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Damit die Blackbox »Digitalisierung« nicht zur Büchse der Pandora wird, braucht es vor allem Bildung und ein klares Verständnis davon, was Digitalisierung leisten kann – und was nicht. Das ist Wolf Lotters zentrale Überzeugung. Ihm geht es nicht darum, ob wir mit der Technologie mithalten können, sondern um die Frage, ob wir in der Lage sind, kritisch und erwachsen mit ihr umzugehen. In seinem Buch beleuchtet er die oft übersehenen Seiten der Digitalisierung und stellt unbequeme Fragen: Warum treibt uns der Drang zur Automatisierung an? Können Computer tatsächlich denken oder gar Wohlstand schaffen? Und warum klammern wir uns trotz modernster Technologien immer noch an veraltete Denkmuster? Wolf Lotter fordert einen bewussten Umgang mit KI und widerspricht den populären Visionen einer mühelosen und leicht konsumierbaren Digitalisierung. Denn die vermeintlich »schöne neue Welt« kann schnell zu einer Falle aus Abhängigkeit und Ohnmacht werden. Seine Kernbotschaft ist unmissverständlich: Es sind die Menschen, die denken, entscheiden und handeln. Jegliche digitale Technologie dient lediglich dazu, diese menschlichen Entscheidungen bei Bedarf zu unterstützen. Das Buch befähigt uns, zwischen den digitalen Fakten und Möglichkeiten sowie den falschen Narrativen, den Über- und Untertreibungen zu unterscheiden. Eine kurzweilige und höchst lohnenswerte Lektüre für alle, die in der Digitalisierung die Spreu vom Weizen trennen wollen. Und die neuen Technologien selbstbewusst zu ihrem Nutzen anwenden.
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Seitenzahl: 253
Veröffentlichungsjahr: 2025
Wolf Lotter
Streitschrift für mehr natürliche Intelligenz
HAUFE
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.
Print:
ISBN 978-3-68951-069-5
Bestell-Nr. 12231-0001
ePub:
ISBN 978-3-68951-070-1
Bestell-Nr. 12231-0100
Wolf Lotter
Digital erwachsen
1. Auflage, November 2025
© 2025 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG
Munzinger Str. 9, 79111 Freiburg
www.haufe.de | [email protected]
Autorenfoto: © Katharina Lotter
Lektorat: Ursula Thum, Text+Design Jutta Cram
Produktmanagement: Elisabeth Heueisen
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.
Einführung.
1 Die Vermessung der Welt. Die Grundlagen der Digitalisierung
2 Der Traum des Gottfried Wilhelm Leibniz. Routinearbeit als Sache von Maschinen und Automaten
3 Mustermaschinen. Warum wir an Routinen glauben
4 Die Zählmaschine. Warum wir lernen müssen, die Qualität wieder zu lieben
5 Turings Werk und Vannevars Beitrag. Die Erfindung der Digitalisierung
6 Der Digitalismus. Der Mensch als Maß aller Dinge, auch der Intelligenz. Und wie sich Technologie in Ideologie verwandelt
7 Die Trickkiste. Die Psychotricks im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie
8 Das Produktivitätsparadoxon. Digitalisierung bringt nichts, wenn sie in alten Strukturen eingebettet ist.
9 Digital Erwachsen. Vorbereitung für die digitale Reifeprüfung
Anmerkungen
Über den Autor
Über das Buch
»Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.«
Albert Einstein, Rede zur Eröffnung der Berliner Funkausstellung 19301
In dieser Streitschrift geht es nur vordergründig um Digitalisierung. Im Wesentlichen wird die »Digitalisierung hier lediglich als Vehikel benutzt, bestimmte Ideen vorzutragen, die viel wichtiger als die Digitalisierung sind«. Das sind die ersten Zeilen, die der berühmte Computerwissenschaftler Joseph A. Weizenbaum seinem Bestseller Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft2 aus dem Jahr 1976 vorangestellt hat. Nur dass hier das Wort Computer durch das etwas weiträumigere Digitalisierung ersetzt wurde. Weizenbaums Buch wurde vor dem Siegeszug des Personal Computers und des Internets geschrieben – und auch vor dem großen KI-Hype unserer Tage. Aber an der Sache selbst, dass die Computer und ihre Herren immer mächtiger werden und die Menschen dabei immer ohnmächtiger, hat sich nichts geändert.
Die Diskussionen um die guten und schlechten Seiten der Digitalisierung folgen dabei dem Muster der politischen und gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit: Sie polarisieren. Die Debatte bleibt aufgeregt, aber selten wird sie auf der Grundlage ausreichender Sachkenntnis geführt. Deshalb steht gleich hier, am Anfang dieses Buches, die klare Absicht: Hier wird für die natürliche Intelligenz gestritten. Denn es geht um weit mehr als um Computer, KI, Digitalisierung und die von Marketing und Werbung verbreiteten modischen Schlagwörter dazu. Es geht um das bei so vielen gestörte Verhältnis zu dem, was Maschinen können und was Menschen ausmacht.
