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Alleine im Jahr 2016 gingen bei der Telefonseelsorge in Deutschland über 8 Millionen Anrufversuche ein. Antworten auf Mails oder per Chatfunktion erhalten Ratsuchende erst nach bis zu drei Tagen. Für Menschen in einer Krisensituation ist das unzumutbar. In ihrer Publikation zeigt Astrid Barnowsky auf, mit welcher enormen Flut an Anfragen die Telefonseelsorge heutzutage konfrontiert wird. Wo Telefon- und Chatseelsorge früher noch gute Dienste geleistet haben, sind diese Kontaktportale heutzutage schlichtweg überfordert. Wie kann hilfsbedürftigen und Hilfe suchenden Menschen in Zeiten der neuen Medien trotzdem effektiv geholfen werden? Astrid Barnowsky geht davon aus, dass viele Ratsuchende sich zukünftig verstärkt über Onlinemedien an Hilfsangebote wenden. In ihrer Publikation klärt sie deshalb, ob die Telefonseelsorge sich verändern muss, um auch in Zukunft für die Gesellschaft relevant zu bleiben. Aus dem Inhalt: - Telefonseelsorge; - Social Media; - Onlinemedien; - Beratung; - Hilfe
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Entstehungs- und Existenzbedingungen der Telefonseelsorge
3 Wandlungsprozesse
3.1 Medialer Wandel
3.2 Sozialer Wandel
3.3 Sozioökonomischer Wandel
3.4 Ratsuchende in den neuen Medien
4 Das Online-Beratungsangebot der TS
4.1 Definition Chat und Mail
4.2 Chat- und Mailberatung bei der TS
4.3 Unterschiede zwischen Telefon-, Chat- und Mailberatung
4.3.1 Schriftwerk und Sprache
4.3.2 Zeit- und Ortlosigkeit
4.3.3 Übertragungseffekte
4.3.4 Beziehung zwischen Ratsuchenden und Beratenden
4.3.5 Anonymität
4.3.6 Unterschiedliche Themen in Telefon- und Chatkontakten
4.3.7 Frequentierung der Beratungsangebote
5 Niedrigschwelligkeit
5.1 TS-spezifische Niedrigschwelligkeit
5.2 Dimensionen der TS-spezifischen Niedrigschwelligkeit
6 Mediennutzungsverhalten von Ratsuchenden
6.1 Merkmale der Alterskohorten
6.2 Generation der bis-29-Jährigen
6.3 Generation der 30 bis 59-Jährigen
6.4 Generation der über-60-Jährigen
6.5 Heterogenität der Zielgruppe
6.6 Medienwahl
6.6.1 Ungeeignete Medienwahl
7 Mehrwert der TS
7.1 Individueller Mehrwert
7.2 Gesellschaftlicher Mehrwert
8 Zukunftserwartungen
9 Ergebnisdiskussion
10 Fazit
Literaturliste
Tabelle 1Themen bei der Telefon- und Chatseelsorge 2016
Tabelle 2 Beratungsbedarf nach Altersgruppen 2014 und 2016
Das Thema dieser Publikation ‚Die Zukunft der Telefonseelsorge‘ soll eine Grundlage schaffen zur Beantwortung der Frage ‚Muss sich die Telefonseelsorge verändern, um für Menschen und Gesellschaft zukunftsrelevant zu bleiben?‘. Die Auswahl der zu bearbeitenden Themenbereiche lässt zumindest eine tendenzielle Teilantwort auf zwei Hypothesen erwarten. Erstens ‚Ratsuchende werden sich zukünftig verstärkt über Onlinemedien an Hilfsangebote wenden‘, zweitens ‚Die Telefonseelsorge muss sich innerhalb der neuen Medien ihre Zukunftsrelevanz erarbeiten, um nicht als Auslaufmodell zu enden‘. Im Rahmen der zweiten Mutmaßung soll die aktuelle Gültigkeit der Bezeichnung ‚TelefonSeelsorge‘ überprüft werden. Die Schreibweise ‚TelefonSeelsorge‘ wird in der vorliegenden Ausarbeitung ausschließlich dann verwendet, wenn es sich um den Eigennamen handelt.
Die Publikation konzentriert sich auf das Themenfeld ‚Telefonseelsorge‘, Fragen nach der face-to-face-Beratung, die in dreizehn gemeinsamen Standorten der ‚Telefonseelsorge‘ und ‚Offenen Tür‘ zusätzlich zu den mediengestützten Beratungsformen angeboten werden (Schuhmann 2006:202; Telefonseelsorge 2015:9), können in der vorliegenden Bearbeitung nicht berücksichtigt werden.
