Die Zimmer-Guillotine - Peter Fischer - E-Book

Die Zimmer-Guillotine E-Book

Peter Fischer

0,0
10,90 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Prosa-Gedichte aus der Tradition von Baudelaire, mit einem Augenzwinkern für Günter Eich. Das wirkliche Leben erscheint in surrealen und grotesken Szenen. Dabei geht es um die alten Geschichten von Liebe und Verwirrungen. Außerdem finden reale und phantastische Reisen statt. Das Leben zeigt sich in der Stadt und auf dem Lande. Und in seinen schönsten Perspektiven.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 103

Veröffentlichungsjahr: 2013

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Peter Fischer,Die Zimmer-Guillotine

© Peter Fischer

Umschlag, Satz und Lektorat: Pescador

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-4421-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dndb.d-nb.deabrufbar

Peter Fischer

Die Zimmer-Guillotine

Neue Gedichte in Prosa

´Don`t yell at me!´, his mother cried, storming across the room at him.

Patricia Highsmith, The Terrapin.

Quelles bizarreries ne trouve-t-on pas dans une grande ville,

quand on sait se promener et regarder ?

Baudelaire, Mademoiselle Bistouri.

Ut semper domini vult essere domina.

Anonymus.

Über die Ursache dieser Melancholie gab es nur dumpfe Gerüchte.

E. T. A. Hoffmann, Die Doppelgänger.

Heil dir, kleines Skelett, das einst die unsterblichen Rollen

Eines unsterblichen Manns gegen die Mäuse geschützt!

Platen, Petrarca´s Katze in Arquato

© Peter Fischer. Imprimerie Pescador. 2013

I.

Mein Leben als Kind und Söldner

Wie soll ich es sagen, ob ich zuerst Söldner war, oder Kind, weiß ich heute nicht mehr. Schon allein deshalb, weil wohl ich ohne jede Schwierigkeit vom einen ins andere dieser Leben zu wechseln vermag; oder sollte ich sagen, vom einen Raum in den anderen, denn wo, wenn nicht in Räumen, halten wir uns auf.

Es kann aber auch sein, daß die Unsicherheit, mein Berufsleben zu bestimmen, daher rührt, daß ich die längste Zeit meines Lebens bestrebt war, meinem Berufswunsch sowohl im einen wie im anderen Interesse nachzugehen, denn streben, das tue ich wirklich, wenn auch niemand ein Recht hat, zu sagen, ich sei ein Streber, ganz im Gegenteil, ich gelte, eben bei den Leuten, die etwas zu sagen haben, als faul und uneinsichtig, und habe daher nicht viele Aktiva zu verbuchen. Es ist auch aktenkundig, daß ich bei meinen Bestrebungen nicht, wie man so sagt, nach dem Höheren lechze. Das Niedrige, oder vielmehr Erniedrigende, liegt mir aber auch nicht. In welchem der beiden Räume, die ich gerade erwähnt habe, werde ich mich mithin aufhalten, wenn ich mich damit abrackere-und ich kann Ihnen sagen, dabei setzt es manchen Schweißtropfen-, jemandem mitzuteilen, ob ich nun dem Leben eines Söldners oder dem eines Kindes nachgehe. Am besten fangen wir gleich mit dem Anfang an.

