Die zivilen Fahnder/innen - Christian Günther - E-Book

Die zivilen Fahnder/innen E-Book

Christian Günther

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Beschreibung

"Bisse aber noch sehr fit für Dein hohes Alter, Nick." - "Na, mein blonder Bengel Judith hält mich jung, nö?" Neben der Originalserie ermitteln sie nun zusätzlich in Kurzgeschichten: Judith Reiter und Nick Fengler von der Zivilfahndung des Essener Reviers Kettwig/Werden. Ob Entführungsfall oder Vermisstenfall, ob Ruhestörung oder Mord, ob Kampf zwischen Radfahrer und Autofahrer oder Faustkampf in einem Zimmer - mal käbbelnd, mal besonnen, mal spektakulär agierend, jedoch stets ihren typischen Ruhrpott-Slang sprechend. Begleiten Sie das Duo Reiter/Fengler bei zwölf kurzen, abwechslungsreichen Einsätzen, die sämtliche Elemente der Originalserie beinhalten und experimentell darüber hinausgehen - plus Bonus-Pflegegeschichte! Die enthaltenen Kurzgeschichten: 01 Die Kinder der Krimiseherin, 02 Grün, gelb oder rot?, 03 Bombenstimmung, 04 Unmoralisches Angebot, 05 Dieses blonde Püppchen, 06 Bewohnerin verschwunden, 07 Radfahrer und Autofahrer, 08 Einbruch am Ende der Welt, 09 Die Partycrasher, 10 Das Instrument, 11 Identitätslos, arbeitslos, heimatlos, 12 Aufeinander aufpassen, Bonus: Die Wasserflasche und die Schildkröte - oder: die Pflege, die Politik und die Zeit, Probe: Wie sich Judith und Nick kennen lernten - Prolog & Beginn 1. Staffel der Originalserie, Diese Zusammenstellung erscheint zwischen den Staffeln 1 und 2 der Originalserie und bietet das gesamte Spektrum der zivilen Fahnder/innen: amüsante Käbbeleien zwischen Judith und Nick, lockere und ernste Themen, alltägliche und nahegehende Fälle, einfühlsame und actionreiche Ermittlungen, eine detaillierte und spannende Funksequenz. Interessante Experimente inklusive: so schlüpft der Autor einmal in die Rolle einer Verdächtigen und schreibt aus ihrer Sicht. Einmal möchten Judith und Nick das Recht gar nicht umsetzen, einmal müssen sie in einer tragischen Nacht eine Todesnachricht überbringen, und wie gehen sie, die eher bodenständige Fälle gewohnt sind, mit einer besonders verstörenden und vor allem blutigen Tat um? Vor der Kulisse der Essener Stadtteile Kettwig und Werden (der Heimat des Autors), mit Ausflügen nach Rüttenscheid oder Bredeney, wird wie üblich fleißig Ruhrpott geredet! Die reine Handlung der Fälle steht dabei in keinem Bezug zur Serie, es sind unabhängig voneinander lesbare Geschichten: Die Anthologie ist für neue Leser*innen, die das Ermittlerduo kennen lernen möchten, ebenso geeignet wie für Kenner*innen der Originalserie, die zusätzliche Facetten von Judith und Nick entdecken dürfen. "Die zivilen Fahnder/innen: Ermittlerduo Judith Reiter & Nick Fengler (Ruhrpott-Anthologie - 1)" ist als Buch und als eBook erhältlich. Weitere Veröffentlichungen und Staffeln sind geplant.