Die Beantwortung der Forschungsfrage entwickelt sich anhand einer Literaturauswertung und bezieht statistisch erhobene Daten der Telefonseelsorge (TS) ein, der ARD/ZDF-Onlinestudien 2016 und 2017, der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung für Deutschland des Statistischen Bundesamtes und der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, durchgeführt vom Robert-Koch-Institut. Das Ergebnis der Ausarbeitung soll als Grundlage für einen Entscheidungsfindungsprozess bezüglich der Erweiterung des Telefonseelsorge-Beratungsangebotes dienen.
Anschließend behandelt Kapitel 2 die Entstehungsgeschichte der Telefonseelsorge. In Kapitel 3 wird der technische und soziale Wandel betrachtet, um die Wechselwirkung zwischen dem steigenden Beratungsbedarf und den aktuellen Entwicklungsprozessen zu beleuchten. Kapitel 4 untersucht, welche Aufgaben sich die TS innerhalb des Wandels gestellt hat, Kapitel 5 die Zugangsbedingungen und Wirkungsweisen der Beratungsangebote. In Kapitel 6 wird das Mediennutzungsverhalten der Klientel erkundet, um verstehen zu können, welche Ratsuchenden welches Beratungsangebot präferieren. Die anschließende Betrachtung individuellen und gesellschaftlichen Mehrwerts durch das TS-Beratungsangebot in Kapitel 7 soll Aufschluss geben über die Relevanz der TS, um Kriterien für einen Entscheidungsfindungsprozess zu gewinnen. Kapitel 8 eröffnet einen Blick auf Prognosen und Erwartungen für die Zukunft der TS, während in Kapitel 9 die Erweiterung des Beratungsangebotes diskutiert wird.
Wer versucht, einen Chattermin bei der TS zu buchen, wird die Erfahrung machen, auf belegte Kontaktangebote zu stoßen und auf die Mailberatung verwiesen zu werden. Die Mailberatungsseite informiert über eine 72stündige Wartezeit auf Antwortmails, die sich aktuell aufgrund einer hohen Anzahl Erstmails verlängern kann, und weist für akute Krisensituationen auf die telefonische Seelsorge hin. 8.732.198 Anrufversuche und 1.644.410 geführte Gespräche im Jahr 2016 (Telefonseelsorge 2017b:1) lassen belegte Telefonleitungen und bevorstehende Mehrfachanrufversuche erwarten.
Eine differenzierte Standardisierung durch die Evaluation von Schlüsselkompetenzen und Qualitätsmerkmalen wird zukünftig immer wichtiger, um Effizienz und Effektivität methodisch professionalisieren und evidenzbasiert darstellen zu können. Themen der Sozialen Arbeit mit ihren interdisziplinären Handlungsfeldern spiegeln sich in der Arbeit der Telefonseelsorge und in dieser Ausarbeitung wider. Dies betrifft Themen wie ‚Organisationskultur der Institution Telefonseelsorge‘, ‚historische Betrachtung sozialer Beratungsarbeit im Kontext der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen‘, ‚gesellschaftliche Wandlungsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute‘, ‚Herausforderungen innerhalb der Wandlungsprozesse für mediengestützte Beratungstätigkeit‘, ‚Medienkompetenz innerhalb des Sozialisationsprozesses‘, ‚Heterogenität von Zielgruppen‘, ‚Niedrigschwelligkeit‘, ‚Mehrwert sozialer Arbeit im Handlungsfeld der Onlineberatung‘ sowie ‚Innovation und Wandlungsfähigkeit sozialer Einrichtungen‘.
Eine entscheidende Motivation, den Kontext ‚Telefonseelsorge‘ für die Ausarbeitung zu wählen, liegt in ihrer Ausübung der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession und advokatorische Fürsprecherin für benachteiligte und hilfsbedürftige Menschen.