Das ging-Sie können es mir glauben-ganz einfach zu. Eltern habe ich vermutlich keine gehabt. Ich stamme von Schuhspannern ab, was sich ebenfalls durch die Akten nachweisen läßt. Wobei unerheblich ist, ob der linke der weibliche, der rechte vielleicht der männliche Anteil sei; aber das wird auch noch geklärt werden, haben Sie nur Mut und bleiben Sie in der Leitung. Entscheidend ist, daß diese meine Vorläufer ganz schön schuften mußten, um die Schuhe in ihrer Form zu halten. Was sie sonst noch so alles taten, weiß ich nicht, und habe es nie gewußt. In der Verwandtschaft wird erzählt, sie seien im letzten Krieg gewesen, 14 oder 39, ja, beide, als Paar, oder wie ist der richtige Ausdruck: als Einheit? Sie sollen mit reicher Beute nach Hause zurückgekommen sein, und oft in den Kolonien bei gründlichen Missionsarbeiten gesehen worden. Allerdings, auf Hörensagen kann man sich am Ende doch nicht verlassen. Und kommen die Nachrichten aus der Verwandtschaft, dann erst recht nicht. Das weiß ein jeder. Eher schon kann man sich auf das stützen, was in den Zeitungen steht. Leider ist in diesen Blättern, bisher jedenfalls, nichts über das Wirken von Schuhspannern berichtet worden. Warum auch. Das Leben der Schuhe ist viel interessanter. Das ist durch die Funktion der Schuhe selber gegeben, und wer sich diesen Tatsachen nicht beugt, bekommt dafür keinen Orden. So kommt es, daß wir, nochmals und mit besten Absichten, zu den beliebten Anfängen zurückkehren sollten.

Selbstredend hatte ich nie den Wunsch gehabt, von Schuhspannern oder ähnlichen Funktionsträgern, Geschirrhandtüchern oder Aktendeckeln, herzurühren. Eher schon dachte ich an ein Ruderhaus oder Gürteltiere. Prinzipiell abgelehnt von jeher habe ich Kippfenster und Schlagersänger. Zwei weitere Funktionsträger, die sehr beliebt sind, und das kann man den Leuten auch nicht verdenken, denn wer schon will aus dem Haus geworfen werden. Und im Flug vom Türrahmen bis zur Straße wird kein roter Teppich ausgerollt. Sparen ist angesagt, und das Gemeinwesen muß aufrecht erhalten werden, das sieht doch ein jeder ein, kerzengerade. Sonst setzt es was! Also kehren nochmals zum zwiefach erwähnten Anfang zurück.

Es-ich kann das nur noch einmal betonen-war wirklich alles ganz einfach. Ich konnte mich völlig ungehindert entfalten. Die Schuhspanner waren die meiste Zeit unterwegs, um möglichst viele Paar Schuhe in Form zu halten. Ich ging derweil fleißig in tiefere und höhere Schulen, fing auch bald damit an, in der Welt, wie meine Vorläufer, herumzukommen, und wurde dergestalt, zunächst einmal, Wandermusiker, abgesehen davon, daß ich zuvor Kind und Söldner gewesen war, oder umgekehrt und vielleicht auch gleichzeitig, wen interessiert das schon, denn es läuft eh’ alles auf das selbe hinaus. Ob Kind oder Söldner, man tut seine Arbeit. Und man kommt herum in der Welt. Einmal spielte ich den Dudelsack hier, einmal stieß ich dort in die Trompete, und trällerte ein Lied, wenn ich nicht wußte, wie ich durch den Wald kommen sollte, besonders wenn es dunkel war und mucksmäuschenstill. Manchmal pfiff ich auf dem letzten Loch, wenn ich lange genug getrommelt hatte, an der Spitze der Truppen, um sie unweigerlich zum nächsten Sieg zu führen. Welcher Ton aber wird aus mir herausfahren, wenn mir das nicht mehr gelingen sollte, dem Tod bei meiner Arbeit abermals von der Schippe zu springen?

Das, liebe Leute, ist eine schwierige Überlegung, denn, ehrlich gesagt, ist besagter Punkt erst einmal erreicht, werde ich kaum mehr auf einen Anfang zurückkommen können. Oder wie siehst du das, mein lieber Leser.

II.

