichischen Tradition, in das Militär erst zu investieren, wenn es schon zu spät ist!“
Kaffeehaus, Sonntag, 10 Uhr. Der Zeitungsleser Weißhaupt schleppt sich sichtlich mühsam zu seinem Tisch, wo ihn Birndippl schon erwartete.
„Sie schauen müde aus, Herr Weißhaupt.“
„Das ist kein Wunder, Birndippl. Mein Auto ist in der Werkstätte und seit gestern ist der Lift in unserem Haus ausgefallen und ich wohne im sechsten Stock. Leider ist keine Technik perfekt. So kann auch ein Lift ausfallen.“
„Ausfallen wie die Haare?“
„Nein.“
„Warum nein? Haare fallen auch aus, Herr Weißhaupt.“
„Wenn ein Haar ausfällt, was geschieht dann, Birndippl?“
„Es fällt mir auf die Schulter, Herr Weißhaupt.“
„Meinetwegen. Und wenn der Lift ausfällt?“
„Wenn mehr als eine Person im Lift ist, bin ich tot, wenn mir der Lift auf die Schulter fällt.“
„Sie fahren nie mit einem Lift, Birndippl?“
„Nein, das ist mir zu gefährlich, er kann ja ausfallen, Herr Weißhaupt.“
Weißhaupt wechselte das Thema: „Wissen Sie, Birndippl, wie weit darf ich mit einem Fahrschein der Verkehrsbetriebe mit der Schnellbahn fahren? Da soll es eine Kernzonengrenze geben. Mein Auto ist ja auch morgen noch nicht zu meiner Verfügung und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bin ich nicht vertraut.“
„Ich weiß, was eine Kernzonengrenze ist, Herr Weißhaupt.“
„Dann seien Sie so gütig und erklären Sie, Birndippl.“
„Nimmt man einen Pfirsich auseinander, so sieht man, dass das Fruchtfleisch am Rand zum Kern – das ist die Kernzonengrenze - verfärbt, verhärtet und geriffelt ist.“
„Was soll dieser Unsinn in Zusammenhang mit der Schnellbahn, Birndippl?“
„Wieso Schnellbahn? Ein Pfirsich hat überall eine Kernzonengrenze, Herr Weißhaupt. Haben Sie noch nie einen Pfirsich gegessen?“
„Doch, schon.“
„Und den Kern herausgenommen?“
„Ich habe ihn immer ausgespuckt.“
„Und dabei die Kernzonengrenze zerstört. Kein Wunder, dass Sie nicht wissen, was das ist, Herr Weißhaupt.“
„Wo haben Sie denn diesen Unsinn gelesen, Birndippl?“
„Das ist ganz alleine auf meinem Mist gewachsen.
Wenn das ohne mein Wissen wo steht, ist das ein Plagiat.“
„Sie wissen, was ein Plagiat ist, Birndippl?“
„Da hat jemand abgeschrieben.“
„So ist es. Beim Plagiieren entsteht das Plagiat.“
Und weil Weißhaupt gerade so in Fahrt war, und auch, um die Kernzonengrenze zu verarbeiten, sprach er weiter: „Beim Dirigieren entsteht das Dirigat.“
„Beim Radieren entsteht aber das Radio und nicht das Radiat.“
„Unsinn, Birndippl, das gibt es nicht.“
„Sie kennen kein Radio?“
„Das entsteht nicht beim Radieren, Birndippl.“
„Was denn, Herr Weißhaupt?“
„Die Radierung, Birndippl, die Radierung.“
„Die Radierung?“, fragte Birndippl so ungläubig, dass sich Weißhaupt zum Nachsetzen veranlasst fühlte.
„Beim Radieren entsteht die Radierung - das ist eine Drucktechnik – oder ein Loch im Papier, wenn Sie am Werk sind, Birndippl.“
„Der Saldo entsteht aber beim Saldieren, Herr Weißhaupt“, antwortete Birndippl etwas beleidigt.
Kaffeehaus, Sonntag, 11.45 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt waren mit der Lektüre fertig, hatten schon ihre Konsumation bezahlt und wollten eben heimgehen, da sagte Weißhaupt noch:
„Ich bin gestern mit der Schnellbahn gefahren. Sie wissen, Birndippl, ich benütze die Öffis nur sehr selten. Auf dem Schotterwagen eines Bauzuges stand ‚Wir bauen für Sie‘ in riesigen Lettern geschrieben.“
„Hat Sie das nicht gefreut, Herr Weißhaupt, wenn für Sie gebaut wird?“
„Ich habe die Arbeiten nicht bestellt, Birndippl, trotzdem bauen die für mich, für Sie, für alle.“
„Für mich auch?“, tat Birndippl erfreut. „Ist das nicht Lebensfreude pur, Herr Weißhaupt?“
„Ja, das ist wie russisches Roulette.“
„Russisches Roulette? Da hält jemand einen Revolver, bei dem nur eine von sechs Kammern geladen ist, an seinen Kopf und drückt ab, obwohl er nicht weiß, welche Kammer schussbereit ist. Was bauen die Schreckliches bei der Bahn?“
„Behinderungen! Während der Bauarbeiten ist der Zugsverkehr eingeschränkt. Erst am Bahnhof hab ich gelesen, dass mein Zug wegen der Bauarbeiten nicht fährt. Mein Trafikant, der mir die Zugabfahrten genannt hat, hat von den Folgen der Bauarbeiten nichts gewusst.“
„Die Bahn hätte Ihren Trafikanten informieren sollen!“, krähte Birndippl vergnügt.