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Inhaltsverzeichnis

01 Die Kinder der Krimiseherin

02 Grün, gelb oder rot?

03 Bombenstimmung

04 Unmoralisches Angebot

05 Dieses blonde Püppchen

06 Bewohnerin verschwunden

07 Radfahrer und Autofahrer

08 Einbruch am Ende der Welt

09 Die Partycrasher

10 Das Instrument

11 Identitätslos, arbeitslos, heimatlos

12 Aufeinander aufpassen

Bonus Die Wasserflasche und die Schildkröte - oder: die Pflege, die Politik und die Zeit

Probe Wie sich Judith und Nick kennen lernten - Prolog & Beginn 1. Staffel der Originalserie

Wörterbuch & Grammatik

Seit Januar 2023 beteilige ich mich beim Mitmachprojekt des Schreiblust-Verlags. Inzwischen sind dort bereits mehrere Kurzgeschichten nach den vorgegebenen Themen entstanden, mit allgemeinen Storys ebenso wie mit Einsätzen des Ihnen eventuell schon bekannten oder noch neuen Ermittlerduos Judith Reiter und Nick Fengler.

Die Einsätze der beiden sind zeitlich von der Originalserie gelöst und bis auf eine Ausnahme stets aus Nicks Sicht geschrieben. Mit ihm auf Streife ist Judith, die Leitung bei den Einsätzen hat die Chefin Romina. Zur Unterstützung stoßen vereinzelt Uniformierte wie Corinna, meist mit dem Motorrad unterwegs, oder Lena und Michael, eine Kombination aus frecher Jungspund und alter Haudegen, hinzu.

Alles originale Rollen aus der Serie. Judith und Nick bilden die Zivilfahndung des fiktiven Essener Reviers „Kettwig/Werden“ und ermitteln überwiegend an originalen Orten, nur Hausnummern kommen keine vor. Bei den Ermittlungen tauchen fiktive Elemente auf, unter anderem der externe Zugriff auf die Bodycams. Informationen über die reale Polizei und Adressen aller Wachen in Essen und Mülheim an der Ruhr finden Sie auf https://essen.polizei.nrw

Neben den schon im Internet veröffentlichten Geschichten bietet diese Zusammenstellung exklusives Material: Insgesamt zwölf Fälle, plus einen „Pflegebonus“ sowie eine Leseprobe aus der Originalserie!

http://schreiblust-verlag.de/

Jeden Monat gibt der Verlag ein neues Thema vor, an dem sich bis zu 40 Schreibende beteiligen können. Auf den Plot von z.B. der ersten Geschichte „Die Kinder der Krimiseherin“ wäre ich von allein sicher niemals gekommen. Sie entstand aus der Vorgabe des Themas im Januar ’23. Als Bücher veröffentlicht der Verlag jedes Jahr die siegreichen Wettbewerbsteilnehmer sowie - von diesem Wettbewerb gelöst - zusätzlich thematische Anthologien (für Sommer ’24 geplant: Briefe)

Die Kinder der Krimiseherin

»Über Euern Fall im Wesselswerth wurde heute in der Zeitung berichtet.« Schmunzelnd reichte Romina Judith den Lokalteil. »Rechts, oberes Drittel.«

Judith nahm ihn und las die Überschrift vor: »Postbote fragt Kinder, wo Mama ist: Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet.«

»Die hat er dat erste Ma gehört, glaub ich«, vermutete ich.

»Janz sischa doch. Dat hätten wa ihn ma fragen sollen.«

»… und hat ’nen Schreck für et Leben bekommen.«

»… aber richtig gehandelt.«

Zwei Tage zuvor

»Judith, Nick, für Romina?«, tönte es aus dem Funkgerät des Wagens.

»Judith und Nick hörn«, bestätigte ich, während Judith an der roten Ampel am Werdener Markt mit einem Finger auf dem Lenkrad trommelte.

»Wo seid Ihr grad?«, wollte die Chefin wissen.

»An ’ner roten Ampel«, antwortete meine Partnerin laut.

»Da gibt es sicher einige. Etwas detaillierter: Welche genau?«

»B224, Höhe Haltestelle am Markt, Fahrtrichtung Gustav-Heinemann-Brücke«, präzisierte ich die Angabe.