Asunción

Um Gottes willen, sagte der Teufel, hier hält es doch kein Schwein mehr aus, als er entdeckte, daß die Hölle auf Erden war, in den Kneipen, Fabriken, und Familien. Kurzentschlossen sauste er in den Himmel hinauf, und roch sogleich–denn die Nase eines Teufels läßt sich nicht übertölpeln, in keinem Fall-,daß es im Himmel auch nicht viel besser zu ging. Jedenfalls gab es hier nichts von dem, was im irdischen Leben angenehm sein konnte. Wo also sollte ich das Leben suchen, das einem nicht das Leben kostete, fragte er, von Trauer geschüttelt, Gottvater, der dem Treiben der Menschen ratlos zusah, und zudem eine Neigung zum Taubsein hatte, was daran zu erkennen war, daß er ständig eine Hand an ein Ohr hielt, um eine Art Schalltrichter zu bilden, und um sich etwas unwirsch zu erkundigen: „Wie bitte, was meinen´s?“ Der Himmlische Vater schaute blöd aus der Wäsche, weil ihn die Frage des Unterirdischen unvorbereitet getroffen hatte, was bei einem ewigen Wesen allerdings nicht überraschend ist. Und die Wäsche hatte ihm seine Mutter gerade frisch gebügelt herausgelegt, vor seinen Thron hin.

Ach, sagte der Teufel, fast im nämlichen Ton wie Alkmene, als diese merkte, daß der Himmel ihre Lebensplanung durcheinander geworfen hatte, mit ein wenig Ironie werde ich noch ein paar Meter weiter kommen, aus allen Himmeln fallen, und noch einige Tage überleben, denn, sagte er sich, der Leibhaftige, es ist doch wohl zu spät, um noch einmal den Versuch zu machen, das Glück auf der Erde–der Himmel war zwar nicht gottlos, aber sprach- und gehörlos–zu suchen, beispielsweise in der Produktion; die wird einem gestohlen, kaum hat man mit der Arbeit begonnen. Die Bande der Natur, deren Geruch uns betäubt, sind viel zu stark, als daß wir sie erkennen könnten, und so wird es den Irdischen unmöglich erscheinen, die Sklaverei zu bemerken, in welcher sie sich häuslich eingerichtet haben, mit Gottes Segen, und vielen wunderbaren Gerüchen. Aber zum Teufel, rief laut der Teufel, warum denn merken diese fleißigen Häusleinbewohner nicht, wie tief das Sklavenleben ihnen in den Knochen steckt?

Aber was, sagte der Teufel, als er sich vom Acker machte, und die Hahnenfeder an seinem Hut mächtig wippte, geht den Teufel eigentlich das Leben an. Es will nichts von ihm wissen.

III.

Abendblatt

Ach, sagte ich mir eines Tages, so schlimm wird es (das liebe Es) schon nicht werden, machte mich, nach dem Frühstück (das ist nun nicht jedermanns Sache, es reicht auch, etwas Pampe runterzuschieben) auf, um für die Verbesserung meiner Lebensumstände, in Form eines kleinen Spazierganges, zu sorgen, und kaufte auch, kaum aus dem Haus getreten, beim nächsten Kiosk eine Zeitung, und setzte mich damit auf eine Bank, welche sich bei nächster Gelegenheit darbot, schlug auch konsequent diese Zeitung auf, las flüchtig die Seite drei, und dann, etwas weiter hinten, bei den höheren Seitenzahlen, die Kleinanzeigen, worunter sich u.a. meine Todesanzeige befand.

Aber, wenden sie mit leichtem Augenbrauenspiel, gnädige Frau, ein, das ist Blödsinn, das kann doch nicht wahr sein, das geht doch nicht, das ist unmöglich, es ist völlig unmöglich. Und sie haben recht. Ja ja, sie hören ganz richtig. Ich werde ihnen das erklären, falls sie noch ein paar Minuten Zeit haben, zuzuhören.