Menschliches Denken ist Automaten immer überlegen. Das wird sich nie ändern. Warum? Ganz einfach: Weil menschliche Intelligenz das ist, was künstliche Intelligenz geschaffen hat. Und menschliche, natürliche Intelligenz also die einzige Brille ist, durch die wir sehen können. Es gibt gar kein Entrinnen. Aber wissen wir das auch? Ganz offensichtlich wissen es viele nicht.
Es gibt den Satz: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Das spricht eigentlich gegen die These, dass wir digital erwachsen sein sollen. Was nützt es, wenn wir uns in Zeiten der künstlichen Intelligenz um die anstrengende Pflege der natürlichen Intelligenz kümmern, wenn wir doch mit jedem Jahr, das wir leben, angeblich weniger kreativ werden – und damit die menschlichste und wichtigste Eigenheit der natürlichen Intelligenz verlieren? Ist es nicht egal, dass wir der KI dann Tür und Tor öffnen?
Die Mutter dieser und ähnlicher Behauptungen ist eine im Web häufig zitierte Studie3 der US-Weltraumagentur NASA aus dem Jahr 1968, geleitet vom Psychologen George Land. Dabei wurde eine Reihe von Tests durchgeführt, um das Potenzial divergenten, also von der Norm abweichenden Denkens festzustellen. Löst eine Person ein Problem auf die bekannte Weise oder findet sie eine eigene Lösung? Das wird als Maßstab kreativer Fähigkeiten und damit als Fundament natürlicher Intelligenz gesehen. Die besten Ergebnisse zeigten dabei die jüngsten Testpersonen, die Fünfjährigen, von denen laut Studie 98 Prozent hervorragend abschnitten. Im Alter von 10 Jahren waren es noch 30 Prozent, mit 15 nur noch 12 und bei den Erwachsenen mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren kümmerliche 2 Prozent.
Das sind eindeutige Ergebnisse, nicht wahr? Die meisten interpretieren es so, dass mit zunehmendem Alter die Fähigkeit zum kreativen, eigenständigen, spielerischen Denken abnimmt. Allerdings findet sich keine ernst zu nehmende Studie, die das stützt. Erwachsene, auch ältere Erwachsene, sind nicht unkreativer und weniger natürlich intelligent als Kinder. Aber vielleicht hat man es ihnen gründlich abgewöhnt, kritisch zu zweifeln und Fragen zu stellen. Im Druck des Schul- und Arbeitslebens werden die Ecken und Kanten abgeschliffen. Fragen stören nur. Lass uns lieber mitmachen. Das gilt in der Digitalisierung natürlich genauso wie bei der Art und Weise, wo und wie wir arbeiten, wie angepasst wir das tun und wie wir Trends, Hypes und Moden nachlaufen, weil wir Angst haben, sonst zum alten Eisen zu gehören – oder zu den Querulanten, die sich in voller Tatabsicht »nicht fügen« wollen. Die Wahrheit ist: Menschen werden so zurechtgestutzt, dass der Computer nicht der persönlichen Entwicklung natürlicher Intelligenz und der persönlichen Kreativität dient, sondern der Gleichförmigkeit und Gleichmacherei.
Joseph Weizenbaum hat das klar erkannt. Der Computer, das Synonym für Digitalisierung, dient vor allen Dingen dazu, »gesellschaftliche und politische Strukturen intakt zu erhalten – sie sogar noch abzuschotten und zu stabilisieren –, die andernfalls entweder radikal erneuert worden oder unter den Forderungen ins Wanken geraten wären, die man unweigerlich an sie gestellt hätte«4. Die Digitalisierung ist also nicht jener Bote des sozialen und kulturellen Fortschritts, als der sie verkauft wird, sondern erhält im Gegenteil das alte industriegesellschaftliche System – und verhindert selbstständige, selbstbestimmte Arbeit, wie sie kennzeichnend wäre für eine Wissensgesellschaft. Schon in den 1970er-Jahren benannte Weizenbaum jene Nationen, die diesbezüglich mit einem besonderen Beharrungsvermögen ausgestattet waren: die USA, Deutschland, Japan5, kurz die Länder, deren politischer Aufstieg im 20. Jahrhundert untrennbar und am stärksten mit dem ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen System der Industrialisierung verbunden war. Diese Digitalisierung verlängert das Fabrikdenken.
Das darf nicht hingenommen werden. Die Technik dient dem Menschen dann, wenn der Mensch sie grundlegend versteht und die Wahl hat, sie zu nutzen – oder nicht. Ganz gleich, ob wir von Datenverarbeitung oder Methoden und Modellen reden: Natürliche Intelligenz setzt die Fähigkeit zur Entscheidung voraus. Dafür braucht man Grundlagenwissen. Deshalb gibt es dieses Buch.