»Das trifft sich sehr gut«, fand die Chefin. »Einsatzort im Wesselswerth. Er betrifft die Familie Steimer, Entführungsfall. Melder ist der Postbote, Herr Mill. Sondiert die Lage, bitte, und gebt mir Rückmeldung.«

»Okay, sind in zwo Minuten dort«, versprach ich, mich korrigierend, als sich Judith auffällig räusperte und bei Grün sportlich losfuhr. »Sorry, Ette fährt ja. In ’nem Minütken da.«

»Ich such Euch noch weitere Infos raus.«

Als wir in den Wesselswerth bogen, kamen diese: »Andrea Steimer, 29, getrennt. Hat zwei Mädchen, sieben und neun, der Vater ist aus Essen weggezogen.«

»Verstanden, Romina. Erreichen gleich Einsatzort. Tragen Schutzwesten, schalten den Funk dort ein.« Ich legte das Gerät weg und steckte den zum telefonähnlichen, an der Weste befestigten Funkgerät gehörenden Knopf ins Ohr. Das Kabel, das sich mit der kleinen Antenne verhakt hatte, lösend. Es musste nicht jeder oder jede Unbeteiligte die Kommunikation aus dem Revier mitverfolgen.

Der Postbote stand nahe dem Eingang eines Mehrfamilienhauses. Kein Parkplatz in der nahen Umgebung frei, so stellte Judith den 3er-BMW in einer Garageneinfahrt ab, den Gehweg blockierend. Etwa zwanzig Schritte vom Boten entfernt.

»Dürfen et ja, ne?«, meinte sie.

»Tatsächlich?«, fragte ich. »Seit wann?«

»’ne Gesetzesänderung. Trat heut in Kraft.« Sie suchte ihren Dienstausweis hervor und überquerte die Straße, während ich zunächst das Auto umrundete und zu ihr aufschloss. »Bisse aber noch sehr fit für Dein hohes Alter, Nick«, lobte sie.

»Na, mein blonder Bengel Judith hält mich jung, nö?«, konterte ich.

Die eben neckend als blonder Bengel bezeichnete Judith zwinkerte mir zu und zeigte dem Boten den in Nordrhein-Westfalen hellblauen Ausweis. »Reiter, Kollege Fengler, Zivilfahndung Revier Kettwig/Werden. Herr Mill?«

»Jau«, bestätigte dieser. Er war merklich aufgeregt. »Ich hab ein Übergabe-Einschreiben für die Frau Steimer und deshalb geklingelt. Sind aber nur ihre Kinder da. Haben über die Sprechanlage gefragt, wer vor der Tür ist, jedoch nicht geöffnet. Als ich sie nach ihrer Mutter fragte, haben sie geantwortet, diese sei entführt worden.«

»Dein Part«, meinte Judith zu mir. »Hast doch selber zwei Mädels, ne?«

»… aber ältere.« Ich entfernte mich und drückte zweimal auf die Steimersche Schelle, wartete, bis sich eines der beiden Kinder über die Sprechanlage meldete. »Nick Fengler von der Polizei«, stellte ich mich freundlich vor.

»Die sind anders bekleidet«, kam als Antwort. Sie hatten uns demnach zur Straße, und nicht zur Hausrückseite hin, aus einem der Fenster beobachtet.

»Kollegin Judith und ich sind zivil bekleidet.«

»Stimmt ja nicht. Steht doch Polizei drauf.«

»Das sind unsere Schutzwesten.«

»Im Tatort tragen die so etwas nicht.«

Ich hoffte, dass sie die ältere Tochter war, mit der ich sprach, während ich mich über die TV-Gewohnheiten der Familie wunderte. »Tatort ist fiktiv. Wir sind von der realen Polizei. Ihr habt gesagt, jemand hat Eure Mama entführt?«

Judith gab die Informationen derweil an Romina weiter, ich hörte die Partnerin parallel über Funk reden.

»Ja«, antwortete mir die Tochter.