„Das war wohl nicht zu erwarten, Birndippl.“
„Der Zugsverkehr sollte immer eingeschränkt sein, Herr Weißhaupt, damit kein Auto durch eine Lokomotive zu Schaden kommt.“
„Und wenn doch einmal ein Zug fährt?“
„Mit eingeschränkt meine ich mit Schranken umgeben.“
„Umden Zug herum, Birndippl?“
„Sie haben Recht, Herr Weißhaupt, feste Zäune wären billiger.“
„Die Schienen wollen Sie einzäunen?“
„Die Zäune sollen eben die wild gewordenen Züge von den Autos fernhalten.“
„Wildzäune für die Bahn!“, lachte Weißhaupt.
„So wie die Wildzäune das Wild einsperren, Herr Weißhaupt. Kein Auto hat je einen Zug umgeworfen. Die Züge sind die Aggressiven.“
„Und was ist, wenn eine Straße die Schienen quert, Birndippl?“
„Wildzäune haben auch Türen, Herr Weißhaupt.
Durch diese Türen darf aber das Wild nicht durchgehen.“
„Das ist ein kompletter Unsinn, Birndippl. Hatten Sie etwa in letzter Zeit einen unliebsamen Zwischenfall auf einem Bahnübergang?“
„Ja, Herr Weißhaupt. Ein Polizist wollte Geld von mir.“
„Warum das, Birndippl? Haben Sie nicht brav nach einem Zug Ausschau gehalten?“
„Die Schranken waren schon wieder offen, Herr Weißhaupt. Die Bahn hat nur, rücksichtslos, wie sie ist, das Rotlicht nicht gleich ausgeschaltet.“
„Aber, Birndippl, unsere Bahn wird immer moderner. Das muss man neidlos anerkennen. Der Touristen wegen werden viele Durchsagen auch in Englisch gemacht. Ich habe gestern gehört: ‚Attention please the train is departing‘.“
„Was hat der Lautsprecher gesagt?“
„Attention please the train is departing.“
„Was kann das heißen, Herr Weißhaupt?“
„Mir kam das so vor, als wollte der Zug debattieren.
Nachdem niemand mitmachen wollte, ist er beleidigt abgefahren, Birndippl.“
Kaffeehaus, Sonntag 10.30 Uhr. Die Zeitungsleser Birndippl und Weißhaupt stritten sich um die Energiewende. Birndippl war für die Abkehr von Primärenergieträgern, Weißhaupt fürchtete kalte Winter als Folge übereilter Maßnahmen.
„Niederösterreich erzeugt 100 % des Strombedarfs aus Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie!“, rief Birndippl triumphierend seine Zeitung schwenkend.
„Grandios!“, grantelte Weißhaupt. „Ich merke keinen Unterschied zu früher, als noch Kohle, Öl und Gas zur Stromerzeugung verwendet wurden.“
„Welchen Unterschied wollen Sie denn merken? Wir haben auch bevor wir zu Wasser-, Wind- und Sonnenkraft gewechselt haben, Wechselstrom gehabt.“
„Wie sind aber in Wien, nicht in Niederösterreich, Birndippl.“
„Das gilt weltweit“, war Birndippl großzügig.
„Welche Gazette lesen Sie?“
Birndippl zeigte stolz ein Lokalblatt aus Niederösterreich: „Meine Schwester hat mir ihr Lokalblatt mitgebracht, Herr Weißhaupt.“
Weißhaupt nimmt die Zeitung: „Tatsächlich da steht: 100 % des Strombedarfs wird erzeugt. Wie erzeugt man einen Strombedarf, Birndippl?“
„Im Windrad! Haben Sie noch nie ein Windrad gesehen?“
„Ich hab schon ein Windrad gesehen, Birndippl.
Aber dort wird kein Strombedarf erzeugt.“
„Nein? Wo denn?“, war Birndippl enttäuscht.
„Im Elektrogeschäft.“
„Wieso im Elektrogeschäft?“
„Wenn man all die großartigen Fernseher sieht, will man auch einen haben. Man fühlt den Bedarf richtig körperlich.“
„Das ist Bedarfserzeugung?“
„Ja. Ein Strombedarf wird dann durch den Kauf einer Waschmaschine, eines Kühlschrankes oder eines Fernsehapparats erzeugt, Birndippl.“
„Aber im Kraftwerk …“
„Im Kraftwerk wird nur Strom, nicht aber der Bedarf erzeugt, Birndippl.“
„Das ist doch Erbsenzählerei, Herr Weißhaupt!“
„Nein! Dass Niederösterreich 100 % des Strombedarfs aus Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie erzeugt, ist eben schlecht formuliert, Birndippl. Genauso schlecht formuliert wie Folgendes: ‚Kein Mensch ist vor Zahnweh oder Hämorrhoiden geschützt. Selbst die Großen haben liebenswerte Schwächen'."
„Wo steht das?“
„Auch hier, in Ihrer Zeitung.“