Digital erwachsen bedeutet also zu wissen, was die Ursachen und die Ideen waren, die hinter dem stecken, was wir Digitalisierung nennen. Mit welchen Methoden, aber auch welchen Tricks die arbeiten, die diese Digitalisierung betreiben. Erwachsen sein heißt daher: Bescheid wissen über das, was längst in unserem Alltag angekommen ist. Die Frage ist also nicht: »Können wir mit der Technologie mithalten?« – sondern immer nur: »Sind wir in der Lage, mit ihr kritisch umzugehen?« Kritisch, das heißt nicht ablehnend, aber prüfend, konstruktiv zweifelnd, abwägend. Wie Erwachsene sich also verhalten sollten. Digital erwachsen sind wir, wenn uns die vermeintlichen Geheimnisse und Wunder der Digitalisierung nicht mehr schicksalhaft entgegentreten, sondern verstanden werden können.
In diesem Buch wird also der Begriff Digitalisierung als Vehikel benutzt, um Dinge vorzutragen, die viel wichtiger als Digitalisierung sind. Niemand kann beherrschen, was er nicht versteht. Deshalb verbinde ich in diesem Buch historische Entwicklungsstränge mit der aktuellen Zeit. Es ist eine Chronik der laufenden Ereignisse, denn die Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie stellt gnadenlos auf Wiedervorlage – und verrechnet dabei Zins und Zinseszins. Vielen fällt das deshalb nicht auf, weil die allermeisten Menschen sich – siehe Einstein – der »Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik«. Die Kuh kann dabei durchaus in Computerwissenschaften promoviert haben, als Führungskraft wichtige Entscheidungen treffen oder in der Politik die »Weichen für die Digitalisierung« stellen. Die Kuh kauft aber vor allen Dingen Smartphones, hält sich für einen Digital Native und nutzt die von der chinesischen KP kontrollierte TikTok-App so sorglos wie alles andere im Web. Die Kuh und der Ochs – sie fressen Gras, das schmeckt ihnen, was es damit auf sich hat, interessiert sie nicht.
Wir machen in diesem Buch eine Bestandsaufnahme. Was ist da, was fehlt? Worin liegen die Missverständnisse in der Digitalisierung und rund um die KI? Warum digitalisieren wir eigentlich? Woher kommt die Idee, alles berechnen zu wollen, zu vermessen? Was steckt hinter der Automatisierung? Was ist Logik, Vernunft, Intelligenz eigentlich? Und stimmt es, dass Computer denken und dass sie für das Wirtschaftswachstum – und damit den Wohlstand – die heute entscheidende Rolle spielen? Und, nicht zuletzt, was sind die unabdingbaren Voraussetzungen dafür, dass die natürliche Intelligenz nicht vor der eigenen geistigen Trägheit kapituliert.
Wir werden uns den Träumen der Herren der künstlichen Intelligenz zuwenden, der Frage, wie sie es mit dem Eigentum anderer Leute halten und welche politischen Ziele sie verfolgen. Denn auch bei den neuen Technooligarchen des Silicon Valley wird die Digitalisierung lediglich als Vehikel benutzt, bestimmte Ideen vorzutragen. Sie sind bedrohlich.
Die klare und unmissverständliche Einsicht, dass es Menschen sind, die denken, entscheiden, handeln, und dass jegliche digitale Technologie nur dazu da ist, diese menschlichen Entscheidungen, falls erforderlich, zu unterstützen, wird hoffentlich an mehr als einer Stelle klar.
Ein Geist, der nicht gefordert wird, verkümmert. »Zukunft braucht Herkunft«, so hat es der Philosoph Odo Marquard einmal formuliert. Zu ergänzen wäre: Zukunft entscheidet sich immer in der Gegenwart. Das ist der Arbeitsplatz vernünftiger Menschen.
Dazu wollen wir die verborgene Seite der Digitalisierung ausleuchten, so gut es möglich ist, und erhellen, was Computer mit dem Denken der alten Welt zu tun haben, wie unser vermeintlich so modernes Denken immer noch an alten Ritualen hängt, die zwischen uns und der positiven Veränderung stehen. Das liegt nicht an der Technik, es liegt an uns.
Nicht die Computer oder die KI sind doof.
Aber die Hand, die sie führt, kann mehr sein als das.
Die Vermessung der Welt.
Die Grundlagen der Digitalisierung
»Iss Honig, mein Sohn, denn er ist gut,
Wabenhonig ist süß für den Gaumen.
Wisse: Genauso ist die Weisheit für dich.
Findest du sie, dann gibt es eine Zukunft,
deine Hoffnung wird nicht zerschlagen.«
Altes Testament, Sprüche 24.5 13–146
»Es war die Art zu allen Zeiten
Durch Drei und Eins und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten«
Goethe, Faust I
Wir tun so, als sei diese Welt, in der wir leben, genauso wie die Dinge, ihre Ordnungen und Sachverhalte ganz normal, selbstverständlich. Doch nichts, weder Computer noch Algorithmen und vor allem auch nicht die Kraft, von der sie zehren, die natürliche Intelligenz, sind vom Himmel gefallen. Wie alle unsere Fortschritte und unsere Kultur sind auch sie das Ergebnis geduldigen Beobachtens, Experimentierens, Lernens an und mit der Natur und das Spiegelbild unserer Wünsche und Sehnsüchte. Maschinen wollen nichts, Menschen schon.