»Aus diesem Grunde sind wir hier. Wir wollen Eure Mama suchen. Ihr möchtet sie doch sicher gesund und munter wieder bei Euch wissen, oder nicht?«

»Ja.«

Irgendwo, ein gutes Stück entfernt, parkte ein Auto ein. Der Rückwärtsgang knirschte mehrfach beim Einlegen und der Motor war stets eine kurze Zeit lang angestrengter zu hören. Vermutlich eine sehr enge Lücke.

Romina dankte Judith für die Situationsbeschreibung.

»Habt Ihr denn ein Bild von ihr?«, forschte ich weiter.

»Wir dürfen niemandem die Tür öffnen, wenn Mama nicht hier ist.«

»Da hat Eure Mama völlig recht, im Grunde. Nur …«

»Na, wie weit bisse, Nick?«, fragte Judith leise über Funk.

»Ich arbeite noch dran«, raunte ich zurück und hob die Stimme wieder: »Nur, wir bräuchten einige Informationen, die uns die Suche nach ihr erleichtern.«

»Kannst Du haben«, erwiderte die Stimme.

Hatte ich es geschafft? »Lasst Ihr uns herein? Ich meine, den Briefträger kennt Ihr doch. Der hat uns verständigt wegen der Entführung.«

Nein, nicht geschafft: »Wir reden ja miteinander.« Vermutlich sahen die Kinder recht viele Krimis …

»Die echte Polizei hat einen Dienstausweis mit Bild, daran könnt Ihr sehen, dass wir tatsächlich von der Polizei sind und Euch helfen möchten.«

»Ein Ausweis kann gefälscht sein.«

Wieso hatte ich diese Antwort erwartet?

Zwei Personen näherten sich auf dem Bürgersteig, wie ich beiläufig mitbekam. Judith und Herr Mill sahen sie nicht, da sie ihnen den Rücken zuwandten.

»Ihr könntet das Fenster öffnen?«, schlug ich vor.

»Wir wohnen im Erdgeschoss. Das ist zu nah.«

»Habt Ihr denn etwas gesehen zur Entführung?«

»Ein Mann hat sie … mit schwarzem Auto …«

»Frau Steimer?«, rief in diesem Moment Herr Mill. »Gott sei Dank! Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht.«

»Warum?«, fragte sie den Postboten.

»Ist das Eure Mama?«, fragte ich. »Schaut heraus.«

»Romina, für Judith?«, hörte ich meine Partnerin über Funk und sah zu ihr und den weiteren Personen. »Entwarnung: De Frau is wieder da.«

»Mir ist das peinlich«, gestand Herr Mill und reichte ihr das Einschreiben. »Als ich Ihre Kinder, Frau Steimer, fragte, wo Sie seien, haben diese mir geantwortet, Sie seien entführt worden. Tut mir leid, Frau Reiter, dass ich Sie völlig umsonst informiert hab. Unnötig Alarm geschlagen, muss ich den Einsatz zahlen?«

»Keinesfalls, nein«, antwortete sie ihm. »Dat war richtig, wat Se getan ham. Et könnt ja wirklich wat Ernstes sein.«

»Entführt?« Frau Steimer senkte den Blick. »Nein, das ist mein neuer Freund. Wir haben uns vor Kurzem kennen gelernt. Ist noch sehr frisch, deshalb hab ich den Kindern bisher nichts gesagt. Vorhin nur, dass ich kurz weg bin. Leider war kein Parkplatz frei und Heiko hat in der Einfahrt gehalten, wo nun der BMW steht. Von uns aus schwer einzusehen, jedoch nicht unmöglich. Wir wollten uns einen Zeitpunkt überlegen, wann ich ihn meinen Mädels vorstelle, bei einem Ausflug zum Baldeneysee, zum Beispiel.«

»Ich glaub, der Zeitpunkt is jetzt spontan da«, meinte ich und deutete zur Gardine im Parterre, die sich bewegte. Gerade noch hatten zwei Gesichter interessiert herausgeschaut. »… und zum See is et ja nich allzu weit.«

»Fall abgeschlossen«, meinte Judith, den Motor des Wagens startend und losfahrend. »Kommen wa also zu ’em nächsten, ne?«, beschloss sie anschließend.