Die erste deutsche Telefonseelsorgeeinrichtung wurde 1956 in Berlin als Antwort auf die hohe Suizidrate in der Gesellschaft gegründet (Blömeke 2016:336). Ärzt_innen und Seelsorger_innen entwickelten und realisierten damit ein Konzept der Lebensmüdenbetreuung, Selbstmordverhütung und der allgemeinen Lebensberatung auf privater Initiative (Habenicht 1995b:11). Die Initiator_innen waren einer New Yorker Institution gefolgt, die bereits 20 Jahre nach der Patentierung des Fernsprechers durch Alexander Graham Bell im Jahre 1896 als telefonische Anlaufstelle für Suizidgefährdete eingerichtet worden war (Habenicht 1995b:9). Die Nachkriegszeit in Deutschland war geprägt von einer Vielzahl individueller Notsituationen, die professionellen psychologischen und pädagogischen Unterstützungsbedarf erforderlich gemacht haben (Kaminsky 2012:166). Zunehmende Vereinsamung durch Individualisierungsprozesse innerhalb einer sich sozial ausdifferenzierenden Gesellschaft hatte zur Idee der telefonischen Fürsorge als Erziehungs-, Ehe- und Lebensberatungsangebot geführt, womit auch die stark frequentierten stationären Einrichtungen entlastet werden sollten (Kaminsky 2012:167). Grund für einen stetig steigenden Seelsorgebedarf sei eine neue Art der Anonymität gewesen, die vor allem in den Großstädten entstanden war und verbreitet zu Einsamkeit und Isolation führte. Sozialräume zwischenmenschlicher Solidarität reduzierten sich zunehmend, schreibt Kaminsky. Hinzu kam die gesellschaftliche Herausforderung der Integration entwurzelter Geflüchteter und Vertriebener, die im zerstörten Deutschland des Wiederaufbaus nicht überall willkommen waren (Kaminsky 2012:167).
Von Beginn an war das deutsche Krisentelefon rund um die Uhr erreichbar, schreibt Habenicht. In den Anfangsjahren kontaktierten Ratsuchende die Telefonseelsorge meist über Fernsprecher in Telefonzellen (Schohe 2006:20). Da im Jahr 1962 bereits 54 Prozent der Haushalte von Selbstständigen und zwei Prozent der Haushalte von Arbeiter_innen mit einem Fernsprecher ausgestattet gewesen seien (Habenicht 1995b:16), koppelte sich die Gründung weiterer Telefonseelsorgeeinrichtungen zeitlich an die steigende Akzeptanz des Mediums Telefon und dessen voranschreitende Verfügbarkeit (Schohe 2006:20).
1960 ergab sich anhand mannigfaltiger Aktivitäten der im ganzen Bundesgebiet entstehenden Dienststellen die Notwenigkeit zur Koordination, weshalb die ‚Evangelische Konferenz für Telefonseelsorge‘, und 1964 die ‚Katholische Konferenz Telefonseelsorge und Offene Tür‘ gegründet wurden (Schohe 2006:22). Immer mehr Telefonseelsorgestellen wurden ökumenisch installiert, woraufhin es ab 1968 erste Bestrebungen gab, beide Verbände zusammenzuführen. 1975 konnte eine Zusammenarbeit vereinbart und die ‚Evangelisch-Katholische Kommission für Telefonseelsorge und Offene Tür‘ eingerichtet werden (Schohe 2006:22).
Von Beginn an bauten TS-Stellen auf Evidenzbasierung durch Evaluationsprozesse und statistische Erhebungen, schreibt Kaminsky. Diese sollten die gesellschaftliche Relevanz und Legitimation bestehender TS-Einrichtungen sicherstellen und das Fundament für den Ausbau weiterer TS-Stellen und deren fortschreitende Professionalität begründen (Kaminsky 2012:175). In den ersten Jahren wurden die Tätigkeiten in den TS-Einrichtungen ehrenamtlich erbracht, ab 1965 die Leitung Hauptamtlichen übertragen. Damit sollte die Professionalisierung von Aus- und Fortbildung und die Begleitung der Ehrenamtlichen durch Supervision gewährleistet werden (Kaminsky 2012:177). 1969 wurde das Fachausbildungsprogramm ‚Rahmenverordnung für Aus- und Fortbildung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Telefonseelsorge …‘ installiert und in den 1970er-Jahren fundierte Auswahl- und Ausbildungsverfahren für Ehrenamtliche eingeführt (Kaminsky 2012:179).