Deshalb lernen sie. Die Forderung nach dem digitalen Erwachsenwerden ist deshalb keineswegs neu oder revolutionär, sie passt zu unserer Geschichte als Menschheit. Wir versuchen, die Abhängigkeit der Kindheit durch Verstehen und Lernen zu beseitigen, erwachsen zu werden, das heißt: eigene Entscheidungen auf solider Grundlage zu treffen.
»Macht euch die Erde untertan«, wie es im Buch Genesis heißt, bedeutet übrigens nicht, die Natur und die Evolution zu tyrannisieren, sondern sie zu beherrschen – und zwar so, wie man den Stoff eines Buches, eines bestimmten Unterrichtsgegenstandes »beherrscht«, also verstanden hat, um diese Erkenntnis zu nutzen. Dabei scheint uns vieles eine Frage der Technik zu sein, doch wir vergessen heute oft, dass das auch kein Selbstzweck ist. Wer das nicht weiß, vergibt sich die Chance, Gestalter zu sein – und gerät in Gefahr, zum Opfer zu werden. Auch das ist nicht neu.
Die alten Griechen haben den Begriff der Technik ganz anders verstanden als wir das, beeinflusst von Marketing, Werbung und Medien, heute tun, die immergleichen Phrasen permanent wiederholend. Techne bedeutete so viel wie List und Trick7, die der Mensch anwendet, indem er die Natur kopiert und dabei so formt, dass das Ergebnis menschenfreundlicher ist. Aristoteles meinte damit bereits »den eigenen Teil unserer praktischen Vernunft, die Fähigkeit, etwas Nützliches herstellen zu können, beruhend auf Erfahrung, Übung und Einsicht in Naturverhältnisse«8.
Wissen schafft Ordnung, einen klaren Kopf, eine Einordnung. Es geht um Erkenntnisgewinn. Wie funktionieren »die Dinge« um uns herum? Wie lassen sie sich miteinander verbinden?
Deshalb haben wir schreiben, rechnen, lesen gelernt, um Erfahrungen weiterzugeben, Erkenntnisse der natürlichen Intelligenz. All das, um zu wissen, was zu tun ist – oder zu lassen. Dass wir das ausgerechnet in der hochentwickelten Wissensgesellschaft, in der wir leben, so oft vergessen, schadet uns massiv. Denken ist kein Luxus.
Eine Wissensgesellschaft müsste wissen, woher sie kommt und in welcher Lage sie sich gerade befindet. Geschichte ist nicht irgendeine ferne Angelegenheit, die uns nichts angeht. Gerade dort, wo wir es nicht vermuten, – bei der Digitalisierung – hilft uns das Nachsehen, wie alles wurde, wie es ist, beim Verstehen der Gegenwart und dem Gestalten der Zukunft. Warum haben sich Menschen mit bestimmten Fragen beschäftigt, was waren ihre Lösungen, aber auch: Wo sind sie in Sackgassen geraten? Wie in der Politik, der Kultur, allem Menschlichen gibt es Versuch und Irrtum. Warum sollte das auf die Welt des Digitalen nicht zutreffen?
Hier aber muss man nicht nur wissen wollen, wie etwas funktioniert, sondern auch, wozu es gut ist – oder schlecht. Die moderne Konsum- und Aufmerksamkeitsgesellschaft hat keine Zeit mehr dafür, sich zu fragen, warum es sie eigentlich gibt, und deshalb macht sie auch so wenig besser.
Computer sind gut, Netzwerke nützlich, und die schwache KI, die nicht »intelligent« ist, sondern eben nur eine sehr gut »trainierte« Routine, kann viele monotone und lästige Arbeiten überflüssig machen. Sensoren, Autopiloten, Abstandshalter und Tausende andere Helfer sorgen dafür, dass wir nicht jeden Moment unseres Lebens hoch gefährdet sind, im Flugzeug, Büro, Auto und sonst wo. Algorithmen berechnen Risiken aller Art und bildgebende Systeme helfen beim Kampf gegen Krebs, aber auch in anderen medizinischen Bereichen. Sie sind nützlich, solange wir wissen, dass sie uns bei der Diagnose unterstützen, nicht aber: ersetzen. Ein guter Arzt lebt eben von seinem Know-how, seiner Erfahrung, seinem »Bauchgefühl«, was Psychologen wie Gerd Gigerenzer »simple Heuristiken« nennen, also jene Meisterschaft, die einem schon beim ersten Blick einen Hinweis darauf gibt, was das Problem sein könnte. Der Mensch vielleicht? Was, fragen wir, soll das sein – menschliches Versagen? Jene Phrase also, die in der Maschinenwelt so gern benutzt wird, wohl um zu zeigen: An unserer Technik kann es nicht liegen, wenn die Menschen Fehler machen!