»Nächster Fall?«, wollte ich wissen. »Ich wüsst von kei’m?«

»Beamtinnenbeleidigung: Da hat mich vorhin doch tatsächlich so ’n alter Sack als ’nen blonden Bengel bezeichnet.«

»Dat hab ich gar nich mitbekommen. Wann war dat denn?«

»Demenz«, seufzte sie. »Massel gehabt, dann bisse nich zu belangen.«

»Samma, Judith, wie hasse den Täter grad eben nomma betitelt?«

»Als ’nen sonst recht netten, älteren Se…ni… öhm … Herren!«

Der erste Beitrag von mir beim Mitmachprojekt des Schreiblust-Verlags zum Thema »Postbote fragt Kinder, wo Mama ist. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet« als Zeitungsmeldung, Januar 2023

Grün, gelb oder rot?

»Feierabend«, jubelte Judith nach dem Einsatz und schnallte sich auf dem Beifahrersitz an.

»Jau«, bestätigte ich und erweckte per Knopfdruck die 184 Pferde des zivilen 3er-BMW zum Leben. »Den ham wa uns verdient.« Ein Schulterblick, und ich zog auf die Fahrbahn. »Nur noch et Auto am Revier parken, dann ham wa Wochenend.«

Noch keine hundert Meter gefahren, meldete sich jedoch die Chefin über Funk: »Judith, Nick? Für Romina? Seid Ihr noch in Werden?«

»Jo, sind wa, Romina«, bestätigte Judith.

»Gut.«

»Aber nich noch ’n Einsatz, oder?«

»Doch! Lena und Michael nehmen gerade einen Unfall in der Hammer Straße auf. Auffahrunfall an der Baustelle, die Stimmung ist aufgeheizt. Unterstützt sie, bitte. Beide Beteiligte haben vorhin gleichzeitig die 110 gewählt, so erregt wie sie waren. Dritter Wagen kommt, um die Fahrbahn in Richtung Kupferdreh zu sperren, die blockierte Spur.«

»Okay, verstanden.« Judith beugte sich zu mir herüber, um das Display des Bordcomputers besser zu sehen. Wie bei BMW üblich, war das Cockpit zu mir, zum Fahrer hin geneigt. »Die ham de Bodycam sicher an wegen de Situation, Nick. Guck, dat ich ’n Bild bekomm, Mooo-ment … jau, hab Michaels Cam auf ’em Schirm. Er fuchtelt mit sei’m Zeigefinger vor de Kamera rum … und nun noch Ton an.« Sie sah und hörte mit, ich nur letzteres.

»Sie gehen jetzt mit meiner Kollegin zu Ihrem Wagen«, hörte ich den erfahrenen, uniformierten Kollegen mit über dreißig Dienstjahren reden, »und wir bleiben hier bei Ihrem. Den Unfall nehmen wir getrennt auf. Zwischen grüner und gelber Ampel, da ist schon ein gewisser Unterschied.«

»Zuerst die Daten«, fügte Lena hinzu und bat ihren Gesprächspartner auf dem Weg zu seinem Wagen, den Personalausweis und Führerschein hervorzusuchen. Ferner forderte sie einen vermutlich hinter der Unfallstelle wartenden Wagen auf zu drehen. »Fahren Se über de Maasstraße, da kommen Se unten im Hespertal wieder aus. Kennen Se den Weg? Sonst beschreib ich … gut, okay.«

Zwei Minuten später erreichten Judith und ich den Unfallort. Er lag hinter einer Kurve und nach den letzten Häusern. Linksseitig bewaldet, rechts ein Abhang. In Folge starken Regens hatte der Boden nachgegeben, daher die Baustelle mit Ampelregelung. Ich rollte hinter dem Ford S-Max Polizeiwagen aus. Die Besatzung des dritten Wagens meldete, dass die Sperrung eingerichtet sei. Lediglich der Gegenverkehr konnte den Schauplatz passieren. Judith neigte ihren Kopf zum Funk ihrer Schutzweste und drückte auf den Sendeknopf.