Intensive Öffentlichkeitsarbeit und die flächendeckende Nutzung des Telefons als modernes gesellschaftsorientiertes Beratungsmedium bewirkte die Steigerung des Bekanntheitsgrades der telefonischen Beratungsmöglichkeit (Kaminsky 2012:171). Im gesamten Bundesgebiet installierten sich Telefonseelsorgeeinrichtungen (Habenicht 1995a:21). Mediengestützte Kommunikation applizierte die neue Art der Anonymität und ermöglichte dem gesteigerten Beratungsbedarf durch Niedrigschwelligkeit nachzukommen, schreibt Kaminsky. TS bot allen Ratsuchenden Offenheit für jedes Thema und bedingungslose temporäre Lebensbegleitung an (Kaminsky 2012:170f). Die Arbeit der TS organisierte sich anhand dreier Merkmale: „immer – für alles – überall da sein“ (Weimer 2014:499). Diese Entwicklung erforderte die Ausarbeitung inhaltlicher Verbindlichkeiten für alle TS-Stellen, sodass im Jahr 1969 das ‚Selbstverständnis‘ der Telefonseelsorge und 1976 die ‚Standards für den Dienst der Telefonseelsorge in Deutschland‘ formuliert werden konnten (Habenicht 1995a:21f).
Um diesen Standards gerecht zu werden, leistete die TS von 1975 bis 1977 laut Kaminsky Widerstand gegen die von der Bundespost festgelegte Zeittaktung bei Ortsgesprächen und die damit entstehenden Mehrkosten für Anrufende. Die Methode der Gesprächstherapie könne unter Kosten- und Zeitdruck nicht erfolgreich durchgeführt werden, konstatierte sie. In der Folge erhielt die TS bundeseinheitliche Sonderrufnummern ohne Zeittaktung (Kaminsky 2012:181). Zudem übernahm 1997 in Folge einer Kooperationsvereinbarung die ‚Deutsche Telekom AG‘ die Kosten für Einrichtung, Verwaltung und Betrieb der gebührenfreien Rufnummern 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 (Korsten 2006:157f). Dennoch habe sich die Finanzierbarkeit der Zuschussinstitution TS für die Kostenträgerinnen immer wieder schwierig gestaltet, beispielsweise ab dem Jahr 2000 aufgrund zurückgehender Kirchensteuerbeiträge (Habenicht 2006:24). Bis heute wird die Arbeit der TS zum größten Teil aus Geldern der evangelischen und katholischen Kirchen finanziert, hinzu kommen Spenden und Zuwendungen von kommunaler und privater Seite (Blattner und Wieners 1995:211) sowie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und dem Bundesministerium für Gesundheit (Telefonseelsorge 2016:14).
Im Jahr 1976 haben sich die bis dahin existenten 56 TS-Einrichtungen darauf geeinigt, Kriterien und Maßstäbe für Beratung, Aus- und Fortbildung der Mitarbeitenden zu konzipieren (Habenicht 1995a:23). Daher wurden 1978 die selbstverpflichtenden ‚Leitlinien für den Dienst der Telefonseelsorge‘ formuliert. Diese Leitlinien definierten die telefonische Beratungsarbeit (Habenicht 1995a:24) und die Trägerinstitutionen wurden zu ausreichender personeller und sachlicher Ausstattung verpflichtet (Habenicht 1995a:25). Zudem wurde proklamiert, advokatorische Fürsprache für die Klientel zu leisten. Hierfür wurde eine Zusammenarbeit mit der ‚Weltgesundheitsorganisation‘, dem ‚Weltverband für Seelische Gesundheit‘, dem ‚Internationalen Verband für Selbstmord-Prävention‘ und den Organisationen ‚Life Line International‘ und ‚Befrienders International‘ vereinbart (Wieners 1995:251). Die TS wollte auf die in den Gesprächskontakten erkennbaren spezifischen psychosozialen, gesellschaftlich relevanten Mangelzustände und deren Ursachen hinweisen und damit an einer allgemeinen Verbesserung von Lebensbedingungen mitarbeiten (Habenicht 1995a:24f).
Innerhalb der Leitlinien wurden Kompetenzbereiche festgelegt und das Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen geregelt, sowie die Arbeitsbereiche der in einer Dienststelle arbeitenden zwei bis drei Hauptamtlichen und 70 bis 90 Ehrenamtlichen beschrieben (Habenicht 1995a:25). Die Mitarbeitenden wurden zu Aus- und Fortbildungsbereitschaft verpflichtet (Habenicht 1995a:25). 1986 konnte die Ausbildung für die Arbeit der TS in der ‚Rahmenverordnung für Aus- und Fortbildung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge‘ verfasst werden (Habenicht 1995a:28). In den darauffolgenden Jahren arbeiteten die Ehrenamtlichen darauf hin, sich bundesweit zu vernetzen, weswegen 1999 die ‚Bundesvertretung der Ehrenamtlichen in der TS Deutschland‘ (BETS) gegründet wurde, die den Ehrenamtlichen einen Austausch über ihre Anliegen und Bedürfnisse ermöglichte (Blömeke 2016:341f).