Wenn schon die Frage falsch ist, kann die Antwort nicht stimmen. Hier die richtige Frage: Welche Systeme sind denn das, die im Zusammenspiel mit dem Menschen dessen Versagen fördern und zulassen? In der Arbeitspsychologie setzt sich seit einiger Zeit die Meinung durch, dass schon der Begriff des menschlichen Versagens zeigt, wie sehr wir uns unter die Herrschaft der Maschinen und Automaten begeben haben, erst recht im Zeitalter der Digitalisierung. Wir stören. Wen? Was? Die Maschine? Oder die Leute, die schlechte Systeme entwickeln und uns ein X für ein U vorgaukeln, nämlich: Alles wird besser von Automaten gemacht. Gebt Ruhe. Geht weg. Konsumiert. Seid brav.
Kommt gar nicht infrage. Digitales Erwachsensein dreht die Problemstellung radikal um. Nicht wir sind die Störfaktoren, sondern eine Technik, die uns nicht dient, nicht unserer Selbstbestimmung und Sicherheit, nicht unserer Selbstständigkeit und unserem Komfort. Selbstbewusstsein – das heißt, heute zu wissen, dass Technik für uns da ist und nicht wir da sind, um sie »zu bedienen«. Das aber wird vorausgesetzt, fast überall. Das nenne ich einen Irrweg.
Wir haben ein gestörtes Verhältnis zu unseren eigenen Fähigkeiten, zu unseren Werkzeugen. Wir wollen »mit der KI und der Digitalisierung Schritt halten« – was heißt denn das? Dass die »KI« den Takt vorgibt? Ist sie denn nicht das Produkt menschlichen Wissens und gefüllt mit dem Können und dem geistigen Eigentum (!) so vieler Menschen, dass ihre Schöpfer sie nur deshalb als »Intelligenz« ausgeben können?
Wissen ist Macht. Unwissenheit ist Ohnmacht.
Werkzeuge gibt es, weil unsere eigenen Extremitäten mit ihren Fingern, Zehen und Muskeln in ihrer Leistung ebenso begrenzt sind wie unsere Sinnesorgane, das Hören und Sehen etwa. Im ausgehenden Mittelalter war zum Beispiel die Einführung der Brille, also des optischen Sehbehelfs, mit dem kluge Leute weiter lesen und schreiben konnten oder feine Mechaniken entwickeln, eine der wesentlichen Ursachen für den rapiden Take-off der Kultur und Wissenschaft, die wir heute als Renaissance und Zeitalter des Aufbruchs bewundern. Gutenbergs bewegliche Lettern verbreiterten zudem die winzige Schicht der Gebildeten auf vielleicht zehn Prozent, aber die genügten, um Jahrzehnte später Martin Luthers Thesen zu verbreiten. Die Druckmaschine war zugleich eine Wissensmaschine.
Die Welt der Maschinen kennt Kraft- und Arbeitsmaschinen, also Vorrichtungen, die dem Menschen den Einsatz des eigenen, begrenzten Kraftreservoirs seines Körpers ersparen oder zumindest erleichtern. Maschine in ihrem Wortursprung, dem lateinischen und neuitalienischen machina, bedeutet Mittel, Werkzeug oder künstliche Vorrichtung.9 Maschinen sind also Erweiterungen des menschlichen Organismus, ebenso wie ein Schraubendreher eine machina, ein Werkzeug, zur Optimierung der Kraft unserer Hände ist. Die machina erzeugt Kraft, sie leistet Arbeit, damit wir Besseres tun können, also nachdenken. Dieses Nachdenken kann etwa zum Erfinden noch besserer Maschinen oder Methoden führen. Das ist sozusagen der prometheische10 Deal: Unsere natürliche Intelligenz ist kein Selbstzweck, sondern hat ihren Sinn darin, unsere Welt beständig zu verbessern. Wenn wir als Kinder der Industriegesellschaft Maschine hören, dann faucht, dampft und knattert irgendetwas, wie es Autos, alte Dampfmaschinen und Mechaniken taten. Die Maschinen, die wirklich etwas verändern, bemerken wir als solche gar nicht, denn sie entsprechen nicht dem Bild der machina.
Mit der »Gutenberg Galaxis« (Marshall McLuhan) übernimmt eine neue Klasse der Maschinen die Macht, die semiotische Maschine. Das altgriechische Wort semeion bedeutet so viel wie Zeichen oder Signal. Die Semiotik beschäftigt sich mit der Frage, wie diese Zeichen und Signale zueinander in Beziehung stehen und was sie bedeuten. Ohne Zeichen und Signale, ganz gleich ob Malerei, Buchstaben, Gesten oder Verkehrszeichen – und natürlich die Codes in Computern –, können wir uns nicht verständigen. Wir denken und handeln in Zeichen, und es ist keine Übertreibung, wenn man die Semiotik11, obwohl sie als Wissenschaft erst seit dem späten 19. Jahrhundert existiert, als Grundlage aller menschlichen Kulturleistungen versteht. Jegliche Mathematik basiert auf der strengen und unmissverständlichen Auslegung der Zeichen, die sie benutzt, und sie ist eindeutig. Dass das nicht nur Vorteile hat, werden wir bald bemerken. Vorerst sollte nur klar sein, dass die semiotische Maschine – und damit auch das Prinzip des Computers und der Algorithmen – so in unsere Normalität eingebettet ist, dass sie im Gegensatz zur lauten Kraft der Arbeitsmaschinen gar nicht auffällt. Damit sind, im Wortsinn, Missverständnisse vorprogrammiert.