Sie kennen sicher, Madame, das Gefühl, einen guten Tag vor sich zu haben. In meinem Leben war das nicht oft vorgekommen, eigentlich gar nicht, aber jetzt war der Augenblick gekommen. Es war so weit. Wieder wurde der Zusammenhang zwischen den disparaten Teilen durch die Zeitungslektüre hergestellt. Ich weiß nicht, ob sie das selbe Käsblatt lesen wie ich, eher nicht, will ich vermuten, denn sie haben gewiß andere Perspektiven; und andere heißt bessere. Nun, habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen? Es ist aber für die kommenden Ereignisse nicht wichtig, welche Zeitung sie gelesen haben; oder vielleicht auch gar keine, und wozu auch, denn ihre Zofen berichten ihnen alles, während sie gekämmt werden, angekleidet, manikürt etc., was eben so dazu gehört. Überdies war die Kleinanzeige so klein gedruckt, in Petit, daß sie kaum zu lesen war. Dieser Notstand wurde bald aus der Welt geschafft. In den nächsten Tagen erschien der Text, aber nicht so, wie die Italiener es machen, als Anschlag auf zahlreichen Hauswänden der Stadt, auch auf Litfaßsäulen, genau mit dem selben Wortlaut, der mit der Kleinanzeige schon formuliert worden war, und mich in Bann geschlagen hatte: „Freiwillige gesucht. Interessante Nebentätigkeit. Gute Bezahlung.“ Versprechen der Art gab es zuhauf, in allen Käs-und Intelligenz-Blättern. Jedoch, die Fortsetzung, die hatte es in sich: „Melde dich sofort im städtischen Bauhof, beim Erschießungskommando.“ Eine Adresse und Telephonnummer waren beigefügt. Und schon juckte mich der linke Zeigefinger (sie denken, ich sei ein Linkshänder, gnädige Frau, aber ist es nicht so, daß man sich in der Schule mit dem Zeigefinger der linken Hand melden muß?). Ich also, nicht faul, obgleich familienseits als Taugenichts eingestuft, brach sofort auf, um mich an den bezeichneten Ort zu begeben; und staunte nicht schlecht, als ich, nach einer halben Stunde Schlendergang, angekommen war. Eine nahezu unübersehbare Menge hatte sich bereits im städtischen Bauhof eingefunden, nur Männer, um das am Rande zu erwähnen.

Ich reihte mich in die Menge ein, was gar nicht so einfach war, denn alles drängelte, und jeder wollte in dem Haufen, entschieden, der erste sein, der von der Bauhofsverwaltung ein Pöstchen als Erschießer erhielte. Es war klar, daß es in diesem Gedränge nur darum gehen konnte. All diese Männer waren in bester Verfassung, mit einem gelösten Lächeln um die Mundwinkel (ein solcher Mund war allerdings sehr schmal), und in tadellos aufrechter Haltung. Dann ertönte ein Lautsprecher aus jenem Winkel des Bauhofes, in welchem die Baumaschinen (Erntemaschinen oder Milchzentrifugen hätte man hier gewiß nicht erwartet), meist älteren Jahrgangs, sauber nebeneinander aufgereiht sich befanden. Was die Stimme aus dem Lautsprecher verkündete, war den anderen Männern, die sich hier vor mir eingefunden hatten, bereits bekannt und ziemlich klar. In meinem Fall fehlte noch die Aufklärung. Der Lautsprecher zählte eine Reihe von Qualifikationen auf, welche Voraussetzung für eine, wenn auch nur kurze, Anstellung bei der Baubehörde waren. Ich verstand nicht alles, was der Mann im Lautsprecher meinte, weil es im Gemurmel der Menge unterging, das für ein Murren zu halten zwecklos gewesen wäre. Drei Qualifikationsmerkmale vermochte ich deutlich zu erkennen. Die beste Chance für eine Zusage der städtischen Behörde hatte derjenige, der sich in jeder Hinsicht als „gemeinschaftsfremd“ erwies. Seine Sorgen würden bald behoben sein. Wenn er außerdem noch in der Lage war, nachzuweisen, daß er niemals „meiner Meinung nach“ gesagt hatte, so durfte er sicher sein, daß sein Glück fast schon gemacht war. Unermeßlich aber waren seine Aussichten, wenn er aktenmäßig nachweisen konnte, niemals einen „deutschen Kaffee“ getrunken zu haben. Pfui! Nix mit caffé lungo, nie im Leben.