»Romina, für Judith/Nick, Einsatzort erreicht«, teilte sie der Chefin mit, die umgehend bestätigte. Nach dem Aussteigen sah Judith zu mir. »Bleib Du bei ’em hinteren Wagen, dann hasse et nich allzu weit. Ich geh nach vorn.«

»Du bist zu gut zu mir«, fand ich. »Vielen Dank, Judith.«

»Will ja noch ’ne Zeit lang wat von Dir ham, ne? Deshalb schone ich Dich.« Auf dem Weg zum vorderen Auto begrüßte sie Lena und stellte sich dem dortigen Fahrer ausweisend vor. Etwas Abstand haltend, beobachtend, jedoch eingreifen könnend. Michaels Gesprächspartner hatte sich inzwischen beruhigt, sie redeten unauffällig miteinander.

Nur bei dessen Kollegin, die bis auf die Augenfarbe wie Judiths jüngere Schwester aussah, herrschte merklich dicke Luft. Wie Judith war Lena - gebürtige Berlinerin, mit zehn Jahren nach Duisburg gekommen - nicht auf den Mund gefallen, altersbedingt (U30) jedoch teils unüberlegter in ihren Äußerungen als Judith (Ü30). Hatte es damit zu tun?

»Wat is’n hier passiert, Lena?«, fragte ich.

»Kleinen Moment, Herr Seiler«, bat sie ihren Gesprächspartner und wandte sich nun mir zu. Wir traten einige Schritte beiseite und redeten leise. »Echt blöde Type, dieser Kerl. Nu jut, ich kann mir meine Kunden nicht aussuchen, wa?«

»Also, Lena«, tadelte ich sie.

»Iss doch wahr. Unfreundlich! Seit ich seine Daten aufgenommen habe, noch mehr. Der hat nur sei’n Reisepass bei, der Perso iss immer zuhause. Dit sei sicherer. Pöh! ’ne Kopie reicht für et Erste.«

»Dat weiß halt nich jeder.«

Sie bemerkte, dass in einem verlangsamenden Wagen aus dem Gegenverkehr jemand ein Handy zückte. »Eyh, hier gibt’s nüscht zu filmen. Los, weiter! Los, fahr!«

Es war sicher nicht der erste Unfall in dieser Gegend, die Neugier und Sensationslust mancher Beobachterinnen und Beobachter, bei selbst im Grunde harmlosen Dingen wie diesem Blechschaden, jedoch erschreckend.

»Egal, zum Unfall«, fuhr Lena fort. »Der Vordermann hat jebremst, der Hintermann, mein Herr Seiler, iss ihm aufjefahrn. Beim Vordermann gelbe Ampel, Seiler sagt, die sei noch grün gewesen. Keine Zeug*innen.« Sie hatte sich vorgenommen, beim Reden zu gendern. Es klappte nicht immer, aber immer öfter, so wie in diesem Falle.

»Schade«, meinte ich. »Wenn keine Zeugeninnen … ähm, und Zeugen«, ich räusperte mich, »dann steht hier Aussage gegen Aussage. Trotzdem: Bremsbereit musse sein als Hintermänneken.«

»Nee, nee, Nick, dit musste noch üben.«

»Wie siehst Du’n den Unfall?«, lenkte ich ab.

»So wie Du. Aber, um auf et Gen…«

»Kein Aber, Lena, hier geht et um ’en Unfall. Da Ihr Euch scheinbar nich allzu gern mögt, quassel ich ma mit ihm. Okay?«

»Du, tu Dir kei’n Zwang an.«

Ich trat zum Fahrer, der vor seinem Kotflügel lehnte. Das Fenster der Fahrertür geöffnet, hörte ich die Musik aus dem Radio leise bis draußen: Regenbogenfarben. Ein Regenbogen?