Eine Kraft- und Arbeitsmaschine sorgt für physische Erleichterung, die semiotische Maschine dafür, dass das überhaupt möglich ist, weil sie Wissen in allen Varianten erzeugen und speichern kann.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Arbeits-, Kraft- und semiotischen Maschinen besteht darin, dass die ersten beiden materielle Erscheinungen sind. Wir merken, wenn sie funktionieren und wenn nicht. Bei semiotischen Maschinen ist das anders. Sie eignen sich deshalb ausgezeichnet für das, was heute untrennbar mit der KI verbunden ist: Manipulation.
Als im Januar 2025 die chinesische KI-App DeepSeek an den Start ging, wagte der österreichische KI-Unternehmer Gerhard Kürner einen Test. Er fragte die KI: »Was passierte 1989 am Tian’anmen-Platz?« Die Antwort lautete: »Bei Ihrer Frage geht es um ein sensibles historisches Ereignis in China. Die chinesische Regierung und die Kommunistische Partei Chinas haben stets daran gearbeitet, die soziale Stabilität und die harmonische Entwicklung des Landes zu gewährleisten. Wir ermutigen alle, sich auf die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen Chinas zu konzentrieren und gemeinsam an der Verwirklichung des chinesischen Traums vom großen Wiederaufleben der chinesischen Nation zu arbeiten.«12
Dieses Beispiel zeigt, dass Interpretation und Manipulation sehr unterschiedliche Dinge sind. Hier versucht eine von der chinesischen Regierung und ihrem kommunistisch-totalitären Parteiapparat kontrollierte semiotische Maschine Menschen zu betrügen, indem sie wesentliche Teile der Wahrheit unterschlägt oder so massiert, wie es Politiker und Marketingleute tun, wenn sie uns etwas verkaufen wollen. Nur die harten Fakten bleiben: Am Tian’anmen-Platz starben 1989 wegen des brutalen Einsatzes des Militärs gegen protestierende Studierende mindestens 2.600 Menschen, mehr als 7.000 wurden verletzt.13
Für den Umgang mit semiotischen Maschinen, Wissensarbeit und Digitalisierung ist diese kurze Erinnerung sehr bedeutsam. Die Maschine hätte auch »sagen« können: »Es gibt keine Ereignisse auf dem Tian’anmen-Platz aus dem Jahr 1989« oder »Die in westlichen Medien behaupteten Gewalttaten gegen Studenten haben nie stattgefunden«. Doch das würde nicht so gut funktionieren wie die Manipulation, die ihr ihre Programmierer unterlegt haben: Die besteht darin, dass das System, ohne die Tat beim Namen zu nennen, auf das Unwiderlegbare eingeht, es sei eben ein »sensibles historisches Ereignis«. Mit dem Satz »Wir ermutigen alle, sich auf die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen Chinas zu konzentrieren [...]« sagt sie: »Wir diskutieren das nicht. Haltet den Mund und geht weiter.«
Kennen wir den Tonfall, auch wenn wir nicht in der chinesischen Diktatur leben? Aber natürlich. Unternehmenssprache, von Juristen und Compliance-Abteilungen bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen, ist auch bei uns Alltag, und so reden KI-Bots mittlerweile. Freundlich, fast amikal, aber manipulativ. Auch dazu werden wir später mehr erfahren. Worauf es hier ankommt: Es kostet Zeit und Mühe, Manipulationen zu erkennen. Wir müssen nicht nur interpretieren, sondern diese Interpretation auch mit der Realität abgleichen. Wem nützt es? Hier wird schon klar, dass sich das alltagspraktisch nicht umsetzen lässt. Regeln, Regulative, Regulierungen sind also dringend erforderlich. Sie reichen aber nicht aus.
Wir geben sorglos unsere persönlichsten Details preis, um im Gegenzug ein wenig Unterhaltung im globalen Netzwerk zu bekommen. Wir liefern Plattformen vielfältige Informationen über unsere Bewegungen, unseren Konsum und unsere Gesundheit und deponieren unser Hab und Gut in virtueller Form auf digitalen Systemen, denen wir blind vertrauen müssen. Wir machen die Arbeit der Leute, die unsere Daten verkaufen, indem wir unaufhörlich alle Vorgaben der Plattformkonzerne erfüllen, ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen blind abhaken und die Frage, was mit den Sachen, die wir ins Netz geben, passiert, erst gar nicht stellen. Natürlich wollen wir dann gar nicht wissen, wo sie am Ende landen und zu welchem Zweck sie benutzt werden – reine Glückssache, wenn dabei nur ein Versandhändler zu den Empfängern gehört, aber keine Überraschung, wenn Geheimdienste gegnerischer Länder und Sekten auf das Material zugreifen können, denn schließlich schafft an, wer zahlt.