Die in den 1980er-Jahren beginnende Digitalisierung des Telefonnetzes gefährdete die Sicherstellung der Anonymität, denn die Digitalisierung hatte Einzelverbindungsnachweise erzwungen (Korsten 2006:155). Anfang der 1990er-Jahre forderte die TS die Aufnahme von Regelungen innerhalb der Telekommunikations-Datenschutzverordnung (TDSV) und der Unternehmensdatenschutzverordnung (UDSV), sodass die Anrufe bei der TS zum Schutz der Ratsuchenden in den Einzelverbindungsnachweisen nicht ausgewiesen werden durften (Korsten 2006:156).
Die ab 1992 einsetzende Mobilfunkära steigerte mit der Freischaltung des ersten D-Netzes ab Mitte der 1990er-Jahre die Nutzung von Mobiltelefonen und ab Ende 1998 die Anrufe bei der TS aus Mobilfunknetzen (Korsten 2006:159; Thiery 2011:422).
Eine Regionalisierung der Anrufe, die die TS aus dem Festnetz erreichten, erfolgte 1997/98, vor allem um Daueranrufende besser identifizieren und Sex- und Scherzanrufe reduzieren zu können (Korsten 2006:159), 2016 schloss sich das standortbezogene Routing der Anrufe aus allen Mobilfunknetzen an (Telefonseelsorge 2017b:1).
Der Ausbau mediengestützter Beratung in Deutschland erfolgte parallel zu entsprechenden internationalen Entwicklungen. Eine erste Vernetzung fand 1960 mit einer Zusammenkunft von TS-Leitungskräften aus acht westeuropäischen Ländern statt (Schohe 2006:22), während der ein internationales Komitee eingesetzt wurde, das in der Folge den Verband IFOTES (International Federation of Telephone Emergency Services) gründete, für den 1973 ‚Internationale Richtlinien‘ erlassen wurden (Schohe 2006:23). Der Dachverband IFOTES verabschiedete 1994 eine Ethik-Charta, und damit die Grundsätze mediengestützter Beratung (Thiery 2011:425; Wieners 1995:247).
In der ehemaligen DDR wurde 1983 ein staatlich finanziertes ‚Telefon des Vertrauens‘ installiert, schreiben Schohe und Weber. Nach der Wende 1989 konnte dieses abgelöst und TS-Dienststellen gegründet werden. Die Akquise Ehrenamtlicher gestaltet sich jedoch schwierig, sodass ein 24-Stunden-Angebot in diesen Regionen vielfach nicht realisiert werden kann. Derzeit arbeiten 18 TS-Dienststellen in den neuen Bundesländern, und vier in Berlin (Schohe und Weber 1995:94ff; Telefonseelsorge 2016:7;10).
Auf internationaler Ebene existieren zwei weitere internationale Zusammenschlüsse telefonischer Seelsorgeberatungsangebote, die ‚Befrienders International – Samaritans Worldwide‘ ohne kirchliche Anbindung, und ‚Life Line International‘ mit missionarisch-christlicher Ausrichtung (Schohe 2006:23).
Aktuell stellen neue Medien und der gesellschaftliche Wandel die TS vor Herausforderungen. Vor allem in Bezug auf ihre Leitlinien, in denen sie den Anspruch erhebt, Ratsuchenden jeden Alters, Geschlechts oder Bildungsstands, seelsorgerliche Beratung rund um die Uhr anonym und verschwiegen anzubieten (Weimer 2014:499). Nachfolgend wird untersucht, welche Herausforderungen die Wandlungsprozesse und der sich stetig erhöhende Beratungsbedarf mit sich brachten, und wie die TS auf diesen Entwicklungsprozess reagiert hat.
Der gesamtgesellschaftliche Kulturwandel vollzieht sich auf mehreren Ebenen, daher soll die Untersuchung des medialen, sozialen und sozioökonomischen Wandels Aufschluss darüber geben, weshalb sich innerhalb dieser Entwicklung der gesamtgesellschaftliche Beratungsbedarf stetig erhöht. Mit dem Resultat soll anschließend der Frage nachgegangen werden, ob es der TS gelingen kann, Ratsuchenden innerhalb dieser Prozesse seelsorgerliche Beratung adäquat anzubieten.