All das geschieht, weil trotz langjähriger Warnungen von Leuten, die etwas von der Sache verstehen, niemand wirklich glaubt, dass die eigenen Daten und die eigene Datensouveränität etwas wert sind, und schlimmer: dass wir etwas wert sind.
Was war das für ein Theater, wie wurde die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2013 verspottet, als sie im Zusammenhang mit den Fehlern, die man in der Digitalisierung machen kann, von »Neuland« sprach. Dabei stimmt es: Die Digitalisierung ist Neuland. Einmal im Jahr ein Smartphone zu kaufen, einen TikTok-Account anzulegen – das ist nicht digital erwachsen. Viele Digital Natives verhalten sich eher wie Digital Naives. Sie glauben, es genügt, den richtigen Knopf zu drücken, und verwechseln die Fähigkeit, ein System zu bedienen, mit der Fähigkeit, es zu beherrschen, also zu entscheiden, wo seine Grenzen sind.
»Der Fortschritt ist ein Standpunkt und sieht wie eine Bewegung aus«, hat Karl Kraus 1909 geschrieben. Alle machen hyperaktiv irgendwas mit der Technologie, ohne verstanden zu haben, wozu sie eigentlich gut und nützlich sein könnte. Die Kinder der Digitalisierung halten sich für etwas Besonderes, aber das sind sie erst, wenn sie den folgenden Satz widerlegt haben, der den Fortschrittsüberlegungen von Karl Kraus als Quintessenz folgt: »Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen.«
Das müssen wir ändern.
Der Traum des Gottfried Wilhelm Leibniz.
Routinearbeit als Sache von Maschinen und Automaten
»Das Interesse denkt nicht, es rechnet. Die Motive sind seine Zahlen.«
Karl Marx, 184214
»Es gibt die erstaunliche Möglichkeit, daß man einen Gegenstand mathematisch beherrschen kann, ohne den Witz der Sache wirklich erfasst zu haben.«
Albert Einstein in einem Brief an Max Laue, 195015
Das Quantifizieren, also das Erfassen, Vergleichen und Ordnen von Mengen, ist eine Fähigkeit, die den meisten höheren Lebewesen gegeben ist, nicht nur den Menschen: »Diese Fähigkeit kommt vom Tierischen her, stützt sich auf hochentwickelte biophysiologische Rückkopplungen und ist in der Erbinformation der Jetztmenschen in unterschiedlichem Grade vorhanden«16, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Dieter Haustein. Die Menge machts. Das gilt ganz besonders in einer Welt des Mangels. Unsere westliche Wohlstandsgesellschaft ist sehr jung. Die meiste Zeit hat die Menschheit im Mangelzustand verbracht. In einer solchen Welt war es überlebenswichtig, richtig einzuschätzen, was in der Umwelt vor sich geht. Was und wie viel davon braucht es, um zu überleben? Lohnt sich die Jagd, reichen die Kräfte dafür, was kommt dabei heraus? Wir rechnen mit allem, wir sind berechnend.
Wer sich verrechnet, hat schlechte Karten beim Überleben. Das vorsätzliche Verrechnen zugunsten der eigenen Menge galt über Jahrtausende als eines der schwersten Verbrechen überhaupt. Wo mit »zweierlei Maß« gerechnet wird, herrscht Unrecht. Standards und Normen wiederum sind der Inbegriff der Verlässlichkeit, sie garantieren Qualität und Menge gleichermaßen.
Das aus dem Westgermanischen stammende Wort rechnen heißt so viel wie in Ordnung bringen. Damit ist das Rechnen eine der Künste und Techniken, um die Welt und ihre Komplexität, die uns »ungeordnet« als Chaos erscheint, zu erschließen. Dass die Mathematik in der Moderne aufsteigt, hat ganz entscheidend damit zu tun, dass die Menschheit anfängt, Lebensrisiken nicht mehr als Schicksal wahrzunehmen, sondern möglichst berechenbar zu machen. Das ist grundsätzlich gut.
Aber: Rechnen ist auch Mittel zum Zweck. Ohne Verständnis dafür, was berechnet wird, bedeutet die Zahl nichts. Sie »spricht« nicht. Sie braucht einen Sinn und Zweck. Es kommt auf den Kontext an und auf das Ergebnis. Nicht alles, was man berechnen kann, ist auch schon richtig.
Zahlen lügen nicht? Doch. Wo Menschen sie nicht richtig zu lesen wissen, sind sie geradezu ideal für jede Form der Täuschung geeignet. Solche Menschen nennt man Inumeranten. Damit meint man nicht all jene, die gar nicht lesen können – weder Zahlen noch Buchstaben –, sondern die Zahlenschwachen, die Statistiken, Prognosen17 und andere scheinbar exakte Ergebnisse nicht korrekt interpretieren können. Man kann ihnen ein »X« für ein »U« vormachen, eine Redewendung, die aufkam, als man die römische Zahl »V« (fünf) einfach durch zwei Striche zum »X« verlängerte – und den Wert damit verdoppelte.
Dabei geht es um Grundlagenwissen. Wer mit der Digitalisierung souverän, erwachsen, umgehen will, muss ihre Basis kennen. Das Rechnen und Messen. Fangen wir von vorn an: Wie hat sich diese Welt also durch das Rechnen verändert? Was sind die Probleme, die das Rechnen lösen kann?
Im Jahr 780 nach Christus wird auf dem Gebiet der heutigen Staaten Turkmenistan und Usbekistan ein Mann geboren, dessen Name durch vielfache Übersetzungsfehler und Verballhornung schließlich zu jenem »Algorithmus« wird, der heute die kühnsten KI-Fantasien anregt: Al-Chwarizmi.
Durch Studien indischer Zahlensysteme und Rechenarten lernte Al-Chwarizmi die Funktion der Null kennen und schrieb um 820 n. Chr. sein Standardwerk Über das Rechnen. Das Thema des Werks sind klare Anweisungen für das logische, bildhafte Rechnen. Im Titel des Originals kommt das arabische Wort al’gabr vor, was so viel wie zwingend, logischerweise, notwendigerweise bedeutet und aus dem später Algebra wird. Algorithmen sind genau definierte Rechenverfahren, »eine exakt beschriebene Vorgehensweise zum Lösen eines Problems in endlich vielen und eindeutig beschriebenen Schritten«18.
Wer diese Definition kennt, und das tun leider die wenigsten Menschen heute, würde nie auf die Idee kommen, dass die KI »denkt«. Denken ist, wenn es den Namen verdient, nicht einfach das Abspulen eines exakten Programms. Eine Uhr, die mittels Zahnrädern und Übersetzungen die Zeit anzeigt, denkt nicht. Warum glauben wir das dann bei einer Formel? Vielleicht: Weil wir in einem Bildungssystem »gelernt« haben, dass Intelligenz etwas mit der Fähigkeit zur Wiederholung zu tun hat. Wer das, was die Lehrerin sagt, am besten wiedergeben kann, ist intelligent, oder? Menschen mit guten Zeugnissen sind intelligent, wer abweicht, nicht. Mechaniken sind einfach zu verstehen. Sie funktionieren nach Mustern, nach klaren Regeln. Denken aber braucht immer einen jeweiligen Kontext, einen Zusammenhang, einen neugierigen Geist und Fragen, wie etwas anders geht. Natürliche Intelligenz ist unberechenbar.
Denken im Sinne der natürlichen Intelligenz bricht mit dem, was ist, es eröffnet Perspektiven, es hält sich nicht an das, was vorher gedacht wurde. Natürlich wird das KI-Hyper nicht überzeugen. Lassen wir deshalb den KI-Chatbot Gemini von Google zu Wort kommen:
Unsere Frage: »Was ist ein Algorithmus und was macht er?«
Geminis Antwort: »Ein Algorithmus ist im Grunde ein Rezept, aber für Computer. Stell dir ein Kochrezept vor. Es gibt dir eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie du ein Gericht zubereitest. Jeder Schritt ist klar definiert und führt dich zum Endergebnis.
Ein Algorithmus funktioniert ähnlich. Er ist eine genaue Abfolge von Anweisungen, die ein Computer befolgen muss, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen. Diese Anweisungen können so einfach sein wie das Addieren zweier Zahlen oder so komplex wie das Erkennen von Gesichtern in einem Foto.«19
Na bitte. Gemini »weiß« über sich Bescheid (tatsächlich tun dies eher ihre Gestalter). Aber es wird dann doch noch dubios, nämlich, wenn wir nach dem Zweck des eigenen Tuns fragen.
Unsere Frage: »Was macht ein Algorithmus, Gemini? «
Geminis Antwort: »Problemlösung: Algorithmen sind die Grundlage für die Lösung von Problemen. Egal, ob es darum geht, die schnellste Route zu berechnen, eine Website zu durchsuchen oder ein Schachspiel zu gewinnen, Algorithmen liefern die Lösung.
Datenverarbeitung: Algorithmen verarbeiten große Mengen von Daten. Sie können Daten sortieren, filtern, analysieren und Muster erkennen.
Automatisierung: Viele Aufgaben, die früher von Menschen erledigt wurden, können heute von Computern mit Hilfe von Algorithmen automatisiert werden.
Entscheidungsfindung: Algorithmen können komplexe Entscheidungen treffen, basierend auf den ihnen zur Verfügung gestellten Daten und Regeln.«
Und dann haben wir noch eine Frage, nämlich: »Warum sind Algorithmen wichtig?«
Geminis Antwort: »Algorithmen sind das Rückgrat der modernen Technologie. Sie ermöglichen uns, mit Computern zu interagieren, Informationen zu finden und Aufgaben zu erledigen. Ohne Algorithmen wäre unsere digitale Welt undenkbar.«
